sozial-Recht

Bundesverfassungsgericht

Betreuungsrecht von Angehörigen gestärkt



Karlsruhe (epd). Angehörige gelten wegen zweier unbezahlter Rechnungen für Autoreparaturen nicht pauschal als ungeeignet für die rechtliche Betreuung eines Familienmitglieds. Es verstößt gegen das Grundrecht auf Schutz der Familie, wenn nach fast 19-jähriger Pflege und Betreuung die im selben Haushalt lebenden Angehörigen nicht mehr für die behinderte Betroffene, sondern ein Berufsbetreuer für alle rechtlichen Angelegenheiten zuständig sein soll, entschied das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe in einem am 15. März veröffentlichten Beschluss.

Konkret ging es um eine betreuungs- und pflegebedürftige Frau, die seit dem Säuglingsalter von einer frühkindlichen Hirnschädigung betroffen ist. Die Mutter sowie die Geschwister, ein Bruder und eine Schwester, übernahmen die Pflege. Mit Volljährigkeit der behinderten Frau wurden die Familienangehörigen als Betreuer bestellt. Die Betreuung wurde 2006, 2013 und 2020 ohne Beanstandungen verlängert.

Behörde sprach Eignung als Betreuer ab

Als der Bruder jedoch für seine behinderte Schwester einen Pkw gekauft und auf sie zugelassen hatte und dann zwei Reparaturrechnungen von knapp 2.000 Euro nicht bezahlte, wurde die Betreuungsbehörde aktiv. Diese sprach den Angehörigen die Eignung als Betreuerinnen und Betreuer ab und bestellte einen Berufsbetreuer, der sämtliche rechtlichen Angelegenheiten der Betroffenen regeln sollte. Das Landgericht Würzburg bestätigte die Entscheidung. Die bislang betreuenden Personen seien ungeeignet, da sie das Vermögen der behinderten Frau geschädigt hätten.

Das Bundesverfassungsgericht sah darin jedoch eine Verletzung des Grundrechts auf Schutz der Familie. Das Landgericht habe nicht berücksichtigt, dass die behinderte Frau nicht nur seit 19 Jahren von ihren Geschwistern und der Mutter beanstandungsfrei gepflegt und betreut wurde. Sie lebe mit ihnen auch noch in einem intakten Familienverband. Der Schutz familiärer Bindungen gebiete es, dass Familienangehörige bevorzugt als Betreuer bestellt werden müssen.

Mutter und Schwester hätten zudem gar nicht aktiv an der Vermögensschädigung mitgewirkt. Beim Bruder komme wegen der unbezahlten Rechnungen allenfalls eine mangelnde Eignung für den Bereich der Vermögenssorge infrage. Das Landgericht muss nun neu über die Betreuung entscheiden und dabei auch berücksichtigen, dass es sich auch bei den Bruder um „den bisher einzigen Fall einer Missachtung der Vermögensinteressen der Betroffenen handelt“, erklärten die Karlsruher Richter.

Az.: 1 BvR 1619/21