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Prostitution

Parallelwelt unter der Brücke




Ein Tanga auf dem Straßenstrich in Karlsruhe
epd-bild/Susanne Lohse
Solange Prostitution in Deutschland erlaubt ist, sollte zumindest der Arbeitsplatz menschenwürdig sein. Doch Kontrollen außerhalb der Klubs und Bordelle finden oft nicht statt. Sozialarbeiter wollen bessere Arbeitsbedingungen auf der Straße.

Karlsruhe (epd). Der Straßenstrich in Karlsruhe liegt in einem toten Winkel zwischen Bundesstraße, Industriegebiet und nagelneuen Bürokomplexen. Unter der Bahnbrücke sind die Spuren der Nacht noch sichtbar: Blisterpackungen von Aufputschmitteln, Feuchttücher, ein Messer, Müll, ein pinkfarbener Tanga und immer wieder Kondome. „Dies ist ein Arbeitsort“, sagt Anita Beneta, die Leiterin von „Luise“, der Beratungsstelle für Prostituierte des Diakonischen Werks Karlsruhe.

Konzept gegen gewalttätige Freier

Das Diakonische Werk Karlsruhe macht auf die unwürdigen Zustände aufmerksam. „Wir als Beratungsstelle sind unzufrieden mit dem Strich“, sagte Beneta gegenüber dem Evangelischen Pressedienst (epd). Ein Vor-Ort-Gespräch mit Vertretern der Stadt 2021 sei bisher ohne konkrete Ergebnisse geblieben. Die Sozialarbeiterin wünscht sich ein Konzept, bei dem gewalttätige Freier abgewiesen werden, bei dem Prostituierte zumindest in Containern arbeiten können. Vorbild könnte laut Beneta das „Kölner Modell“ sein. Dort gebe es auch Duschen. In Karlsruhe gebe es weder Mülleimer noch Toiletten, bemängelt sie.

Jeden Montagabend zwischen 22 Uhr und drei Uhr morgens ist der „Luisebus“ an den sieben Standorten des Karlsruher Straßenstrichs unterwegs. Er bringt Kondome, warmen Kaffee und Hygieneartikel. Von den 17 bis 30 Frauen, die täglich auf dem Karlsruher Straßenstrich stehen, seien die meisten ohne festen Wohnsitz, weiß Beneta.

„Sie haben Angst, sich zu outen“, sagt die Bereichsleiterin. Sie befürchteten, ansonsten von ihrer Familie im Heimatland ausgeschlossen zu werden. Die Frauen seien in Deutschland lediglich als „Geschäftsfrauen“ unterwegs.

Die meisten Sexarbeiterinnen stammten aus Rumänien, Bulgarien und Ungarn, sagt Beneta. Ihre Dienste böten sie nach eigenen Angaben freiwillig an. „Ich hinterfrage die Aussage eines erwachsenen Menschen nicht.“ Die Frauen kämen aus ökonomischen Gründen, um sich selbst und die Familie zu ernähren oder um den Kindern eine Ausbildung zu finanzieren.

Das Rote Kreuz kommt zweimal im Monat

Um sie zu erreichen, suchen die Sozialarbeiter des Diakonischen Werkes „die Szene“ auf. Eine Gynäkologin bietet medizinische Hilfe, auch das Deutsche Rote Kreuz kommt zweimal im Monat vorbei. Wer aus dem Geschäft mit der Sexarbeit aussteigen will, finde bei „Luise“ ebenso Unterstützung wie nach einer Gewalterfahrung, sagt die Sprecherin der Beratungsstelle, Luise Winter.

Zustände wie auf dem Strich in Karlsruhe gebe es überall in Baden-Württemberg, betont Beneta. Von einem Verbot des Straßenstrichs hält sie dennoch nichts. „Für Migrantinnen wäre das eine Katastrophe.“ Die Geflüchteten würden ins Internet oder auf Terminwohnungen ausweichen, befürchtet sie. Das sei viel gefährlicher. Kontrolle sei nur in „sichtbarer Prostitution“ möglich.

Innerhalb der Diakonie Baden wird das Thema „Sexkaufverbot“ kontrovers diskutiert. Die Diakonie in Mannheim und das Diakonische Werk der Evangelischen Kirche in Heidelberg unterstützen die Forderung nach einem Verbot nach dem „Nordischen Modell“. Danach gehen bei Verstößen Sexarbeiterinnen straffrei aus, bestraft werden nur die Freier. Für Aufsehen hatte zuletzt ein gemeinsames Positionspapier der Diakonie Karlsruhe mit Bordellbetreibern gesorgt. Darin war von einem Qualitätssiegel für Bordelle die Rede.

Die meisten Sexarbeiterinnen auf dem Strich wünschten sich einen „sauberen, geregelten Arbeitsplatz“, hatte eine Umfrage des Diakonischen Werkes Karlsruhe ergeben. Tatsächlich ist der Arbeitsplatz unter der Brücke mit all den „Hinterlassenschaften“ unappetitlich. Wer das sieht, muss sich fragen, wie dies bei all den detaillierten Vorschriften für einen Arbeitsplatz in Deutschland möglich ist.

Susanne Lohse