sozial-Recht

Bundesverwaltungsgericht

Anspruch auf Assistenz bei Erwerbstätigkeit im Rentenalter




Blindenbinde
epd-bild/Norbert Neetz
Eine notwendige Arbeitsassistenz soll schwerbehinderten Menschen die Integration im Arbeitsmarkt erleichtern. Doch auch bei einer Rente kann Anspruch auf Kostenübernahme für eine Assistenzkraft bestehen, wenn eine zusätzliche Erwerbstätigkeit die Lebensgrundlage sichert, urteilte das Bundesverwaltungsgericht.

Leipzig (epd). Schwerbehinderte Menschen können für eine Arbeit im Rentenalter Anspruch auf Kostenübernahme für eine Arbeitsassistenz haben. Damit die zuständigen Integrationsämter oder Reha-Träger die Arbeitsassistenz finanzieren, muss der Betroffene im Rentenalter einer Erwerbstätigkeit nachgehen, „die geeignet ist, dem Aufbau beziehungsweise der Sicherung einer wirtschaftlichen Lebensgrundlage zu dienen“, urteilte am 12. Januar das Bundesverwaltungsgericht. Für einen wirksamen Kostenerstattungsanspruch müssten zudem Arbeitsassistenzleistungen bereits erbracht worden sein, die „zum Ausgleich behinderungsbedingter Nachteile notwendig sind“, so die Leipziger Richter.

Behinderungsbedingte Nachteile

Um schwerbehinderten Menschen eine Erwerbstätigkeit zu ermöglichen, sieht das Gesetz eine Kostenerstattung für eine notwendige Arbeitsassistenz vor. Die Assistenzkräfte sollen behinderungsbedingte Nachteile im Job ausgleichen.

Meist erhalten blinde und gehörlose Menschen oder Rollstuhlfahrer eine Arbeitsassistenz von den Integrationsämtern oder von Reha-Trägern wie der Rentenversicherung finanziert. Hierfür steht Betroffenen ein individuell bestimmtes Persönliches Budget zu, mit dem sie die Arbeitsassistenzkräfte bezahlen können.

Im konkreten Fall übte der schwerbehinderte blinde Kläger eine selbstständige Tätigkeit als Lehrer, Berater und Gewerbetreibender aus. Für seinen Beruf war er auf eine Arbeitsassistenz angewiesen. Die Assistenzkraft erhielt bei einer Tätigkeit von 22 Wochenstunden einen monatlichen Lohn in Höhe von 1.650 Euro. Als zuständiger Träger für die Arbeitsassistenz finanzierte der Hessische Landeswohlfahrtsverband (LWV) die Unterstützungsleistung.

Rente zu gering

Als der blinde Mann ab Juli 2016 auch eine Rente erhielt, lehnte der LWV die weitere Finanzierung der Assistenz ab. Eine Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben sei nicht mehr erforderlich. Mit dem Eintritt in das Rentenalter finde „die Arbeitsphase ihren Abschluss“.

Doch der Kläger dachte gar nicht daran, mit seiner Berufstätigkeit aufzuhören. Er erziele mit seiner Tätigkeit ein Jahreseinkommen von 23.000 Euro. Seine Rente sei viel zu gering, um seinen Lebensunterhalt angemessen sichern zu können. Daher sei er auf seine berufliche Tätigkeit angewiesen. Für diese sei auch weiterhin eine Arbeitsassistenz notwendig.

Der Hessische Verwaltungsgerichtshof (VGH) in Kassel urteilte noch, dass der Kläger mit Erreichen des Rentenalters nicht mehr die Übernahme der Kosten für die Arbeitsassistenz verlangen könne. Der Zweck der Förderung der Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben sei mit dem Erreichen der Altersgrenze und dem Erhalt einer Rente entfallen.

Keine Altersgrenze im Gesetz

Dem widersprach nun das Bundesverwaltungsgericht. Gehen schwerbehinderte Menschen auch im Rentenalter einer Erwerbstätigkeit nach, können sie weiterhin Anspruch auf Übernahme der Kosten für eine notwendige Arbeitsassistenz haben. Weder sei im Gesetz eine Altersgrenze für den Anspruch auf Übernahme der Arbeitsassistenzkosten vorgesehen, noch lasse sich dies aus Sinn und Zweck der Bestimmungen entnehmen.

Um die Kostenübernahme beanspruchen zu können, sei lediglich erforderlich, dass der schwerbehinderte Mensch „einer nachhaltig betriebenen Erwerbstätigkeit nachgeht, die geeignet ist, dem Aufbau beziehungsweise der Sicherung einer wirtschaftlichen Lebensgrundlage zu dienen“. Zudem müssten tatsächlich Arbeitsassistenzleistungen erbracht worden sein, „die unter Berücksichtigung der konkreten Arbeitsumstände zum Ausgleich behinderungsbedingter Nachteile notwendig sind“, urteilte das Bundesverwaltungsgericht. Ob diese Voraussetzungen im Streitfall vorlagen, muss nun der VGH Kassel noch prüfen.

Chancengleichheit im Erwerbsleben

Bereits am 23. Januar 2018 hatte das Bundesverwaltungsgericht den Anspruch auf eine notwendige Arbeitsassistenz für schwerbehinderte Menschen auch für eine zweite Teilzeitbeschäftigung als begleitende Hilfe bekräftigt. Denn die notwendige Arbeitsassistenz dient nicht nur der Verhinderung drohender Arbeitslosigkeit, sondern auch der Chancengleichheit schwerbehinderter Menschen im Arbeitsleben. Die Hilfe dürfe deshalb nicht wegen eines zweiten Teilzeit-Beschäftigungsverhältnisses verweigert werden.

Im konkreten Fall bekam damit der blinde und zu 100 Prozent schwerbehinderte Kläger im Grundsatz recht. Er arbeitete in Teilzeit als Beamter in Luxemburg. Seit 2008 übt er ebenfalls eine Teilzeitbeschäftigung in einer von ihm gegründeten Künstleragentur aus.

Um diese Beschäftigung ausüben zu können, beantragte er erfolglos beim zuständigen Integrationsamt die Übernahme der Kosten für eine Arbeitsassistenz. Er sei ja schon als Beamter in den Arbeitsmarkt integriert, so die Behörde.

Das Bundesverwaltungsgericht betonte jedoch, dass schwerbehinderte Menschen selbst entscheiden dürfen, welchen Beruf sie ausüben und ob sie in Vollzeit arbeiten oder mehreren Teilzeitbeschäftigungen nachgehen. Eine notwendige Arbeitsassistenz diene nämlich auch der Chancengleichheit schwerbehinderter Menschen im Arbeitsleben.

Az.: 5 C 6.20 (Arbeitsassistenz, Rentenalter)

Az.: 5 C 9.16 (Arbeitsassistenz, Teilzeitbeschäftigung)

Frank Leth