Ausgabe 08/2016 - 26.02.2016
Frankfurt a.M. (epd). In Deutschland sollen Flüchtlinge Anspruch auf ein Gehalt haben. Ägyptische Staatsbürger mit Studienabschluss sollen kein Visum mehr für die Bundesrepublik benötigen. Oder: Jedem Flüchtling soll in Deutschland ein Haus zustehen. Solche Gerüchte machen in einigen Ländern, zum Beispiel in Nordafrika, die Runde.
"Flüchtlinge haben eine mythische Vorstellung von Europa", sagt Melita Sunjic. Sie baut für das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR eine Abteilung auf, die Flüchtlinge vor der Flucht über die Situation in Europa informieren soll. Die allermeisten seien in keiner Weise auf die Realität vorbereitet, erläutert Sunjic. Gerüchte über Asylpolitik hätten eine lange Tradition: "Menschen, die verzweifelt sind, sind bereit, diese Gerüchte zu glauben", sagt Sunjic. "Sie wollen nichts von Problemen einer Flucht hören, deshalb sind Gerüchte für sie so attraktiv." Durch soziale Netzwerke verbreiteten sich die Gerüchte nun viel schneller.
Flüchtlinge informierten sich aus zwei Quellen über das Zielland ihrer Flucht, berichtet Sunjic. Informationen stammten zum einen von Schleusern. "Für diese ist das ein Millionen-Business und entsprechend sind ihre Botschaften: Sie sagen, die Flucht ist kein Problem und in Europa ist das Leben für euch einfach." Wichtig seien zum anderen Kontakte zu Verwandten, die bereits nach Europa geflohen sind. Diese stünden in der Heimat unter enormem Druck. Deshalb erzählten viele Lügen - auch wenn es ihnen sehr schlecht geht, sagt Sunjic.
Die deutschen Behörden reagieren mit Informationskampagnen auf die Gerüchte und Falschinformationen. Carsten Wieland leitet das Deutschland-Zentrum in Kairo. Diese Zentren haben die Aufgabe, über Deutschland zu informieren und für deutsche Positionen zu werben, heißt es auf der Homepage des Auswärtigen Amtes. Asyl-Gerüchte verbreiteten sich hauptsächlich über Facebook: "Sie werden vielfach geteilt", sagt Wieland. "Außerdem gibt es einschlägige Gruppen, in denen sich Informationen für Flüchtlinge finden, darunter Wahrheiten und Gerüchte unerkennbar nebeneinander."
Wer hinter Gerüchten steht, sei schwer zu ermitteln, erklären die Experten. "Wir stellen fest, dass Gerüchte über die deutsche Flüchtlingspolitik oft gezielt gestreut werden. Damit wird das Ziel verfolgt, Menschen mit falschen Versprechungen anzulocken", sagt Wieland. Es liege sehr nahe, dass Menschen solche Gerüchte streuen, die mit Flüchtlingen Geschäfte machen wollen, zum Beispiel Schleuser. Das Deutschland-Zentrum Kairo hat unter anderem eine Übersicht mit Fakten zusammengetragen, mit der es Gerüchten widerspricht. "Es ist wichtig, realistische Erwartungen zu vermitteln und darzustellen, wie die Wirklichkeit in Deutschland momentan aussieht", erläutert Wieland.
Auch in anderen Regionen sind deutsche Behörden aktiv. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) kommuniziert nach Angaben des Bundesinnenministeriums insbesondere im Westbalkan. Ziel sei, die Zahl der aussichtslosen Asylanträge aus der Region zu reduzieren, sagt ein Sprecher des Ministeriums. Zu den Maßnahmen gehörten unter anderem Facebook-Anzeigen in Albanien und Serbien in den Landessprachen. In Afghanistan ist das Auswärtige Amt mit der Kampagne "Rumours About Germany" ("Gerüchte über Deutschland") aktiv. Dazu gehören unter anderem eine Plakataktion und ein Informationsportal.
Der Migrationsforscher Andreas Pott ist skeptisch, ob diese Kampagnen viel bewirken können. Gerüchte und Bilder von bestimmten Ländern oder Regionen könnten für Flüchtlinge eine gewisse Rolle bei der Entscheidung spielen, wohin sie fliehen: "Aber man darf die Bedeutung nicht überschätzen - das ist nur ein Faktor unter vielen", sagt der Direktor des Instituts für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien der Universität Osnabrück. "Flüchtlinge haben gewichtige Gründe, warum sie ihre Heimat verlassen, beispielsweise weil dort Krieg herrscht." Man solle Aufklärungskampagnen nicht mit der Hoffnung verbinden, Fluchtbewegungen unmittelbar zu beeinflussen.
Berlin (epd). Der Bundestag hat am 25. Februar das zweite Asylpaket und Änderungen im Ausweisungsrecht beschlossen. Im Wesentlichen geht es um Verschärfungen, die die Zahl der Flüchtlinge in Deutschland reduzieren soll. Die Änderungen im Überblick:
- Beschleunigte Asylverfahren: Für Flüchtlinge mit geringer Bleibeperspektive werden Schnellverfahren nach dem Vorbild des sogenannten Flughafenverfahrens eingeführt. Inklusive einer möglichen Gerichtsentscheidung sollen ihre Verfahren innerhalb von drei Wochen abgeschlossen werden. Zur Durchsetzung soll für die Asylbewerber eine verschärfte Residenzpflicht gelten. Verlassen sie den Bezirk der ihnen zugewiesenen Aufnahmeeinrichtung, wird ihr Verfahren eingestellt und kann nur einmalig wieder aufgenommen werden.
- Familiennachzug: Für Flüchtlinge mit sogenanntem subsidiären Schutz wird das Recht, ihre engsten Angehörigen nach Deutschland zu holen, für zwei Jahre ausgesetzt. Die Regelung gilt auch für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Deutschland, bei ihnen kann es in Härtefällen aber Ausnahmen geben. Die Einschränkung des Familiennachzugs im Asylpaket II war am heftigsten umstritten. Die SPD verhandelte in der Koalition, dass Familienangehörige im Gegenzug bei möglichen Kontingentaufnahmen vorrangig berücksichtigt werden. Die Verhandlungen über solche Kontingente beispielweise mit der Türkei stocken aber, sodass nicht klar ist, wann davon überhaupt Betroffene profitieren können.
- Schärfere Regeln bei der Abschiebung Kranker: Künftig können nur noch "lebensbedrohliche und schwerwiegende Erkrankungen, die sich durch eine Abschiebung wesentlich verschlechtern würden", eine Abschiebung verhindern. Zudem müssen abgelehnte Asylbewerber, denen Abschiebung droht, "unverzüglich" nach einer Krankschreibung das Attest vorlegen, sonst wird es nicht akzeptiert.
- Eigenbeteiligung an Integrationskursen: Flüchtlinge werden an den Kosten für Integrationskurse beteiligt. Ihre Asylbewerberleistungen, die unterhalb des Hartz-IV-Niveaus liegen, werden dafür um zehn Euro pro Monat gekürzt.
- Führungszeugnis: Mitarbeiter, die in Flüchtlingseinrichtungen Minderjährige betreuen, beaufsichtigen oder ausbilden, müssen künftig ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen. Damit soll ein besserer Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexuellen oder anderen Übergriffen gewährleistet werden.
- Schnellere Ausweisung straffälliger Ausländer: Straftaten sollen künftig schon bei einer niedrigeren Schwelle als momentan eine Ausweisung begründen oder die Anerkennung als Flüchtling verhindern. Statt teilweise mehrjähriger Haftstrafen reicht dafür bei schweren Delikten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder Eigentum künftig bereits eine Bewährungsstrafe. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das über Asylanträge entscheidet, soll bereits bei der Einleitung eines Strafverfahrens informiert werden.
Schwerin (epd). Der Deutsche Städtetag fordert von Bund und Ländern, die flüchtlingsbedingten Kosten maßgeblich mitzutragen. Die Kosten der Unterkunft für anerkannte Asylbewerber, die Hartz IV beziehen, müsse der Bund voll übernehmen. In diesem Jahr werde in diesem Bereich mit bis zu 1,5 Milliarden Euro zusätzlichen Ausgaben der Kommunen gerechnet, teilte der Städtetag am 24. Februar in Schwerin nach einer Sitzung seiner Spitzengremien mit.
Mindestens noch einmal so viel Geld vom Bund sei erforderlich für den sozialen Wohnungsbau, sagte die Präsidentin des Städtetages, die Ludwigshafener Oberbürgermeisterin Eva Lohse (CDU). Die Kommunen könnten die flüchtlingsbedingten Mehrkosten von sich aus nicht mehr stemmen.
Außerdem forderte der Städtetag mehr Geld vom Bund im Bereich der Jugendhilfe, für den Ausbau von Kitas sowie für Integrationskurse. Die Länder müssten Sondermittel für den Bau von Schulen sowie für mehr Sozialpädagogen, Schulpsychologen und Dolmetscher bereitstellen.
Es müsse ermöglicht werden, dass Mittel aus dem Bildungs- und Teilhabepaket für Kinder aus Hartz-IV-Familien auch für Deutschunterricht von Kleinkindern oder Nachhilfe eingesetzt werden können, hieß es. Außerdem müssten die Länder die Ausgaben für unbegleitete ausländische Kinder und Jugendliche voll übernehmen. Auch für traumatisierte Frauen seien punktgenaue Hilfen nötig.
Lohse forderte ferner, dass die Kommunen beteiligt an der Ausarbeitung eines Integrationskonzeptes von Bund und Ländern werden. Die Zuwanderung müsse gesteuert und reduziert werden. Die Städte kämen an ihre Kapazitätsgrenzen. Deshalb unterstützten sie die Asylpakete I und II.
Der Vizepräsident des Städtetages, der Nürnberger Oberbürgermeister Ulrich Maly (SPD), sagte: "Wir können Integration als Städte." Dies gebe es aber nicht zum Nulltarif. Es bestehe die Gefahr, dass die Kosten der Integration, bis auf die in den Arbeitsmarkt, "auf kaltem Weg kommunalisiert" würden. Deshalb müssten Bund und Länder etwas tun und die Kommunen über das bisherige Maß hinaus entlasten.
Berlin (epd). Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) will anerkannten Flüchtlingen für eine bestimmte Zeit den Wohnsitz vorschreiben. Das sei "dringend geboten, um Ballungsräume von den Risiken einer Ghettobildung zu entlasten", sagte de Maizière der "Welt am Sonntag". Bundesbauministerin Barbara Hendricks vom Koalitionspartner SPD signalisierte Zustimmung, Lob kam auch vom Städte- und Gemeindebund. Die Linke kritisierte den Plan.
Die Bundesregierung hatte bereits im Januar angekündigt prüfen zu wollen, ob Wohnsitzauflagen für anerkannte und subsidiär geschützte Flüchtlinge ausgedehnt werden sollten. Solche Beschränkungen gibt es derzeit nur für Asylbewerber im Verfahren und Geduldete, solange sie nicht selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen können. Anerkannte Flüchtlinge dürfen sich frei bewegen. Das verlangt unter anderem die Genfer Flüchtlingskonvention.
Nach Informationen der "Welt am Sonntag" hat das Innenministerium inzwischen Eckpunkte für eine Neuregelung im Aufenthaltsgesetz erarbeitet. Über die Verteilung von Flüchtlingen auf bestimmte Wohnorte sollen demnach die Bundesländer entscheiden. Vorbild sei das frühere Wohnortzuweisungsgesetz für Spätaussiedler, schrieb das Blatt. Dies hatte in den 90er-Jahren alle neu zugewanderten Spätaussiedler für einen festgelegten Zeitraum an einen zugewiesenen Wohnort gebunden. Das befristete Gesetz lief Ende 2009 aus.
Bauministerin Hendricks (SPD) sagte der Zeitung: "Eine Wohnortzuweisung für einen gewissen Zeitraum kann ein sinnvolles, ergänzendes Instrument sein, wenn es richtig ausgestaltet ist." Dabei sollte die Situation auf dem Wohnungsmarkt der jeweiligen Bundesländer eine wichtige Rolle spielen. De Maizière müsse jetzt einen "rechtlich tragfähigen Vorschlag" für eine gesetzliche Regelung auf den Tisch legen.
Zustimmung kam auch aus der Unionsfraktion. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Thomas Strobl (CDU) sagte: "Integration funktioniert nicht, wenn sich Ghettos bilden." Große Städte dürften nicht überfordert werden. "Ausnahmen kann es nur geben, wenn am Wunsch-Wohnort zwei Dinge vorhanden sind: ein existenzsichernder Arbeitsplatz und eine eigene Wohnung", sagte der CDU-Vize dem Blatt.
Der Deutsche Städte- und Gemeindebund nannte die Pläne einen wichtigen Ansatz, um den Kommunen Planungssicherheit zu verschaffen. Doch dürfe es nicht nur um eine "bloße Verschiebung in den ländlichen Raum" gehen, sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg: "Erforderlich ist ein Gesamtkonzept Integration." Die Flüchtlingsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), nannte es richtig, dass nicht alle Flüchtlinge in die Städte ziehen könnten. "Wenn wir dies verhindern wollen, muss es für diejenigen, die einer Wohnsitzauflage unterliegen würden, rechtzeitig Angebote für den Arbeitsmarkt geben."
Die Linke kritisierte den Vorstoß de Maizières als "perfide". Die innenpolitische Sprecherin ihrer Bundestagsfraktion, Ulla Jelpke, sagte der "tageszeitung", er verstoße gegen Europa- und Völkerrecht. "Danach haben anerkannte Flüchtlinge das Recht auf Freizügigkeit, und das heißt, sie können ihren Arbeits- und Wohnort frei wählen."
Stuttgart (epd). Die Caritas Rottenburg-Stuttgart kritisiert den Vorschlag der baden-württembergischen Integrationsministerin Bilkay Öney (Grüne), das Arbeitsverbot für Asylbewerber von drei auf neun Monate zu erhöhen. Stattdessen sei die schnelle und nachhaltige Integration in den Arbeitsmarkt der Schlüssel für die Inklusion der Geflüchteten, erklärte der katholische Wohlfahrtsverband am 23. Februar in Stuttgart. Die Caritas plädierte dafür, dass nicht nur anerkannte Flüchtlingen sondern auch Bürgerkriegsflüchtlinge, Geduldete sowie die im Heimatland wegen Folter oder Todesstrafe Bedrohten Weiterbildungsmöglichkeiten erhalten.
Die schnelle Integration in den Arbeitsmarkt diene nicht nur den Geflüchteten, sondern vor allem Wirtschaft und Gesellschaft. Integrationsmöglichkeiten sollten nicht als "eine Art Preis für den erhaltenen Aufenthaltsstatus" gewährt werden, heißt es weiter. Derzeit hänge es vom ausländerrechtlichen Aufenthaltstitel ab, ob Flüchtlinge Zugang zu Arbeit und beruflicher Ausbildung erhalten. Das im Herbst 2015 erlassene Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz habe Fördermaßnahmen massiv eingeschränkt.
Baden-Württembergs Integrationsministerin Öney hatte gefordert, das Arbeitsverbot für Asylbewerber auf neun Monate zu erhöhen. Damit solle der Zugang zum Arbeitsmarkt keinen zusätzlichen Anreiz für Flüchtlinge darstellen, um in Deutschland Asyl zu suchen.
Mainz (epd). Die evangelische Kirche in Rheinland-Pfalz wirbt für die Integration von Flüchtlingen in ländlichen Gegenden. Eine am am 23. Februar in Mainz vorgestellte Arbeitshilfe "Willkommen im Dorf" soll engagierten Bürgern einen Leitfaden zur Etablierung von dörflichen Flüchtlingsinitiativen bieten. Am Beispiel des 1.500-Einwohner-Dorfs Jugenheim im Landkreis Mainz-Bingen zeigt die Schrift, wie ehrenamtliche Flüchtlingsarbeit aufgebaut werden kann und sich Konflikte vermeiden lassen. In der Ortschaft war 2014 nach der Umwandlung des leerstehenden Pfarrhauses in eine Flüchtlingsunterkunft ein bundesweit beachtetes örtliches Bürgerbündnis entstanden.
"Die Chancen auf eine erfolgreiche Integration sind auf dem Land langfristig besser", sagte der Propst für Rheinhessen, Klaus-Volker Schütz. Auf dem Land gebe es weniger Anonymität, die Menschen achteten mehr aufeinander, und Flüchtlinge könnten zur Ruhe kommen. "Wir wollen Mut machen, aber auch die Grenzen des Engagements aufzeigen", erklärte der ehemalige ZDF-Journalist Uli Röhm vom Jugenheimer Kirchenvorstand. In dem Dorf kümmern sich derzeit rund 40 aktive Ehrenamtliche um knapp 50 Flüchtlinge. Der Verkauf des Pfarrhauses an den Landkreis sei Auslöser der Initiative gewesen, in der sich mittlerweile auch viele kirchenferne Personen engagieren.
Die von den drei evangelischen Landeskirchen in Rheinland-Pfalz herausgegebene Arbeitshilfe ist nach Überzeugung der Verfasser so formuliert, dass sie "eigentlich in jedem Dorf in Deutschland einsetzbar" sein soll. Die Kirchenvertreter schränkten ein, dass es in Teilen Ostdeutschlands - in Regionen mit viel Ausländerhass und wenig Arbeitsplätzen - dennoch andere Voraussetzungen gebe als im vergleichsweise wohlhabenden Rheinhessen.
Magdeburg (epd). Der Umgang mit Flüchtlingen und Asylfeindlichkeit ist ein Schwerpunktthema der bundesweiten Interkulturellen Woche Ende September. Das Motto "Vielfalt. Das Beste gegen Einfalt." zeige, dass die Zivilgesellschaft stark sei und sich gegen Einfalt durchsetzen werde, sagte die Vorsitzende des Ökumenischen Vorbereitungsausschusses, Gabriele Erpenbeck, am 19. Februar in Magdeburg. Einfache Lösungen gebe es nicht beim Umgang mit den Folgen von Krieg und Vertreibung.
Die breite Bewegung der Solidarität mit Flüchtlingen in Deutschland halte nach wie vor an, "obwohl sich der politische Wind dreht", betonte Erpenbeck. Deshalb solle die Interkulturelle Woche auch dazu ermutigen, die großen Herausforderungen anzunehmen. Respekt und Anerkennung seien die Grundlage für ein friedliches Zusammenleben und den Dialog der Religionen.
Zudem kritisierte sie die Zurückweisung von Flüchtlingen an den europäischen Grenzen. Ein Rückfall in nationalistische Kleinstaaterei werde zum Zerfall der Europäischen Union führen, warnte die Beraterin der Migrationskommission der katholischen Deutschen Bischofskonferenz.
Zur 41. Interkulturellen Woche finden bundesweit vom 25. September bis 1. Oktober rund 4.500 Einzelveranstaltungen statt. Beteiligt sind Kirchengemeinden, Sozialverbände, Kommunen, Migrantenorganisationen, Gewerkschaften und Initiativen in mehr als 550 Orten.
Lebach (epd). Der saarländische Innenminister Klaus Bouillon (CDU) hat am 19. Februar Holzunterkünfte für Flüchtlinge in der Landesaufnahmestelle Lebach eröffnet. "Diese Holzkonstruktionen bieten die perfekte Möglichkeit für eine schnelle, winterfeste und effiziente Unterbringung von Flüchtlingen", sagte er. Die Unterkünfte können den Angaben zufolge innerhalb von zwölf Wochen fertiggestellt werden.
Die neun jeweils 20 Quadratmeter großen Einzelmodule bieten bis zu 48 Menschen Platz. Die Gesamtkosten liegen bei etwa 320.000 Euro. "Ich bin mir sicher, dass diese Art der Unterbringung auch nach der Verteilung der Flüchtlinge und Asylsuchenden in die Kommunen eine schnelle Lösung bei dem immer knapper werdenden Wohnraum sein kann", sagte Bouillon, der zurzeit den Vorsitz der Innenministerkonferenz innehat.
Berlin (epd). Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) und die Fachpolitiker der Koalition gaben am 18. Februar in Berlin eine Einigung bekannt, wonach es zwar pauschalierte Entgelte geben wird, diese aber ergänzt werden durch Vergütungen, die sich nach dem Profil und den Besonderheiten der jeweiligen Klinik richten. Gröhe sagte, damit seien die Weichen gestellt für ein leistungsgerechtes Budget in der Psychiatrie.
Die Entgelte für bestimmte Behandlungen sollen der Einigung zufolge anhand medizinischer Leitlinien kalkuliert werden. Damit werde Qualität und Transparenz einziehen, sagte Gröhe. Die Kliniken können darüber hinaus Besonderheiten geltend machen, etwa die Versorgung besonders vieler alter Patienten oder dass sie viele drogensüchtige Erkrankte aufnehmen müssen.
Neu vereinbart haben Politik und Fachverbände in den Eckpunkten für die Reform des Entgeltsystems, dass psychiatrische Kliniken künftig eine Behandlung auch ambulant fortführen können. Teams aus den Kliniken können dann Patienten in ihrem eigenen Umfeld versuchen zu stabilisieren. Mit dem "Hometreatment" würden neue Wege beschritten, sagte der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Karl Lauterbach, der die Einigung insgesamt als "Meilenstein" bewertete. Damit könne verhindert werden, dass schwer psychisch Kranke nach ihrer Entlassung wiederum abrutschen, zum Teil bis in die Obdachlosigkeit. Auf der Grundlage der Eckpunkte will Gröhe nun einen Gesetzentwurf erarbeiten lassen.
Um die Vergütung in der Psychiatrie und Psychosomatik gibt es seit Jahren Auseinandersetzungen. Gegenwärtig können Kliniken sich entscheiden zwischen dem alten Vergütungssystem und dem seit 2013 angewendeten pauschalierenden Entgeltsystem Psychiatrie und Psychosomatik (PEPP), um ihr Budget mit den Krankenkassen auszuhandeln. Das neue System steht aber in der Kritik, weil die pauschalierten Zahlungen nach Meinung der Klinken und Fachverbände nicht ausreichen.
Im April 2014 hatten Union und SPD daher vereinbart, die Übergangszeiten für die Einführung des neuen Entgeltsystems zu verlängern und es noch einmal gründlich zu überprüfen. Das Budget der psychiatrischen Kliniken umfasst nach Angaben der Deutschen Krankenhausgesellschaft sechs Milliarden Euro im Jahr und damit rund ein Zehntel der gesamten Ausgaben der Kassen für die stationäre Versorgung.
Berlin (epd). Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) hat die Bundestagsabgeordneten am 18. Februar aufgefordert, eine bundesweite Wohnungsnotfallstatistik einzuführen. Das Parlament hatte auf Antrag der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen eine Expertenanhörung angesetzt. Die BAG W kritisierte, dass die CDU/CSU-Fraktion sich weiter weigere, eine solche Datenbank einzuführen.
Deren Ziel sei es, Umfang und Entwicklung von Räumungsklagen und Wohnungslosigkeit abzubilden. "Eine solche Statistik wird von der gesamten Fachwelt seit mehr als dreißig Jahren gefordert", so der Dachverband.
Während sich Bündnis 90/Die Grünen und die Linke in der Debatte eindeutig für eine Einführung aussprachen, hielt der Redner der CDU/CSU, Matthias Zimmer, das Unterfangen für nicht machbar und bezweifelte den Sinn einer bundesweiten Statistik.
Thomas Specht, Geschäftsführer der BAG W: "Die 1998 vom Statistischen Bundesamt erstellte Machbarkeitsstudie kommt zum exakt gegenteiligen Ergebnis." Die seit dem Jahr 2011 existierende Wohnungsnotfallstatistik des Landes Nordrhein-Westfalen zeigte, dass auch eine bundesweite Datenbank möglich sei.
Nur die Bundesregierung ist Experten zufolge in der Lage, für bundeseinheitliche und vergleichbare Statistiken zu sorgen. "Angesichts einer wachsenden Zahl von Räumungsklagen und immer mehr wohnungslosen jungen Menschen ist die Haltung der Bundesregierung nicht nachvollziehbar", sagte Specht. Er prognostizierte einen Anstieg der Wohnungslosenzahlen auf 380.000 bis zum Jahr 2016. Das bedeute einen Anstieg um 33 Prozent gegenüber dem Jahr 2012.
Berlin (epd). In die Krankenhauspflege muss nach Ansicht der Fraktion Die Linke wesentlich mehr Geld investiert werden. In einem Antrag fordern die Abgeordneten, die Personalbesetzung in den Krankenhäusern kurzfristig zu verbessern und dazu mindestens 100.000 Vollzeitstellen in der Pflege zu schaffen, berichtete der Bundestag am 18. Februar in Berlin.
Die neuen Pflegestellen müssten laut der Linkspartei außerhalb der Fallpauschalen (DRG) finanziert werden. Zudem sollte eine verbindliche Personalbemessung in die Krankenhausplanung aufgenommen werden. Auch in der Altenpflege sei eine bundeseinheitliche, verbindliche Personalbemessung für den stationären und ambulanten Bereich einzuführen, forderten die Abgeordneten.
Zudem sprach sich die Partei dafür aus, den wirtschaftlichen Wettbewerb unter Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen zu entschärfen. Bereits privatisierte Kliniken und Pflegeeinrichtungen seien in eine nichtkommerzielle Trägerschaft zu überführen.
Erkennbar würden Anzeichen eines Systemversagens, kritisiert die Linke. So orientierten sich die Fallpauschalen nicht am konkreten medizinischen Bedarf, geschweige an den menschlichen Bedürfnissen. In Deutschland sei das Verhältnis von Pflegekräften zu Patienten katastrophal.
Prag (epd). An der Hauptstraße durch eines der eleganten Prager Wohnviertel finden sich Restaurants, Designer-Läden - und dazwischen immer wieder Spielhallen mit blinkender Neonreklame an der Fassade. "An dieses Bild haben sich die meisten Prager inzwischen gewöhnt", sagt Martin Svoboda. Er geht auf die 40 Jahre zu und ist Kopf einer Bürgerinitiative, die sich in Tschechien gegen das Glücksspiel engagiert. Das ist schon deshalb bemerkenswert, weil er selbst ein ehemaliger Glückspieler ist.
In den Spielhallen sei es dreckig, "es werden keinerlei Regeln eingehalten, und Zielgruppe sind Leute, die versuchen, da das Geld für ihre Miete zusammenzuspielen", berichtet Svoboda aus eigener Erfahrung. "Als ich 26 Jahre alt war, habe ich innerhalb von zwei, drei Jahren 300.000 Euro verspielt. Danach wollte ich so schnell wie möglich die Seiten wechseln, damit anderen Familien diese Erfahrung erspart bleibt."
Das Ziel seiner Initiative sei nicht die vollständige Abschaffung des Glücksspiels, aber die "vernünftige Regulierung". Denn in Tschechien gibt es bislang so wenige Einschränkungen wie sonst fast nirgends in Europa. Immerhin: Nach jahrelangem Kampf der Glücksspiel-Gegner steht der tschechische Markt, der bislang zu den liberalsten in Europa gehört, nun vor einer strengeren Regulierung.
Das geplante Gesetz, das in diesem Jahr verabschiedet werden soll, ist erst schemenhaft zu erkennen. Im Kern geht es darum, das Glücksspiel besser zu kontrollieren - mit Obergrenzen für die Verluste sowie einer Identifikation und Spielverboten für Risiko-Spieler. Und, als zweites Bein, sollen bessere Präventionsangebote vorgeschrieben werden. Die neuen Regeln sollen nach derzeitiger Planung 2017 in Kraft treten.
In Tschechien erlaubt das heutige Gesetz drei verschiedene Arten von Spielbetrieben: Zum einen gibt es die Automaten, die in Kneipen und Bars aufgestellt sind, dann die Spielhallen und schließlich die Casinos. Weitgehend reguliert sind nur die Kasinos: Wer hier spielt, muss sich beispielsweise an der Rezeption ausweisen.
In den Spielhallen sind, anders als in Deutschland, alkoholische Getränke erlaubt, und es gibt nur eine schwammige Obergrenze für die Spielverluste. Während in Deutschland der maximale Verlust pro Stunde gesetzlich geregelt ist, bezieht sich die Obergrenze an tschechischen Automaten auf ein einzelnes Spiel. Damit ist der denkbare finanzielle Verlust weitaus höher.
Prag nutzt seit dem Jahreswechsel die bereits bestehende gesetzliche Möglichkeit, dass die Kommunen den Spielbetrieb selbst einschränken können - und verbietet alle Spielhallen. Nur Kasinos dürfen noch an ausgewählten Orten in Betrieb bleiben.
Das sei ein Schritt in die richtige Richtung, sagt Aktivist Svoboda. "Als wir vor sechs Jahren mit unserer Initiative angefangen haben, gab es in Prag 1.600 Spielhallen und Kasinos." Nach der Neuregelung würden es noch 100 Spielstätten sein.
Beim tschechischen Glücksspielverband ist man mit der neuen Regelung indes nicht zufrieden. "Vor dem Jahr 2010 gab es ein Überangebot an Spielhallen, weil der Staat nicht in der Lage war, die Sache zu regulieren", sagt Sprecher Andrej Cirtek. Seither aber habe sich die Situation gebessert. "Jetzt schlägt das Pendel aber ins andere Extrem: es geht in Richtung Prohibition."
Wenn Städte und Gemeinden selbst festlegen könnten, an welchen Orten Spielangebote bestehen bleiben können, öffne das die Tür für Korruption. Und eine Beschränkung auf Kasinos schließe jene Bürger aus, die lieber in Spielhallen gingen. Das Beispiel Polen zeige, dass die Regulierung "viele Spieler in die Illegalität treibt."
Nach Angaben des tschechischen Suchtbeauftragten ist der Umsatz der Glücksspiel-Anbieter zuletzt stark gestiegen. In den Jahren bis 2008 nahm das Marktvolumen demnach zu, es folgten einige Jahre des leichten Rückgangs. "Im Jahr 2014 ist der Umsatz der Branche aber wieder um 11,4 Prozent gestiegen", heißt es in einem aktuellen Papier. Er lag demnach bei rund 138 Milliarden Kronen, das entspricht mehr als fünf Milliarden Euro.
Berlin (epd). Die Armut wandert nach Westen und betrifft zunehmend die Alten in Deutschland. Trotz der guten Wirtschaftsentwicklung bleibt das Armutsrisiko weiterhin hoch, wie aus dem "Bericht zur Armutsentwicklung 2016" hervorgeht, den der Paritätische und weitere Verbände am 23. Februar in Berlin vorstellten. Danach gehören rund 12,5 Millionen Menschen zu den Risikogruppen. Erwerbslose, Alleinerziehende und Rentner sind besonders gefährdet. In der regionalen Verteilung entwickelt sich das Ruhrgebiet im Westen der Republik zur neuen Armutsregion.
Bundesweit lag die Armutsrisikoquote im Jahr 2014 bei 15,4 Prozent und damit 0,1 Prozentpunkte unter dem Niveau von 2013. Ob der leichte Rückgang ein Indiz dafür ist, dass das Armutsrisiko insgesamt nicht weiter zunimmt, lasse sich anhand dieser Zahl noch nicht sagen, erklärten die Verbände. In den vergangenen zehn Jahren ist die Quote kontinuierlich gestiegen. Die Kinderarmutsquote liegt mit 19 Prozent weiterhin deutlich über dem Durchschnitt. Die Hälfte dieser Kinder lebt im Haushalt eines alleinerziehenden Elternteils. Erstmals liegt auch die Armutsrisikoquote von Rentnern mit 15,6 Prozent über dem Durchschnitt.
Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen, Ulrich Schneider, sagte, heute lebten 3,4 Millionen Rentner an der Armutsschwelle. In den vergangenen zehn Jahren sei die Armut unter Rentnern zehnmal so stark gestiegen wie beim Rest der Bevölkerung. Basis der Berechnungen sind alle Einkünfte der Rentner, nicht nur die Renten selbst.
Die Ankunft von mehr als einer Million Flüchtlinge wirkt sich Schneider zufolge auf die Armutsstatistik erst aus, wenn die Menschen in eigenen Haushalten leben. Der Geschäftsführer von Pro Asyl, Günter Burkhardt, warnte, politische Fehlentscheidungen bei der Integration der Flüchtlinge erhöhten das Armutsrisiko für diese Gruppe später drastisch.
Unter den Bundesländern verzeichnen Bremen, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern die am stärksten sinkenden Armutsquoten, während die Armutsrisikoquote im Ruhrgebiet auf den Höchststand von 20 Prozent geklettert ist. Insgesamt standen neun Länder 2014 besser da als im Vorjahr.
Die Ausnahme bildet Nordrhein-Westfalen. In dem bevölkerungsreichsten Bundesland verzeichnet der Bericht seit Jahren eine Negativentwicklung. Die Armutsrisikoquote stieg allein von 2013 bis 2014 um 0,4 Prozentpunkte auf 17,5 Prozent und liegt damit deutlich über dem bundesdeutschen Durchschnitt.
Die Armutsschwelle ist von Land zu Land verschieden. EU-weit gilt, dass armutsgefährdet ist, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung hat. In Deutschland liegt die Schwelle für Alleinstehende bei 917 Euro im Monat, für einen alleinerziehenden Elternteil mit einem Kind unter sechs Jahren bei 1.192 Euro und für ein Paar mit einem kleinen Kind bei 1.651 Euro.
Der Paritätische gibt den Armutsbericht regelmäßig heraus. Erstmals haben sich weitere Verbände beteiligt, darunter das Deutsche Kinderhilfswerk, die Volkssolidarität und Pro Asyl. Der sozialpolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Wolfgang Strengmann-Kuhn, forderte höhere Hartz-IV-Regelsätze, eine Kindergrundsicherung und Garantierenten, um die Armut zu bekämpfen. Der Sozialverband VdK verlangte eine Anhebung des Mindestlohns von derzeit 8,50 Euro. Auch Niedrigverdiener müssten eine Rente oberhalb der Armutsschwelle erwirtschaften können.
Berlin (epd). Im September soll es losgehen. Derzeit läuft eine Spendensammlung zur Finanzierung der Initiative. Was die Online-Plattform zum Widerstand gegen Sanktionen leisten soll, erklärte Mitgründerin Inge Hannemann im Interview mit Dirk Baas.
epd sozial: Mit Ihrer Initiative "Sanktionsfrei" wollen sie das Hartz-IV-System in eine menschenwürdige Mindestsicherung umbauen. Ist das nicht ein zu ambitioniertes Ziel?
Inge Hannemann: Rosa Luxemburg hat einmal gesagt: 'Die Revolution ist großartig. Alles andere ist Quark.' Ich finde, das passt auch gut zu uns: Um ein Ziel zu erreichen, benötigt es auch manchmal große Gedanken. Warum nicht das derzeitige Sanktionsregime revolutionären und abschaffen?
epd: Sie wollen das System der Sanktionen unterlaufen, indem sie professionelle Unterstützung anbieten.
Hannemann: Wir werden eine digitale Gegenbehörde online stellen, die sich zwischen die Jobcenter und die Betroffenen stellt, um den Leistungsberechtigten Sicherheit zu geben und sie zu ermutigen, vermehrt ihre Rechte durchzusetzen.
epd: Wie genau soll das funktionieren?
Hannemann: Sie erhalten kostenfrei Beratung, Übersetzung der oft schwer verständlichen bürokratischen Schreiben. Und wir liefern Vorschläge für Antwortschreiben sowie Fax-Antworten direkt über die Seite. Auch eine Sofort-Videoberatung mit Rechtsanwälten wird möglich sein. Dabei werden wir all die rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, die 95 Prozent der Betroffenen nicht kennen oder die sich nicht zu nutzen trauen, weil sie von den Jobcentern eingeschüchtert werden.
epd: Wie erklären Sie sich, dass die wenigsten Hilfebezieher für ihre Rechte vor Gericht ziehen?
Hannemann: Zum einen sehen wir den Grund darin, dass viele Betroffene ihre Rechte schlicht nicht kennen. Das ist eine Folge der fehlenden Aufklärungspflicht durch die Jobcenter. Aber es existieren auch Ängste vor weiteren Repressalien durch die Behörden. Dazu kommen schließlich Lethargie und die fehlende finanzielle Unterstützung, wenn es darum geht, zu klagen. Prozesskostenhilfe zu erhalten wird für die Betroffenen immer schwieriger.
epd: Wie genau wollen Sie die Politik zum Umdenken bewegen?
Hannemann: Es zeigt sich bereits, dass sich über die Sozialen Netzwerke eine wachsende Solidarität zwischen Betroffenen und Nicht-Betroffenen entwickelt. Die Politik muss erkennen, dass eine Masse durchaus etwas bewegen kann. Der gute Start unserer Kampagne zeigt außerdem, dass die Menschen bereit sind, die Abschaffung der Hartz IV-Sanktionen über diesen Weg zu unterstützen. Der Kreis derer, die sich aktiv wehren und für dieses Ziel kämpfen wollen, vergrößert sich.
epd: Alle Ihre Leistungen sind für die betroffenen Hilfeempfänger kostenfrei. Wie finanziert sich Ihre Plattform und wo soll das Geld künftig herkommen, wenn Ihre Klientelzahl wächst?
Hannemann: Für jeden gewonnenen Widerspruch und für jede erfolgreiche Klage bezahlt das Jobcenter den Anwälten Geld. Dieses Geld reichen die Anwälte über Servicegebühren an uns weiter. Damit bezahlt das Jobcenter die Abschaffung der Sanktionen selbst.
epd: Bitte erklären Sie genauer, wie ihr Crowdfunding-Modell funktioniert.
Hannemann: Uns ist Unabhängigkeit wichtig. Deshalb bitten wir mit dem Crowdfunding viele Menschen darum, uns mit kleinen Beträgen zu ermöglichen, diesen Widerstand möglich zu machen. Das erzeugt nicht nur eine hohe Legitimation und Motivation, sondern ist für uns gleichzeitig ein Testlauf. Wenn das Crowdfunding erfolgreich ist, wissen wir, dass unsere Idee tatsächlich gebraucht wird. Wir versuchen 150.000 Euro zu sammeln, um die Plattform programmieren und im Herbst starten zu können.
epd: Sie rechnen auch mit Rückvergütungen aus gewonnenen Gerichtsprozessen. Wie kalkulieren Sie diese Einnahmen?
Hannemann: Zunächst müssen wir klarstellen, dass Sanktionsfrei selbst keine Gerichtsverfahren führt. Sondern wird bauen ein bundesweites Netzwerk von engagierten Rechtsanwälten auf, mit denen wir kooperieren und die ebenfalls unsere Serviceleistungen nutzen können. Dafür werden wir eine Vergütung von den Anwälten erhalten. Die konkreten Bedingungen werden wir gemeinsam mit den Juristen festlegen, sobald wir die Crowdfundingsumme erreicht haben.
epd: Sie haben angekündigt, auch die Kosten transparent zu machen, die das von Ihnen kritisierte Sanktionssystem für die öffentliche Hand verursacht. Wie kommen die Verluste für Bund und Länder zustande und wie hoch sind sie?
Hannemann: Um die verhängten Sanktionen vollziehen zu können, werden mindestens zwei Personen in einem Jobcenter gebraucht. Das ist zunächst die Integrationsfachkraft, die die Sanktion in die Wege leitet. Anschließend muss jemand aus der Leistungssachbearbeitung das Prozedere ins System einpflegen. Das führt zu zusätzlichen Personalkosten. Darüber hinaus fallen Portokosten an, die bei über einer Million Sanktionen nicht unterschätzt werden dürfen. Derzeit gehen über 40 Prozent der Widersprüche und Klagen zugunsten der Hilfebezieher aus. Hier fallen Personalkosten in der Rechtsabteilung der Jobcenter sowie Gerichtskosten an, die der Steuerzahler zu tragen hat. Allein die Kosten für das Personal übertreffen die durchschnittliche Sanktionssumme von 109 Euro pro Sanktion um rund 20 Euro.
epd: Sanktionen der Jobcenter führen aus Ihrer Sicht nicht zu positivem Verhalten der Arbeitslosen. Was wäre besser, um das Mitwirken der Hilfebezieher an der Jobsuche zu verbessern?
Hannemann: Zunächst muss es darum gehen, dass die Menschen ohne Angst in ein Jobcenter gehen können. Schon die Androhung von Sanktionen in den Briefen der Behörden führt indes oftmals zu Angst, die das Tun lähmt. Wir fordern, dass die Jobcenter ihre originäre Beratungsaufgabe übernehmen. Dabei gilt es die Stärken und Schwächen der Erwerbslosen zu evaluieren und bei der Jobvermittlung oder dem Suchen von Fortbildungsmaßnahmen passgenau einzusetzen. Die Jobcenter müssen lernen, den Menschen zuzuhören und sich dafür auch die Zeit zu nehmen. Man kann auch von Visionscoaching sprechen.
epd: Sie halten die Mindestsicherung im Hartz-IV-System für deutlich zu niedrig. Welcher Betrag wäre nötig, um eine Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen?
Hannemann: Die Mindestsicherung muss so hoch bemessen sein, dass eine soziokulturelle Teilhabe in der Gesellschaft möglich ist. Dazu sind mindestens 500 Euro im Monat erforderlich, um auch die Preissteigerungen auszugleichen. Weiterhin müssen tatsächlich anfallende Kosten wie Strom und erhöhte Betriebskosten in Zukunft bei der Berechnung voll berücksichtigt werden. Diese Kosten müssen derzeit ebenfalls aus dem Regelsatz beglichen werden. Das wird oft vergessen. Auch das Bildungs- und Teilhabepaket für Kinder muss den tatsächlichen Kosten angepasst werden. Mit zehn Euro kann man zwar den Vereinsbeitrag bezahlen, aber für die nötige Ausrüstung wie etwa Fussballschuhe reicht das Geld nicht.
epd: Die Bundesregierung ist mit der Agenda 2010 zufrieden, Deutschland steht in Sachen Arbeitslosigkeit EU-weit an der Spitze. Die Abschaffung von Hartz IV fordert allein die Linkspartei. Wie schätzen Sie Ihre Chancen ein, ein bedingungsloses Grundeinkommen zu realisieren?
Hannemann: Über das bedingungslose Grundeinkommen wird immer mehr diskutiert, auch in Teilen der Wirtschaft ist die Debatte darüber längst angekommen. Fehlende Arbeitsplätze und die steigende Automatisierung zeigen schon auf, dass ein Umdenken und damit eine andere Form der sozialen Sicherung geschaffen werden müssen. Das Grundeinkommen wird kommen, weil andernfalls das Sozialsystem, das Rentensystem und damit auch die Wirtschaft zusammenbrechen. Erleben wir es vielleicht nicht mehr, so jedoch die nachfolgende Generation.
Köln (epd). Die Nationale Armutskonferenz warnt vor einer Spaltung der Gesellschaft durch soziale Ungleichheit. "Es ist ganz offensichtlich, dass sich immer mehr Langzeitarbeitslose und sozial Benachteiligte in Deutschland keine Verbesserung ihrer sozialen Lage mehr erhoffen", erklärte der Sprecher der Armutskonferenz, der Kölner Diözesan-Caritasdirektor Frank Johannes Hensel, anlässlich des Welttags der Sozialen Gerechtigkeit am 20. Februar.
Wer sich abgehängt fühle, gehe häufig nicht mehr wählen, fühle sich nicht repräsentiert und sei für die Demokratie verloren. "Das Ziel muss jetzt sein, dass sich wieder mehr Menschen in einer breiten gesellschaftlichen Mitte finden und halten können", sagte Hensel.
Deutschland trenne bereits jetzt eine tiefe Kluft, warnte die Armutskonferenz, ein Zusammenschluss von Wohlfahrtsverbänden und Gewerkschaften. Trotz guter Konjunktur stagnierten die Gehälter in den unteren Lohngruppen. Nach einer Studie der Universität Duisburg-Essen sei der Anteil von Haushalten mit mittleren Einkommen zwischen 1993 und 2013 von 56 auf 48 Prozent zurückgegangen, hieß es.
Durch unsichere Beschäftigungsverhältnisse und Leiharbeit sei Arbeit längst kein Garant für mehr für Existenzsicherung oder gar Wohlstand. Zugleich seien in keinem europäischen Land die Bildungschancen so eng an die soziale Herkunft gekoppelt wie in Deutschland.
In diesem Zusammenhang begrüßte es die Armutskonferenz, dass sich die große Koalition darauf verständigt hat, dass der Mindestlohn auch für Flüchtlinge gilt. "Wir dürfen die Flüchtlinge nicht für ein Lohndumping missbrauchen", betonte Hensel.
Berlin (epd). Für uns in Deutschland bedeutet demografischer Wandel vor allem eines: Wir werden immer weniger und wir werden immer älter. Das hat Auswirkungen auf nahezu alle Lebensbereiche und wird die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung in den nächsten Jahrzehnten erheblich beeinflussen. Viele Folgen dieser Entwicklung spüren wir schon heute und sie stellen sowohl die Politik als auch Kommunen, Wohlfahrtseinrichtungen, Wirtschaft und Bürger vor neue Aufgaben.
Mit etwa 81 Millionen Einwohnern ist Deutschland das bevölkerungsreichste Land Europas. Doch bereits seit 1972 geht die Bevölkerungszahl zurück, weil die Zahl der Sterbefälle die Zahl der Geburten übersteigt. Und dieser Trend hält ungebrochen an. Berechnungen des Statistischen Bundesamts zufolge liegt die jährliche Geburtenziffer seit Ende der 1990er relativ konstant bei 1,4 Kindern je Frau. Gleichzeitig ging jedoch die Zahl der potentiellen Mütter im Alter zwischen 26 und 35 Jahren stark zurück und damit auch die Zahl der Geburten.
Nach vorübergehender Stabilisierung wird diese Altersgruppe ab 2020 voraussichtlich wieder deutlich schrumpfen, was zu einem erneuten Geburtentief führen könnte. Bis zum Jahr 2050 wird die Bevölkerung in Deutschland darum um rund sieben Millionen Menschen auf insgesamt 75 Millionen geschrumpft sein. Selbst wenn die Geburtenrate in den kommenden Jahren sprunghaft ansteigen sollte, wird sich das Verhältnis von jüngeren zu älteren Menschen in naher Zukunft weiter stark verändern.
Laut Statistischem Bundesamt wird die Zahl der Personen im Alter zwischen 20 und 60 Jahren bis zum Jahr 2050 um mehr als ein Fünftel abnehmen. Weil die durchschnittliche Lebenserwartung aber gleichzeitig weiter steigt, wird der Anteil der über 65-Jährigen an der Gesamtbevölkerung zunehmen.
Den Statistikern zufolge waren Ende 2013 in Deutschland rund 17 Millionen Menschen über 65 Jahre alt. Laut Demografiebericht der Bundesregierung werden 2030 die 65-Jährigen und noch älter Bürger fast 30 Prozent der Bevölkerung ausmachen. 2060 wird dann jeder Dritte 65 Jahre und älter sein. Die demografische Alterung unserer Gesellschaft ist unumkehrbar und schon heute haben wir mit ihren Herausforderungen zu kämpfen.
Durch den Bevölkerungsschwund und die gleichzeitige Alterung der Gesellschaft kommt es zu einer steigenden Belastung der sozialen Sicherungssysteme. In der gesetzlichen Rentenversicherung, die nach dem Umlageverfahren organisiert ist, stehen immer mehr Rentenempfänger immer weniger Beitragszahlern gegenüber. Schon heute wird sie deshalb jährlich mit rund 80 Millionen Euro aus Steuermitteln bezuschusst. Die eigentliche demografische Herausforderung steht den Rentenkassen in naher Zukunft jedoch erst noch bevor.
Gleiches gilt für die Kranken- und Pflegeversicherung, denn mit zunehmendem Alter steigt auch das Risiko, an einer chronischen Erkrankung zu leiden oder gar pflegebedürftig zu werden. So steigt die Zahl der pflegebedürftigen Menschen hierzulande seit Jahren konstant an. Sind heute bereits 2,5 Millionen Menschen pflegebedürftig, wird deren Zahl bis zum Jahr 2050 Schätzungen zufolge auf bis zu 4,5 Millionen ansteigen.
Der demografische Wandel belastet jedoch nicht nur die sozialen Sicherungssysteme, er kann auch negative Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum und die Innovationsfähigkeit der Gesellschaft haben. Beides sind die zentralen Voraussetzungen für gesellschaftlichen Wohlstand.
Weil die Zahl der Erwerbstätigen und der Nachwuchskräfte weiter abnimmt, wird sich auch der Fachkräftemangel weiter verschärfen. Ausgerechnet in den sozialen Berufen, wie zum Beispiel der Alten- und Krankenpflege, ist der Mangel an qualifiziertem Personal schon heute deutlich spürbar. So werden Berechnungen der Bertelsmann Stiftung zufolge schon in 15 Jahren bis zu 500.000 Pflegekräfte fehlen. Beachtet man dabei, dass die Zahl der Pflegebedürftigen bis dahin auf 3,4 Millionen Menschen angestiegen sein wird, so wird die drohende Versorgungslücke deutlich.
Eine weitere, schon heute spürbare Folge des Wandels ist die zunehmende Abwanderung aus den strukturschwachen, insbesondere ländlichen Regionen. Weil vorwiegend die jungen Menschen abwandern, sinkt dort zugleich die Geburtenrate. Zurück bleiben die sozial Schwachen und die Alten - in der Regel ohne eine altengerechte Infrastruktur und mit eingeschränkten Teilhabemöglichkeiten.
Schon heute stehen sich bevölkerungsarme, überalterte Regionen und sogenannte Boomregionen gegenüber. Diese Tendenz wird sich - ohne ein politisches und gesellschaftliches Umdenken - in Zukunft weiter verstärken. Alle sind gefordert, umzudenken zu handeln Doch auch, wenn der Bevölkerungsrückgang und die Alterung kurzfristig unabwendbar sind, können ihre negativen Folgen abgemildert werden.
Und weil wir alle betroffen sein werden, sind wir alle gefordert, umzudenken und zu handeln. Gesellschaft, Politik, Kommunen, Industrie und Wirtschaft müssen sich fragen: Was können wir tun, damit unsere Gesellschaft wieder wächst und wie muss eine Gesellschaft aussehen, die ihren Alten ein würdevolles Leben und umfassende gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht?
Um eine langfristige Zunahme der Bevölkerungszahl zu erreichen, brauchen wir vor allem eine Familienpolitik, die Menschen in ihrer Bereitschaft Familien zu gründen fördert. Dazu müssen wir nur ein wenig über den eigenen Tellerrand, zu unseren nördlichen Nachbarn schauen.
Länder wie Dänemark, mit einer durchschnittlichen Geburtenziffer von 1,78 Kindern pro Frau beweisen, dass sich höhere Kinderzahlen nicht durch hohes Kinder- oder Betreuungsgeld erreichen lassen, sondern vor allem durch staatliche Investitionen in die Infrastruktur, die eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen.
Ein positiver Nebeneffekt wäre außerdem eine steigende Beschäftigungsquote von Frauen. So lag laut Eurostat der Anteil erwerbstätiger Frauen in Deutschland im Jahr 2012 bei gerade einmal 52,5 Prozent, in Dänemark waren zum selben Zeitpunkt 60 Prozent der Frauen erwerbstätig.
Auch wenn wir den Fachkräftemangel durch ausländische Fachkräfte allein nicht decken können, brauchen wir in Deutschland ein Umdenken in der Zuwanderungspolitik. Qualifizierte Migranten sollten nicht nur gezielt angeworben werden, sondern sie müssen Bedingungen vorfinden, die ihnen und ihren Familien ein dauerhaftes Bleiben in Deutschland ermöglichen. Und auch unter den derzeit zu uns gelangenden Flüchtenden sind viele qualifizierte Menschen, die mit einer entsprechenden sprachlichen Ausbildung und mit behutsamer Begleitung sicher geeignet sein können, klaffende Lücken auf dem Fachkräftemarkt zu schließen.
Unser Bild vom Alter ist noch immer geprägt von der Angst vor körperlichem und geistigem Abbau, Verlust und Hilfsbedürftigkeit. Doch die Alternsformen sind vielfältig und schon längst bedeutet alt sein nicht mehr automatisch hilflos und abhängig zu sein.
Und so gibt es der 6. Altenbericht der Bundesregierung vor: Politik, Wissenschaft und Medien sind gefordert, ein gesellschaftliches Umdenken anzustoßen, das sich neben der notwendigen Fürsorge auch an den Stärken und Gestaltungsspielräumen des Alters orientiert. Ein neues, positives Altersbild ist zugleich die Voraussetzung dafür, die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Potenziale einer älter werdenden Generation zu erkennen.
Alte Menschen dürfen nicht als Last, sondern müssen als Stütze unserer Gesellschaft anerkannt werden. In der Praxis bedeutet das unter anderem die Flexibilisierung der Lebensarbeitszeit, die Förderung und Anerkennung bürgerschaftlichen Engagements und Ehrenamts sowie der barrierefreie Zugang zu Bildungsangeboten.
Wir brauchen eine altengerechte Infrastruktur. Jeder Mensch hat ein Recht auf gesellschaftliche Teilhabe. In einer immer älter werdenden Gesellschaft müssen sich deshalb sowohl die Konzepte der Stadtentwicklung als auch die Konzepte der medizinischen und pflegerischen Versorgung den Bedürfnissen älter werdender Menschen anpassen. Hierzu gehören eine altengerechte Verkehrsführung, barrierefreier öffentlicher Nahverkehr, eine altengerechte Wohnungsplanung und die Erreichbarkeit von Supermärkten, Arztpraxen und Apotheken.
Auch selbstorganisierte Senioren-WGs oder ambulant betreute Wohngemeinschaften, Quartiers- und Generationenhäuser oder Tagespflegen müssen weiter ausgebaut und gefördert werden, weil sie dem Wunsch der Menschen, solange wie möglich im eigenen Wohnumfeld leben zu können, entsprechen.
Aber auch der Aus- und Umbau stationärer Pflegeeinrichtungen ist von Städten und Gemeinden aktiv zu unterstützen, denn eine Zunahme des Anteils älterer Menschen in unserem Land bedeutet auch, dass der Anteil an pflegebedürftigen Menschen steigt und viele von ihnen werden auch in Zukunft auf vollstationäre Pflege in Einrichtungen angewiesen sein.
Das Land hat dabei die Aufgabe, den pflegepolitischen Rahmen zum Ausbau der Pflegeinfrastruktur abzustecken und über eine verbindliche Planung auf kommunaler Ebene umzusetzen. Dabei muss eine bedarfsorientierte Versorgung älterer Menschen auch in strukturschwachen und ländlichen Regionen gesichert sein.
Um das Leben in unserer Gesellschaft auch zukünftig altersgerecht zu gestalten, müssen kleinräumige, professionelle Angebote ausgebaut und die gelebte Solidarität im Sozialraum gefördert werden. Dazu bedarf es einer aktiven Sozialpolitik, einer steuernden Altenhilfeplanung und einer Wiederbelebung der kommunalen Daseinssorge. Denn die Koordinierung der örtlichen Akteure, wie Kostenträger, Leistungserbringer, Dienstleistungs- und Beratungsunternehmen oder bürgerschaftlich engagierte Gruppen, erfordert wegen des örtlichen Bezuges zwingend eine kommunale Federführung.
Die Kommunen müssen deshalb gesetzlich dazu verpflichtet werden, die Pflegeinfrastruktur sicherzustellen. Sie müssen ihre Verantwortung im Bereich der Altenhilfe ebenso ernst nehmen wie zum Beispiel die Kinderbetreuung. Selbstverständlich müssen sie dafür vom Bund auskömmlich finanziell ausgestattet werden.
Dabei muss das Rad nicht neu erfunden werden, denn es gibt bereits eine bestehende Pflegeinfrastruktur, die es zu nutzen gilt. Die Einrichtungen und Dienste der Diakonie verstehen sich schon heute als Pflegewohnhäuser, Quartiershäuser oder Generationenhäuser mit stationären und ambulanten Dienstleistungen sowie altengerechten Wohnungen oder Hausgemeinschaften. Sie wollen sich ohne bürokratische Hemmnisse in ihrem städtischen Quartier oder der dörflichen Gemeinschaft als Zentren der vernetzten Versorgung vor Ort weiter etablieren und darüber hinaus auch andere soziale oder kulturelle Angebote wie Kindertageseinrichtungen, Vereins- oder Initiativräume, Gewerberäume oder Praxen für Ärzte und Therapeuten einschließen.
Die diakonische Altenhilfe versteht sich als Bindeglied im Quartier und hat dazu bereits viele Projekte initiiert. Beispielhaft seien hier das Unterstützungsnetzwerk "Gemeinsam in Steinheim - GeiSt" oder das Projekt "WohnQuartier4" in Nordrhein-Westfalen genannt. Bund, Länder und Kommunen sind nun gefordert, endlich weg von der befristeten Projektförderung, hin zu einem flächendeckenden Ausbau mit einer Regelfinanzierung zu kommen.
Die demografische Entwicklung und der fortschreitende Strukturwandel werden unsere Gesellschaft spürbar verändern und der Druck auf die gewachsenen politischen und sozialen Strukturen steigt. Aber der demografische Wandel ist auch eine große Chance. Für eine sozial gerechtere Politik, für das Aufbrechen antiquierter Rollen- und Altersbilder, für die Renaissance einer Kultur gegenseitiger Verantwortung sowie einer Kultur des Willkommens für Menschen, die gerne in unserem Land leben und arbeiten wollen.
Bremerhaven, Hamburg (epd). Die Gesundheitsethikerin und evangelische Theologin Ruth Albrecht fordert einen Ausbau der Palliativmedizin besonders im ländlichen Raum. "Hier muss die Palliativmedizin massiv gestärkt werden - das kann sterbenskranken Menschen Ängste nehmen", sagte Albrecht dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Der Bundestag hatte im November beschlossen, mehr Geld für die Hospizversorgung und die Palliativmedizin auszugeben. Mit einem entsprechenden Gesetz sollen jährlich rund 200 Millionen Euro zusätzlich in die Finanzierung der mehr als 200 Hospize, rund 1.500 ambulanten Hospizdienste und der Palliativstationen in Deutschland fließen. Das sei wichtig, denn tragende familiäre Strukturen in der Begleitung Sterbender seien weggebrochen, sagte die Leiterin der Hamburger Arbeitsstelle Ethik im Gesundheitswesen. "Hier ist der Ausbau besonders der spezialisierten Palliativversorgung eine große Chance." Mit ihr stelle sich die Frage nach Sterbehilfe oft nicht mehr.
Die Hospiz- und Palliativversorgung konzentriert sich Albrecht zufolge auf Menschen kurz vor ihrem Tod: "Durch Pflege, Schmerztherapie und menschliche Begleitung können ihre Schmerzen und Ängste gelindert werden." In Deutschland sterben jedes Jahr zwischen 850.000 und 900.000 Menschen - jeder Zweite in einem Krankenhaus. 40 Prozent sterben in Pflegeheimen, obwohl drei Viertel gern zu Hause bleiben würden. Aktuellen Studien zufolge erhalten nur 30 Prozent der Sterbenden eine palliative Versorgung.
"Da müssen wir besser werden - auch, was die Bekanntheit einer palliativen Versorgung angeht", betonte Albrecht, die lange als Krankenhaus-Seelsorgerin in Hamburg gearbeitet hat. "Vielen Menschen ist der Segen der Palliativmedizin noch nicht deutlich vor Augen." Unerträgliche Schmerzen und Einsamkeit in der letzten Lebensphase müssten in einem gut ausgebauten palliativen Netzwerk nicht sein.
Weil aber familiäre Strukturen und auch christliche Traditionen wie das Aufbahren in den eigenen vier Wänden nicht mehr selbstverständlich seien, werde das Gespräch beispielsweise im Kreis der Angehörigen über Ängste und Hoffnungen am Lebensende immer wichtiger. "Zuhören, nachfragen - das ist zentral, denn das Sterben ist immer individuell", betonte Albrecht. In diesem Zusammenhang erinnerte sie an die "Drei goldenen Regeln für Entscheidungen am Lebensende" des führenden Schweizer Palliativmediziners Gian Domenico Borasio: "Erstens reden, zweitens reden, drittens reden."
Dortmund (epd). "Ich weiß, wo du bist, und ich kriege dich": Drohungen, sexuelle Bloßstellungen und Verfolgung im Internet sind für Frauenhäuser zum Dauerproblem geworden. "Die Gewalt geht für viele Frauen auch nach der Flucht ins Frauenhaus im Netz weiter", sagt Marion Steffens von der Landesarbeitsgemeinschaft der Autonomen Frauenhäuser in Nordrhein-Westfalen.
Sie kommt über WhatsApp, per Mail, in sozialen Medien wie Facebook, Instagram oder Snapchat auch in die geschützten Räume der Frauenhäuser, in die jedes Jahr zwischen 15.000 und 17.000 Frauen in Deutschland vor ihren gewalttätigen Männern flüchten, häufig mit ihren Kindern. Und: Über die Smartphones der Frauen und ihre Aktivitäten in sozialen Medien kann der Standort des Zufluchtsortes gefunden werden - und die Frauen auch in der realen Welt massiv in Gefahr bringen.
"Die Anforderungen an die Arbeit der Frauenhäuser hat sich durch die Online-Mediennutzung unserer Bewohnerinnen stark verändert", sagt Steffens. Gleichzeitig sei eine neue Gewaltkultur im Netz entstanden, in der enthemmt beschimpft, bedroht und gemobbt werde - öffentlich sichtbar und dauerhaft dokumentiert.
Die in der Frauenhauskonferenz NRW vernetzten Frauenhäuser verschiedener Träger wollen sich deshalb verstärkt mit dem Thema Cybergewalt beschäftigen und vor allem an Schutzstrategien arbeiten - und deutschlandweit darauf aufmerksam machen. Denn es fehle vielen Kolleginnen an Fachwissen und entsprechenden Fortbildungen zu Datenschutz und rechtlichen Möglichkeiten, kritisierten Mitarbeiterinnen jüngst auf einer Fachtagung der Frauenhauskonferenz NRW in Dortmund.
Frauen und Mädchen sind besonders stark von Gewalt im Internet betroffen: 73 Prozent aller Internetnutzerinnen machen Erfahrungen mit Cybergewalt - werden sexuell beleidigt, bedroht, gemobbt oder gestalkt. Das ergab 2015 eine großangelegte Studie der UN, andere Untersuchungen kommen zu ähnlichen Ergebnissen.
"Cybergewalt ist eine enorme Bedrohung für die Gesundheit der Betroffenen", sagt Marion Steffens. Gerüchte, Nacktbilder oder Beleidigungen verbreiten sich für sie unkontrollierbar weiter, zerstören den Ruf, schließen sie aus Freundeskreisen aus. "Das kann genauso zu Angstzuständen, Depressionen und Traumatisierungen führen wie physische Gewalt", sagt Steffens, die selbst im Frauenhaus Ennepe-Ruhr-Kreis arbeitet. "Das Netz bietet den gewalttätigen Partnern weitere Möglichkeiten, die ins Frauenhaus geflüchteten Frauen unter Druck zu setzen und die Kontrolle über sie aufrecht zu halten."
Denn die Frauen nutzen soziale Netzwerke oder Messenger-Dienste wie WhatsApp, um mit Familie und Freunden in Kontakt zu bleiben oder auch, um sich neue Kontakte aufzubauen. "Es ist ihnen und auch ihren jugendlichen Kindern oft extrem wichtig, weiter im Netz sein zu können", sagt Stefanie Nowak vom Frauenhaus Lippe. "Es ist ja auch schon so viel in ihrem Leben zusammengebrochen."
Über Ortungsfunktionen im Handy, auf die viele Apps automatisch zugreifen, aber auch über geknackte Passwörter der Smartphone-Accounts können die verlassenen Männer ihre Opfer aber aufspüren - auch, wenn sie die Telefonnummer wechseln, warnt Meike Adam von der Kölner Social-Media-Agentur MerkWert, die soziale Einrichtungen zum Datenschutz berät. Passwörter wechseln, Handyeinstellungen genau überprüfen - und auf jeden Fall die Ortung ausschalten, rät Adam. "Medienkompetenz ist zentral für die Frauenhausarbeit geworden."
Ums Unsichtbarwerden von Frauen im Netz darf es dabei aber nicht gehen, findet Frauenhaus-Aktivistin Marion Steffens. Im Gegenteil: "Wir brauchen eine digitale Gegenbewegung", sagt Steffens. "Die Diskussion nach den Kölner Gewaltvorfällen zeigt, wie schnell Debatten im Netz umschlagen und wie sie jetzt aggressiv zur Stimmungsmache gegen Flüchtlinge genutzt werden statt zu einer Auseinandersetzung mit Sexismus." Die Stimme der Frauenhausbewegung sei in der Debatte kaum zu hören gewesen, weil es kaum Internetpräsenz gibt. "Zum Sexismus dieser Gesellschaft - im Netz und außerhalb - müssen wir aber unsere Stimme erheben und eigene Themen stark machen."
München (epd). Zwei Glastüren trennen die Rezeption von der Straße. Jugendliche Flüchtlinge und Studenten, mal mit Skateboard unter dem Arm und großen runden Kopfhörern, mal mit Rucksack über der Schulter schlendern vorbei. Immer geht ein "Hallo" in Richtung Tresen, oft werden ein paar Worte mit dem Studenten gewechselt, der gerade Dienst an der Pforte hat. Alltag und doch etwas Besonderes: In der Münchner Kistlerhofstraße leben Studenten und unbegleitete minderjährige Flüchtlinge zusammen. Und es funktioniert.
Ins Leben gerufen wurde das integrative Wohnprojekt von Condrobs e.V., einem überkonfessionellen Träger für soziale Hilfsangebote in Bayern. Im Herbst zogen die ersten Bewohner in das frisch renovierte ehemalige Bürogebäude ein. Mittlerweile leben 45 Jugendliche und um die 40 Studenten in dem Haus.
Im Treppenhaus duftet es nach Essen, die Wände sind weiß mit neongrünen Wellen: Hier wohnen die Studenten Malte Satow (19) und Nils Helbig-Schild (22). Der 19-jährige Abdishaxx Ahmed aus Somalia, von allen Abdi genannt, hat sein Zimmer im Flur gegenüber. Verschiedene Flure für Jugendliche und Studenten, das sehen die Vorschriften der Jugendhilfe vor. Aber trotzdem gibt es viel Platz für Gemeinsamkeit.
Man trifft sich in den Aufenthaltsräumen. Dort gibt es alles, was eine Küche so braucht, außerdem eine Sofaecke und einen Kickertisch. Studenten und Jugendliche kochen zusammen, lesen Zeitung, kickern oder quatschen einfach nur.
Manche der Studenten haben sich bewusst für das integrative Wohnprojekt entschieden, andere sind per Zufall in der Kistlerhofstraße gelandet, weil sie ein Zimmer brauchten. "Als ich eingezogen bin, habe ich erst gar nicht erwartet, dass es mir hier so gut gefällt", erzählt Malte Satow: "Das Schöne ist vor allem die Gemeinschaft. Wenn man abends nach Hause kommt, ist immer was los."
Projektleiterin ist die Sozialpädagogin Melanie Contu. Für die Aufnahme gebe es bestimmte Auswahlkriterien für Studierende und Jugendliche, erklärt sie. Man wolle eine größtmögliche Vielfalt an Fachrichtungen. Vorteilhaft sei es außerdem, wenn die Studenten schon mal in der Jugendarbeit aktiv gewesen seien oder sich sozial engagiert hätten. Malte Satow etwa hat nach dem Abitur ein Jahr in Peru in einer Grundschule gearbeitet.
"Deutsch ist eine wesentliche Voraussetzung für die Aufnahme im Wohnheim", sagt Contu. "Dies gilt auch für die Studierenden, die ebenfalls von überall her kommen." Das Wohnprojekt will die jugendlichen Flüchtlinge auf ihrem Weg in die Selbstständigkeit unterstützen und dafür müssen sie zumindest ein bisschen Deutsch sprechen. Abdi kann das bestätigen. "In meinem alten Wohnheim habe ich mich immer auf somalisch unterhalten, hier spreche ich nur Deutsch."
Die unbegleiteten Flüchtlinge kommen aus Afghanistan, Syrien, Somalia und anderen Krisengebieten. Sie sind zwischen 16 und 21 Jahre alt und müssen sehr eigenständig sein, um in der Kistlerhofstraße leben zu können. Das Jugendamt vermittelt sie an das Wohnprojekt. Sie machen eine Ausbildung oder gehen in die Schule. Hat einer der Jugendlichen Probleme in der Schule, kann er die Studenten um Nachhilfe bitten, sie wird durch das Projekt finanziert.
Abdi macht seinen Hauptschulabschluss mit Qualifikation und möchte danach eine Ausbildung zum Fachinformatiker beginnen. Jeden Morgen geht er um halb neun aus dem Haus, da liegen viele Studenten noch gemütlich im Bett. Und das alles ohne Gewissheit über seine Zukunft: "Ich muss meine Zeit nutzen, solange ich in München bin", sagt Abdischaxx Ahmed.
Das Geben und Nehmen funktioniert in beide Richtungen. Malte Satow, der aus seiner Heimat Köln nach München gezogen ist, erzählt, dass er durch das Leben im Wohnheim sehr schnell Anschluss und Freunde gefunden hat. Oft wissen die jugendlichen Flüchtlinge, die schon länger in München leben, besser Bescheid, wo man gut feiern kann. Sie bringen den Studenten ihre Sprache bei und kochen Gerichte aus ihrer Heimat.
Und natürlich bekommen die Studenten viele persönliche Einblicke in die Geschichte ihrer Mitbewohner. "Was in den Nachrichten kommt, unterscheidet sich sehr von dem, was die Jugendlichen berichten", sagt Maschinenbaustudent Nils Helbig-Schild. Sonntagabends schauen oft alle zusammen die "Tagesthemen". Manchmal berichten die Jugendlichen dann, was sie auf ihrer Flucht und ihrer Heimat erlebt haben und wie die Zustände in ihrer Heimat sind.
Nils Helbig-Schild, Abdischaxx Ahmed und Malte Satow sind froh, dass sie in dem Wohnprojekt gelandet sind. Für Nils Helbig-Schild hat das Leben im Wohnheim etwas von einer großen Familie. "Man bekommt hier immer etwas Neues mit", sagt er. Und wenn man was unternehmen will, verabredet man sich dafür einfach an der Pforte, wo auch sonst.
Berlin (epd). Die Stiftungen in Deutschland können nach Einschätzung ihres Bundesverbandes einen wichtigen Beitrag zur Integration von Flüchtlingen leisten. 350 Stiftungen aller Rechtsformen hätten die Unterstützung von Schutzsuchenden ausdrücklich in ihrer Satzung festgeschrieben, sagte die stellvertretende Generalsekretärin des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen, Birgit Radow, am 23. Februar in Berlin. Bei 590 Einrichtungen seien die Themen Integration und Migration als Satzungszweck aufgeführt.
Die Zahl der Stiftungen, die sich in der Flüchtlingshilfe engagierten, liege tatsächlich viel höher, sagte Radow. Viele weiteten ihre bereits bestehenden Aktivitäten in den Bereichen Bildung, Sport oder Gesundheit auf Menschen aus, die nach Deutschland geflüchtet seien. Auch werde zunehmend mit der Anschaffung von Spielzeug, Lehrmaterialien oder der Kostenübernahme für Sprachkurse geholfen. Einige neu gegründete Stiftungen nähmen zudem den gesellschaftlichen Zusammenhalt besonders in den Blick.
Im vergangenen Jahr wurden dem Bundesverband zufolge insgesamt 21.301 Stiftungen gezählt. Das seien 583 Stiftungen mehr als 2014. Die Wachstumsquote liege deutschlandweit bei 2,5 Prozent. In Thüringen (5,8 Prozent) und Sachsen (4,5 Prozent) habe die Quote deutlich höher gelegen.
In absoluten Zahlen gebe es in den östlichen Bundesländern aber weiterhin vergleichsweise wenig Stiftungen. Dies liege in der Geschichte begründet, da sich das zivilgesellschaftliche Engagement erst nach dem Fall der Mauer habe entfalten können, sagte der Vorstandsvorsitzende des Bundesverbandes, Michael Göring. Auf 100.000 Einwohner gerechnet kämen in Thüringen 14, in Sachsen 13 Stiftungen und in Brandenburg acht Stiftungen. Demgegenüber stünden im Westen die meisten Stiftungen in Hamburg (78).
Im vergangenen Jahr mussten deutschlandweit 61 Stiftungen ihre Arbeit einstellen. Die Gründe dafür seien verschieden, sagte Göring. Möglicherweise sei der ursprüngliche Zweck erfüllt worden oder die Kapitalausstattung sei zu gering gewesen.
Der Bundesverband Deutscher Stiftungen sieht auch im laufenden Jahr das niedrige Zinsniveau als eine große Herausforderung, besonders für kleinere Stiftungen. Viele Stiftungen versuchten, den gesunkenen Zinserträgen mit "kreativen Fundraising-Ideen" zu begegnen, sagte Radow. Es werde aber bei kleinen wie großen Einrichtungen zunehmend auch über besondere Anlageformen, wie Mission Investing, also zweckorientierten Vermögensanlagen, nachgedacht. Trotz der finanziell schwierigen Situation planten nur wenigen Stiftungen, ihre Ausgaben zu senken, sagte Radow.
Rendsburg (epd). Der Verband Evangelischer Kindertageseinrichtungen (VEK) in Schleswig-Holsteins hat den in einigen Regionen praktizierten Verzicht auf Schweinefleisch in Kindergärten gegen Kritik verteidigt. "Es geht doch darum, den Kindern in den Kindertageseinrichtungen ein ausgewogenes Ernährungsangebot zu machen, und dazu gehört ab und zu auch Fleisch. Aber wenn es muslimische Kinder in der Kita gibt, dann kann man ihnen kein Schweinefleisch anbieten", sagte VEK-Geschäftsführer Markus Potten am 22. Februar in Rendsburg dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Anlass ist ein Bericht in den Zeitungen des Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlages (shz) über den Verzicht. Dies stößt auf Kritik. So verwies der CDU-Landtagsabgeordnete Hans-Jörn Arp darauf, dass "Schweinefleisch zu unserem Kulturkreis gehört". Der FDP-Landtagsabgeordnete Ekkehard Klug argumentierte ähnlich: "Wir dürfen nicht zulassen, dass eine Minderheit der Mehrheit vorschreibt, was gegessen wird."
VEK-Geschäftsführer Potten sieht das anders: "Wir stellen mit Befremden fest, dass die Ernährungsfrage in den Kitas jetzt dazu herangezogen wird, um Schweinefleischessen als Synonym für deutsches Kulturgut zu propagieren." Gerade jetzt, wo Kinder mit Fluchterfahrung in die Kitas kommen, müsse "ein eher differenziertes Speisenangebot" gemacht werden. Es gehe nicht nur um Schweinefleisch, sagte Potten und verwies auf Allergien. "Niemand würde doch auf die Idee kommen, einem Kind mit Lactose-Allergie Milch aufzuzwingen, weil Milch und Käse zur deutschen Esskultur gehören."
Die evangelische Kirche und ihre Diakonie sind in Schleswig-Holstein mit 32.000 Plätzen in 600 Kindertageseinrichtungen die größten Anbieter. Im VEK sind die Träger der evangelischen Kindertageseinrichtungen zusammengeschlossen.
Bremen, Hannover (epd). Mag sein, dass die Kälte draußen die Stimmung im Plenum zusätzlich anheizt. Jedenfalls haben viele Engagierte des Bremer Aktionsbündnisses "Menschenrecht auf Wohnen" an diesem Winterabend mächtig Wut im Bauch. "Ach was, Regierung. Wir müssen selbst was machen", ärgert sich Pete Ording, der auf eigene Faust Hilfen für Obdachlose organisiert. "Wo bleiben denn die versprochenen Wohnungen?", setzt er nach und schimpft wieder: "Wer Not hat, dem muss doch geholfen werden."
Und die Not ist groß. "In Bremen fehlen trotz der Anstrengungen des Senats und eines extra aufgelegten Bauprogramms tausendfach bezahlbare Wohnungen", bilanziert Joachim Barloschky, Sprecher des Aktionsbündnisses. Die Folge: Seit Jahren konkurrieren Studenten, Hartz-IV-Bezieher, Menschen mit kleiner Rente, Alleinerziehende und nicht zuletzt Obdachlose um ein bezahlbares Dach über dem Kopf. Und seit Monaten kommen mehr Flüchtlinge hinzu.
Die Schlangen bei Wohnungsbesichtigungen sind lang, der Markt zum Zerreißen gespannt. Der Unmut darüber wächst - nicht nur in Bremen. Wie in der Hansestadt haben sich vielerorts Initiativen gegründet, um gegen Wohnungsnot und explodierende Mieten anzugehen: "Kotti & Co" am Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg, das Münchner "Bündnis für bezahlbares Wohnen" und das "Mieterforum Ruhr" sind weitere Beispiele einer wachsenden Bewegung.
"Bund und Länder haben den sozialen Wohnungsbau in den 1980er Jahren weitgehend aufgegeben, städtische Wohnungsbaugesellschaften wurden verkauft", kritisiert Ökonom Matthias Günther vom Pestel-Institut für Systemforschung in Hannover. Zwar seien in den zurückliegenden zehn Jahren jährlich zwischen 10.000 und 12.000 Wohnungen entstanden. Gleichzeitig seien aber jährlich etwa 60.000 bis 80.000 Wohnungen aus der Sozialbindung gefallen.
So reduziert sich trotz neuer Bauprogramme immer noch die Zahl der verfügbaren Sozialwohnungen. Um wenigstens den aktuellen Bestand zu halten - laut Günther sind das 1,6 Millionen - müssten nach seinen Berechnungen jährlich mindestens 130.000 neue Wohneinheiten errichtet werden.
Die Not wird von oben nach unten durchgereicht. Wer sich seine teure Wohnung nicht mehr leisten könne, suche sich eine preiswertere, sagt Bertold Reetz von der diakonischen Wohnungslosenhilfe in Bremen. "Das ist wie eine Kaskade. Unten fallen dann die Schwächsten raus."
Und die Schwächsten, das sind die Wohnungslosen und diejenigen, die von Wohnungslosigkeit bedroht sind. Laut Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW) steigt ihre Zahl. 2014 hat der Verband rund 335.000 Wohnungslose gezählt, ein Anstieg um 18 Prozent seit 2012. Die Schätzungen beruhen auf regelmäßigen Umfragen der Bundesarbeitsgemeinschaft in den Kommunen. Bundesweite Statistiken gibt es nicht.
Bis 2018 müsse mit einem weiteren Zuwachs um 200.000 Wohnungslose auf dann rund 536.000 gerechnet werden, lautet die Prognose von BAGW-Geschäftsführer Thomas Specht. Das wäre eine Steigerung um etwa 60 Prozent. Die Gründe sind seiner Analyse zufolge klar: Der weiter schrumpfende Bestand an Sozialwohnungen und zu wenige bezahlbare Ein- bis Dreizimmerwohnungen. Aktuell fehlten in Deutschland mindestens 2,7 Millionen Kleinwohnungen, sagt Specht.
In den 1990er Jahren waren Politiker fest überzeugt, dass aufgrund einer älter werdenden und schrumpfenden Gesellschaft nicht mehr so viele Wohnungen gebraucht werden. Nun ist das Gegenteil der Fall. "Dabei spielt die wachsende Zuwanderung von EU-Bürgern und Asylbewerbern zwar eine Rolle als Katalysator", sagt Specht. "Die wesentlichen Ursachen liegen jedoch in der seit Jahrzehnten verfehlten Wohnungspolitik in Deutschland, in Verbindung mit einer unzureichenden Armutsbekämpfung."
Experten wie der Bremer Sozialwissenschaftler Volker Busch-Geertsema schlagen deshalb spezielle Projekte für Wohnungslose vor. Denn für diese Gruppe "regelt der Markt gar nichts", sagt Busch-Geertsema. Als positives Beispiel nennt er die Y-Stiftung in Finnland, die fast 7.000 Eigentumswohnungen gekauft hat, um Wohnungslose und Flüchtlinge versorgen zu können.
Bertold Reetz von der diakonischen Wohnungslosenhilfe rät, noch früher anzusetzen und schon bei einem drohenden Wohnungsverlust tätig zu werden, etwa bei Mietrückständen. Denn: "Die Rückstände zu übernehmen, ist immer billiger, als jemanden in die Wohnungslosigkeit zu schicken."
Busch-Geertsema sieht auch in den belgischen "Social Rental Agencies" ein erfolgreiches Modell zur Bekämpfung von Wohnungslosigkeit. Die Agenturen mieten zumeist von Privaten ganze Objekte an, garantieren die Einnahmen und geben die Wohnungen dann an besonders bedürftige Haushalte weiter. Begleitend schnüren sie ein "Rundum-sorglos-Paket" mit Nebenkostenabrechnungen, Renovierungen, Versicherungen und, wenn nötig, auch mit wohnbegleitenden Hilfen.
Pete Ording geht das alles nicht schnell genug. Im Bremer Aktionsbündnis "Menschenrecht auf Wohnen" wirbt er dafür, leerstehende Gebäude für Obdachlose zu öffnen. Der bundesweite Leerstandsmelder im Internet bilanziert allein in Bremen 763 Einträge, im benachbarten Hamburg sogar 984. In einigen Städten wie Stuttgart oder Freiburg kann bereits ein Bußgeld verhängt werden, wenn Hausbesitzer Wohnungen grundlos leerstehen lassen.
Zur Not sollten die Sozialbehörden benötigte Wohnungen beschlagnahmen, verlangt Ording. "Nur müssen wir endlich weiterkommen im Kampf gegen die Wohnungsnot. Nicht nur klug quatschen."
Karlsruhe (epd). Die sechs Beschwerdeführer hatten gerügt, dass der Staat nichts gegen Pflegemängel unternehme und er damit seine Schutzpflichten verletze. Sie befürchten, dass sie im Falle einer Heimunterbringung von "gravierenden Versorgungsmängeln" betroffen wären. Die Beschwerdeführer verlangten, dass das oberste Gericht den Gesetzgeber verpflichtet, Pflegeheimbewohner besser zu schützen und die Heimsituation kontinuierlich zu überprüfen. Nur so könne die Würde und Unversehrtheit der Bewohner sichergestellt werden.
Das Bundesverfassungsgericht lehnte die Beschwerden als unzulässig ab. Weder hätten die Beschwerdeführer ausgeführt, wieso die landes- und bundesrechtlichen Vorschriften zur Qualitätssicherung in Heimen unzureichend seien, noch sei dargelegt worden, wie sich die Pflegesituation durch staatliche Maßnahmen nachweislich verbessern lasse.
Letztlich gehöre es zum "Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers", welche Schutzmaßnahmen er für Pflegeheime veranlasst. Nur im Ausnahmefall könne das Bundesverfassungsgericht einschreiten, "wenn der Gesetzgeber seine Pflicht evident verletzt hat". Das sei hier aber nicht der Fall.
VdK-Präsidentin Ulrike Mascher bedauerte die Entscheidung. Die Mängel und der Notstand in Pflegeheimen seien hinreichend belegt. "Die gesetzgeberischen Maßnahmen auf Bundes- und Landesebene haben für viele Heimbewohner die Not nicht wirklich verbessern können", sagte sie. Das Bundesverfassungsgericht vermeide die dringend notwendige Auseinandersetzung mit der "defizitären Menschenrechtssituation" in Pflegeheimen.
Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, sagte, der Rechtsschutz durch die Fachgerichte, den Karlsruhe empfehle, "klingt für Pflegebedürftige wie ein Hohn". Es sei kalte Juristerei, den Menschen erst in der Pflegefalle für seine Grundrechte streiten zu lassen.
Bereits im Dezember 2015 hatte das Bundesverfassungsgericht aus ähnlichen Gründen die Verfassungsbeschwerde eines Augsburger Pflegeheimleiters als unzulässig nicht zur Entscheidung angenommen (Az.: 1 BvR 2668/14).
AZ: 1 BvR 2980/14
Kassel (epd). Nicht nur Pflegebedürftige in ambulant betreuten Wohngruppen können den gesetzlichen pauschalen "Wohngruppen"-Zuschlag beanspruchen. Auch bei der Pflege mehrerer Personen in einer Großfamilie ist dies nicht ausgeschlossen, urteilte das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel am 18. Februar. Allerdings ist der Zuschlag nur für zusätzliche Aufwendungen für die Organisierung des gemeinsamen Wohnens gedacht. Er soll nicht für die Aufstockung von Pflege oder rein familiären Leistungen dienen.
Nach den gesetzlichen Bestimmungen können Pflegebedürftige in ambulant betreuten Wohngruppen "zum Zweck der gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung" monatlich einen pauschalen Zuschlag in Höhe von 205 Euro beanspruchen. In der Wohnform sollen mindestens drei und höchstens zwölf Menschen leben. Drei von ihnen müssen pflegebedürftig sein.
Im jetzt entschiedenen Fall hatte eine 1927 geborene pflegebedürftige Frau den Zuschlag von der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See beansprucht. Sie lebe in ihrer Großfamilie in einem "Mehrgenerationenhaus" mit abgeschlossenen Wohneinheiten auf einem landwirtschaftlichen Hof, machte sie geltend. Ihre Schwiegertochter übernehme die Pflege für sie, ihren Mann und ihren behinderten Sohn.
Doch der Antrag wurde abgelehnt. Mit dem Zuschlag wolle der Gesetzgeber die häusliche Pflege in neuen Wohnformen fördern, nicht aber Leistungen der familiären Pflege aufstocken. Der Zuschlag sei zur Finanzierung einer "Präsenz- oder Koordinierungskraft" gedacht, die das gemeinschaftliche Zusammenleben über der Pflege hinaus organisiert.
Das BSG urteilte, dass Familienverbände nicht generell von dem Zuschlag ausgeschlossen sind, so dass auch keine verfassungswidrige Benachteiligung von Familien bestehe. Mit dem Geld solle aber nicht die häusliche Pflege aufgestockt werden. Die Mitglieder der Wohngruppe sollen vielmehr die Möglichkeit haben, gemeinsam eine Person zu beauftragen, die das Zusammenleben organisiert.
Dabei müsse deren Aufgabe deutlich von der individuellen Pflege und den familiären Verpflichtungen abgegrenzt werden. Im vorliegenden Fall sei dies nicht geschehen, so dass kein Anspruch auf den Wohngruppenzuschlag besteht.
Az.: B 3 P 5/14 R
Kassel (epd). Auch pflegende Angehörige müssen einmal Urlaub machen. Ist die Pflege eines minderjährigen Kindes nur Zuhause möglich, können sie von der Pflegekasse zwar Hilfen für eine sogenannte ambulante Verhinderungspflege beanspruchen, urteilte das Bundessozialgericht (BSG) am 18. Februar in Kassel. Zusätzliche Leistungen für stationäre Kurzzeitpflege seien allerdings nicht vorgesehen.
Nach den gesetzlichen Bestimmungen sollen pflegende Angehörige eine Auszeit und Urlaub nehmen können. Damit die Pflege in dieser Zeit - maximal acht Wochen pro Jahr - weiter gewährleistet wird, übernimmt die Pflegekasse die Aufwendungen für Pflege, soziale Betreuung und medizinische Behandlungspflege.
Dabei steht ihnen jährlich bis zu 1.612 Euro für eine stationäre Kurzzeitpflege zu, beispielsweise in einem Pflegeheim. Für eine Pflege Zuhause, der sogenannten ambulanten Verhinderungspflege, können weitere 1.612 Euro beansprucht werden. Entsprechende Nachweise über angefallene Aufwendungen müssten dann vorgelegt werden.
Im jetzt entschiedenen Fall hatte die Mutter eines schwerst behinderten Kindes im November 2011 bei der Pflegekasse der Barmer GEK beantragt, dass sie für die Pflege ihres Kindes Zuhause zusätzlich zu ambulanten Verhinderungspflege auch die Leistungen der stationären Kurzzeitpflege erhält, insgesamt also bis zu 3.224 Euro.
Ihr autistisches Kind mit Down-Syndrom könne nicht kurzzeitig in einer Einrichtung untergebracht werden. Eine Pflege sei nur Zuhause möglich. Zwei Versuche einer stationären Unterbringung seien gescheitert. Der heute 13-Jährige habe sich selbst verletzt und kaum geschlafen. Die vollen Leistungen, die sie bei einer stationären Kurzzeitpflege erhalten hätte, müssten ihr daher zusätzlich zu den Leistungen der ambulanten Verhinderungspflege gezahlt werden.
Dem widersprach jedoch das BSG. Der Gesetzgeber habe mit der Schaffung der Pflegeversicherung nicht versprochen, jedwede Hilfe zu gewährleisten. Bis Ende 2014 konnten Ansprüche der stationären Kurzzeitpflege gar nicht für die Pflege im häuslichen Bereich übertragen werden. Seit 2015 sei dies nur zu 50 Prozent möglich. Der Gesetzgeber habe hier seinen Gestaltungsspielraum, inwieweit Leistungen gewährt werden, nicht überschritten, so das BSG. Die Vorschriften seien auch mit dem Grundgesetz vereinbar.
AZ: B 3 P 2/14 R
Kassel (epd). Können Eltern wegen eines sterbenskranken Kindes nicht arbeiten gehen, haben sie grundsätzlich unbefristet Anspruch auf Krankengeld. Das gelte selbst dann, wenn ein Elternteil zusätzlich noch wegen der Geburt eines weiteren Kindes in Elternzeit geht und Elterngeld bekommt, urteilte das Bundessozialgericht am 18. Februar in Kassel.
Grundsätzlich können Arbeitnehmer bei einem erkrankten Kind unter zwölf Jahren bis zu zehn Tage im Jahr zu Hause bleiben und es betreuen. Bei Alleinerziehenden sind es 20 Tage im Jahr. Die gesetzlichen Bestimmungen sehen aber auch Ausnahmen vor. So besteht über diese Fristen hinaus ein Anspruch, wenn das Kind eine schwere unheilbare Krankheit hat und wohl nur noch Wochen oder Monate zu leben hat.
Im konkreten Fall hatte eine Mutter aus Berlin geklagt, deren Sohn an der Stoffwechselerkrankung Adrenoleukodystrophie (ALD) litt. Das Kind starb elfjährig im August 2012. Die Erkrankung, die von der Mutter auf den Sohn vererbt wird, geht mit einem neurologischen Verfall und Demenz im Endstadium einher.
Die Mutter, eine angestellte Arzthelferin, konnte wegen der Betreuung ihres sterbenskranken Sohnes nicht mehr arbeiten gehen. Sie erhielt daher rund 700 Tage lang Krankengeld. Als die Frau ein weiteres Kind bekam und Elterngeld erhielt, wollte die Krankenkasse kein Krankengeld mehr zahlen.
Das Bundessozialgericht urteilte, dass nach dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Bestimmungen die Klägerin auch während ihrer Elternzeit das Krankengeld beanspruchen könne. Der Anspruch auf Kinderkrankengeld sei auch "grundsätzlich unbefristet", wenn die ärztlichen Prognosen über die Lebensdauer des Kindes nicht zutreffen. Mittlerweile arbeitet die Mutter wieder bei ihrem Arbeitgeber, einem niedergelassenen Arzt.
AZ: B 3 KR 10/15 R
Karlsruhe (epd). Eltern können nicht jederzeit und ohne Einhaltung von Fristen einen Kita-Vertrag kündigen, nur weil das Kind sich in der Betreuung nicht wohlfühlt. Die Betreiber einer Kindertagesstätte dürften im Betreuungsvertrag eine Kündigungsfrist von zwei Kalendermonaten bindend festlegen, urteilte am 18. Februar der Bundesgerichtshof in Karlsruhe. Grenzen setzten die Richter allerdings bei den Kautionszahlungen, die Eltern zu entrichten haben. 1.000 Euro seien zu viel und benachteiligten die Eltern unangemessen.
Konkret ging es um Münchner Eltern, die ihren 16 Monate alten Sohn Anfang September 2013 erstmals in eine Tagesstätte brachten. Die Einrichtung betreute das Kind und kam für die Verpflegung auf. Die Eltern zahlten eine Kaution in Höhe von 1.000 Euro. Allerdings gewöhnte sich das Kind in der Kita nicht ein. Nach zehn Tagen erklärte der Vater, dass sein Sohn nicht mehr komme, und forderte die Kautionszahlung zurück.
Doch der Kita-Betreiber machte eine Gegenrechnung auf. Die Eltern müssten die Kündigungsfrist bis zum 30. November 2013 einhalten. Bis dahin sei auch die Betreuungsvergütung zuzüglich Verpflegungs- und Pflegemittelpauschale zu entrichten - für die Monate September bis November 2013 insgesamt 1.590 Euro. Zudem müssten die Eltern weitere 2.495 Euro bezahlen. Da das Kind die Kita nicht mehr besuche und der Platz auch nicht mehr besetzt werden konnte, habe man auf staatliche Fördermittel verzichten müssen.
Der Bundesgerichtshof urteilte, dass Eltern sich an die Kündigungsfristen halten müssen. Zwei Kalendermonate seien angemessen. Allerdings habe der Kita-Betreiber mit 1.000 Euro eine viel zu hohe Kaution verlangt. Diese Vertragsbestimmung sei unwirksam. Schadenersatzansprüche wegen entgangener Fördermittel können laut Bundesgerichtshof ebenfalls nicht geltend gemacht werden. Die Eltern müssen auch nicht für Kosten für Verpflegung aufkommen, die nicht in Anspruch genommen werden. Bei monatlichen Verpflegungspauschalen müssten diese jedoch für den laufenden Monat noch voll entrichtet werden.
AZ: III ZR 126/15
Kassel (epd). Ziehen Hartz-IV-Empfänger ohne Genehmigung des Jobcenters in eine teurere Wohnung, darf die Behörde die Zahlung der Unterkunftskosten nicht dauerhaft starr begrenzen. Zwar müssten Langzeitarbeitslose eine Deckelung der Mietkosten hinnehmen, urteilte das Bundessozialgericht (BSG) am 17. Februar in Kassel. Allerdings müsse das Jobcenter den allgemeinen Anstieg der Mieten berücksichtigen und dementsprechend die Begrenzung anheben.
Im konkreten Fall hatte das Jobcenter des Landkreises Anhalt-Bitterfeld es abgelehnt, einem 2009 umgezogenen Hartz-IV-Bezieher die Miet- und Heizkosten in voller Höhe zu bezahlen. Grund: Der Mann war ohne Genehmigung des Jobcenters in eine teurere Wohnung gezogen. Die Behörde wollte daher nur für die Unterkunftskosten in der bisherigen Höhe aufkommen.
Das BSG urteilte, dass die Deckelung der Mietkosten nach einem nicht genehmigten Umzug zulässig sei. Allerdings dürfe dies nicht dauerhaft auf der einmal festgesetzten Höhe bleiben, da die allgemeinen Mietkosten im Laufe der Zeit ja auch steigen. So müsse entsprechend auch die Begrenzung der als angemessen anerkannten Miete angehoben werden. Eine Deckelung sei auch nur dann zulässig, wenn das Jobcenter die Angemessenheitsgrenzen nach einem "schlüssigen Konzept" zutreffend ermittelt hat.
Im konkreten Fall muss das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt dies noch einmal prüfen.
Az.: B 4 AS 12/15 R
Hamm (epd). Ein Vater, der kein Umgangsrecht hat, kann laut Gerichtsurteil trotzdem von der Mutter Auskunft über das gemeinsame Kind verlangen. Gründe, die zum Umgangsverbot mit dem Kind geführt haben, reichten für eine Verweigerung der Auskünfte nicht aus, erklärte das Oberlandesgericht Hamm in einem am 25. Februar veröffentlichten Urteil. Die Mutter ist demnach verpflichtet, dem getrennt lebenden Vater zweimal im Jahr einen schriftlichen Bericht sowie zwei Fotos zu übergeben. Die Mutter dürfe das nur dann ablehnen, wenn der Vater die Informationen missbrauche.
In dem konkreten Fall hatte ein von der Familie getrennt lebender Vater Informationen von der Mutter über die gemeinsame Tochter gefordert. Die elterliche Sorge steht nach einer Gerichtsentscheidung allein der Mutter zu. Der Mann, der zwischenzeitlich in Haft war, hat auch kein Umgangsrecht. Die Mutter hatte die Auskünfte verweigert. Dabei argumentierte sie, dass der Mann auch gegen seine Tochter gewalttätig gewesen sei und kein Interesse an dem Kind habe. Dem Mann gehe es darum, Macht über seine ehemalige Partnerin auszuüben.
Das Oberlandesgericht bestätigte in einem rechtskräftigen Urteil die Entscheidung der Vorinstanz. Der Mann hat laut Gericht ein Recht auf die Auskünfte. Er habe keine andere Möglichkeit, sich über seine Tochter zu informieren. Er darf die Fotos und Berichte jedoch niemand anderem zugänglich machen oder in sozialen Netzwerken veröffentlichen. Es sei verständlich, dass die Mutter nach Beschimpfungen und Drohungen keinen persönlichen Kontakt zu dem früheren Partner haben wolle. Für die Erteilung der Auskünfte sei jedoch kein persönlicher Kontakt nötig.
Az: 2 WF 191/15
Stuttgart (epd). Die Liga ist der Zusammenschluss von sozialen Wohlfahrtsorganisationen und Kirchen in der Landeshauptstadt. Gerstlauer übernimmt diese Funktion vom Geschäftsführer der Arbeiterwohlfahrt (AWO), Friedhelm Nöh.
Gerstlauer steht seit 1995 an der Spitze der eva. Dort ist er zuständig für die Dienste für junge Menschen, die Dienste für Kinder, Jugendliche und Familien in der Region sowie die Dienste für Kinder, Jugendliche und Familien in Stuttgart. Seinem Vorstandsbereich ist außerdem die Schwangerenberatung zugeordnet. Die eva ist ein diakonischer Träger mit etwa 1.200 Mitarbeitenden und mehr als 900 Ehrenamtlichen.
Peter Dabrock ist für eine weitere Amtszeit als Mitglied des Deutschen Ethikrats vorgeschlagen worden. Mit sieben weiteren Kandidaten wurde er von der Unionsfraktion benannt. Der evangelische Sozialethiker ist momentan stellvertretender Vorsitzender des Rates. Die 26 Mitglieder des Ethikrats werden vom Bundestagspräsidenten für eine Dauer von vier Jahren berufen. 13 Kandidaten schlägt dazu der Bundestag vor, die andere Hälfte wird auf Vorschlag der Bundesregierung berufen. Vorsitzende des Gremiums ist derzeit die Medizinethikerin Christiane Woopen.
Hildegard Gosebrink (47) wird am 1. März neue Leiterin der Arbeitsgemeinschaft Frauenseelsorge Bayern mit Sitz in München. Sie koordiniert künftig die Frauenarbeit der sieben bayerischen Diözesen. Gosebrink ist promovierte Theologin und absolvierte zudem ein Studium der Philosophie und der Religionswissenschaft. Von 2001 bis 2011 arbeitete sie als theologische Referentin im Bildungszentrum der Erzdiözese München und Freising, im Kardinal-Döpfner-Haus in Freising. Zuletzt war sie Rektorin des Martinushauses des Bistums Würzburg in Aschaffenburg.
Andreas Lingk (49) ist mit einem Gottesdienst in der Reutlinger Nikolaikirche in sein neues Amt als Kaufmännischer Vorstand der BruderhausDiakonie mit Sitz in Reutlingen eingeführt worden. In den 120 Einrichtungen des evangelischen Sozialkwerks betreuen rund 4.000 Mitarbeiter 10.000 Menschen. Lingk war zuvor Hautabteilungsleiter Unternehmenssteuerung im Christlichen Jugenddorf (CJD). In seiner neuen Funktion ist er Nachfolger von Rainer Single, der in den Ruhestand gegangen ist.
Hans-Werner Wolff (50) bleibt Vorsitzender des Caritasrates für das Bistum Essen. Die Mitglieder des Aufsichtsgremiums wählten Wolff am 23. Februar für weitere sechs Jahre. Er ist Direktor der Caritas Altena-Lüdenscheid und leitet den diözesanen Caritasrat seit dem Jahr 2008. Zu seinem Stellvertreter würde Rainer Knubben, Vorstand des Caritasverbands Gladbeck, gewählt. Die Caritas für das Bistum Essen ist Dachorganisation für die 10 Ortsverbände im Ruhrbistum und einer von fünf NRW Diözesan-Caritasverbänden.
7.3.: Dortmund
Fortbildung "Storytelling - Erzählen mit Älteren"
des Kompetenzzentrums für Kultur und Bildung im Alter
Tel.: 02191/794296
www.ibk-kubia.de
8.-9.3. Fulda
Forum "Mehr Inklusion durch Partizipation"
des Deutschen Caritasverbandes
Tel. 0761/200222
8.-10.3. Freiburg
Seminar "Fundraising: Spender(innen) mit Herz und Verstand gewinnen"
der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes
Tel.: 0761/200-1700
9.-10.3. Köln:
Fortbildung "Psychische Erkrankungen im Überblick.
Umgang mit psychisch kranken Klienten in der Beratung"
des SkF Gesamtvereins
Tel.: 0231/55702613
9.-11.3. Erfurt
Seminar "Aktuelle Fragen der Grundsicherung für Arbeitsuchende"
des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge
Tel.: 030/62980-312
www.deutscher-verein.de
10.-12.3. Berlin
Deutscher Pflegetag 2016
des Deutschen Pflegerates
Tel.: 030/39877303
www.deutscher-pflegetag.de
12.3. Berlin
Workshop Medizinethik "Behandlung im Akkord -
Ethische Überlegungen zum Umgang mit Zeit im Krankenhaus"
der Ev. Akademie zu Berlin
Tel.: 030/20355502
www.eaberlin.de
15.3. Münster
Seminar "Abschluss von Vereinbarungen nach §§ 75 ff. SGB XII
für Einrichtungen der Eingliederungshilfe"
der BPG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft
Tel.: 0251/48204-12
http://www.bpg-muenster.de/seminarangebote-bpg-unternehmensgruppe
16.3. Münster
Weiterbildung "Jenseits von Fernsehkrimis -
Der Beitrag der Rechtsmedizin in Fällen der von Kindeswohlgefährdung"
der Fachhochschule Münster
Tel.: 0251/8364090
www.fh-muenster.de/weiterbildung-sozialwesen
16.-17.3. Berlin
Fachtag "Europa in der Krise, Europa als Chance
für junge Menschen mit erhöhtem Förderbedarf"
der Bundesarbeitsgemeinschaft Evangelischer Jugendsozialarbeit
in Zusammenarbeit mit der EuropaBeratungBerlin
Tel.: 0711/1648922
www.bagejsa.de
17.-18.3. Berlin
Kongress "Armut und Gesundheit"
des Vereins Gesundheit Berlin-Brandenburg
Tel.: 030/44319073
4.-6.4. Hannover
Tagung "Unterstützung für Eltern mit Behinderung
Elternassistenz und Begleitete Elternschaft als Hilfen der Eingliederunghilfe und Jugendhilfe"
des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge
Tel.: 030/629800
www.deutscher-verein.de
4.-8.4. Freiburg
Seminar "Konfliktmanagement als Führungsaufgabe"
der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes
Tel.: 0761/2001700
6.-8.4. Bergisch-Gladbach
Fachtagung "Stabilisierung in unstabilen Zeiten:
Mit traumatisierten Menschen stabilisierend arbeiten"
des SkF-Gesamtvereins
Tel.: 0231/55702613
www.skf-zentrale.de
9.4. Berlin
Symposium "Pflegequalität in der Notfallpflege"
des DBfK Nordost
Tel.: 030/208987260
www.dbfk.de
11.4. Hamburg
Seminar "Einführung ins Online-Fundraising"
der Paritätischen Akademie Nord
Tel.: 040/41520166
www.paritaet-hamburg.de
13.4. Frankfurt am Main
Fachtagung "Integration von minderjährigen unbegleiteten
Jugendlichen in der Kinder- und Jugendhilfe"
des Instituts für Sozialarbeit und Sozialpädagogik
Tel.: 069/95789-153
www.iss-ffm.de
15.4. Berlin
Fortbildung "Rechtliche Aspekte der Pflegedokumentation"
des DBfK Nordost
Tel.: 030/208987260
20.-21.4. Frankfurt a.M.
Messe und Kongress "Zukunft Lebensräume"
der Messe Frankfurt Exhibition GmbH
Tel.: 069/75750
www.zukunft-lebensraeume.de
26.4. Kassel
Fachtag "Die Pflegestärkungsgesetze - Ambulant und stationär, statt ambulant vor stationär!"
der diakonischen Fachverbände DEVAP und VdDD
Fax: 030/83001-25277
www.devap.info