Frankfurt a.M. (epd). Die Hilfsbereitschaft der Bürger ist riesig. Und so gibt es von der Politik viel Lob für die private Aufnahme von Flüchtlingen aus der Ukraine. Zugleich warnen Experten davor, sich bei diesem gutgemeinten Engagement dabei zu übernehmen. Viele Flüchtlinge seien traumatisiert, vor allem Kinder hätten Probleme, ihre Erlebnisse zu verarbeiten - und brauchen folglich professionelle Hilfe. Hier die Antworten von Flüchtlings- und Sozialverbänden auf Fragen zur psychosozialen Betreuung von Geflüchteten:
Was ist grundsätzlich zu bedenken, wenn eine geflüchtete Person privat aufgenommen werden soll?
Das ist eine verantwortungsvolle Aufgabe und sollte gut überlegt und mit allen Familienmitgliedern und Mitbewohnern besprochen werden, so dass es nicht zu Überforderungen kommt. Oft reicht es nicht, nur einen Schlafplatz anzubieten, sondern darüber hinaus werden Engagement, viel Zeit und Aufmerksamkeit gebraucht. Birgit Naujoks, Geschäftsführerin des Flüchtlingsrats NRW: „Man sollte es sich gut überlegen, ob man den Anforderungen, die eine solche Aufnahme in den eigenen vier Wänden stellt, gerecht werden kann.“ Auch die Diakonie rät, genau zu prüfen, wie viel Zeit man mit den Gästen verbringen kann und welche Hilfen man sich zutraut. Gerade traumatisierte Flüchtlinge bräuchten einen festen Tagesrhythmus. Deshalb sei es gut, die Betroffenen zu sinnvollen Aktivitäten anzuregen, sie zu den Behörden zu begleiten und bei Bedarf bei der Wohnungssuche zu unterstützen. Auch Unterstützung beim Erlernen der deutschen Sprache werde gerne angenommen.
Was können psychische Reaktionen auf Traumatisierungen sein?
Nach Angaben von Refugio, das sich um Kriegs- und Folteropfer kümmert, zeigen die Flüchtlinge häufig psychische Reaktionen wie Ohnmachts- und Kontrollverlustgefühle, haben Ängste, sind körperlich angespannt und leiden unter Schlafstörungen. Es könne auch zu „emotionaler Taubheit“ kommen, so dass Menschen ihre Gefühle kaum noch wahrnehmen und ausdrücken können. Wichtig sei, die Unterbringung so zu organisieren, dass ein Ort geboten wird, an dem die Menschen auch eine Privatsphäre haben und zur Ruhe kommen können. Für Mareike Geiling vom Vermittlungsportal „Zusammenleben Willkommen“, ist es elementar, dass die Wohnung ausreichend Platz für einen längeren Zeitraum bietet.
Wie reagieren Kinder und Jugendliche, die fliehen mussten?
Laut Refugio zeigen sie oft andere Reaktionen als Erwachsene. Sie können gereizt wirken oder wollen sich einfach nur ablenken und nichts mehr mit dem Krieg zu tun haben. Kinder spielen womöglich aber auch Kriegsszenen nach. Das sind in der posttraumatischen Akutphase normale kindliche Reaktionen. Kinder, die sich gut ablenken können oder etwa ein Stofftier bekommen, um das sie sich kümmern können, zeigen auf längere Sicht weniger psychische Störungen.
Sollte man Betroffene auf ihre Kriegserlebnisse ansprechen und sie ermutigen, darüber zu reden?
Direktes Nachfragen kann sogar schädlich sein. Jedoch sollte eine Atmosphäre geschaffen werden, bei der die Menschen von sich aus erzählen oder Fragen stellen können. Gerade Kinder brauchen ein gewisses Maß an Informationen, das Gespräch mit ihnen sollte sich aber an ihren Fragen ausrichten. Die Bundesweite Arbeitsgemeinschaft Psychosozialer Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAFF) rät, vor Gesprächsangeboten die eigene Belastung zu prüfen, Kapazitäten und Erfahrungen abzuschätzen. Falls man nicht dazu bereit ist, das Erlebte zu hören, sollte das wertschätzend gesagt und kurz die Gründe benannt werden. Es sollte dennoch eine Offenheit zum Gespräch - vielleicht an einem anderen Zeitpunkt - signalisiert werden.
Wie sollte man mit Kindern über das Erlebte sprechen?
Die Psychiaterin Susanne Schlüter-Müller (Unicef), sagt, nichts sei schlimmer, als die Kinder ihren Fantasien zu überlassen, denn wenn sie keine Erklärung bekämen, blühten die Fantasien und Ängste. Aber die Wahrheit müsse unbedingt dem Alter, also der kognitiven und somit emotionalen Bewältigungsmöglichkeit angemessen sein: „Mit Pubertierenden kann über Krieg rational und offen gesprochen werden, mit einem fünfjährigen Kind nicht.“
Was ist zu tun, wenn Geflüchtete in Krisen geraten?
Akuttraumatisierte leiden plötzlich unter extremem Stress und können ihre Gefühle - vor allem Ängste und Gedanken - nicht mehr richtig koordinieren. Hilfreich können alle Tätigkeiten sein, die die Betroffenen im Alltag ablenken, berichtet Refugio. Auch Atemübungen, Spaziergänge oder körperliche Betätigung sind hilfreich. „Beruhigungsmittel sollten auf jeden Fall nur von Ärztinnen und Ärzten oder der Notfallambulanz gegeben werden.“
Brauchen alle Geflüchteten eine Therapie?
Nein, bei vielen Menschen bilden sich die psychischen Reaktionen auf die akuten Traumatisierungen von alleine wieder zurück. Hilfreich dazu ist die Unterstützung bei der Rückkehr in den Alltag. Für Kinder heißt das Kindergarten- oder Schulbesuch. Erwachsene können in tägliche Tätigkeiten wie das Einkaufen oder Kochen eingebunden werden. Wichtig ist auch der Kontakt zu Bezugspersonen und anderen muttersprachlichen Menschen. Die BAFF betont, dass Überlebende schwerer Gewalt Orte brauchen, an denen sie sich sicher fühlen können, an denen sich empathische Menschen für ihr Schicksal interessieren. Menschen, die eine Traumafolgestörung entwickeln, benötigen oft professionelle psychosoziale oder psychotherapeutische Unterstützung. Wichtig: Um Sozialleistungen oder Krankenversicherungsschutz muss eine Registrierung über die zuständigen Ausländerbehörden erfolgen.