sozial-Branche

Pflege

Dokumentation

Verband: Aufgaben im Gesundheitswesen neu verteilen



Der Deutsche Evangelische Verband für Altenarbeit und Pflege (Devap) hat ein Papier mit Kernforderungen für eine neue Verteilung der Aufgaben in der Pflege veröffentlicht. Diese seien unabdingbar, um den Pflegebedarf künftig zu decken. epd sozial dokumentiert den Forderungskatalog.

Im Rahmen der demografischen Entwicklung gibt es fast bundesweit einen generellen Fachpersonalmangel, sowohl in der Medizin als auch in der Pflege. Notwendig erscheint daher ein guter „Care-Case-Mix“, im Ergebnis geht es dabei um einen Case-Mix entsprechenden rationalen Personaleinsatz in der Pflege, der von der Solidargemeinschaft finanziert werden muss und bezahlt werden kann. Dafür sind entsprechende Rahmenbedingungen gefordert. Für einen wirkungsvollen Personaleinsatz wird unter anderem sowohl solides Grundlagenwissen als auch Fachwissen benötigt.

Mit dem Pflegeberufegesetz wurde mit dem Konzept der Kompetenzorientierung ein völlig neuer Ausbildungsansatz etabliert. In den Rahmenplänen der Fachkommission nach § 53 Pflegeberufegesetz (PflBG) heißt es dazu: „Mit dem Konzept der Kompetenzorientierung nimmt der Gesetz- und Verordnungsgeber die Perspektive auf die Lernenden und ihre Entwicklung im Prozess des Lebenslangen Lernens ein. Er orientiert sich damit zugleich an “modernen berufspädagogischen Konzepten, die eng mit denen der Handlungsorientierung verknüpft sind." Dies gilt es für die Steigerung der Attraktivität des Pflegeberufes zu nutzen. Der Erwerb pflegerischer Handlungskompetenzen vollzieht sich im Zusammenspiel von Pflegepraxis, Pflegeschule und der Eigenverantwortung der Auszubildenden.

Die Kompetenzen müssen zukünftig die Grundlage für die Verantwortungs- und Aufgabenverteilung zwischen den Gesundheitsfachberufen in der interprofessionellen Pflege sein.

Die Weiterbildungsstrukturen müssen sich an den aktuellen und perspektivischen Bedingungen des Wandels orientieren. Gebraucht werden interagierende, modulhafte und vor allem durchlässige Bildungsangebote mit guter Anschlussfähigkeit, um Aufstiegs- und Karrieremöglichkeiten zu bieten und den Beruf attraktiver zu machen.

Entsprechend müssen die von der Fachkommission entwickelten Module zur Übertragung heilkundlicher Tätigkeiten auf die Pflegefachpersonen schnellstmöglich in die Weiterbildung integriert und allen - also auch dem Bestandspersonal - zugänglich gemacht werden. Mittel- und langfristig wird der Versorgungsbedarf in quantitativer und qualitativer Hinsicht aus den folgenden Gründen deutlich steigen: Demografische Entwicklung, veränderte Altersbilder und sozio-kulturelle Erwartungen sowie medizinisch-technische Entwicklung. Dies erfordert entsprechend angepasste personelle Versorgungsstrukturen im Pflegebereich:

  • Akademisch qualifizierte Pflegeexperten mit v.a. konzipierenden, edukativen und evaluierenden Aufgaben,
  • Pflegefachpersonalebene mit v.a. steuernden und koordinierenden Aufgaben sowie für die Versorgung von Menschen mit einem komplexen Pflegbedarf bzw. einer instabilen Pflegesituation,
  • strukturell einheitlich zweijährig qualifizierte Pflegeassistenzebene mit v.a. ausführenden Aufgaben und
  • Pflegehelfer ohne formale Qualifikation, die sich im Rahmen ihrer Tätigkeit pflegerisches Wissen und Handeln aneignen und perspektivisch auch formal beim Träger weiterqualifiziert werden.

Die verschiedenen Qualifizierungsniveaus müssen interagieren und sich verschränken und sind zwingend bundeseinheitlich zu definieren. Politisch ist für entsprechende Rahmenbedingungen zu sorgen.

Vorbehaltsaufgaben und Modellvorhaben zur Übertragung ärztlicher Tätigkeiten

Mit dem Pflegeberufegesetz sind in § 4 für Pflegefachpersonen vorbehaltene Tätigkeiten definiert worden. Dies ist ein Meilenstein und war pflegepolitisch überfällig und notwendig. Der § 4 PflBG ist im Rahmen von Aus-, Fort- und Weiterbildung ernst zu nehmen. Vorbehaltsaufgaben sind inhaltlich auszugestalten und müssen in rahmenvertragliche Grundlagen einfließen.

Die im Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz (GVWG) vorgesehene verpflichtende Durchführung von Modellvorhaben zur Übertragung ärztlicher Tätigkeiten auf Pflegefachpersonen (§ 64d SGB V), bei denen es sich um die selbstständige Ausübung von Heilkunde handelt, müssen auf den Weg gebracht und die Ergebnisse zeitnah umgesetzt werden. Nur durch eine interprofessionelle Arbeit und einem guten Zusammenwirken von Ärzten und Pflegefachpersonen kann die pflegerische Versorgung langfristig sichergestellt werden. Die im Gesetz vorgesehen Fristen sind zu lang und sollten im Sinne einer besseren pflegerischen Versorgung im Zusammenspiel aller Professionen von den Krankenkassen und Kassenärztlichen Vereinigungen nicht ausgereizt werden.

Substitution und Delegation

Im Pflegebereich wurden schon immer ärztlich delegierte Aufgaben übernommen. Perspektivisch werden Pflegefachpersonen vermehrt sogenannte Substitutionsaufgaben, d.h. nach ärztlicher Diagnose, heilkundliche Tätigkeiten selbständig und ohne ärztliche Veranlassung übernehmen. Hierzu sind eindeutige Regelungen notwendig.

Pflegefachpersonen werden perspektivisch ein deutlich breiteres Aufgabenspektrum übernehmen, damit sind entsprechende Zuweisungen der Kompetenz und Verantwortung notwendig. Die Anwendung des Deutschen Qualifikationsrahmen (DQR)1 findet statt. Die Pflegeberufe sollen nach dem PflBG dem DQR Niveau 5 zugeordnet werden (Konzertierte Aktion Pflege 2019, Arbeitsgruppe 3 Innovative Versorgungsansätze und Digitalisierung).

Pflegeassistenz/Pflegehelfer

Unterscheidet man den erforderlichen Personalzuwachs nach Qualifikationsniveau, so besteht laut Rothgang-Gutachten 2 vom Februar 2020 für eine durchschnittliche Einrichtung ein Personalmehrbedarf von 69 Prozent bei dem Pflegeassistenzpersonal und von 3,5 Prozent bei dem Fachpersonal. Für den ambulanten Bereich liegen noch keine Erhebungen vor; hier besteht Forschungsbedarf.

Langfristig kann qualitätsvolle Pflege nur sichergestellt werden, wenn auf Bundesebene eine einheitliche Lösung für die Qualifizierung gefunden wird: Der Devap fordert seit Jahren eine bundesweit einheitliche, zweijährige generalistische Pflegeassistenzausbildung, um Vergleichbarkeit herzustellen. Es muss endlich eine Homogenisierung zwischen den Länderregelungen geben (DQR 3). Dies würde dazu beitragen, dass nicht nur in quantitativer, sondern auch in qualitativer Hinsicht die Pflege eine Angleichung erfährt.

Ein Paradigmenwechsel ist unabdingbar: die Assistenzausbildung darf nicht nur als Zwischenstufe wahr-genommen werden, sondern als eigener Ausbildungsgang. Es muss ein berufsständisches Verständnis geschaffen werden. Hierfür müssen besondere Kompetenzen definiert werden.

Systemwechsel erforderlich

Die unterschiedliche Versorgungslandschaft in den Ländern führt nicht zu gleichwertigen Lebensverhältnissen. Insgesamt müssen bessere Bedingungen für Pflegeleistungen geschaffen werden: + Ambulant: weg mit dem „verrichtungsorientierten Bauchladenprinzip“, hin zu einem ergebnis-orientierten Aufgabenprinzip bei auskömmlicher Zeitfinanzierung. + Stationär: Steigerung der Personalquoten mit sinnvoller Arbeits- und Aufgabenteilung zwischen Pflegefach- und Pflegeassistenzpersonen.

Mitgedacht werden muss, dass diese neue Verteilung der Kompetenzen auch Auswirkungen auf die Vergütung haben wird und dies derzeit eine Erhöhung der Beteiligung für die Pflegebedürftigen impliziert (Siehe „Strategiepapier Devap Altenarbeit und Pflege 2021 bis 2025“). Bei den Überlegungen zum neuen Personalmix müssen nicht nur Assistenz- und Pflegefachpersonen berücksichtigt werden, sondern auch akademisch qualifizierte Personen und Quereinsteiger ohne Pflegeausbildung. Aktuell fehlen bei den Trägern hierfür die passenden Strukturen (Kompetenzprofil und entsprechende Vergütung). Im Rahmen der hochschulischen Pflegeausbildung fehlt zudem eine Refinanzierung der Praxisanleitung, beispielsweise über den Ausbildungsfonds.