Nürnberg (epd). Testgang durch den Neubau des „Zukunftsmuseums“, Nicole ist zufrieden. „Die Barrierefreiheit ist topp, es ist echt klasse“, sagt sie nach den ersten Schritten, bei denen sie sich von Journalisten begleiten lässt. Nicole bewegt sich mit einer VR-Brille (VR = virtual reality) auf dem Kopf durch den Ausstellungsbereich „Raum und Zeit“, der sich dem alten Menschheitstraum von fernen Galaxien und unendlichen Weiten widmet.
Die verwendete VR-Brille, eine sogenannte HoloLens, ist bei vielen Computerspielen bereits Standard. In diesem Fall hat das „Zukunftsmuseum“ das Nürnberger Jungunternehmen Inclusify beauftragt, eine Software für den inklusiven Museumsbesuch zu programmieren. Sie soll Menschen mit starker Seheinschränkung oder völlig Blinden einen autonomen Museumsbesuch ermöglichen. Über räumliche Tonsignale werden die Besucher zu den Exponaten in den Ausstellungsbereichen geführt. In einem weiteren Schritt werden die Inhalte an einzelnen Stationen so aufbereitet, dass sich auch Sehbehinderte eigenständig über die Exponate informieren können.
Nicole ist als Kleinkind mit gut anderthalb Jahren komplett erblindet und seitdem von der Welt der Sehenden weitgehend ausgeschlossen. Bei anderen Museumsbesuchen hat sie unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Im Deutsche Bahn Museum Nürnberg konnte sie auch in die große Halle mit den Lokomotiven aus den verschiedenen Epochen. Damit sie sich einen Überblick verschaffen konnte, bekam sie ein besonderes inklusives Angebot. Den Adler, einen Nachbau von Deutschlands erster Lokomotive aus dem Jahr 1835, durfte sie anfassen und ausnahmsweise auch einsteigen. Schlechte Erfahrungen machte sie dagegen in einem Schokoladenmuseum. Als sie sich für eine Führung anmelden wollte, sei sie brüsk abgewiesen worden.
Derzeit sind im Deutschen Museum Nürnberg die Ausstellungsinhalte für die VR-Brille noch nicht fertig programmiert, Nicoles erstes Fazit beim Probelauf lautet aber: „Ich werde die Brille benutzen.“ Allerdings würde sie lieber die bisherigen akustischen Signale in andere Töne ändern. Außerdem fühle sich die Brille nach einiger Zeit schwer an, „wie ein halber Helm“. Immerhin führt die Brille zum Beispiel zur Station über die Gefahren des Weltraumschrotts. Dort kann die junge Frau die Informationen in Blindenschrift lesen.
Taktile Stationen sind Bestandteil der inklusiven Angebote im neuen „Zukunftsmuseum“. Grundsätzlich haben die Ausstellungsplaner auch Aspekte wie die Sichthöhen von Infotexten und gute Lesbarkeit durch Kontraste und Farbgebung beachtet. Außerdem finden sich in dem Ausstellungskonzept Stationen für Mehr-Sinne-Erfahrungen, die beispielsweise hörbar, berührbar oder auch mal riechbar sind. Um weitere Barrieren abzubauen, werden Medienstationen untertitelt und von Gebärdensprache begleitet. Audiostationen bieten eine Klinkenbuchse, damit Besucher eigene Kopfhörer nutzen können.
Der nächste Schritt bei der Inklusion ist das digitale Leitsystem mit der VR-Brille. Am Ende will das „Zukunftsmuseum“ aber allen Besuchern einen Mehrwert bieten. „Wir sehen das 'Zukunftsmuseum' auch als Plattform, neue, inklusive Konzepte und Technologien auszuprobieren und sie in der praktischen Umsetzung und in der Betrachtung ihrer Akzeptanz zu evaluieren“, sagt Louisa Bohn vom „Zukunftsmuseum“. So wolle man für eine stärkere Inklusion in unserer Gesellschaft beitragen, dem Thema Raum bieten und das Bewusstsein dafür fördern.
Für Inclusify-Gründer und Chef Marco Richardson ist das Blindenleitsystem mit der HoloLens-Brille nur ein erster Schritt. Technisch lässt sich das digitale System nahezu beliebig erweitern. Er spricht nicht mehr von virtueller Realität, sondern „Extended Reality“, also einer „erweiterten Realität“. Man kann eben auch Gebärdensprache oder Audiofiles einspielen - „für ganz individuelle und autonomere Museumserlebnisse für alle Menschen“.