sozial-Editorial

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Markus Jantzer
epd-bild/Heike Lyding

die gesetzliche Rentenversicherung weist nach Expertenmeinung in mehrfacher Hinsicht Gerechtigkeitslücken auf. So haben besserverdienende Menschen schon allein deshalb mehr von ihren Rentenbeiträgen, weil sie im Schnitt länger leben. Der Paritätische kritisiert die Grundsicherung als nicht ausreichend und fordert eine Erhöhung um mehr als 50 Prozent. Der Berliner Wirtschaftsforscher Johannes Geyer verweist auf die Niederlande, wo Altersarmut kaum vorkomme, und hält im deutschen Rentensystem eine Umverteilung von oben nach unten für sinnvoll.

Etwa jeder fünfte Soldat ist aus seinem Kampfeinsatz in Afghanistan mit psychischen Krankheiten zurückgekehrt. Wenn die Betroffenen Jahre später berufsunfähig werden, ist es sehr schwer, eine Verletzung als Soldat nachzuweisen und sie als Berufskrankheit anerkannt zu bekommen, sagt Bernhard Drescher, Vorsitzender des Bundes Deutscher Einsatzveteranen. In Ländern wie den USA und Großbritannien hingegen erhalten Veteranen und ihre Angehörigen besondere Sozial- und Gesundheitsleistungen.

Alte Menschen könnten vermutlich länger und sicherer in ihren Wohnungen leben, wenn sie digitale Assistenzsysteme nutzen. In einem sogenannten Smart Home sind Sensoren angebracht, die melden, wenn Wasserhähne nicht abgedreht sind, sie erfassen Bewegungen oder messen den Gehalt von Gasen aus dem Ofen und der Heizung. Doch die wenigsten Senioren haben ihre Wohnungen derart technisch hochgerüstet. Hier setzt das Forschungsprojekt „DeinHaus4.0“ an.

Wer sich als Beschäftigter eines Flüchtlingsheims ausländerfeindlich äußert, riskiert seine Entlassung. Diese Erfahrung musste ein leitender Angestellter eines gemeinnützigen Flüchtlingsheimbetreibers vor Gericht machen, der in einem privaten WhatsApp-Chat herabwürdigende Bemerkungen über Geflüchtete und in der Flüchtlingshilfe tätige Menschen gemacht hat.

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Markus Jantzer




sozial-Politik

Ruhestand

Experten: Rentensystem benachteiligt Geringverdiener




Rentnerpaar auf einer Parkbank
epd-bild/Jürgen Blume
Bei der gesetzlichen Rente werden Bezieherinnen und Bezieher niedriger Einkommen nach Auffassung von Fachleuten mehrfach benachteiligt. Sie fordern deshalb Reformen.

Frankfurt a. M. (epd). Wohlhabende Menschen leben im Durchschnitt länger als Arme. Das gilt nicht nur weltweit, sondern auch für Deutschland. Deshalb beziehen Menschen, die gut verdient haben, im Alter länger Rente als Geringverdiener. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, macht daher in seiner regelmäßigen Kolumne in „Zeit online“ darauf aufmerksam, dass in der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) eine „massive Umverteilung von unten nach oben, von Arm zu Reich“ stattfindet.

Keine finanziellen Rücklagen

Besonders ungerecht findet der Paritätische Wohlfahrtsverband die Regelungen für Rentnerinnen und Rentner, die auf Sozialhilfe angewiesen sind. „Die Höhe der Grundsicherung ist ganz und gar nicht ausreichend“, sagte Joachim Rock, Abteilungsleiter „Arbeit, Soziales und Europa“ bei dem Wohlfahrtsverband, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Der DIW-Forscher Johannes Geyer sagte dem epd, er könne Kritik an der Höhe der Regelsätze „nachvollziehen“.

„Will man Armut wirklich bekämpfen, müsste der Regelsatz für eine alleinstehende Person in diesem Jahr mindestens 644 Euro betragen und nicht, wie im Gesetz festgelegt, 446 Euro im Monat.“ Außerdem müsse der Staat die Kosten der Unterkunft und Heizung in voller Höhe übernehmen und nicht lediglich, wie es im Gesetz heißt, „angemessene Wohnkosten“.

Für Rentnerinnen und Rentner müssten allerdings bei der Grundsicherung im Alter mindestens weitere zehn Prozent hinzukommen, sagt Rock. Denn die alten Menschen hätten praktisch keine Chance, ihre wirtschaftliche Situation zu ändern. Sie hätten keine finanziellen Rücklagen und sie hätten in der Regel höhere Gesundheitsausgaben. Der Paritätische fordert daher für hilfebedürftige Rentnerinnen und Rentner mindestens 710 Euro im Monat plus die volle Erstattung ihrer Wohnkosten.

Scham verhindert Antragsstellung

Doch viele Rentnerinnen und Rentner, denen Sozialhilfe zusteht, bekommen die staatliche Hilfe erst gar nicht. Das DIW kam in einer Studie zu dem Ergebnis, dass 60 Prozent der Anspruchsberechtigten die Leistungen nicht beantragen und deshalb leer ausgehen. Obwohl die Deutsche Rentenversicherung (DRV) jeden Menschen mit geringen Rentenanwartschaften im jährlichen Rentenbescheid darüber informiert, dass er oder sie Anspruch auf Grundsicherung im Alter haben könnte, rufen viele ihre berechtigten Forderungen an die Solidargemeinschaft nicht ab. „Die Gründe für die Nichtinanspruchnahme sind vielfältig“, sagt Geyer. Scham, unzureichende Informationen oder auch die Kosten der Antragstellung gehören nach Auffassung des DIW-Forschers dazu.

„Man könnte das Problem lösen, indem bei Beziehern niedriger Renten die gesetzliche Rentenversicherung von Amts wegen prüfen lässt, ob ein Anspruch auf Grundsicherung besteht“, schlägt der Dresdner Wirtschaftsprofessor Joachim Ragnitz vom ifo Institut vor. „Das wäre zwar Mehrarbeit für die Sozialämter“, räumt Ragnitz ein, „würde aber wahrscheinlich zu einer höheren Einzelfallgerechtigkeit führen.“

Menschen, die trotz langjähriger Erwerbstätigkeit und Kindererziehungsjahren eine sehr niedrige Rente erwarten, haben in viele Fällen lediglich Anspruch auf Grundsicherung im Alter, sprich auf Sozialhilfe. Ihre Arbeitsleistung und die eingezahlten Rentenbeiträge zahlen sich also im Alter für sie nicht aus. Es kommt damit zu einer „Gleichstellung von Grundsicherungsbeziehern mit Rentenbeziehern“, wie Professor Ragnitz feststellt. „Sie sollte es nicht geben“, sagte er dem epd.

Großzügige Regelungen in den Niederlanden

Menschen, die sich mit niedrigen Löhnen ihre Rente selbst erarbeitet haben, müssten im Alter mehr Geld haben als Menschen ohne solche Ansprüche an die GRV, meint auch der Paritätische Wohlfahrtsverband. Er fordert deshalb, dass „der bereits bestehende Freibetrag in der Grundsicherung für Einkommen aus privater Vorsorge, der aktuell monatlich bis zu 223 Euro umfasst, auch für Einkommen aus der gesetzlichen Rentenversicherung Anwendung finden muss“. Dabei müsse jedes Beitragsjahr zählen. Die Mindestdauer von 33 Beitragsjahren, wie es das zum Jahresanfang in Kraft getretene Gesetz zur Grundrente vorschreibt, müsse entfallen.

Johannes Geyer vom DIW weist zum Vergleich auf „großzügige Freibetragsregelungen für Einkommen und Vermögen“ in den Niederlanden hin. Der Nachbarstaat im Westen habe ein Grundrentensystem, in dem die Höhe der Grundrente nicht vom Erwerbsverlauf abhängt. Vielmehr zählen die Jahre, die man in den Niederlanden verbracht hat. Wer 50 Jahre in dem Land gelebt hat, erhält die volle Grundrente.

Alleinstehende bekommen dabei 70 Prozent des Nettomindestlohns gezahlt. Dieser wird jedes Jahr angepasst. In diesem Jahr beträgt die Grundrente monatlich 1.218 Euro, bei Paaren liegen die individuellen Beträge etwas niedriger. Einkommen wird nicht auf die Grundrente angerechnet. In den Niederlanden wird die Grundrente außerdem durch ein breites System von Betriebsrenten ergänzt. „In so einem System gibt es entsprechend wenig einkommensarme Haushalte im Alter - allerdings auch viel mehr Umverteilung durch das Rentensystem als in Deutschland, da die Rentenhöhe nicht von den vorher gezahlten Beiträgen abhängt“, erläutert Geyer.

Für progressive Beitragsgestaltung

Um im deutschen Rentensystem mehr Gerechtigkeit zu erreichen, hält Geyer darüber hinaus eine Reform zur Umverteilung von oben nach unten für sinnvoll: „Dies könnte beispielsweise über eine Sockelrente, also eine absolute Einkommensuntergrenze, und eine progressive Beitragsgestaltung realisiert werden.“ Bei niedrigen Löhnen würden also eingezahlte Rentenbeiträge mit höheren Entgeltpunkten bewertet als bei hohen Gehältern. Das Äquivalenzprinzip in der GRV würde damit weiter aufgeweicht. Ragnitz weist darauf hin, dass dies insofern bereits geschieht, als die Entgeltpunkte in den Bundesländern der früheren DDR seit der Wiedervereinigung „aufgestockt“ werden.

Der Paritätische geht noch einen Schritt weiter. Er spricht sich dafür aus, die Beitragsbemessungsgrenze von derzeit 6.900 Euro Bruttomonatslohn, bis zu der Rentenbeiträge zu zahlen sind, zu verdoppeln und mittelfristig aufzuheben. „Dabei ist jedoch das Äquivalenzprinzip ab einer bestimmten Grenze zu modifizieren und zusätzliche Beiträge nur noch anteilig als leistungssteigernd anzuerkennen.“ Die Ansprüche besonders einkommensstarker Versicherter würden so verringert, gleichzeitig sollten die Ansprüche ärmerer Versicherter erhöht werden. Dies könne helfen, die aus den unterschiedlichen Lebenserwartungen folgenden Ungerechtigkeiten in der Rentenversicherung zu mindern, meint Experte Rock.

Joachim Ragnitz vom ifo Institut äußert Zweifel, ob eine Umverteilung „überhaupt noch nötig ist, wenn ein immer größerer Anteil der Rente besteuert wird und damit explizit der Progression des Einkommensteuertarifs unterworfen wird“. Der Anteil des Renteneinkommens, der bei Neurentnern besteuert wird, wächst seit 2005 jedes Jahr. In diesem Jahr liegt sein Anteil bei 81 Prozent. Wer 2040 oder später in den Ruhestand geht, muss seine Rente grundsätzlich voll versteuern - und „dann zahlen die ‚reichen‘ Rentner mehr Steuern, was deren Rente schmälert“, erklärt Ragnitz.

Markus Jantzer


Ruhestand

Hintergrund

Das Stichwort: Die Grundrente



Berlin (epd). Am 1. Januar 2021 ist das Gesetz zur Grundrente in Kraft getreten. Rund 1,3 Millionen Rentnerinnen und Rentner werden nach Angaben der Bundesregierung im ersten Jahr von einem individuellen Zuschlag zu ihrer Rente profitieren. Wer jahrzehntelang zu einem niedrigen Lohn gearbeitet und Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt hat, kann mit dem Grundrentenzuschlag eine höhere Rente erhalten. Grundrentenberechtigte werden nach Schätzungen zu rund 70 Prozent Frauen sein und überdurchschnittlich viele Ostdeutsche.

Komplexe Berechnung

Anspruch auf einen vollen Grundrenten-Zuschlag besteht, wenn mindestens 35 Jahre Grundrentenzeiten vorhanden sind. Das sind vor allem Pflichtbeiträge aus Beschäftigung oder Selbstständigkeit sowie anerkannte Zeiten der Kindererziehung und Pflege. Der Verdienst muss bezogen auf das gesamte Versicherungsleben im Durchschnitt unter 80 Prozent des Durchschnittsverdienstes aller Versicherten in Deutschland betragen haben.

Die Berechnung der individuellen Grundrente ist komplex, deshalb hat sich der für dieses Jahr geplante Start der Grundrente verzögert. Im Juli hat die Deutsche Rentenversicherung (DRV) nach eigenen Angaben begonnen, die ersten Bescheide zu verschicken. Noch ist es zu früh, die finanzielle Wirkung der neuen Leistung zu bilanzieren.

Um den Grundrenten-Zuschlag zu erhalten, muss kein Antrag gestellt werden. Eine Bedürftigkeitsprüfung unterbleibt. Die DRV muss bis Ende 2022 etwa 26 Millionen Bestandsrenten prüfen und den Grundrentenzuschlag rückwirkend zum 1. Januar 2021 bzw. zum individuellen Rentenbeginn auszahlen.

Finanzierung aus Steuermitteln

Rentnerhaushalte, die neben der gesetzlichen Rente zum Beispiel eine Pension, Erträge betrieblicher oder privater Vorsorge, Mieteinnahmen oder sonstige Absicherungen haben, erhalten keine Grundrente. Einkommen oberhalb eines Einkommensfreibetrags wird auf die Grundrente angerechnet. Der Einkommensfreibetrag für Alleinstehende beträgt 1.250 Euro, für Paare liegt er bei 1.950 Euro. Der Freibetrag bezieht sich auf das zu versteuernde Einkommen und wird jährlich angepasst.

Liegt das Einkommen über dem Einkommensfreibetrag von 1.250 Euro bzw. 1.950 Euro, wird der darüber liegende Betrag zu 60 Prozent auf die Grundrente angerechnet. Alleinstehende Rentner und Rentnerinnen, deren zu versteuerndes Einkommen 1.600 Euro übersteigt (bei Paaren sind es 2.300 Euro), erhalten keine Grundrente.

Die Grundrente wird aus Steuermitteln finanziert.



Gesundheit

Afghanistan-Veteranen zwischen Trauma und Wut




Oberstabsfeldwebel Andreas Eggert in Kundus, Afghanistan
epd-bild/privat
Deutsche Soldatinnen und Soldaten erlebten bei den Einsätzen in Afghanistan Tod, Gewalt und Elend, rund 20 Prozent kehrten mit psychischen Krankheiten zurück. Das Scheitern des Einsatzes treibt viele Veteranen zur Verzweiflung und traumatisiert sie.

Frankfurt a.M. (epd). Die Albträume sind zurück, die Panik und eine bodenlose Traurigkeit: Andreas Eggert geht es wieder schlechter - wie vielen, die für die Bundeswehr in Afghanistan waren. „Die Bilder und auch die Traumata kommen aktuell wieder hoch“, sagt der Oberstabsfeldwebel a.D., der für den Bund Deutscher Einsatzveteranen traumatisierte Kriegsrückkehrende dabei unterstützt, im Leben zurechtzukommen. Zu den Erinnerungen kämen bei den Veteraninnen und Veteranen auch „sehr viel Wut über den Truppenabzug und die viel zu späte Evakuierung“.

Soldaten kehrten krank zurück

Gerade steht Eggerts Telefon kaum still. „Die Leute sind am Ende, weil der Einsatz mit all seinen Opfern, auch den persönlichen, umsonst war“, sagt der 45-jährige Bonner, der aus sieben Afghanistan-Einsätzen eine Posttraumatische Belastungsstörung mitbrachte. „Statt Frieden herrschen jetzt wieder die Taliban.“ Viele machten sich zudem große Sorgen um afghanische Freunde, die nicht gerettet wurden. Eggert selbst konnte einem Dolmetscher und dessen Familie zur Ausreise verhelfen, „ein gutes Gefühl, aber es ist eben auch nur eine bedrohte Familie von vielen“.

Etwa 90.000 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr waren in den vergangenen 20 Jahren in Afghanistan stationiert, so die Zahlen des Potsdamer Instituts für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr. An Auslandseinsätzen beteiligt waren seit den ersten bewaffneten Bundeswehr-Einsätzen in den 1990er Jahren rund 300.000 Soldatinnen und Soldaten. Nicht wenige von ihnen kehrten krank zurück. „Seelisch verwundet“, nennt es Bernhard Drescher, Vorsitzender des Veteranenverbandes. Etwa 20 Prozent der Einsatzkräfte bringen psychische Krankheiten aus den Kriegsgebieten mit, zeigten bereits im Jahr 2015 Dokumente des Verteidigungsausschusses im Bundestag.

„Die große Welle aus Afghanistan kommt noch auf uns zu“, sagt Drescher, Oberstleutnant a. D. und selbst durch einen Mazedonien-Einsatz verletzt. „Auch unter den Beteiligten an Marine-Einsätzen im Mittelmeer wird es noch viele geben, die mit den aufgequollenen Kinderleichen aus den Flüchtlingsbooten nicht zurechtkommen.“

Über Monate im Ausnahmezustand

Die Inkubationszeit ist lang, fünf Jahre, „manchmal mehr als zehn“, sagt Drescher. Krankheiten und Symptome sind zudem verschieden: Betroffene leiden an Ängsten, Depressionen, Konzentrationsproblemen, Sucht „und generell Anpassungsstörungen, weil sie über Wochen und Monate Tag und Nacht im Ausnahmezustand gelebt haben“. Nun stellten sich die Rückkehrenden aus Afghanistan „natürlich“ die Sinnfrage: Wofür das alles? „Das ist für viele retraumatisierend“, sagt Drescher.

Sein Verband berät und betreut Betroffene und ihre Familien - oft jahrelang. Denn: Viele der im Ausland Eingesetzten waren - und sind - nur auf Zeit bei der Bundeswehr verpflichtet. „Wer dann zehn Jahre nach Dienstende krank und berufsunfähig wird, ist Zivilist und hat es sehr schwer, eine Verletzung als Soldat überhaupt nachzuweisen und anerkannt zu bekommen“, sagt Drescher. „Diese Betroffenen stehen auch vor einem sozialen Nichts.“ Denn in Deutschland gibt es anders als in Ländern wie den USA, aber auch Dänemark oder den Niederlanden kein Veteranenkonzept, das soziale Hilfen, Zuständigkeiten und den Betroffenenkreis festlegt. Das kritisiert der Veteranenverband seit seiner Gründung im Jahr 2010.

„Deutschland nimmt seit den 1990er Jahren an bewaffneten Konflikten teil, bei denen Soldaten verletzt werden“, sagt Drescher. „Trotzdem fehlt es an Anerkennung und sozialem Schutz.“ Das sei auch bei der „sehr stillen Rückkehr“ der Bundeswehr aus Afghanistan deutlich geworden, bei der sich kein Regierungs- oder Parlamentsmitglied blicken ließ. „Auch diese mangelnde Wertschätzung ist sehr belastend.“

Andreas Eggert in Bonn versucht, Frieden zu finden von den Bildern aus Afghanistan. Mehr als 300 Therapiestunden hat er seit 2014 schon gemacht, „durch Menschenmengen kann ich wahrscheinlich nie wieder gehen“, sagt er.

Miriam Bunjes


Gesundheit

Hintergrund

Posttraumatische Belastungsstörung



Frankfurt a.M. (epd). Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) treten als verzögerte Reaktion nach extrem belastenden Ereignissen wie schweren Unfällen, Gewaltverbrechen, Naturkatastrophen oder Kriegshandlungen auf. Soldatinnen und Soldaten in Kriegseinsätzen sind zu etwa 20 Prozent von dieser oder auch anderen psychischen Störungen betroffen. Bei der Gesamtbevölkerung liegt die Häufigkeit bei acht Prozent.

Typische Symptome einer PTBS sind Tagträume, Flashbacks und Albträume, in denen die Situation wieder erlebt wird. Parallel dazu gibt es sogenannte Vermeidungssymptome wie emotionale Stumpfheit oder Gleichgültigkeit anderen Menschen und Situationen gegenüber. Manchmal können wichtige Teile des Erlebnisses auch nicht erinnert werden. Oft sind Betroffene auch sehr schreckhaft, haben Konzentrationsschwierigkeiten, leiden an erhöhten Wachsamkeit, Reizbarkeit und Schlafstörungen.

Laut psychiatrischen Fachverbänden gibt es gute Heilungschancen. Bei jahrelangen Symptomen kommt es aber bei über 30 Prozent der Betroffenen zu einem chronischen Verlauf.



Bildung

Biete Nachhilfe für Zimmer




Übergabe der Wohnungsschlüssel an die "Study Friends"
epd-bild/Dieter Sell
Bei dieser Idee gibt es nur Gewinner: Studierende bekommen kostenlos ein WG-Zimmer und unterstützen im Gegenzug Schülerinnen und Schülern bei den Hausaufgaben. Mit diesem Konzept startet jetzt ein Bremer Sozialprojekt, durch Spenden finanziert.

Bremen (epd). Auf dem Klingelschild an der Haustür steht noch „Kultur vor Ort“. Aber Andrés Sotomayor und Azam Khan haben schon die Schlüssel für ihre neue Wohnung, die sie in den nächsten Tagen beziehen. Die Studenten haben sich in Bremen bei einem Projekt beworben, das jetzt startet und unter dem Titel „Study Friends“ doppelten Profit verspricht: Studierende erhalten gratis ein WG-Zimmer und helfen im Gegenzug Schülerinnen und Schülern bei Hausaufgaben und im Unterricht.

„Tolle Chance für Kinder“

Zum Auftakt im Stadtteil Gröpelingen wurden fünf junge Leute im Alter zwischen 19 und 25 Jahren ausgewählt, die in zwei Dreizimmer-Wohnungen spendenfinanzierte WG-Zimmer bekommen. Die Kosten übernimmt die Deutsche Kindergeld-Stiftung zunächst bis 2024 mit jährlich 12.000 Euro. Die Studierenden müssen nur für Strom und Abwasser aufkommen und ein Deponat hinterlegen. „Das ist eine tolle Chance für die Kinder, die sich mit den Studierenden weiterentwickeln können“, meint Stiftungsgeschäftsführerin Birgitt Pfeiffer.

Gröpelingen ist ein Stadtteil, in dem viele Familien mit ausländischen Wurzeln leben. „Gerade hier brauchen Schülerinnen und Schüler Unterstützung“, sagt Martin Karsten, Mitorganisator des Projekts. Deshalb helfen die Studierenden den Lehrkräften der Neuen Oberschule Gröpelingen in den fünften und sechsten Klassen jeweils mit 25 Stunden im Monat.

„Dabei profitieren beide Seiten“, ist Schulleiterin Martina Semmler überzeugt: „Die Studierenden machen Erfahrungen, die sie im weiteren Leben gut gebrauchen können - und für die Kinder sind die Studierenden Vorbilder, an denen sie sehen können, dass es sich lohnt, sich auf den Weg zu machen.“

Leistung und Gegenleistung

Über Social-Media-Kanäle wurde für das Projekt geworben, dann kamen Bewerbungsgespräche. Sie habe sich schon in der Schülervertretung und in einer Schülerfirma engagiert, berichtet Sina Glinka von ihren Vorerfahrungen. Nun freut sich die 19-Jährige, die in Bremen Politikmanagement studieren will, auf die WG und auf die Hospitation in den Klassen, bei der es die ersten Kontakte zu den Kindern gibt.

„Das kann nur klappen“, zeigt sich auch Sargis Poghosyan optimistisch, der in Bremen Germanistik und Kommunikations-Wissenschaften studiert. Gleichzeitig seien noch viele Fragen offen, sie seien ja Projekt-Pioniere, ergänzt der 25-Jährige. „Eine ist, ob wir überhaupt Internet haben oder eine Waschmaschine“, sagt Sotomayor, der in den Fächern Kultur- und Erziehungswissenschaften eingeschrieben ist.

Hilfe bei den Hausaufgaben, Unterstützung einzelner Schülerinnen und Schüler, Werkstattangebote am Nachmittag - die Studierenden können sich viel vorstellen. Doch zunächst haben sie Verträge unterschrieben. „Die abgeleisteten Stunden werden dokumentiert“, verdeutlicht Karsten. „Es geht hier eben um Leistung und Gegenleistung.“

„Bildungsbuddies“ in Bremerhaven

Die Einsatzplanung und die Anleitung der Studierenden übernimmt eine Lenkungsgruppe. Überhaupt wurde „Study Friends Gröpelingen“ durch ein Bündnis möglich, das Karsten zufolge zügig und „völlig geräuschlos“ arbeitet. Beteiligt sind neben dem städtischen Wohnungsbauunternehmen Gewoba, der Schule und der Stiftung auch das örtliche Quartiersbildungszentrum, der Verein „Kultur vor Ort“ und die Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnungsbau.

Gute Erfahrungen mit der Idee haben bereits Projekte in Duisburg, Gelsenkirchen und Bremerhaven gemacht, in der Seestadt unter dem Namen „Bildungsbuddies“. Die Beteiligten hoffen, dass das Projekt über die dreijährige Anschubphase hinaus läuft und dass künftig noch mehr Studierende und Schulen eingebunden werden können. Sotomayor spricht für alle, wenn er voller Tatendrang sagt: „Das ist genau das, was ich machen möchte.“

Dieter Sell


Bundestagswahl

Stimmabgabe unter erschwerten Bedingungen



Hannover/Celle (epd). Wen wählen bei der Bundestagswahl am 26. September? Die Frage ist schwer genug. Für manche ist aber auch das Wie eine große Herausforderung-- zum Beispiel für Wohnungslose, Gefängnis-Insassen oder Menschen mit Behinderungen.

WOHNUNGSLOSE: Wer keine feste Wohnung und somit keine Meldeadresse hat, ist nicht im Wählerverzeichnis eingetragen und erhält keine Wahlbenachrichtigung. Wer bis drei Wochen vor der Wahl einen Antrag auf Eintragung in ein Wählerverzeichnis gestellt hat, darf wählen. Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe können dafür Sammelanträge einreichen, um den bürokratischen Aufwand für den Einzelnen so niedrig wie möglich zu halten. Fehlt der Ausweis, kann auch ein Sozialarbeiter die Identität bestätigen. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe schätzt die Zahl der wahlberechtigten Wohnungslosen in Deutschland auf rund 180.000. Wie viele davon tatsächlich wählen, werde aber nicht erfasst, sagt Geschäftsführerin Werena Rosenke.

HÄFTLINGE: Auch die bundesweit rund 30.000 Strafgefangenen dürfen in aller Regel wählen. Während in einigen Gefängnissen Sonderwahlbezirke eingerichtet werden, geschieht das andernorts vor allem per Briefwahl. „Das hat sich bei uns gut eingespielt“, sagt Darienne Pohl von der Stadt Celle. Vor der Wahl würden die Wählerverzeichnisse mit den Häftlingen abgeglichen, die zu der Zeit in der Justizvollzugsanstalt Celle einsitzen. Für Freigänger sei auch der Besuch ihres Wahllokals möglich.

MENSCHEN MIT BEHINDERUNG: Vor wieder anderen Herausforderungen stehen die bundesweit rund 7,9 Millionen Menschen mit schweren Behinderungen. Wer nicht lesen kann oder motorisch nicht in der Lage ist, selbst die Kreuze zu machen und den Stimmzettel einzuwerfen, kann die Unterstützung einer Hilfsperson seiner Wahl in Anspruch nehmen. Dies kann auch ein Wahlhelfer vor Ort sein. Wichtig ist, dass die Hilfsperson ausschließlich die Wünsche des Wahlberechtigten ausführt - sonst macht sie sich der Wahlfälschung strafbar. Für sehbehinderte Menschen gibt es spezielle Stimmzettel-Schablonen. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2019 dürfen erstmals bei einer Bundestagswahl auch jene 85.000 Menschen mit Behinderungen oder psychischen Erkrankungen wählen, die dauerhaft auf eine rechtliche Betreuung angewiesen sind.



Corona

Hintergrund

Quarantäne und Lohnersatz - so sind die Regeln



Berlin (epd). Die Bundesländer wollen die Zahlung von Verdienst-Ausgleich für ungeimpfte Beschäftigte in Corona-Quarantäne bis spätestens zum 1. November beenden. Darauf haben sich die Gesundheitsminister der Länder am 22. September in einer Videokonferenz verständigt. Ausnahmen gibt es für Menschen, die sich nicht impfen lassen können oder für die es keine Impfempfehlung gibt.

Bisher erhalten alle Beschäftigten ihren Lohn weiter, wenn sie in Quarantäne müssen und währenddessen nicht im Homeoffice arbeiten können. Das kann passieren, wenn sie in Kontakt waren mit einem Covid-19-Infizierten oder aus einem Risikogebiet nach Deutschland zurückkehren. Die Quarantäne für Kontaktpersonen wird von den Gesundheitsämtern angeordnet.

Geregelt im Infektionsschutzgesetz

Geimpfte müssen nach den aktuellen Empfehlungen des Robert Koch-Instituts in der Regel nicht mehr in Quarantäne, wenn sie Kontakt zu einem Infizierten hatten, Ungeimpfte dagegen schon. Wer sich mit dem Virus angesteckt hat - egal ob geimpft oder nicht - erhält die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wie bei anderen Erkrankungen auch.

Die Arbeitgeber bekommen die Lohnfortzahlung für die Quarantänezeiten vom jeweiligen Bundesland erstattet. Weil sich inzwischen jede und jeder impfen lassen kann, wollen die Länder den Lohnausfall für Ungeimpfte aber nicht länger zahlen. Das Gesetz sieht das auch so vor.

Wer Entschädigung bekommt, wenn er oder sie in Quarantäne muss, steht im Infektionsschutzgesetz. In Paragraf 56, Absatz 1 ist auch geregelt, wer keinen Verdienstausfall erhält: wer die Quarantäne durch eine Impfung hätte vermeiden können und wer eine vermeidbare Reise in ein Risikogebiet gemacht hat und deshalb in Quarantäne muss. Diese Regelung wurde bisher aber nicht angewendet.

Eine Umfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) unter den Bundesländern Anfang September hatte ergeben, dass seit Beginn der Corona-Pandemie deutlich mehr als eine halbe Milliarde Euro an Entschädigungen für Verdienstausfälle durch eine Quarantäne gezahlt wurden. Mehre Bundesländer, darunter Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen, hatten bereits vor der angestrebten Einigung auf eine gemeinsame Linie angekündigt, den Entschädigungsanspruch für Ungeimpfte zu streichen.



Corona

Erhöhte Covid-19-Infektionsgefahr in Reinigungs- und Sicherheitsberufen



Nürnberg (epd). Neben Berufen im Gesundheitsbereich weisen laut einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung auch Reinigungs- und Sicherheitsberufe eine erhöhte Infektionsgefahr mit dem Coronavirus auf. Grund dafür sei der regelmäßige Kontakt mit infizierten Menschen oder Oberflächen, hieß es in der Studie, die das Institut am 21. September in Nürnberg veröffentlichte. Das erhöhte Risiko für eine Ansteckung in Reinigungsberufen liege demzufolge bei 18,3 Prozent; für Berufe im Sicherheitsbereich bei 7,7 Prozent. Insgesamt wiesen weniger als ein Viertel aller Berufe eine erhöhte Ansteckungsgefahr auf.

Allgemein ist die Gefahr, sich mit dem Coronavirus zu infizieren, laut Studie in Gesundheitsberufen mit einer Rate von 35,2 Prozent am höchsten. Dabei sei das Ansteckungsrisiko mit 69 Prozent in den Bereichen der Human- und Zahnmedizin am größten.

Auch in sozialen und kulturellen Dienstleistungsberufen (5,2 Prozent) sowie Handelsberufen (2,9 Prozent) bestehe die Gefahr einer Ansteckung. Diese entstehe vor allem durch die Betreuung von Menschen oder durch Kundenkontakt. Einer sehr geringen Ansteckungsgefahr seien Beschäftigte in Bau- und Ausbauberufen, in fertigungstechnischen Berufen und in Berufen der Unternehmensführung und -organisation ausgesetzt.



Kriminalität

Aufarbeitungskommission nimmt nächste Regierung in die Pflicht




Sabine Andresen
epd-bild/Christian Ditsch

Berlin (epd). Die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs verlangt von der nächsten Bundesregierung ein Signal, dass sie ihre Arbeit über 2023 hinaus fortsetzen kann. In einem am 22. September in Berlin veröffentlichten Positionspapier appellieren die Kommissionsmitglieder an die Politik: „Enttäuschen Sie nicht das Vertrauen vieler Menschen“. Die Vorsitzende Sabine Andresen sagte, notwendig sei ein Bekenntnis der Politik, die Aufarbeitung auf Bundesebene fortführen und dafür stabile Strukturen schaffen zu wollen.

Die Laufzeit der Kommission müsse um mindestens fünf weitere Jahre verlängert und ihre Tätigkeit gesetzlich abgesichert werden. Zentral seien die Unabhängigkeit der Kommission und die Beteiligung von Betroffenen. Die Kommissionsmitglieder wünschten sich „deutlich mehr Rückendeckung“ von der Politik, sagte Andresen. Das Engagement dürfe nicht nachlassen, verlangt die Kommission in ihrem Papier, in dem sie der Politik auch bescheinigt, seit dem Runden Tisch sexueller Kindesmissbrauch 2010 einiges auf den Weg gebracht zu haben.

Die Rolle der Jugendämter

Die ehrenamtlich arbeitenden Mitglieder der Kommission sind 2016 auf der Grundlage eines Bundestags-Beschlusses vom Missbrauchsbeauftragten Johannes-Wilhelm Rörig berufen worden. Ihre Amtszeit wurde von der Bundesregierung Ende 2018 bereits einmal um fünf Jahre verlängert. Zuletzt stellte die Kommission eine Studie über das Ausmaß und die Folgen sexueller Gewalt gegen Kinder innerhalb der Familie vor. Für die nächste Zeit sind Andresen zufolge Erhebungen über Missbrauchserfahrungen im Spitzen- und Breitensport geplant sowie über den Umgang von Jugendämtern und Schulen mit Fällen sexueller Gewalt.

Zentral für die Aufarbeitung sind mündliche Anhörungen und schriftliche Berichte von Betroffenen. Bislang haben sich nach Angaben der Kommission mehr als 2.800 Menschen an das Gremium gewendet, das mit dem Slogan „Geschichten, die zählen“ die Bedeutung eines jeden einzelnen Falles betont.

Mit Blick auf die künftigen Koalitionsverhandlungen sagte Andresen, die Kommission hoffe, die Parteien für das Thema Aufarbeitung sensibilisieren zu können. In ihren Wahlprogrammen machten sie kaum Aussagen dazu. Die Frankfurter Erziehungswissenschaftlerin warnte, wenn die Politik das Interesse an dem Thema verliere, wäre dies „ein fatales Signal“ an die Betroffenen und für den Kinderschutz in Deutschland.




sozial-Branche

Senioren

Mit Smart Home das Altenheim vermeiden




Mit einem Smartphone lassen sich digitale Alltagshelfer steuern.
epd-bild/Heike Lyding
Altersgerechte digitale Assistenzsysteme versprechen, den Einzug in ein Pflegeheim hinauszuzögern. Auch Inge Leirich (72) will so lange wie möglich in ihren eigenen vier Wänden leben. Sie hofft, dass aus ihrer Wohnung bald ein "Smart Home" wird.

Waldkirchen (epd). Wenn es nach Inge Leirich ginge, wäre ihre Wohnung im bayerischen Waldkirchen schon heute ein „Smart Home“. Ihr Interesse für digitale Assistenzsysteme habe ein simpler Adapter geweckt, der ihr das Ein- und Ausstöpseln von Stromkabel-Steckern erleichtere, erzählt die 72-jährige Witwe. „Seitdem brenne ich für noch mehr Teile, die mir den Alltag sicherer und leichter machen.“

Leirich hofft, dass ihre Wohnung - neben ihrem Smartphone, Computer und Tablet - schon bald mit 15 Sensoren ausgestattet wird, die an Türen, Fenster, Herd, Waschbecken und Badewanne befestigt sind. An ihrem Arm sitzt dann hoffentlich eine Smart Watch, unter ihrer Matratze liegt eine Matte, die die Schlafqualität misst. Hinzu kommen eine digitale Waage, ein Mini-Rechner und ein Tablet, um das Smart Home zu steuern. Die Sensoren melden, wenn Wasserhähne nicht abgedreht sind, erfassen ihre Bewegungen und messen die Luftfeuchtigkeit sowie den Gehalt von Gasen aus dem Ofen und der Heizung.

Gratwanderung zwischen Sicherheit und Kontrolle

Leirich hat sich auf das Projekt „DeinHaus4.0“ beworben, für das die Technische Hochschule Deggendorf die Wohnungen von 100 über 65-Jährigen neun Monate lang mit Technik ausstatten will. 4,5 Millionen Euro Förderung gab es dafür vom Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege. Ziel der Studie sei es, mehr über die Akzeptanz von technischen Assistenzsystemen durch Senioren in ihrer eigenen Wohnung zu erfahren, sagte der Projektleiter und Professor für Digitalisierung im Gesundheitswesen, Horst Kunhardt, dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Wo empfinden die Teilnehmer die Technik als kontrollierend und wo als einen Zugewinn für die eigene Sicherheit? Das ist eine schmale Gratwanderung.“

Nach Einschätzung der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (BAGSO) ist der Großteil der Älteren aufgeschlossen gegenüber Smart-Home-Lösungen. „Das gilt vor allem dann, wenn die entsprechenden Technologien dazu beitragen, die Selbstständigkeit zu erhalten und einen Umzug ins Pflegeheim zu verhindern“, sagt Janina Stiel, die bei der BAGSO für digitale Bildungsangebote für Ältere zuständig ist. Trotzdem wohnten von den insgesamt 18,5 Millionen über 65-Jährigen in Deutschland nur wenige Tausend in einem Smart Home. Als Hemmschuh für die flächendeckende Verbreitung der Technologie sieht sie weniger die mangelnde Akzeptanz der Seniorinnen und Senioren. Vielmehr fehlten verständliche Informationen zu den Smart-Home-Systemen, einfache Bedienoberflächen sowie die Kostenübernahme durch die Kranken- und Pflegeversicherung.

Bislang müssen Privatpersonen zahlen

Die Smart-Home-Ausstattung im Projekt „DeinHaus4.0“ koste rund 1.500 Euro pro Haushalt, sagt Kunhardt. Was zwar zunächst kostengünstig klingt, sei aber ein hoher Preis dafür, dass die Senioren auch bereit sein sollen, die Technik privat anzuschaffen. Eine Studie des Fraunhofer-Instituts für Graphische Datenverarbeitung von 2016 bestätigt, dass die Bereitschaft dafür gering ist - Senioren seien eher gewillt seien, Geld für Einbruchserkennungsfunktionen zu zahlen als für Komfortfunktionen.

Absehbar ist, dass der Markt für Smart-Home-Technologien in den nächsten Jahrzehnten boomen wird: Allein bis 2040 wird die Zahl der in Deutschland lebenden Menschen ab 67 Jahren um fünf Millionen steigen, wie aus Berechnungen des Statistischen Bundesamtes hervorgeht. Die Pflege- und Krankenkassen übernehmen bislang in der Regel keine Kosten für die Anschaffung von Smart-Home-Technologie. In Einzelfällen leisten sie - wie auch die staatliche Förderbank KfW - Zuschüsse.

Wenn ihr das Smart Home gefällt, ist Inge Leirich auch bereit, für die Technik zu zahlen. „Auch ich werde älter, merke, dass Defizite kommen, und frage mich, wie mein Alltag sein wird. Ich glaube, dass Künstliche Intelligenz für mich da unumgänglich ist“, sagt sie. Ein Umzug zu ihrem Sohn ins anderthalb Stunden Autofahrt entfernte Regensburg käme nicht mehr infrage. Zu fest verankert ist die frühere Arzt- und Universitätssekretärin in Waldkirchen, sagt sie. „Ich habe meinem Sohn gesagt, ich bleibe.“

Patricia Averesch


Senioren

Hintergrund

Smart-Home-Technologie für Senioren



Frankfurt a.M. (epd). Mit dem Einsatz von Smart-Home-Technologien für Seniorinnen und Senioren sind große Hoffnungen verbunden. So soll die technische Unterstützung im Alltag selbstbestimmtes Leben so lange wie möglich aufrecht erhalten und den Einzug in eine Pflegeeinrichtung hinauszögern. Länger zu Hause leben ist das Ziel der altersgerechten digitalen Assistenzsysteme, die auch als „Ambient Assisted Living“ (AAL; Deutsch: „umgebungsunterstütztes Leben“) bekannt sind.

Damit die eigenen vier Wände zum „Smart Home“ werden, muss die Wohnung oder das Haus mit technischem Gerät ausgestattet werden. Das kann durch die Ausstattung mit Geräten und Sensoren funktionieren. Steuern können die Bewohner ihr Smart Home dann elektronisch über einen Monitor oder ein Tablet.

Fenster- und Türsensoren

Für Seniorinnen und Senioren kann ein technisch vernetztes Zuhause vielversprechend sein, weil sich die Funktionen gezielt auf ihre Bedürfnisse anpassen lassen. Mit Fenster- und Türsensoren kann zum Beispiel ermittelt werden, ob eine Balkontür offen steht oder bei einem Einbruchsversuch Alarm geschlagen wird. Bewegungsmelder für das Licht können nächtliche Stürze verhindern. Weitere Sensoren registrieren die Aktivität des Bewohners und informieren Angehörige, sollte sich dieser über einen längeren Zeitraum nicht bewegt haben. Auch lassen sich Gesundheitsdaten wie Puls, Atmung und Blutdruck messen und an die Einnahme von Medikamenten erinnern.

Trotz des großen Potenzials sind die meisten Seniorenhaushalte in Deutschland noch nicht mit Smart-Home-Technologie ausgestattet. Viele Praxisbeispiele und Prototypen sind bisher im Projektstatus verblieben. Ein Grund dafür ist, dass Menschen, die ihre Wohnung oder ihr Haus mit Technik altersgerecht ausstatten wollen, bisher so gut wie allein für die Kosten aufkommen müssen. Die Pflege- und Krankenkassen übernehmen die Leistungen in der Regel nicht. Bei der staatlichen Förderbank KfW lässt sich allerdings ein Kredit oder ein Zuschuss beantragen.

Beim Datenschutz ist Vorsicht geboten, mahnt das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). „Machen Sie sich bewusst, wie Ihr Gerät arbeitet, welche Daten Sie mit der Nutzung Ihres Geräts generieren und wo diese gespeichert werden.“ Die Datenschützer raten: „Entscheiden Sie bewusst, ob Sie auf Datensicherheit verzichten wollen, um bestimmte Funktionalitäten zu nutzen.“



Senioren

Interview

Wohnberater: Smart Homes sind für Senioren "böhmische Dörfer"




Markus Heberle
epd-bild/Philipp Guelland/LongLeif GaPa
Noch ist es ein relativ kleiner Anteil unter den alten Menschen, der sich für ein Smart Home interessiert. Dabei könnte die digitale Technik das Leben in der eigenen Wohnung bequemer und sicherer machen.

Garmisch-Partenkirchen (epd). Nach Einschätzung der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungsanpassung sind Smart-Home-Technologien für die aktuelle Generation an Seniorinnen und Senioren noch unverständlich. Markus Heberle ist Vorstandsmitglied des Zusammenschlusses der Wohnberatungsstellen in Deutschland und berät in Garmisch-Partenkirchen Senioren im Umgang mit altersgerechtem Wohnen. Für Smart-Home-Technologien, die die eigenen vier Wände digital vernetzen und so automatisch steuern lassen, interessierten sich dort nur zehn Prozent der älteren Kunden, sagt er im Interview. Mit ihm sprach Patricia Averesch.

epd sozial: Wie groß ist das Interesse der Älteren an Smart Home-Technologien, die zu Ihnen in die Wohnberatungsstelle in Garmisch-Partenkirchen kommen?

Markus Heberle: Von rund 100 Kunden über 65 Jahren sind es maximal zehn Personen, die sich dafür interessieren. Wie viele von ihnen sich die Technik dann wirklich einbauen lassen, erfahre ich nicht. Wenn ich das Thema anspreche, sagen viele, das sei ihnen zu abgefahren. Aber es gibt auch immer wieder Senioren, die finden, das ist eine gute Idee. Was ich besonders interessant finde, ist, dass auffällig viele Frauen neugierig auf das Thema sind, wissen wollen, wie die Technik funktioniert und sie auch hinterfragen.

epd: Warum ist das Interesse der älteren Generation so gering?

Heberle: Smart-Home-Technologien sind für die heutigen Senioren einfach noch böhmische Dörfer. Viele von ihnen haben noch nicht einmal Internet oder WLAN und wollen sich das deshalb auch nicht anschaffen. Es gibt eine große Hürde zu sagen, da investiere ich jetzt. Ich glaube, das wird sich erst mit der Generation 50 plus ändern, für die Technik im Allgemeinen heute schon zum Alltag gehört. Bei den heute über 75-Jährigen fehlt einfach eine prinzipielle Technikaffinität, so dass sie im Alter sagen, ich baue mir jetzt ein ganzes Smart-Home-System ein.

epd: Wer wendet sich bei den Beratungen in Garmisch-Patenkirchen mit Fragen zur Smart Home-Technologie dann an Sie?

Heberle: Das sind oft die Angehörigen der Senioren. Wir haben hier die Situation, dass Menschen, die in Garmisch-Partenkirchen früher Urlaub gemacht haben, im Rentenalter herziehen. Sie kommen dann zum Beispiel aus Norddeutschland, wo auch die Angehörigen meist noch wohnen. Sobald dann ein Partner stirbt, machen sich die erwachsenen Kinder in der Ferne große Sorgen, dass sie nicht mitbekommen, dass ein Sturz passiert ist und Bedürftigkeit besteht. Für die Angehörigen versprechen die Systeme Sicherheit: Für sie ist es beruhigend zu wissen, dass sie eine Nachricht aufs Handy bekommen, wenn etwas passiert ist, die Mutter morgens nicht aufgestanden ist oder ihre Medikamente nicht eingenommen hat. Dem Senior gibt es die Sicherheit, dass er weiß, dass das System im Notfall reagiert, die Angehörigen informiert und Hilfe einleitet.



Pflegeausbildung

Mentoren helfen Pflege-Azubis über Krisen hinweg




Pflege-Mentorin Kristina Pinther
epd-bild/Pat Christ
Probleme kommen vor, doch man darf vor Schwierigkeiten nicht gleich kapitulieren - das vermitteln Kristina Pinther und Simon Bayer jungen Menschen, die mit ihrer Ausbildung zur Pflegekraft hadern. Beide sind sogenannte Pflege-Mentoren.

München/Würzburg (epd). Kristina Pinther ist Pflegerin, Simon Bayer leitete ein diakonisches Pflegeheim. Seit einem Jahr engagieren sich beide in dem damals neu gestarteten Mentoren-Angebot für Pflegeschüler des Bayerischen Landesamts für Pflege. Eine Ausbildung in der Pflege ist nämlich nicht nur anstrengend, sondern mitunter richtig frustrierend: Pflege-Azubis können das, was sie in der Schule lernen, in der Praxis oft nicht anwenden. Meist, weil Zeit fehlt.

Fast jeder dritte Pflege-Azubi bricht ab

Dieser „Theorie-Praxis-Gap“ wurde inzwischen mehrmals von den bislang 30 beratenen Azubis angesprochen, sagt Bayer. Eine Auszubildende etwa hatte in der Schule gelernt, dass man alte Menschen am besten mit einem Lifter lagert. Das wollte sie auch an ihrer Ausbildungsstelle tun. Doch es war keine Zeit, den Lifter zu holen. Für die junge Frau stellte dies ein Problem dar. Wie sollte sie lernen, den Lifter richtig zu nutzen, wenn sie ihn mangels Zeit im Alltag nicht einsetzen kann?

In keiner Ausbildung läuft immer alles wie geplant. Meist stellt sich bereits im ersten Lehrjahr heraus, dass der vermeintliche Traumjob ganz anders ist, als man sich das vorgestellt hat. Fast jeder vierte Azubi bricht seine Lehre ab. In der Pflege waren es laut Bayerischen Pflegeministerium 2019 knapp 30 Prozent. Außerdem stieg die Zahl der Abbrüche in der Pflege in den letzten zehn Jahren laut Pinther deutlich an.

Das hat mehrere Gründe. Als Pflegekraft sei man immerzu mit Krankheit, Leid, Sterben und Tod konfrontiert. Wobei es auch viel weniger dramatische Probleme gibt, die Jugendliche schwer belasten können. „Mein längstes Beratungsgespräch hatte ich mit jemandem, der große Schwierigkeiten mit seinen Klassenkameraden hatte“, schildert Bayer. Drei Stunden. Doch häufig hilft den Azubis schon ein kleiner Tipp. Viele Telefonate dauern deshalb nicht länger als eine Viertelstunde.

Zweifelhaftes Pflege-Image

Läuft zu viel schief, ist irgendwann das Maß voll. Dann hängt die Ausbildung am seidenen Faden. Noch mussten die Pflege-Mentoren keine jungen Leute beraten, bei denen die Lehre ernsthaft auf der Kippe stand. Dies liegt sicher auch daran, dass das Angebot auch ein Jahr nach dem Start aufgrund der Corona-Krise in Bayern noch kaum bekannt ist. Die inzwischen sechs Pflege-Mentoren können nicht vor Ort für sich werben. Statt nur zu beraten, entwickeln sie momentan aktuell Workshops.

Pinther sagt, es sei nicht gut, wenn in der Öffentlichkeit ausschließlich auf die Probleme in der Pflege hingewiesen wird. Natürlich dürfe man die nicht vertuschen, sagt die 33-Jährige. Doch wenn nur die Schattenseiten dargestellt werden, habe natürlich niemand mehr Lust, in die Pflege einzusteigen. Dabei, so ihr Kollege Bayer, ist der Pflegeberuf sehr erfüllend. Auch Heim- und Klinikleiter bestätigen, dass der Mangel an Azubis nicht zuletzt am nicht optimalen Pflege-Image liegt.

Das negative Image bestätige sich für viele allerdings meist rasch nach dem Einstieg in den Beruf. „Die Kluft zwischen Theorie und Praxis ist zu hoch“, sagt Michael Bauch, Betriebsratsvorsitzender des Klinikums Würzburg-Mitte. Wegen Personalmangels hätten Pflegende zudem oft das Gefühl, dass das, was sie tun, nie genüge. Auch dies kann die Freude an der Ausbildung trüben. Der Staat müsse für eine bessere Personalausstattung sorgen, um den Nachwuchs-Mangel zu beheben.

Bewunderung und Mitleid

Das gilt für die Pflege in der Klinik ebenso wie für die Pflege in den Einrichtungen der Seniorenhilfe. Dass die Abbrecherquote in diesem Bereich besonders hoch ist, bestätigt Ulrike Hahn, die bei der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Unterfranken für den Bereich „Senioren“ verantwortlich ist. 15 Pflegeeinrichtungen betreibt der Sozialverband in der Region. Rund 50 junge Leute beginnen hier pro Jahr ihre Ausbildung: „Meist bleiben am Ende nur um die 30 übrig“, erläutert Ulrike Hahn.

Wer sich irgendwo auf einer Party als Pflegekraft oute, ernte oft Bewunderung. Noch öfter allerdings Mitleid: „Warum tust du dir das an?!“ Auch das motiviere nicht und könne den letzten Ausschlag zum Abbruch der Lehre geben. Nicht selten flüchten die Teenager bereits in der Probezeit aus der Lehre, sagt Helena Armbrecht von der Diakonie Bayern. Schon in den ersten Wochen werde die beträchtliche Kluft zwischen der schönen Vorstellung vom Traumjob und der harten Realität oft spürbar.

Auch sehr gewissenhafte Teenager, die das Für und Wider einer Pflegeausbildung vorab sorgfältig abgewogen haben, sind höchst überrascht von dem, was sie in der Praxis erleben. Fast alle leiden darunter, das sie nie genug Zeit für das haben, was die Schule als „Gute Pflege“ vermittelt hat.

Pat Christ


Pflege

Bündnis fordert raschen Pflegegipfel




Infusionswechsel bei einer Patientin
epd-bild/Heike Lyding
Ein Bündnis aus Wohlfahrtsverbänden, Gewerkschaften und Wissenschaftlern hat einen raschen Pflegegipfel nach der Bundestagswahl gefordert. Die Probleme in der Pflege drängten und seien noch immer ungelöst, sagte DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel.

Frankfurt a.M. (epd). Wohlfahrtsverbände, Gewerkschaften und Wissenschaftler fordern von einer neuen Bundesregierung, umgehend einen Pflegegipfel zu organisieren. Auf dem Treffen müssten vor allem drei Anliegen angegangen werden: Unterstützung der häuslichen Pflege, Neupositionierung der professionellen Pflege sowie eine faire Verteilung der finanziellen Belastung, heißt es in dem Schreiben, das dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegt. Die Initiatoren des Briefes, darunter Diakonie, Caritas, AWO, DGB, ver.di und die Krankenkasse DAK, verlangen ein „politisches Signal des Aufbruchs in der Pflegepolitik“.

DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel sagte am 20. September, „egal wer demnächst in welcher Konstellation die neue Regierung bildet, sofort nach der Konstituierung des 20. Deutschen Bundestages muss ein Pflegegipfel einberufen werden“. Das im Juni verabschiedete Gesetzespaket von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sei lediglich ein „Pflegereförmchen“, so Piel. „Die drängendsten Probleme der Pflegekräfte, der Pflegebedürftigen, ihrer Angehörigen und des gesamten Systems sind weiterhin ungelöst.“ Die Beschäftigten warteten noch immer auf bessere Löhne und Arbeitsbedingungen, die tariflich so gestaltet sein müssten, dass nicht jede fünfte Pflegekraft überlege, den Beruf zu wechseln.

„Eigenanteile steigen nahezu ungebremst“

Die AWO betonte, dass die Situation in der Pflege in Deutschland seit Jahren „hochproblematisch“ sei. „Die Eigenanteile der Bewohnerinnen und Bewohner für stationäre Pflege steigen nahezu ungebremst“, sagte Brigitte Döcker, Mitglied des AWO-Bundesvorstandes. Kosten für Innovationen, die eigentlich die Bundesländer zahlen müssten, sowie Kosten für die Behandlungspflege, die statt der Pflegeversicherung die Krankenkassen übernehmen müsse, spielten dabei eine erhebliche Rolle. Die Bundesregierung habe es nicht geschafft, „ganz grundsätzliche Refinanzierungsfragen“ zu lösen, sagte Döcker.

Die Diakonie-Vorständin Maria Loheide sagte der „Augsburger Allgemeinen“, die schwarz-rote Regierung sei zwar nicht komplett untätig gewesen, „eine kleine Reparatur hier und ein bisschen Kosmetik dort haben aber längst nicht ausgereicht, die Brisanz aus dem Thema Pflege zu nehmen“. Die Personalsituation sei immer noch heftig angespannt. „Der Druck auf die Beschäftigten ist enorm groß“, sagte sie.

Der Grund dafür sei die ständige Unterbesetzung. Stress und körperliche Belastung seien riesengroß, hinzu komme fehlende Planbarkeit, erklärte Loheide. So beginne ein Teufelskreis: Der Druck führe dazu, dass die Mitarbeitenden aus dem Beruf fliehen, was den Personalmangel weiter verschärfe.

Spürbare Verbesserungen im Pflegealltag

Auch der Vorstandschef der Krankenkasse DAK, Andreas Storm, kritisierte die jüngste Pflegereform als unzureichend. Sie reiche nicht aus, um Pflegebedürftige und ihre Angehörigen vor einer finanziellen Überbelastung zu schützen, sagte er. Die in der Reform vorgesehenen neuen Leistungszuschläge entlasteten nur kurzfristig, begrenzten aber nicht den weiteren Anstieg der Eigenanteile.

Die im Juli beschlossene Pflegereform sieht vor, dass die Eigenanteile der Heimbewohner für die reinen Pflegekosten durch einen Zuschuss der Pflegeversicherung gesenkt werden. Gleichzeitig wurde aber auch ein besserer Personalschlüssel bei den Pflegekräften und die Zahlung von Tariflöhnen vereinbart, wodurch die Kosten für die Heimbewohner wieder steigen.

Das Sozialbündnis hat das Schreiben, das sie am 17. September versendet hatte, jeweils an die Kanzlerkandidaten von Union und SPD sowie an die Kanzlerkandidatin der Grünen geschickt. Sie fordern darin Maßnahmen, die „kurzfristig spürbare Verbesserungen im Pflegealltag bewirken und die die Weichen für die mittelfristig notwendigen Reformschritte stellen“.

Patricia Averesch


Armut

Wenn das Geld nicht fürs Hundefutter reicht




Ausgabe der Tiertafel in Hamburg
epd-bild/Philipp Reiss
Alle zwei Wochen gibt die Hamburger Tiertafel Futter- und Sachspenden aus und organisiert Hilfen für die Tiere von Bedürftigen. Durch die Corona-Pandemie ist die Nachfrage stark gestiegen.

Hamburg (epd). Zwei Meerschweinchen, zwei Katzen und ein Hund - die futtern so einiges. Wenn dann plötzlich der Job weg ist, kann der Kauf des Tierfutters zum Problem werden. Wer in Hamburg nicht genug Geld zur Versorgung seiner Haustiere hat, wird von der örtlichen Tiertafel unterstützt. Jeden zweiten Mittwoch baut Leiterin Kara Schott (38) gemeinsam mit einem Team aus Ehrenamtlichen ein Spendenbuffet vor dem Büro des Vereins in Hamburg-Bramfeld auf.

Hundeshampoo und Flohpuder

Auf vier Tapeziertischen stapeln sich Paletten von Dosenfleisch, es gibt säckeweise Trockenfutter und Waschwannen voll Leckerli-Tüten, Hundeshampoo und Flohpuder. Katzenstreu und Decken liegen vor den Tischen, und auf einem Ständer hängen Halsbänder und Leinen.

„Moin, ich brauch was für meine Piper“, sagt Gerd. Die Bedürftigkeit muss von jedem Tierhalter nachgewiesen werden. Stammkunden bekommen einen Ausweis, der vorab gescannt wird. Insgesamt versorgt die Hamburger Tiertafel derzeit rund 1.000 Tiere von 800 Kunden - die meisten haben Hunde oder Katzen, aber auch Meerschweinchen, Hasen oder Vögel.

„Durch die Corona-Pandemie hat sich die Nachfrage deutlich verstärkt: Seit März 2020 haben wir 350 Tiere mehr“, sagt Schott. Doch es gehe nicht nur um die Sachspenden, sondern auch um den Kontakt zwischen Haltern und Helfern. Man dürfe hier auch Spaß haben, sagt Schott. Nicht jeder mag zugeben, dass er auf Futterspenden angewiesen ist. „Ich bin nur vertretungsweise hier“, sagt eine Kundin in der Schlange und hebt abwehrend die Hände.

Getreidefreie Kost für Lady

„Ich steh dazu“, sagt hingegen Edith. Wenn es die Tiertafel nicht gäbe, müsste sie ihren Schäferhund Lady weggeben. „Das kommt für mich nicht in Frage!“ Das alte Tier hat Allergien und benötigt spezielles Futter. Seit vier Jahren kommt sie zur Futterausgabe und bekommt getreidefreie Kost für Lady.

„Viele können ja nichts dafür, dass sie in Not geraten sind, haben einfach einen Schicksalsschlag erlebt“, sagt Helferin Lotte (23). „Vor allem die Tiere können nichts dafür.“ Lotte kam vor 13 Jahren über ein Schülerprojekt zur Tiertafel Hamburg und blieb dabei. Für die Ausgabetage nimmt sie extra Urlaub.

Der Hamburger Ableger der Tiertafel wurde vor 16 Jahren gegründet. Abholen von Spenden, Ein- und Ausladen, Sortieren, Pflege der Datenbank, Öffentlichkeitsarbeit und Akquise - Leiterin Schott ist fast täglich in irgendeiner Form im Einsatz. Sie macht das ehrenamtlich - so wie alle anderen Helfer auch. Etwa zehn gehören fest zum Team.

Alle zwei Wochen ist auch ein Tierarzt dabei und behandelt Tiere kostenlos. Das Rettungsfahrzeug der Tierrettung übernimmt kleinere Leistungen wie Krallen schneiden, kämmen und Ohren säubern. Auch ein Tierheilpraktiker und Physiotherapeut sind regelmäßig am Ausgabe-Mittwoch vor Ort.

Die Spenden kommen vor allem von Firmen, die das Team unermüdlich anfragt. Aber auch Privatpersonen bringen Futtersäcke, wenn der eigene Hund die Sorte nicht mehr mag, oder überschüssige Decken und Näpfe vorbei. Am Ausgabetag kommt regelmäßig jemand und reicht eine Tasche über den Tapeziertisch: „Hier, für euch.“

Julia Reiß


Verbände

Paritätischer: Soziale Spaltung nimmt nicht ab




Antrag auf Arbeitslosengeld II
epd-bild/Andrea Enderlein
Die sozialen Folgen der Pandemie habe die Bundesregierung erfolgreich abgemildert, doch die Spaltung der Gesellschaft setze sich fort, kritisiert der Paritätische Wohlfahrtsverband: Die Armut gehe nicht zurück.

Berlin (epd). Fünf Tage vor der Bundestagswahl hat der Paritätische Wohlfahrtsverband eine ernüchternde sozialpolitische Bilanz der schwarz-roten Regierungszeit gezogen. Der Bundesvorsitzende Rolf Rosenbrock, sagte am 21. September bei der Online-Vorstellung des Paritätischen Jahresgutachtens: „Diese Bundesregierung ist vielfach weit davon entfernt gewesen, auch nur die selbst gesetzten Ziele einzulösen.“ Sie habe in den vier Jahren ihrer Regierungszeit fast nichts gegen die soziale Spaltung der Gesellschaft unternommen. Positiv bewertete Rosenbrock hingegen schnelle und weitreichende Entscheidungen in der Pandemie, insbesondere die Ausweitung der Kurzarbeit.

„Alarmierende Befunde“

Rosenbrock zufolge sieht sein Verband eine „Fülle von alarmierenden Befunden und sozialpolitischen Defiziten“, die überwunden werden müssten, wenn der soziale Zusammenhalt gestärkt werden solle. Die Armut geht dem Gutachten zufolge nicht zurück. Von 2011 bis 2019 ist der Anteil der von Einkommensarmut betroffenen Menschen von 15 auf 15,9 Prozent gestiegen. Auch werde Altersarmut zu einem wachsenden Problem, sagte Rosenbrock. Erstmals seien mit 20,7 Prozent mehr als ein Fünftel der Rentnerinnen und Rentner betroffen. „Armut im Alter bedeutet Armut lebenslänglich. Damit dürfen wir uns nicht abfinden“, betonte Rosenbrock.

Zwar habe Deutschland bei der Armutsbekämpfung sein Ziel erreicht, den Anteil der materiell erheblich benachteiligten Menschen unter dem Durchschnitt der EU-Staaten zu halten. „Dieser 'Erfolg' lässt sich jedoch nur verbuchen, weil die Bundesregierung das Ziel entsprechend niedrig gesteckt hat“, bilanzierte Rosenbrock. Weitere sozialpolitische Ziele, die die Regierung nicht erreicht oder zu niedrig gesteckt habe, seien die Reduzierung der Lohnlücke zwischen Männern und Frauen sowie der ungleichen Einkommensverteilung und die Verringerung der Wohnkosten für in Armut lebende Menschen.

Verdienstabstand von 18 Prozent

So sinkt zwar der generelle Verdienstabstand zwischen Frauen und Männern langsam, liegt aber immer noch bei 18 Prozent. Im direkten Vergleich erhalten Frauen sechs Prozent weniger Lohn für ihre Tätigkeit im gleichen oder vergleichbaren Job wie Männer. Die Ungleichverteilung der Einkommen ist dem Gutachten zufolge in den vergangenen zehn Jahren in etwa konstant geblieben. Sechs Millionen Menschen arbeiten in Billiglohn-Jobs. Die Vermögensungleichheit ist laut Paritätischen bisher unterschätzt worden. Das Gutachten verweist auf neuere Daten, wonach das obere Zehntel der Bevölkerung 64 Prozent der Vermögen in Deutschland besitzt.

Als schwerwiegendes Problem macht der siebte Jahresbericht des Paritätischen zudem die hohe Belastung armer Haushalte durch die Mieten aus: Fast die Hälfte (48 Prozent) sind durch die Wohnkosten überlastet, weil sie mehr als 40 Prozent ihres Einkommens dafür aufbringen müssten. Knapp 18 Prozent der Haushalte müssen mit überbelegten Wohnungen zurechtkommen.

Lob hingegen gibt es vom Paritätischen Verband für die Corona-Politik. Das Kurzarbeitergeld sei schnell ausgeweitet und bei längerem Bezug erhöht worden, sagte Rosenbrock. Auch lobte er, dass ein Teil der Hartz IV-Vorschriften vorübergehend ausgesetzt wurden. „Das hat dazu beigetragen, die sozialen Folgen der Pandemie zumindest abzumildern“, hob Rosenbrock hervor.

Er kritisierte aber eine Gleichgültigkeit der Politik gegenüber den Nöten der Grundsicherungs-Empfänger. Trotz gestiegener Lebensmittelkosten und weggebrochener Unterstützungsangebote wie kostenlosem Schulessen und Lebensmittelausgaben der Tafeln habe es, abgesehen von punktuellen Einmalzahlungen, keine Leistung gegeben, die auf ihren Bedarf zugeschnitten gewesen sei.

Bettina Markmeyer, Patricia Averesch


Pflege

Berufsverband fordert Angleichung der Gehälter



Berlin (epd). Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe fordert eine Angleichung der Gehälter für das Personal in der Kranken- und für das in der Altenpflege. „Die Unterschiede müssen dringend behoben werden. Sowohl die Qualifikation als auch die Verantwortung und Belastung in den unterschiedlichen Bereichen sind gleichermaßen hoch“, sagte Verbandspräsidentin Christel Bienstein dem Evangelischen Pressedienst (epd) am 21. September in Berlin. Nach Zahlen der Bundesagentur für Arbeit, die dem epd vorliegen, lagen die Bruttogehälter von Fachkräften der Altenpflege im Jahr 2020 im Bundesdurchschnitt um 462 Euro unter denen ihrer Kolleginnen und Kollegen der Krankenpflege. Bei Pflegehelferinnen und Pflegehelfern ist der Gehaltsunterschied von 511 Euro noch größer.

Den Zahlen der Bundesagentur für Arbeit zufolge verdienten Altenpflegerinnen und Altenpfleger Ende 2020 im Bundesdurchschnitt monatlich 3.176 Euro brutto. Ihre Kolleginnen und Kollegen in der Krankenpflege verdienten Ende 2020 pro Monat 3.638 Euro brutto. Bei Pflegehelferinnen und -helfern in der Altenpflege lag das Gehalt 2020 bei 2.241 Euro brutto, während in der Krankenpflege 2.752 Euro gezahlt wurden.

Dem Personalmangel etwas entgegensetzen

Die Gehälter sollten nicht nur angeglichen werden, sondern außerdem nach Flächentarif gezahlt werden, fordert der Berufsverband. „Pflegefachpersonen müssen faire und konkurrenzfähige Gehälter bekommen, wenn wir dem Pflegepersonalmangel etwas entgegensetzen wollen“, erklärte Bienstein. Nach Meinung des Verbandes ist ein Einstiegsgrundgehalt von 4.000 Euro brutto im Monat für beide Berufsgruppen angemessen.

Im Vergleich zu ihren Kolleginnen und Kollegen aus der Krankenpflege verdienen Altenpflegerinnen und Altenpfleger in Sachsen-Anhalt am wenigsten. Hier liegt die Differenz zwischen den Gehältern bei 679 Euro. Am geringsten ist der Unterschied der Fachkräfte-Gehälter mit einem Unterschied von 252 Euro deutschlandweit in Hamburg. Für Helferinnen und Helfern differieren die Gehälter in Rheinland-Pfalz besonders stark: Hier liegt der Gehaltsunterschied bei 759 Euro. In Mecklenburg-Vorpommern hingegen verdienen sie hingegen nur 136 Euro weniger als ihre Kollegen und Kolleginnen.

Nach einer Gesetzesreform sollen ab September 2022 nur noch jene Pflegeeinrichtungen Leistungen mit den gesetzlichen Pflegekassen abrechnen können, die ihre Pflegekräfte nach Tarif, nach dem kirchlichen Arbeitsrecht oder mindestens in gleicher Höhe bezahlen. Von den rund 1,2 Millionen Pflegekräften wird derzeit nur etwa die Hälfte tariflich entlohnt.



Umfrage

Unzufriedenheit in der Branche: Kitaverband fordert Verbesserung



Stuttgart (epd). Die unzureichende Finanzierung sowie der herrschende Fachkräftemangel stellen Kindertagesstätten dem Deutschen Kitaverband zufolge vor große Herausforderungen. Das zeigen Ergebnisse einer Online-Befragung des Bundesverbandes, der am 22. September in Stuttgart veröffentlicht wurde. „Die Politik muss den Mut haben, verkrustete Strukturen und Regelungen anzugehen“, sagte die Bundesvorsitzende des Verbandes, Waltraud Weegmann. Aufgabe der neuen Bundesregierung sei es, Verbesserungen im Bereich Personal, Finanzierung und Qualitätsentwicklung zu realisieren.

Die Ergebnisse der Umfrage zeigten eine Unzufriedenheit in der Branche. „Wir brauchen Ideen, Innovationen und den Willen für Reformen“, forderte Weegmann. Zur Bekämpfung des Fachkräftemangels sei nach Angaben von 68 Prozent der Befragten eine bessere Bezahlung von Fachkräften die geeignetste Maßnahme. 60 Prozent sehen eine bundesweite Einführung der praxisintegrierten Ausbildung ebenfalls als sinnvoll an. Auch die Gewinnung von Männern für den Beruf des Erziehers sei nach Meinung von 44 Prozent eine Möglichkeit, um mehr Personal zu generieren.

Die finanzielle Gesamtlage von Kita-Trägern schätzen 51 Prozent der Befragten als eher schlecht, schlecht oder sehr schlecht ein, wie es weiter hieß. Um nachhaltige Verbesserung erzielen zu können, muss sich der Bund dem Bundesverband zufolge dauerhaft bei der Finanzierung von Kindertagesstätten beteiligen.

Die Online-Befragung fand zwischen Ende August und Anfang September statt. Insgesamt nahmen 433 Geschäftsführerende und Führungskräfte von Kitaträgern sowie Leitungen von Kitas, Mitarbeitenden verschiedener Fachverbände, Parteien, Interessensgruppen, Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen im Bereich der frühkindlichen Bildung teil.



Corona

Sozialbank untersucht wirtschaftliche Belastung während der Pandemie



Köln (epd). Gemeinsam mit der Universität Köln und Wohlfahrtsverbänden untersucht die Bank für Sozialwirtschaft die wirtschaftliche Belastung des Sozial- und Gesundheitswesens während der Corona-Pandemie. Die geplante Online-Befragung ist Teil einer bundesweiten Längsschnittstudie, wie die Sozialbank am 20. September in Köln mitteilte. Sie solle zeigen, inwiefern einzelne Branchen betroffen sind und wo weiterhin Förderung benötigt wird. „Durch diese Differenzierung möchten wir die Unterstützungsbedarfe noch konkreter aufzeigen als bei den bisherigen Umfragen“, sagte Harald Schmitz, Vorsitzender des Vorstandes der Bank für Sozialwirtschaft.

Nach Angaben der Bank ergaben die bisherigen Umfragen, dass die Corona-Pandemie erhebliche negative wirtschaftliche Auswirkungen auf das Sozial- und Gesundheitswesen hat. Trotz Schutzschirmen und Hilfsprogrammen für Unternehmen sei es zu gravierenden Ertragsausfällen gekommen. Zudem sahen viele Befragte die Rettungspakete als unzureichend an. Mehr als die Hälfte der Teilnehmenden an den drei vorangegangenen Befragungen erwarten laut Sozialbank finanzielle Verluste.

An den Befragungen nahmen bislang bis zu 1.800 Personen des Sozial- und Gesundheitswesens teil. Bisher wurden zwei bundesweite Erhebungen für die gesamte Sozial- und Gesundheitswirtschaft und eine dritte Umfrage insbesondere bei Einrichtungen der Senioren- und Langzeitpflege durchgeführt. Die geplante vierte Befragung soll zwischen dem 20. September und dem 18. Oktober stattfinden und richtet sich an Geschäftsführer und Geschäftsführerinnen sowie Vorstände von Trägern und Einrichtungen aus allen Leistungsfeldern des Sozial- und Gesundheitswesens.




sozial-Recht

Landesarbeitsgericht

WhatsApp-Chat mit Ausländerhetze kann Jobverlust begründen




Eine Jugendliche tauscht sich per WhatsApp aus.
epd-bild/Thomas Lohnes
Eine in einem privaten WhatsApp-Chat getätigte ausländerfeindliche Äußerung begründet zwar meist keine Kündigung, das Arbeitsverhältnis kann aber dennoch aufgelöst werden. Ein entsprechendes Urteil fällte das Landesarbeitsgericht Berlin im Fall eines Angestellten eines Flüchtlingsheims.

Berlin (epd). Ein leitender Angestellter eines gemeinnützigen Flüchtlingsheimbetreibers kann nach einer privat geäußerten Ausländerhetze in einem WhatsApp-Chat seinen Job verlieren. Zwar steht die private Kommunikation unter dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und kann auch bei menschenverachtenden Äußerungen in der Regel noch keine wirksame Kündigung begründen, entschied das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg in einem am 17. September bekanntgegebenen Urteil. Werde der Chat jedoch in der Presse publik, könne trotz der unwirksamen Kündigung auch gerichtlich das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung aufgelöst werden, urteilten die Berliner Richter.

Hetze gegen Ausländer und Flüchtlingshelfer

Konkret ging es um einen privaten Ausländerhetze-Chat auf WhatsApp. Der Kläger war als technischer Leiter bei einem gemeinnützigen Verein aus dem brandenburgischen Bad Belzig angestellt. Der Verein betreibt unter anderem Flüchtlingsheime. Mitglieder des überwiegend ehrenamtlich unterstützten Vereins sind ein Landkreis, verschiedene Städte und Gemeinden sowie andere Vereine. In dem Chat wurden Flüchtlinge als „menschliche Kakerlaken“, „Parasiten“ und „Schmarotzer“ bezeichnet. Auch über die Helferinnen und Helfer in dem Heim wurde sich herabwürdigend geäußert.

Als ein Chat-Teilnehmer die Presse auf die menschenverachtenden Aussagen aufmerksam machte und diese darüber berichtete, kündigte der Verein dem technischen Leiter. Der erhob Kündigungsschutzklage und verwies darauf, dass der WhatsApp vertraulich gewesen sei. Sein allgemeines Persönlichkeitsrecht und seine Meinungsfreiheit würden mit der Kündigung missachtet.

Das LAG urteilte, dass die ausgesprochene Kündigung wegen der herabwürdigenden Äußerungen über Geflüchtete und in der Flüchtlingshilfe tätige Menschen tatsächlich unwirksam sei. Allerdings löste das Gericht selbst das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung auf.

Glaubwürdigkeitsproblem des Arbeitgebers

Nach dem Gerichtsurteil fällt die vertrauliche Kommunikation unter den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Der Kläger habe in sehr kleinem Kreis mit privaten Handys sich im WhatsApp-Chat ausgetauscht, ohne dass dies erkennbar auf eine Weitergabe an Dritte ausgelegt war. Eine fehlende Eignung für die Tätigkeit als technischer Leiter allein auf Grundlage des Chats könne nicht festgestellt werden. Auch besondere Loyalitätspflichten bestünden nicht, da der Kläger keine „unmittelbaren Betreuungsaufgaben“ wahrnehme.

Dennoch sei dem Verein trotz der unwirksamen Kündigung die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten. Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses sei gegen eine Zahlung einer Abfindung begründet. Da die menschenverachtenden Äußerungen in der Presse bekannt wurden, könne der Verein bei Weiterbeschäftigung des technischen Leiters nicht mehr glaubwürdig gegenüber geflüchteten Menschen auftreten. Ihm drohten zudem Beeinträchtigungen „bei der Gewinnung ehrenamtlicher Unterstützung und hauptamtlichen Personals“. Die Berliner Richter ließen wegen grundsätzlicher Bedeutung die Revision zum Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt zu.

Dass auch eine Beleidigung über eine private SMS-Kommunikation keine Kündigung begründen kann, hatte das LAG Mainz bereits am 22. Januar 2015 im Fall eines Herzchirurgen entschieden. Dieser hatte an einen anderen Beschäftigten geschrieben, dass sein Chef ein „autistisches krankes Arschl...“ sei. Die Kollegin informierte daraufhin den so gescholtenen Chefarzt. Es folgte die Kündigung, die Autorität des Chefarztes sei „massiv untergraben“ worden.

„Sexuell motiviertes Verhalten“

Doch die vertrauliche SMS-Kommunikation habe unter dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gestanden, urteilte das LAG. Arbeitnehmer dürften regelmäßig darauf vertrauen, dass ihre Äußerungen nicht nach außen getragen „und der Betriebsfrieden beziehungsweise das Vertrauensverhältnis nicht zerstört“ werde. Hebe der Gesprächspartner die Vertraulichkeit später auf, „geht dies rechtlich nicht zulasten des Arbeitnehmers“, urteilten die Mainzer Richter.

Anders sieht dies jedoch aus, wenn ein Erzieher sich mit einer Schülerin über einen längeren Zeitraum per WhatsApp sexuell anzüglich über ihre knappe Bekleidung austauscht. Dies begründet regelmäßig die fristlose Kündigung, entschied das LAG Mainz in einem weiteren Urteil vom 12. Mai 2017. Denn Lehrkräfte müssten jeglichen Anschein „sexuell motivierten Verhaltens“ gegenüber den anvertrauten Kindern vermeiden.

Hier hatte ein Heimerzieher eines Gymnasiums mit einer 16-jährige Schülerin Nachrichten und Fotos über WhatsApp ausgetauscht. Dabei fragte er zur Bekleidung, ob sie ein „Lederoutfit“ „mit was drunter“ trage. String, Strapse und Strümpfe solle sie mal ausprobieren. Damit habe der Erzieher das Obhuts- und Abhängigkeitsverhältnis gegenüber der Schülerin ausgenutzt, rügte das LAG.

Az.: 21 Sa 1291/20 (LAG Berlin)

Az.: 3 Sa 571/14 (LAG Mainz, Klinikarzt)

Az.: 1 Sa 521/16 (LAG Mainz, Erzieher)

Frank Leth


Bundesarbeitsgericht

Altersklausel bei betrieblicher Altersversorgung bestätigt



Erfurt (epd). Beschäftigte über 55 Jahren dürfen bei einem neuen Job von der betrieblichen Altersversorgung ausgeschlossen werden. Solch eine Altersklausel in einer Versorgungsordnung stellt weder eine unzulässige Altersdiskriminierung noch eine unzulässige, mittelbare Benachteiligung von Frauen dar, urteilte am 21. September das Bundesarbeitsgericht (BAG) zur betrieblichen Altersversorgung für Beschäftigte bei der Gewerkschaft ver.di.

Die Klägerin ist bei ver.di seit dem 18. Juli 2016 als Mitarbeiterin im Sekretariat tätig. Nur knapp einen Monat vor Beginn ihres Arbeitsverhältnisses ist sie 55 Jahre alt geworden. Als sie realisierte, dass sie nach der Versorgungsordnung ab diesem Alter von der betrieblichen Altersversorgung ausgeschlossen ist, zog sie vor Gericht. Die Altersklausel stelle eine Altersdiskriminierung und eine mittelbare Diskriminierung von Frauen dar. Da Frauen im Durchschnitt deutlich weniger Versicherungsjahre erbrächten als Männer, seien sie von der Altersklausel besonders betroffen.

Kalkulierbare Altersversorgung

Doch das BAG wies die Klägerin ab. Eine unzulässige Altersdiskriminierung bestehe nicht. Die vorgesehene Altersgrenze, bis wann die betriebliche Altersversorgung beansprucht werden könne, sei angemessen, erforderlich und stelle ein legitimes Ziel dar. So handele es sich um eine freiwillige Leistung des Arbeitgebers. Er dürfe diese so gestallten, dass die betriebliche Altersversorgung für ihn kalkulierbar bleibt.

Eine unzulässige Benachteiligung von Frauen sah das BAG ebenfalls nicht. Zwar seien die durchschnittlichen Versicherungsjahre von Frauen und Männer unterschiedlich lang. Der Unterschied sei aber nicht so groß, „dass Frauen durch die Auswirkungen der Altersgrenze unangemessen benachteiligt sind“, entschieden die Erfurter Richter.

Az.: 3 AZR 147/21



Bundesfinanzhof

Finanzamt muss bei zweckgebundenen Spenden großzügiger sein



München (epd). Das Finanzamt muss laut Gericht bei der Anerkennung von Spenden an gemeinnützige Organisationen großzügiger sein. Ein steuerlicher Spendenabzug ist nach einem am 16. September veröffentlichten Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) auch dann möglich, wenn die Spende einer ganz konkreten Zweckbindung unterliegt, etwa für ein einzelnes Tier oder auch für eine einzelne Person. Allerdings dürfe die Spende kein verdeckter Unterhalt für eine Person sein, erklärten die Münchener Richter.

Im konkreten Fall ging es um einen „Problem“-Hund in einem Tierheim. Der Vierbeiner war aufgrund von Beißvorfällen nicht vermittelbar. Die Klägerin hatte das Tier regelmäßig ausgeführt, konnte sich aus beruflichen Gründen aber sonst nicht weiter um den Hund kümmern. Damit der Hund ein würdiges Zuhause findet, hatte die Frau dem Tierheim 5.000 Euro gespendet. Die Spende war mit dem Zweck verbunden, dass der Hund in einer gewerblichen Tierpension untergebracht wird. Das Finanzamt erkannte die vom Tierschutzverein ausgestellte Spendenbescheinigung nicht an.

Kein verdeckter Unterhalt

Das Finanzgericht Köln hatte dem noch zugestimmt. Auch bei zweckgebundenen Spenden an gemeinnützige Organisationen müssten diese selbst über das Geld verfügen können, erklärte das Gericht. Die zweckgebundene Spende sei mit einer steuerlich nicht zu berücksichtigenden Unterhaltszahlung vergleichbar.

Der BFH hob dieses Urteil auf und verwies das Verfahren zurück. Auch bei solch einer konkreten Zweckbindung sei ein Spendenabzug möglich, hieß es. Zwar dürfe eine Spende für ein konkret benanntes Tier oder auch eine konkret benannte Person kein verdeckter Unterhalt sein. Davon sei bei der Klägerin aber nicht auszugehen, da der Hund ihr nicht gehöre.

Voraussetzung für die Spendenanerkennung sei, dass „sich die Zweckbindung im Rahmen der vom Tierschutzverein steuerbegünstigten Zwecke halte“, hieß es in dem Urteil. Ob die Unterbringung in der gewerblichen Tierpension der Förderung des Tierwohls diene, müsse das Finanzgericht aber noch einmal prüfen.

Az.: X R 37/19



Bundesgerichtshof

Bei Dauerstreit kann Vertrag "Haus gegen Pflege" gekündigt werden



Karlsruhe (epd). Ein zwischen Angehörigen geschlossener „Haus-gegen-Pflege“-Vertrag kann bei einem tiefgreifenden Zerwürfnis auch wieder rückgängig gemacht werden. Denn liegt nach der Übertragung des Hauses auf einen Angehörigen keine „dauerhafte, von gegenseitigem Vertrauen der Parteien getragene Beziehung“ mehr vor, führt dies zu einem Wegfall der Geschäftsgrundlage und zu einem Anspruch auf Rückübertragung der Immobilie, entschied der Bundesgerichtshof (BGH) in einem am 22. September veröffentlichten Urteil. Wenn jedoch dem Pflegebedürftigen die Zerrüttung „eindeutig allein anzulasten“ sei, könne er die Rückübertragung des Hauses nicht verlangen, so die Karlsruher Richter.

Im Streitfall ging es um Geschwister aus dem Raum Hagen. Der 1944 geborene Kläger hatte im November 2013 nach einem Herzinfarkt sein Hausgrundstück per notariellen Vertrag auf seine Schwester übertragen. Er behielt an bestimmten Räumen ein lebenslanges Wohnrecht. Die Schwester verpflichtete sich im Gegenzug, den Bruder lebenslang zu betreuen und zu pflegen. Sie zog dann mit ihrem Ehemann, ihrer Tochter und ihrem Schwiegersohn in das Haus.

Heillos zerrüttetes Verhältnis

Doch mit dem Zusammenleben folgte ein Dauerstreit zwischen den Geschwistern. Seit März 2014 erbrachte die Schwester keine Pflegeleistungen mehr. Der Bruder verlangte daraufhin, dass der Vertrag rückgängig und das Hausgrundstück wieder auf ihn übertragen wird. Das Oberlandesgericht (OLG) Hamm lehnte dies ab, da der Kläger nicht aufgeführt hatte, welche Pflegeleistungen nicht erbracht worden seien.

Der BGH urteilte, dass es darauf nicht ankomme. Denn der Bruder habe nicht auf die unterbliebene Pflege, sondern auf das Zerwürfnis und das verlorene Vertrauensverhältnis abgestellt. Damit sei die Geschäftsgrundlage für den Hausübertragungsvertrag verloren gegangen. Bei einem heillos zerrütteten Verhältnis könne der Vertrag wieder rückgängig gemacht werden. Nur wenn das zerstörte Vertrauensverhältnis eindeutig allein dem Pflegebedürftigen anzulasten sei, bleibe der Vertrag gültig.

Das OLG muss nun prüfen, ob für den Kläger das Zusammenleben noch zumutbar ist oder ob es auch Möglichkeiten der Vertragsanpassung gibt, etwa indem die Schwester keine Pflegeleistungen erbringt, dafür aber eine Rentenzahlung für die Übertragung des Hauses leistet.

Az.: V ZR 30/20



Landesarbeitsgericht

Diskriminierungsentschädigung geht an den Insolvenzverwalter



Stuttgart (epd). Eine Diskriminierungsentschädigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers kann gepfändet werden. Ein in Privatinsolvenz befindlicher Beschäftigter darf über die Entschädigung nicht frei verfügen, kann aber bei seinem Arbeitgeber die Zahlung an den Insolvenzverwalter einfordern, entschied das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg in einem am 18. September veröffentlichten Urteil. Voraussetzung hierfür sei, dass der Insolvenzverwalter dieses Recht dem überschuldeten Betroffenen eingeräumt hat, urteilten die Stuttgarter Richter.

Hintergrund des Rechtsstreits war die Kündigung des als Fahrer angestellten schwerbehinderten Klägers, als dieser arbeitsunfähig erkrankt war. Der Arbeitgeber machte betriebsbedingte Gründe geltend und verwies auf die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie.

Zustimmung des Integrationsamtes

Der Arbeitnehmer reichte Kündigungsschutzklage ein und machte zudem eine Diskriminierungsentschädigung geltend. Der Arbeitgeber habe nicht die Zustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung eingeholt. Damit liege ein Indiz für eine Diskriminierung wegen seiner Behinderung vor. Er verlangte eine Entschädigung in Höhe von drei Monatsgehältern, insgesamt 10.289 Euro.

Während des Arbeitsgerichtsverfahrens zog der Arbeitgeber die Kündigung wieder zurück und wollte die verlangte Entschädigung nicht zahlen. Der Kläger habe Privatinsolvenz angemeldet, damit sei der Insolvenzverwalter Gläubiger der Forderung. Der Kläger hätte die Entschädigung daher gar nicht selbst einfordern können.

Das LAG urteilte jedoch, dass der Kläger die Überweisung der Entschädigungssumme an den Insolvenzverwalter verlangen kann. Der Entschädigungsanspruch gehöre zum Vermögen und falle daher in die Insolvenzmasse, urteilte das Gericht.

Auch sei die Diskriminierungsentschädigung trotz der Weiterbeschäftigung in der geforderten Höhe begründet. Da der Arbeitgeber das Integrationsamt nicht um Zustimmung zur Kündigung gebeten habe und dann bei der Kündigung auch noch die Sozialauswahl unter fehlender Berücksichtigung der Schwerbehinderung erfolgt sei, liege ein Indiz für eine Diskriminierung vor. Die erlittene Benachteiligung sei auch nicht geheilt worden, indem der Arbeitgeber Monate später sich zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bereit erklärte.

Az.: 10 Sa 49/20



Landessozialgericht

Elterngeldanspruch im Ausland nur bei gemeinsamem Haushalt



Mainz (epd). Ein Ehegatte eines es im Ausland eingesetzten Beschäftigten kann nur mit einem „gemeinsamen Haushalt“ ausnahmsweise Elterngeld verlangen. Ein vorübergehendes Zusammenleben mit dem Ehepartner reicht nicht, entschied das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz in Mainz in einem am 17. September bekanntgegebenen Urteil.

Normalerweise steht nur in Deutschland lebenden Eltern Elterngeld zu. Der Gesetzgeber hat jedoch einige Ausnahmen bestimmt. So können auch im Ausland lebende Eltern Elterngeld erhalten, wenn Mitarbeiter deutscher Firmen zeitlich begrenzt im Ausland beschäftigt sind. Gleiches gilt für Missionare der Missionswerke, Entwicklungshelfer und auch Beamte, die ihre Tätigkeit im Ausland ausüben.

Familie lebte in Pretoria und Addis Abeba

Im konkreten Verfahren lebte die mit einem Entwicklungshelfer verheiratete Klägerin im südafrikanischen Pretoria. Als das Paar ein Kind bekam, beantragte die Frau für die ersten 14 Lebensmonate des Kindes Elterngeld. In dieser Zeit wurde der Ehemann jedoch nach Addis Abeba in Äthiopien versetzt.

Der Elterngeldantrag wurde daher abgelehnt. Für einen Elterngeldanspruch im Ausland müsse die Klägerin mit ihrem Ehepartner in einem Haushalt leben, erklärte die zuständige Elterngeldstelle. Hier habe aber ihr als Entwicklungshelfer tätiger Ehemann in Addis Abeba gelebt und gearbeitet.

Das LSG bestätigte die ablehnende Entscheidung. Das Paar lebe nicht wie gesetzlich vorgeschrieben zusammen „in einem Haushalt“. Das Zusammenleben des Paares in einer Hausgemeinschaft sei nicht auf eine gewisse Dauer angelegt, sondern nur vorübergehend. So habe der Ehemann in den ersten 14 Lebensmonaten seines Kindes nur 52 Tage bei seiner Familie in Pretoria gelebt. Kurzzeitige Besuche zu Urlaubszwecken reichten für ein Zusammenleben und einen Elterngeldanspruch aber nicht aus, entschieden die Mainzer Richter.

Az.: L 2 EG 4/20




sozial-Köpfe

Führungswechsel

Kirsten Schwenke im Vorstand des Diakonischen Werkes Rheinland-Westfalen-Lippe




Kirsten Schwenke
epd-bild/Diakonie RWL
Kirsten Schwenke bildet ab 1. Oktober als Juristischer Vorstand gemeinsam mit Christian Heine-Göttelmann die neue Leitung des Diakonischen Werkes Rheinland-Westfalen-Lippe. Sie folgt auf Thomas Oelkers, der in den Ruhestand geht.

Düsseldorf (epd). Kirsten Schwenke ist die erste Frau an der Spitze des Diakonischen Werkes Rheinland-Westfalen-Lippe (RWL). Am 1. Oktober tritt die 57-Jährige ihr Amt als Juristische Vorständin an. Schwenke arbeitet bereits seit elf Jahren bei der Diakonie RWL. Seit 2015 leitet sie das Zentrum Recht mit 15 Mitarbeitenden. „Für mich ist es der folgerichtige nächste Schritt: Ich möchte die Entwicklung der Diakonie RWL auch politisch weiter vorantreiben“, erklärt die Juristin, die auf Thomas Oelkers folgt, der nach acht Jahren bei der Diakonie in Rente geht.

Als Leiterin des Zentrums Recht hat Schwenke 2016 die Fusion der Landesverbände Rheinland und Westfalen-Lippe zur neuen Diakonie RWL eng begleitet und dabei wichtige Kontakte geknüpft, wie die Diakonie mitteilt. „In den vergangenen Jahren habe ich viele unserer Mitglieder bei Beratungen, Fortbildungen und Vorträgen persönlich kennengelernt“, sagt die Juristin.

Kirsten Schwenke studierte an der Universität in Bayreuth Rechtswissenschaften und arbeitete nach ihrem Referendariat an der Universität Würzburg als Regierungsrätin und kommissarische Leiterin des Kanzleramtes. 1997 kam sie ins Rheinland, machte eine Mediatorinnenausbildung und war sieben Jahre lang als Juristin bei einem Kölner Finanz- und Versicherungsmakler tätig, bevor sie 2010 zur Diakonie RWL wechselte. Sie ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder.

„Unsere neue Arbeitsweise“ will Schwenke in ihrer neuen Funktion unbedingt beibehalten, wie sie sagt: In den agilen, projektbezogenen Teams sei die Diakonie in den vergangenen Monaten viel schneller zu Ergebnissen gekommen als früher. „Auch bei den digitalen Austauschmöglichkeiten mit Mitgliedern haben wir gute Fortschritte gemacht“, betont sie.

Die hohe fachliche Kompetenz im Haus müsse unbedingt erhalten bleiben - gleichzeitig sei es aber wichtig, die internen Prozesse transparenter nach außen zu kommunizieren und Mitglieder stärker einzubeziehen. „Denn so bekommen sie noch schneller Informationen und Ergebnisse. Ich sehe die Diakonie RWL eindeutig als Dienstleistungsverband.“



Weitere Personalien



Katalin Karikó (66), Özlem Türeci (54) und Ugur Sahin (55) werden mit dem „Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Preis 2022“ ausgezeichnet. Die Forscher des Mainzer Unternehmens Biontech werden mit dem mit 120.000 Euro dotierten Preis für die Entwicklung von Messenger-RNA (mRNA) geehrt. Die neue Methode habe einen herausragenden Erfolg bei der schnellen Entwicklung eines Impfstoffes gegen Covid-19 erzielt. Die neue Technologie dürfte in Teilbereichen der Medizin einen Paradigmenwechsel einleiten, urteilte die Jury. Der „Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Preis“ wird am 14. März, dem Geburtstag des Medizin-Nobelpreisträgers Paul Ehrlich (1854-1915), in der Frankfurter Paulskirche verliehen.

Peter Rösner ist neuer Vorsitzender des Aufsichtsrats e.V.. Er folgt auf Rainer Borgmann-Quade, der nach rund sechs Jahren in diesem Amt und nach mehr als sieben Jahren im Vorstand des Vereins in den Ruhestand geht. Neu in den Aufsichtsrat des deutschlandweit tätigen Kita-Trägers wählten die Mitglieder des Fröbel e. V. auch Gudrun Rannacher, die zuvor fünf Jahre lang im Vorstand des Vereins und als Geschäftsführerin der Fröbel Bildung und Erziehung gGmbH aktiv war. Rösner ist im Hauptberuf Leiter der Stiftung Louisenlund, dem zweitgrößten Internat Deutschlands.

Elke Kaufmann wird zum 1. November Geschäftsführerin des Diakonischen Werks Altdorf-Neumarkt-Hersbruck. Sie tritt die Nachfolge von Detlef Edelmann an. Kaufmann ist gelernte Sozialarbeiterin und Gerontologin und war in den vergangenen Jahren in führender Position im Zentrum für Altersmedizin des Klinikum Nürnberg tätig. Die 49-Jährige war nach dem Studium zunächst Dekanatsjugendreferentin in Erlangen, anschließend war sie in verschiedenen Senioreneinrichtungen tätig.

Erich Theodor Barzen ist seit Mitte September in der Rechtsberatung der Solidaris Unternehmensgruppe am Standort München tätig. Er berät schwerpunktmäßig in den Bereichen gesellschaftsrechtliche Gestaltung sowie Stiftungsrecht. Barzen bringt langjährige Erfahrung sowohl aus der Privatwirtschaft als auch dem konfessionellen Bereich mit. Zuletzt leitete er eine der großen kirchlichen Stiftungen und verantwortete seit 2013 als Leiter der Finanzen den Haushalt und Jahresabschluss der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. In dieser Funktion hat er mehr als 1.000 Stiftungen zu einer landesweiten „Evangelisch-Lutherischen Pfründestiftung in Bayern“ zusammengeführt.

Cordula Endter und Henrike Voß haben für ihre Dissertationen vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge den mit insgesamt 10.000 Euro dotierten „Cäcilia-Schwarz-Förderpreis für Innovation in der Altenhilfe“ erhalten. Cordula Endter, Psychologin und Kulturanthropologin aus Berlin, schrieb eine Doktorarbeit über „Assistiert Altern. Die Entwicklung digitaler Technologien für und mit älteren Menschen“, Henrike Voß, Sport- und Bewegungsgerontologin aus Heidelberg, zum Thema „Was bindet Menschen mit Demenz ans Leben? - Eine erweiterte Perspektive auf Advance Care Planning“. Beide Preisträgerinnen hätten in ihren Dissertationen wichtige Erkenntnisse für die Alternspolitik und Fachpraxis der Altenhilfe vorgelegt, lobte Irme Stetter-Karp, Präsidentin des Deutschen Vereins. „Sie tragen aus unterschiedlichen Perspektiven dazu bei, dass älteren Menschen für möglichst lange Zeit ein hohes Maß an selbstständiger Lebensweise ermöglicht und so ihr Wohlergehen gefördert wird.“

Vera Regitz-Zagrosek wird mit dem diesjährigen Elisabeth-Selbert-Preis des Landes Hessen ausgezeichnet. Die Die Berliner Herzspezialistin und Gründungsdirektorin des Instituts für Geschlechterforschung in der Medizin an der Charité erhält die mit 10.000 Euro dotierte Ehrung nach Angaben der Jury für ihre wegweisende und herausragende Aufbauarbeit zur Etablierung der Gendermedizin in Deutschland. Regitz-Zagrosek habe als eine der Ersten die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Frauen und Männern bei Erkrankungen zu ihrem Forschungsthema gemacht. Sie sei eine Pionierin der Gendermedizin. Der Elisabeth-Selbert-Preis wird am 15. Dezember in Kassel verliehen.




sozial-Termine

Veranstaltungen bis Oktober



Wir haben Tagungen, Seminare, Workshops und Webinare aufgelistet, die aktuell geplant sind. Wegen der Corona-Epidemie sagen Veranstalter allerdings Termine auch kurzfristig ab. Wir bitten unsere Leserinnen und Leser, das zu beachten.

September:

29.9. Köln:

Seminar „Vergütungsverhandlungen in der stationären Altenhilfe - Vorbereitung, Strategie und Verhandlungsführung“

der Solidaris Unternehmensberatung

Tel.: 02203/8997-221

Oktober

5.10.:

Online-Seminar „Neu im Geschäft? Bewusst zur neuen Führungskraft“

der Paritätischen Akademie Süd

Tel.: 0711/286976-10

11.10.:

Online-Fortbildung „Flucht und Behinderung - Rechtliche Möglichkeiten in der Flüchtlings- und Behindertenhilfe“

der Bundesakademie für Kirche und Diakonie

Tel.: 0174/3473485

20.-22.10.:

Seminar „Leiten im Duo - Caritasverbände gemeinsam führen“

der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes

Tel.: 0761/200 1700

25.-27.10. Berlin:

Workshop „Alte Hasen und junge Hüpfer“ - Altersgemischte Teams erfolgreich führen Praxisworkshop"

der AWO Bundesakademie

Tel.: 030/26309-139

26.10. Köln:

Seminar „Vergütungsverhandlungen in der Behindertenhilfe - Vorbereitung, Strategie und Verhandlungsführung“

der Solidaris Unternehmensberatung

Tel.: 02203/8997-221

27.-29.10. Hannover:

Fortbildung (Auftakt) „Hilfe für wohnungslose Männer und Frauen in besonderen sozialen Schwierigkeiten“

der Bundesakademie für Kirche und Diakonie

Tel.: 0173/5105498