Frankfurt a.M. (epd). 70 Jahre nach Verabschiedung der Genfer Flüchtlingskonvention haben Wohlfahrtsverbände die Wichtigkeit des Abkommens hervorgehoben sowie die aktuelle Flüchtlingspolitik kritisiert. „Die Genfer Flüchtlingskonvention ist bis heute das wichtigste internationale Abkommen für den Flüchtlingsschutz und angesichts der Herausforderungen nach wie vor unverzichtbar“, teilte der Präsident der Diakonie, Ulrich Lilie, am 28. Juli in Berlin mit. Flucht und Vertreibung seien keine kurzfristigen und vorübergehenden Phänomene, sondern blieben eine ständige Gestaltungsaufgabe.
Die Flüchtlingskonvention habe bis heute zum Schutz vieler Millionen Menschen auch in Deutschland beigetragen. Dennoch müsse immer wieder um die Einhaltung gestritten werden: „Was derzeit an den europäischen Land- und Seegrenzen geschieht, ist eine klare Missachtung der Grundprinzipien des Flüchtlingsschutzes“, kritisierte Lilie. Es gelte, Fluchtursachen zu bekämpfen und geflüchteten Menschen Schutz zu gewähren.
Das Genfer „Abkommen über die Rechtstellung der Flüchtlinge“ ist die Grundlage des internationalen Flüchtlingsrechts. Die Genfer Flüchtlingskonvention wurde am 28. Juli 1951 am europäischen Hauptsitz der UN in Genf verabschiedet und trat am 22. April 1954 in Kraft.
Laut der Konvention gelten Menschen als Flüchtlinge, die ihr Herkunftsland verlassen mussten, weil sie wegen ihrer „Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung“ verfolgt wurden. Das Abkommen garantiert unter anderem den Schutz vor Benachteiligung im Aufnahmeland.
Die Arbeiterwohlfahrt (AWO) sieht den im Abkommen zugesicherten Schutz vor Verfolgung in Gefahr. „Derzeit ist in Europa das Gegenteil von dem zu beobachten, was die Genfer Flüchtlingskonvention garantiert: Statt fairen Zugängen und dementsprechend fairen Asylverfahren fährt Europa eine Abschottungspolitik mit verheerenden Folgen“, kritisierte Brigitte Döcker, Mitglied des AWO Bundesvorstandes. Die aktuelle „Politik führt zu einer humanitären Katastrophe und missachtet die Errungenschaften der Genfer Flüchtlingskonvention.“ Döcker forderte die Einhaltung des Zurückweisungsverbots und einen Zugang zu einem fairen Asylverfahren für alle Flüchtlinge.
Dagmar Pruin, Präsidentin des evangelischen Hilfswerks „Brot für die Welt“ verwies auf den großen Anteil derer Flüchtlinge, die innerhalb des eigenen Landes oder in Nachbarstaaten Schutz suchten. „Statt Migrationsabwehr zu unterstützen, sollte die deutsche und europäische Politik dazu beitragen, Gewaltkonflikten vorzubeugen und den Menschen nachhaltige Lebensperspektiven zu schaffen“, forderte Pruin. Kein Mensch dürfe sich gezwungen sehen, sein Land zu verlassen.
Nach Einschätzung des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) wird die Genfer Flüchtlingskonvention künftig an Bedeutung gewinnen. „Krieg, Konflikte, Verfolgung und Vertreibung führen dazu, dass sich immer mehr Menschen auf der Flucht befinden. Dass Menschen, die verfolgt werden, verbindliche Rechte gewährt werden, ist eine große Errungenschaft“, sagte DRK-Präsidentin Gerda Hasselfeldt. Sie wies auf die Lage der sogenannten Binnen- und Klimaflüchtlinge hin. Die Zahl dieser Vertriebenen habe in den vergangenen Jahren dramatisch zugenommen. „Dieser Personenkreis fällt nicht unter die Genfer Flüchtlingskonvention und erhält keinen ausreichenden Schutz.“ Hier sei die internationale Staatengemeinschaft gefordert, um für die Betroffenen langfristig Lebensperspektiven zu schaffen.
Die Genfer Flüchtlingskonvention gilt nicht für Binnenflüchtlinge, weil nach dem Völkerrecht die Regierungen die Pflicht haben, sich um das Wohl ihrer Bürger zu kümmern. Fragile Staaten wie Afghanistan oder Somalia sowie diktatorische Regimes können oder wollen das jedoch nicht leisten. Nach UN-Schätzungen sind die Hälfte der Binnenflüchtlinge Kinder. Sie leiden am schlimmsten unter Hunger, sexueller Gewalt, Zwangsrekrutierung und dem Trauma der Heimatlosigkeit. Derzeit sind mehr als 82 Millionen Menschen auf der Flucht.