eigentlich war das Aus der Impfzentren Ende September längst beschlossene Sache. Die Gesundheitsminister von Bund und Ländern hatten das schon im März festgelegt. Doch scheint der Beschluss nicht in Stein gemeißelt zu sein. In den Ländern regt sich Widerstand, auch weil noch Millionen Bürger auf Impfungen warten. Ob und welche Impfstraßen tatsächlich ab September schließen, ist aktuell noch unklar. Die Länder wollen dazu nun ein Konzept erarbeiten. In zwei Wochen soll es vorliegen.
Sandra Strüber ist noch immer fassungslos. Ihr Ex-Partner hat sie in den Ruin getrieben. Er schloss Verträge und Bestellungen auf ihren Namen ab und plünderte Geld von gemeinsamen Konten: 75.000 Euro Schulden hinterließ ihr Ex-Partner, dann tauchte er ab und wird jetzt international per Haftbefehl gesucht. Sandra Strüber fand Hilfe bei der Schuldnerberatung und fasste wieder neuen Mut.
Ein Bremer Jugendhilfeprojekt bietet Hood-Training an. Sport ist hier Lifestyle. Und Respekt vor dem Gegenüber steht an erster Stelle. Hinter dem Angebot im Stadtteil Lüssum steht Stefan Kavarov, ein gebürtiger Bulgare. Er wolle Vorbild sein, so etwas wie ein großer Bruder, sagt Kavarov, der tatsächlich viel mehr ist als nur ein Trainer: „Wenn die Kinder Probleme haben, bin ich für sie da“, sagt er. Das klappt, der Zulauf ist riesig.
Für Heike Herold, Geschäftsführerin der Frauenhauskoordinierung, ist klar: Der Rechtsanspruch auf einen Platz im Frauenhaus muss weiter auf der politischen Agenda bleiben. Der Runde Tisch müsse auch nach der Bundestagswahl weiter zusammenkommen. Auch, weil sich Bund, Länder und Kommunen in ihrer jüngsten Verhandlungsrunde nicht darauf verständigen konnten, das gesetzlich zu regeln. Immerhin, so berichtet sie im Interview mit epd sozial, gibt es jetzt das erklärte Vorhaben, die Finanzierung der Schutzeinrichtungen verlässlich abzusichern.
Auch die Kurkliniken sind von der Pandemie schwer gebeutelt. Ohne staatliche Unterstützung seien viele Einrichtungen von der Pleite bedroht, warnt das Müttergenesungswerk (MGW). Die Kuratoriumsvorsitzende und SPD-Bundestagsabgeordnete Svenja Stadler fordert deshalb eine Verlängerung des Corona-Rettungsschirms bis mindestens Ende des Jahres. Denn nur Kliniken, die zu 95 Prozent ausgelastet sind, könnten wirtschaftlich arbeiten, sagte MGW-Geschäftsführerin Anne Schilling. Und das sei noch längst nicht der Fall.
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Dirk Baas
München, Berlin (epd). In der Frage nach der Zukunft der Impfzentren wollen die Gesundheitsminister von Bund und Ländern nach Worten von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) „miteinander die richtige Balance finden“. Man wolle für die Zeit nach September, wenn die bisher beschlossene Finanzierung der Impfzentren durch den Bund auslaufe, „vorbereitet sein für alles, was kommen kann“, sagte Spahn am 16. September nach der 94. Hauptkonferenz der Gesundheitsminister von Bund und Ländern in München. Zugleich wolle man eine große Infrastruktur nicht über viele Monate ungenutzt aufrechterhalten.
Spahn sagte, die Gesundheitsminister hätten auf jeden Fall den Kapazitätsbedarf für Auffrischungs-Impfungen im Blick. Man wisse allerdings noch nicht, wann diese erfolgen sollen oder müssen. Dabei sei man noch auf Informationen aus der Forschung angewiesen.
Dem Bundesgesundheitsminister schwebt dabei nach eigenen Angaben eine Art „Bereitschaftskonzept“ vor, um bei Bedarf die Impfkapazitäten schnell wieder hochfahren zu können. Das betreffe beispielsweise auch mobile Impfteams, die für künftige Auffrischungs-Impfungen in Senioren- und Pflegeeinrichtungen wieder nötig sein würden, sagte der CDU-Politiker weiter.
Der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) sprach in diesem Zusammenhang von „Impfzentren 2.0“. Es brauche bei dem Thema auf jeden Fall eine Weiterentwicklung. Die Ressortchefs der Länder seien nun „noch einmal beauftragt“ worden, ein Konzept vorzulegen, sagte Holetschek.
Ungeachtet dessen bereiten mehrere Bundesländer zumindest die Schließung einzelner Impfzentren vor. Ein einheitlicher Termin dazu ist nicht zu erwarten. Wann welche Impfzentren schließen, wird derzeit noch intern diskutiert. Der Städtetag fordert den Weiterbetrieb der Impfstraßen, die Hausärzte sind dagegen.
Nach Angaben des Robert Koch-Instituts vom 16. Juni sind 28,8 Prozent der Gesamtbevölkerung) vollständig geimpft. Insgesamt haben 49,6 Prozent der Bürgerinnen und Bürger mindestens eine Impfdosis erhalten.
bislang 25,7 Prozent der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland vollständig geimpft. 48,1 Prozent haben ihre erste Impfung bekommen. Koch-Instituts vom 12. Juni sind bislang 25,7 Prozent der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland vollständig geimpft. 48,1 Prozent haben ihre erste Impfung bekommen.
„Noch sind die Impfzentren ein wichtiger Bestandteil der Impfkampagne“, betonte das Bundesgesundheitsministerium auf Nachfrage. Die Gesundheitsministerkonferenz habe im März beschlossen, dass der Bund den Betrieb der Impfzentren bis mindestens zum 30. September 2021 finanziert: „Das ist der Stand der Dinge.“
Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags, Helmut Dedy, forderte Bund und Länder auf, für eine weitere Finanzierung zu sorgen. „Die Impfzentren machen einen guten Job. Die Teams sind eingespielt“, sagte er der „Passauer Neuen Presse“. Er wies darauf hin, dass Verträge, die die Kommunen geschlossen haben, bis Ende Juni gekündigt werden müssten, wenn die weitere Finanzierung nicht gesichert sei. „Wenn hier der Schalter umgelegt ist, sind die Impfzentren bald zu - dann wohl endgültig.“
Für eine komplette Schließung der Zentren sprach sich dagegen der Hausärzteverband aus. Es sei „mehr als fraglich, Strukturen aufrechtzuerhalten, von denen man immer wieder hört, dass die Kosten pro Impfung etwa zehnmal so teuer sind wie in den Praxen“, sagte Verbandschef Ulrich Weigeldt. „Anstatt die Impfzentren künstlich am Leben zu erhalten, sollte die Politik ihre Energie lieber in eine sinnvolle Planung der Impfstoffbereitstellung für die Auffrischungsimpfungen stecken.“
Die Corona-Impfzentren würden im Idealfall nicht mehr lange notwendig sein, sagte der Verbandschef dem epd. „Wenn die Impfstoffmenge wie auch die Zahl der Geimpften weiter steigen, werden die Impfzentren früher oder später zu einem Auslaufmodell werden“. Die Corona-Schutzimpfung müsse spätestens mit Beginn der Auffrischungsimpfungen Teil der hausärztlichen Routine werden.
Die Hausärzte hofften darauf, dass in Sachen Impfungen die Logistik stimme. Bestellungen wie Lieferungen der Vakzine müssten reibungslos ablaufen und keinen zusätzlichen Aufwand für die Ärztinnen und Ärzte bedeuten, sagte Weigeldt. Aktuell sei der Impfstoff knapp und werde oftmals nur unzuverlässig geliefert.
Hessen hatte jüngst als erstes Bundesland bekanntgegeben: Ende September ist Schluss mit dem Spritzensetzen in den 28 Impfstraßen. „Impfungen werden dann weiterhin in der ärztlichen Regelversorgung in Arztpraxen und durch Betriebsärzte erfolgen“, so das zuständige Ministerium.
Nach dem Stand vom 10. Juni laufen die Impfzentren in Baden-Württemberg bis zum 15. August. Das Hamburger Impfzentrum in den Messehallen soll bis mindestens August in Betrieb sein.
Sachsen will die Corona-Impfzentren bis mindestens Ende September offen halten. „Wir wollen flexibel bleiben, auch wenn die Impfbereitschaft sinken sollte“, sagte Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD) am 15. Juni in Dresden. Ein Grund für die Verlängerung des Betriebes sei, dass es momentan keine zuverlässige Lieferung angekündigter Impfdosen in den Arztpraxen gebe.
Zudem bestehen Köpping zufolge regionale Unterschiede bei der Beteiligung von niedergelassenen Ärzten und Ärztinnen an der Impfkampagne. Daher brauche es „einen stabilen Faktor“. Die sachsenweit 13 Impfzentren sowie die mobilen Teams sollen Unterschiede und Unwägbarkeiten ausgleichen. Die Verlängerung des Betriebes der Impfzentren kostet Köpping zufolge weitere 52 Millionen Euro, die Hälfte übernehme der Bund. Ob die sächsischen Zentren für Auffrischungsimpfungen von Oktober an einsatzbereit bleiben, ist noch offen.
Bremen, das drei Impfzentren betreibt, schließt eines schon Ende Juni. Das sei aber von Beginn an so geplant gewesen, heißt es im Gesundheitssenat: „Zur Schließung der anderen Impfzentren gibt es keine konkreten Pläne.“
In Brandenburg werden 14 Impfzentren betrieben, von denen 11 unter der Verantwortung der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg stehen. „Der Vertrag zwischen der KVBB und dem Gesundheitsministerium endet mit Ablauf des 31. Juli“, sagte ein Sprecher. Ob einzelne Impfzentren danach in kommunale Trägerschaft übergehen, kläre derzeit das Gesundheitsministerium.
In Berlin rechnet der Senat damit, dass die Impfzentren auf absehbare Zeit noch benötigt werden. Pläne, bis Ende September die Zentren schrittweise zu schließen, wurden zuletzt vom Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) wieder infrage gestellt. „Uns von Seiten der Länder war sehr wichtig, dass wir noch einmal festhalten konnten, dass es nicht in Stein gemeißelt ist, dass am 30.9. die Impfzentren vom Netz gehen“, hatte Müller nach den Beratungen der Länderchefs mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am 10. Juni erklärt.
In Niedersachsen wird die Frage, wann die Impfzentren ihren Betrieb einstellen können, „vom Verlauf der Impfkampagne über den Sommer und den entsprechenden Bund-Länder-Beratungen abhängig sein“. Auch in Rheinland-Pfalz ist ein Ende der Impfzentren noch nicht terminiert: Bevor diese Struktur abgeschafft werde, müsse klar sein, wie die Impfkampagne ohne Impfzentren möglichst effektiv fortgesetzt werden könne. In Nordrhein-Westfalen sieht man sich derzeit nicht in der Lage, zum Thema Auskunft zu geben. Das gleiche gilt für Thüringen und das Saarland.
Berlin (epd). Das Corona-Aufholpaket der Bundesregierung für Kinder und Jugendliche nimmt konkrete Formen an. Familien-Staatssekretärin Juliane Seifert sagte am 14. Juni in Berlin, die Umsetzung in kurzer Zeit sei „eine Herausforderung“. Erste zusätzliche Angebote werde es aber schon in den Sommerferien geben. Das Bundesprogramm im Umfang von zwei Milliarden Euro, das bis Ende 2022 laufen wird, soll Kindern und Jugendlichen helfen, die Folgen der Corona-Einschränkungen zu überwinden. Jeweils eine Milliarde Euro wird aus dem Etat des Familien- und des Bildungsministeriums finanziert.
Aus dem Budget des Familienministeriums werden die Förderung von Kleinkindern, mehr Freizeit-, Sport- und Ferienangebote und die Begleitung von Kindern und Jugendlichen zurück in einen normalen Alltag finanziert. 220 Millionen Euro gibt es etwa für zusätzliche Schulsozialarbeiter und Freiwilligendienstleistende an Schulen. Für die Nachhilfeprogramme zum Aufholen von Lernstoff ist das Bildungsministerium zuständig.
100 Millionen Euro gehen in die Förderung von Sprach-Kitas für 1.000 zusätzliche Fachkräfte. In diesen Einrichtungen wird mehr Zeit in die Sprachförderung investiert als üblich, um die Chancen benachteiligter Kinder auf eine gute Schulbildung zu erhöhen.
Um mehr Freizeit-, Musik- und Sportangebote machen zu können, arbeite man mit den zahlreichen Kinder- und Jugendverbänden, den Pfadfindern, Musikschulen und der Sportjugend eng zusammen, sagte Seifert.
Die Länder wollen laut Bundesfamilienministerium von den Sommerferien an mit zusätzlichen Angeboten für Freizeiten, Sport und Jugendaustausch dabei sein. Sie erhalten dafür vom Bund 70 Millionen Euro.
Verbilligter Urlaub für bedürftige Familien wird Seifert zufolge erst ab Herbst dieses Jahres möglich sein. 50 Millionen Euro stellt der Bund bereit, um den Preis eines einwöchigen Urlaubs in einer Familienferienstätte um 90 Prozent zu senken. Die Familien zahlen nur zehn Prozent selbst, die Träger bekommen den Ausfall erstattet.
Ab August können bedürftige Familien einmalig mit 100 Euro extra pro Kind rechnen. Die Auszahlung erfolge automatisch, sagte Seifert. Der Bonus steht Familien zu, die von Hartz-IV- oder Asylbewerberleistungen leben, die den Kinderzuschlag erhalten und/oder Wohngeld bekommen. Eltern, die nur Wohngeld aber keine andere Unterstützung beziehen sowie Familien, die von Sozialhilfe leben, müssen für den Bonus einen formlosen Antrag bei der Familienkasse stellen, hieß es.
Berlin (epd). Innerhalb einer Woche hat der Bundestag Reformen in der Pflege beraten und am 11. Juni in Berlin mit den Stimmen von Union und SPD beschlossen. Im Zentrum stehen Entlastungen für Heimbewohner und bessere Löhne für Altenpflegekräfte. Die Opposition stimmte geschlossen gegen das Gesetz. Linken und Grünen gehen die Verbesserungen nicht weit genug. Es sei höchstens ein „Pflegereförmchen“, sagte die Grünen-Abgeordnete Kordula Schulz-Asche.
Die FDP kritisierte die Pläne aus anderem Grund. Dies sei ein Eingriff in die Tarifautonomie. Auch die AfD lehnte die Einmischung des Staates ab. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) dagegen verteidigte die Änderungen. Damit würden wichtige Verbesserungsschritte gegangen, sagte er. Für viele Pflegekräfte werde sich das „in Euro und Cent“ auszahlen.
Von September 2022 an sollen nur noch solche Einrichtungen mit der Pflegekasse abrechnen können, die Tariflöhne, Vergütungen nach dem kirchlichen Arbeitsrecht oder Löhne mindestens in gleicher Höhe bezahlen. Von den rund 1,2 Millionen Pflegekräften werden nur etwa die Hälfte nach Tarif bezahlt. Die Koalition hatte immer wieder eine Verbesserung der Löhne versprochen. Zuletzt war der Weg über einen Flächentarif an den Caritas-Arbeitgebern gescheitert.
Heimbewohner erhalten von 2022 an einen Zuschuss zu ihren seit Jahren steigenden Zuzahlungen. Mit der Dauer des Heimaufenthalts wird der Zuschuss zu dem pflegebedingten Eigenanteil von fünf Prozent im ersten Jahr auf 70 Prozent ab dem vierten Jahr stufenweise angehoben. In der ambulanten Pflege werden die Sachleistungs-Beträge für die Versorgung durch Pflegedienste um fünf Prozent erhöht. Das Pflegegeld für die Betreuung durch Angehörige steigt nicht. Außerdem haben pflegebedürftige Menschen nach einem Krankenhausaufenthalt künftig einen Anspruch darauf, bis zu zehn Tage übergangsweise in der Klinik gepflegt zu werden, wenn kein Kurzzeitpflegeplatz verfügbar oder ein direkter Übergang in eine Pflege zu Hause nicht möglich ist.
Weitere Änderungen sollen den Pflegeberuf attraktiver machen. Dazu zählen mehr Entscheidungsbefugnisse für Pflegekräfte und langfristig Vorgaben für eine ausreichende Personalausstattung. Zur Gegenfinanzierung der steigenden Ausgaben erhält die Pflegeversicherung jährlich einen Bundeszuschuss von einer Milliarde Euro. Weitere 400 Millionen Euro an Einnahmen soll eine Erhöhung des Beitragszuschlags für Kinderlose um 0,1 Prozentpunkt bringen. Sie zahlen dann 3,4 Prozent ihres Einkommens für die Pflegeversicherung.
Sozial- und Fachverbände übten heftige Kritik an der Finanzierung der Reform. Nach Einschätzung des Spitzenverbandes der Kranken- und Pflegekassen (GKV-Spitzenverband) steuert die Pflegeversicherung auf ein Milliarden-Defizit und Beitragserhöhungen zu. Der Sozialverband VdK erklärte, die Reform sei nicht gegenfinanziert. Die zusätzlichen Kosten würden durch versteckte Leistungskürzungen an anderer Stelle von den Pflegebedürftigen selbst getragen.
Pia Zimmermann, Sprecherin für Pflegepolitik der Links-Fraktion, bezeichnete die Beschlüsse der Bundesregierung als „Augenwischerei“. Menschen würden für ihre möglicherweise unfreiwillige Kinderlosigkeit mit Beitragserhöhungen bestraft und Personen mit Pflegebedarf werde weiterhin in die Tasche gegriffen. Grund sei, dass sich die Bundesregierung „keine grundlegende Finanzierungsreform zutraut“, kritisierte sie.
Rainer Brüderle, Präsident des bpa Arbeitgeberverbandes, spricht von einem „schwarzen Tag für die Pflege in Deutschland, für private Pflegeeinrichtungen und ihre Beschäftigten sowie für die Tarifautonomie“. Weder würden Pflegebedürftige nachhaltig entlastet, noch würden mit der vorgesehenen Tariftreueregelung Gehälter großartig steigen. Wenn Löhne staatlich reguliert und gleichzeitig unternehmerische Risiken und Unternehmenswagnisse missachtet würden, gefährde dies insbesondere die Existenz von kleinen und mittleren Unternehmen.
Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, zeigte sich enttäuscht von der Reform. Erst im vergangenen Dezember sei die Bundesregierung zu dem Ergebnis gekommen, dass eine pauschale Anhebung aller Pflegeleistungen um fünf Prozent angemessen sei. „Jetzt bekommen 3,3 Millionen Pflegebedürftige daheim nichts“, sagte er dem epd. Bei den Pflegeheimbewohnerinnen und -bewohnern seien es derweil im ersten Jahr effektiv gerade 2,5 Prozent. „Das ist keine Pflegereform, sondern nur ein Taschenspielertrick“, sagte er.
Auch die „Initiative für eine nachhaltige und generationengerechte Pflegereform“, ein Bündnis von acht Verbänden aus der Wirtschaft und aus der Pflege, sieht die Reform kritisch. Diese sehe Leistungsausweitungen ohne ausreichende Gegenfinanzierung und ohne nachhaltige Finanzierungsstrategie für eine alternde Gesellschaft vor. Die geplanten zusätzlichen Leistungen seien unterfinanziert und würden kurzfristig zu Beitragssatzsteigerungen führen. Die Erweiterung habe keine nachhaltige Finanzierungsperspektive. Zudem vergrößere sie das Defizit bei der Generationengerechtigkeit im Umlageverfahren.
Der Präsident des Sozialverbands Deutschland, Adolf Bauer, sagte, die neuen Regelungen hätten „den Namen Pflegereform nicht verdient“. Zwar werde den finanziell besonders belasteten Langzeitpflegebedürftigen in den Heimen künftig mit Zuschüssen erheblich geholfen. Die Pflegekosten würden aber weiter steigen. Zudem bleibe ein pflegebedingtes Armutsrisiko, „denn als Teilkostenversicherung mit begrenzten Zuschüssen je Pflegegrad tragen die Pflegebedürftigen jede Kostensteigerung zu 100 Prozent selbst“.
Hannover (epd). Die Kaufmännische Krankenkasse (KKH) verzeichnet einen neuen Rekord bei Abrechnungs-Betrügereien. Im vergangenen Jahr seien 768 Verdachtsfälle gemeldet worden, teilte die KKH am 14. Juni in Hannover mit. Das seien 61 Prozent mehr als 2019. „Trauriger Spitzenreiter im Betrugs-Ranking“ seien erneut die Pflegedienste mit 391 Fällen gewesen, gefolgt von Pflegeheimen mit 194 Fällen.
Damit entfielen 2002 drei Viertel aller Hinweise auf Pflegeleistungen. „Der Pflegebereich ist besonders anfällig für Straftaten“, sagte KKH-Chefermittlerin Dina Michels. Hier wirkten sich die jährlichen Abrechnungsprüfungen durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung aus.
Aufgrund der Fallgestaltungen habe sie aber auch den Eindruck, „dass in diesem Leistungsbereich mehr Menschen mit hoher krimineller Energie unterwegs sind“, fügte Michaels hinzu und nannte ein Beispiel: Ein Pflegedienst rechne das An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen ab, obwohl das täglich von Angehörigen erledigt werde. Die Leistungsnachweise für die Abrechnung mit den Krankenkassen würden von den Pflegebedürftigen oder deren Angehörigen dennoch unterschrieben. Als Gegenleistung lasse der Pflegedienst die Wohnungen der Pflegebedürftigen von eigenem Personal reinigen.
Hinter jedem Fall von Abrechnungsbetrug stehe der Versuch, den eigenen Gewinn illegal zu maximieren, betonte Michels: „Betrugsdelikte im Gesundheitswesen sind alles andere als Bagatelldelikte.“ Außerdem gerieten mit jeder aufgedeckten Tat ehrliche Leistungserbringer des jeweiligen Berufsstandes in Verruf.
Dabei seien es stets nur einige wenige, die kriminell agierten. „Da werden Arzneimittel gepanscht, Höchstsätze für unqualifiziertes Personal abgerechnet, Rezepte für Physio- und Ergotherapie gefälscht oder Leistungen abgerechnet, die nur auf dem Papier existieren“, sagte Michaels. Der Kranken- und Pflegeversicherung der KKH sei durch bewusste Falschabrechnungen allein 2020 ein Schaden in Höhe von einer halben Million Euro entstanden. Die höchsten Schadenssummen hätten Apotheker erschwindelt, gefolgt von ambulanten Pflegediensten. In 23 Fällen erstattete die KKH Strafanzeige.
Berlin (epd). Seit Beginn der Corona-Pandemie haben laut einer repräsentativen Studie viele ältere Menschen digitale Angebote erstmals oder intensiver genutzt. 19 Prozent der Über-60-Jährigen haben demnach in dem Zeitraum zum ersten Mal jemanden per Video-Telefonie angerufen, teilte der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) am 14. Juni in Berlin mit. Der GDV hatte die Studie beim Meinungsforschungsinstitut Kantar in Auftrag gegeben. An der Erhebung nahmen im Mai 2021 insgesamt 518 Personen teil.
Jeweils etwa ein Viertel der Befragten informierte sich demnach in der Pandemie häufiger digital über das Zeitgeschehen, kaufte Online ein, kommunizierte über Messenger-Dienste oder nahm Telemedizin in Anspruch. Je 14 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Studie gaben an, öfter als vor der Pandemie Video-Telefonie zu nutzen oder online Fernsehen zu schauen.
Gleichzeitig gab es aber auch Angebote, die die Generation über 60 Jahren während der Corona-Zeit weniger nutzte. So sagten 17 Prozent der Befragten, dass sie Telemedizin während der Pandemie seltener in Anspruch nahmen. 13 Prozent tätigten eigenen Angaben nach weniger Käufe online und zehn Prozent riefen Menschen seltener mit Video an. Online-TV, zum Beispiel über Mediatheken, schauten acht Prozent der Studien-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer nicht mehr so oft wie vor der Pandemie.
Dem GDV zufolge wurde auch erhoben, wie häufig Menschen über 60 Jahren generell das Internet nutzen. Insgesamt seien inzwischen 61 Prozent der Befragten zumindest gelegentlich online, davon 34 Prozent mehrmals täglich und 10 Prozent etwa einmal pro Tag. Dabei ließen sich große Unterschiede zwischen den untersuchten Altersgruppen erkennen. Während sich 86 Prozent der 60 bis 64-Jährigen als Internetnutzerinnen- und nutzer bezeichneten, waren es unter den 65- bis 69-Jährigen insgesamt 73 Prozent und bei den Über-70-Jährigen nur 46 Prozent.
Am meisten nutzten die Befragten den GDV-Angaben nach digitale Angebote, um sich über das Zeitgeschehen zu informieren (83 Prozent). Insgesamt 78 Prozent kommunizierten über Messengerdienste, 69 Prozent kauften online ein. In den sozialen Medien sind der Studie nach nur 29 Prozent der Über-60-Jährigen aktiv, 27 Prozent kauften Medikamente im Internet.
„Dass Ältere digital nicht auf der Höhe der Zeit sind, ist immer mehr ein Bild aus der Vergangenheit“, sagte Jörg Asmussen vom GDV. Für die soziale Einbindung und Versorgung der Älteren in Zukunft sei deren wachsende Online-Affinität ein gutes Zeichen. „Gesellschaftliche Teilhabe wird immer stärker auch von digitalen Kompetenzen abhängen“, sagte er.
Internet: Pressemitteilung: https://www.7jahrelaenger.de/resource/blob/68350/9b0c44367e1e0bc5e66b7d00282240ec/14-06-2021---mi---corona-sorgt-fuer-digitalisierungsschub-in-der-generation-60-plus-data.pdf
Berlin (epd). Die deutschen Intensivmediziner gehen von einer baldigen Entspannung auf den Intensivstationen aus. Deutschland werde in den kommenden Tagen die „magische Grenze von 1.000 Covid-Patienten“ auf diesen Stationen unterschreiten, sagte der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN), Christian Karagiannidis, am 15. Juni bei einer Online-Pressekonferenz. Damit gehe die dritte Pandemie-Welle dem Ende zu.
Covid-19 sei eine Erkrankung, die auch in den nächsten Jahren die Medizin und die Intensivstationen beschäftigen werde, „die aber den Schrecken dieser Pandemie verlieren wird“, so der Mediziner.
Deutschland gehe jetzt in eine „chronische Phase“ über, sagte Karagiannidis. Die Erkrankung werde die Menschen wie die jährliche Grippewelle begleiten. Dies werde auch noch eine Weile so bleiben.
Bislang habe es, „vielleicht auch bedingt durch den Bundestagswahlkampf“, noch nicht die Ruhe gegeben, die Lehren aus der Pandemie zu ziehen, fügte Karagiannidis hinzu. Die Fachgesellschaft halte daher ein zentrales und im Idealfall ein Bundesinstitut für sinnvoll, das die gewonnenen Erkenntnisse der vergangenen Monate zusammenträgt und analysiert. So solle sowohl der Medizin als auch die Politik geholfen werden, mit kommenden Infektionen besser umzugehen. Am Ende solle eine Art „Weißbuch“ stehen. Dieses sei „eminent wichtig“, wenn es durch die Delta-Variante des Virus zu einem erneuten Anstieg der Fallzahlen kommen sollte.
Es gebe viele Punkte, die auf den Intensivstationen verbessert werden müssten, sagte der Mediziner. „Aber was immer wieder hervorsticht ist, dass die Arbeitsbelastung auf den Intensivstationen zumindest phasenweise in den Covid-Bereichen deutlich zu hoch war“, erklärte er.
Das betreffe vor allem die zweite und dritte Welle. Wenn Patienten und Patientinnen in Deutschland künftig weiter qualitativ hochwertig versorgt werden sollen, „dann müssen wir es schaffen, die Arbeitslast auf den Intensivstationen zu reduzieren“. Dazu gehöre im ersten Schritt eine Überarbeitung des Personalschlüssels.
München (epd). Die Mehrheit der Beschäftigten möchte einer neuen Umfrage zufolge auch nach der Corona-Pandemie von zu Hause aus arbeiten. 55 Prozent der berufstätigen Internetnutzerinnen und -nutzer wollen künftig mindestens ab und zu ihren Job von daheim aus erledigen, wie die jüngste repräsentative Befragung des Bayerischen Forschungsinstituts für Digitale Transformation (bidt) der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (BADW) laut Mitteilung vom 15. Juni ergab. Im Mai befand sich jeder zweite Beschäftigte mindestens gelegentlich im Homeoffice. Damit sei die Nutzung weiter gestiegen.
Für Arbeitgeber könnten Homeoffice-Angebote den Angaben zufolge im Wettbewerb um knappe Fachkräfte zum Wettbewerbsfaktor werden. 72 Prozent aller Berufstätigen, deren Tätigkeit Homeoffice prinzipiell zulässt, sahen Homeoffice bei der künftigen Wahl einer Arbeitsstelle als wichtig an. Auch die Sicht der Arbeitgeber auf das Homeoffice hat sich der Umfrage zufolge verbessert: 80 Prozent der Arbeitnehmer gaben an, dass ihr Arbeitgeber Homeoffice infolge der Corona-Pandemie positiver sieht als zuvor.
Befragt wurden den Angaben nach 1.559 erwachsene berufstätige Internetnutzerinnen und -nutzer. Diese Befragung ergänzt die drei im März 2020, im Juni 2020 sowie im Februar 2021 durchgeführten Interviews zum Thema Homeoffice des bidt und erlaubt Analysen im Zeitverlauf der Pandemie.
Brüssel, Luxemburg (epd). Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat sich für eine Reform der europäischen Gesundheitsbehörden ausgesprochen. „Wir wollen eine Gesundheitsunion auch mit starken Gesundheitsbehörden“, sagte Spahn am 14. Juni vor einem EU-Gesundheitsministerrat in Luxemburg. Dafür sei eine Reform „des europäischen Robert Koch-Institutes, sehr sehr wichtig“, erklärte Spahn mit Blick auf das Europäische Zentrum zur Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC) in Stockholm und unter Anspielung auf das deutsche nationale Institut in Berlin.
Das ECDC solle über mehr Personal und Geld verfügen „aber vor allem auch mehr Möglichkeiten, Informationen zusammenzuführen, auszuwerten“ sowie wissenschaftlichen Rat zu geben. Dies sei gerade für kleinere EU-Länder ohne eigene nationale Institute wichtig. Das ECDC ist die Stelle, die zum Beispiel die Karten mit den Corona-Risikogebieten in Europa erstellt. Spahn drang zudem auf eine Reform der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) in Amsterdam, die die Zulassung der Corona-Impfstoffe empfiehlt. In der Pandemie habe sich gezeigt, wie wichtig Schnelligkeit bei deren Aufgaben sei.
Laatzen, Reg. Hannover (epd). Eigentlich wollte Sandra Strüber nur noch ihr Hab und Gut aus der Wohnung ihres Ex-Partners Tobias H. abholen. Doch dann standen ihr sieben Polizisten mit Durchsuchungsbefehl und Schlagstöcken gegenüber. Sie fragten, wer sie sei und wo H. sich befinde. Weshalb sie ihn suchten, sagten die Beamten nicht. Unter seiner Handynummer erreichte Strüber ihn nicht mehr. Doch wenig später konnte sie sich sein Verschwinden erklären: Im Wohnungskeller fand sie säckeweise gelbe Briefe, die an sie adressiert waren. Strübers Ex-Partner hat sie in die Schulden getrieben und ist vor dreieinhalb Jahren mit seiner Tochter geflüchtet.
Die Polizei sucht ihn per internationalem Haftbefehl. Rund 75.000 Euro Schulden verursachte er auf ihren Namen. „Wie ein Häufchen Elend“ habe sie sich am Anfang gefühlt, sagt die selbstständige Veranstalterin heute. Tobias H. hatte nicht nur auf ihren Namen Verträge abgeschlossen und Waren bestellt, sondern auch Geld aus gemeinsamen Einnahmen und vom Konto des gemeinsamen Sohnes entwendet. Obwohl sie längst aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen war, wurde auch der Mietvertrag auf ihren Namen nicht gekündigt.
Tobias H. hatte ihr nur einen neuen gefälschten Vertrag mit seinem Namen zugeschickt. Erst später erfuhr Strüber von H.s Eltern, dass er kaufsüchtig ist. 17 Jahre lang betrog er professionell, mehrere Haftbefehle gegen sich konnte er ihm letzten Moment abwenden.
Mit den zahllosen Forderungen der Gläubiger war Strüber am Anfang überfordert. Langfristige und kostenlose Hilfe erhielt sie erst bei Schuldnerberaterin Sabine Taufmann. Schritt für Schritt klären beide seitdem, welche Forderungen noch offen und welche beglichen sind. Mit Gläubigern versuchen sie Kompromisse zu finden. Strüber hat sich bewusst dagegen entschieden, Privatinsolvenz anzumelden - nicht nur, damit sie weiter als Selbstständige Messen und Veranstaltungen organisieren kann: „Ich hebe doch nicht meine Hand, wenn ich es nicht war.“
Fälle wie Strübers, bei denen Menschen betrügerisch auf den Namen anderer Schulden machen, kommen laut Schuldnerberaterin Taufmann zwar immer wieder vor. Meist verbuchten Menschen aber Schulden auf ihren eigenen Namen. Um Überschuldung vorzubeugen, empfiehlt Taufmann Menschen, ein Haushaltsbuch zu führen - auch viele Banking-Apps verfügten über eine entsprechende Funktion.
Laut Deutschem Schuldneratlas waren im vergangenen Jahr rund sieben Millionen Menschen in Deutschland überschuldet - meist wegen Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Trennung. Auch wenn es also fast jeden zehnten Deutschen trifft, tabuisiere die Gesellschaft das Thema, sagt Taufmann. Der Umgang mit Geld werde oft auch nicht richtig erlernt: „Ich würde mir wünschen, dass das ein Schulfach ist.“
Das Team ihrer diakonischen Beratungsstelle aus Laatzen hält bereits Vorträge zur Schuldenprävention in Schulen. Erwachsene würden sich dagegen nicht trauen, solche Vorträge zu besuchen, vermutet sie.
Auch Strüber sagt, sie habe sich oft selbst Vorwürfe gemacht. Mehr als die Hälfte ihres Familien- und Freundeskreises habe sich von ihr abgewandt. „Ich glaube aber, es gibt nur zwei Optionen: Man kann stolz aus der Nummer rausgehen oder daran zerbrechen.“ Taufmann wirbt dafür, im Ernstfall eine Schuldnerberatung aufzusuchen. Von bezahlbaren Schulden könne jeder plötzlich in die Überschuldung gelangen. Denn Schulden belasteten nicht nur das Konto, sondern führten häufig auch in eine „große psychosoziale Notlage“. Viele Menschen würden durch Schulden krank.
Doch Strüber macht Mut: „Man kommt da wieder raus.“ Dass sie ihre Schulden nicht aus der Bahn geworfen haben, erklärt sie sich vor allem mit der Verantwortung für ihren Sohn: „Was hat der von einer gebrochenen Mutter?“ Sie wolle ein Vorbild für ihn sein. Ihr Ex-Partner sei ein professioneller Betrüger. „Wenn man sich davon entmutigen lässt, ist man tot.“
Bremen (epd). Rhythmische Beats schallen über die Hood-Anlage im Bremer Stadtteil Lüssum. Dana, Rawia, Leonad, Liloz, Justin und all die anderen, vielleicht 20 Mädchen und Jungen, klettern an den Reckstangen, hangeln, probieren Klimmzüge, laufen um die Wette. „Kommt, wir fangen gemeinsam an“, ruft Stefan Kavarov in das Gewusel. Nichts passiert. „Hey, es geht los“ wiederholt er, diesmal mit mehr Power in der Stimme - und mit Erfolg. Alle kommen zusammen, im Kreis lassen sie Kopf und Arme kreisen, schütteln die Beine aus, beugen den Oberkörper, legen kurze Spurts hin. Aufwärmen ist angesagt.
Stefan Kavarov, 21, engagiert sich als Leiter beim Hood-Training, einem schon mehrfach ausgezeichneten Projekt, das Kinder und Jugendliche mit Sport, Bildung, Kunst und Kultur unterstützt. Hier in seiner „Hood“, seinem Kiez, kennt er jede Straße und die meisten Kinder. „Ich bin im Hochhaus neben der Hood-Anlage aufgewachsen, bin vor acht Jahren mit meinen Eltern aus Bulgarien nach Lüssum gekommen“, erzählt der Modedesign-Student.
Der Stadtteil liegt am nördlichen Rand von Bremen, 13.000 Einwohner aus 41 Ländern. Früher sprachen viele von einem sozialen Brennpunkt. Heute ist es ein Schmelztiegel der Nationen, ein „Ankunftsquartier“, wie Quartiersmanagerin Heike Binne sagt. Die meisten Geflüchteten, die Bremen aufnimmt, kriegen hier ihre erste Wohnung. „Integrationsarbeit ist unsere wichtigste Aufgabe“, betont Binne. Dabei hilft das Hood-Training: Sport, der mit niedriger Corona-Inzidenz in Lüssum verlässlich an drei Abenden in der Woche angeboten wird, ohne Mitgliedschaft, kostenlos. Einfach hingehen, mitmachen.
Und die Kids machen an diesem Abend begeistert mit, flitzen im Wettbewerb Team gegen Team durch die Hood-Anlage. Die besteht vor allem aus Stangen, mal tiefer, mal höher gehängt: Übungsgeräte für Calisthenics, eine Sportart, die nicht nur Kraft bringt, sondern die Koordination ganzer Muskelgruppen trainiert. „Go, go, go“, feuert Stefan Kavarov die Kinder an, die gerade Übungen an unterschiedlichen Stationen absolvieren. „Komm, nicht aufgeben, halten, halten, halten“, macht Kavarov der elfjährigen Liloz Mut, die zusammen mit anderen an Reckstangen baumelt. Wer hält sich am längsten?
Er wolle Vorbild sein, so etwas wie ein großer Bruder, sagt Kavarov, der tatsächlich viel mehr ist als nur ein Trainer: „Wenn die Kinder Probleme haben, bin ich für sie da“, sagt er. Das klappt, der Zulauf ist riesig. Ja, Stefan sei ein echtes Vorbild, „weil er sein Leben auf die Reihe kriegt“, sagt Daniel Magel, Initiator des Hood-Trainings. Als Zwölfjähriger ist Magel mit seinen Eltern aus Kasachstan nach Deutschland gekommen, hatte eigentlich „Gold auf der Straße“ erwartet. „Alles fresh - so habe ich mir das hier vorgestellt“, erinnert sich der heute 38-Jährige.
Es kam anders: Tatsächlich landete er in Tenever, einem Quartier in Bremen, in dem Drogen, Gewalt und Kriminalität zum Alltag gehörten. „Das war ein echter Absturz“, blickt er zurück. Aber es blieb nicht dabei. Magel und seine Clique gründeten eine Initiative, die beweisen wollte, dass es in der Hood auch engagierte Jugendliche gibt, die Zeit und Lust haben, etwas auf die Beine zu stellen. „Wir hatten Hunger, wollten zeigen, was in uns steckt“, sagt Magel.
„Der Sport“, ist er überzeugt, „hat mir den Arsch gerettet.“ Klimmzüge, Liegestütz, Handstand, Aufschwünge und Barrenstütz statt Mist bauen. Hood-Training wolle die Kids von der Straße holen, auch weg von den Smartphones, vom Zocken vor dem Computer, beschreibt Magel. Mit ihm hat das Projekt nach gut zehn Jahren mittlerweile in vielen Bremer Stadtteilen, im niedersächsischen Umland und sogar in Berlin und München Fuß gefasst. Überall geht es um Orte, die benachteiligten Kindern und Jugendlichen einen Rückhalt bieten wollen, an denen Fähigkeiten entwickelt werden können. Und Gemeinschaft erlebt wird.
Das Hood-Training vermittele Werte wie Solidarität, Kameradschaft, Verlässlichkeit, meint Joachim Barloschky, der in den Anfängen des Jugendhilfeprojektes Quartiersmanager in Tenever war und ein Weggefährte für Magel blieb. „Daniel ist nah an den Jugendlichen dran, er spricht ihre Sprache und zeigt, wo es langgeht: Pass auf dich auf, denk an deinen Körper - und setze ihn fair ein.“
Magel betont, immer gehe es im Training um Respekt: „Respekt vor mir, vor meinem Team, vor meinem Trainer, vor der Gesellschaft.“ Sport als Lifestyle, coole Geräte, Präsenz auf Social-Media-Plattformen, dazu die Chance, Videos zu drehen, bei Graffiti- und Rap-Workshops mitzumachen: Das ist das Umfeld, das Kinder und Jugendliche anzieht und für das er brennt.
„Die Zeit ist zu kurz, das Leben ist zu kurz“, meint der junge Mann, der immer in Aktion ist. Ein Macher, der gerade selbst Vater geworden ist und nun in Lüssum einen dieser kleinen Erfolge miterlebt, für die sich alle beim Hood-Training so sehr einsetzen: Die elfjährige Liloz hat es geschafft, hing die längste Zeit an einer Reckstange, trotz schmerzender Muskeln. Nun ist sie die Siegerin. Mit strahlenden Augen.
Bremen (epd). Calisthenics (griechisch „schöne Kraft“) steht für einen Sport, bei dem Kraft, Ausdauer und Muskelkoordination trainiert werden. Dazu sind weder teure Geräte noch ein Sportstudio nötig. Das Training läuft meist draußen über das eigene Körpergewicht, das als Widerstand genutzt wird - an Stangen, die mal tiefer, mal höher hängen.
Vielerorts sind öffentlich zugängliche Calisthenics-Anlagen entstanden, die kostenlos genutzt werden können. Um Muskelkater und Verletzungen vorzubeugen, ist Aufwärmen vor dem Training Pflicht, mit Laufen oder Dehnen. Vier klassische Übungen:
Push Up: Die altbekannte Liegestütze. Position einnehmen, Körper in einer Linie halten, Beine sind gestreckt, Füße berühren sich. Bauch und Gesäß werden angespannt, um ein Hohlkreuz zu vermeiden. Körper hochdrücken, bis die Arme gestreckt sind. Dann Arme kontrolliert beugen. Falls die Kraft noch nicht ausreicht: Unterschenkel bis zum Knie liegen auf dem Boden auf. So den Körper hochdrücken.
Dips: Auch Barrenstütz. Der Körper wird zwischen zwei Balken oder Ringen hochgestemmt. Kontrolliert absenken.
Squats: Kniebeugen, aus dem etwa schulterbreiten Stand. Knie leicht nach außen gedrückt. Der Körperschwerpunkt ruht auf der ganzen Fußsohle. Beugen, bis das Hüftgelenk etwas tiefer liegt als das Knie. Dann wieder hoch. Die Beine sind in der Endposition nicht komplett durchgestreckt, um die Muskelspannung zu halten und das Kniegelenk zu schonen.
Pull Ups: Klimmzüge, bei denen der Körper an einer Stange hochgezogen und langsam wieder herabgelassen wird. Stange schulterbreit greifen, Beine gestreckt und zusammen, Körper unter Spannung halten. Gestreckten Körper nach oben ziehen, bis mindestens das Kinn über der Stange ist. Körper wieder kontrolliert senken, nicht in die Schultern fallen lassen.
Berlin (epd). Eine Mehrheit der Menschen in Deutschland ist laut einer Umfrage im Auftrag der Diakonie gegen eine stärkere Aufnahme von Flüchtlingen. Auf die Frage, ob Deutschland angesichts steigender Flüchtlingszahlen weltweit mehr Schutzsuchende aufnehmen sollte, antwortete weniger als ein Drittel der Befragten (28 Prozent) mit Ja, 62,5 Prozent der Befragten antworteten mit Nein, wie aus den am 17. Juni in Berlin vorgestellten Ergebnissen hervorgeht. Der evangelische Wohlfahrtsverband macht für das Meinungsklima die Politik mitverantwortlich.
Die Diakonie fordert, auf die Skepsis einzugehen und zugleich die humanitären Verpflichtungen weiter ernst zu nehmen. Benötigt werde eine Politik des „Sowohl-als-auch“, sagte Diakonie-Präsident Ulrich Lilie.
Auch auf die Integration blicken die Menschen der Umfrage zufolge skeptisch. Auf die Frage, ob die in den vergangenen zehn Jahren angekommenen Flüchtlinge gut in Deutschland angekommen sind, antworteten 12,5 Prozent mit Ja, die Mehrheit von knapp 58 Prozent mit Nein. 28 Prozent antworteten mit „teils, teils“, der Rest mit „weiß nicht“. Für die Umfrage befragte das Institut Civey den Angaben zufolge Anfang Juni rund 5.000 Menschen.
Lilie sagte, dass ihn die Ergebnisse zwar nicht überrascht, aber ernüchtert hätten. Ganz offensichtlich würden die Aufnahme und Integration von Flüchtlingen in Deutschland nicht als Erfolgsgeschichte wahrgenommen. Er kritisierte die zunehmende Abschottung der EU und ihrer Mitgliedsländer gegenüber Geflüchteten und machte diese Politik mitverantwortlich für das Meinungsklima. Zudem bemängelte er, die Bevölkerung sei politisch nicht gut vorbereitet worden, auf das, was jetzt Realität sei, „dass Deutschland ein Einwanderungsland ist“.
Zudem forderte Lilie, Integration stärker mit der Bildungs- und Sozialpolitik zusammenzudenken. „Wer sich sozial bedroht fühlt, keine Perspektive für sich und seine Kinder sieht, am oder unter dem Existenzminimum lebt, macht innerlich schneller dicht - auch gegenüber Geflüchteten“, sagte der Diakonie-Präsident. Nach seinen Worten lehnen Menschen mit geringerer Bildung, die älter sind und auf dem Land wohnen, eine Aufnahme von mehr Flüchtlingen eher ab als gut Gebildete, Jüngere, gut situierte Menschen in den Städten.
Lilie sprach sich dafür aus, auf Skeptiker der Aufnahme von Flüchtlingen zuzugehen und gleichzeitig über Fakten zu reden. Gelungene Beispiele von Integration müssten mehr erzählt werden, forderte er. An den Forderungen an die Flüchtlingspolitik hält die Diakonie fest. Dazu gehören eine weitere Aufnahme von Flüchtlingen, ein Abschiebestopp in Krisenländer wie Afghanistan und die Ermöglichung von Familiennachzug, wie Lilie erklärte: „Die Aufnahme weiterer Flüchtlinge bleibt eine der vornehmsten Aufgaben für eines der reichsten Länder.“
Berlin (epd). Die Auswirkungen der Corona-Pandemie haben auch die Kurkliniken für Mütter und Väter getroffen. Sie brauchen nach Angaben des Müttergenesungswerk (MGW) weiterhin finanzielle Unterstützung. Die Kuratoriumsvorsitzende und SPD-Bundestagsabgeordnete Svenja Stadler forderte am 15. Juni bei der virtuellen Jahrespressekonferenz eine Verlängerung des Corona-Rettungsschirms bis mindestens Ende des Jahres. Er ist bisher bis zum 15. Juni befristet.
Die Kliniken erhalten über den Rettungsschirm für jeden frei bleibenden Kurplatz 50 Prozent der ausfallenden Einnahmen. Zwar sind nach einem Belegungseinbruch und monatelangen Schließungen im Corona-Jahr 2020 die Kliniken nach MGW-Angaben wieder zu 70 bis 90 Prozent belegt. Doch könnten nur Kliniken, die zu 95 Prozent ausgelastet sind, wirtschaftlich arbeiten, sagte MGW-Geschäftsführerin Anne Schilling.
Die Rücklagen seien aufgebraucht, das Risiko finanzieller Einbußen sei indes weiterhin hoch. Mütter, Väter und Kinder seien in aller Regel noch nicht geimpft. In den Kliniken sei die Lage weiterhin angespannt. Sie arbeiteten unter Corona-Bedingungen und müssten bei Positiv-Testungen jederzeit damit rechnen, Teile schließen zu müssen. Schilling warnte: „Viele Kliniken sind in Existenznot.“ Zugleich stiegen die Nachfragen nach Kuren in den Beratungsstellen und Kliniken, die Wartezeiten verlängerten sich.
Dem Corona-Datenreport des MGW zufolge waren die 73 MGW-Kurkliniken im Jahresdurchschnitt 2020 zu 57 Prozent belegt, im Jahr 2019 waren es 95 Prozent - ein Einbruch um mehr als ein Drittel. 40 Prozent bereits bewilligter Kuren wurden kurzfristig abgesagt, fast immer von Müttern, die ihre eigenen Bedürfnisse angesichts der Situation ihrer Kinder im vergangenen Jahr zurückstellten. Statt 47.000 (2019) fuhren nur 31.000 (2020) Mütter zur Kur - bei den Vätern war der Rückgang laut MGW-Zahlen deutlich geringer.
82 Prozent der kurenden Mütter litten an Erschöpfungszuständen bis hin zum Burn-Out. Als schlimmste Belastung nennen mehr als 70 Prozent den ständigen Zeitdruck und mehr als die Hälfte die berufliche Belastung neben der Familie. Zugenommen haben im Corona-Jahr laut MGW auch Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern.
In den vom Müttergenesungswerk anerkannten Kliniken gemeinnütziger Träger können Mütter und Väter mit oder ohne ihre Kinder Vorsorgekuren machen. Bundesweit helfen mehr als 1.000 Beratungsstellen bei der Antragstellung und dabei, gegen eine Ablehnung der Krankenkasse Widerspruch einzulegen.
Berlin (epd). Corinna Rüffer, Sprecherin für Behindertenpolitik der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, hat die Kompensation von Lohnkürzungen in den Behindertenwerkstätten durch die staatliche Ausgleichsgabe scharf kritisiert. Es sei ein „Unding“, dass die Gelder für diesen Zweck verwendet werden, sagte die Politikerin in Berlin. Durch den Ausgleich fehlten Mittel, die die Teilhabe am allgemeinen Arbeitsmarkt fördern sollen. Stattdessen gingen die Zahlungen an ein System, „das so gut wie nichts dazu beiträgt, dass behinderte Menschen den Übergang auf den allgemeinen Arbeitsmarkt schaffen.“
Rüffer beruft sich dabei auf eine Antwort der Bundesregierung auf eine schriftliche Anfrage der Grünen-Fraktion. Der Bund hat demnach im Jahr 2020 auf die Hälfte seines Anteils aus der Ausgleichsabgabe verzichtet. Zudem sei geregelt worden, dass die Integrationsämter die zusätzlichen Gelder zielgerichtet dafür nutzen können, die Lohneinbußen in den Werkstätten auszugleichen. Dafür habe den Ländern 58,3 Millionen Euro zur Verfügung gestanden. Am 30. Juni werde der Bund den Ländern erneut die Hälfte seines Anteils an den Geldern überlassen, die aus der Ausgleichsabgabe stammen.
Natürlich müssten Werkstattbeschäftigte, deren Entgelt aufgrund der Pandemie gekürzt wurde, Ausgleichszahlungen erhalten, sagte Rüffer. „Die Kürzung des sowieso schon viel zu geringen Werkstattlohns, ist für die Betroffenen eine enorme Belastung.“ Die Bundesregierung hätte aber genug Zeit gehabt, sich eine Lösung zu überlegen, „die nicht zu Lasten einer inklusiven Teilhabe an Arbeit geht“. Im Frühjahr hatten sich die Grünen dafür ausgesprochen, die entgangenen Löhne aus Steuermitteln zu finanzieren.
In Unternehmen mit mehr als 20 Beschäftigten, gilt eine Pflichtquote für die Beschäftigung Schwerbehinderter. Diese liegt bei fünf Prozent. Wenn Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber nicht so viele schwerbehinderte Menschen beschäftigen wie vorgeschrieben, müssen sie für jeden dieser unbesetzten Pflichtarbeitsplätze eine Ausgleichsabgabe zahlen. Die Höhe dieser Abgabe liegt zwischen 125 Euro und 320 Euro und hängt davon ab, zu welchem Grad die Unternehmen die Quote verfehlen. Erleichterungen bei den Zahlungen gibt es für kleinere Betriebe und Dienststellen.
Insgesamt 20 Prozent leiten die Ämter an den Ausgleichsfonds des Bundesarbeitsministeriums weiter. Das Ministerium finanziert so Vorhaben und Projekte zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben. Außerdem erhält die Bundesagentur für Arbeit aus diesem Fonds Gelder zur besonderen Förderung der Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben.
Entscheidend sei, so betont Martin Berg, dass die Entgelte in den Einrichtungen finanziell vom Staat abgesichert werden. Denn die Einbußen der Mitarbeiter seien groß, wie eine Umfrage ergeben habe. Dennoch sagt Berg, auch eine Kompensation durch Steuergelder, wie sie die Grünen fordern, sei möglich gewesen. Die Fragen stellte Jana-Sophie Brüntjen.
epd sozial: Die Grünen haben kritisiert, dass Gelder aus der Ausgleichsabgabe zur Kompensation von Lohneinbußen in Werkstätten fließen. Wie sehen Sie das?
Martin Berg: Die BAG WfbM begrüßt ausdrücklich, dass die Werkstattentgelte auch im zweiten Krisenjahr gesichert sind. Denn eine kürzlich von der BAG WfbM durchgeführte Umfrage unter den Mitgliedern zeigt deutlich, dass Werkstätten für behinderte Menschen nach wie vor von den Auswirkungen der Coronavirus-Krise betroffen sind. Ähnlich wie in zwei vorangegangenen Umfragen gaben auch im Mai 2021 knapp 80 Prozent der Umfrageteilnehmer an, dass das Arbeitsentgelt der Beschäftigten Menschen mit Behinderungen in voller Höhe weiterbezahlt wird. Zwölf Prozent davon gaben jedoch an, dass Kürzungen absehbar seien. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass perspektivisch über 30 Prozent der Beschäftigten in Werkstätten von Entgeltkürzungen betroffen sein werden. Die Option Kurzarbeitergeld für Werkstattbeschäftigte besteht damit nicht. Insofern ist es folgerichtig, die Werkstattentgelte der Beschäftigten in Krisenzeiten über andere Mittel zu sichern.
epd: Hätten Sie, wie zuvor bereits von den Grünen gefordert, eine Kompensation durch Steuergelder sinnvoller gefunden?
Berg: Um die Arbeitsentgelte für die Beschäftigen für die Dauer der Pandemie zu sichern, hat die Bundesregierung im Jahr 2020 und 2021 den Integrationsämtern zusätzliche Mittel aus der Ausgleichsabgabe zur Verfügung gestellt. Die Integrationsämter entscheiden in eigener Verantwortung über die erforderliche Höhe der Leistungen und auch über die Art und den Umfang der erforderlichen Nachweise, die von den Werkstätten zur Begründung ihrer Anträge vorzulegen sind. Diese Regelung soll nun auch im Jahr 2021 fortgeführt werden. Eine kurzfristige Kompensation durch Steuergelder wäre aus Sicht der BAG WfbM ebenso denkbar gewesen. Wichtig ist, dass die Menschen mit Behinderungen nicht auch noch finanziell zu den Verlierern der Krise gehören.
epd: Lässt sich bereits absehen, wie viel Geld nötig sein wird, um die gesunkenen Löhne auszugleichen?
Berg: Nein, das ist nicht nicht möglich. Wie hoch die Ausgleichszahlungen tatsächlich sein werden, hängt unter anderem von der weiteren Entwicklung der Pandemie und der allgemeinen wirtschaftlichen Lage ab.
Geschäftsführerin Heike Herold begrüßt das Vorhaben, die Finanzierung der Einrichtungen bundesweit abzusichern. Auch wenn das zunächst nur eine Absichtserklärung ist. Wichtig sei, so Herold, dass die Forderung nach einem Rechtsanspruch auf einen Platz in einer Schutzeinrichtung weiter erhoben werde. Und der Runde Tisch müsse auch nach der Bundestagswahl weiter zusammenkommen.
epd sozial: Die Arbeit der Frauenhäuser in soll künftig per Bundesgesetz finanziell abgesichert werden. Das hat jüngst der Runde Tisch „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“, festgelegt, an an dem Bund, Länder und Kommunen-Vertretungen teilgenommen haben. Der ganz große Wurf ist nicht gelungen. Sie hatten mehr erwartet.
Heike Herold: Ja, das stimmt. Aber es ist ein erster wichtiger Schritt in die richtige Richtung gemacht worden. Denn wir müssen endlich zu einer sicheren Finanzierung von Frauenhäusern und Beratungsstellen kommen, und das bundesweit. Unsere Forderung, dass alle drei staatlichen Ebenen Beteiligten an einem Tisch sitzen müssen, ist erfüllt worden, auch wenn das sehr lange gedauert hat.
epd: Aber der erhoffte Rechtsanspruch kommt nun erst einmal nicht, und auch die Finanzierungsfragen sind noch gelöst. Ist das nicht nur eine Absichtserklärung?
Herold: Stimmt. Die Ergebnisse sind noch nicht so weitreichend, wie wir uns das gewünscht hätten. Aber immerhin ist der Dialog über zwei Jahre geführt worden, das ist schon mal gut so. Klar ist aber auch, dass der Rechtsanspruch unbedingt auch kommende Legislaturperiode auf der Tagesordnung bleiben muss. Und man muss auch klar sagen, dass auch in Sachen Finanzierung nichts gesichert ist. Es ist eine Absichtserklärung, dass sich mit einem Bundesgesetz beschäftigt wird, um die Einrichtungen und die Beratungsstellen verlässlicher zu finanzieren. Mehr ist das derzeit nicht. Wir reden hier nur über eine Einigung von Bund, Ländern und Kommunen, dass es eine Regelung geben soll, wie immer die dann auch aussieht.
epd: Also immerhin ein Anfang?
Herold: Ja, aber das ist noch ein langer Prozess. Wenn es seitens der nächsten Regierung, wer immer auch daran beteiligt ist, gelingt, ein solches Gesetz auf den Weg zu bringen, dass wäre das schon ein wichtiges Zeichen, nicht nur des guten Willens, sondern auch wegen der Erkenntnis, dass endlich was geschehen muss in Sachen Gewaltschutz für Frauen. Wir hoffen sehr, dass der Runde Tisch auch unter einer neuen Bundesregierung seine Arbeit fortsetzt, damit weiter an diesem Gesetz gearbeitet wird. Denn das Grundproblem von zu wenigen Frauenhäusern und der unsicheren Finanzierung ist nicht gelöst.
epd: Warum ist der Bund hier eigentlich gefordert? Die Frauenhausfinanzierung ist doch allein Sache der Länder und Kommunen?
Herold: Ja. Aber es gibt eine Besonderheit bei den Frauenhäusern. Sie müssen bundesweit zugänglich sein. So muss etwa eine Frau aus Bayern auch nach Schleswig-Holstein flüchten können. Die Regelungen dazu, vor allem was Abrechnungsfragen angeht, sind äußerst kompliziert. Das sind Dinge, die zum Teil gar nicht funktionieren. Da gibt es häufig Streit, wer die Kosten tragen muss. Und der wird auf dem Rücken der betroffenen Frauen ausgetragen, denen womöglich die Aufnahme verweigert wird. Das geht überhaupt nicht. Wir haben 360 Frauenhäuser und wohl auch 360 Finanzierungsmodelle. Das müsste sich ändern, und das will der Bund ja offenbar auch angehen.
epd: *Wie könnte die Finanzierung dann künftig aussehen?
Herold: Da gibt es bereits Überlegungen. Meines Wissens denkt das Bundesfamilienministerium über eine gesetzliche Regelung in den Sozialgesetzbüchern nach. Denn da hat der Bund die Regelungsbefugnis, wie zum Beispiel beim SGB VIII für die Kinder- und Jugendhilfe. Finanzieren müssen die Einrichtungen aber nach der föderalen Zuständigkeit Länder und Kommunen, aber, weil das ein zustimmungspflichtiges Gesetz ist, werden Länder und Kommunen vom Bund Transferzusagen erwirken. Die Vorgehensweise hat sich schon beim Runden Tisch abgezeichnet. Also wird es wohl zu einer Kostenteilung auf drei Ebenen kommen.
epd: Kommen wir noch mal auf den Rechtsanspruch zurück, der ja nun erst mal nicht kommt. Warum ist der Ihnen so wichtig?
Herold: Das wäre ein sehr starkes Signal, der die Finanzierung als Pflichtaufgabe festschreibt. Deutlich ist schon jetzt, dass gegen diese Verpflichtung in einigen Ländern und kommunalen Spitzenverbänden Vorbehalte gibt. Der Rechtsanspruch bleibt also eine große Hürde. Denn klar ist auch: Wenn es ein Recht auf Aufnahme in einem Frauenhaus gibt, müssten die Kapazitäten deutlich erhöht werden. Zusätzlich bräuchte es eine tragfähige Sozialplanung und Bedarfsermittlung.
epd: Seit Jahren sind die Probleme bei der Finanzierung von Frauenhäusern bekannt, auch, dass es zu wenige Plätze gibt. Warum tut sich die Politik so schwer, hier mal einen großen Schritt nach vorne zu kommen?
Herold: Hier wirkt sicher noch nach, dass das Thema Gewalt gegen Frauen über lange Zeit als ein marginales abgetan wurde, nach dem Motto: Das sind nicht mehr als bedauerliche Einzelfälle. Diese Haltung ist stark verankert. Aus einzelnen Landkreisen ist immer mal wieder zu hören: „…bei uns sind die Menschen vernünftig, hier gibt es keine häusliche Gewalt.“ Da fehlen mir die Worte. Und: Wir sind mit Frauenhäusern und Fachberatungsstellen bei Gewalt gegen Frauen nach über 40 Jahren Arbeit immer noch nicht in der Regelfinanzierung, wie in anderen Feldern der Sozialarbeit längst selbstverständlich, angekommen. Länder und Kommunen haben auch immer die Kosten im Auge. Richtig Schwung kam erst in die Politik mit der Unterzeichnung der Istanbul-Konvention, die 2018 in Deutschland in Kraft trat. Die Mühlen mahlen hier leider sehr langsam.
epd: Kommt denn der Aufbau weitere Plätze zumindest langsam voran. Was sagen die Zahlen aus den letzten Jahren?
Herold: Ja, es gibt diesen Trend. Aber er ist nicht in allen Bundesländern zu sehen. Die Situation ist regional sehr unterschiedlich. Es gibt punktuell Verbesserungen in einigen Bundesländern. Hamburg hat zum Beispiel ein neues Frauenhaus eingerichtet. Aber unter dem Strich gesehen gibt es keinen großen flächendeckenden Ausbau der Frauenhäuser, so dass wir weiter eine Riesenlücke an Plätzen haben. 2012 gab es eine Bestandsaufnahme. Damals waren es bundesweit 6.800 Plätze für Frauen und Kinder. Gebraucht werden aber insgesamt 21.000 gemäß der Empfehlung der Istanbul-Konvention.
epd: Die FDP hat sich gegen einen Rechtsanspruch ausgesprochen. Ihre Begründung: Auch wenn es möglich wäre, würde keine Frau vor Gericht ziehen. Das sei unrealistisch. Wie ist diese Sichtweise einzuschätzen?
Herold: Ich kann das auch nicht erklären, da müsste die FDP befragt werden. Ich sehe es als eine schwierige Argumentation gegen die Erweiterung der Rechte von Frauen auf Schutz und Unterstützung. Es wird sicher nicht der Regelfall sein wird, dass die Frauen selbst ihren Rechtsanspruch vor Gericht ihren Anspruch erstreiten. Schon weil das in akuten Notsituationen die Frauen hoch belastet sind und es schlicht zu lange dauert. Aber die Signalwirkung eines Rechtsanspruchs sollte nicht unterschätzt werden.
Der Gesetzentwurf ist ein wichtiger Schritt hin zu mehr Bildungsgerechtigkeit in Deutschland. Gleichzeitig muss der Gesetzentwurf in einigen Punkten dringend nachgebessert werden. Für einen langfristigen Erfolg sind sowohl mehr Finanzmittel als auch umfangreichere andere Maßnahmen notwendig.
Der Gesetzentwurf sieht einen Betreuungsumfang von acht Stunden an fünf Werktagen vor. Zusätzlich sollen die Kinder auch während der Schulferien betreut werden können. Maximal vier Schulferienwochen müssen die Eltern selbst abdecken.
Bedarf sollte Betreuungsumfang bestimmen
Der Entwurf ist ein guter Schritt in die richtige Richtung. Allerdings fordern wir, dass der Betreuungsumfang sich stärker am Bedarf der Eltern ausrichtet. Die Erfahrung aus unserer Praxis zeigt, dass vor allem in Vollzeit berufstätige Eltern einen deutlich höheren Betreuungsbedarf haben. Besonders für Alleinerziehende bringt ein höherer Betreuungsumfang eine deutliche Entlastung. Aber auch andere Eltern, beispielsweise diejenigen, die im Schichtbetrieb arbeiten wie Pflegekräfte, brauchen ein verlässliches und auf ihren Bedarf zugeschnittenes Betreuungsangebot.
Der DJI Kinderbetreuungsreport 20201 gibt an, dass 17 Prozent aller Eltern von Grundschulkindern Betreuungsbedarfe haben, die bisher nicht gedeckt sind. Wenn wir davon ausgehen, dass diese Eltern nur ein Kind in der Grundschule haben, sind das schon 476.000 Kinder, die keinen oder einen zeitlich nicht ausreichenden Betreuungsplatz haben. Tatsächlich sind es bestimmt mehr. Ein Zustand, der weder für die Eltern und schon gar nicht für die Kinder hinnehmbar ist.
Bildung gelingt, wenn sie gut ist. Eltern erwarten von der Betreuung vor allem - so der DJI Kinderbetreuungsreport 2020 -, dass die Kinder mit gleichaltrigen zusammen sind, die Selbstständigkeit gefördert wird, eine verlässliche Hausaufgabenbetreuung und schulische Unterstützung erfolgt. Und es gibt sogar Kinder, die sich eine Betreuung wünschen.
Schulpädagogische und erziehungspädagogische Einheiten
Bildungsgerechtigkeit herzustellen, bedeutet pädagogisch wertvolle Angebote durch ausgebildete Fachkräfte, um die Kinder tatsächlich zu fördern und nicht nur zu beschäftigen. Deshalb ist es wichtig, dass die außerunterrichtliche Betreuungszeit schulpädagogische und erziehungspädagogische Einheiten enthält.
Die Qualität der Fachkräfte kann sich jedoch nur entfalten und den Kindern zugutekommen, wenn der Betreuungsschlüssel entsprechend angepasst ist. Das heißt, dass in den Betreuungsgruppen möglichst Kinder derselben Jahrgangsstufe betreut werden. In den Randzeiten der Betreuung kann das Angebot altersmäßig gelockert werden.
In einer Studie der Bertelsmann Stiftung zu den Kosten der Ganztagsgrundschule von 2019 gehen die Autoren von einem Betreuungsschlüssel von zehn Kindern pro Vollzeiterzieherin oder -erzieher aus und 20 Kindern pro Vollzeitlehrkraft. Diesem Betreuungsschlüssen schließen wir uns an. Bildung für Kinder muss kostenlos sein, damit jedes Kind die gleichen Chancen hat.
Eine Krux für private Bildungsträger
Aber: Die kostenlose Bildung ist für uns als privater Bildungsträger leider eine Krux. Wir arbeiten daran, dass künftig alle Bildungsangebote kostenlos werden. Dafür bedarf es einer ausreichenden Refinanzierung der Leistungen privater Schulträger. Hier gibt es leider noch eine große Deckungslücke, sodass Schulträger auf Schulgebühren angewiesen sind.
Die bereits genannte Studie der Bertelsmann Stiftung beziffert die Personalkosten für das zusätzliche Ganztagsbetreuungsangebot im Umfang von 8 Stunden am Tag an fünf Werktagen für das Jahr 2025 auf mindestens 5,3 Mrd. Euro für Länder und Kommunen. Der Städtetag, Gemeindetag und Landkreistag in Baden-Württemberg kommen auf Kosten allein für die Kommunen in ganz Deutschland auf mindestens 4,45 Milliarden Euro.
Es ist eine Herausforderung, das Recht auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder umzusetzen. Denn auch die zusätzlichen Lehr- und Erziehungskräfte müssen ausgebildet und gefunden werden. Eine Herausforderung, die unsere Gesellschaft mittragen sollte. Denn Kinder sind die Zukunft eines Landes. Nur gut ausgebildete Menschen können ein Land weiterentwickeln und so zum Wohlstand aller beitragen. Deshalb ist es so wichtig, dass alle Kinder eine Chance auf die Bildung und Betreuung bekommen, die sie brauchen - unabhängig vom Einkommen der Eltern.
Das Thema Ganztagsbetreuung geht uns alle an. Denn es ist ein Teil im gesellschaftlich so wichtigen Baustein Bildungsgerechtigkeit. Dafür setzen wir uns ein. Dafür brauchen wir jedoch Bund, Länder und Kommunen.
Dortmund (epd). Die Bank für Kirche und Diakonie (KD-Bank) sieht sich trotz der Folgen der Corona-Krise für die Wirtschaft weiterhin auf einem guten Kurs. Für das laufende Geschäftsjahr geht das Kreditinstitut mit Sitz in Dortmund von einer gegenüber 2020 „stetigen Entwicklung“ aus, wie der Vorstandsvorsitzende Ekkehard Thiesler am 16. Juni auf der Generalversammlung berichtete.
Als Wachstumstreiber macht Thiesler vor allem das Geschäft mit nachhaltigen Geldanlagen aus, die „stärker denn je“ nachgefragt würden und zukunftsfähiger als andere Investments seien. Allein in Deutschland habe sich die Anzahl nachhaltiger Fonds seit Jahresanfang verdoppelt. Die KD-Bank sieht sich in diesem Anlagesegment als Vorreiter, der „immer mehr“ gehört werde: „Bei uns ist Nachhaltigkeit keine Marketingstrategie, sondern Bestandteil unserer DNA. Wir treten mit unserem gesamten Bankgeschäft für die Bewahrung der Schöpfung ein.“
Für die Gestaltung einer nachhaltigen und besseren Zukunft komme dem gesamten Finanzmarkt mit seinen Entscheidungen große Bedeutung zu, machte Thiesler deutlich. Bei allen Investitionsentscheidungen sollten Kapitalanleger an künftige Generationen denken und sich die Frage stellen, was sie für eine bessere Zukunft tun könnten: „Kinder und Jugendliche sind unsere Zukunft. Sie müssen aber auch eine haben.“
Vor diesem Hintergrund ging die KD-Bank jüngst in Kooperation mit der Kindernothilfe neue Wege und legte den sogenannten Kinderzukunftsfonds auf. Er ist den Angaben zufolge der erste deutsche Publikumsfonds, der bei der Auswahl der Investitionen neben einer nachhaltigen Unternehmenskultur auch auf die Achtung der Rechte von Kindern achtet. Ausschlusskriterien sind nachweisliche Kinderarbeit, Menschen- und Arbeitsrechtsverletzungen sowie Umweltzerstörung. Der Schwerpunkt der Investitionen liegt auf Unternehmen, die Bedingungen für eine bessere Zukunft von Kindern schaffen.
Im zurückliegenden Geschäftsjahr 2020 konnte die KD-Bank ihre Bilanzsumme um 17 Prozent auf 6,8 Milliarden Euro verbessern. Für 2021 wird erneut ein kräftiges Plus von 16 Prozent auf 7,9 Milliarden Euro erwartet. Im Kreditgeschäft sagte das Institut 2020 neue Darlehen in Höhe von 2,2 Milliarden Euro zu - 15 Prozent mehr als 2019. In diesem Jahr wird ein Anstieg um neun Prozent auf 2,4 Milliarden Euro erwartet. Finanziert wurden unter anderem Projekte für bezahlbaren Wohnraum, Einrichtungen für ältere Menschen und Gesundheit. Der Jahresüberschuss legte 2020 um 7,4 Prozent auf 9,9 Millionen Euro zu.
Die KD-Bank ist eine Genossenschaftsbank und gehört Kirche und Diakonie. Mit rund 4.200 Mitgliedern zählt sie nach eigenen Angaben zu den größten Kirchenbanken Deutschlands. Repräsentanten aus Kirche und Diakonie wirken im Aufsichtsrat und Beirat mit. Zu den Kunden gehören die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) mit ihren Landeskirchen, kirchliche Einrichtungen, Stiftungen und Freikirchen. Hinzu kommen soziale Unternehmen wie Krankenhäuser, Hospize, Pflegedienste, Behindertenwerkstätten und Kindertagesstätten. Aus dem Bilanzgewinn in Höhe des Jahresüberschusses gab es für 2020 eine Ausschüttung von 2,1 Millionen Euro an die Teilhaber.
Oldenburg, Lüneburg, Berlin (epd). Zwei Projekte aus Niedersachsen erhalten in diesem Jahr den bundesweiten „Preis für digitales Miteinander“. Das „Bümmersteder Seniorenbüro“ der evangelischen Kirchengemeinde Oldenburg-Osternburg und der „Mitwirk-O-Mat“ der Initiative Lebendiges Lüneburg und der Ehrenamtskoordination der Stadt Gütersloh erhalten die mit jeweils 10.000 Euro dotierte Auszeichnung, wie die Initiatoren des Digitaltages am 16. Juni in Berlin mitteilten. Der bundesweite Aktionstag für digitale Teilhabe wird am 18. Juni zum zweiten Mal begangen. Um die Ehrung hatten sich mehr als 300 Gruppen aus ganz Deutschland beworben.
Das „Bümmersteder Seniorenbüro“ siegte den Angaben zufolge in der Kategorie „Digitale Teilhabe“. Das generationenübergreifende Projekt bringe junge Freiwillige mit älteren Menschen mit wenigen oder keinen digitalen Kompetenzen zusammen. So könnten sich Seniorinnen und Senioren, selbstbestimmter in der digitalen Welt bewegen. Im engen Austausch würden Kenntnisse über Videotelefonie, das Schreiben von E-Mails oder das Hören von Musik erarbeitet.
Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, lobte als Jurymitglied das Projekt. „In der Corona-Pandemie ist die gesellschaftliche Teilhabe gerade für ältere Menschen drastisch eingeschränkt worden. Das Bümmersteder Seniorenbüro hat darauf schnell und unbürokratisch eine Antwort gefunden.“
In der Kategorie „Digitales Engagement“ ging der Preis an den „Mitwirk-O-Mat“ der Initiative Lebendiges Lüneburg und der Ehrenamtskoordination der Stadt Gütersloh, hieß es. Die Web-Anwendung zeige nach 20 Fragen den Interessierten, welche der zahlreichen lokalen Initiativen am besten zu ihnen für ein Ehrenamt oder ein Engagement passt. Über die Anwendung könnten weitere Vorschläge verglichen oder direkt Kontakt aufgenommen werden.
Trägerin des Digitaltags ist die Initiative „Digital für alle“, in der eigenen Angaben zufolge 27 Organisationen aus den Bereichen Zivilgesellschaft, Kultur, Wissenschaft, Wirtschaft, Wohlfahrt und öffentliche Hand versammelt sind.
Stuttgart (epd). Der Paritätische in Baden-Württemberg hat ein Recht auf kostenfreie Schuldnerberatung gefordert. Der Wohlfahrtsverband reagierte damit am 16. Juni auf den neuen „Schuldenatlas“, wonach im Südwesten rund 750.000 Menschen über 18 Jahren überschuldet sind. Sabine Oswald vom „Paritätischen“ wies darauf hin, dass infolge der Corona-Pandemie mehr Menschen aus der Mittelschicht betroffen seien. Nicht selten leide unter einer Überschuldung das ganze Familienleben und soziale Umfeld.
Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) teilte mit, das Land habe in den Jahren 2019 und 2020 rund 3,6 Millionen Euro für Fallpauschalen in kommunalen und freigemeinnützigen Schuldnerberatungsstellen ausgegeben. Diese Pauschalen würden nun um zehn Prozent erhöht. Lucha sieht in den Beratungsstellen nach eigenen Worten „einen wichtigen Beitrag zur Armutsbekämpfung“.
In den beiden vergangenen Jahren hätten mehr als 7.700 Schuldner das außergerichtliche Einigungsverfahren der Beratungsstellen in Anspruch genommen, hieß es weiter. Vielen Beratenen seien durch einen Vergleich ein mehrjähriges Verfahren bis zur Entschuldung sowie Verfahrenskosten erspart geblieben.
Luxemburg (epd). Deutschland darf beim Gewähren internationalen Flüchtlingsschutzes nicht zu strenge Maßstäbe ansetzen und drohende Gefahren von Flüchtlingen bei einer Abschiebung in deren Herkunftsland ausblenden. Ob sie bei einer Rückkehr „willkürliche Gewalt im Rahmen eines bewaffneten Konflikts“ fürchten müssen, darf nicht allein von einer Mindestzahl an zivilen Opfern abhängig gemacht werden, urteilte am 10. Juni der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg. Dieses deutsche Vorgehen verstoße gegen EU-Recht. Erforderlich sei vielmehr eine Gesamtwürdigung des Gewaltniveaus in dem Herkunftsland.
Wird ein Asylantrag von Flüchtlingen abgelehnt, ist nach deutschem und EU-Recht eine Abschiebung dennoch verboten, wenn Leib und Leben Betroffener bedroht sind - etwa wegen drohender Todesstrafe oder Folter. Auch bei „willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaffneten Konflikts“ kann demnach eine Abschiebung verboten sein. Flüchtlingen steht dann sogenannter subsidiärer Schutz zu. Dieser ist - anders als bei einer regulären Flüchtlingsanerkennung - allerdings mit Einschränkungen beim Recht auf Familiennachzug verbunden.
Im aktuellen Rechtsstreit waren die beiden Kläger aus der afghanischen Provinz Nangarhar nach Deutschland geflohen. Nachdem ihr Asylantrag abgelehnt wurde, beantragten sie internationalen „subsidiären“ Schutz. Ihnen drohe bei einer Rückkehr wegen des anhaltenden Krieges zwischen den Taliban und der afghanischen Armee „willkürliche Gewalt wegen eines bewaffneten Konfliktes“.
Doch die deutschen Behörden waren von dieser Argumentation nicht überzeugt, lehnten den Antrag ab und drohten die Abschiebung an. Es gebe für die Annahme der beiden Kläger zu wenige zivile Opfer in der Provinz, hieß es zur Begründung.
Hintergrund dieses Argumentes war unter anderem ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. November 2011 im Fall eines irakischen Flüchtlings. Danach sei zumindest dann von keiner willkürlichen Gewalt wegen eines bewaffneten Konfliktes auszugehen, wenn die Zahl der zivilen Opfer (Verletzte und Tote) nur einer von 800 pro Jahr oder nur 0,12 Prozent von der Gesamtbevölkerung beträgt. Die Zahl ziviler Opfer in der afghanischen Provinz Nangarhar falle gerade noch in diesem Bereich, so die Behörden.
Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hielt das für EU-rechtswidrig. Neben dem vom Bundesverwaltungsgericht gebilligten „body-count“-Ansatz müssten auch andere Umstände bei der Prüfung willkürlicher Gewalt berücksichtigt werden. so die Richterinnen und Richter.
Der EuGH urteilte nun, dass das deutsche Vorgehen gegen EU-Recht verstößt. Statt die „ernsthafte individuelle Bedrohung“ eines Flüchtlings in seinem Herkunftsland allein anhand einer Mindestzahl an Opfern zu bestimmen, müsse vielmehr eine Gesamtwürdigung aller Umstände erfolgen. Andernfalls bestehe die Gefahr, dass Flüchtlingen ein Schutz vorenthalten werde, obwohl sie eigentlich darauf Anspruch hätten. Das Adjektiv „individuell“ sei hier so zu verstehen, dass Flüchtlinge bei ihrer Rückkehr in ihr Herkunftsland allein wegen ihrer Anwesenheit tatsächlich Gefahr laufen, einer ernsthaften Bedrohung und willkürlicher Gewalt ausgesetzt zu sein.
Hier sei die Gefahrenlage in Nangarhar auch durch die Intensität der bewaffneten Auseinandersetzungen, die Dauer des Konflikts zwischen der Armee und anderen bewaffneten Gruppen, die Aggression der Konfliktparteien gegen Zivilpersonen oder auch das „geografische Ausmaß der Lage willkürlicher Gewalt“ geprägt. Werde das bei der Prüfung des subsidiären Schutzes nicht berücksichtigt, könne Personen den ihnen zustehenden Schutz EU-rechtswidrig verweigert werden, mahnte der EuGH.
Die Luxemburger Richter betonten, dass die EU-Staaten auch dieselben Maßstäbe bei der Prüfung internationalen subsidiären Schutzes anlegen müssten. Andernfalls bestehe die Gefahr, dass Flüchtlinge bestimmte Mitgliedstaaten als Zielort meiden, die in ihren Rechtsvorschriften besonders strenge Prüfkriterien anlegten.
Die Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl wertete das EuGH-Urteil als „wegweisend“. Flüchtlinge aus umkämpften Regionen wie etwa Nangarhar oder Kundus in Afghanistan könnten nun leichter subsidiären Schutz wegen drohender willkürlicher Gewalt erhalten. Auch wenn eine bestimmte Mindestanzahl an Zivilopfern nicht erreicht werde, müssten nun auch andere Gefährdungsumstände berücksichtigt werden.
„Abschiebeflüge nach Afghanistan dürften nun schwieriger durchzuführen sein“, so Peter von Aue, rechtspolitischer Referent bei Pro Asyl. Eine Abschiebung sei aber immer noch möglich, wenn der Flüchtling in einer anderen, weniger gefährlichen Provinz seines Herkunftslandes seinen Lebensunterhalt nachgehen kann.
Az.: C-901/19 (EuGH)
Az.: 10 C 13.10 (Bundesverwaltungsgericht)
Az.: A 11 S 2374/19 und A 11 S 2375/19 (VGH Mannheim, EuGH-Vorlage)
Kassel (epd). Blinde Rentner können auch nach einem Umzug ins EU-Ausland weiterhin deutsches Blindengeld erhalten. Soweit Betroffene eine deutsche Rente beziehen und in Deutschland krankenversichert sind, darf ihnen bei einem neuen Wohnsitz in einem anderen EU-Mitgliedstaat der Bezug des deutschen Blindengeldes nicht verwehrt werden, urteilte am 10. Juni das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel.
Sehbehinderte Menschen können mittlerweile in allen Bundesländern Blindengeld beanspruchen. Die Sozialleistung soll die höheren Lebenshaltungskosten durch die Beeinträchtigung abmildern. Das Blindengeld beträgt derzeit zwischen 300 Euro monatlich in Schleswig-Holstein und 658 Euro in Hessen. Dabei werden Leistungen der Pflegekasse teilweise angerechnet.
Im konkreten Fall zog die blinde Klägerin vor mehreren Jahren vom Vogtlandkreis in Sachsen nach Österreich um. Sie bezieht eine deutsche Altersrente und ist bei der AOK Rheinland/Hamburg krankenversichert. Als ihr in Österreich das in dem Land beziehbare „Pflegegeld für Blinde“ nach dortigem Recht verweigert wurde, beantragte sie deutsches Blindengeld.
Doch die deutschen Behörden lehnten dies ab. Nach Landesrecht setze die Leistung einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Sachsen voraus, sie wohne aber in Österreich, so die Begründung. Mit ihrer Klage verlangte sie daher das in Sachsen gewährte Blindengeld in Höhe von 350 Euro monatlich.
Das deutsche Blindengeld steht der nach ihrem Umzug nun in Österreich lebenden Rentnerin allerdings zu, urteilte das BSG. Die Zahlung sei eine Krankenleistung. Nach EU-Recht seien diese bei einem Umzug in einen anderen EU-Mitgliedstaat „exportierbar“. Normalerweise liege die Zuständigkeit bei dem Staat, in dem die Erwerbstätigkeit ausgeübt werde.
Für Rentner sei danach der Staat zuständig, aus dem die Altersversorgung kommt, urteilten die obersten Sozialrichter. Das gelte auch für das von den Bundesländern gezahlte Blindengeld. Dass es sich nicht um eine Leistung der Krankenkassen handelt, sei EU-rechtlich „ohne Belang“.
Az.: B 9 BL 1/20 R
Mannheim (epd). Bordelle dürfen in Baden-Württemberg ab dem 21. Juni wieder öffnen. Der baden-württembergische Verwaltungsgerichtshof in Mannheim gab dem Eilantrag einer Prostitutionsstätte laut einer Mitteilung vom 17. Juni statt. Die Antragstellerin aus dem Bezirk des Regierungspräsidiums Karlsruhe sah im Öffnungsverbot ihre Grundrechte verletzt. (AZ: 1 S 1868/21)
Seit dem 2. November hatten die Betriebe in den Rotlichtvierteln aufgrund der Corona-Verordnung des Landes geschlossen. Daran wollte die Landesregierung aufgrund des erhöhten Infektionsrisikos in einem Bordell auch nichts ändern, zumal andere Bundesländer wie Bayern ebenfalls an der Schließung festhielten. Eine Öffnung wurde frühestens ab 28. Juni im Rahmen einer grundlegenden Überarbeitung der Corona-Verordnung ins Auge gefasst.
Der Verwaltungsgerichtshof hält das Verbot aber bereits jetzt aufgrund gesunkener Inzidenzzahlen für unverhältnismäßig. Ein Totalverbot von Prostitution sei in der momentanen Situation ein zu schwerer Eingriff in die Berufsfreiheit und deshalb nicht mehr verfassungskonform, heißt es in der Mitteilung. Die Aufstellung und Kontrolle von Hygienekonzepten reichten aus. Der Beschluss des Gerichts ist unanfechtbar.
Az.: 1 S 1868/21
Nürnberg (epd). Arbeitgeber dürfen ohne Zustimmung des Betriebsrates mit einzelnen Arbeitnehmern „Fürsorgegespräche“ wegen ihres Krankenstandes führen. Eine Mitbestimmungspflicht besteht nicht, wenn die Gespräche dem Ziel dienen, die Krankheitsursachen und die damit zusammenhängenden Arbeitsbedingungen zu klären, und die Auswahl der Mitarbeiter keinen abstrakten Kriterien folgt, entschied das Landesarbeitsgericht (LAG) Nürnberg in einem am 11. Juni veröffentlichten Beschluss.
Konkret ging es um einen Arbeitgeber, der bundesweit ambulante Zentren betreibt, in denen Nierenkranke behandelt und insbesondere einer Dialyse zugeführt werden. Nachdem an einem Standort mit 45 Mitarbeitern eine neue Verwaltungsleitung ihre Tätigkeit aufnahm, wurde auch der Krankenstand des Personals in den Blick genommen. Nur sechs Beschäftigte waren 2018 an keinem Tag arbeitsunfähig erkrankt. Sieben Mitarbeiter fehlten krankheitsbedingt an mehr als 100 Tagen, vier Mitarbeiter an mehr als 50 und weitere vier an mehr als 30 Tagen.
Der Arbeitgeber führte mit sechs Mitarbeitern sogenannte Fürsorgegespräche durch. Ziel sollte die Klärung von Zusammenhängen zwischen Krankheitsursachen und Arbeitsbedingungen sein. Zwei Mitarbeiter teilten dem Arbeitgeber nichts über ihre Erkrankungen mit. Bei den anderen wurde unter anderem über organisatorische Veränderungen gesprochen, um Fehlzeiten zu verringern.
Der Betriebsrat forderte den Arbeitgeber daraufhin auf, solche Fürsorgegespräche zu unterlassen. Formalisierte Gespräche, in denen nach Fehl- und Krankheitstagen gefragt werde, seien mitbestimmungspflichtig.
Das LAG entschied, dass der Betriebsrat keinen Unterlassungsanspruch hat. Formalisierte Krankengespräche würden zwar tatsächlich der Mitbestimmung unterliegen. Dies sei der Fall, wenn die Arbeitnehmer nach abstrakten Regeln für die Gespräche ausgesucht werden, die Gespräche einem formalisierten gleichförmigen Ablauf aufweisen und es um eine betriebliche Aufklärung zur Erkennung der Arbeitseinflüsse auf den Krankenstand geht.
Keine Mitbestimmungspflicht gebe es - wie im konkreten Rechtsstreit - dagegen bei fallweisen Gesprächen mit einem oder mehreren Mitarbeitern in unstrukturierter Form über krankheitsbedingte Ausfallzeiten und möglichen Einflüssen der Arbeit. Es habe keine Regel gegeben, wonach die Mitarbeiter für Fürsorgegespräch ausgesucht wurden. Von den infrage kommenden 39 Mitarbeitern mit Fehlzeiten seien nur sechs ausgewählt worden. Auch seien nicht jene mit höchstem Krankenstand ausgesucht worden. Die Gespräche zielten auf das Arbeitsverhalten der Beschäftigten. Hierfür greife keine Mitbestimmung des Betriebsrates.
Az.: 7 TaBV 5/20
Osnabrück (epd). Wegen tageweiser Kurzarbeit darf ein Arbeitgeber nicht anteilig den Jahresurlaub von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern kürzen. Soweit die Arbeitszeit mit der Kurzarbeit nicht volle Monate auf „Null“ herabgesetzt wurde, bleibt der Urlaubsanspruch der Mitarbeiter vollständig erhalten, entschied das Arbeitsgericht Osnabrück in insgesamt 23 am 10. Juni bekanntgegebenen Urteilen.
In den Streitfällen hatte ein Arbeitgeber an einzelnen Tagen Kurzarbeit durchführen lassen. Grundlage dafür waren mehrere nahtlos aufeinanderfolgende Betriebsvereinbarungen. Weil die Beschäftigten wegen der Kurzarbeit tageweise nicht arbeiten mussten und sich in dieser Zeit auch erholen konnten, kürzte der Arbeitgeber anteilig den Jahresurlaub der Mitarbeiter. Dies sei nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesarbeitsgerichts bei Teilzeitbeschäftigten und bei Gewährung eines sogenannten Sabbaticals auch zulässig und auf die Kurzarbeit übertragbar, meinte er.
Es dürfe zudem nicht sein, dass Arbeitnehmer nach Ende der vorübergehenden Verringerung der regelmäßigen Arbeitszeit ihren vollen Jahresurlaub nehmen könnten, so die Begründung. Das Wiederanlaufen des Betriebs würde dadurch blockiert.
Vor dem Arbeitsgericht bekamen die klagenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer jedoch recht. Bei tageweiser Kurzarbeit sei eine anteilige Urlaubskürzung rechtswidrig. Zwar könne ein Arbeitgeber bei einem Sabbatical oder bei Elternzeit durchaus wegen des Ruhens des Arbeitsverhältnisses den Erholungsurlaub der jeweiligen Mitarbeiter kürzen.
Dies seien aber längere vollständig arbeitsfreie Zeiten. Bei tageweiser, anteiliger Kurzarbeit sei eine Kürzung dagegen nicht vorgesehen. Der Gesetzgeber habe hier entsprechende Regelungen nicht nur unterlassen, „sondern nach dem Bundesurlaubsgesetz gerade zum Ausdruck gebracht, dass Kurzarbeit nicht zur Verdienstschmälerung betreffend Urlaubsentgelt dienen soll“, so das Arbeitsgericht.
Es könne - anders als bei einer „Kurzarbeit Null“ - auch nicht davon gesprochen werden, dass Arbeitnehmer bei tageweiser Verringerung ihrer Arbeitszeit ihren „Erholungsurlaub bereits anteilig quasi realisiert haben“. Die vom Arbeitgeber vorgebrachte Betriebsblockade, wenn die Mitarbeiter nach dem Ende der Kurzarbeit Urlaub nehmen, sei zudem „Spekulation und ohne Belang“.
Das Arbeitsgericht hat die Berufung zum Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen zugelassen.
Az.: 3 Ca 108/21 und weitere
Neustadt/Weinstraße, Ludwigshafen (epd). Bei der umstrittenen Abschiebung einer armenischen Flüchtlingsfamilie ohne eines ihrer Kinder hat die Ludwigshafener Stadtverwaltung rechtmäßig gehandelt. Der 16-jährige Sohn, der geflohen war, als Beamte die Familie abholten, habe auch ohne seine Eltern allein in Deutschland verbleiben können, heißt es in einer am 16. Juni veröffentlichten Entscheidung des Verwaltungsgerichts in Neustadt an der Weinstraße. In diesem Alter benötige er nicht mehr die ständige Betreuung und Fürsorge der Eltern. Zudem würden sich seine Großeltern weiter in Deutschland aufhalten.
Ein Anspruch, die Abschiebung der restlichen Familienmitglieder nach Armenien rückgängig zu machen, bestehe nicht. Auch eine generelle Pflicht der Ausländerbehörde, eine begonnene Abschiebung bei einer Trennung von Eltern und Kindern abzubrechen, verneinten die Richter.
Nach der Abschiebung von vier der fünf Familienmitglieder hatten Flüchtlingshilfeorganisationen schwere Vorwürfe gegen die Stadt Ludwigshafen erhoben. Auch das Mainzer Integrationsministerium hatte kritisiert, dass die Eltern ohne eines ihrer Kinder in ihr Heimatland ausgeflogen wurden. In einer solchen Situation hätte die Maßnahme im Zweifelsfall beendet werden müssen. Der Junge galt sieben Wochen lang als vermisst und befindet sich aktuell in Obhut des Jugendamtes.
Az: 2 L 417/21.NW
In die 13. Amtsperiode wird Martin Berg den Angaben nach von vier Stellvertreterinnen und Stellvertreter begleitet. Gewählt wurden Andrea Stratmann, Geschäftsführerin der GWW aus Gärtringen, Hans Horn, Geschäftsführer der Werkstatt Bremen und Werkstatt Nord, Jochen Walter, Vorstand der Stiftung Pfennigparade aus München und Michael Weber, Geschäftsführer der HPZ Krefeld-Kreis Viersen. Berg ist hauptamtlich als Vorstandsvorsitzender des Behinderten-Werk Main-Kinzig tätig.
Peter Friesenhahn, stellvertretender Vorsitzender des scheidenden Vorstands und Geschäftsführer der Stralsunder Werkstätten gemeinnützige GmbH sah von einer weiteren Kandidatur ab. Er war von 2017 bis 2021 Mitglied des Vorstands. Neben Friesenhahn gehört auch Axel Willenberg, geschäftsführender Vorsitzender der LAG WfbM Schleswig-Holstein nicht länger dem Vorstand der BAG WfbM an. Er hatte das Amt stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden seit 2008 inne.
„In den nächsten vier Jahren wird es darum gehen, die Dynamik des Wandels unter anderem in eine Reform des Entgeltsystems zu überführen. Unser Ziel muss es sein, gemeinsam mit der Politik und den Werkstattbeschäftigten ein verlässliches und auskömmliches System im Sinne der Menschen in den Werkstätten zu entwickeln“, sagte Berg. Erstmalig werde der neue Vorstand dazu noch im Juni zusammenkommen und den Fahrplan hierzu diskutieren", erklärte Berg die nächsten Schritte.
Die BAG WfbM ist der Zusammenschluss der Träger von Einrichtungen, die Menschen mit Behinderungen Teilhabe an Arbeit und Gesellschaft ermöglichen. Die rund 700 Mitglieder sind Träger von Werkstätten, Förderstätten und Inklusionsbetrieben.
Christine Vogler, Diplom-Pflegepädagogin, ist neue Präsidentin des Deutschen Pflegerates. Die bisherige Vize-Präsidentin wurde am 16. Juni gewählt und tritt die Nachfolge von Franz Wagner an, der sich nicht mehr zur Wahl gestellt hatte. Die Amtszeit beträgt vier Jahre. Vogler leitete über viele Jahre die Wannsee-Schule in Berlin im Ausbildungsbereich Pflege. Seit 2020 ist sie die Geschäftsführerin des Berliner Bildungscampus für Gesundheitsberufe. Von der Ratsversammlung gewählt wurden Irene Maier und Annemarie Fajardo zu Vize-Präsidentinnen und als Präsidiumsmitglieder Christel Bienstein, Ulrike Döring, Birgit Pätzmann-Sietas und Jana Luntz.
Christel Bienstein (69) bleibt an der Spitze des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe (DBfK). Sie wurde in einer digitalen Sitzung im Amt bestätigt. Im letzten Jahr musste die Delegiertenversammlung wegen der Pandemie ausfallen. Bienstein ist Pflegewissenschaftlerin und leitete von 1994 bis 2017 das Institut für Pflegewissenschaft der Privaten Universität Witten/Herdecke. Verbandschefin ist sie seit 2012. Die neu gewählten Vorstandsmitglieder sind Elizabeth Tollenaere aus Frankfurt/Main, Katrin Havers aus Vechta und Thomas Peters aus Heiligenhaus. Stefan Werner aus Böblingen wird sich in einer weiteren Amtszeit im Vorstand engagieren. In der anschließenden konstituierenden Sitzung wurden Katrin Havers und Stefan Werner als Vizepräsidentin beziehungsweise -präsident gewählt.
Peter Nietzer ist als Landespfarrer für Diakonie in der Evangelischen Landeskirche Anhalts verabschiedet worden. Er hatte das mt seit 2010 inne. Am 1. Juli tritt er eine Pfarrstelle in Bad Liebenstein in Thüringer Wald an. Nietzer bezeichnete zu seinem Abschied Diakonie als „zeitgenössische Form von christlicher Nächstenliebe“. Nietzer wurde 1962 in Süddeutschland geboren und kam 1992 in die Evangelische Landeskirche Anhalts. Nach dem Vikariat in Ballenstedt wurde er 1994 in seine erste Pfarrstelle in Güsten entsandt und dort auch ordiniert. Als Landesdiakoniepfarrer war er zugleich auch Referent für Theologie, Diakonik und geistliches Leben der Diakonie Mitteldeutschland.
Ulrike Kühn, Diakonin, ist in der Mutterhauskirche der Evangelischen Diakonissenanstalt Augsburg (diako) als Oberin eingeführt worden. Sie ist bereits seit einem Jahr als Nachfolgerin von Pfarrerin Christiane Ludwig im Diakonissenhaus tätig. „Die Oberin der neuen Form steht als Garantin für das, was Diakonissen in der Geschichte des Hauses eingebracht haben“, sagte Rektor Jens Colditz bei der Einführung. Die gebürtige Ulmerin gehört der Rummelsberger Diakoninnengemeinschaft an. Sie war Gemeinde- und Jugenddiakonin in Freising, Coburg und Pfuhl bei Neu-Ulm. Im evangelisch-lutherischen Dekanatsbezirk Neu-Ulm arbeitete Kühn als Religionslehrerin und theologisch-pädagogische Leitung des Evangelischen Bildungswerks. Die Oberin gehört dem dreiköpfigen Vorstand der Augsburger Diakonissenanstalt an. Das Sozialwerk hat rund 700 Mitarbeiter.
Karl Peter Brendel, früherer Staatssekretär, wird zum ersten unabhängigen Beauftragten für Beschwerden von Asylsuchenden in den Aufnahmeeinrichtungen des Landes Nordrhein-Westfalen. Das Landeskabinett hat der Berufung des FDP-Politikers bereits zugestimmt, teilte das Ministerium für Integration und Flüchtlinge in Düsseldorf mit. Der Beschwerdebeauftragte tritt sein Amt zum 1. Juli an, die Tätigkeit ist ehrenamtlich. „Ich freue mich, dass wir mit Karl Peter Brendel eine so erfahrene und umsichtige Persönlichkeit für diese Stelle gewinnen konnten“, sagte Integrations- und Flüchtlingsminister Joachim Stamp (FDP). „Er wird für die Belange der Flüchtlinge in Landesunterkünften ein kompetenter und verlässlicher Ansprechpartner sein.“ Brendel war von 2000 bis 2005 Abgeordneter des NRW-Landtags und zwischen 2005 und 2010 Staatssekretär im Düsseldorfer Innenministerium. Seit 2017 ist er Vorstandsmitglied der NRW-Stiftung.
Maike Finnern (52) ist neue Vorsitzende der Bildungsgewerkschaft GEW. Die Delegierten des ersten virtuellen Gewerkschaftstages haben die bisherige Landeschefin in NRW ins Spitzenamt gewählt. Die Lehrerin erhielt 94,3 Prozent der Stimmen. Sie tritt die Nachfolge von Marlis Tepe an, die nach acht Jahren an der Spitze der GEW aus Altersgründen nicht wieder kandidierte. Von 2011 bis 2019 war Finnern stellvertretende Vorsitzende der GEW NRW und seit Mai 2019 Landesvorsitzende. Von 2014 bis 2018 war sie gleichzeitig Vorsitzende des Bezirksfrauenausschusses beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) Bezirk NRW. Zu ihrem Stellvertreter wurde erneut Andreas Keller gewählt. Er ist seit 2007 Mitglied des Geschäftsführenden Vorstands und Leiter des GEW-Vorstandsbereichs Hochschule und Forschung und seit 2013 stellvertretender Vorsitzender der GEW.
Jens Martin Hoyer (53) ist als Mitglied des Geschäftsführenden AOK-Bundesvorstandes bestätigt worden. Der Aufsichtsrat verlängerte den Vertrag des stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden um weitere sechs Jahre. Hoyer ist seit Mai 2016 Stellvertreter des Vorstandsvorsitzenden Martin Litsch. Der studierte Volkswirt Hoyer ist im AOK-Bundesverband für die Bereiche Finanzen, Markt sowie Personal und Organisation zuständig.
Mats Hummels, Fußball-Nationalspieler, übernimmt die Schirmherrschaft für den „Förderpreis Seelische Gesundheit im Nachwuchsleistungssport“ der Robert-Enke-Stiftung. Die Stiftung fördert mit dem mit 17.500 Euro dotierten Preis Maßnahmen und Einrichtungen, die der Aufklärung über die Krankheit Depression und über Kinder-Herzkrankheiten sowie deren Erforschung oder Behandlung dienen. Sie ist nach dem Fußball-Nationaltorwart Robert Enke benannt, der über mehrere Jahre an Depressionen litt und sich im Jahr 2009 das Leben nahm.
Christiane Krajewski, seit 2014 Präsidentin von Special Olympics Deutschland e.V. (SOD), ist am 12. Juni bei einer außerordentlichen Mitgliederversammlung mit überwältigender Mehrheit im Amt bestätigt worden. Brigitte Lehnert, bisher Erste Vizepräsidentin von SOD, und Hubert Hüppe, bisheriger Vizepräsident, traten turnusgemäß nicht mehr an. Zum Ersten Vizepräsidenten wurde Andreas Silbersack, bisheriger Vizepräsident, gewählt. In ihren Ämtern als Vizepräsidenten bestätigt wurden Thomas Gindra, Bettina Schilling, Kerstin Tack und Manfred Wegner sowie SOD-Athletensprecher Mark Solomeyer.
Wir haben Tagungen, Seminare, Workshops und Webinare aufgelistet, die aktuell geplant sind. Wegen der Corona-Epidemie sagen Veranstalter allerdings Termine auch kurzfristig ab. Wir bitten unsere Leserinnen und Leser, dies zu beachten.
23.-24.6.:
Online-Fortbildung „Vertrauliche Geburt - eine besondere Aufgabe für Schwangerschafts(konflikt)beratungsstellen“
Tel.: 030/26309-139
28.6.-2.7. Ludwigshafen:
Fortbildung „Moderations- und Leitungskompetenz für Konferenzen, Arbeitsteams und Projektgruppen“
der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes
Tel.: 0761/200-1700
29.-30.6.:
Online-Seminar „Finanzierung von Organisationen der Sozialwirtschaft“
der Paritätischen Akademie Süd
Tel.: 0711/286976-10
Juli
6.-8.7.:
Virtuelle Fachmesse „Altenpflege“
Tel.: 0511/89-30417
7.-8.7.:
Online-Seminar „Haftungsrecht und Gemeinnützigkeit“
der Paritätischen Akademie Süd
Tel.: 0711/286976-10
August
5.8.:
Online-Seminar „Die Dublin-III-Verordnung - Eine Einführung“
Tel.: 030 26309-139
12.8.: Berlin:
Seminar „Konfliktmanagement und Mediation in Organisationen - Ziel- und methodensicher mit Konflikten umgehen!“
der Paritätischen Akademie Berlin, bis November
Tel.: 030/275828227
14.-17.7.:
Online-Kurs „Agile Führungsansätze - online Soziale Organisationen für die Zukunft ausrichten“
der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandess
Tel.: 0761/200-1700
23.-27.8. Freiburg:
Fortbildung „Projektmanagement - Effektiv planen und erfolgreich zusammenarbeiten“
der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes
Tel.: 0761/200-1700
26.8. Berlin:
Fortbildung „Veränderung initiieren - wirksame Führungsimpulse setzen“
der Paritätischen Akademie Berlin
Tel.: 030/275828227
31.8.:
Webinar „Einstieg in die Welt der öffentlichen Fördermittel: EU, Bund, Länder und Kommune“
der BFS Service GmbH
Tel.: 0221/97356-160
31.8. Berlin:
Seminar „Grundlagen des Arbeitsrechtes in Einrichtungen der Sozialwirtschaft - Gestaltungsspielräume nutzen“
der BFS Service GmbH
Tel.: 0221/97356-160