Leipzig (epd). Das vertrauliche Arzt-Patientenverhältnis muss stets auch vertraulich bleiben. Selbst wenn Behörden bei einem Arzt dem Verdacht des unzulässigen Verschreibens von Betäubungsmitteln nachgehen wollen, können sie wegen der ärztlichen Schweigepflicht keine Einsicht in die Patientenakten mitsamt Patientendokumentationen, Arztbriefen und Befunden verlangen, urteilte am 10. März das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Lediglich die bisher ausgestellten Betäubungsmittelrezepte müsse der verdächtigte Arzt herausgeben.
Im konkreten Fall ging es um einen Allgemeinarzt mit eigener Praxis in München. Der zuständigen Überwachungsbehörde fiel bei routinemäßigen Kontrollen von Apotheken auf, dass der Arzt zahlreiche Betäubungsmittel, insbesondere Methylphenidat und Fentanyl, verschrieben hatte. Die Mittel, die etwa bei ADHS beziehungsweise bei Schmerzen ärztlich verordnet werden können, werden in der Drogenszene auch als Suchtmittel verwendet.
Das Betäubungsmittelgesetz sieht deshalb eine Verschreibung nur vor, wenn die Anwendung medizinisch begründet ist. Zur Verhinderung von Missbrauch können die Behörden nach dem Gesetz „Unterlagen über den Betäubungsmittelverkehr“ einsehen und sie kopieren.
Wegen der auffälligen Rezepte sollte der Arzt von namentlich 14 benannten Patienten die Akten mitsamt Patientendokumentationen, Arztbriefen und Befunden herausgeben. So sollte geprüft werden, ob die Verschreibung tatsächlich medizinisch begründet war. Der Mediziner lehnte ab und verwies auf das vertrauliche Arzt-Patientenverhältnis und seine Schweigepflicht. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof wies die Klage des Arztes gegen die behördliche Aufforderung zur Herausgabe aller Patientenunterlagen jedoch ab.
Das Bundesverwaltungsgericht gab dem Mediziner dagegen überwiegend recht. Zwar sehe das Betäubungsmittelgesetz einen Anspruch auf Einsichtnahme in „Unterlagen über den Betäubungsmittelverkehr“ vor. Davon seien aber nur die Verordnungen umfasst, auch wenn mit diesen allein die medizinische Begründung für die Anwendung nicht festgestellt werden könne.
Wortlaut und Entstehungsgeschichte der Überwachungsklausel gäben aber keine Hinweise darauf, dass nach dem Willen des Gesetzgebers auch die Patientenakten von dem Begriff „Unterlagen über den Betäubungsmittelverkehr“ umfasst seien und deshalb die ärztliche Schweigepflicht zurücktreten müsse. Das Argument, dass sich aus den Verordnungen nichts über die Begründung der Verschreibung ergebe, ändert nach dem Leipziger Urteil daran nichts.
Verstößt ein Arzt gegen seine Schweigepflicht, kann das auch Schmerzensgeldzahlungen begründen. So hatte das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main 2019 einen Arzt zur Zahlung von 1.200 Euro verpflichtet, weil dieser eine Mahnung über eine unbezahlte Rechnung für eine Botox-Behandlung einer Patientin an das Faxgerät ihres Arbeitgebers geschickt hatte. Auf diese Weise habe mindestens eine Mitarbeiterin Kenntnis von dem schönheitschirurgischen Eingriff erhalten.
Eine Schweigepflichtverletzung kann nach einem Urteil des Landesarbeitsgerichts (LAG) Rheinland-Pfalz aus dem Jahr 2012 auch arbeitsrechtliche Konsequenzen für angestellte Ärzte haben. Die Mainzer Richter hielten im Streitfall die ordentliche Kündigung eines Chefarztes der Chirurgie eines kirchlichen Krankenhauses aus dem Raum Trier wegen einer „groben Missachtung der Schweigepflicht“ für gerechtfertigt.
Der Mediziner hatte - ganz einer spontanen Idee folgend - bei einem chirurgischen Eingriff einer narkotisierten Frau seinen 90 Jahre alten Vater als Zuschauer hinzugeholt. So sollte er von der Harmlosigkeit der Narkose überzeugt werden. Die Patientin wusste davon nichts. Der 90-Jährige konnte dann beobachten, wie die Frau mit etwas gespreizten Beinen in den OP-Saal gebracht wurde und der Eingriff bei entblößtem Unterleib stattfand.
Wegen des bislang tadellosen Verhaltens hielt das LAG die fristlose Kündigung des Chefarztes für unwirksam, die ordentliche Kündigung sei aber zu Recht erfolgt. Der Arzt habe die Frau nicht über die Anwesenheit seines Vaters während der OP informiert und sie um ihr Einverständnis gebeten. Damit sei die Würde der Frau „gravierend missachtet“ worden. Das Vorgehen stelle eine „grobe Missachtung der Schweigepflicht“ dar.
Dagegen verletzt eine Klinik nicht die ärztliche Schweigepflicht, wenn sie die Anschrift eines Patienten herausgibt, der einen Mitpatienten misshandelt hat. Das gilt zumindest dann, wenn der minderjährige Mitpatient die Anschrift für eine beabsichtigte Schadenersatzklage benötigt, urteilte 2015 der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe. Mit dem Behandlungsvertrag schulde das Krankenhaus nicht nur ärztliche Leistungen, Unterbringung und Verpflegung; gerade bei Minderjährigen habe es auch eine „besondere Fürsorge- und Obhutspflicht“.
Die Datenschutzregelungen und auch die ärztliche Schweigepflicht hätten nicht den Zweck, Patienten, die andere schädigen, vollständige Anonymität zu sichern, befand das Gericht. Bei einer möglichen vorsätzlichen Körperverletzung überwiege „regelmäßig“ das Auskunftsinteresse des Geschädigten gegenüber dem Datenschutzinteresse des Schädigers, so der BGH.
Az.: 3 C 1.21 (Bundesverwaltungsgericht)
Az.: 8 U 164/19 (Oberlandesgericht Frankfurt am Main)
Az.: 2 Sa 402/12 (Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz)
Az.: III ZR 329/14 (Bundesgerichtshof)