unzählige Helferinnen und Helfer aus ganz Deutschland räumen in den Hochwassergebieten mit auf. Langsam verschwinden die Müllberge von den Straßen, doch der Weg zur Normalität ist lang und steinig. In zwei Korrespondentenberichten blicken wir auf die noch immer angespannte Lage in den Katastrophenregionen: Wir gehen der Frage nach, wie die ambulante Pflege die Versorgung von Pflegebedürftigen wieder hinbekommt, wo die Infrastruktur noch in Trümmern liegt. Und wir schauen auf die Notfallseelsorge, die schwer gefordert ist. Sie dient als Ansprechpartner für Bürger und, auch das ist dringend nötig, für freiwillige Helfer.
Seit genau sieben Jahrzehnten ist die Genfer Flüchtlingskonvention das Rückgrat des internationalen Flüchtlingsrechts. Doch ist sie noch zeitgemäß? Wohlfahrtsverbände üben Kritik an der aktuellen Umsetzung und werben für Reformen. Denn die wachsende Zahl der Klimaflüchtlinge genieße keinen Schutz.
Die Impfbereitschaft in Deutschland nimmt ab: Fachleute sind in Sorge. Zwar ist inzwischen jeder Zweite doppelt geimpft, aber zur Herdenimmunität ist der Weg noch lang. Weil die Impfkampagne stockt, sind kreative Ideen gefragt, sagen die Experten. Mobile Impfstraßen könnten Abhilfe schaffen.
In Folge zwei unserer neuen Interview-Serie zu den Folgen von Corona auf Sozialträger antwortet Sven Lange, Vorstand der kreuznacher diakonie. Er lobt den großen Einsatz der Mitarbeitenden, der es möglich machte, nahezu alle Angebote aufrechtzuerhalten - und auch dank digitaler Technik einen Ausgleich für fehlende Sozialkontakte. Verärgert ist Lange über die Corona-Prämie, die nur selektiv und wenig transparent ausbezahlt wurde.
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Dirk Baas
Swisttal (epd). Christian Brix schleppt volle Kisten mit Brot, Konserven, Nudeln und Reis. Wasser, Klopapier, medizinische Masken und Corona-Tests kommen auch in den weißen Lieferwagen, der vor der Swisttaler Tafel im Ortsteil Heimerzheim steht. Es ist Dienstagmorgen, die Flutkatastrophe im südlichen Nordrhein-Westfalen und nördlichen Rheinland-Pfalz ist knapp zwei Wochen her und die Tafel fährt an diesem Tag erstmals wieder Lebensmittel zu den Menschen, die wegen Alter und Krankheit nicht selbst zum Ladenlokal kommen können.
Das Gebäude, in dem sich die Tafel befindet, wurde verschont, als die Swist über die Ufer trat. Weiter unten im Dorf sieht es dagegen schlimm aus. Auch das Haus, in dem Brix lebt, ist schwer beschädigt. Waschmaschine, E-Bike, Auto - alles hat das Wasser zerstört. Doch trotzdem hilft Brix heute ehrenamtlich bei der Ausfahrt der Lebensmittel.
Die Tafeln versorgen bundesweit Menschen mit gespendeten Lebensmitteln. In Swisttal können Menschen, die von Sozialleistungen leben, zweimal in der Woche - dienstags und freitags - zur Lebensmittelausgabe kommen. In Krisenzeiten wird der gemeinnützige Verein oft zur Anlaufstelle für Hilfsbedürftige, Helfer und Spender. So auch jetzt: Nicht nur Nahrung bekommen die Menschen hier, auch Hygiene-Artikel oder ein Paar Handschuhe und Gummistiefel können hier abgeholt werden.
Brix muss acht Haushalte in Heimerzheim und Odendorf beliefern, beides Ortsteile, die schwer vom Hochwasser betroffen sind. Hinter den Haushalten verbergen sich meistens alleinstehende alte Frauen oder Ehepaare, die auf Hilfe und teilweise auch auf häusliche Pflege angewiesen sind. Eine Frau, der Brix eine Kiste bringt, sitzt im Rollstuhl. Sie erzählt, dass sie Glück hatte, weil das Wasser nicht bis zu ihrem Haus kam. Sie lebt mit einer Betreuerin zusammen, weil sie 24 Stunden am Tag auf Hilfe angewiesen ist. Die Betreuerin ist es auch, die in den Tagen nach dem Wasser Lebensmittel holen konnte.
Eine andere Frau, die mit ihrem bettlägerigen Mann zusammen in einer kleinen Wohnung in Heimerzheim lebt, ist zu Tränen gerührt, als sie von Brix erfährt, dass sie für die Lieferung heute nicht bezahlen muss. In der Regel müssen die Tafel-Kunden einen kleinen Betrag für die Lebensmittel bezahlen, die sie von der Tafel erhalten. Doch wegen der Ausnahmesituation ist das heute anders. Überall, wo Brix hinkommt, herrscht große Dankbarkeit. Eine alte Frau erzählt fröhlich, dass sich das Leben für sie wieder normalisiert hat, weil auch der Pflegedienst wieder zu ihr kommt, der sie wäscht und ihr die Stützstrümpfe an- und auszieht. Die Frau wird von der Sozialstation des Deutschen Roten Kreuz in Odendorf gepflegt.
Dort ist seit Anfang der Woche weitgehend der Normalbetrieb eingekehrt. Die Pflegedienstleitung der Sozialstation, Ida Kiel, sitzt wieder hinter ihrem Schreibtisch. Sie ist erleichtert, dass ihre 22 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wieder ihre Touren fahren können. Nur einige Kunden in Odendorf müssen die Pflegekräfte zu Fuß aufsuchen, weil Straßen und Brücken zerstört sind. Die Station selbst war nicht vom Hochwasser betroffen.
Als das Wasser vor zwei Wochen stieg, waren noch Pflegerinnen im Spätdienst unterwegs, erzählt Kiel. „Meine Mitarbeiterinnen haben mich angerufen und haben gesagt, dass das Wasser auf den Straßen so hoch steht, dass sie mit den Autos nicht mehr durchkommen. Wir haben die Tour dann abgebrochen.“ Die noch zu versorgenden Kunden versuchte sie, über Handy zu erreichen.
Bis vergangenen Sonntag herrschte Notversorgung. Denn das Hochwasser hatte es unmöglich gemacht, die Kunden zu erreichen. Einige wurden evakuiert, auch die Sozialstation war tagelang nur unter Lebensgefahr zugänglich, weil der Damm einer Talsperre zu brechen drohte und der Ort in diesem Fall binnen einer Viertelstunde ein weiteres Mal überflutet worden wäre.
Kiel und ihr Team haben trotzdem alles gegeben, um die Menschen, die auf ihre Pflege angewiesen sind, nicht im Stich zu lassen. Um die lebenswichtige Versorgung für die Kunden sicherzustellen, holten Kiel und weitere Mitarbeiter Tabletten und Haustürschlüssel noch während der Evakuierung aus der Sozialstation. Die Atmosphäre sei ihr unheimlich vorgekommen. „Da war so eine Stille im Dorf“, erinnert sich Kiel.
Kiel organisierte die Notversorgung für diejenigen, die am dringendsten auf Hilfe angewiesen sind. Bei den übrigen informierte sie die Angehörigen. Von den über 90 zu versorgenden Kunden wurden etliche in Heimen und Krankenhäusern untergebracht, so dass sich Kiel erst einen Überblick verschaffen musste, wer sich noch in der Wohnung befindet und versorgt werden muss. Kunden, die zuhause bleiben konnten, erhielten ihre Medikamentenration für vier bis sieben Tage, damit die Pflegekräfte nicht täglich vorbeikommen mussten.
Jetzt seien Routinen und der Kontakt zu Bezugspersonen sehr wichtig für die Kunden, sagt Kiel. „Wir müssen viel mit den Menschen reden.“ Die Rückkehr zur Normalität sei auch für die Kunden nun entscheidend.
Bonn (epd). Die junge Rettungsassistentin saß in ihrem Fahrzeug, als sie plötzlich von Wassermassen eingeschlossen wurde. In Todesangst musste sie mit ansehen, wie der Pegel immer weiter stieg. Die 23-Jährige wurde gerettet, aber das Erlebnis hinterließ Spuren bei der jungen Frau. „Das gab es bislang noch nicht, dass reihenweise Rettungskräfte in Lebensgefahr waren“, sagt Albrecht Roebke, Koordinator der Notfallseelsorge Bonn/Rhein-Sieg. Der evangelische Pfarrer, sein katholischer Kollege Jürgen Langer sowie rund 60 größtenteils ehrenamtliche Mitarbeiter sind seit Beginn der Hochwasserkatastrophe rund um die Uhr im Einsatz.
Roebke und sein Team waren in den ersten Tagen unmittelbar vor Ort als Ansprechpartner für die Menschen, die durch das Hochwasser ihre Häuser und Wohnungen verloren oder gar um tote Angehörige trauern. Zunehmend begegnen den Seelsorgerinnen und Seelsorgern nun auch professionelle Helfer wie die junge Rettungsassistentin, die durch ihre Erlebnisse im Einsatz schwer mitgenommen sind.
„Was die Rettungskräfte in den Hochwassergebieten erleben, hat in seinem Ausmaß und in seiner Massivität eine ungewöhnliche Dimension“, sagt auch Julia Möller, Psychotherapeutische Psychologin in der Trauma-Ambulanz der LVR-Klinik in Bonn. Sie erwartet für die kommenden Wochen vermehrt Anfragen Helfender, die Unterstützung brauchen.
„Aber auch die Familien professioneller Helfer machen viel durch“, erklärt Roebke. So habe er zum Beispiel erlebt, dass Kinder von Feuerwehrmännern angesichts der Bilder aus den Überschwemmungsgebieten große Angst um ihre Väter haben. „Und woran bislang auch noch keiner gedacht hat, sind die vielen freiwilligen Helfer“, berichtet Roebke. Hunderte Freiwillige unterstützen zum Beispiel im Ahrtal seit Beginn der Katastrophe die Aufräumarbeiten. Landwirte oder Bauunternehmer etwa helfen, Häuser und Straßen freizuschaufeln. Andere freiwillige Helfer werden von Shuttle-Bussen privater Initiativen oder von Wohlfahrtsverbänden in die Katastrophenregion gebracht.
„Einen solchen Einsatz von Freiwilligen hat es in diesem Ausmaß bislang nicht gegeben“, sagt der Koordinator für Notfall- Seelsorge. „Die Helfer erleben aber zum Teil Situationen, auf die sie überhaupt nicht vorbereitet sind.“ Das Ausmaß der Zerstörung oder die Konfrontation mit dem Schicksal von Menschen, die alles verloren haben, könnten Menschen extrem belasten, weiß Roebke. Hinzu kommen teilweise auch erschreckende Erlebnisse. So stießen Helfer bei Aufräumarbeiten etwa auf abgerissene Gliedmaßen. Auch einige Leichen wurden von freiwilligen Helfern entdeckt.
Während professionelle Einsatzkräfte in der Regel auf die Möglichkeit der Notfallseelsorge oder psychologischen Hilfe hingewiesen würden, erreiche die Freiwilligen dieses Angebot wohl kaum, fürchtet Roebke. „Hier wäre es wichtig, Freiwillige darauf aufmerksam zu machen, dass sie sich Hilfe holen können.“
Noch seien viele Menschen mit Aufräumarbeiten und der Versorgungssicherung beschäftigt, sagt Traumapsychologin Julia Möller. Oft stellten sich Gefühle von Hilflosigkeit, Kontrollverlust und Überforderung erst mit Verzögerung ein, wenn die Menschen wieder etwas zur Ruhe kämen.
Dann seien Gespräche mit Notfallseelsorgern oder Therapeuten wichtig, weil sie eine präventive Wirkung hätten, betont Roebke. Durch frühzeitige Hilfe könne die Entwicklung langfristiger Traumata in den allermeisten Fällen verhindert werden. Doch Möglicherweise stünden gar nicht genügend Seelsorger und Therapeuten zur Verfügung, um die Menschen auch Wochen nach dem Ereignis mit Gesprächsangeboten aufzufangen. „Hier klafft eine Lücke im System,“ stellt Roebke fest. Für die Zukunft schlägt der Notfallseelsorger vor, einen Pool von ehrenamtlichen Therapeuten für extreme Katastrophenfälle bereitzuhalten.
Bonn (epd). Psychologinnen und Psychologen rechnen in den kommenden Wochen mit einem hohen Unterstützungsbedarf von Hochwasser-Opfern. „Da wird noch viel auf uns in den Kliniken, aber auch auf die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen zukommen“, sagte Julia Möller, Psychologin in der Trauma-Ambulanz der LVR-Klinik in Bonn, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Angesichts der großen Zahl von Hochwasser-Opfern und Helfern mit traumatischen Erlebnissen seien zusätzliche Angebote notwendig.
„Hier in der Klinik versuchen wir, die Kapazitäten zu erhöhen und für die Betroffenen ausreichend Gesprächstermine mit Psychologinnen und Psychologen bereitzustellen“, sagte Möller. „Wir bieten Hochwasser-Opfern bis zu fünf Stunden Soforthilfe an.“ Verstärkt werde die Nachfrage auch dadurch, dass psychologische Hilfsangebote in den Hochwasser-Regionen teilweise weggebrochen sind. So musste etwa die Ehrenwall’sche Fachklinik in Bad Neuenahr-Ahrweiler ihren Betrieb einstellen. In der derzeitigen Ausnahmesituation könnten sich laut LVR-Klinik Betroffene aus den angrenzenden rheinland-pfälzischen Kreisen nun auch an die Bonner Trauma-Ambulanz wenden.
Auch viele niedergelassene Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten aus der Region stellten sich derzeit mit zusätzlichen Zeitangeboten auf die verstärkte Nachfrage von Hochwasser-Opfern ein, erklärte Möller. So bietet etwa die Initiative „Soforthilfe Psyche - Netzwerk Flutopferhilfe Rheinland-Pfalz und NRW“ über ihre Website www.sofortaktiv.de Unterstützung an.
Möller rät Betroffenen, Hilfe zu suchen, wenn sie eine starke psychische Belastung spüren. Anzeichen seien etwa starke Anspannung und Überforderung, Schlafstörungen, Alpträume sowie immer wiederkehrende Bilder des Erlebten. Oft breche das Gefühl von Kontrollverlust und Hilflosigkeit erst einige Zeit nach dem traumatischen Ereignis über die Menschen herein, erklärt die Psychologin. „Viele Menschen funktionieren erst einmal und bekommen im Hochstress viel hin.“ Erst wenn etwas mehr Ruhe einkehrt, habe das Gehirn die Möglichkeit, sich mit dem Erlebten zu beschäftigen.
„Wenn diese Symptomatik auftaucht, heißt das aber nicht gleich, dass die Betroffenen psychische Beeinträchtigungen davontragen“, betont Möller. Zwei Drittel der von einem Trauma Betroffenen brauchten keine langfristige psychologische Hilfe. Oft reichten auch ein oder mehrere Gesprächstermine, um wieder Sicherheit zu gewinnen. In der Traumaambulanz vermittelten die Therapeutinnen und Therapeuten unter anderem Beruhigungstechniken und Strategien zur Stärkung der Selbstwirksamkeit. Dann werde gemeinsam überlegt, ob weitere Hilfe notwendig ist.
Bonn (epd). Trotz Soforthilfen von Bund und Ländern gibt es nach Einschätzung des Bündnisses „Aktion Deutschland Hilft“ weiterhin großen Bedarf an Spenden für die Hochwasseropfer in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen. „Spenden können eine gute Ergänzung zu den staatlichen Programmen und Zahlungen der Versicherungen sein“, sagte Manuela Roßbach, geschäftsführende Vorständin des Bündnisses von 23 Hilfsorganisationen dem Evangelischen Pressedienst (epd). Weil viele der Hilfsorganisationen in den überfluteten Gemeinden präsent seien, könne Soforthilfe schnell und zielgenau geleistet werden.
Die Bundesregierung hatte in der vergangenen Woche Soforthilfen für die Hochwassergebiete beschlossen. Veranschlagt wurde ein Bedarf von 400 Millionen Euro, von denen der Bund die Hälfte übernimmt. „Diese Soforthilfe ist zunächst ein Tropfen auf dem heißen Stein“, sagte Roßbach. Sie verwies auf den Gesamtschaden der Hochwasserkatastrophe 2013, der nach heutigem Stand etwa 13 Milliarden Euro betragen habe. Insgesamt lobte Roßbach die rasche Bereitstellung erster Gelder. „Die staatlichen Hilfen dürfen aber nicht kompliziert zu bekommen sein. Und: Wenn Haushalte Geld bekommen, sollte es nicht versteuert werden müssen.“
Aus dem Hochwasser 2013 habe das Bündnis viele Lehren gezogen, die jetzt Anwendung fänden. „Damals wurden Spenden im Gegensatz zu staatlichen Hilfen und Versicherungen nachrangig behandelt“, sagte Roßbach. Die Betroffenen hätten damals warten müssen, bis die Schadensgutachten der Versicherer erstellt waren. „Das ist aber erst möglich, wenn Häuser und Wohnungen wieder trocken sind. Das dauert Monate.“
Die Möglichkeit, aus verschiedenen Quellen Unterstützung zu erhalten, sorge dafür, „dass die Betroffenen die Hilfe bekommen, die sie brauchen“, sagte Roßbach. Für die Anträge auf Spendengelder würden auf lokaler Ebene zentrale Anlaufstellen eingerichtet. In Planung seien dafür Büros der Hilfsorganisationen in den Regionen. „Wie schnell das gehen kann, hängt von den jeweiligen Schäden und der Erreichbarkeit in den betroffenen Regionen ab.“ Wie beim Hochwasser 2013 sei zudem eine zentrale Datenbank in Planung, um potentielle Doppelzahlungen an einzelne Betroffene zu vermeiden.
Düsseldorf (epd). Die Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe bietet im August kostenlose Ferienfreizeiten für Kinder aus Überflutungsgebieten an. Das Angebot richtet sich an Kinder im Alter von sechs bis vierzehn Jahren, erklärte die Diakonie RWL am 27. Juli in Düsseldorf. Es beinhalte die Betreuung von montags bis freitags mit Übernachtung und Verpflegung. Zudem gebe es für alle teilnehmenden Kinder ein Taschengeld.
„Die Kinder haben dramatische Szenen miterlebt und müssen nun zwischen den Trümmern auf der Straße spielen. Viele Kitas und Schulen sind zerstört“, sagt Christian Heine-Göttelmann, Vorstand der Diakonie RWL. „Wir möchten ihnen gezielt Angebote machen und den Kindern dabei helfen, ihre schlimmen Erlebnisse zu verarbeiten.“
Die Angebote werden vom Zentrum Freiwilligendienste der Diakonie RWL organisiert. Geplant sind vier Freizeiten, drei im Haus Friede in Hattingen und eine im Wilhelm Kliewer Haus in Mönchengladbach.
Frankfurt a.M. (epd). 70 Jahre nach Verabschiedung der Genfer Flüchtlingskonvention haben Wohlfahrtsverbände die Wichtigkeit des Abkommens hervorgehoben sowie die aktuelle Flüchtlingspolitik kritisiert. „Die Genfer Flüchtlingskonvention ist bis heute das wichtigste internationale Abkommen für den Flüchtlingsschutz und angesichts der Herausforderungen nach wie vor unverzichtbar“, teilte der Präsident der Diakonie, Ulrich Lilie, am 28. Juli in Berlin mit. Flucht und Vertreibung seien keine kurzfristigen und vorübergehenden Phänomene, sondern blieben eine ständige Gestaltungsaufgabe.
Die Flüchtlingskonvention habe bis heute zum Schutz vieler Millionen Menschen auch in Deutschland beigetragen. Dennoch müsse immer wieder um die Einhaltung gestritten werden: „Was derzeit an den europäischen Land- und Seegrenzen geschieht, ist eine klare Missachtung der Grundprinzipien des Flüchtlingsschutzes“, kritisierte Lilie. Es gelte, Fluchtursachen zu bekämpfen und geflüchteten Menschen Schutz zu gewähren.
Das Genfer „Abkommen über die Rechtstellung der Flüchtlinge“ ist die Grundlage des internationalen Flüchtlingsrechts. Die Genfer Flüchtlingskonvention wurde am 28. Juli 1951 am europäischen Hauptsitz der UN in Genf verabschiedet und trat am 22. April 1954 in Kraft.
Laut der Konvention gelten Menschen als Flüchtlinge, die ihr Herkunftsland verlassen mussten, weil sie wegen ihrer „Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung“ verfolgt wurden. Das Abkommen garantiert unter anderem den Schutz vor Benachteiligung im Aufnahmeland.
Die Arbeiterwohlfahrt (AWO) sieht den im Abkommen zugesicherten Schutz vor Verfolgung in Gefahr. „Derzeit ist in Europa das Gegenteil von dem zu beobachten, was die Genfer Flüchtlingskonvention garantiert: Statt fairen Zugängen und dementsprechend fairen Asylverfahren fährt Europa eine Abschottungspolitik mit verheerenden Folgen“, kritisierte Brigitte Döcker, Mitglied des AWO Bundesvorstandes. Die aktuelle „Politik führt zu einer humanitären Katastrophe und missachtet die Errungenschaften der Genfer Flüchtlingskonvention.“ Döcker forderte die Einhaltung des Zurückweisungsverbots und einen Zugang zu einem fairen Asylverfahren für alle Flüchtlinge.
Dagmar Pruin, Präsidentin des evangelischen Hilfswerks „Brot für die Welt“ verwies auf den großen Anteil derer Flüchtlinge, die innerhalb des eigenen Landes oder in Nachbarstaaten Schutz suchten. „Statt Migrationsabwehr zu unterstützen, sollte die deutsche und europäische Politik dazu beitragen, Gewaltkonflikten vorzubeugen und den Menschen nachhaltige Lebensperspektiven zu schaffen“, forderte Pruin. Kein Mensch dürfe sich gezwungen sehen, sein Land zu verlassen.
Nach Einschätzung des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) wird die Genfer Flüchtlingskonvention künftig an Bedeutung gewinnen. „Krieg, Konflikte, Verfolgung und Vertreibung führen dazu, dass sich immer mehr Menschen auf der Flucht befinden. Dass Menschen, die verfolgt werden, verbindliche Rechte gewährt werden, ist eine große Errungenschaft“, sagte DRK-Präsidentin Gerda Hasselfeldt. Sie wies auf die Lage der sogenannten Binnen- und Klimaflüchtlinge hin. Die Zahl dieser Vertriebenen habe in den vergangenen Jahren dramatisch zugenommen. „Dieser Personenkreis fällt nicht unter die Genfer Flüchtlingskonvention und erhält keinen ausreichenden Schutz.“ Hier sei die internationale Staatengemeinschaft gefordert, um für die Betroffenen langfristig Lebensperspektiven zu schaffen.
Die Genfer Flüchtlingskonvention gilt nicht für Binnenflüchtlinge, weil nach dem Völkerrecht die Regierungen die Pflicht haben, sich um das Wohl ihrer Bürger zu kümmern. Fragile Staaten wie Afghanistan oder Somalia sowie diktatorische Regimes können oder wollen das jedoch nicht leisten. Nach UN-Schätzungen sind die Hälfte der Binnenflüchtlinge Kinder. Sie leiden am schlimmsten unter Hunger, sexueller Gewalt, Zwangsrekrutierung und dem Trauma der Heimatlosigkeit. Derzeit sind mehr als 82 Millionen Menschen auf der Flucht.
Genf (epd). Das 70 Jahre alte Genfer „Abkommen über die Rechtstellung der Flüchtlinge“ ist die Grundlage des internationalen Flüchtlingsrechts. Die Genfer Flüchtlingskonvention wurde am 28. Juli 1951 am europäischen Hauptsitz der UN in Genf verabschiedet und trat am 22. April 1954 in Kraft. Die Bundesrepublik Deutschland war einer der ersten Unterzeichner. Nach den Vertreibungen des Zweiten Weltkrieges und den Verfolgungen der Nazis gewährten die Staaten den Flüchtlingen eine Reihe von Rechten, um sie in den Aufnahmeländern zu schützen.
Die Konvention galt zunächst nur für Menschen, die bis 1951 geflohen waren. Ein Protokoll von 1967 hob die zeitliche Beschränkung auf. Laut Konvention gelten Menschen als Flüchtlinge, die ihr Herkunftsland verlassen mussten, weil sie wegen ihrer „Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung“ verfolgt wurden.
Das Abkommen garantiert unter anderem den Schutz vor Benachteiligung im Aufnahmeland. Flüchtlinge können Gerichte anrufen und haben die gleichen religiösen Rechte wie die Einwohner des Landes. Sie haben darüber hinaus Anspruch auf einen Flüchtlingsausweis und dürfen nicht in ihr Herkunftsland zurückgeschickt werden. Allerdings können viele Flüchtlinge ihre Rechte wegen Geldmangel, der fremden Sprache und bürokratischer Hürden im Aufnahmeland nicht durchsetzen.
Die Konvention gilt nicht für sogenannte Binnenflüchtlinge, die im eigenen Land auf der Flucht sind. Denn nach dem Völkerrecht haben die Regierungen die Pflicht, sich um das Wohl ihrer Bürger zu kümmern. Fragile Staaten wie Afghanistan oder Somalia sowie diktatorische Regimes können oder wollen das jedoch nicht leisten.
So haben viele Vertriebene kein Anrecht auf den Schutz durch die Konvention und auf die Hilfe des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR, dessen rechtliche Grundlage ebenfalls in dem Abkommen geregelt wird. „Wir dürfen nicht eine ganze Kategorie von Menschen, die Binnenflüchtlinge, durch das Rost fallen lassen“, warnte der frühere US-Botschafter bei den UN, Richard Holbrooke, schon im Jahr 2000. Nach UN-Schätzungen sind die Hälfte der Binnenflüchtlinge Kinder. Sie leiden am schlimmsten unter Hunger, sexueller Gewalt, Zwangsrekrutierung und dem Trauma der Heimatlosigkeit.
Von der Genfer Konvention zu unterscheiden, ist der Globale Pakt für Flüchtlinge, den die UN 2018 verabschiedeten. Der Globale Pakt für Flüchtlinge ist rechtlich nicht bindend, sondern eine politische Selbstverpflichtung, durch welche die internationale Kooperation bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise gestärkt werden soll. Er sei angesichts der globalen Flüchtlingskrise eine Notwendigkeit, betont der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, Filippo Grandi.
Derzeit sind mehr als 82 Millionen Menschen auf der Flucht. Es sind Binnenflüchtlinge, Flüchtlinge und Asylsuchende.
Berlin (epd). Die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland ist sieben Monate nach dem Start der Corona-Impfkampagne in Deutschland vollständig gegen das Virus geimpft. Wie aus aktuellen Daten des Bundesgesundheitsministeriums vom 29. Juli hervorgeht, haben nach den Impfungen vom Vortag rund 42,3 Millionen Menschen den nach bisherigem Forschungs- und Entwicklungsstand bestmöglichen Impfschutz gegen das Coronavirus erhalten. Für diesen sind bei den meisten Vakzinen zwei Dosen im Abstand mehrerer Wochen nötig. Die Impfquote lag bei 50,9 Prozent der Gesamtbevölkerung.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) nannte das Erreichen der 50-Prozent-Marke einen „weiteren Meilenstein“. Er schrieb bei Twitter: „Je mehr sich jetzt impfen lassen, desto sicherer werden Herbst und Winter!“ Die Zahl der täglich verabreichten Impfdosen ist in den vergangenen Wochen zurückgegangen, obwohl die Priorisierung nach Risikogruppen angesichts ausreichender Impfstofflieferungen inzwischen aufgegeben wurde.
Auch darüber will eine vorgezogene Ministerpräsidentenkonferenz am 10. August mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) beraten. Die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer, nannte als Themen außerdem die steigenden Infektionszahlen sowie der Umgang mit Reiserückkehrern. Sie betonte zugleich: „Alles was vorher schon geklärt werden kann, wird selbstverständlich geklärt.“
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) warb dafür, die Inzidenzlage neu zu betrachten und hat damit eine heftige Debatte ausgelöst. Er reagierte auf Aussagen des Robert-Koch-Instituts (RKI), das in einer Lageeinschätzung geschrieben hatte, dass die Inzidenz, also die Zahl der Infizierten auf 100 000 Einwohner innerhalb der vorigen sieben Tage, auch weiterhin der „Leitindikator für Infektionsdynamik“ sei. Söder sagte dagegen, der „Inzidenzwert selbst“ müsse „neu interpretiert“ werden aufgrund der Zahl der bisher Geimpften.
Söder verwies auf die relativ entspannte Situation auf den Intensivstationen. Das RKI müsse klarstellen, ab welchem Inzidenzwert an eine Überlastung des Gesundheitsystems drohe. Erst dann, so der Ministerpräsident, müsse geklärt werden, mit welchen Maßnahmen reagiert werden müsse. Söder verlangte: „Jemand, der zweimal geimpft ist, muss - egal bei welchem Inzidenzwert - Zugang zu Geschäften oder Restaurants haben.“
Spahn widersprach dem Chef des Robert Koch-Instituts, Lothar Wieler. „Mit steigender Impfrate verliert die Inzidenz an Aussagekraft“, sagte Spahn der Bild-Zeitung. Daher brauche es „zwingend weitere Kennzahlen, um die Lage zu bewerten“, etwa die Zahl der neu aufgenommenen Covid-Patienten im Krankenhaus. Spahn betonte aber auch, dass bei weitem noch nicht ausreichend Menschen in Deutschland geimpft seien, „um ganz auf den Blick auf die Inzidenz verzichten zu können“.
Fast 50,9 Millionen Menschen in Deutschland haben bislang zumindest eine Corona-Schutzimpfung erhalten. Das sind 61,1 Prozent der deutschen Bevölkerung. Das Robert Koch-Institut (RKI) geht seit der Verbreitung der ansteckenderen Delta-Variante des Coronavirus davon aus, dass weit mehr als 80 Prozent geimpft sein müssen, um den Effekt der sogenannten Herdenimmunität zu erreichen. Erst dann wären durch großflächige Immunisierung auch Menschen geschützt, die etwa aus medizinischen oder Altersgründen nicht geimpft werden können.
Um mehr Menschen zu erreichen, wünscht sich Integrationsstaatsministerin Annette Widmann-Mauz (CDU) mehr Aufklärungsangebote für Migranten mit geringen Deutschkenntnissen. Sie sagte, es gebe gute Beispiele in den Kommunen: von Corona-Lotsen, die vor Ort aufklären, über Info-Busse und Lautsprecherwagen bis hin zu mobilen Impfstationen.
Ärztepräsident Klaus Reinhardt sprach sich für eine erhebliche Ausweitung der Informationskampagnen in sozialen Brennpunkten aus. „Die meisten Menschen, die sich bis jetzt noch nicht haben impfen lassen, sind sicherlich keine radikalen Impfverweigerer. Viele haben sich bislang mit dem Thema noch nicht ernsthaft auseinandergesetzt, oder sie schieben diese Entscheidung vor sich her.“ Daher brauche es mehr wohnortnahe Angebote.
Ähnlich argumentiert der Paritätische Wohlfahrtsverband. „Man kann nicht mehr in den Praxen oder Impfzentren darauf warten, dass die Leute schon kommen werden“, sagte Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Man müsse mit dem Impfstoff zu ihnen gehen.
Der Impffortschritt variiert zwischen den Bundesländern. Während bei den Spitzenreitern Bremen und Saarland bereits 70,1 beziehungsweise 66,9 Prozent der Bevölkerung mindestens einmal gegen das Coronavirus geimpft sind, sind es in Thüringen 55,3 Prozent und beim Schlusslicht Sachsen lediglich 51,8 Prozent.
Bremen (epd). „Impfen gegen Corona“ steht in riesigen Buchstaben auf dem Sattelschlepper, den das Deutsche Rote Kreuz auf dem Parkplatz eines großen Einkaufszentrums im Bremer Stadtteil Blockdiek bereitgestellt hat. Mehr als 80 Menschen stehen geduldig in einer Schlange und warten auf den Piks, der sie schützen soll. In Zusammenarbeit mit dem DRK hat Bremen schon früh begonnen, ein Impfmobil auf Tour zu schicken. Mittlerweile folgen immer mehr Städte und Kreise dem Beispiel der Hansestadt.
Vielerorts registrieren Impfzentren ein sinkendes Interesse an Terminen für die Schutzimpfung. Auch der Deutsche Hausärzteverband spricht von einer spürbar nachlassenden Impfbereitschaft - und das trotz der deutlich ansteckenderen Delta-Variante. „Aus meiner Sicht ist jetzt Kreativität gefragt“, sagt der Bremer Epidemiologe Hajo Zeeb und betont: „Die Impfungen müssen nun verstärkt dort angeboten werden, wo die Menschen sind und leben, um alle zu erreichen, auch gerade die, die aus diversen Gründen jetzt noch nicht zum Impfzentrum oder in eine ärztliche Praxis gehen konnten.“
Für den Experten des Bremer Leibniz-Instituts für Präventionsforschung und Epidemiologie können rollende Praxen im weiteren Verlauf der Impfkampagne eine wichtige Funktion übernehmen. Das gelte besonders mit mehrsprachigem Personal und flexiblen Angeboten zu Randzeiten. „Wir müssen die Impfungen zu den Menschen bringen“, bringt es der Bremer Pflegewissenschaftler Stefan Görres auf den Punkt.
Darauf hat sich das DRK in Bremen unter anderem mit Dolmetschern und multikulturellen Impfteams eingestellt, um besser auf Fragen eingehen zu können. „Wenn ich mich impfen lasse, lebe ich nur noch zwei Jahre, vielleicht werde ich auch unfruchtbar“, schildert DRK-Sprecher Lübbo Roewer Vorbehalte, die immer wieder laut werden. Um ihnen mit verständlichen Informationen begegnen zu können, seien muttersprachliche Informationen wichtig. Dazu komme ein Vertrauensvorschuss, der vor allem unter Menschen mit ausländischen Wurzeln dem Roten Kreuz als unabhängiger Hilfsorganisation entgegengebracht werde.
„Mit der mobilen Impfstraße sind wir noch näher an den Menschen - wir impfen quasi vor ihrer Haustür“, erklärt der Betriebsleiter des DRK-Impfmobils, Herwig Renkwitz. Und Bremens Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard (Linke) ergänzt: „Durch die niedrigschwelligen Angebote schaffen wir eine sozial gerechte Pandemie-Bekämpfung und ermöglichen tatsächlich allen Bremerinnen und Bremern Impfungen.“
Besonders Großwohnanlagen in sozial benachteiligten Stadtteilen werden vom Impfmobil angesteuert. Zuvor stecken Ehrenamtliche Flugblätter in alle Briefkästen und beziehen dabei auch Vereine, Selbsthilfegruppen, Schulen und Kitas ein. „Dass es in der Zeitung steht, ist gut und wichtig“, meint der Kommunikationsexperte Roewer. Das reiche aber nicht: „Wir brauchen Mund-zu-Mund-Propaganda, wir müssen die nachbarschaftlichen Netzwerke anzapfen.“
Vor Einkaufszentren, auf Wochenmärkten und Schulhöfen, am Rande von Open-Air-Festivals und Fußballspielen, neben Fast-Food-Restaurants und Möbelhäusern: Mittlerweile wird die Liste mobiler Impfaktionen in Deutschland immer länger. Für die Impfung müssen dann in der Regel der Personalausweis oder der Reisepass sowie die Krankenkassenkarte und der Impfausweis mitgebracht werden, wenn vorhanden.
Zur Not kann auch ein neues Dokument ausgestellt werden, wie das mehrfach bei einer mobilen Impfaktion der evangelischen Kirche weiter nördlich von Bremen in Bremervörde geschieht. Denn auch in der Kleinstadt mit rund 18.500 Einwohnern wird mittlerweile mitten im Wohnquartier geimpft. „Es muss unkompliziert sein, und die Wege kurz“, betont Sozialpädagogin Almut Schmidt vom diakonischen Stadtteilladen im Viertel. Die Diakonin ist überzeugt: „Um die Impfkampagne voranzubringen, muss Vertrauen aufgebaut werden. Da ist aufsuchende Sozialarbeit gefragt.“
Bremen (epd). Fast zwei Drittel der Deutschen sind zumindest einmal gegen Corona geimpft - und schon machen sich die ersten Anzeichen von Impfmüdigkeit breit. Die angestrebte Herdenimmunität scheint in weite Ferne zu rücken. Um möglichst viele Menschen mit Impfungen zu erreichen, muss der Staat kreative Wege gehen, aber auch glaubwürdig bleiben, meint der Versorgungsforscher Professor Ansgar Gerhardus vom Institut für „Public Health“ der Universität Bremen. Die Fragen stellte Michael Grau.
epd sozial: Herr Professor Gerhardus, seit sieben Monaten impfen wir in Deutschland gegen Corona. Welche ersten Lehren lassen sich ziehen?
Ansgar Gerhardus: Die wichtigste Lehre ist, dass Vertrauen das höchste Gut ist, das wir bei einer bevölkerungsweiten Impfkampagne haben. Und Vertrauen haben die Menschen dann, wenn die Impfempfehlungen auf höchster Kompetenz und auf Unabhängigkeit beruhen. Wir haben in Deutschland das Glück, dass wir mit der Ständigen Impfkommission (Stiko) genau eine solche Institution haben. Die sollten die Politiker öffentlich stärken.
epd: Sollte der Staat auch wieder stärker selbst die Verantwortung für die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung übernehmen, so wie es früher der Fall war, als ganze Schulklassen etwa gegen Polio geimpft wurden?
Gerhardus: Wir sollten jede Schiene nutzen, die zur Verfügung steht. Denn viele Menschen haben ja keinen Hausarzt oder zumindest keinen Kontakt zu ihm - etwa Studierende oder jüngere Menschen allgemein. Oder auch Menschen, die aus dem Ausland kommen. Deshalb braucht es auch Angebote, die die Menschen dort aufsuchen, wo sie leben, arbeiten oder lernen.
epd: Also muss der Staat dort selbst aktiv werden?
Gerhardus: Auf jeden Fall. Die Politik sollte sich das Ziel setzen, dass so viele Menschen wie möglich in Deutschland geimpft werden. Dieses Ziel kann sie nicht delegieren an die Kassenärztliche Vereinigung oder die Hausärzte. Es hilft sicher, wenn man es den Menschen so einfach wie möglich macht, sich impfen zu lassen. Es reicht aber nicht, einfach dort hinzugehen, wo die Menschen sind, sondern wir müssen sie ja auch überzeugen. Und da kommen wir wieder auf das Vertrauen zurück, denn nicht jeder kennt die Stiko und nicht jeder vertraut ihr. Deshalb müssen wir mit Multiplikatoren oder mit Vermittlern zusammenarbeiten, die dieses Vertrauen der Menschen bereits haben.
epd: Haben die Bürger mehr Vertrauen in eine Impfung, wenn sie von einer nichtstaatlichen Organisation wie dem Roten Kreuz vorgenommen wird?
Gerhardus: Ich denke, es ist bei jedem Menschen anders, wem er vertraut. Das kann der Staat sein, das Rote Kreuz, der Hausarzt, die Schule oder auch eine religiöse Institution. Es lohnt sich sicher, auch über Informationen in Kirchen und Moscheen nachzudenken. Gerade Leute, die aus anderen Ländern kommen, haben nicht die besten Erfahrungen mit dem Staat gemacht. Das ist oft der Grund, warum sie geflüchtet sind. In Deutschland haben sie vielleicht Erfahrungen mit der Ausländerbehörde oder der Polizei gemacht. Da ist dann ist das Vertrauen in staatliche Organisationen oft geringer.
epd: Sollten Impfteams wieder verstärkt an die Schulen gehen?
Gerhardus: In den Schulen muss man abwägen. Wenn klar ist, dass die Eltern rechtzeitig informiert werden und ihr Einverständnis geben, ist das in Ordnung. Es sollte aber nicht der Eindruck entstehen, dass dort Kinder quasi überfallen werden. Die uneingeschränkte Impfempfehlung der Stiko gilt ja sowieso erst für Jugendliche ab 16. Da würde ich der Stiko weiter vertrauen. Bei den Jüngeren ist es im Moment noch zu früh, systematisch an die Schulen zu gehen.
epd: Und wie sehen sie die Impfmobile, die jetzt überall unterwegs sind, zum Beispiel an sozialen Brennpunkten?
Gerhardus: Impfmobile sind großartig, weil sie eine Anlaufstelle sind für Leute, denen es vielleicht zu kompliziert ist, sich per Internet an einem Impfzentrum anzumelden oder die vielleicht einfach zu bequem dafür sind. Da kann ich einfach mal so mit der Nachbarin hingehen, die vielleicht für mich übersetzt. Wichtig ist nur: Eine Impfung ist ein medizinischer Eingriff. Deshalb müssen dort gut ausgebildete Leute sein, und die Vertraulichkeit muss gewährleistet sein. Denn was ist, wenn jemand umkippt oder es zu einer allergischen Reaktion kommt? Ich warne davor, dass sich einzelne Ärzte jetzt einfach so auf den Supermarkt-Parkplatz stellen. Die Grundsätze für eine gute medizinische Behandlung müssen auf jeden Fall eingehalten werden.
epd: Ist es aus Ihrer Sicht eine „Bürgerpflicht“, sich impfen zu lassen?
Gerhardus: Es ist wichtig, auch auf den Aspekt der Solidarität hinzuweisen. Die allermeisten Menschen werden sich aber impfen lassen, um sich selbst und vielleicht noch ihre Angehörigen und Freunde zu schützen. Ich würde immer versuchen, auf die Vorteile einer Impfung hinzuweisen. Denn wenn man zu sehr an das Pflichtgefühl appelliert oder es zu einer Pflicht macht, dürfte das zumindest in unserer Kultur in Deutschland Widerstand hervorrufen.
epd: Manche Menschen haben vielleicht auch einfach nur Angst vor einer Impfung oder verstehen die Sprache nicht. Wie kann man die erreichen?
Gerhardus: Das ist eine sehr heterogene Gruppe, insofern gibt es nicht die eine Zauberformel. Es geht aber in fast allen Fällen um Vertrauen und teilweise auch um Wissen. Wenn wir versuchen, die Leute unabhängig von ihren Gründen einfach nur zu überreden, wird das Misstrauen erzeugen. Wir müssen viele Fragen stellen und versuchen herauszufinden, welche Gründe sie jeweils haben, sich nicht impfen lassen. Dann muss man das gemeinsam durchgehen und schauen, welche Gründe möglicherweise berechtigt sind. Ein gutes Beispiel sind Schwangere: Jede Frau, die schwanger ist, ringt ja mit sich, ob sie sich impfen lassen soll oder nicht. Und dann muss man auch ganz ehrlich auf die im Moment noch große wissenschaftliche Unsicherheit in diesem Bereich hinweisen und auch akzeptieren, wenn Leute sich im Einzelfall nicht impfen lassen wollen. Es wird aber immer Leute geben, die nicht erreichbar sind und sich nicht überzeugen lassen.
München (epd). Für ungeimpfte Besucher und Beschäftigte in bayerischen Alten- und Pflegeheimen besteht ab dem 16. August eine Testpflicht. Angesichts steigender Infektionszahlen verstärke die Staatsregierung die Corona-Schutzmaßnahmen, sagte Gesundheits- und Pflegeminister Klaus Holetschek (CSU) am 28. Juli in München. „Wir müssen die besonders gefährdeten Gruppen auch weiter mit allen Mitteln schützen.“ Die Testpflicht gelte auch in Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen.
In den vergangenen Monaten sei viel erreicht worden, um die Heimbewohner zu schützen, sagte Holetschek. In der zweiten Corona-Welle habe es dort die meisten schweren und tödlichen Covid-19-Verläufe gegeben. Vor allem durch die Impfungen habe sich die Situation stark verbessert - zuletzt seien nur noch 15 Menschen in elf bayerischen Einrichtungen mit Corona infiziert gewesen: „Diesen Erfolg dürfen wir jetzt nicht verspielen.“
Testen lassen müssen sich künftig alle Besucher, die nicht voll geimpft oder genesen sind. Betroffenes Personal muss sich zwei Mal pro Woche testen lassen.
Dass sich derzeit wieder mehr Menschen mit dem Virus infizierten, werde sich zeitversetzt auch in den Einrichtungen widerspiegeln, sagte Holetschek. Zu dieser Entwicklung trage die Verbreitung der ansteckenderen Delta-Variante bei und das vermehrte Reisen bei hohen Inzidenzen in Urlaubsländern.
Die Tests seien ein Schutzschirm, solange es noch keine klare Empfehlung für die Auffrischungsimpfungen gebe. Die Staatsregierung setze sich hierbei in den Gesprächen mit Bund und Ländern für eine rasche Regelung ein, so Holetschek.
„Mit der Entscheidung für eine Testpflicht für nicht geimpfte Besucherinnen und Besucher erhöht die Landesregierung die Sicherheit in den Pflegeheimen“, sagte der Landesvorsitzende des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste (bpa), Kai A. Kasri. Schon jetzt würden nicht geimpfte Beschäftigte und Bewohner regelmäßig getestet. „Gerade angesichts steigender Zahlen mit der neuen, hochansteckenden Virusvariante ist es richtig, nun auch die Gefährdung durch Besucherinnen und Besucher so klein wie möglich zu halten.“
Halle/Berlin (epd). Zwölf Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Leopoldina haben sich mit konkreten Empfehlungen in die Debatte um eine Neuregelung der Suizidbeihilfe eingeschaltet. Sie erklärten, notwendig zu diskutieren sei nicht ob, sondern wie künftig das Recht in Anspruch genommen werden könne, seinem Leben ein Ende zu setzen. Die Nationale Akademie der Wissenschaften in Halle veröffentlichte das Diskussionspapier am 29. Juli.
Das Bundesverfassungsgericht hatte im Februar 2020 das Verbot der organisierten Sterbehilfe gekippt. Seitdem befassen sich Politik und Ärzteschaft mit der Frage einer Nachfolgeregelung. Suizidassistenz leistet, wer einem Sterbewilligen ein todbringendes Medikament überlässt, es aber nicht verabreicht. Das Verabreichen, also aktive Sterbehilfe, ist in Deutschland verboten.
Die Leopoldina-Mitglieder empfehlen, dass durch Ärzte überprüft werden solle, ob der Entschluss eines Sterbewilligen zur Selbsttötung wirklich selbstständig, frei und ohne Druck zustande gekommen ist. Grundsätzlich sollten bis auf sehr eng gefasste Ausnahmen nur Entscheidungen von Volljährigen anerkannt werden, heißt es in dem Papier. Zu den Kernpunkten einer gesetzlichen Neuregelung der Beihilfe zur Selbsttötung gehört nach Ansicht der Autorinnen und Autoren, mindestens zwei unabhängig voneinander agierende Ärzte einzubeziehen und dadurch die Prüfung des Selbsttötungswillens von der Hilfe zum Suizid personell und organisatorisch zu trennen.
Außerdem müssten eine Bedenkzeit und umfassende Beratung sichergestellt werden, fordern die Wissenschaftler und schließen sich den Forderungen nach mehr Suizidprävention und einem Ausbau der Hospiz-Versorgung an. Der Vorstand der Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysc,h kritisierte, bei den Schutzkonzepten blieben die Leopoldina-Mitglieder unkonkret. Ausreichend psychische, pflegerische und medizinische Hilfsangebote seien nicht für jeden Suizidwilligen verfügbar.
Zu den Verfassern des Papiers zählen der Rechtswissenschaftler Andreas Voßkuhle, der im Februar 2020 noch Präsident des Bundesverfassungsgerichts war, und die Münsteraner Medizinethikerin Bettina Schöne-Seifert, die knapp zehn Jahre dem Deutschen Ethikrat angehörte. Nach Ansicht von Schöne-Seifert kommt Ärztinnen und Ärzten künftig eine zentrale Rolle zu. Sie sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), sie seien die „maßgeblich richtigen Personen“ bei der Suizidassistenz. Zugleich dürfe kein Arzt zur Suizidbeihilfe genötigt werden, auch nicht indirekt.
Umfragen zufolge seien ein Drittel bis zur Hälfte der Ärztinnen und Ärzte in Einzelfällen zur Hilfe beim Suizid bereit, sagte Schöne-Seifert, etwa weil sie einen Patienten gut kennen und ihm ermöglichen wollten, den Schritt in einem vertrauten Rahmen zu tun. Noch sei es für Patienten aber sehr schwierig, direkt einen Arzt dafür zu finden. Solange halte sie Sterbehilfeorganisationen für „eine wichtige und willkommene Auffangoption“, sagte Schöne-Seifert.
Das Bundesverfassungsgericht hatte vor anderthalb Jahren den 2015 geschaffenen Strafrechtsparagrafen 217, das Verbot der organisierten - sogenannten geschäftsmäßigen - Hilfe bei der Selbsttötung gekippt und geurteilt, dass das Recht auf Selbstbestimmung auch das Recht umfasst, sich das Leben zu nehmen und dabei die Hilfe Dritter in Anspruch zu nehmen. Der Bundestag diskutierte im April des laufenden Jahres, inwieweit der Staat diese Form der Sterbehilfe ermöglichen oder verhindern soll. Der Deutsche Ärztetag hatte im Mai auf das Urteil reagiert und das Verbot der Hilfe zur Selbsttötung aus der Berufsordnung gestrichen.
Bielefeld (epd). Mitarbeitervertretungen von sozialen Einrichtungen und Gewerkschaften fordern von einer künftigen Bunderegierung einen Systemwechsel bei den Arbeitsbedingungen in der Pflege. In einem am 29. Juli veröffentlichten „Bielefelder Appell“ haben 27 Betriebsräte und Mitarbeitervertretungen flächendeckende Tarifverträge sowie bessere Arbeits- und Ausbildungsbedingungen in der Pflege, Altenhilfe und Eingliederungshilfe angemahnt. Der Deutsche Gewerkschaftsbund und die Gewerkschaft ver.di unterstützen die Forderungen.
Ökonomische Faktoren dürften nicht mehr im Vordergrund stehen, sondern pädagogische und pflegerische, fordert der „Bielefelder Appell“. Die sogenannte „Daseinsvorsorge“ sei eine öffentliche Aufgabe, Privatisierungen in diesem Bereich dürften nicht mehr zugelassen werden. Zudem werden gesetzlich verankerte, fachkraftbezogene Standards für die Personalbemessung für alle sozialen Arbeitsfelder angemahnt.
Nach jahrelangen immer schlechter werdenden Bedingungen durch Marktlogik und Neoliberalismus müsse die Qualität von Begleitung, Betreuung und Pflege wieder an die erste Stelle gesetzt werden, erklärte der Sprecher des „Bielefelder Appells“ und Vorsitzende der Gesamtmitarbeitervertretung in den v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel, Christian Janßen. Kostendämpfungen hätten in den letzten Jahren zu Einsparungen beim Personal und zu einer schlechteren Betreuungsqualität geführt. Das bedeute für die Beschäftigten immer engere Personalschlüssel und zunehmende Arbeitsverdichtung.
Die Beschäftigten in der Pflege benötigten gute Arbeitsbedingungen, die nicht krankmachen, und eine angemessene tarifliche Bezahlung, sagte das Mitglied des geschäftsführenden DGB-Bundesvorstands, Anja Piel, in einer Videobotschaft. Sie „brauchen sicher keinen Druck durch chronische Unterbesetzung, Lohndumping und prekäre Arbeitssituationen“.
Annette Klausing von der Gewerkschaft ver.di des Landesbezirks Niedersachsen erklärte, dass das soziale System unter diesen Bedingungen langfristig nicht funktionieren könne. Auch die Ausbildung müsse attraktiver werden, um dringend benötigte Nachwuchskräfte zu gewinnen.
Bielefeld habe mit den v. Bodeschwinghschen Stiftungen, dem Evangelischen Johanniswerk sowie Einrichtungen der Diakonie, der Arbeiterwohlfahrt und dem Deutschen Roten Kreuz eine bundesweit einmalige Dichte von Einrichtungen und Diensten in der Pflege und Betreuung, erklärte Janßen. Die 27 Mitarbeitervertretungen stünden nach eigenen Worten für 26.000 Beschäftigte in der Alten- und Eingliederungshilfe sowie in der Pflege und in Krankenhäusern. Der „Bielefelder Appell“ hatte bereits im Jahr 2012 bessere Arbeitsbedingungen für Sozial- und Pflegeberufe gefordert.
Berlin (epd). Berlin wird aus humanitären Gründen in den kommenden fünf Jahren zusätzlich 100 Menschen jährlich aufnehmen, die in den Libanon geflüchtet sind. Damit werde ein Beschluss des Abgeordnetenhauses von Ende 2018 umgesetzt, teilte Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) am 26. Juli mit. Das Parlament hatte vor zweieinhalb Jahren beschlossen, ein Aufnahmeprogramm zur humanitären Hilfe für besonders Schutzbedürftige zu entwickeln. Die Aufnahme erfolgt außerhalb der sonst üblichen Asylverfahren.
Aufgenommen werden sollen insbesondere Personen mit syrischer und irakischer Staatsangehörigkeit, die derzeit im Libanon Zuflucht gefunden haben, so Geisel. Der Libanon habe im Verhältnis zu seiner Gesamteinwohnerzahl weltweit mit Abstand die meisten syrischen Geflüchteten aufgenommen. Die Auswahl der aufzunehmenden Personen erfolge unter Einbeziehung der Expertise des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR).
Das neue Landesaufnahmeprogramm musste laut Geisel zuvor mit dem Bund abgestimmt werden. Wegen der Corona-Pandemie sei es zu Verzögerungen gekommen. „Mit der Berliner Landesaufnahmeanordnung Libanon können wir besonders schutzbedürftigen Geflüchteten in Not einen sicheren Hafen bieten“, erklärte der Innensenator. Die ersten Familien sollen bereits in diesem Jahr nach Berlin kommen.
Hannover (epd). Burkhardt Schilling nimmt den Spiegel von Friseurin Jessica Kühne-Stark in die Hand und bewegt ihn langsam in verschiedene Richtungen. Neugierig mustert er seine neue Frisur. Weil Schilling eine Maske trägt, ist es nicht sofort zu erkennen - doch seinen Augen ist nach einer Weile abzulesen, dass er lächelt. „Ich erkenne mich gar nicht mehr wieder“, sagt er zu Kühne-Stark. „Wir werden noch richtige Models hier“, entgegnet die Friseurin aus Peine augenzwinkernd.
Mit der Initiative „Barber Angels Brotherhood“ schneidet sie Bedürftigen wie Burkhard Schilling und Obdachlosen kostenlos die Haare - an diesem Tag den Besucherinnen und Besuchern des Tagestreffs für Wohnungslose vom Caritasverband Hannover.
Die Barber Angels haben sich 2016 in Deutschland gegründet. Mehr als 40.000 Menschen haben sie seitdem einen Haarschnitt geschenkt, in mehreren europäischen Ländern haben sie inzwischen Gruppen. Eigentlich wollen sie Obdachlosen und Bedürftigen flächendeckend alle zwei bis drei Monate einen kostenlosen Haarschnitt anbieten. Doch pandemiebedingt hat die Initiative bundesweit eineinhalb Jahre pausiert.
Viele der Friseurinnen und Friseure hätten in ihren Salons Verluste erlitten, sagt Friseurin Concettina Michaelis, die für ihren Einsatz aus Bremen gekommen ist. Zudem hätten sie das Infektionsrisiko minimieren und die beschränkten Kontakte anderen Berufsgruppen überlassen wollen. „Wir retten keine Menschenleben.“
Doch mühsam wieder einleben muss sich nun offenbar kaum jemand: Quer über den Hof des Tagestreffs plaudern und scherzen die Ehrenamtlichen mit ihren Kolleginnen und Kollegen ebenso wie mit ihren Gästen. Was auch auffällt: Die Barber Angels Brotherhood heißt nicht nur wie ein Rockerclub, die Mitglieder kleiden sich auch so: Alle tragen schwarze Kleidung mit Lederweste.
Das stärke den Zusammenhalt untereinander und schaffe auch Augenhöhe zur Zielgruppe, sagt Carola Kherfani. Sie leitet als sogenannter Zenturio die Barber Angels in Niedersachsen und hat den Einsatz bei der Caritas organisiert. Sie habe selbst von Hartz IV gelebt. „Auf der Sonnenseite des Lebens kann ich jetzt etwas wiedergeben.“
Concettina Michaelis frisiert derweil Elli Schmidt die Haare. Schmidt kommt nach eigenen Angaben seit mehr als 20 Jahren in den Wohnungslosentreff. An ihren letzten Friseurbesuch könne sie sich gar nicht erinnern, sagt sie. Während die Friseurin ihre Haare unter einer Haube mit einer Art Shampoo einweicht, hat Schmidt ihre Augen für eine Weile geschlossen. „Schön weich, oder?“, fragt Michaelis. „Joa“, entgegnet Schmidt.
Auch Burkhardt Schilling sagt, er sei dankbar für seinen neuen Haarschnitt. Er sei seit zwei Jahren nicht mehr beim Friseur gewesen. „Ich habe zig Jahre auf der Straße gelebt.“ Mittlerweile habe er wieder eine Wohnung. Es ist sein dritter Besuch bei den Barber Angels, berichtet er: „Ich bin jedes Mal total zufrieden. So ein Haarschnitt ist nicht selbstverständlich.“
Friseurin Concettina Michaelis sagt, die Barber-Angels-Gäste brächten ihr eine ganz andere Dankbarkeit entgegen als die Kundschaft im Salon. „Diese Dankbarkeit kannst du mit Geld nicht bezahlen.“ Das Projekt gebe ihr viel zurück - auch weil es hier unter den Friseurinnen und Friseuren keine Konkurrenz gebe: „Wir unterstützen uns hier alle gegenseitig. Das gibt einem das Gefühl, dass die Welt gut ist.“
Die Stiftung kreuznacher diakonie beschäftigt rund 6.800 Mitarbeitende, von denen viele in der Pandemie bis an ihre Belastungsgrenze gearbeitet haben, lobt Vorstand Sven Lange. Durch diesen Einsatz sei es möglich gewesen, alle Angebote aufrechtzuerhalten - und auch dank digitaler Technik einen Ausgleich für fehlende Sozialkontakte zu schaffen. Verärgert ist Lange über die Corona-Prämie, die nur selektiv und wenig transparent ausbezahlt wurde. Die Fragen stellte Dirk Baas.
epd sozial: Durch die Pandemie kamen auch viele Angebote der Sozialträger zum Erliegen oder wurden stark eingeschränkt. Hat das Virus Ihre Arbeit auch für die Zukunft grundlegend verändert, wenn ja, wie?
Sven Lange: Die Pandemie hat große Belastungen für alle von uns mit sich gebracht. Wir haben alle unsere Angebote aufrechterhalten können, denn als sozialer Träger können wir die Menschen, für die wir arbeiten, nicht im Stich lassen. Das ist unseren Mitarbeitenden nicht nur im Alltag bewusst, sondern ist ihre Triebfeder, warum sie ihren Beruf ergriffen haben. Diese hohe Motivation haben wir gerade in Pandemiezeiten bei unseren Mitarbeitenden in allen Bereichen ganz besonders erlebt.
Unsere Einrichtungen wie Seniorenheime, die Hospize und die Behinderteneinrichtungen mussten sich nach außen abschotten, doch haben die Mitarbeitenden nach Kräften versucht, für die Klienten und Bewohner einen Ausgleich für die fehlenden Kontakte zu schaffen. Auch deshalb haben wir die Digitalisierung verstärkt vorangetrieben, um diese Arbeit von Mensch zu Mensch zu unterstützen.
epd: Klienten können wieder betreut, begleitet und beraten werden. Doch sind finanzielle Löcher entstanden, die sich meist nicht schließen lassen. Wie ist Ihre heutige wirtschaftliche Situation?
Lange: Die wirtschaftliche Situation ist angespannt. Die Vorstände unserer Stiftung kämpfen weiter für eine auskömmliche Finanzierung unserer Angebote. Gleichzeitig haben wir bereits vor der Pandemie begonnen, Strukturen zu überprüfen und zu verändern. Auch wenn die Stiftung das gesetzte Geschäftszziel im vergangenen Jahr nicht erreichen konnte, haben die eingeleiteten Maßnahmen zur Ergebnisverbesserung den Abwärtstrend gestoppt.
epd: Viele Sozialträger richten sich neu aus, etwa bei der Digitalisierung. Welche Wünsche oder Forderungen, auch auf diesem Feld, haben Sie an die Politik, wenn es darum geht, auch in Zukunft krisensicher arbeiten zu können?
Lange: Wichtig ist, dass die Politik sich bewusst ist, welche Aufgaben wir für die Gesellschaft wahrnehmen. Sie muss die Voraussetzungen dafür schaffen, damit wir diese Aufgaben professionell erfüllen können. Ein Beispiel dafür ist die Krankenhausfinanzierung, ein weiteres die Auszahlung von Corona Prämien. Wir können und wollen es uns nicht leisten, dass Menschen, die in der Pflege arbeiten, gegeneinander ausgespielt werden. Als größter Träger sozialer Einrichtungen in Rheinland-Pfalz mit mehr als 6800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, ist es ein Unding, dass auch die staatliche Corona Prämie 2.0 an Mitarbeiter definierter Krankenhäuser ausgezahlt worden ist, aber nicht an Pflegemitarbeiter in der Seniorenhilfe und Behindertenhilfe. Auch die Mitarbeitenden in der Wohnungslosenhilfe oder bei der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe gingen wieder leer aus. Das droht die Mitarbeitenden in der Pflege zu spalten.
In Bayern sollen laut Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) vor allem Lücken in Mathematik, Deutsch und den Fremdsprachen geschlossen werden, gerade bei den schwächeren Schülern. Die Vorstandsvorsitzende von SOS-Kinderdorf Sabina Schutter ist skeptisch, ob das gelingt, weil sie „dem gleichen Muster der Bildungsvermittlung folgt wie die reguläre Schule“.
epd sozial: Frau Schutter, ist die Sommerschule nicht sinnvoll, um verpassten Lernstoff nachzuholen?
Sabina Schutter: Die Pandemie hat die Bildungsungleichheit verschärft. Wer zuhause viel Unterstützung bekam, ist jetzt noch weiter vorne, während benachteiligte Kinder das Bildungsdefizit noch weiter nach hinten drängt. Es muss also die Möglichkeit geben, Lerninhalte nachzuholen und mehr Gleichheit herzustellen. Aber: Mit der Sommerschule, so wie sie konzipiert ist, wird das nicht gelingen. Sie wird die Bildungsunterschiede nicht ausgleichen, weil sie dem gleichen Muster der Bildungsvermittlung folgt wie die reguläre Schule. Kinder waren in der Pandemie eine Verschiebemasse - Kitas und Schulen wurden auf- und zugemacht, und nie wurde gefragt, was die Kinder wollen. Sie wurden auch nicht gefragt, wo ihre Ängste sind - dabei haben gerade die Älteren mitbekommen, dass eine tödliche Pandemie grassiert, die etwa auch ihre Eltern treffen könnte. Ich denke, dieses Trauma ist relevanter als das, was sie in der Schule verpasst haben. Die Sommerschule ist eine zu kurz gesprungene Antwort darauf.
epd: Was sollte die Politik stattdessen anbieten?
Schutter: Es geht darum, vielfältigere Bildungsformen zu verankern, also formelles und informelles Lernen zu verbinden. Informelles Lernen findet in Lebenszusammenhängen statt. Wenn es gelänge, neue Lernformen in der Schule zu etablieren, könnte man bei allen Belastungen sogar aus Corona noch einen positiven Effekt ziehen. Es wäre doch toll, das im Sommer auszuprobieren: Spiele, Aktionen, gemeinsame Projekte statt Schule wie gehabt. Die Pandemie hat leider auch gezeigt, dass die Gesellschaft in Ausnahmesituationen - zack - wieder in die alten Muster verfällt. Es braucht mehr politischen Gestaltungswillen. Dazu gehört auch, ein paar Jahre vorauszudenken und einen Handlungsplan zu entwerfen - etwa dafür, dass Kleinbetriebe wegen Corona keine Azubis mehr einstellen. Es braucht Maßnahmen, damit die jungen Leute nicht das Gefühl bekommen, die „Generation Corona“ zu sein.
epd: Sie berufen sich bei der Ablehnung der Sommerschule auf das UN-Kinderrecht auf Freizeit und Erholung. Was beinhaltet dieses - und was heißt es, dass es die Kinderrechte immer noch nicht ins Grundgesetz geschafft haben?
Schutter: Freizeit und Erholung bedeuten auch eine Art von Lernen: dass ich mein Leben anders kennenlerne. Die Schüler, die in diesen Corona-Jahren Abitur gemacht haben, machen eher kein „gap year“ im Ausland oder mit Interrail. Dabei bedeutet gerade so eine Auszeit, Lebenserfahrung zu sammeln, sich neu auszurichten, etwas selbstbestimmt zu machen. Wir Erwachsenen verzichten auch nicht auf unseren Urlaubsanspruch. Dass die Kinderrechte nicht in diesem Entwurf im Grundgesetz gelandet sind, ist besser so. Denn darin wären keine Beteiligungsrechte dabei gewesen, Denn darin wären keine Beteiligungsrechte dabei gewesen, also keine direkten Einflussmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche beispielsweise analog zum Wahlrecht für Erwachsene. Dabei wird doch immer gefordert, dass sie Demokratie lernen sollen. Ich denke, dass in der neuen Legislaturperiode ein neuer Anlauf mit einem besseren Entwurf gelingt. Der Diskurs über Kinderrechte ist so weit fortgeschritten, dahinter geht es nicht mehr zurück.
Weiden in der Oberpfalz (epd). In Bayern vernetzen sich Selbsthilfegruppen für Angehörige von Corona-Toten. Künftig können sich an einer Selbsthilfegruppe Interessierte direkt an eine der 34 Selbsthilfekontaktstellen in ihrer Nähe oder an die Selbsthilfekoordination Bayern wenden. Beteiligt an dem Netzwerk ist auch die Evangelisch-Lutherische Landeskirche in Bayern. Trauerende, die einen Angehörigen an Covid-19 verloren haben, hätten besonders hart zu tragen, sagte der evangelische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm am 27. Juli bei einer Auftaktveranstaltung in Weiden in der Oberpfalz.
Die Kirche widme sich den Angehörigen bereits mit vielen seelsorgerlichen Angeboten. Selbsthilfegruppen seien aber eine besondere Form, mit Menschen, die ein ähnliches Schicksal erleiden, gemeinsam durch die Trauer zu gehen. „Die Kraft liegt im Austausch, und Heilung liegt in der Begegnung mit Menschen“, sagte Bedford-Strohm, der auch Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist.
Dresden (epd). Sachsens Diakonie mahnt eine grundlegende Struktur- und Finanzreform der Pflegeversicherung an. Diese sei nötig für eine gute Pflegequalität mit mehr Zeit für menschliche Zuwendung und genügend Personal, sagte Diakoniechef Dietrich Bauer am 27. Juli in Dresden. Damit notwendigerweise steigende Kosten müssten solidarisch getragen werden.
Um die bisherige Unterfinanzierung der Pflege und den Fachkräftemangel zu beenden, rege die Diakonie eine soziale Bürgerversicherung an, die alle Versicherten mit einbezieht, sagte Bauer. Die Beitragspflicht sei für alle Einkommensarten auszudehnen. Es brauche eine soziale Pflegversicherung. Das bedeute etwa auch, dass privat und gesetzlich Versicherte gleichermaßen in einen Topf einzahlen.
Anders als die Diakonie Deutschland, die vor allem auf professionelle Pflege setze, wolle die sächsische Diakonie die private Pflege stärken. Schon jetzt würden vier von fünf Pflegebedürftigen zu Hause gepflegt, sagte Bauer. Daher sie die alleinige Fixierung auf einen Eigenanteil bei Heimplätzen aus Sicht der Diakonie Sachsen nicht zielführend.
„Wir wollen die familiäre Pflege stärken und setzen dabei auf ein Pflegeunterstützungsgeld analog des Elterngeldes und eine höhere Honorierung der Pflegezeiten in der Rentenversicherung“, sagte Bauer. Dafür notwendige entlastende Strukturen wie Tages- und Kurzzeitpflegen sowie ambulante Dienste seien zu stärken.
In Sachsen leben derzeit rund 250.000 Pflegebedürftige. Die Diakonie Sachsen versorgt nach eigenen Angaben in ihren Pflegeeinrichtungen und -diensten täglich rund 26.000 Menschen.
„Es geht um mehr Zeit für Menschlichkeit“, sagte Bauer. Pflegebedürftige Menschen sollten „mit der nötigen Zuwendung und Zeit gepflegt werden und Fachkräfte müssen mit der nötigen Sorgfalt, Fachlichkeit und Verantwortlichkeit ohne die Stoppuhr im Nacken ihre Arbeit tun dürfen“.
Zu anspruchsvoller Pflege gehöre aber auch eine faire tarifliche Bezahlung des Personals sowie eine attraktivere Ausbildung, sagte Bauer, der Vorstandvorsitzender der Diakonie Sachsen ist. Das alles sei nicht zum Null-Tarif zu haben. Pflege müsse aber bezahlbar bleiben, Eigenanteile müssten begrenzt und kalkulierbar sein. Dies sei ein wesentliches Thema für eine neue Bundesregierung. Eine weitere kleine Reform wie die jüngste brauche es nicht.
Laut Diakonie Sachsen sollten nicht alle pflegebedingten Ausgaben von der Versichertengemeinschaft getragen werden. Einen planbaren und begrenzten Eigenanteil an den pflegebedingten Kosten sowohl stationär als auch ambulant halte die Diakonie aber für zumutbar, sagte Bauer.
Nicht nur bundespolitisch, auch auf Landesebene gebe es Nachholbedarf. So etwa sehe die Diakonie Sachsen bei der Übernahme der Investitionskosten für Pflegeeinrichtungen den Freistaat in der Pflicht, um die pflegebedürftigen Menschen finanziell zu entlasten.
Die SPD-Fraktion im sächsische Landtag unterstützt den Vorstoß der Diakonie. „Die beschlossenen Reformschritte in der Pflegeversicherung können nur ein erster Schritt gewesen sein, denn grundlegende Änderungen stehen nach wie vor aus“, erklärte die Pflegeexpertin der Fraktion, Simone Lang.
Köln/Bielefeld (epd). Die Bielefelder Theaterwerkstatt Bethel nimmt erstmals am inklusiven Kulturfestival „Sommerblut“ in Köln teil - und lädt in einen Naturraum der besonderen Art ein. Eine Performance-Gruppe der Theaterwerkstatt werde die im Innenraum bepflanzte Kirche Sankt Michael am Brüsseler Platz in Köln vom 8. bis 31. August bespielen, sagte Projektleiterin Nicole Zielke dem Evangelischen Pressedienst (epd). Entsprechend dem Festival-Schwerpunkt „Natur“ habe eine 16-köpfige inklusive Gruppe der Theaterwerkstatt ein Ausstellungs- und Performance-Projekt mit dem Titel „Unkraut“ entwickelt.
Dafür werde die Kirche in Zusammenarbeit mit der Garteninitiative Querbeet in einen „kleinen Garten Eden“ verwandelt. „Damit wollen wir das Außen nach Innen holen“, erklärte Zielke. „Und wir wollen mit der Aktion Wertschätzung und Sichtbarkeit für Naturoasen im Stadtraum schaffen.“ In der Kirche würden Ruheinseln aus Pflanzen geschaffen. Eine besondere Atmosphäre entstehe durch Soundcollagen und Klänge wie Wassertropfen oder das Rauschen von Bäumen. „Die Natur-Installation lädt die Besucherinnen und Besucher zum Entspannen ein.“
Eröffnet werde die Installation am 8. August mit einer Performance der Theatergruppe mit einem Gottesdienst. Am 22. August werde die Truppe dann noch einmal mit einer erweiterten Performance in der Ausstellung auftreten, sagte Zielke. Dabei gehe es um Kritik an übermäßigem Konsum und der unbedachten Ausbeutung von Natur-Ressourcen. Außerdem würden Diskriminierung und mangelnde Wertschätzung von gesellschaftlichen Randgruppen thematisiert.
Die Performances seien von Menschen mit und ohne Behinderungen im Alter zwischen Mitte 20 und Anfang 70 entwickelt worden, sagte Zielke. Es würden selbst geschriebene Texte und Gedichte vorgetragen. Es gebe schauspielerische Einlagen, Gesang und Tanz. Untermalt würden die Performances durch Soundeinspielungen und Gitarrenbegleitung. „Man taucht in unterschiedliche Szenerien und Welten ab.“ Aufführungen sind bis Ende Oktober auch an weiteren Orten im Raum Köln und Bielefeld geplant.
Entwickelt worden seien die Performances in einem monatelangen Probenprozess der Ensemblemitglieder, erklärte Zielke. Dabei hätten Teilnehmer Texte und Gedichte geschrieben, die dann Ausgangspunkte für Choreografien, szenische Arbeiten oder Dialoge gewesen seien. Besonderheit der Arbeit in einer inklusiven Theatergruppe sei der besonders achtsame Umgang miteinander und die Rücksichtnahme auf körperliche Einschränkungen. Auch werde mehr Zeit für den Probenprozess eingeplant und auf eine einfache, klare Sprache geachtet.
„Die Besonderheit bei diesen Proben war jedoch, dass wir sie aufgrund der Pandemie digital beginnen mussten“, sagte Zielke. Bevor sich das Ensemble im Mai erstmals vor Ort treffen konnten, fand die Arbeit drei Monate lang über Zoom statt. Dabei sei die größte Herausforderung gewesen, alle Teilnehmer digital fit zu machen und teilweise auch mit Geräten auszustatten.
„Sommerblut“ lädt seit 2002 als „Festival der Multipolarkultur“ dazu ein, unterschiedliche gesellschaftliche, soziale und politische Standpunkte und Identitäten miteinander zu verbinden. Das Programm bietet Theater, Tanz, Musik, Performances und Ausstellungen.
Kassel (epd). Hohe Schulden bei Hartz-IV-Beziehern können die Suche nach einem neuen Job deutlich erschweren. Jobcenter sind daher zur Übernahme der Kosten für eine erforderliche Schuldnerberatung verpflichtet, wenn diese „die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit erst vorbereitet oder flankierend unterstützt, indem sie der Bewältigung von Motivationsproblemen und der Stabilisierung der Betroffenen dient“, urteilte am 21. Juli das Bundessozialgericht (BSG). In zwei weiteren Urteilen klärten die Kasseler Richter zudem die Freibeträge auf Einkünfte eines Übungsleiters eines Sportvereins und den Unterkunftsbedarf von früheren Pflegeeltern wegen des Umgangs mit einem Kind.
Im ersten Verfahren ging es um einen seit Oktober 2011 Hartz IV- beziehenden Mann aus Bremen. In der Vergangenheit hatte er mehrfach Probleme mit dem Jobcenter. So lehnte er eine Eingliederungsmaßnahme in den Arbeitsmarkt ohne ärztliches Attest aus gesundheitlichen Gründen ab. Auch Meldetermine hatte er versäumt.
Als er wegen Schulden in Höhe von 60.000 Euro eine Schuldnerberatung in Anspruch nehmen wollte, beantragte er beim Jobcenter die Übernahme der Kosten. Die Schulden lähmten ihn bei der Jobsuche. Er verwies auf die gesetzliche Bestimmung, wonach „zur Verwirklichung einer ganzheitlichen und umfassenden Betreuung und Unterstützung bei der Eingliederung in Arbeit“ auch die Schuldnerberatungskosten gehören könnten - vorausgesetzt, sie seien erforderlich.
Doch das Jobcenter meinte, dass der Mann sich jeglichen Vermittlungsbemühungen verweigere. Daher sei die Schuldnerberatung als Eingliederung in den Arbeitsmarkt ungeeignet. Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen bestätigte dies Entscheidung.
Das BSG hob dieses Urteil nun aber auf und verwies das Verfahren zurück. Können die Beratung und der damit beabsichtigte Abbau der Schulden die Eingliederung in den Arbeitsmarkt erleichtern, müsse das Jobcenter die Kosten übernehmen. Das gelte bereits, wenn die Beratung bestehende Motivationsprobleme beim Arbeitslosen verbessert.
Um im Einzelfall beurteilen zu können, ob das zum Erfolg führe, sei eine Prognose notwendig, „ob das mit der Leistung verfolgte Eingliederungsziel erreicht werden kann und dafür erforderlich ist, weil in der Verschuldenssituation ein arbeitsmarktspezifisches Eingliederungshindernis begründet liegt“, urteilte das BSG. Kein Anspruch bestehe dagegen, wenn der Arbeitslose sich jeglichen Vermittlungsbemühungen verweigere.
Das LSG habe hier aber nur das Verhalten des Klägers in der Vergangenheit berücksichtigt, ohne eine Prognose für die Zukunft zu stellen. Das müsse nachgeholt werden, so das BSG.
Im zweiten BSG-Rechtsstreit ging es um einen im Hartz-IV-Bezug stehenden Sportlehrer, der Einkünfte aus einem Fitnessstudio sowie als Übungsleiter für einen gemeinnützigen Sportverein erzielte. Das Jobcenter Kassel gewährte ihm im Streitmonat April 2016 auf seine erzielten Einkünfte als Übungsleiter den gesetzlichen Grundfreibetrag von 100 Euro.
Der Sportlehrer verlangte wegen seiner gemeinnützigen Nebentätigkeit im Sportverein und seine dabei erzielten steuerfreien Einkünfte den erhöhten Grundfreibetrag von 200 Euro (heute 250 Euro).
Das BSG urteilte, dass wegen der gemeinnützigen Vereinstätigkeit der höhere Freibetrag in Betracht komme. Allein eine ehrenamtliche Tätigkeit sei für den höheren Freibetrag nicht erforderlich. Die Tätigkeit müsse aber einen gemeinnützigen Zweck verfolgen. Das Gesetz sehe den höheren Freibetrag etwa bei Tätigkeiten als Übungsleiter oder Erzieher vor. Auch bei Tätigkeiten der nebenberuflichen Pflege alter und kranker Menschen könne der Freibetrag greifen, wenn diese im Auftrag oder im Dienst einer juristischen öffentlichen Person erfolgen - etwa bei einem Hospizverein. Das LSG müsse aber noch einmal prüfen, ob der Sportlehrer tatsächlich einer Nebentätigkeit nachging, so das BSG. Nur dann sei der erhöhte Freibetrag möglich.
Im dritten Verfahren urteilten die Kasseler Richter, dass frühere Pflegeeltern eines behinderten Kindes wegen des vom Jugendamt gewährten Umgangsrechts beim Jobcenter einen höheren Unterkunftsbedarf geltend machen können. Ähnlich wie bei getrennt lebenden Eltern könne auch bei früheren Pflegeeltern das behördlich genehmigte Umgangsrecht „aus sozial-familiären Beziehungen“ einen größeren Wohnraumbedarf rechtfertigen. Denn auch hier könne mit den regelmäßigen Wochenendbesuchen des Kindes eine temporäre Bedarfsgemeinschaft vorliegen. Das müsse das Thüringer Landessozialgericht noch einmal prüfen, so das Gericht.
Az.: B 14 AS 18/20 R (Schuldnerberatung)
Az.: B 14 AS 29/20 R (Übungsleiter)
Az.: B 14 AS 31/20 R (Umgangsrecht)
München (epd). Für den Steuerabzug von Kita-Beiträgen als Sonderausgaben muss bei den Eltern auch tatsächlich eine wirtschaftliche Belastung vorliegen. Zahlt der Arbeitgeber den Eltern für den Kita-Besuch ihrer Kinder einen steuerfreien Zuschuss, müsse der Sonderausgabenabzug in der Einkommensteuererklärung entsprechend gekürzt werden, entschied der Bundesfinanzhof in München in einem am 22. Juli veröffentlichten Beschluss.
Das Einkommensteuergesetz gewährt für Dienstleistungen zur Betreuung von Kindern, die das 14. Lebensjahr noch nicht erreicht haben, einen Steuervorteil. Danach können zwei Drittel der Aufwendungen, höchstens 4.000 Euro je Kind, als Sonderausgaben abgezogen werden. Bei behinderten Kindern ist der Steuervorteil für unter 25-Jährige möglich.
Im konkreten Fall hatte ein Ehepaar aus Baden-Württemberg für ihre Tochter im Jahr 2015 insgesamt 926 Euro für den Kindergartenbesuch in ihrer Steuererklärung als Sonderausgaben geltend gemacht. Der Kläger hatte jedoch von seinem Arbeitgeber für den Kita-Besuch einen steuerfreien Zuschuss in Höhe von 600 Euro erhalten.
Das Finanzamt kürzte daraufhin die geltend gemachten Sonderausgaben um den gezahlten Arbeitgeberzuschuss. Von den übriggebliebenen 326 Euro wurden zwei Drittel, 218 Euro, steuermindernd anerkannt.
Diese Rechnung bestätigte der Bundesfinanzhof. Als Sonderausgaben könnten nur solche Ausgaben berücksichtigt werden, „durch die der Steuerpflichtige tatsächlich und endgültig wirtschaftlich belastet ist“. Hier sei die wirtschaftliche Belastung des Klägers aber in Höhe des Arbeitgeberzuschusses geringer ausgefallen. Ohne die Kürzung der Sonderausgaben würde es zu einer „unberechtigten Doppelbegünstigung“ kommen, mahnten die Münchner Richter.
Az.: III R 30/20
Darmstadt (epd). Die Rentenversicherung darf für die Gewährung einer Haushaltshilfe während einer medizinischen Reha nicht zu hohe Anforderungen stellen. Teilt sich ein Ehepaar die Hausarbeit, kann die Rentenversicherung nicht pauschal davon ausgehen, dass während einer Reha-Maßnahme der andere Ehepartner den Haushalt dann ganz bewältigen kann, entschied das Hessische Landessozialgericht (LSG) in Darmstadt in einem am 20. Juli veröffentlichten Urteil.
Nach den gesetzlichen Bestimmungen können Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer während einer Reha Anspruch auf eine Haushaltshilfe haben, wenn ihnen „die Weiterführung des Haushalts nicht möglich ist“. Die Rechtsprechung geht davon aus, dass man den Haushalt auch „selbst geführt“ haben muss. Voraussetzungen sind, dass ein Kind unter zwölf Jahren im Haushalt lebt und dass nicht eine andere Person die Hauswirtschaft übernehmen kann.
Im entschiedenen Verfahren ging es um ein Ehepaar aus Südhessen mit zwei vier beziehungsweise acht Jahre alten Kindern. Das Paar teilte sich die Hausarbeit. Die Frau arbeitete halbtags und war mit einem dritten Kind im siebten Monat schwanger.
Der Mann arbeitete in Vollzeit, teils jedoch im Homeoffice. Er war für Einkaufen, Kochen und Putzen zuständig, teilweise holte er die Kinder aus Kita und Schule ab. Als er kurzfristig zu einer fünfwöchigen medizinischen Reha musste, beantragte er bei der Rentenversicherung eine Haushaltshilfe, die seine bisherigen Aufgaben daheim übernimmt. Die Rentenversicherung lehnte ab. Die schwangere Frau könne ja bei ihrer Krankenkasse eine Haushaltshilfe beantragen, so die Begründung.
Das LSG verpflichtete die Rentenkasse zur Kostenübernahme einer zwischenzeitlich vom Kläger organisierten Haushaltshilfe - insgesamt 2.060 Euro. Bei der geteilten Hausarbeit habe der Mann „in nennenswertem Umfang“ mitgewirkt. Damit habe er „einen Haushalt selbst geführt“, führte das Gericht aus.
Ein „nennenswerter Umfang“ liege vor, wenn der Ausfall des Leistungsempfängers „wesentliche Auswirkungen auf die Haushaltsführung hat, dass hierdurch die Funktionsfähigkeit der konkreten Haushaltsorganisation - ohne fremde Kompensation - infrage gestellt wird“, urteilte das LSG. Weil die Frau wegen ihrer Schwangerschaft die Hausarbeiten ihres Mannes nicht übernehmen konnte und die Funktionsfähigkeit der Haushaltsorganisation nicht gewährleistet sei, bestehe ein Anspruch auf eine Haushaltshilfe.
Az.: L 2 R 360/18
Celle, Wolfsburg (epd). Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen hat am 23. Juli entschieden, dass die Bundesagentur für Arbeit einem Arbeitslosen vor dem Verhängen einer Sperrzeit eine vollständige Rechtsfolgenbelehrung erteilen muss. Geklagt hatte ein 42-jähriger Maschinenbauer aus Wolfsburg, gegen den die Bundesagentur eine dreiwöchige Sperrzeit verhängt hatte und von dem sie rund 1.400 Euro Arbeitslosengeld zurückforderte, weil er sich auf einen Vermittlungsvorschlag nicht beworben hatte, teilte das Gericht mit.
Zur Erklärung führte der Leistungsempfänger aus, dass die Stelle nicht zu ihm gepasst habe. Außerdem habe er keine Belehrung über eine mögliche Sperrzeit erhalten, sonst hätte er sich natürlich beworben. Die Bundesagentur erklärte dagegen, dass sich auf der Rückseite eines Vermittlungsvorschlags stets eine Rechtsfolgenbelehrung befinde. Über den möglichen Beginn brauche darin auch nicht informiert zu werden, zumal sich dies aus dem einschlägigen Merkblatt ergebe.
Im Klageverfahren konnte der Mann dem Gericht den Originalausdruck trotz wiederholter Anfragen und wechselnder Erklärungen nicht vorlegen. Nach seinen letzten Ausführungen habe er ihn nur bis zur Erhebung der Klage aufgehoben. Hiernach habe er die Vorderseite abfotografiert. Die Rückseite sei leer gewesen. Den Ausdruck habe er dann entsorgt.
Das Gericht hat die Sperrzeit aufgehoben. Zwar sei das Vorbringen des Wolfsburgers unglaubwürdig. Denn es sei unwahrscheinlich, dass der Vermittlungsvorschlag nur unvollständig ausgedruckt worden sei. Außerdem sei es bemerkenswert, dass der Mann ein schriftliches Beweismittel „entsorge“, mit welchem er die fehlende Belehrung hätte nachweisen können.
Allerdings sei die verwendete Rechtsfolgenbelehrung unvollständig und damit unwirksam, da sie nicht über den Beginn der angedrohten Sperrzeit informiere. Dies sei nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung aber erforderlich, da eine Belehrung konkret, richtig, vollständig und verständlich sein müsse, um ihre Aufklärungs- und Warnfunktion erfüllen zu können. Der pauschale Verweis auf ein Merkblatt reiche nicht aus, zumal sich dort keinerlei Ausführungen zum Sperrzeitbeginn bei Arbeitsablehnung fänden.
Az.: L 11 AL 95/19
Karlsruhe (epd). Eine 40-tägige Mahnwache von betenden Abtreibungsgegnern direkt vor einer Pro Familia-Beratungsstelle verletzt das Persönlichkeitsrecht ratsuchender schwangerer Frauen. Wie das Verwaltungsgericht Karlsruhe in einem am 22. Juli veröffentlichten Urteil entschied, ist ein behördliches Versammlungsverbot an diesem Ort nicht zu beanstanden. Das Persönlichkeitsrecht der Frauen wiege schwerer als die Einschränkungen der Versammlungs-, Meinungs- und Religionsfreiheit der Abtreibungsgegner, entschied das Gericht.
Im Streitfall wollten Abtreibungsgegner der christlichen Lebensrechtsbewegung „40 Days für Life/Lebensrecht ungeborener Kinder“ täglich vom 6. März 2019 bis zum 14. April 2019 von 9.00 Uhr bis 13.00 Uhr vor der Pro Familia-Beratungsstelle in Pforzheim gegen Abtreibungen demonstrieren. Die Versammlung sollte als „tägliche stilles Gebet/Mahnwache“ stattfinden. Es würden 20 Teilnehmer demonstrieren und Plakate und Transparente zeigen, so der Anmelder der Versammlung.
Nachdem die Stadt mit der Gruppierung und Pro Familia „Kooperationsgespräche“ geführt hatte, wurde die Versammlung direkt vor der Beratungsstelle nicht gestattet. Während der Beratungszeiten sei die Versammlung werktags nur „außerhalb direkter Sichtbeziehung zum Gebäudeeingang von Pro Familia“ erlaubt. Denn bei früheren vergleichbaren Aktionen von „40 Days for Life“ hätten sich Schwangere und Pro Familia-Mitarbeiter bedrängt, bedroht und belästigt gefühlt, befand die Stadt.
Die Abtreibungsgegner bestritten diese Vorwürfe. „Blutige Schockfotos“ von abgetriebenen Embryonen würden nicht gezeigt. Die Verfügung der Stadt verletze ihr Recht auf Versammlungs-, Meinungs- und Religionsfreiheit, so die Begründung. Das Verwaltungsgericht billigte indes die Verfügung und urteilte, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht der schwangeren Frauen höher zu gewichten sei als die Rechte des Klägers.
Die Frauen müssten eine Schwangerschaftsberatungsstelle ohne „Spießrutenlauf“ erreichen können. Hier komme die angemeldete Versammlung einer mehrwöchigen Blockade durch Abtreibungsgegnern gleich. Die Versammlung sei mehr als eine bloße Meinungskundgabe. Der Ort werde als „Mittel zum Zweck“ eingesetzt, um Frauen von der Beratung fernzuhalten.
Alternative, staatlich anerkannte Schwangerschaftsberatungsstellen als Ausweichmöglichkeiten gebe es mit Ausnahme der Diakonie Pforzheim in der Stadt nicht. Die von Pro Familia vorgebrachten Beschwerden betroffener schwangerer Frauen über Bedrohungen und Stigmatisierungen bei früheren Versammlungen seien zudem glaubhaft, hieß es seitens des Gerichtes.
Az.: 2 K 5046/19
Göttingen (epd). Kommunen dürfen Eltern von über dreijährigen Kindern nicht mit einem Halbtags-Kita-Platz abspeisen. Für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist eine Betreuung von mindestens sechs Stunden täglich nötig, entschied das Verwaltungsgericht Göttingen in einem am 22. Juli bekanntgegebenen Beschluss vom Vortag. In dem Eilverfahren sah das Gericht die niedersächsischen Regelungen, wonach ein Halbtags-Kita-Platz ausreichend sei, als mit Bundesrecht nicht vereinbar an.
Im Streitfall hatten die Eltern eines dreijährigen Kindes aus der Gemeinde Staufenberg im Landkreis Göttingen im Dezember 2020 einen Kita-Platz beantragt. Die Gemeinde hatte aber wegen der hohen Zahl der Anmeldungen keinen Platz frei. Die Eltern wollten daraufhin im Eilverfahren den zuständigen Landkreis dazu zwingen, ihnen einen Betreuungsplatz zur Verfügung zustellen. Während des Verfahrens bot der Kreis in zwei weiteren Gemeinden einen Platz für den Dreijährigen an.
Beide seien mit einer Wegstrecke mit dem privaten Pkw von mindestens 35 Minuten aber zu weit vom Wohnort entfernt und damit unzumutbar, befand das Verwaltungsgericht. Auch sei der dort gewährte Betreuungsumfang von mindestens vier Stunden an Werktagen für ab drei Jahre alte Kinder zu gering.
Zwar halte das Niedersächsische Kindertagesstättengesetz einen Halbtagsplatz für ausreichend. Nach dem Sozialgesetzbuch VIII müssten öffentliche Träger der Jugendhilfe aber darauf hinwirken, „dass für diese Altersgruppe ein bedarfsgerechtes Angebot an Ganztagsplätzen zur Verfügung steht“. Damit gehe eine Pflicht zum Angebot eines Ganztags-Kita-Platzes zwar nicht einher, nur einen Halbtags-Platz anbieten gehe aber auch nicht. Letztlich sei eine Betreuung von mindestens sechs Stunden werktäglich angemessen.
Ob die vorhandenen Kapazitäten erschöpft seien, spiele für diesen Anspruch keine Rolle, so das Gericht. Damit der Beschluss des Eilverfahrens gilt, wurden die Eltern zur endgültigen Klärung der Rechtsfrage verpflichtet, noch Klage einzulegen.
Az.: 2 B 122/21
Hannover (epd). Die gesetzliche Krankenversicherung muss nach einer Entscheidung des Sozialgerichtes Hannover Frauen nach einer Brustkrebs-Operation in bestimmten Fällen auch eine Verkleinerung der gesunden Brust zahlen. Das Gericht gab mit der am 22. Juli bekanntgemachten Entscheidung einer Frau Recht, der auf Empfehlung der Ärzte eine Brust abgenommen worden war. Damit die verbleibende Brust genauso groß ist wie die Prothesen-Konstruktion, musste sie verkleinert werden.
Die beklagte Krankenkasse hatte den Angaben zufolge zunächst zwar die Rekonstruktion der erkrankten linken Brust genehmigt. Sie lehnte aber die Reduktion der rechten Brust ab, weil es dafür keinen krankhaften Befund gab. Das Sozialgericht verurteilte jedoch die Kasse dazu, auch diese Kosten zu übernehmen.
Wenn bei einer ärztlichen Heilbehandlung in den Körper eingegriffen werde, müsse dieser danach wiederhergestellt werden, argumentierte die Kammer. Bei Brüsten gelte dies für das Paar. Eine wesentliche, durch Krebs hervorgerufene Asymmetrie sei eine behandlungsbedürftige Erkrankung. Im Falle der Klägerin sei der Wiederaufbau der operierten Brust aber nur eingeschränkt möglich. Deshalb müsse die verbleibende Brust angeglichen werden. Das Urteil vom 18. Dezember 2020 ist inzwischen rechtskräftig.
Az.: S 10 KR 741/20
Reinhard Belling wurde einstimmig für vier Jahre in das Leitungsamt gewählt. Der Diplom-Volkswirt ist seit der Gründung der Vitos GmbH 2008 ihr Geschäftsführer. Er war zuvor Geschäftsführer verschiedener Krankenhäuser, Leiter Konzerncontrolling und Krankenhausreferent auf Kassenseite. Neben der Interessenvertretung besteht seine Aufgabe als Verbandschef darin, Impulse für die strukturelle und systemische psychiatrische Versorgungsentwicklung in Deutschland zu geben.
Belling erklärte nach der Wahl, dass eines seiner Schwerpunktthemen die Digitalisierung sein solle. Davon verspricht er sich einen niedrigschwelligen Zugang für Patienten zu Behandlungsangeboten sowie auch eine Entlastung für die Behandler. Zum anderen gehörten zu einer besseren Versorgung psychisch kranker Menschen Fortschritte bei der Entbürokratisierung.
Verbunden mit Bellings Wahl ist auch der Umzug der Geschäftsstelle des bundesweiten Trägerverbandes. Sie ist ab 1. Oktober 2021 am Sitz der Vitos Holding im Akazienweg in Kassel ansässig.
Sebastian John ist seit dem 1. Juli 2021 Mitglied der Geschäftsführung im Deutschen Hausärzteverband. Er ergänzt das Leitungsgremium, bestehend aus Joachim Schütz und Robert Festersen. „Mit Sebastian John haben wir nun einen weiteren Geschäftsführer mit großer Expertise im Bereich der vertragsärztlichen Versorgung und der Gesundheitspolitik gewinnen können“, sagte Bundesvorsitzender Ulrich Weigeldt. Nach dem Abschluss des Studiums der Verwaltungswissenschaften (2007) war John als Berater bei der Prognos AG tätig. Im Anschluss arbeitete er knapp zehn Jahre in der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und leitete dort ab 2013 die Abteilung Sicherstellung. Seit Mai 2021 war er als Junior-Geschäftsführer im Deutschen Hausärzteverband tätig.
Christian Drosten, Virologe und Professor an der Charité - Universitätsmedizin Berlin, hat den Berliner Wissenschaftspreis 2020 des Regierenden Bürgermeisters erhalten. Die mit 40.000 Euro höchstdotierte Wissenschaftsauszeichnung des Landes ehrt herausragende Forschungsleistungen, die in der Hauptstadt entstanden sind. Der Nachwuchspreis ging an Anton Henssen, der ebenfalls an der Charité arbeitet. Laut der Urteilsbegründung der Preisjury wird Drosten für seine herausragende Forschungsarbeit zu epidemischen Lungeninfektionen sowie seinen großen Beitrag zur Pandemie-Prävention und internationalen Gesundheitssicherheit geehrt. Henssen erhält den Preis für seine zukunftsweisende Forschung, die maßgeblich dazu beiträgt, neue Mechanismen in der Entwicklung von Tumoren im Kindesalter zu verstehen und damit neue Ansätze in der Diagnose und Therapie ermöglichen könnte.
Harry Dinges aus Weilerbach hat das Kronenkreuz, die höchste Auszeichnung der Diakonie, erhalten. Dinges ist mittlerweile Ehrenpresbyter in Weilerbach. Sein Engagement galt insbesondere der Kindertagesstättenarbeit und gilt der Ökumenischen Sozialstation Otterberg-Otterbach. Landesdiakoniepfarrer Albrecht Bähr würdigte Dinges als „Tausendsassa, der seine Begabungen für Kirche und Diakonie und somit immer im Sinne der Nächstenliebe“ einsetze.
Werner Keggenhoff, Vorsitzender des Weißen Rings in Rheinland-Pfalz und langjähriger Präsident des Landesamtes für Soziales, Jugend und Versorgung, ist im Alter von 69 Jahren gestorben. „Wir trauern um eine Persönlichkeit, deren Taten und Verdienste noch lange nachwirken werden“, erklärte die Landesregierung. Keggenhoff war seit 2017 Vorsitzender des Vereins Weißer Ring in Rheinland-Pfalz. Zusammen mit dem Sozialministerium habe er sich intensiv für die Modernisierung des Sozialen Entschädigungsrechts auf Bundesebene eingesetzt.
Verena Rossow, Sozialwissenschaftlerin der Universität Duisburg-Essen, erhält den mit 25.000 Euro dotierten Deutschen Studienpreis der Körber-Stiftung in der Sektion Sozialwissenschaften. Geehrt werde sie für ihre Dissertation über Pflegepersonal, das 24 Stunden mit im Haushalt lebt, wie die Stiftung mitteilte. Rossow analysierte den Angaben zufolge in ihrer Arbeit mithilfe von Interviews, was dieses persönliche Arbeitsverhältnis für Angehörige von Pflegebedürftigen bedeutet. Sie mache deutlich, was sich im deutschen Gesundheitssystem ändern müsse, hieß es. In der Sektion Natur- und Technikwissenschaften erhält der Mediziner Philipp Schommers von der Universität zu Köln den Preis für seine Entdeckung des Antikörpers „1-18“. Der Antikörper verhindere Mutationen und damit Resistenzen. Damit lasse auf einen Fortschritt in der HIV-Prävention hoffen. Die Studienpreise sollen am 13. Dezember in Berlin verliehen werden.
Franzjörg Krieg (73) hat am 26. Juli die Stauffermedaille des Landes Baden-Württemberg erhalten. Er wurde für sein ehrenamtliches Engagement für in Trennung lebende Väter ausgezeichnet, wie der Bundesverein Väteraufbruch, in dem Krieg Mitglied ist, mitteilte. Demnach gründete Krieg vor 20 Jahren einen Kreisverein in Karlsruhe und initiierte Kongresse, bei denen sich Eltern, Fachkräfte, Wissenschaft und Politik austauschten. Das Ziel seines Engagements sei es, dass Väter in der Familie denselben Stellenwert wie Mütter erhielten und Kindern auch nach einer Trennung beide Eltern erhalten blieben. Die Staufermedaille wird für Verdienste um das Land Baden-Württemberg und seine Bevölkerung verliehen.
Wir haben Tagungen, Seminare, Workshops und Webinare aufgelistet, die aktuell geplant sind. Wegen der Corona-Epidemie sagen Veranstalter allerdings Termine auch kurzfristig ab. Wir bitten unsere Leserinnen und Leser, dies zu beachten.
5.8.:
Online-Seminar „Die Dublin-III-Verordnung - Eine Einführung“
Tel.: 030/26309-139
12.8.: Berlin:
Seminar „Konfliktmanagement und Mediation in Organisationen - Ziel- und methodensicher mit Konflikten umgehen!“
der Paritätischen Akademie Berlin
Tel.: 030/275828227
16.-19.8.: Nethpen:
Seminar „Familiennachzug von Geflüchteten“
Tel.: 030/26309-139
19.8-20.9.:
Online-Kurs: „Meetings per Video oder Telefon moderieren: online miteinander im Kontakt sein und effektiv arbeiten“
der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes
Tel.: 0761/200-1700
23.-27.8. Freiburg:
Fortbildung „Projektmanagement - Effektiv planen und erfolgreich zusammenarbeiten“
der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes
Tel.: 0761/200-1700
23.8.-1.9.:
Fortbildung im Hybridformat: „Integrierte Schuldnerberatung in Sucht- und Straffälligenhilfe, Sozialberatung und Betreuung“
der Bundesakademie für Kirche und Diakonie
Tel.: 0172/7392885
26.8. Berlin:
Fortbildung „Veränderung initiieren - wirksame Führungsimpulse setzen“
der Paritätischen Akademie Berlin
Tel.: 030/275828227
31.8.:
Webinar „Einstieg in die Welt der öffentlichen Fördermittel: EU, Bund, Länder und Kommune“
der BFS Service GmbH
Tel.: 0221/97356-160
31.8. Berlin:
Seminar „Grundlagen des Arbeitsrechtes in Einrichtungen der Sozialwirtschaft - Gestaltungsspielräume nutzen“
der BFS Service GmbH
Tel.: 0221/97356-160
September:
7.9.:
Webinar „Datenschutzunterweisung für Mitarbeitende in sozialen Einrichtungen“
der BFS Service GmbH
Tel.: 0221/97356-159