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Armut

Mit Kamm, Schere und Rockerkluft




Friseurin Jessica Kühne-Stark im Einsatz als Barber Angel
epd-bild/Harald Koch
Friseurinnen und Friseure der "Barber Angels Brotherhood" schenken Obdachlosen und Bedürftigen regelmäßig kostenlose Haarschnitte. Dass es mit dem Projekt nach eineinhalb Jahren Pandemie-Pause weitergeht, bedeutet allen Beteiligten viel.

Hannover (epd). Burkhardt Schilling nimmt den Spiegel von Friseurin Jessica Kühne-Stark in die Hand und bewegt ihn langsam in verschiedene Richtungen. Neugierig mustert er seine neue Frisur. Weil Schilling eine Maske trägt, ist es nicht sofort zu erkennen - doch seinen Augen ist nach einer Weile abzulesen, dass er lächelt. „Ich erkenne mich gar nicht mehr wieder“, sagt er zu Kühne-Stark. „Wir werden noch richtige Models hier“, entgegnet die Friseurin aus Peine augenzwinkernd.

Mit der Initiative „Barber Angels Brotherhood“ schneidet sie Bedürftigen wie Burkhard Schilling und Obdachlosen kostenlos die Haare - an diesem Tag den Besucherinnen und Besuchern des Tagestreffs für Wohnungslose vom Caritasverband Hannover.

Organisation 206 gegründet

Die Barber Angels haben sich 2016 in Deutschland gegründet. Mehr als 40.000 Menschen haben sie seitdem einen Haarschnitt geschenkt, in mehreren europäischen Ländern haben sie inzwischen Gruppen. Eigentlich wollen sie Obdachlosen und Bedürftigen flächendeckend alle zwei bis drei Monate einen kostenlosen Haarschnitt anbieten. Doch pandemiebedingt hat die Initiative bundesweit eineinhalb Jahre pausiert.

Viele der Friseurinnen und Friseure hätten in ihren Salons Verluste erlitten, sagt Friseurin Concettina Michaelis, die für ihren Einsatz aus Bremen gekommen ist. Zudem hätten sie das Infektionsrisiko minimieren und die beschränkten Kontakte anderen Berufsgruppen überlassen wollen. „Wir retten keine Menschenleben.“

Schwarze Kluft mit Lederweste

Doch mühsam wieder einleben muss sich nun offenbar kaum jemand: Quer über den Hof des Tagestreffs plaudern und scherzen die Ehrenamtlichen mit ihren Kolleginnen und Kollegen ebenso wie mit ihren Gästen. Was auch auffällt: Die Barber Angels Brotherhood heißt nicht nur wie ein Rockerclub, die Mitglieder kleiden sich auch so: Alle tragen schwarze Kleidung mit Lederweste.

Das stärke den Zusammenhalt untereinander und schaffe auch Augenhöhe zur Zielgruppe, sagt Carola Kherfani. Sie leitet als sogenannter Zenturio die Barber Angels in Niedersachsen und hat den Einsatz bei der Caritas organisiert. Sie habe selbst von Hartz IV gelebt. „Auf der Sonnenseite des Lebens kann ich jetzt etwas wiedergeben.“

Concettina Michaelis frisiert derweil Elli Schmidt die Haare. Schmidt kommt nach eigenen Angaben seit mehr als 20 Jahren in den Wohnungslosentreff. An ihren letzten Friseurbesuch könne sie sich gar nicht erinnern, sagt sie. Während die Friseurin ihre Haare unter einer Haube mit einer Art Shampoo einweicht, hat Schmidt ihre Augen für eine Weile geschlossen. „Schön weich, oder?“, fragt Michaelis. „Joa“, entgegnet Schmidt.

Erster Haarschnitt nach zwei Jahren

Auch Burkhardt Schilling sagt, er sei dankbar für seinen neuen Haarschnitt. Er sei seit zwei Jahren nicht mehr beim Friseur gewesen. „Ich habe zig Jahre auf der Straße gelebt.“ Mittlerweile habe er wieder eine Wohnung. Es ist sein dritter Besuch bei den Barber Angels, berichtet er: „Ich bin jedes Mal total zufrieden. So ein Haarschnitt ist nicht selbstverständlich.“

Friseurin Concettina Michaelis sagt, die Barber-Angels-Gäste brächten ihr eine ganz andere Dankbarkeit entgegen als die Kundschaft im Salon. „Diese Dankbarkeit kannst du mit Geld nicht bezahlen.“ Das Projekt gebe ihr viel zurück - auch weil es hier unter den Friseurinnen und Friseuren keine Konkurrenz gebe: „Wir unterstützen uns hier alle gegenseitig. Das gibt einem das Gefühl, dass die Welt gut ist.“

Konstantin Klenke