Karlsruhe (epd). Eine in einem Staat weit verbreitete Zwangsverheiratung von Witwen mit ihren Schwagern stellt eine Verfolgung wegen des Geschlechts dar. Dies hat das Verwaltungsgericht Karlsruhe in einem am 13. Januar veröffentlichten Urteil entschieden und eine aus Gambia stammende Klägerin als Flüchtling anerkannt.
Die Klägerin gehört dem Volk der Wolof an. Als sie im November 2019 von Gambia über den Senegal und Dänemark nach Deutschland floh, stellte sie beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) einen Asylantrag. Die Zuständigkeit Deutschlands für das Asylverfahren wurde gerichtlich bestätigt.
In ihrem Asylantrag gab die Frau an, wegen ihres Geschlechts in Gambia verfolgt zu werden. Als ihr Ehemann starb, sei sie mit ihrem Schwager zwangsverheiratet worden. Diese sogenannte Leviratsehe ist in Gambia verbreitet. Ihr Schwager und dessen Familie hätten sie regelmäßig geschlagen und gedroht, sie umzubringen. Die Polizei habe dennoch nichts unternommen.
Das Bamf lehnte den Asylantrag ab. Es fehle an einem Verfolgungsgrund. Die Klägerin sei als Frau nicht wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt worden.
Das Verwaltungsgericht erkannte die Klägerin jedoch als Flüchtling an. Die von der Polizei und Behörden geduldete Zwangsheirat der Witwe mit ihrem Schwager stelle eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung und geschlechtsspezifische Verfolgung dar. Die Angaben der Klägerin seien auch glaubhaft. In manchen Gebieten Gambias sei die sogenannte Leviratsehe weit verbreitet.
Die Klägerin habe auch keine realistische Chance, außerhalb des Familienverbandes an einem anderen Ort in Gambia zu überleben.
Az.: A 19 K 1998/21