kommt sie, oder nicht oder nur in abgespeckter Variante? Die Rede ist von der allgemeinen Impfpflicht, die nun erstmals im Bundestag diskutiert wurde. Und zwar überaus kontrovers. Fazit der lebhaften Debatte: Ob die Impfpflicht für alle am Ende eine Mehrheit bekommen wird, ist weiter offen.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat den Bundesländern finanzielle Unterstützung bei der Aufnahme und Unterbringung der Ukraine-Flüchtlinge) zugesagt. Bei einem Treffen mit den Länderchefs betonte er die gewaltigen Herausforderungen, die man nur gemeinsam stemmen könne. Konkrete Zusagen gab es noch nicht. Details sollen bis zum 7. April von einer Arbeitsgruppe aus Bund und Ländern geklärt werden.
Niemand weiß, wie viele Ukraine-Flüchtlinge nach Deutschland kommen und wie lange sie bleiben werden. Doch dass deren Unterbringung, Versorgung und Integration dank großer Solidarität und ehrenamtlichem Einsatz klappen wird, davon ist der Mannheimer Migrationsforscher Paul Berbée überzeugt. Im Interview mit epd sozial blickt er auf die Lage im Jahr 2015 zurück und ordnet den Einsatz der Zivilgesellschaft heute ein.
„Unzufrieden mit dem Strich“: Das Diakonische Werk Karlsruhe beklagt unwürdige Zustände bei der Prostitution. Weil außerhalb der Klubs und Bordelle kaum Kontrollen stattfänden, müssten die Arbeitsbedingungen auf der Straße besser werden - vor allem gegen gewalttätige Freier müsse dringend ein Konzept her. Bis dahin sind Sozialarbeiter im „Luisebus“ unterwegs und bieten ihre Hilfe an.
Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden: Das Arzt-Patientenverhältnis muss immer streng vertraulich bleiben. Haben Behörden Mediziner im Verdacht, gegen das Betäubungsmittelgesetz zu verstoßen, dürfen sie die Patientenakten nicht einsehen. Lediglich die ausgestellten Betäubungsmittelrezepte müssen von Medizinern herausgegeben werden.
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Dirk Baas
Berlin (epd). Befürworter und Gegner einer allgemeinen Corona-Impfpflicht haben sich am Donnerstag einen Schlagabtausch im Bundestag geliefert. Während die Verfechter einer Pflichtimmunisierung für alle Erwachsenen ab 18 Jahren für einen „Weg der Vernunft und Vorsorge“ warben, lehnten andere den Schritt als unzulässige Beschneidung der individuellen Entscheidung und Scheinlösung ab. In der ersten Aprilwoche soll das Parlament über das umstrittene Thema abstimmen. Nach der ersten Beratung am 17. März bleibt der Ausgang offen.
Dem Bundestag liegen insgesamt fünf verschiedene Anträge für oder gegen eine Ausweitung der Corona-Impfpflicht vor. Die meisten Unterstützer hat derzeit der Vorschlag von Vertretern der Koalition aus SPD, Grünen und FDP für die Impfpflicht ab 18. 236 Abgeordnete unterstützen ihn. Eine Mehrheit der 736 Parlamentarier tut dies aber nicht. Der Paritätische verwies angesichts der weiterhin steigenden Infektionszahlen besonders auf den Schutz der vulnerablen Gruppen und warnte vor den dramatischen Folgen, wenn jetzt Bemühungen zur Eindämmung der Pandemie auszubleiben drohen.
Vertreter der Gruppe werben deshalb vor allem bei der Unionsfraktion mit ihren 197 Abgeordneten um Unterstützung. „Warten Sie nicht länger ab, gehen Sie mit uns den Weg der Vernunft und der Vorsorge“, sagte die SPD-Gesundheitspolitikerin Heike Baehrens an CDU und CSU gerichtet. Hätte Deutschland bereits heute eine Impfquote von 90 Prozent, wären die Infektionszahlen nicht so hoch, sagte sie. Derzeit sind gut drei Viertel (75,8 Prozent) der Menschen in Deutschland vollständig gegen Covid-19 geimpft.
Für diesen Antrag warb auch Vize-Kanzler Robert Habeck (Grüne). Man müsse alles tun, um Menschen vor großen Freiheitseinschränkungen zu schützen. „Die Freiheitsabwägung beziehungsweise die Freiheitsinterpretation der wenigen darf nicht zur permanenten Freiheitseinschränkung der vielen führen“, sagte er. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) trat ebenfalls vehement für die Impfpflicht ab 18 ein. Die Ungeimpften trägen „die Verantwortung dafür, dass wir nicht weiterkommen“, sagte er. Mit der Impfpflicht habe man die Chance, aus der Pandemie herauszukommen, die Chance müsse ergriffen werden: Dass es im Herbst keine neue Corona-Welle gebe, sei genauso wahrscheinlich, wie dass es keinen Herbst geben werde, sagte Lauterbach.
Die Union ging auf den Appell der Koalition nicht ein. Redner verteidigten den eigenen Fraktionsentwurf, der ein Impfpflichtgesetz auf Vorrat vorschlägt, das erst dann in Kraft treten soll, wenn es notwendig würde. Zum jetzigen Zeitpunkt sei die Impfpflicht „tot“, sagte der CDU-Abgeordnete Sepp Müller.
Bei ihrer Linie blieben auch die Gegner einer Ausweitung der Impfpflicht rund um Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP). Er empfehle eine Impfung mit Nachdruck, das rechtfertige aber keine Pflicht, sagte Manuel Höferlin (FDP). Vulnerable Gruppen müssten geschützt werden, „aber nicht vor sich selbst“. Die Grünen-Abgeordnete Tabea Rößner sagte, eine Impfpflicht sei nur schwer zu rechtfertigen, wenn sie vor allem dem Eigenschutz, aber nicht dem Fremdschutz diene, weil sie vor Ansteckungen nach heutigem Stand nicht genug schütze.
Die AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel, deren Fraktion einen eigenen Antrag gegen jegliche Impfpflicht vorgelegt hat, erklärte, eine Impfpflicht verletze das Recht auf körperliche Unversehrtheit und das Recht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit. Die AfD fordert, auch die seit Mittwoch für das Personal im Gesundheitswesen und der Pflege geltende Corona-Impfpflicht wieder abzuschaffen.
Als mögliche Kompromisslösung bewarb die fünfte Gruppe im Parlament um den Abgeordneten und Infektiologen Andrew Ullmann ihren Vorschlag, der eine verpflichtende Impfberatung und eine Impfpflicht für Menschen ab 50 Jahren erst dann vorsieht, sollte die Beratung nicht zu einer genügenden Steigerung der Impfquote führen. Eine Impfpflicht dürfe nur Ultima Ratio sein, sagte Ullmann: „Wir vertrauen den Menschen, eine richtige Entscheidung zu treffen“, sagte er. Paula Piechotta (Grüne) sagte, auch eine begrenzte Impfpflicht könne helfen, die Infektionszahlen zu senken.
Als ein Vertreter der Länder warb in der Bundestagsdebatte der Bremer Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) für die Impfpflicht. Er erinnerte den Bundestag daran, dass die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten aller 16 Bundesländer sich mehrfach für eine allgemeine Impfpflicht ausgesprochen haben. „Wenn wir nur die Wahl haben zwischen ständiger Lockdown-Gefahr und Impfpflicht, dann sollten wir uns für die Impfpflicht entscheiden.“
Eine allgemeine Impfpflicht sei das Gebot der Stunde und auch eine Frage der Solidarität, so Ulrich Schneider, der Geschäftsführer des Paritätischen. Er verstehe natürlich, dass die Auflagen viele Menschen belasten, aber eine Corona-Infektion sei noch viel belastender."
In einer gemeinsamen Stellungnahme aller Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege zum geplanten Infektionsschutzgesetz warnte der Verband zudem, dass der Schutz vulnerabler Personen in und außerhalb von Einrichtungen nicht gewährleistet werden könne, wenn zeitgleich bundesweit und gesamtgesellschaftlich der Maßnahmenkatalog in erheblichem Maße gelockert und damit ein weiterer Anstieg des ohnehin hohen Infektionsgeschehens riskiert wird.
Köln (epd). Auf Arbeitgeber und Beschäftigte im Gesundheitsbereich werden nach Auffassung der Juristin Nathalie Oberthür mit der einrichtungsbezogenen Impfpflicht viele rechtliche Probleme zukommen. „Ohne Impfnachweis gegen Covid-19 gibt es keinen Anspruch auf Arbeit und Lohn“, sagte Oberthür, Kölner Fachanwältin für Arbeitsrecht und Vorsitzende des Ausschusses Arbeitsrecht im Deutschen Anwalt-Verein nach Inkrafttreten der gesetzlichen Regelung dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Mit der einrichtungsbezogenen Impfpflicht in Krankenhäusern und in der Pflege müssen Beschäftigte ihrem Arbeitgeber eine Corona-Impfung oder -Genesung nachweisen. Arbeitgeber mussten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ohne diesen Nachweis dem Gesundheitsamt bis zum 15. März melden, das dann ein Beschäftigungsverbot aussprechen kann. Bei Missachtung drohen dem Arbeitgeber Geldbußen von bis zu 2.500 Euro.
„Mit der einrichtungsbezogenen Impfpflicht will der Gesetzgeber besonders alte und kranke Menschen vor einer Corona-Infektion schützen“, sagte Oberthür. „Lehnt etwa eine Pflegekraft eine Impfung ab, hat sie weder Anspruch auf Lohn noch auf Urlaub“, sagte die Juristin. Sie sei dann für ihre Tätigkeit nicht mehr geeignet und könne möglicherweise sogar personenbedingt gekündigt werden.
Arbeitnehmer hätten zudem die arbeitsvertragliche Nebenpflicht, ihre Arbeitskraft zu erhalten. Ob darunter auch die Impfung fällt, sei offen. Werde dies von Gerichten bejaht, könnten ungeimpfte Beschäftigte möglicherweise nach einer Abmahnung entlassen werden. Es könne auch eine Sperrzeit auf das Arbeitslosengeld I drohen. „Bislang hat die Bundesagentur für Arbeit sich noch nicht positioniert, ob sie eine Kündigung wegen eines fehlenden Impfnachweises mit einer Sperrzeit sanktionieren wird“, sagte Oberthür.
Derzeit seien mehrere Verfassungsbeschwerden gegen die Impfnachweispflicht anhängig. Einen Eilantrag gegen das Gesetz hatte das Bundesverfassungsgericht am 10. Februar abgewiesen und das Gesetz grundsätzlich gebilligt. Allerdings rügte das Gericht formale Fehler, die das Gesetz im Hauptsacheverfahren noch zu Fall bringen könnten. „Wird das Gesetz als verfassungswidrig erklärt, müssten Arbeitgeber für ihre freigestellten ungeimpften Beschäftigten den vorenthaltenen Lohn nachzahlen“, sagte Oberthür. Unklar sei, ob bei einer erfolgten Kündigung die betroffenen Mitarbeiter einen Wiedereinstellungsanspruch haben. Arbeitgeber hätten derzeit keine andere Wahl, als die Entscheidung der Verfassungsrichter abzuwarten und sich rechtstreu zu verhalten.
Berlin (epd). Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat den Bundesländern finanzielle Unterstützung bei den Kosten für Aufnahme und Integration der Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine zugesagt. Es sei eine „große Aufgabe“, vor der Bund, Länder und Kommunen gemeinsam stünden, sagte Scholz nach Beratungen mit den Regierungschefs und -chefinnen der Länder am 17. März in Berlin. Dies erstrecke sich auch auf die finanzielle Verantwortung. Konkrete Absprachen gab es bei dem Treffen allerdings noch nicht.
Die meisten Flüchtlinge würden derzeit in Polen aufgenommen, sagte Scholz. Aber auch in Deutschland steige die Zahl und „wir wissen, es werden viele sein“, ergänzte er. Für die Aufnahme und Versorgung von Flüchtlingen sind in erster Linie Länder und Kommunen zuständig. Sie könnten die Aufgabe aber nicht allein bewältigen, sagte der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU). Vorschläge sollen nun von einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe erarbeitet werden und ein Beschluss bei der nächsten Ministerpräsidentenkonferenz am 7. April fallen.
Wüst sagte, derzeit würden die Kapazitäten zur Aufnahme überall erhöht. Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) sagte, die Hauptstadt habe Plätze für 1.000 Flüchtlinge pro Monat. So viele kämen derzeit am Tag.
Beide Ländervertreter forderten Unterstützung durch den Bund. Giffey sagte, es müsse ein Gesamtfinanzierungskonzept geben. Der Bund soll sich nach ihren Vorstellungen bei den Kosten für die Unterbringung, den Hilfen zum Lebensunterhalt und für vulnerable Gruppen sowie bei den Kosten der Integration in Kindertagesstätten, Schulen und am Arbeitsmarkt beteiligen. Wüst ergänzte, es müsse sichergestellt werden, dass die Vertriebenen nicht lange in Erstaufnahmeeinrichtungen bleiben müssen. „Hier kommen Frauen und Kinder. Das ist anders als 2015“, sagte er mit Anspielung auf die damalige Fluchtbewegung, als Turnhallen und ähnliche Provisorien zu längerfristigen Unterbringungen wurden. Auch damals hatte der Bund massive finanzielle Unterstützung geleistet.
Scholz betonte nach dem Treffen, dass man sich einig sei, den Menschen, die vor Gewalt und Bomben fliehen, schnell und unkompliziert Schutz, medizinische Versorgung sowie Zugang zu Arbeitsmarkt und Schulen zu gewähren. Giffey ergänzte, man müsse dies auch als Chance sehen. Es kämen viele qualifizierte Fachkräfte, an denen es zuletzt in Deutschland gemangelt habe.
Giffey zufolge hat das Verteidigungsministerium inzwischen auch der Bitte entsprochen, Bundeswehrangehörige als Helfer zu Verfügung zu stellen. 80 Soldatinnen und Soldaten sollen demnach bei der Registrierung und Verteilung im Ankunftszentrum im ehemaligen Berliner Flughafen Tegel unterstützen. Dort kämen pro Tag 200 Busse an.
Die Registrierung der Ukraine-Flüchtlinge ist derzeit in Deutschland noch lückenhaft. Die Bundespolizei kontrolliert stichprobenartig an der Grenze und in Zügen. Nach dieser Zählung sind bislang mehr als 187.000 Kriegsflüchtlinge in Deutschland angekommen. Zunehmend wird nach Angaben des Bundesinnenministeriums inzwischen auch in Erstaufnahmeeinrichtungen registriert. Diese Flüchtlinge werden dann nach einem Schlüssel gleichmäßig auf die Bundesländer verteilt.
Wer privat unterkommt oder in ein anderes EU-Land weiterreist, geht derzeit gar nicht in die Statistik ein. Ukrainische Staatsbürger können ohne Visum einreisen und sich für 90 Tage ohne zusätzlichen Titel in der EU aufhalten.
Schwäbisch Gmünd (epd). Es musste schnell gehen, denn sie gehören zu den Schutzbedürftigsten der Schutzbedürftigen: Die erste Gruppe ukrainischer Flüchtlinge kam bereits eine Woche nach Kriegsausbruch im Christlichen Gästezentrum Württemberg, dem Schönblick in Schwäbisch Gmünd, an: 35 Personen mit schweren Behinderungen wie Lähmungen und Rückenmarksverletzungen samt ihren Betreuern. Ihr Leiter ist Baptistenpastor Serhii Bolchuk, dessen Frau Natalia seit einem Autounfall im Rollstuhl sitzt - wie neun andere aus der Gruppe auch.
In Lutsk, einer 210.000-Einwohner-Stadt im Nordwesten der Ukraine, jeweils ungefähr 150 Kilometer von den Grenzen zu Polen und zu Belarus entfernt, betreibt er mit seiner Gemeinde das Rehabilitationszentrum „Agape Ukraine“. Doch wohin sollte man die Bewohner evakuieren, als der Krieg ausbrach? „Wir haben gebetet,“ sagt Bolchuk, „und schon am nächsten Tag kam ein Hilfsangebot.“ Auch bei Martin Scheuermann, dem Leiter des Schönblicks, klingelte das Telefon. Die Deutsche Evangelische Allianz fragte zwei Tage nach Kriegsbeginn, ob eine Gruppe Ukrainer mit Handicap aufgenommen werden könne. „Wir haben sofort 'ja' gesagt“, berichtet Scheuermann.
Die erste Gruppe kam am 2. März. Vier Tage später machte eine weitere mit 42 Personen Station und reiste nach zwei Tagen weiter nach Bad Bellingen bei Lörrach. Dort kümmert sich um die Versorgung Marion Koch, die Mutter von Samuel Koch, der seit einem Unfall während der Fernsehshow „Wetten, dass…“ querschnittsgelähmt ist. Sie ist erfahren, was die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen angeht.
Das Agape-Zentrum in der Ukraine ist allerdings weiterhin bewohnt. 60 Flüchtlinge aus dem ganzen Land warteten derzeit in dem Haus, das durch die Nähe zu Polen eine geeignete Zwischenstation ist, auf ihre Ausreise, berichtet der Baptistenpastor.
30 Kilometer lang sei bei der Ausreise die Warteschlange der ukrainischen Autos an der Grenze zu Polen gewesen, so Bolchuk - unmöglich für die gehandicapten Passagiere. Da brauchte es eine Polizeieskorte, um sicher das Land zu verlassen.
Erkämpft werden musste auch, dass die dringend benötigten männlichen Pfleger trotz Krieg die Grenze passieren durften. Doch diese und viele andere Mühen haben sich gelohnt. Denn Menschen wie der 16-jährige Andrej und seine Mutter Svetlana sind nun in Sicherheit, fühlen sich rundherum wohl auf dem Schönblick mit den behindertengerechten Zimmern und der großzügigen Anlage in der Natur. Die Hilfsbereitschaft vieler ehrenamtlicher Helfer und Initiativen auch außerhalb des Schönblicks ist groß, und so hoffen alle Beteiligten, dass die erlittenen Traumata bewältigt werden können.
Vor ein paar Tagen noch harrte der gelähmte Teenager im Korridor des sechsten Stockwerks in dem Hochhaus mitten in Kiew aus, wo er mit seiner Mutter lebte. In den Keller zu gelangen, um sich vor Bombenangriffen zu schützen, war ihm nicht möglich. Der Aufzug konnte in dieser Situation nicht benutzt werden. „Er wurde bald wahnsinnig vor Angst, hatte schon Halluzinationen“, sagt dessen Mutter. Die Grundversorgung mit Brot, Wasser und Strom sei zusammengebrochen. In letzter Minute, kurz vor dem Angriff auf ihren Stadtbezirk, seien sie herausgeholt und gerettet worden. „Wir sind so unendlich dankbar für all das, was wir hier erfahren“, sagt Svetlana. „Bitte sagen Sie das allen.“
So lange wie nötig kann die ukrainische Gruppe auf dem Schönblick bleiben. Und doch: Nichts wünschen sich diese Menschen mehr, als möglichst rasch wieder in ihre Heimat zurückkehren zu können.
Erlangen (epd). Europa hat in den vergangenen Jahren mehrere Fluchtbewegungen erlebt - doch diesmal ist die Aufnahmebereitschaft in den Ländern der Europäischen Union (EU) so hoch wie nie. Das hat der Politikwissenschaftlerin und Migrationsforscherin Petra Bendel zufolge verschiedene Gründe, sagt sie im Interview mit dem epd. Bendel leitet den Forschungsbereich Migration, Flucht und Integration des Instituts für Politische Wissenschaft an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.
epd sozial: Frau Bendel, täuscht der Eindruck, oder ist die Aufnahmebereitschaft für Geflüchtete aus der Ukraine derzeit deutlich größer als bei vorangegangenen Fluchtbewegungen?
Petra Bendel: Nein, der Eindruck täuscht nicht. Die Aufnahmebereitschaft in der EU ist vor allem insofern größer, als sich aktuell auch solche Staaten solidarisch erklären, die das in der Vergangenheit abgelehnt haben - namentlich Polen und Ungarn.
epd: Wie erklären Sie sich das? Liegt das zuvorderst daran, dass uns der Ukraine-Krieg rein geografisch näher liegt als etwa die Kriege in Syrien oder in Afrika?
Bendel: Das lässt sich nicht von der Hand weisen. Wir sind in der EU nunmehr Anrainer eines Krieges. Darüber hinaus sind auch bisher schon viele Ukrainerinnen und Ukrainer in EU-Mitgliedsstaaten wie Deutschland, Polen, Italien oder Spanien wohnhaft. Das beeinflusst natürlich die Wahrnehmung. In Polen etwa hat eine Umfrage der Uni Warschau ergeben, dass Ukrainer ganz überwiegend als Kollegen und Nachbarn wahrgenommen werden. Hinzu kommt die Tatsache, dass es sich momentan bei den Schutzsuchenden vor allem um Frauen und Kinder mit besonderem Schutzbedarf handelt.
epd: Es macht inzwischen das Wort vom „Fluchtrassismus“ die Runde: Hellhäutige Ukrainerinnen sind willkommen, Flüchtlinge aus arabischen und afrikanischen Ländern eher nicht...
Bendel: Der Sachverhalt ist sicherlich komplexer als das Schlagwort. Ich wiederhole mich: Wir haben in Deutschland Schutzsuchende aus Ländern wie Syrien, dem Irak und Afghanistan aufgenommen - und zwar mit beachtlichen Integrationserfolgen. Gleichwohl harren immer noch Asylsuchende auf griechischen Inseln aus. Es gibt immer noch Pushbacks von Asylsuchenden an EU-Außengrenzen, es ertrinken weiterhin Schutzsuchende auf dem Mittelmeer, und in Afghanistan warten nach wie vor Menschen auf ihre Ausreise. Und für Menschen aus Nicht-EU-Ländern ist die Flucht aus der Ukraine rechtlich zwar möglich, praktisch gesehen aber auch nicht so einfach.
epd: Der rechtliche Rahmen heute ist ein anderer als 2015/2016, Stichwort Massenzustrom-Richtlinie. Hängt die hohe Aufnahmebereitschaft auch damit zusammen?
Bendel: Zumindest war die Entscheidung, die Massenzustrom-Richtlinie in Kraft zu setzen, dringend nötig. Zum einen, weil so eine unbürokratische und rasche Aufnahme Geflüchteter möglich ist. Zum anderen, weil die Aufnahme der Schutzsuchenden diesmal von Anfang an europäisch gedacht wird, denn die Entscheidung für die Aktivierung der Massenzustrom-Richtlinie wurde ja einstimmig gefällt. Für uns in Deutschland ist die Umsetzung dieser Richtlinie vielleicht sogar besonders folgenreich...
epd: Wie meinen Sie das?
Bendel: Unser bisheriges Asylmodell ist sehr straff organisiert: Neu ankommende Geflüchtete werden erst einmal zentral registriert und vorwiegend auch in großen Unterkünften untergebracht. Aktuell läuft es anders. Und ich finde, wir sollten wissenschaftlich untersuchen, ob sich die rasche Gewährung eines Aufenthaltsrechts sowie die freie Wahl des Wohnorts und der schnelle Zugang zur Arbeit gegenüber dem bisherigen Vorgehen bewähren. Dann könnte die ganze Asylpolitik vielleicht neu gedacht werden.
epd: Wenn jetzt ukrainische Geflüchtete privat bei ihnen bislang Unbekannten unterkommen, für wie problematisch halten Sie das, wenn das nicht zentral registriert wird?
Bendel: Wir dürfen die große Hilfsbereitschaft nicht unter Generalverdacht stellen, sondern erst einmal würdigen, müssen aber angesichts der Gefahr von Missbrauch auch sehr wachsam sein. Alle Unterkunftsangebote sollten ohnehin, wenn irgend möglich, registriert werden. Zum einen, damit man nachverfolgen kann, ob die Integrationsangebote bei den Menschen ankommen und genutzt werden - und zum anderen, damit eine sinnvolle Verteilung auf alle Bundesländer leichter fällt. Ohne ein Registrierungssystem - das ja im Moment nur den Ausländerbehörden der Länder obliegt - ist ein erheblicher Aufwand nötig, um auch nur annähernd zu schätzen, wie viele Menschen eigentlich gekommen sind und welche Unterstützungsangebote benötigt werden.
epd: Was wird bei der Integration der ukrainischen Geflüchteten die größte Herausforderung für die Aufnahmeländer?
Bendel: Die größte Herausforderung ist eigentlich immer, die gesellschaftliche Teilhabe der Geflüchteten sicherzustellen - von Anfang an. Das wären der Zugang zu Sprachkursen, Bildungsangeboten, Arbeit, Wohnraum und zur Gesundheitsversorgung. Weil aktuell besonders viele Frauen mit Kindern zu uns kommen, wird es eine große Herausforderung sein, die Kinderbetreuung sicherzustellen. Das ist nicht ganz trivial, denn Kita-Plätze sind mancherorts ja jetzt schon Mangelware...
Paul Berbée hat für das ZEW - Leibniz-Zentrum für europäische Wirtschaftsforschung Mannheim untersucht, wie die ehrenamtliche Flüchtlingshilfe von 2016 bis 2019 die Integration der Migranten fördert. Eine rege Zivilgesellschaft sei ganz entscheidend, so eine der Erkenntnisse der Studie. Das gelte auch heute. „Vertrauenspersonen für Geflüchtete sehr wichtig sind, um sich in den sozialen Diensten und der deutschen Bürokratie zurechtzufinden“, so der Experte. Die Fragen stellte Dirk Baas.
epd sozial: Herr Berbée, Sie haben eine Studie über die Rolle von ehrenamtlichem Engagement für die Integration von Flüchtlingen nach 2015 verfasst. Bevor wir zum Ukrainekrieg und der aktuellen Lage der Flüchtlinge kommen, möchte ich wissen, was die Kernergebnisse Ihrer Untersuchung waren.
Paul Berbée: Kurz gesagt: In Regionen, wo sich besonders viele Menschen freiwillig engagieren und es eine lebendige Zivilgesellschaft gibt, haben Geflüchtete mehr Kontakte zu Einheimischen und sind besser in die Aufnahmegesellschaft integriert. Dabei profitieren Frauen und Menschen mit niedrigem Bildungsstand besonders von ehrenamtlicher Unterstützung. Diese Hilfe deckt eine große Bandbreite an Aktivitäten ab, die weit über das Sammeln von Sachspenden und Losschicken von Hilfskonvois hinausgehen. Das reicht von Freizeitangeboten und Sprachunterricht über Beratung in Alltagsfragen und Begleitung bei Behördengängen bis hin zu Unterstützung bei Bewerbungen und der Jobsuche. Das war und ist ein sehr wertvoller Beitrag zur Integration, der geleistet wird. Ehrenamtliche sollten deshalb vor Ort eng in die Integrations- und Sozialpolitik eingebunden werden.
epd: Wie ließ sich das messen?
Berbée: Meine Koautoren und ich kombinieren für unsere Studie repräsentative Befragungsdaten von Geflüchteten mit Gründungen von Hilfsvereinen aus den Vereinsregistern. Diese Zahlen zeigen, dass dort, wo sich mehr Einheimische in der Flüchtlingshilfe engagieren, Geflüchtete im Durchschnitt besser Deutsch sprechen, mehr soziale Kontakte haben und generell über eine höhere Lebenszufriedenheit verfügen. Das gilt unabhängig von der regionalen Wirtschaftskraft, Bevölkerungsstruktur oder Arbeitsmarktlage. Interessanterweise besteht außerdem ein positiver Zusammenhang zwischen ehrenamtlicher Unterstützung und einem verbesserten Zugang zu sozialstaatlichen Leistungen. Das deckt sich mit früheren Studien, die zeigen, dass Vertrauenspersonen für Geflüchtete sehr wichtig sind, um sich in den sozialen Diensten und der deutschen Bürokratie zurechtzufinden.
epd: Was heißt das für die Integration der Ukrainer?
Berbée: Zunächst mal, dass man die Bedeutung des Ehrenamtes für die Integration nicht unterschätzen sollte. Die Neuangekommenen profitieren sehr davon, wenn sie über Freiwillige Zugang zu Netzwerken bekommen, etwa zu Behörden, Firmen, Vereinen oder Schulen und Kindergärten. Das ist eine sehr wichtige Ergänzung zu den sozialstaatlichen Angeboten, die es natürlich auch braucht. Ich gehe davon aus, dass die ukrainischen Communities, die es schon länger in Deutschland gibt, hier eine besonders wertvolle Hilfe leisten können.
epd: Über 190.000 Flüchtlinge aus der Ukraine sind schon in Deutschland registriert, vermutlich sind es aber schon weit mehr. Wie sehen Sie das derzeitige ehrenamtliche Engagement und erinnert Sie das an 2015, wenn sie die Bilder von unzähligen Flüchtlingen sehen?
Berbée: Ja, es gibt sicher eine Reihe von Parallelen, auch wenn man die Ereignisse nicht gleichstellen sollte. Wir haben eine Situation, die sich von Tag zu Tag ändert. Das stellt Behörden und Hilfsorganisationen vor Herausforderungen, weil sie sehr kurzfristig reagieren und pragmatische Entscheidungen treffen müssen. Außerdem nehmen viele Bürger Anteil, bieten spontan ihre Arbeitskraft an oder organisieren Hilfsangebote. Man sieht wieder eine große Solidarität.
epd: Wo liegen die Unterschiede zu der Lage 2015?
Berbée: Da ist zunächst die andere Ausgangslage, der Krieg mitten in Europa, von dem Deutschland viel unmittelbarer betroffen ist. Dann ist es natürlich die Zusammensetzung der Flüchtlinge. Heute kommen mit deutlicher Mehrheit Frauen und Kinder sowie ältere Menschen und nur wenige jüngere Männer. Außerdem haben wir heute Erfahrungswerte und bessere Strukturen als noch 2015, etwa bei der Bundesagentur für Arbeit, die in spezielle Programme für Geflüchtete investiert hat oder beim BAMF, das sein Angebot an Integrationskursen stark hochgefahren hat. Doch fehlt es sicher noch immer an Kita-Plätzen, und auch Plätze in der psychologischen Betreuung zu finden, ist schwierig.
epd: Gehen Sie davon aus, dass die große Solidarität wirklich andauern wird? 2015 war das nicht der Fall.
Berbée: Auch wenn sich der öffentliche Diskurs um die sogenannte „Willkommenskultur“ im Laufe der Zeit sicher verändert hat, würde ich nicht sagen, dass die Solidarität nach 2015 eingebrochen ist. Im Deutschen Freiwilligensurvey gaben 2019 immer noch 3,6 Prozent der Befragten an, sich aktuell in der Flüchtlingshilfe zu engagieren. Hochgerechnet auf die Gesamtbevölkerung sind das mehr als 2,5 Millionen, deutlich mehr, als Geflüchtete nach Deutschland kamen. Ich erwarte deswegen, dass die privaten Hilfen auch dieses Mal über die akute Notversorgung hinausgehen werden.
epd: Die Sympathien der Bürger waren nach 2015 irgendwann erschöpft, es gab sogar einen Stimmungsumschwung. Welche Gründe hatte das und droht ein solcher Kipppunkt auch heute?
Berbée: Da muss man sehr vorsichtig sein mit Prognosen. Die Lage war 2015 völlig anders. Und es gab dann Ereignisse, die die Stimmung auch wegen des riesigen medialen Echos negativ beeinflusst haben, wie die Übergriffe in der Silvesternacht 2015 in Köln. Ich könnte mir gut vorstellen, dass es einen Unterschied macht, dass dieses Mal unter den Flüchtenden überwiegend Frauen und Familien sind. Außerdem ist das Verständnis, warum und woher diese Menschen kommen, sehr viel deutlicher ausgeprägt. Das könnte die Solidarität mit ihnen stärken, auch längerfristig.
epd: Täuscht es oder herrscht nicht doch noch ein ziemliches Chaos im Umgang mit den Flüchtlingen - von privaten Hilfskonvois bis zur privaten Aufnahme der Menschen? Ließe sich das nicht besser zentral steuern?
Berbée: Ehrenamtliche Gruppen sind verglichen mit staatlichen Einrichtungen besser darin, flexibel und kurzfristig auf sich verändernde Situationen zu reagieren. Das macht sie aktuell an vielen Stellen unentbehrlich, um die Unterstützung für die Geflüchteten zu gewährleisten, zumindest so lange, bis die Verwaltungen die Hilfsstrukturen von offizieller Seite aufgebaut haben. Ich glaube, dass es in der aktuellen Lage wichtig ist, pragmatisch zu sein und dass zu viele zentrale Vorgaben auch kontraproduktiv sein können.
epd: Was meinen Sie damit?
Berbée: Natürlich muss man diejenigen, die nicht bei Freunden oder Verwandten unterkommen können, besser auf die Bundesländer verteilen. Die Erfahrungen aus 2015 zeigen aber auch, dass eine generelle Wohnsitzauflage die Integrationschancen insgesamt verschlechtert. Auch die frühzeitige Entscheidung, dass die Menschen aus der Ukraine keine langwierigen Asylverfahren durchlaufen müssen und unmittelbaren Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten, wird nicht nur den bürokratischen Aufwand reduzieren, sondern auch die Integration in Deutschland deutlich erleichtern.
Frankfurt a.M. (epd). Die Hilfsbereitschaft der Bürger ist riesig. Und so gibt es von der Politik viel Lob für die private Aufnahme von Flüchtlingen aus der Ukraine. Zugleich warnen Experten davor, sich bei diesem gutgemeinten Engagement dabei zu übernehmen. Viele Flüchtlinge seien traumatisiert, vor allem Kinder hätten Probleme, ihre Erlebnisse zu verarbeiten - und brauchen folglich professionelle Hilfe. Hier die Antworten von Flüchtlings- und Sozialverbänden auf Fragen zur psychosozialen Betreuung von Geflüchteten:
Was ist grundsätzlich zu bedenken, wenn eine geflüchtete Person privat aufgenommen werden soll?
Das ist eine verantwortungsvolle Aufgabe und sollte gut überlegt und mit allen Familienmitgliedern und Mitbewohnern besprochen werden, so dass es nicht zu Überforderungen kommt. Oft reicht es nicht, nur einen Schlafplatz anzubieten, sondern darüber hinaus werden Engagement, viel Zeit und Aufmerksamkeit gebraucht. Birgit Naujoks, Geschäftsführerin des Flüchtlingsrats NRW: „Man sollte es sich gut überlegen, ob man den Anforderungen, die eine solche Aufnahme in den eigenen vier Wänden stellt, gerecht werden kann.“ Auch die Diakonie rät, genau zu prüfen, wie viel Zeit man mit den Gästen verbringen kann und welche Hilfen man sich zutraut. Gerade traumatisierte Flüchtlinge bräuchten einen festen Tagesrhythmus. Deshalb sei es gut, die Betroffenen zu sinnvollen Aktivitäten anzuregen, sie zu den Behörden zu begleiten und bei Bedarf bei der Wohnungssuche zu unterstützen. Auch Unterstützung beim Erlernen der deutschen Sprache werde gerne angenommen.
Was können psychische Reaktionen auf Traumatisierungen sein?
Nach Angaben von Refugio, das sich um Kriegs- und Folteropfer kümmert, zeigen die Flüchtlinge häufig psychische Reaktionen wie Ohnmachts- und Kontrollverlustgefühle, haben Ängste, sind körperlich angespannt und leiden unter Schlafstörungen. Es könne auch zu „emotionaler Taubheit“ kommen, so dass Menschen ihre Gefühle kaum noch wahrnehmen und ausdrücken können. Wichtig sei, die Unterbringung so zu organisieren, dass ein Ort geboten wird, an dem die Menschen auch eine Privatsphäre haben und zur Ruhe kommen können. Für Mareike Geiling vom Vermittlungsportal „Zusammenleben Willkommen“, ist es elementar, dass die Wohnung ausreichend Platz für einen längeren Zeitraum bietet.
Wie reagieren Kinder und Jugendliche, die fliehen mussten?
Laut Refugio zeigen sie oft andere Reaktionen als Erwachsene. Sie können gereizt wirken oder wollen sich einfach nur ablenken und nichts mehr mit dem Krieg zu tun haben. Kinder spielen womöglich aber auch Kriegsszenen nach. Das sind in der posttraumatischen Akutphase normale kindliche Reaktionen. Kinder, die sich gut ablenken können oder etwa ein Stofftier bekommen, um das sie sich kümmern können, zeigen auf längere Sicht weniger psychische Störungen.
Sollte man Betroffene auf ihre Kriegserlebnisse ansprechen und sie ermutigen, darüber zu reden?
Direktes Nachfragen kann sogar schädlich sein. Jedoch sollte eine Atmosphäre geschaffen werden, bei der die Menschen von sich aus erzählen oder Fragen stellen können. Gerade Kinder brauchen ein gewisses Maß an Informationen, das Gespräch mit ihnen sollte sich aber an ihren Fragen ausrichten. Die Bundesweite Arbeitsgemeinschaft Psychosozialer Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAFF) rät, vor Gesprächsangeboten die eigene Belastung zu prüfen, Kapazitäten und Erfahrungen abzuschätzen. Falls man nicht dazu bereit ist, das Erlebte zu hören, sollte das wertschätzend gesagt und kurz die Gründe benannt werden. Es sollte dennoch eine Offenheit zum Gespräch - vielleicht an einem anderen Zeitpunkt - signalisiert werden.
Wie sollte man mit Kindern über das Erlebte sprechen?
Die Psychiaterin Susanne Schlüter-Müller (Unicef), sagt, nichts sei schlimmer, als die Kinder ihren Fantasien zu überlassen, denn wenn sie keine Erklärung bekämen, blühten die Fantasien und Ängste. Aber die Wahrheit müsse unbedingt dem Alter, also der kognitiven und somit emotionalen Bewältigungsmöglichkeit angemessen sein: „Mit Pubertierenden kann über Krieg rational und offen gesprochen werden, mit einem fünfjährigen Kind nicht.“
Was ist zu tun, wenn Geflüchtete in Krisen geraten?
Akuttraumatisierte leiden plötzlich unter extremem Stress und können ihre Gefühle - vor allem Ängste und Gedanken - nicht mehr richtig koordinieren. Hilfreich können alle Tätigkeiten sein, die die Betroffenen im Alltag ablenken, berichtet Refugio. Auch Atemübungen, Spaziergänge oder körperliche Betätigung sind hilfreich. „Beruhigungsmittel sollten auf jeden Fall nur von Ärztinnen und Ärzten oder der Notfallambulanz gegeben werden.“
Brauchen alle Geflüchteten eine Therapie?
Nein, bei vielen Menschen bilden sich die psychischen Reaktionen auf die akuten Traumatisierungen von alleine wieder zurück. Hilfreich dazu ist die Unterstützung bei der Rückkehr in den Alltag. Für Kinder heißt das Kindergarten- oder Schulbesuch. Erwachsene können in tägliche Tätigkeiten wie das Einkaufen oder Kochen eingebunden werden. Wichtig ist auch der Kontakt zu Bezugspersonen und anderen muttersprachlichen Menschen. Die BAFF betont, dass Überlebende schwerer Gewalt Orte brauchen, an denen sie sich sicher fühlen können, an denen sich empathische Menschen für ihr Schicksal interessieren. Menschen, die eine Traumafolgestörung entwickeln, benötigen oft professionelle psychosoziale oder psychotherapeutische Unterstützung. Wichtig: Um Sozialleistungen oder Krankenversicherungsschutz muss eine Registrierung über die zuständigen Ausländerbehörden erfolgen.
Berlin (epd). Der Bundestag hat am 17. März in Berlin einen Heizkostenzuschuss für Wohngeld-Empfänger beschlossen. Er soll mit 270 Euro für einen Ein-Personen-Haushalt doppelt so hoch ausfallen wie zunächst geplant. Zwei-Personen-Haushalte sollen 350 Euro sowie 70 Euro für jedes weitere Familienmitglied bekommen. Die Linke votierte mit SPD, Grünen und FDP für die Erhöhung, die Union stimmte dagegen, die AfD enthielt sich.
Für Studierende und Auszubildende, die staatliche Hilfen erhalten, soll ein Zuschuss in Höhe von 230 Euro gezahlt werden. Auch dies ist jeweils eine Verdoppelung gegenüber den ursprünglichen Plänen der Ampel-Koalition.
Wegen der stark steigenden Energiepreise hatte der zuständige Bauausschuss im Bundestag am Mittwoch über die Verdopplung der Zahlung entschieden, nachdem Fachpolitiker der Ampel-Fraktionen SPD, Grüne und FDP sich dafür starkgemacht hatten. Der Bund stellt für den Zuschuss den Angaben zufolge rund 370 Millionen Euro zur Verfügung. Mehr als zwei Millionen Menschen sollen ihn erhalten. Die für diese Heizperiode einmalige Hilfe soll spätestens zum Ende des Jahres ausgezahlt werden, wenn die Nebenkostenabrechnungen anstehen.
Würzburg (epd). Fabian Dinsing ist glücklich, wenn er ein neues Theaterstück einübt. „Korrekte Lebenslust“ heißt die jüngste Produktion, in der er sich engagiert. Der 26-Jährige mit Down-Syndrom aus Würzburg gehört dem inklusiven „Theater Augenblick“ an. Das bietet Menschen mit kognitivem Handicap die Chance, als Schauspieler Geld zu verdienen. Vor 23 Jahren, als das Ensemble entstand, war das noch ein ungewöhnlicher Gedanke: Können geistig behinderte Menschen Theater machen?
Einen Flop hat das „Theater Augenblick“ tatsächlich noch nie erlebt. Die Stücke faszinieren, berühren. Und das, sagt Theaterleiter Stefan Merk, liegt eben an den sehr speziellen Akteuren. Deren Lust, sich auf der Bühne zu verwirklichen, ist immens, wie Fabian Dinsing bestätigt: „Ich spiele immer total gern. Und ich mag jedes Stück von uns.“ Dass viel improvisiert wird, macht die Produktionen so lebendig. Vor allem bekommt das Publikum auf diese Weise einen Einblick in das Können und in die Emotionalität von Menschen, deren Talente noch immer weithin verkannt werden.
Die Stücke einzustudieren, erfordert viel Zeit. In manchen Produktionen stecken fast zwei Jahre Arbeit. Genau hier beginnt ein großes Problem: Inklusive Theaterarbeit zu finanzieren, ist schwierig. „Der Pflegesatz bei Kunst und Kultur müsste an die Inklusionsziele der Behindertenrechtskonvention angepasst werden“, wünscht sich Stefan Merk zum Welt-Down-Syndrom-Tag am 21. März. Mit den Geldern, die derzeit fließen, könnten keine neuen Theater- und Künstlerateliers mit behinderten Menschen entstehen. Dabei seien solche Projekte wichtig. Denn vor allem durch Kunst können Menschen mit kognitiven Handicaps zeigen, was in ihnen steckt.
Vorurteile bauen sich umso stärker ab, je intensiver die Menschen miteinander in Kontakt kommen. Umgekehrt verfestigen sich falsche Vorstellungen, wenn es keine Möglichkeit der Begegnung gibt. Das kann gravierende Konsequenzen haben. Viele Eltern zum Beispiel fürchten sich davor, ein Kind mit Down-Syndrom zur Welt zu bringen. „Sie glauben zum Beispiel, dass sie dann ein Kind haben werden, das lebenslang pflegebedürftig bleibt“, sagt Nicole Rüther, Elternberaterin beim Münchner Verein „Down Kind“. Dies sei eine unbegründete Angst, betont die 44-Jährige, die einen Bruder und eine neunjährige Tochter mit Down-Syndrom hat.
Menschen mit Down-Syndrom können viele Aufgaben mit Bravour lösen, sagt Rüther. Das schauspielerische Talent zum Beispiel, das Fabian Dinsing zeigt, sei nichts Ungewöhnliches. Ihre eigene Tochter habe eine Aura, die Menschen sofort in Bann ziehe: „Sind wir irgendwo im Urlaub, fahren die Leute immer gleich auf sie ab.“ Aufgrund ihrer eigenen positiven Erfahrungen ermutigt die Elternberaterin Väter und Mütter, Ja zu einem Kind mit Down-Syndrom zu sagen. Sehr schade sei, wenn Ärzte dies nicht tun, bedauert sie: „Nach meiner Erfahrung raten die allermeisten davon ab, ein Kind mit Down-Syndrom auszutragen.“
Eltern, denen die Courage für ein Ja zu einem solchen Kind fehlt, haben es künftig leichter als bisher, es abtreiben zu lassen. Sollen doch nichtinvasive Pränataltests (NIPT) auf die Trisomien 13, 18 und 21 voraussichtlich ab Frühjahr Kassenleistung werden. Der Gemeinsame Bundesausschuss gab hierfür bereits grünes Licht.
Dabei handelt es sich um Bluttests, die seit zehn Jahren in Deutschland zugelassen sind. Sie ergänzen die invasiven Verfahren der Chorionzottenbiopsie und der Amniozentese. Beide sind seit 1975 Bestandteil der Versorgung. Hierbei kann es jedoch zu Komplikationen mit einer Fehlgeburt als Folge kommen. Nichtinvasive Pränataltests mussten bisher selbst bezahlt werden. Dabei können Kosten von mehr als 400 Euro anfallen. Dass Frauen, die dafür das Geld nicht haben, bisher keine Tests erhielten, wurde kritisch gesehen.
Für Nicole Rüther ist die Neuregelung schwierig. Eltern, die trotz eines solchen Frühhinweises ein „Down-Kind“ bekommen, würden womöglich noch stärker als bisher unter Druck geraten. So könnte es sein, dass sie sich häufig mit dem Satz auseinandersetzen müssen: „Das hättet ihr doch testen lassen können.“ Oder: „So ein Kind muss man doch heute nicht mehr bekommen.“
Baran Blodt hingegen findet es gut, dass nichtinvasive Pränataltests bald bezahlt werden. Blodt, die dem Vorstand des Elternkreises Down-Syndrom Mainz angehört, hat einen sieben Jahre alten Sohn mit Down-Syndrom: „Wir hatten damals in der Schwangerschaft keinerlei Tests gemacht.“ Als das zweite Kind unterwegs war, machten die Eltern Tests, weil sie sich auf ein womöglich beeinträchtigtes Kind einstellen wollten. „Hätte auch unser zweites Kind ein Down-Syndrom gehabt, hätten wir uns dennoch für es entschieden“, betont die Mainzerin. Das Paar wollte sich jedoch ein Nein offenhalten, wäre eine noch sehr viel gravierendere Behinderung diagnostiziert worden.
Baran Blodt hatte zum Beispiel eine Trisomie 18 ausschließen wollen. Kinder mit diesem Defekt sind geistig sehr stark behindert, sie haben mehrfache Fehlbildungen und in fast allen Fällen einen schweren Herzfehler. Die meisten sterben in den ersten Lebenswochen, nicht einmal jedes zehnte erreicht das erste Lebensjahr. „In diesem Lebensjahr wird man zur Sterbebegleiterin, und das hätte ich nicht gekonnt“, sagt Blodt.
Als Blodt mit ihrem zweiten Kind schwanger war, wurden die Testkosten noch nicht übernommen. Die Mainzerin musste rund 500 Euro aus eigener Tasche zahlen. Das, sagt sie, können sich viele Eltern nicht leisten. Was unfair sei. Darum begrüße sie es, dass die Tests Kassenleistung werden sollen. Die Meinung hierüber seien jedoch auch in ihrem Mainzer Verein gespalten.
Lauf (epd). Mehr Anstrengungen für die Inklusion von Menschen mit Behinderungen in die Gesellschaft fordert Elzbieta Szczebak vom Deutschen Down-Syndrom InfoCenter. „Um Teilhabe zu gewährleisten, braucht es vor allem den Aufbau von Assistenzen in allen Lebensbereichen“, sagte die Geschäftsführerin der Selbsthilfe-Organisation dem Evangelischen Pressedienst (epd) anlässlich des Welt-Down-Syndrom-Tags am 21. März. Gleichzeitig warnte sie davor, immer mehr vorgeburtliche Tests zur Früherkennung von Behinderungen zuzulassen.
Menschen mit Intelligenzminderung könnten gut am gesellschaftlichen Leben teilhaben, wenn sie von Personen begleitet werden, die ihnen assistierten, erklärte sie. Das könnten die Inklusionsassistentin im Kindergarten sein, die Integrationshelferin in der Schule, der Arbeitsassistent im Berufsleben oder die Assistentin, die in der eigenen Wohnung unterstütze. „Ich erwarte von der Gesellschaft, dass sie ausreichend Geld für die Assistenzen zur Verfügung stellt“, sagte Szczebak.
Außerdem bräuchten Ärzte und Humangenetiker mehr Schulungen und Fortbildungen. „Diese Berufsgruppen sind auf die Vermittlung pränataler Diagnosen nicht gut vorbereitet“, sagte die Expertin. Zudem müssten Medizinerinnen und Mediziner einen empathischeren Umgang mit kognitiv beeinträchtigten Patienten lernen.
Szczebak erwartet nach eigenen Worten, dass in den kommenden Jahren weniger Menschen mit Trisomie 21 geboren werden als bisher. Grund sei, dass die gesetzliche Krankenversicherung voraussichtlich von diesem Frühjahr an nichtinvasive Pränataltests (NIPT) erstatte.
Die Geschäftsführerin des Down-Syndrom Infocenters machte in diesem Zusammenhang auf das zivilgesellschaftliche Bündnis „#NoNIPT“ aufmerksam. Der Zusammenschluss befürchtet die Kassenzulassung weiterer NIPT auf genetische Abweichungen. So seien seit Oktober 2019 auch nichtinvasive Tests auf Mukoviszidose, spinale Muskelatrophie, Sichelzellkrankheit und Thalassämien bei Ungeborenen möglich. Ein Hersteller habe bereits angekündigt, einen Erstattungsantrag stellen zu wollen.
Zum Welt-Down-Syndrom-Tag wies Szczebak darauf hin, dass die Lebenszufriedenheit von Familien mit einem Angehörigen mit Down-Syndrom entgegen verbreiteter Vorurteile meist sehr groß sei. Fast 90 Prozent der Befragten hätten in einer Umfrage erklärt, dass die schönen Momente mit dem Kind die Herausforderungen und Probleme aufwiegen. Etwa drei Viertel aller Eltern gaben demnach an, dass der Alltag mit dem beeinträchtigten Kind längst weniger problematisch sei, als sie erwartet hätten.
Karlsruhe (epd). Der Straßenstrich in Karlsruhe liegt in einem toten Winkel zwischen Bundesstraße, Industriegebiet und nagelneuen Bürokomplexen. Unter der Bahnbrücke sind die Spuren der Nacht noch sichtbar: Blisterpackungen von Aufputschmitteln, Feuchttücher, ein Messer, Müll, ein pinkfarbener Tanga und immer wieder Kondome. „Dies ist ein Arbeitsort“, sagt Anita Beneta, die Leiterin von „Luise“, der Beratungsstelle für Prostituierte des Diakonischen Werks Karlsruhe.
Das Diakonische Werk Karlsruhe macht auf die unwürdigen Zustände aufmerksam. „Wir als Beratungsstelle sind unzufrieden mit dem Strich“, sagte Beneta gegenüber dem Evangelischen Pressedienst (epd). Ein Vor-Ort-Gespräch mit Vertretern der Stadt 2021 sei bisher ohne konkrete Ergebnisse geblieben. Die Sozialarbeiterin wünscht sich ein Konzept, bei dem gewalttätige Freier abgewiesen werden, bei dem Prostituierte zumindest in Containern arbeiten können. Vorbild könnte laut Beneta das „Kölner Modell“ sein. Dort gebe es auch Duschen. In Karlsruhe gebe es weder Mülleimer noch Toiletten, bemängelt sie.
Jeden Montagabend zwischen 22 Uhr und drei Uhr morgens ist der „Luisebus“ an den sieben Standorten des Karlsruher Straßenstrichs unterwegs. Er bringt Kondome, warmen Kaffee und Hygieneartikel. Von den 17 bis 30 Frauen, die täglich auf dem Karlsruher Straßenstrich stehen, seien die meisten ohne festen Wohnsitz, weiß Beneta.
„Sie haben Angst, sich zu outen“, sagt die Bereichsleiterin. Sie befürchteten, ansonsten von ihrer Familie im Heimatland ausgeschlossen zu werden. Die Frauen seien in Deutschland lediglich als „Geschäftsfrauen“ unterwegs.
Die meisten Sexarbeiterinnen stammten aus Rumänien, Bulgarien und Ungarn, sagt Beneta. Ihre Dienste böten sie nach eigenen Angaben freiwillig an. „Ich hinterfrage die Aussage eines erwachsenen Menschen nicht.“ Die Frauen kämen aus ökonomischen Gründen, um sich selbst und die Familie zu ernähren oder um den Kindern eine Ausbildung zu finanzieren.
Um sie zu erreichen, suchen die Sozialarbeiter des Diakonischen Werkes „die Szene“ auf. Eine Gynäkologin bietet medizinische Hilfe, auch das Deutsche Rote Kreuz kommt zweimal im Monat vorbei. Wer aus dem Geschäft mit der Sexarbeit aussteigen will, finde bei „Luise“ ebenso Unterstützung wie nach einer Gewalterfahrung, sagt die Sprecherin der Beratungsstelle, Luise Winter.
Zustände wie auf dem Strich in Karlsruhe gebe es überall in Baden-Württemberg, betont Beneta. Von einem Verbot des Straßenstrichs hält sie dennoch nichts. „Für Migrantinnen wäre das eine Katastrophe.“ Die Geflüchteten würden ins Internet oder auf Terminwohnungen ausweichen, befürchtet sie. Das sei viel gefährlicher. Kontrolle sei nur in „sichtbarer Prostitution“ möglich.
Innerhalb der Diakonie Baden wird das Thema „Sexkaufverbot“ kontrovers diskutiert. Die Diakonie in Mannheim und das Diakonische Werk der Evangelischen Kirche in Heidelberg unterstützen die Forderung nach einem Verbot nach dem „Nordischen Modell“. Danach gehen bei Verstößen Sexarbeiterinnen straffrei aus, bestraft werden nur die Freier. Für Aufsehen hatte zuletzt ein gemeinsames Positionspapier der Diakonie Karlsruhe mit Bordellbetreibern gesorgt. Darin war von einem Qualitätssiegel für Bordelle die Rede.
Die meisten Sexarbeiterinnen auf dem Strich wünschten sich einen „sauberen, geregelten Arbeitsplatz“, hatte eine Umfrage des Diakonischen Werkes Karlsruhe ergeben. Tatsächlich ist der Arbeitsplatz unter der Brücke mit all den „Hinterlassenschaften“ unappetitlich. Wer das sieht, muss sich fragen, wie dies bei all den detaillierten Vorschriften für einen Arbeitsplatz in Deutschland möglich ist.
Bonn (epd). Die Aktion Mensch unterstützt Menschen mit Behinderung sowie Kinder und Jugendliche, die aus der Ukraine fliehen, mit einer Sonderförderung von 20 Millionen Euro. „Für sie ist die Situation besonders dramatisch. Sie alle benötigen bei ihrer Ankunft in Deutschland sichere und barrierefreie Orte, an denen sie Versorgung, Betreuung und Beratung erhalten“, heißt es in einer Mitteilung vom 14. März.
„Wir müssen Menschen, die aus dem Kriegsgebiet in der Ukraine fliehen, in Deutschland ein sicheres Ankommen und den schnellen Zugang zu unterstützenden Angeboten ermöglichen“, so Armin v. Buttlar, Vorstand der Aktion Mensch. „Wir wollen ihnen dabei helfen, die schrecklichen, traumatischen Erfahrungen zu verarbeiten und haben dabei insbesondere Menschen mit Behinderung sowie Kinder und Jugendliche im Blick.“
Gemeinnützige Organisationen und Vereine in Deutschland, die Hilfsangebote für Menschen mit Behinderung, Kinder und Jugendliche sowie deren Begleitung anbieten, können deshalb ab sofort die unkomplizierte Förderung bei der Aktion Mensch beantragen. Dazu gibt es bis zu 100.000 Euro, etwa für Miete und Ausstattung von Räumlichkeiten, der Herstellung von Barrierefreiheit, bei Dolmetscherdiensten (auch Gebärdensprache), Beratung, Koordination von Ehrenamtlichen oder bei psychosozialer Begleitung. Die Hilfs- und Vernetzungsaktivitäten fänden im engen Schulterschluss mit den Verbänden der Freien Wohlfahrtspflege sowie der Behindertenhilfe und Selbsthilfe statt, hieß es.
Berlin (epd). Angesichts der drastisch steigenden Spritpreise fordern Pflege- und Sozialverbände die Bundesregierung zum Handeln auf. „Bleibt der Benzinpreis dauerhaft hoch, muss seitens des Gesetzgebers Entlastung geschaffen werden“, sagte Helvi Seehafer, Fachbereichsleiterin Pflege in der Bundesgeschäftsstelle der Johanniter-Unfall-Hilfe (JUH), am 14. März dem Evangelischen Pressedienst (epd). Wichtig sei, dass die Zusatzkosten nicht an die Patientinnen und Patienten weitergegeben werden und Pflege nur noch für wohlhabende Menschen bezahlbar werde.
Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) beklagte, dass die „aktuell rasant ansteigenden Preise für Öl, Gas, Diesel, Benzin für unsere Einrichtungen und Dienste eine zusätzliche wirtschaftliche Belastung bedeuten“. Über deren Kompensationsmöglichkeiten werde derzeit intensiv beraten. Es müsse geklärt werden, in welcher Weise die erhöhten Kosten von den Leistungserbringern weitergegeben bzw. geltend gemacht werden könnten, teilte das DRK in Berlin mit.
Die Johanniter weisen darauf hin, dass die ambulanten Pflegedienste über eine noch stärkere Optimierung ihrer Fahrten nur begrenzt positive Effekte erreichen könnten. Denn für die Sozialdienste sei es schon immer wichtig, zeit- und ressourcenschonend zu arbeiten. „Eine gute Tourenplanung, die auf kurze Wege bedacht ist, wird schon jetzt praktiziert. In Großstädten werden, wenn es sinnvoll erscheint, Fahrräder und E-Bikes eingesetzt. Der Einsatz von Elektrofahrzeugen wurde vielfach schon getestet und umgesetzt“, erklärte Seehafer.
Die Vergütungssätze in der ambulanten Versorgung werden langfristig mit den Pflegekassen verhandelt und fließen in die jeweiligen Wirtschaftsplanungen der Pflegedienste ein. Kommt es zu kurzzeitigen Preissteigerungen, könne dies zum Teil über das Jahr kompensiert werden, sagte Seehafer. Langfristige Preissteigerungen wie aktuell die deutlich erhöhten Kosten für Treibstoffe seien jedoch kaum ausgleichbar - vor allem vor dem Hintergrund, dass die Vergütungssätze schon jetzt sehr knapp bemessen seien.
Bpa-Chef Bernd Meurer sagte, „Verbände lassen sich nicht aus dem Homeoffice wechseln“. Auch er forderte eine gezielte Entlastung von Pflegeeinrichtungen durch die Mehrwertsteuererstattung auf Energiekosten. „Diese Lösung sichert die pflegerische Versorgung, ohne die Pflegebedürftigen einseitig zu belasten.“
Die Rekordpreise an den Tankstellen und bei den Energiepreisen belasteten die Pflegebranche massiv. „Ambulante Pflegedienste müssen gerade im ländlichen Raum täglich weite Strecken fahren, um ihre Patienten zu versorgen“, so der Präsident. Stationäre Pflegeeinrichtungen müssten derzeit teilweise doppelt so hohe Energiekosten tragen wie noch vor wenigen Monaten.
Zudem fordert der Verband die Möglichkeit für Pflegeunternehmen, in schnelle Nachverhandlungen mit den Kostenträgern zu treten, damit die unerwartet hohen zusätzlichen Kosten in den Vergütungsvereinbarungen berücksichtigt werden.
München, Nürnberg (epd). Michael Bammessel spricht aus leidiger Erfahrung: Der Pflegenotstand werde sich nicht erst in Zukunft zeigen, er sei längst da. „Pflege ist seit mehr als zehn Jahren ein Megathema. Aber den politischen Willen, das große Rad zu drehen, den kann ich einfach nicht erkennen“, so der scheidende Diakoniechef gegenüber dem epd. Eine Lösung sieht er in der viel stärkeren Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland. Und in der Ausbildung der zu uns gekommenen Flüchtlinge. Die Fragenstellten Roland Gertz, Jutta Olschewski und Daniel Staffen-Quandt.
epd sozial: Herr Bammessel, zuletzt gab es ja einigen Wirbel um die einrichtungsbezogene Impfpflicht. Zuerst schien die Diakonie dafür, dann wieder dagegen...
Michael Bammessel: Nein, das stimmt so nicht. Die ursprüngliche Idee der einrichtungsbezogenen Impfpflicht war ja, dass sie Teil eines Stufenplans ist und ihr zeitnah auch eine allgemeine Impfpflicht folgt. So hätten es viele in der Diakonie mitgetragen. Doch die allgemeine Impfpflicht ist ja in weite Ferne gerückt - und allein eine einrichtungsbezogene Impfpflicht hätte wieder eine Diskriminierung in den Einrichtungen zur Folge gehabt: Auf der einen Seite Besucher und Bewohner, die sich nicht impfen lassen müssen, auf der anderen Seite unser Personal, das sich impfen lassen müsste.
epd: Wir reden hier aber doch nur von einem sehr geringen Prozentsatz im Pflegebereich, der nach wie vor nicht gegen Corona geimpft ist, oder?
Bammessel: In unserer Bevölkerung - und damit auch bei Pflegekräften - gibt es eine beachtliche Zahl von Menschen, die bislang die Impfung nicht als das Mittel der Wahl im Kampf gegen die Corona-Pandemie anerkannt haben. In einer freien Gesellschaft muss ich das akzeptieren. Auch wenn ich es persönlich für ein Gebot der Verantwortung für andere halte, sich impfen zu lassen. Selbst in Einrichtungen mit hohen Impfquoten könnte der Ausstieg Ungeimpfter personelle Probleme auslösen. Wenn es in einem Pflegeheim 50 Angestellte gibt und 92 Prozent davon sind geimpft, könnten vier Mitarbeitende bei einem Arbeitsverbot für Impfverweigerer ausfallen. Die Grenze, ab wann der Versorgungsauftrag nicht mehr gewährleistet werden kann, ist schnell erreicht.
epd: Wie könnten die Personalprobleme im Pflegebereich aus ihrer Sicht gelöst werden?
Bammessel: Aus meiner Sicht wird es keine Lösung geben ohne eine noch wesentlich stärkere und in verantwortungsvoller Weise durchgeführte Anwerbung von Menschen aus dem Ausland. Natürlich nicht aus Ländern, die selbst einen Fachkräftemangel haben und natürlich nur mit entsprechenden Begleitmaßnahmen, was die Sprache und die Ausbildung angeht. Aber es gibt durchaus Länder auf dieser Erde, die haben junge Menschen, die zum Teil sogar gut ausgebildet sind, die auch bereit wären, nach Deutschland zu kommen. Und es gibt ja auch schon Menschen, die hier sind - deshalb kann ich absolut nicht begreifen, weshalb unsere Staatsregierung so handelt, wie sie handelt: Wir haben hier Geflüchtete, die inzwischen gut integriert sind, die im Pflegebereich arbeiten wollen, denen aber die Arbeit oder sogar Ausbildung verboten und die Abschiebung angedroht wird.
epd: Woran liegt es, dass es politisch beim Thema Pflege einfach nicht vorangeht - oder nur sehr, sehr langsam?
Bammessel: Da fragen Sie mich was! Pflege ist seit mehr als zehn Jahren ein Megathema. Aber den politischen Willen, das große Rad zu drehen, den kann ich einfach nicht erkennen. Im Bundestagswahlkampf war Pflege wieder mal nur ein Randthema. Da bräuchte es endlich eine „Neuaufstellung“. Dass der große Wurf möglich wäre, das hat man in den vergangenen Jahren und Tagen bei anderen Themen gesehen. In der Pandemie wurden Rettungspakete in aberwitzigen Höhen geschnürt. Seit Beginn des Ukraine-Krieges wurden viele zusätzliche Milliarden für die Verteidigung angekündigt. Und die Pflege?
epd: Braucht es in der Pflege also erst einen großen Knall wie den russischen Überfall auf die Ukraine, damit man die Notwendigkeit eines „großen Wurfs“ in dem Bereich erkennt?
Bammessel: Im Prinzip ist der große Knall schon längst da, nur kam er eben schleichend. Der Pflegenotstand ist keine Zukunft, er ist bereits Realität. Auch Diakonie-Einrichtungen müssen beispielsweise in der ambulanten Pflege mancherorts nicht nur neue Anträge ablehnen, sondern sogar bestehende Verträge mit Patientinnen und Patienten kündigen. In Unterfranken musste beispielsweise eine ganze Diakoniestation dauerhaft schließen, weil dort einfach keine Pflegekräfte mehr gefunden wurden. Dass der Ernst der Lage bislang gesellschaftlich und politisch nicht wirklich realisiert wird, das macht mich einigermaßen ratlos.
epd: Blicken wir auf die Schnittstelle Kirche/Diakonie: Wie wirkt sich die zunehmend kirchenkritische Haltung in der Gesellschaft auf die Arbeit der Diakonie aus?
Bammessel: Natürlich merken wir, dass die Zahl der Menschen, die bei der Diakonie arbeiten und arbeiten wollen, und die zugleich einen echten, gewachsenen, stabilen kirchlichen Bezug haben, weiter abnimmt. Das ist schon ein Problem. Ich kann bei der Diakonie zwar durchaus Menschen mit unterschiedlichen Überzeugungen anstellen, solange sie unsere christliche Grundausrichtung bejahen. Aber damit es eine kirchliche Diakonie bleibt, brauchen wir schon auch genügend Menschen, die persönlich für das kirchliche Profil der Diakonie bewusst einstehen.
epd: Was heißt das konkret? Der Pflegehelfer darf aus der Kirche austreten, die Pflegedienstleitung oder Kita-Leiterin hingegen nicht?
Bammessel: Solche Entscheidungen treffen die einzelnen Träger und Einrichtungen vor Ort - und dort ist es meiner Meinung nach auch richtig aufgehoben, weil nur dort der Einzelfall gesehen und beurteilt werden kann. Man hat in der Vergangenheit ja immer versucht, das relativ formal zu definieren, - bei welcher Stelle muss man Mitglied der evangelischen Kirche sein, wofür genügt auch eine Mitgliedschaft in einer anderen christlichen Kirche, bei welchen Jobs ist das gar nicht mehr relevant und so weiter. Es kann aber sein, dass etwa eine muslimische Pflegekraft sehr viel mehr Verständnis für die religiösen Bedürfnisse einer alten Dame hat als ein evangelisches Kirchenmitglied, dem der Glaube sehr fern ist.
Köln (epd). Das Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA) und die BFS Service GmbH starten eine Neuauflage ihrer gemeinsamen Marktstudie zum Betreuten Seniorenwohnen. Mit ihren neu gewonnenen Daten wollen sie „ der Wohn- und Pflegebranche einen Überblick über die Struktur und die Herausforderungen im Betreuten Wohnen von Senioren zur Verfügung stellen“, heißt es in einer Mitteilung vom 15. März. Ziel sei es, Branchenakteuren eine valide Planungsgrundlagen für neue Projekte zu geben, um dieses Versorgungsangebot noch passgenauer auf die zukünftigen Anforderungen auszurichten.
Das Betreute Wohnen ist es neben dem Heim die bedeutendste Sonderwohnform. Auch für die Zukunft werden Zuwachsraten prognostiziert. Neben einer aktuellen Strukturdatenerhebung ermittelt die neue Studie Entwicklungen und Veränderungen der letzten fünf Jahre sowie die zukünftigen Herausforderungen für diesen Sektor.
Zur Teilnahme an der Studie werden knapp 5.000 Anbieter von Betreuten Wohnanlagen direkt angeschrieben. „Weitere Akteure im Geschäftsfeld Betreutes Seniorenwohnen können sich ebenfalls an der Befragung beteiligen. Die Beantwortung der Fragen wird etwa 15 Minuten in Anspruch nehmen“, so die Mitteilung. Die Teilnahme an der Online-Umfrage ist bis zum 6. Mai möglich. Die Studienergebnisse werden am 13. September 2022 beim 3. Kongress Betreutes Seniorenwohnen in Leipzig präsentiert.
Bereits 2018 haben die BFS Service GmbH und das KDA eine erste systematische Studie zum Betreuten Seniorenwohnen durchgeführt. Diese Erhebung ermittelte erstmals von jeder zehnten Betreuten Wohneinrichtung in Deutschland detaillierte Informationen über die derzeitige Marktsituation und die zukünftige Bedarfslage.
Berlin (epd). Die Bundesvereinigung Lebenshilfe hat eine Petition im Bundestag im Bundestag gestartet, um bessere Pflegebedingungen für Menschen mit Behinderung zu erreichen. „Seit Jahren kämpfen die Fachverbände für eine Abschaffung des Paragraphen 43a im Elften Sozialgesetzbuch (SGB XI). Dieser Paragraph behandelt Menschen mit Behinderung bei der Pflege deutlich schlechter, wenn sie in einem 'Wohnheim' leben“, heißt es zur Erklärung in einer am 16. März veröffentlichten Mitteilung. Mindestens 50.000 Unterschriften seien das Ziel, damit die Petition Erfolg habe.
„Die Ungerechtigkeit und Diskriminierung, die mit dem § 43a einhergehen, ist für uns in keiner Form nachvollziehbar“, sagte Ulla Schmidt, die Bundesvorsitzende: „Alle sollen dieselbe Unterstützung erhalten, egal, wo sie leben.“
Im Anwendungsbereich von § 43 a SGB XI und damit in den gemeinschaftlichen Wohnformen haben Menschen mit Behinderungen den Angaben nach nur eingeschränkten Zugang zu den Leistungen der Pflegeversicherung. Unabhängig von ihrem Pflegegrad stehen ihnen nur Leistungen in Höhe von maximal 266 EUR pro Monat und damit regelmäßig ein Bruchteil ihres tatsächlichen Bedarfs zu. Alle Leistungsverbesserungen in der Pflegeversicherung der letzten Jahre seien an den Menschen mit Behinderung in besonderen Wohnformen vorbeigegangen.
Denn es macht laut Lebenshilfe finanziell einen großen Unterschied wo der oder die Pflegebedürftige lebt. Im Vergleich zu Menschen mit Behinderung, die häuslich gepflegt werden, erhalten sie von der Pflegekasse für ihre Pflege pro Monat je nach Pflegegrad zwischen 423 bis 1.729 Euro weniger an Versicherungsleistungen. Durch die gekürzten Pflegeleistungen seien betroffene Bewohner womöglich gezwungen, ihr vertrautes Lebensumfeld zu verlassen und ins Pflegeheim umziehen zu müssen. Die Möglichkeit die ambulanten Pflegeleistungen in ihrer besonderen Wohnform zu bekommen, haben sie anders als alle anderen Versicherten nicht und das obwohl sie die gleichen Beiträge zur sozialen Pflegeversicherung aufbringen.
Frankfurt a.M. (epd). Der Bezirksverband der Arbeiterwohlfahrt (AWO) Hessen-Süd verliert für die Jahre 2015 bis 2017 die Gemeinnützigkeit und muss für diesen Zeitraum Steuern nachzahlen. Dies teilte der Verband am 11. März in Frankfurt am Main mit und bezeichnete den Beschluss des Finanzamtes als „zutreffend“. Er sei die logische Folge davon, dass sich ehemalige Funktionsträger persönlich bereichert hätten, sagte der Geschäftsführer Ulrich Bauch. „Mit dieser Entscheidung des Finanzamts haben wir gerechnet und sind darauf vorbereitet“, sagte er. „Die Aberkennung der Gemeinnützigkeit hat keine Auswirkungen auf die Betreuungsleistungen in unseren Einrichtungen. Wir setzen den rechtlichen und wirtschaftlichen Sanierungskurs unverändert fort.“
Grund für die Aberkennung der Gemeinnützigkeit sind nach Angaben der AWO Hessen-Süd vor allem der Verkauf von Immobilien an Kommanditgesellschaften, an denen der ehemalige Generalbevollmächtigte Torsten Hammann selbst beteiligt war. Wegen dieser und weiterer Sachverhalte habe der neue Bezirksvorstand Klagen beim Landgericht Darmstadt gegen den ehemaligen Generalbevollmächtigten und ehemalige Vorstandsmitglieder eingereicht.
Die Schadenersatzklage vom Januar 2021 gegen Hammann und den früheren Vorsitzenden Wilhelm Jost richtet sich vor allem gegen den Verkauf zweier Seniorenheime der AWO Hessen-Süd in Bruchköbel und Langgöns, die nach vorliegenden Gutachten erheblich unter dem tatsächlichen Verkehrswert erfolgten, sowie gegen überhöhte Beraterhonorare.
Der AWO-Bundesverband hatte im Rahmen eines Aufsichtsverfahrens im November 2020 über den Bezirk bekanntgegeben: „Die voneinander unabhängigen Prüfungen des Bundesverbandes und der Task Force ergaben gravierende Feststellungen unter anderem hinsichtlich unlauterer Verflechtungen und intransparentem Vorgehen bei Immobilientransaktionen mit marktunüblichen Konditionen zulasten des Bezirksverbands, dubiose Darlehensvereinbarungen sowie unberechtigte, unbegrenzte Rechtsschutzversprechungen für Dritte.“
Der AWO-Bezirksverband Hessen-Süd besteht aus 19 Kreisverbänden und rund 170 Ortsvereinen. Der Bezirksverband unterhält nach eigenen Angaben durch seine Gesellschaften an rund 100 Standorten in Mittel- und Südhessen sowie im Rhein-Main-Gebiet Betriebe und Einrichtungen der Altenhilfe, der Kinder-, Jugend-, Frauen- und Familienhilfe sowie der Behindertenhilfe mit rund 3.300 Beschäftigten.
Leipzig (epd). Das vertrauliche Arzt-Patientenverhältnis muss stets auch vertraulich bleiben. Selbst wenn Behörden bei einem Arzt dem Verdacht des unzulässigen Verschreibens von Betäubungsmitteln nachgehen wollen, können sie wegen der ärztlichen Schweigepflicht keine Einsicht in die Patientenakten mitsamt Patientendokumentationen, Arztbriefen und Befunden verlangen, urteilte am 10. März das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Lediglich die bisher ausgestellten Betäubungsmittelrezepte müsse der verdächtigte Arzt herausgeben.
Im konkreten Fall ging es um einen Allgemeinarzt mit eigener Praxis in München. Der zuständigen Überwachungsbehörde fiel bei routinemäßigen Kontrollen von Apotheken auf, dass der Arzt zahlreiche Betäubungsmittel, insbesondere Methylphenidat und Fentanyl, verschrieben hatte. Die Mittel, die etwa bei ADHS beziehungsweise bei Schmerzen ärztlich verordnet werden können, werden in der Drogenszene auch als Suchtmittel verwendet.
Das Betäubungsmittelgesetz sieht deshalb eine Verschreibung nur vor, wenn die Anwendung medizinisch begründet ist. Zur Verhinderung von Missbrauch können die Behörden nach dem Gesetz „Unterlagen über den Betäubungsmittelverkehr“ einsehen und sie kopieren.
Wegen der auffälligen Rezepte sollte der Arzt von namentlich 14 benannten Patienten die Akten mitsamt Patientendokumentationen, Arztbriefen und Befunden herausgeben. So sollte geprüft werden, ob die Verschreibung tatsächlich medizinisch begründet war. Der Mediziner lehnte ab und verwies auf das vertrauliche Arzt-Patientenverhältnis und seine Schweigepflicht. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof wies die Klage des Arztes gegen die behördliche Aufforderung zur Herausgabe aller Patientenunterlagen jedoch ab.
Das Bundesverwaltungsgericht gab dem Mediziner dagegen überwiegend recht. Zwar sehe das Betäubungsmittelgesetz einen Anspruch auf Einsichtnahme in „Unterlagen über den Betäubungsmittelverkehr“ vor. Davon seien aber nur die Verordnungen umfasst, auch wenn mit diesen allein die medizinische Begründung für die Anwendung nicht festgestellt werden könne.
Wortlaut und Entstehungsgeschichte der Überwachungsklausel gäben aber keine Hinweise darauf, dass nach dem Willen des Gesetzgebers auch die Patientenakten von dem Begriff „Unterlagen über den Betäubungsmittelverkehr“ umfasst seien und deshalb die ärztliche Schweigepflicht zurücktreten müsse. Das Argument, dass sich aus den Verordnungen nichts über die Begründung der Verschreibung ergebe, ändert nach dem Leipziger Urteil daran nichts.
Verstößt ein Arzt gegen seine Schweigepflicht, kann das auch Schmerzensgeldzahlungen begründen. So hatte das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main 2019 einen Arzt zur Zahlung von 1.200 Euro verpflichtet, weil dieser eine Mahnung über eine unbezahlte Rechnung für eine Botox-Behandlung einer Patientin an das Faxgerät ihres Arbeitgebers geschickt hatte. Auf diese Weise habe mindestens eine Mitarbeiterin Kenntnis von dem schönheitschirurgischen Eingriff erhalten.
Eine Schweigepflichtverletzung kann nach einem Urteil des Landesarbeitsgerichts (LAG) Rheinland-Pfalz aus dem Jahr 2012 auch arbeitsrechtliche Konsequenzen für angestellte Ärzte haben. Die Mainzer Richter hielten im Streitfall die ordentliche Kündigung eines Chefarztes der Chirurgie eines kirchlichen Krankenhauses aus dem Raum Trier wegen einer „groben Missachtung der Schweigepflicht“ für gerechtfertigt.
Der Mediziner hatte - ganz einer spontanen Idee folgend - bei einem chirurgischen Eingriff einer narkotisierten Frau seinen 90 Jahre alten Vater als Zuschauer hinzugeholt. So sollte er von der Harmlosigkeit der Narkose überzeugt werden. Die Patientin wusste davon nichts. Der 90-Jährige konnte dann beobachten, wie die Frau mit etwas gespreizten Beinen in den OP-Saal gebracht wurde und der Eingriff bei entblößtem Unterleib stattfand.
Wegen des bislang tadellosen Verhaltens hielt das LAG die fristlose Kündigung des Chefarztes für unwirksam, die ordentliche Kündigung sei aber zu Recht erfolgt. Der Arzt habe die Frau nicht über die Anwesenheit seines Vaters während der OP informiert und sie um ihr Einverständnis gebeten. Damit sei die Würde der Frau „gravierend missachtet“ worden. Das Vorgehen stelle eine „grobe Missachtung der Schweigepflicht“ dar.
Dagegen verletzt eine Klinik nicht die ärztliche Schweigepflicht, wenn sie die Anschrift eines Patienten herausgibt, der einen Mitpatienten misshandelt hat. Das gilt zumindest dann, wenn der minderjährige Mitpatient die Anschrift für eine beabsichtigte Schadenersatzklage benötigt, urteilte 2015 der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe. Mit dem Behandlungsvertrag schulde das Krankenhaus nicht nur ärztliche Leistungen, Unterbringung und Verpflegung; gerade bei Minderjährigen habe es auch eine „besondere Fürsorge- und Obhutspflicht“.
Die Datenschutzregelungen und auch die ärztliche Schweigepflicht hätten nicht den Zweck, Patienten, die andere schädigen, vollständige Anonymität zu sichern, befand das Gericht. Bei einer möglichen vorsätzlichen Körperverletzung überwiege „regelmäßig“ das Auskunftsinteresse des Geschädigten gegenüber dem Datenschutzinteresse des Schädigers, so der BGH.
Az.: 3 C 1.21 (Bundesverwaltungsgericht)
Az.: 8 U 164/19 (Oberlandesgericht Frankfurt am Main)
Az.: 2 Sa 402/12 (Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz)
Az.: III ZR 329/14 (Bundesgerichtshof)
Karlsruhe (epd). Angehörige gelten wegen zweier unbezahlter Rechnungen für Autoreparaturen nicht pauschal als ungeeignet für die rechtliche Betreuung eines Familienmitglieds. Es verstößt gegen das Grundrecht auf Schutz der Familie, wenn nach fast 19-jähriger Pflege und Betreuung die im selben Haushalt lebenden Angehörigen nicht mehr für die behinderte Betroffene, sondern ein Berufsbetreuer für alle rechtlichen Angelegenheiten zuständig sein soll, entschied das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe in einem am 15. März veröffentlichten Beschluss.
Konkret ging es um eine betreuungs- und pflegebedürftige Frau, die seit dem Säuglingsalter von einer frühkindlichen Hirnschädigung betroffen ist. Die Mutter sowie die Geschwister, ein Bruder und eine Schwester, übernahmen die Pflege. Mit Volljährigkeit der behinderten Frau wurden die Familienangehörigen als Betreuer bestellt. Die Betreuung wurde 2006, 2013 und 2020 ohne Beanstandungen verlängert.
Als der Bruder jedoch für seine behinderte Schwester einen Pkw gekauft und auf sie zugelassen hatte und dann zwei Reparaturrechnungen von knapp 2.000 Euro nicht bezahlte, wurde die Betreuungsbehörde aktiv. Diese sprach den Angehörigen die Eignung als Betreuerinnen und Betreuer ab und bestellte einen Berufsbetreuer, der sämtliche rechtlichen Angelegenheiten der Betroffenen regeln sollte. Das Landgericht Würzburg bestätigte die Entscheidung. Die bislang betreuenden Personen seien ungeeignet, da sie das Vermögen der behinderten Frau geschädigt hätten.
Das Bundesverfassungsgericht sah darin jedoch eine Verletzung des Grundrechts auf Schutz der Familie. Das Landgericht habe nicht berücksichtigt, dass die behinderte Frau nicht nur seit 19 Jahren von ihren Geschwistern und der Mutter beanstandungsfrei gepflegt und betreut wurde. Sie lebe mit ihnen auch noch in einem intakten Familienverband. Der Schutz familiärer Bindungen gebiete es, dass Familienangehörige bevorzugt als Betreuer bestellt werden müssen.
Mutter und Schwester hätten zudem gar nicht aktiv an der Vermögensschädigung mitgewirkt. Beim Bruder komme wegen der unbezahlten Rechnungen allenfalls eine mangelnde Eignung für den Bereich der Vermögenssorge infrage. Das Landgericht muss nun neu über die Betreuung entscheiden und dabei auch berücksichtigen, dass es sich auch bei den Bruder um „den bisher einzigen Fall einer Missachtung der Vermögensinteressen der Betroffenen handelt“, erklärten die Karlsruher Richter.
Az.: 1 BvR 1619/21
Berlin (epd). Das Bundesinnenministerium hat im Juni 2020 zu Recht eine Aufnahme von 300 Geflüchteten aus dem Lager Moria auf der griechischen Insel Lesbos durch das Land Berlin verweigert. Das entschied das Bundesverwaltungsgericht am 15. März in Leipzig. Damit wurde eine Klage des Landes Berlin abgewiesen.
Die Menschen seien zwar besonders schutzbedürftig gewesen, jedoch biete Artikel 23 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes keine Rechtsgrundlage für Kontingentaufnahmen aus anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union, teilte das Gericht mit. Diese Regelung setze die Feststellung des humanitären Schutzbedarfs vor der Einreise voraus.
Das Land Berlin hatte damals eine Zustimmung des Bundesinnenministeriums zur humanitären Aufnahme der Geflüchteten beantragt. Eine Aufnahme hätte jedoch zur sofortigen Erteilung von längerfristigen, zunächst auf drei Jahre befristeten Aufenthaltserlaubnissen geführt, ohne dass der Schutzbedarf auch in Bezug auf das jeweilige Herkunftsland zuvor geprüft worden wäre, so das Urteil. Dies hätte einem zusammenhängenden und bundeseinheitlichen Vorgehen widersprochen, urteilte das Gericht.
Hielten sich Geflüchtete bereits in einem anderen Mitgliedstaat auf, habe das unionsrechtliche Aufnahmeinstrument der sogenannten Dublin-III-Verordnung gegenüber nationalen Aufnahmen einzelner deutscher Länder Vorrang, hieß es weiter. Diese Verordnung legt fest, welcher EU-Mitgliedsstaat für die Durchführung eines Asylverfahrens zuständig ist.
Az.: BVerwG 1 A 1.2
Kassel (epd). Mädchen mit stark unterschiedlich großen Brüsten können sich diese nicht operativ auf Krankassenkosten angleichen lassen. Ungleich große Brüste sind regelmäßig nicht „entstellend“, so dass keine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung besteht, urteilte am 10. März das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel.
Im konkreten Fall hatte die aus Hamburg stammende Klägerin während ihrer Pubertät wegen ihrer ungleich großen Brüste erhebliche psychische Probleme. Sie empfand diese als entstellend und fühlte sich ständig von anderen Klassenkameraden und anderen Personen beobachtet. Zwar konnte sie die unterschiedlichen Brustgrößen mit einem speziellen BH weitgehend kaschieren, dies war etwa im Schwimm- und Sportunterricht aber nicht mehr möglich.
Gerade in der Pubertät, in der sich die Sexualität anfängt zu entwickeln, stelle die stark unterschiedliche Brust eine erhebliche Belastung dar, so die Klägerin. Im Dezember 2009 beantragte die damals 15-Jährige bei ihrer Krankenkasse daher die Kostenübernahme für einen operativen Brustaufbau.
Die Krankenkasse lehnte ab. Zwar könne bei einer objektiv vorliegenden „Entstellung“ auf Krankenkassenkosten operativ in einen sonst gesunden Körper eingegriffen werden. Dabei sei auf den bekleideten Körper abzustellen.
Während des Gerichtsverfahrens ließ die junge Frau auf eigene Kosten für rund 4.000 Euro einen Brustaufbau vornehmen. Die Kosten erhält sie nicht erstattet, urteilte das BSG. Die Brustasymmetrie sei nicht „entstellend“. Dabei komme es nicht auf das eigene Empfinden der Klägerin an, sondern vielmehr auf eine „objektiv erhebliche Auffälligkeit“, die eine Person zum „Objekt der Betrachtung“ macht. Dies sei etwa beim Fehlen des Kopfhaares bei einer Frau der Fall, das Fehlen eines Hodens beim Mann dagegen nicht, so das BSG mit Verweis auf seine frühere Rechtsprechung.
In der Regel sei der bekleidete Zustand der Maßstab, ob eine „Entstellung“ bemerkt werden kann. Ausnahmsweise könne dies auch im unbekleideten Zustand gelten. Dann müsse die Auffälligkeit aber wirklich sehr groß sein. Bei auftretenden psychischen Problemen sei zudem psychologische oder psychiatrische Hilfe angebracht und kein chirurgischer Eingriff.
Az.: B 1 KR 3/21 R
Darmstadt (epd). Sozialhilfeträger müssen nach einer Entscheidung des Hessischen Landessozialgerichts Beziehern der Grundsicherung im Alter die Kosten für Unterkunft und Heizung in angemessener Höhe erstatten. Der Bedarf für die Unterkunft sei zunächst in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anzuerkennen, teilte das Gericht am 15. März in Darmstadt mit. Überstiegen die Kosten den angemessenen Umfang, so seien sie auch anzuerkennen, solange eine Kostensenkung - wie beispielsweise ein Wohnungswechsel - nicht möglich oder nicht zumutbar sei.
Im konkreten Fall klagte ein Mann im Landkreis Kassel, der mit seiner Frau in einer 78 Quadratmeter großen Wohnung lebt. Die Kaltmiete betrug 322 Euro, die Heizkosten beliefen sich auf 121 Euro im Monat. Er bezog zunächst Arbeitslosengeld II und beantragte nach Erreichen der Altersgrenze die Grundsicherung im Alter (Sozialhilfe).
Der Landkreis Kassel monierte daraufhin, dass für einen Zwei-Personen-Haushalt mit Sozialhilfe nur eine Wohnfläche von 60 Quadratmetern und Heizkosten von höchstens 69,25 Euro angemessen seien. Der Kläger argumentierte dagegen, dass das Jobcenter höhere Leistungen gewährt habe und die Heizkosten im Sozialhilferecht nicht isoliert betrachtet werden dürften.
Das Landessozialgericht gab dem Kläger recht. Für die Berechnung angemessener Aufwendungen für Unterkunft und Heizung sei im Sozialhilferecht die Bildung einer „Gesamtangemessenheitsgrenze“ maßgeblich, genauso wie beim Recht der Grundsicherung für Arbeitssuchende (Hartz IV). Die „Gesamtangemessenheitsgrenze“ wirke sich zugunsten der Leistungsempfänger aus, wenn eine niedrige Miete mit hohen Heizkosten oder umgekehrt zusammentreffen. In dem Fall seien die tatsächlichen Aufwendungen als Bedarf anzuerkennen. Die Möglichkeit der Revision zum Bundessozialgericht wurde zugelassen.
AZ: L 4 SO 143/19
Lüneburg/Oldenburg (epd). Das niedersächsische Oberverwaltungsgericht in Lüneburg hat die Verkürzung des Corona-Genesenstatus von sechs auf drei Monate als voraussichtlich rechtswidrig und somit unwirksam eingestuft. Mit dieser unanfechtbaren Entscheidung gab der 14. Senat des Gerichts dem Eilantrag einer Zahnärztin aus dem Landkreis Oldenburg statt, wie das Gericht am 14. März mitteilte. Sie gilt nun vorläufig für sechs Monate als genesen und fällt nicht unter die einrichtungsbezogene Impfpflicht für das Gesundheitswesen, die am 16. März in Kraft tritt.
Die nicht gegen Covid-19 geimpfte Medizinerin war am 18. Dezember positiv auf das Coronavirus getestet worden. Der Landkreis hatte sie nach überstandener Infektion zunächst für drei Monate als genesen eingestuft - dieser Status wäre am 18. März abgelaufen. Dagegen wandte sich die Zahnärztin mit einem Eilantrag zunächst an das Verwaltungsgericht Oldenburg, jedoch ohne Erfolg.
Das Oberverwaltungsgericht entschied in zweiter Instanz nun anders. Der Verweis auf die Internetseiten des Robert Koch-Instituts in einer Verordnung des Bundesjustizministeriums reiche nicht aus, um den Genesenenstatus zu verkürzen, befand der Senat. Er finde keine Grundlage im Bundesinfektionsschutzgesetz. Deswegen gelte die vorhergehende Fassung der Verordnung, die einen Genesenenstatus von sechs Monaten vorsehe.
Das Gericht bejahte zudem das Eilbedürfnis für den Antrag, da die Frau sonst unter die einrichtungsbezogene Impfpflicht gefallen wäre. Der Beschluss gilt nach Angaben des Senats nur für die Antragstellerin.
Az.: 14 ME 175/22
Luxemburg (epd). Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat die Bedingungen präzisiert, unter denen Abschiebehäftlinge unterzubringen sind. Anlass war der Fall eines Pakistaners, der 2020 in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Hannover in der Abteilung Langenhagen inhaftiert wurde, wie der EuGH am 10. März in Luxemburg mitteilte. Dabei war er in der Nähe von Strafgefangenen untergebracht.
Der EuGH urteilte nun, dass eine solche Unterbringung dem EU-Recht entsprechen kann. Allerdings müssten ihre Bedingungen „so weit wie möglich verhindern, dass diese Unterbringung einer Inhaftierung in einer Gefängnisumgebung gleichkommt“. Zugleich müssten einschlägige Rechte des Abschiebehäftlings gewährleistet sein. Dazu zählt etwa, Kontakt mit Familienangehörigen oder Konsularbehörden aufnehmen zu können.
Der Pakistaner war in Hannover zwar in einer speziellen Abteilung der JVA untergebracht. Eines von deren drei Gebäuden beherbergte demnach für einen Teil seines Aufenthalts jedoch Strafgefangene. Zwischen den Gebäuden für Abschiebehäftlinge und normale Häftlinge habe laut deutscher Justiz kein direkter Zugang bestanden.
Eine EU-Richtlinie bestimmt, dass Menschen wie der Pakistaner, dessen Asylantrag abgelehnt wurde, im Extremfall inhaftiert werden dürfen. Das gilt nur, wenn andere Maßnahmen zur Vorbereitung der Rückkehr oder Abschiebung nicht ausreichen. Die Abschiebehäftlinge müssen laut EU-Recht dann „grundsätzlich in speziellen Hafteinrichtungen“ untergebracht werden. Ist das unmöglich, müssen sie zumindest von Strafgefangenen getrennt sein.
Az.: C-519/20
Darmstadt (epd). Uwe Becker wird Präsident der Evangelischen Hochschule Darmstadt und folgt auf Willehad Lanwer, der zum Ende des Sommersemesters 2022 in den Ruhestand geht. Becker bringe umfängliche Gremien- und Leitungserfahrung mit und sei als Mitglied des Präsidiums der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland hervorragend vernetzt, sagte der Vorsitzende des Kuratoriums der Evangelischen Hochschule Darmstadt, Ernst-Ulrich Huster, am 15. März.
Becker hat an der Evangelischen Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe eine Professur für Diakoniewissenschaft, Sozialethik und Verbändeforschung inne. Er lehrt und forscht in Bochum seit 2015 zu Fragen von Inklusion und Ausgrenzungsdynamiken von Arbeitsmarkt und Ökonomie. Von 2004 bis 2015 war Becker Sprecher des Vorstands der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe und der Vorgängerorganisation, des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche im Rheinland. Nach dem Studium der Theologie und Philosophie in Wuppertal und Tübingen war er Sozialpfarrer und Gemeindepfarrer.
Die Evangelische Hochschule Darmstadt ist eine staatlich anerkannte Hochschule in kirchlicher Trägerschaft. Sie wurde 1971 durch die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) errichtet. Das Hessische Diakoniezentrum Hephata in Schwalmstadt-Treysa ist seit 1996 zweiter Studienstandort. Die Hochschule bietet Studiengänge und Weiterbildungen für das Sozial-, Bildungs- und Gesundheitswesen sowie im Management an. Träger ist die EKHN in Kooperation mit der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck.
An der Hochschule lernen rund 1.700 Studierende, lehren und forschen 40 Professorinnen und Professoren und zehn wissenschaftliche Mitarbeiter. In jedem Semester kommen rund 100 Lehrbeauftragte hinzu. Unterstützt werden sie von 30 Verwaltungskräften.
Jens M. Schubert hat den Vorstandsvorsitz des AWO Bundesverbandes niedergelegt. Er wolle sich neuen Herausforderungen stellen, teilte der Verband am 15. März mit. Über eine Interimslösung wurde nichts mitgeteilt. Dazu erklärte Michael Groß, Präsident der Arbeiterwohlfahrt: „Jens Schubert hat in bewegten Zeiten den Verband übernommen und zügig auf einen guten Weg gebracht, trotz der pandemischen Umstände. Wir danken ihm für seine wichtige Arbeit in der Übergangsphase.“ Schubert ist Jurist und Professor und war seit August 2020 zunächst Geschäftsführer, ab Januar 2021 Vorstandsvorsitzender. Er kam von der Gewerkschaft ver.di, wo er zehn Jahre lang Leiter des Bereichs Recht und Rechtspolitik in der Bundesverwaltung war.
Dietrich Bauer, Diakoniechef in Sachsen, ist neuer Vorsitzender des Rundfunkrates des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR). Der 62-jährige evangelische Theologe und Oberkirchenrat erhielt am 14. März bei der Wahl in Leipzig mit 37 von 46 Stimmen eine deutliche Mehrheit. Bauer war bei der Wahl der einzige Kandidat für die Position. Er ist seit 2018 Vorstandsvorsitzender der Diakonie Sachsen. Bauer wurde 1960 in Leipzig geboren und studierte Theologie. Nach mehreren Pfarrstellen war er seit 2009 Oberlandeskirchenrat der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens und Dezernent für Gemeindeaufbau, Seelsorge und Medien. Seit dem 1. September 2018 steht er als Direktor an der Spitze des Vorstandes der Diakonie Sachsen.
Annette Holuscha-Uhlenbrock (53) ist für fünf weitere Jahre als Caritasdirektorin der Diözese Rottenburg-Stuttgart gewählt worden. Somit steht sie weiterhin gemeinsam mit dem Vorsitzenden Oliver Merkelbach und Rainer Brockhoff an der Spitze des katholischen Wohlfahrtsverbandes. Holuscha-Uhlenbrock verantwortet die Aufgabenfelder Sozialpolitik und Soziale Arbeit. In Oberschlesien geboren, promovierte Holuscha-Uhlenbrock in Konstanz in Sozialwissenschaften. Sie arbeitete als Referentin für Frauenfragen bei der Stadt Ludwigsburg, als Abteilungsleiterin beim Deutschen Roten Kreuz, als stellvertretende Leiterin des Landessozialamtes beim Landeswohlfahrtsverband Württemberg-Hohenzollern sowie als stellvertretende Dezernentin Soziales beim Kommunalverband für Jugend und Soziales Baden-Württemberg. Seit 2013 steht sie als Vorständin an der Spitze des Caritasverbandes der Diözese Rottenburg-Stuttgart.
Ugur Sahin und Özlem Türeci, Mediziner und Gründer der Firma Biontech sowie die Biochemikerin Katalin Karikó haben für ihre richtungsweisende medizinische Forschung den mit 12.000 Euro dotierten „Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Preis“ verliehen bekommen. Die Auszeichnung durch ide Paul-Ehrlich-Stiftung erfolgte am 14. März in der Frankfurter Paulskirche für die Jahre 2021 und 2022. Für 2021 wurden die US-amerikanischen Mikrobiologen Bonnie Bassler und Michael Silverman für ihre Entdeckung geehrt, wie Bakterien miteinander kommunizieren. Damit hätten Bassler und Silverman das Fundament für ein neues Prinzip zur Entwicklung von Antibiotika gelegt, lobte die Paul-Ehrlich-Stiftung. Karikó habe an der University of Pennsylvania die Entdeckung gemacht, wie sich die Immunabwehr des Körpers gegen eine von außen eingeschleuste mRNA ausschalten lässt. Ugur Sahin und Özlem Türeci hätten erforscht, wie sich die mRNA stabilisieren und ihre Wirksamkeit signifikant steigern lässt. Das Ehepaar gründete 2008 das Unternehmen Biontech in Mainz, zu dem auch Karikó hinzustieß.
Thomas Fischer ist zum Sprecher des „ExpertInnenrates Pflegewissenschaft/Hebammenwissenschaft und Pandemieernannt“ ernannt worden. Der Pflegewissenschaftler an der Evangelischen Hochschule Dresden soll gemeinsam mit 13 weiteren Fachleuten des Rates bis Mai eine erste Stellungnahme zum Umgang mit der Corona-Pandemie und der fortbestehenden pandemischen Situationen veröffentlichen. Er setzt sich aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern deutscher Hochschulen zusammen, die unter anderem zu den Auswirkungen der Pandemie auf pflegebedürftige und kranke Menschen und Möglichkeiten zu deren Schutz geforscht haben. Das Expertengremium wurde vom Deutschen Pflegerat einberufen.
Volker Hielscher, wissenschaftlicher Leiter und Geschäftsführer des Instituts für Sozialforschung und Sozialwirtschaft in Saarbrücken, wird Honorarprofessor an der SRH Hochschule Heidelberg. „Wir freuen uns, gemeinsam mit Volker Hielscher die Soziale Arbeit als Forschungspartner zu profilieren und damit zur Sichtbarkeit und weiteren Professionalisierung der Disziplin beizutragen“, sagte Carolin Sutter, Dekanin der Fakultät für Sozial- und Rechtswissenschaften. Hielscher absolvierte eine Ausbildung zum Maschinenschlosser und begann danach sein Studium der Sozialwissenschaft, Psychologie und Politikwissenschaft in Bremen, promovierte zum Thema „Flexible Arbeitszeitstrukturen und soziale Integration“. Von 1996 bis 1999 war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung tätig, 2000 ging er an das Institut für Sozialforschung und Sozialwirtschaft in Saarbrücken, das ihn 2020 zum Geschäftsführer berief.
Joachim Prölß, Direktor für Patienten- und Pflegemanagement des Universitätsklinik Eppendorf (UKE), hat seinen Vertrag um fünf Jahre bis Mitte 2027 verlängert. "Mit seinem ausgeprägten Kommunikationstalent setzt er sich dafür ein, moderne und prozessorientierte Konzepte im Pflegemanagement des UKE zu etablieren. sagte Katharina Fegebank, Senatorin der Behörde für Wissenschaft, Forschung, Gleichstellung und Bezirke sowie Kuratoriumsvorsitzende des UKE. Prölß ist seit dem 1. März 2010 im UKE und zählt als Direktor für Patienten- und Pflegemanagement zum vierköpfigen Vorstand des Universitätsklinikums. Seit Juni 2017 ist er im Vorstand auch für Personalangelegenheiten verantwortlich. Prölß ist gelernter Fachkrankenpfleger, Diplompflegemanager und er absolvierte einen Masterstudiengang in Gesundheits- und Sozialmanagement. Vor seiner Zeit im UKE war er leitender Pflegedirektor der Kliniken der Stadt Köln.
Elsbeth Pfaff und Annika Fink, Gründerin der Frankfurter Stiftung Starke Bande, erhalten in diesem Jahr den Walter-Picard-Preis des Landeswohlfahrtsverbandes (LWV) Hessen. LWV-Landesdirektorin Susanne Selbert überreichte den mit 5.000 Euro dotierten Preis an die beiden Frauen, die sich den Geldpreis teilen. „Beide Preisträgerinnen zeigen exemplarisch, wie neu ins Leben gerufene, passgenaue Projekte und Unterstützungsangebote psychisch kranken Menschen unmittelbar dort helfen, wo sie leben, eingebettet in ihr soziales Umfeld“, sagte Selbert bei der Preisübergabe in Kassel. Seit Ende der 1960er Jahre engagiert sich Pfaff für die Verbesserung der Lebenssituation psychisch kranker Menschen in der Region Marburg-Biedenkopf. Sie gilt als eine Wegbereiterin der Psychiatriereform. Die Stiftung Starke Bande wurde 2011 von Fink ins Leben gerufen, um Familien zu helfen, in denen mindestens ein Familienmitglied psychisch schwer belastet oder erkrankt ist. Der Walter-Picard-Preis wird alle zwei Jahre für besonders nachahmenswertes ehrenamtliches Engagement oder professionelle Projekte in der hessischen Gemeindepsychiatrie vergeben.
Kerstin Schallehn wird am 22. März für ihr großes ehrenamtliches Engagement vom Landschaftsverband Rheinland mit dem dem Rheinlandtaler in der Kategorie Gesellschaft ausgezeichnet. Sie ist seit 2003 Vorsitzende der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft, Ortsvereinigung Leverkusen. Als selbst Erkrankte und Leiterin der Juniorengruppe wurde sie bereits 1999 Beisitzerin im Vorstand des Vereines und übernahm 2002 den stellvertretenden Vorsitz und baute das Hilfsangebot stetig aus.
Wir haben Tagungen, Seminare, Workshops und Webinare aufgelistet, die aktuell geplant sind. Wegen der Corona-Epidemie sagen Veranstalter allerdings Termine auch kurzfristig ab. Wir bitten unsere Leserinnen und Leser, das zu beachten.
23.-25.3.
Online-Fortbildung: „Das operative Geschäft: Steuerung und Controlling in der Eingliederungshilfe“
der Bundesakademie für Kirche und Diakonie
Tel.: 0172/30128-19
28.-30.3. Paderborn:
Seminar „SystemsprengerInnen - Kinder und Jugendliche mit komplexem Hilfebedarf“
der IN VIA Fortbildungsakademie
Tel.: 05251/2908-38
29.3. Köln
Seminar „Grundlagen des Arbeitsrechtes in Einrichtungen der Sozialwirtschaft - Gestaltungsspielräume nutzen“
der BFS Service GmbH
Tel.: 0221/97356-159
30.-31.3. Berlin:
Fortbildung „ Keine Krise mit der Krise - Hilfreich bleiben auch in Ausnahmesituationen“
der Bundesakademie für Kirche und Diakonie
Tel.: 0172/3012819
30.3.-1.4. Marktbreit
Seminar „Grundlagen des Zuwendungsrechts“
Tel.: 030/26309-139
31.3.-1.4.
Online-Fortbildung „Teams entwickeln, einschätzen und kompetent begleiten“
der Paritätischen Akademie Nord
Tel.: 040/415201-66
April
4.-6.4.
Seminar „Arbeit in Familien mit psychischen Auffälligkeiten - Fallstricken in der Familienpflege widerstehen“
der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes
Tel.: 0761/2001700
5.-6.4.:
Online-Fortbildung „Arbeitszeiten und Dienstpläne familien- und lebensphasenbewusst gestalten“
der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes
Tel.: 0761/2001700
7.-8.4. Berlin
Seminar „Teilhabe organisieren mit einem teilhabebasierten Organisationsmodell - Kollegiale Führung und agile Organisationsentwicklung in der Eingliederungshilfe“
der Bundesakademie für Kirche und Diakonie
Tel.: 0172/30128-19
20.-22.4. Berlin
Fortbildung „Quartiers-, Sozialraum- und Netzwerkarbeit“
26.-28.4:
Online-Seminar „Deeskalation von herausfordernden Situationen in der Erziehungshilfe“
Tel.: 030 26309-139
27.4. Hamburg
Seminar „Controlling für Einrichtungen der Eingliederungshilfe“
der Unternehmensberatung Solidaris
Tel.: 040/359060
27.4. Nürnberg:
Seminar „§ 2b UStG - Endspurt zum 31. Dezember 2022 für die Umsetzung bei kirchlichen Körperschaften“
der Unternehmensberatung Solidaris
Tel.: 02203/8997-221
28.4. Hamburg
Seminar „Pflegesatzverhandlungen in der stationären Altenhilfe“
der Unternehmensberatung Solidaris
Tel.: 040/359060