mit der ForuM-Studie ist jetzt erstmals für die evangelische Kirche und die Diakonie eine unabhängige Forschungsarbeit über Ursachen und Häufigkeit von Missbrauch veröffentlicht worden. Die Forscher gehen von mindestens 1.259 Beschuldigten, darunter 511 Pfarrpersonen, und mindestens 2.225 Betroffenen für den Bereich der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Diakonie aus. Außerdem attestieren sie einen mangelhaften Umgang mit Betroffenen, eine Blockade-Haltung bei der Aufarbeitung und nicht funktionierende Schutzkonzepte.
In der Bundesregierung wird weiter um eine mögliche Erhöhung des Kindergeldes gerungen - Ausgang offen. Dass der Finanzminister nur die Kinderfreibeträge erhöhen will, stößt bei den Sozialverbänden auf massive Kritik. Auch das Kindergeld müsse steigen. „Alles andere wäre ungerecht“, erklärte Diakonie-Vorständin Maria Loheide. Die aktuelle Diskussion mache zudem die Notwendigkeit einer Kindergrundsicherung, in der alle Leistungen zusammengeführt sind, deutlich.
Die Jahreskampagne der Caritas ist unter dem Motto „Frieden beginnt bei mir“ gestartet. Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa: „Frieden ist nichts, was ein für alle Mal da ist. Er muss immer wieder neu erworben und abgesichert werden.“ Dazu stellt der katholische Wohlfahrtsverband eigene Projekte in den Mittelpunkt, die vor Ort einen Beitrag zum Frieden leisten, wie Familienberatungsstellen, Bahnhofsmissionen und Einrichtungen für Geflüchtete.
Krankenhäuser und Ärzte sind bei der Behandlung nicht deutsch sprechender Flüchtlinge oft auf Dolmetscher angewiesen. Doch die Kostenübernahme für die Übersetzungen sorgt oft für Streit. Jetzt hat dazu das Landessozialgericht Celle entschieden: Eine Erstattung der Dolmetscherkosten können nur die Asylbewerber selbst beantragen. Kliniken und Mediziner haben dazu kein Recht.
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Hannover (epd). Auch in der evangelischen Kirche sind Kinder und Jugendliche in großem Ausmaß Opfer sexualisierter Gewalt geworden. Am 25. Januar wurde in Hannover die von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Auftrag gegebene Studie über Missbrauch in den eigenen Reihen vorgestellt. Demnach ist das Ausmaß größer als angenommen. Die Studie macht spezielle Risikofaktoren in der evangelischen Kirche für Missbrauch aus. Zudem bescheinigt sie der Kirche eklatante Mängel im Umgang mit Betroffenen.
In der Studie ist von mindestens 2.225 Betroffenen und 1.259 mutmaßlichen Tätern die Rede. Dabei betonten die Forscher, dass dies nur „die Spitze der Spitze des Eisbergs“ sei, weil vor allem Disziplinar-, kaum aber Personalakten eingesehen wurden.
Der an der Studie beteiligte forensische Psychiater Harald Dreßing kritisierte eine „schleppende Zuarbeit“ aus den 20 Landeskirchen. In einer von Dreßing als „sehr spekulativ“ bezeichneten Hochrechnung ergebe sich eine Zahl von mehr als 9.000 Betroffenen bei geschätzt rund 3.500 Beschuldigten. Bislang war nur bekannt, wie viele Betroffene sich in den vergangenen Jahren an die zuständigen Stellen der Landeskirchen gewandt haben. Nach Angaben der EKD waren das 858.
Mit der bereits 2018 vorgelegten Studie über Missbrauch in der katholischen Kirche, die 3.677 Opfer und 1.670 mutmaßliche Täter ermittelte, sind die Zahlen wegen der verschiedenen Datengrundlagen nicht vergleichbar. Zudem umfasst die Studie über die evangelische Kirche anders als die der katholischen auch den Bereich der Diakonie. Die EKD hatte das Forschungsvorhaben vor drei Jahren beauftragt, mit dem Wunsch, mehr über Ausmaß und mögliche strukturelle Ursachen von Missbrauch zu erfahren.
Die Studie bescheinigt der evangelischen Kirche spezielle Risikofaktoren, räumt aber mit dem Gedanken auf, dass die sich auf spezielle Bereiche wie die bereits umfangreich aufgearbeitete frühere Heimerziehung oder liberale Sexualitätsdiskurse der 1970er Jahre eingrenzen lassen. In nahezu allen Angeboten und Bereichen der evangelischen Kirche habe man eine Vielzahl von Fällen nachweisen können, konstatieren die Forscher. Als besonderen Risikofaktor machen sie das Machtgefälle zwischen Beschuldigten und Betroffenen aus, beispielsweise im Verhältnis zwischen Pfarrern - meist waren die Täter Männer - und Konfirmanden.
Eklatante Defizite erkennt die Studie beim Umgang mit Missbrauchsfällen, insbesondere mit den Betroffenen. Forschungsleiter Martin Wazlawik sagte, der Föderalismus mit 20 Landeskirchen führe dazu, dass mit Betroffenen unterschiedlich umgegangen werde. Er sprach zudem von „Verantwortungsdiffusion“ und bescheinigte der evangelischen Kirche „Konfliktunfähigkeit“ und einen „Harmoniezwang“, die Aufklärung im Weg stünden. Er empfahl verbindliche Interventionsverfahren und eine einheitliche Ombudsstelle für Betroffene.
Die amtierende EKD-Ratsvorsitzende Kirsten Fehrs sprach von einem „eklatanten Versagen“ in Kirche und Diakonie. Für die Diakonie Deutschland äußerte sich Präsident Rüdiger Schuch: „Auch in Einrichtungen der Diakonie haben Menschen, die wir hätten schützen müssen, sexualisierte Gewalt erfahren. Die Institution Diakonie hat in ihrem Schutzauftrag hier versagt. Das ist für uns erschütternd. Wir erkennen das begangene Unrecht an und wir übernehmen Verantwortung. Jeder Fall ist ein Fall zu viel.“ Er kündigte an, gemeinsam mit den Betroffenen „die Aufarbeitung aller Fälle weiter voranzubringen. Dazu unterstützen wir die Arbeit des Beteiligungsforums Sexualisierte Gewalt.“
Man werde die Ergebnisse der ForuM-Studie umgehend analysieren und mit den Landesverbänden Konsequenzen ziehen. „Wir sind entschlossen, die gesamte Praxis und Kultur der Arbeit in unserem Verband, in unseren Einrichtungen und Diensten zu prüfen und wo es nötig ist, auch tiefgreifend zu verändern“, sagte Schuch.
Betroffene sexualisierter Gewalt forderten Konsequenzen. Detlev Zander, der Betroffenenvertreter im Beteiligungsforum der EKD ist, und Katharina Kracht, die dem Beirat der Studie angehörte, verlangten externe Ansprechstellen. Die EKD dürfe nicht noch mehr Zeit „vertrödeln“, sagte Kracht. Der Studie zufolge hat die EKD erst 2018 und damit weit nach Bekanntwerden des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche mit der Bearbeitung des Themas richtig begonnen.
Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) erklärte, mit den Studienergebnissen sei es Gewissheit, dass auch in evangelischen Pfarrhäusern, Gemeinden und diakonischen Einrichtungen vielerorts Bedingungen geherrscht hätten, die Machtmissbrauch und sexualisierte Gewalt begünstigten. Der SPD-Politiker Lars Castellucci forderte, auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen Aufklärung zu betreiben und nannte konkret eine Dunkelfeldstudie. „So viel Kritik die Kirchen auch berechtigterweise einstecken müssen, so richtig ist es, dass sie auch mit den schmerzlichen Erfahrungen der Aufarbeitung Vorreiter gegenüber anderen gesellschaftlichen Bereichen sind“, sagte er.
Hannover (epd). Mit der am 25. Januar veröffentlichten ForuM-Studie ist erstmals für die evangelische Kirche und die Diakonie eine unabhängige Forschungsarbeit über Ursachen und Häufigkeit von Missbrauch veröffentlicht worden. Die Forscher gehen von mindestens 1.259 Beschuldigten, darunter 511 Pfarrpersonen, und mindestens 2.225 Betroffenen für den Bereich der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Diakonie aus. Außerdem attestieren sie der evangelischen Kirche einen mangelhaften Umgang mit Betroffenen, eine Blockade-Haltung bei der Aufarbeitung und nicht funktionierende Schutzkonzepte. Das Vorgehen und die Erkenntnisse im Einzelnen:
METHODIK: Die ForuM-Studie gliedert sich in fünf Teilprojekte und eine Metastudie. Der Name leitet sich vom Titel des Forschungsprojekts ab: „ForuM - Forschung zur Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt und anderen Missbrauchsformen in der Evangelischen Kirche und Diakonie in Deutschland“. Ein interdisziplinäres Team unter anderem aus den Bereichen Soziale Arbeit, forensische Psychiatrie, Sozialpädagogik und Geschichtswissenschaft hat über drei Jahre versucht, ein möglichst umfassendes Bild über sexuelle Gewalt in der evangelischen Kirche und der Diakonie zu zeichnen. Die Forschenden stützen ihre Erkenntnisse auf Aktenanalysen, Interviews mit Betroffenen und Vertretern der Institution sowie auf eine Analyse der öffentlichen Kommunikation der EKD über Prävention und Aufarbeitung.
UNZUREICHENDE DATENLAGE: Vor allem bei der Erhebung von Fallzahlen und Beschuldigten, für die das Teilprojekt E unter der Leitung des Mannheimer forensischen Psychiaters Harald Dreßing zuständig war, hatten es die Forschenden mit einer schwierigen Datenlage zu tun. Denn zum einen wurden Akten über Missbrauchsfälle nur sehr unzureichend geführt. So gab es keine verbindlichen Regeln zur Dokumentation. Auch von „inoffiziellen Sammlungen“ oder „Kisten mit problematischen Inhalten“ in einigen Kirchenämtern ist die Rede. Nicht auszuschließen ist laut Studie, dass Akten vernichtet oder manipuliert wurden.
Die Forscher berichten aber auch von Schwierigkeiten bei der Erhebung. Denn dabei waren sie auf die Zuarbeit der Landeskirchen und Diakonie-Landesverbände angewiesen, die eigene Mitarbeitende mit der Aktendurchsicht beauftragten. So gehörte ursprünglich eine stichprobenartige Durchsicht von Personalakten zum Forschungsdesign. Da sich einige Landeskirchen jedoch dazu personell nicht in der Lage sahen, fand diese nicht statt. Es wurden stattdessen nur sogenannte Disziplinarakten für Pfarrer (4.282) durchgesehen. Damit ergibt sich eine erheblich geringere Quellenlage als etwa bei der 2018 vorgestellten katholischen MHG-Studie, die Dreßing damals leitete. Dort seien über 38.000 Personalakten für Priester durchgesehen worden. Daher würden die Fallzahlen in den Landeskirchen erheblich unterschätzt, bemängeln die Forscher, und bildeten allenfalls die „Spitze der Spitze des Eisbergs“.
BETROFFENE: In den vorläufig 2.225 ermittelten Missbrauchsfällen war die Mehrheit der Betroffenen unter 14 Jahre alt. Die Taten waren laut Studie meist geplant und fanden mehrfach statt. Nach einer Schätzung der Forscher liegt die tatsächliche Zahl der Betroffenen jedoch deutlich höher. Die Forscher sprechen von 9.355 möglichen Betroffenen, die eine Durchsicht der Personalakten hätte ergeben können.
Die Schwere reicht von Taten ohne direkten Körperkontakt (Aufforderung zum Ansehen pornografischen Materials) bis hin zu analer oder genitaler Penetration, was dem Straftatbestand einer Vergewaltigung entspricht. Besonders gefährdet waren Kinder und Jugendliche, die sich in geschlossenen Institutionen befanden, etwa in Heimen oder auch im Pfarrhaus. Während bei den Fällen in der Diakonie die Opfer mehrheitlich männlich waren, ergibt sich in den Fällen, in denen die Täter Pfarrer waren, ein höherer Anteil von Mädchen und jungen Frauen. Tatorte waren Gemeinden, etwa im Musik- oder Konfirmandenunterricht, Heime, Pflegeheime, die Jugendarbeit, Pfarrfamilien, Schulen und Internate.
UMGANG MIT BETROFFENEN: Betroffene erlebten zumeist kaum Unterstützung und mangelnde Sensibilität, wenn sie bei kirchlichen Stellen Taten anzeigten. Ihre Darstellung wurde laut Studie angezweifelt, die Beschuldigten geschützt. Betroffene wurden zudem mit Wünschen nach Vergebung konfrontiert, ohne dass eine angemessene Auseinandersetzung mit der Tat stattfand.
BESCHULDIGTE: Die Beschuldigten waren überwiegend männlich, im Durchschnitt 39,6 Jahre alt und verheiratet zum Zeitpunkt der ersten Tat. Wie die Forschenden ermittelten, waren viele Täter auch Mehrfachtäter. Auf einen Mehrfachbeschuldigten kommen demnach fünf Betroffene. Gegen knapp 61 Prozent der beschuldigten Pfarrer wurde mindestens ein Disziplinarverfahren geführt. Gegen 45,4 Prozent gab es eine Anzeige.
KIRCHLICHE HALTUNG ZUR AUFARBEITUNG: Laut Studie wurde das Thema Aufarbeitung von Missbrauch in der evangelischen Kirche und der Diakonie erst spät, nämlich 2018, öffentlich angepackt. Bei der Aufarbeitung und auch bei der Prävention sehen die Forscher aber großen Nachholbedarf. Fast immer waren es demnach Betroffene, die Aufarbeitung verlangten und initiierten. Die evangelische Kirche müsse Missbrauch endlich als Teil der eigenen Geschichte und Gegenwart verstehen, so das Resümee der Forscher. So wurde von sexuellem Missbrauch als Problem in den eigenen Reihen abgelenkt: Das sei nach Auffassung der Institution ein systematisches Problem der katholischen Kirche wegen des Zölibats, der Sexualmoral und strengen Hierarchien. Wenn es Fälle in der evangelischen Kirche gebe, dann in Heimen der Diakonie in den 50er und 60er Jahren, sowie durch die Liberalisierung des Umgangs mit Sexualität in den 70er und 80er Jahren.
Diesen Erzählungen und Auffassungen widerspricht die Studie. Nicht etwa der Zeitgeist sei Ursache für die Taten, sondern Täter nutzten die jeweiligen Umstände aus, um ein Macht- und Gewaltsystem zu etablieren.
EMPFEHLUNGEN: Die Forscher bekräftigen, dass Betroffene ein Recht auf Aufarbeitung haben. Die Forscher kommen zu dem Schluss, dass die föderale Struktur der EKD und ihrer Gliedkirchen ein Hindernis für die Aufarbeitung ist. Die Forscher regen zudem kirchenunabhängige Ansprechstellen für Betroffene und eine externe Ombudsstelle für Betroffene an, an die sie sich wenden können, wenn es Probleme gibt. Außerdem empfehlen sie die Einführung einer umfassenden verbindlichen Aktendokumentation und Statistik. Letztlich sei auch eine Personalaktenanalyse unabdingbar für eine transparente Aufarbeitung.
Frankfurt a.M. (epd). Ein unabhängiges Forscherteam veröffentlichte im September 2018 eine wissenschaftliche Missbrauchsstudie für den Bereich der katholischen Deutschen Bischofskonferenz. Die Forschenden konnten zwischen 1946 und 2015 3.677 missbrauchte Kinder und Jugendliche ermitteln. 1.670 Kleriker wurden demnach des sexuellen Missbrauchs beschuldigt. Diese Zahlen lösten damals eine große Welle der Empörung aus und führten zu einem Anstieg der Kirchenaustritte. Eine Reihe von Bistümern hat inzwischen auch eigene Missbrauchsstudien veröffentlicht, etwa die Erzbistümer Köln und München und das Bistum Mainz.
62,8 Prozent der Betroffenen waren laut Studie männlich und 34,9 Prozent weiblich. Beim ersten sexuellen Missbrauch waren 51,6 Prozent der Betroffenen laut der Studie maximal 13 Jahre alt. Die Zahlen stellen laut dem Studienleiter Harald Dreßing jedoch nur die Spitze des Eisbergs dar, es sei von einer hohen Dunkelziffer auszugehen. Als Datengrundlage dienten mehr als 38.000 Personalakten von Klerikern aus den 27 deutschen Bistümern.
In der Öffentlichkeit ist die Untersuchung als MHG-Studie bekannt. Die Abkürzung leitet sich aus den Standorten der Wissenschaftler ab: Mannheim, Heidelberg und Gießen. Der vollständige Titel der Studie lautet: „Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz“. Die Kosten für die Studie lagen bei rund einer Million Euro.
Der Koordinator des Forschungsverbunds, Dreßing, wirkte nun auch bei der evangelischen Missbrauchsstudie mit, die am 25. Januar in Hannover vorgestellt wurde. Der Mannheimer Forensische Psychiater leitet das Teilprojekt, das sich mit der Erfassung der Fallzahlen beschäftigt.
Um Lehren aus der Missbrauchskrise zu ziehen, wurde 2019 ein umfangreiches Reformprojekt zwischen Bischöfen und Katholiken an der Kirchenbasis vereinbart, der sogenannte „Synodale Weg“.
Berlin (epd). In der Bundesregierung wird weiter um eine mögliche Erhöhung des Kindergelds gerungen. Regierungssprecher Steffen Hebestreit sagte am 22. Januar in Berlin, aktuell werde geprüft, ob durch die aktuelle Lohnentwicklung eine Anpassung des Kinderfreibetrags nötig sei. „Sollte das nötig sein, muss miteinander gesprochen werden, ob neben dem Freibetrag auch eine Anpassung des Kindergeldes nötig und möglich ist“, sagte er. Dabei verwies er auch auf den Haushalt für das aktuelle Jahr, der in der kommenden Woche im Bundestag beschlossen werden soll.
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) will für dieses Jahr den Kinderfreibetrag von 6.024 auf 6.612 Euro anheben, bislang aber nicht auch das Kindergeld. In der Ampel-Koalition regt sich dagegen Widerstand, weil vom Freibetrag, der auf die Einkommenssteuer angerechnet wird, nur Eltern mit höheren Einkommen profitieren. SPD-Chef Lars Klingbeil bezeichnete die Pläne als „ungerecht“. Das Kindergeld wurde zuletzt zum Januar 2023 von 219 auf 250 Euro angehoben. Der Freibetrag stieg damals von 5.620 auf 6.024 Euro.
Die SPD ging klar auf Distanz zum Koalitionspartner FDP. Der Vizefraktionsvorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Sönke Rix, sagte am 22. Januar in Berlin, Lindners Vorschlag sei „nicht nur gesellschaftlich ungerecht, sondern steht auch im Gegensatz zu den Vereinbarungen im Koalitionsvertrag“. Der überwältigende Teil der Eltern erhalte lediglich das Kindergeld als Unterstützung, während nur Familien mit vergleichsweise hohen Einkommen überhaupt vom Kinderfreibetrag profitierten. „Diese Lücke wollen wir schließen und nicht weiter vergrößern.“
Grundsätzlich begrüße die SPD finanzielle Entlastungen für Familien, „aber eine Erhöhung des Kinderfreibetrages für wenige - ohne gleichzeitige Erhöhung des Kindergeldes für die Breite der Gesellschaft - lehnen wir entschieden ab“. Entsprechende Vorschläge des Bundesfinanzministers, wie beides gelingen kann, werde man sehr konstruktiv im Bundestag begleiten, so Rix.
Die Diakonie forderte, bei einer Erhöhung des Kinderfreibetrages müsse auch das Kindergeld steigen. „Alles andere wäre ungerecht“, erklärte Vorständin Maria Loheide in Berlin. Aktuell beträgt ihren Angaben nach die maximale Entlastung für Gut- und Spitzenverdiener aufgrund der Freibeträge circa 368 Euro monatlich. Das Kindergeld beträgt 250 Euro monatlich. Die aktuelle Diskussion mache die Notwendigkeit einer Kindergrundsicherung, in der alle Leistungen zusammengeführt sind, deutlich.
„Es war richtig, das Bürgergeld zur Jahreswende zu erhöhen. Wenn nachfolgend nun auch die Kinderfreibeträge entsprechend den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts im Steuerrecht angehoben werden, wäre es fahrlässig, sich nicht auch um die Berufstätigen und ihre Kinder zu kümmern, die am unteren Ende der Einkommensskala von der Steuermechanik nicht profitieren“, sagte Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Caritas setze sich seit langem dafür ein, „das Kindergeld schrittweise so anzuheben, dass es perspektivisch dem maximalen Steuerentlastungsbetrag entspricht. Aktuelle Berechnungen gehen davon aus, dass er inzwischen über 350 Euro liegen müsste.“
„Statt sich in Diskussionen über die Erhöhung von Kindergeld und Kinderfreibeträgen zu verstricken, sollte die Politik endlich handeln und mit der Kindergrundsicherung schnellstmöglich ein einheitliches System der Familienförderung schaffen, in dem Familien mit den geringsten Einkommen am meisten und wohlhabende Familien am wenigsten staatliche Unterstützung für ihre Kinder erhalten“, sagte Michael Groß, Präsident der Arbeiterwohlfahrt, dem epd. Die bisherigen Pläne für die Kindergrundsicherung machten bisher leider wenig Hoffnung auf Besserung.
Groß weiter: „Klar ist aber auch: Eine Erhöhung der Kinderfreibeträge mit einer Nullrunde beim Kindergeld ist ein Schlag ins Gesicht der Familien mit geringen und mittleren Einkommen, die gerade so über die Runden kommen.“ Bereits im vergangenen Jahr hätten die wohlhabendsten Familien zusätzlich zum Kindergeld einen Bonus von bis zu rund 100 Euro im Monat über die Kinderfreibeträge erhalten. „Die jetzt geplante Anpassung würde die Differenz noch einmal um 25 Euro wachsen lassen.“
Auch der Kinderschutzbund kritisierte Lindners Pläne. Damit würden Kinder, die nur das Kindergeld beziehen, um bis zu 118 Euro weniger an staatlichem Zuschuss pro Monat erhalten. Bis zur Volljährigkeit der Kinder summiere sich der Unterschied auf über 25.000 Euro. Bundesgeschäftsführer Daniel Grein sagte, es sei „eine Frechheit, wie das aktuelle System klammheimlich über die Kinderfreibeträge die Kinder von Spitzenverdienern massiv begünstigt“. Er wiederholte die Forderung, eine echte Kindergrundsicherung zu schaffen, „die insbesondere arme Kinder und die untere Mitte entlastet sowie die unfairen Steuerentlastungen für Superreiche abschafft“.
Der Paritätische Wohlfahrtsverband nannte Lindners Vorhaben eine „schreiende Ungerechtigkeit“. „Mit seinen Plänen zum Kinderfreibetrag zementiert der Finanzminister die Ungleichbehandlung von Spitzenverdienern und Familien mit mittleren und niedrigen Einkommen”, sagte Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider. Das Kindergeld sollte nach Auffassung des Verbandes schrittweise so weit angehoben werden, dass es mit der Entlastung der Spitzenverdiener gleichzieht. In einem ersten Schritt fordert der Verband eine Erhöhung des Kindergelds auf 300 Euro. Schneider: “Alle Kinder müssen dem Staat gleich viel wert sein."
Berlin (epd). Die Präsidentin des Sozialverbandes VdK, Verena Bentele, hat die Bundesregierung aufgefordert, die Benachteiligung von Durchschnittsfamilien und ärmeren Familien beim Kindergeld zu beenden. Bentele sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Berlin: „Anstatt über die Erhöhung der Kinderfreibeträge zu diskutieren, sollte die Koalition nun endlich den Systemwandel zu einer Kindergrundsicherung nach vorne treiben.“
Würden die Freibeträge so erhöht wie angekündigt, werde der Abstand zwischen besserverdienenden Eltern, die den Freibetrag erhalten, und allen anderen, die das Kindergeld bekommen, noch vergrößert, erläuterte Bentele. Eltern mit hohem Einkommen würden durch die Kinderfreibeträge monatlich mit bis zu 368 Euro pro Kind gefördert und damit um bis zu 118 Euro mehr als Eltern, die nur Kindergeld beziehen.
„Das ist ungerecht, jedes Kind sollte dem Staat gleich viel wert sein“, verlangte Bentele. „Das bedeutet im Klartext: Je weniger Möglichkeiten Eltern zur Unterstützung ihrer Kinder haben, desto mehr muss der Staat einspringen“, sagte die VdK-Chefin: „Eine solide Kindergrundsicherung muss die Ungleichbehandlung von reicheren und ärmeren Familien beseitigen.“
Die erneute Debatte um Kindergeld und Freibeträge war durch einen Vorstoß von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) ausgelöst worden. Danach will er den Kinderfreibetrag für dieses Jahr von 6.024 auf 6.612 Euro anheben, das Kindergeld von 250 Euro im Monat aber nicht.
Wiesbaden, Ulm (epd). Im Gespräch zwischendurch aufs Handy schielen, beim Familienabendessen unter dem Tisch schnell mal WhatsApp, Instagram, Snapchat checken: „Phubbing ('Phone-Snubbing')“ ist ein bekanntes Alltagsthema. Damit ist gemeint, dass man in Anwesenheit anderer Menschen das Nutzen des eigenen Smartphones vorzieht. „Studien zeigen wenig überraschend, dass die wahrgenommene Qualität des Miteinanders in einer solchen Situation leidet“, erklärt Christian Montag, Professor für Molekulare Psychologie der Universität Ulm.
Besonders negativ sind die Folgen für Kinder: „Kinder entwickeln sich optimal in einem Umfeld intensiver persönlicher Beziehungen. Smartphones haben das Potenzial, diese Beziehungszeiten zu reduzieren“, sagt Günter Steppich, Wiesbadener Lehrer, Fachberater für Jugendmedienschutz am Staatlichen Schulamt und Referent am Hessischen Kultusministerium.
Laut der aktuellen JIM-Studie liegt die tägliche Bildschirmzeit der Zwölf bis 19-Jährigen an Schultagen bei über sechs Stunden. „Mehr als die Hälfte davon dürfte am Smartphone sein“, sagt Steppich. Seine Erfahrung: „Viele Eltern lassen diese exorbitanten Zeiten zu, weil sie keinen Stress mit den Kindern haben möchten und mit der Erklärung 'Ich vertraue meinem Kind' Konflikten aus dem Weg gehen. Kinder und Jugendliche sind aber kaum in der Lage, sich aus eigener Kraft der Faszination des Smartphones zu entziehen.“
Melanie Zeinali ist Fachkraft für Suchtprävention am Suchthilfezentrum Wiesbaden. Sie kennt die Folgen, wenn der ständige Griff zum Handy unwiderstehlich wird: „Bei Jugendlichen mit problematischem Konsum haben oftmals ungesunde Konsumgewohnheiten wichtige Lebenskompetenzen wie Umgang mit Langeweile, Entspannung, Geduld und Eigenmotivation verdrängt.“
Sichtbar würden die Probleme oft erst in der Pubertät, wenn Regeln zum Thema Mediennutzung immer schwieriger durchzusetzen seien. Als Folgen beobachtet sie die Reduktion der Aufmerksamkeitsspanne, die mentale wie emotionale Erschöpfung nebst sozialer Isolation. Zeinali: „Das 'abhängig machende' Social-Media-Design sorgt dafür, dass wir immer wieder zum Handy greifen, unsere Grundbedürfnisse wie Bindung oder Lustgewinnung damit stillen wollen.“
Die Weichen sollten Eltern daher schon ab dem Kindergartenalter stellen, sagt sie: klare Regeln für die Begrenzung der Nutzungsdauer geben und mit den Kindern hierüber sprechen. Das Motto müsse lauten: „Handy aus - Beziehung an“. Zeinali: „Kinder sind hedonistisch veranlagt, sie sind sehr an Lustgewinn interessiert. Diese Lust in Bezug auf Medien kann durch die Entgrenzung verwässern und ins Gegenteil umschlagen. Das Leben wird nur noch konsumiert statt aktiv selbst gestaltet.“
Für die Aufrechterhaltung der psychischen und physischen Gesundheit von Kindern, für das Miteinander innerhalb der Familie und die gelebte Beziehung ist es laut Zeinali wichtig, „nahrhafte“ Alternativen zum Medienkonsum zu finden. Sie nennt ganz bewusst eingeplante Offline-Phasen, gemeinsames Kuscheln und ruhige Musik bei Kerzenlicht - als Strategien zur Entspannung und als Zeit, um Bindung aufzubauen.
Tipps für den Alltag seien, die Kinder ihren wöchentlichen Medienkonsum mit sogenannten „Medienmünzen“ eigenverantwortlich organisieren zu lassen, den Medienkonsum durch Bildschirmzeiten in den digitalen Einstellungen klar zu regulieren und auf Medien vor dem Einschlafen oder am Esstisch ganz zu verzichten.
Psychologieprofessor Montag empfiehlt, dass Kinder kein eigenes Smartphone besitzen sollten und meint: „Ich sehe aber kein Problem, wenn Kinder mal auf dem Familientablet oder Smartphone der Eltern eine altersgerechte Applikation nutzen.“ Zum ersten eigenen Smartphone, das für viele mit einem Alter ab zwölf Jahren, häufig auch mit dem Wechsel auf die weiterführende Schule, komme, betont er: Wenn möglich, solle dieser Zeitpunkt noch ein wenig länger herausgezögert werden.
Eltern sollten sich ihrer Verantwortung bewusst sein, sagt Melanie Zeinali - und in Sachen Handykonsum Vorbild sein, statt in Gegenwart der Kinder selbst ständig am Smartphone zu hängen. Zeinali: „Es ist wichtig, den Kindern trotz Widerstand medienfreie Räume offenzuhalten, selbst vorzuleben. Die Medienabstinenzfähigkeit der Kinder hängt auch vom Verhalten der Eltern ab.“
Berlin (epd). Die Ampelkoalition will mit der umstrittenen Reform schnellere Einbürgerungen unter bestimmten Voraussetzungen ermöglichen. Eine Hauptgruppe könnten die vielen Türkeistämmigen sein. Aber es gibt auch Kritik an dem Gesetz. Hier einige Stimmen aus Gewerkschaften und Sozialverbänden:
Ver.di: „Wir freuen uns mit unseren Gewerkschaftsmitgliedern, dass jetzt endlich für alle Migrantinnen und Migranten, die Möglichkeit der Doppelstaatsangehörigkeit eröffnet wird und nicht nur für EU-Angehörige. Gerade die mit 2,8 Millionen Angehörigen größte Einwanderercommunity in Deutschland, die der türkeistämmigen, sah sich nach der alten Regelung diskriminiert, da der Verzicht auf den Herkunftspass Voraussetzung für eine Einbürgerung war“, sagte Rebecca Liebig, für Migration zuständiges ver.di-Bundesvorstandsmitglied. Deshalb seien immer noch 1,5 Millionen Türkeistämmige trotz langer Aufenthaltsdauer immer noch nicht eingebürgert.
Sachverständigenrat für Integration und Migration: „Die geplante Reform des Staatsangehörigkeitsrechts hat großes Potenzial. Dass Mehrstaatigkeit nun auch bei Einbürgerung grundsätzlich akzeptiert werden soll, stellt einen Paradigmenwechsel dar, den wir begrüßen“, so SVR-Vorsitzender Hans Vorländer. Die geplante Verschärfung zur Lebensunterhaltssicherung als Einbürgerungsvoraussetzung sieht der Vorsitzende kritisch. „Bestimmte Gruppen hätten demnach keinen Anspruch mehr auf Einbürgerung - darunter Menschen mit Behinderung, Studierende und Alleinerziehende, die Sozialleistungen beziehen, weil sie nicht oder nur in Teilzeit erwerbstätig sein können. Deren Berücksichtigung als Härtefälle im Rahmen der Ermessenseinbürgerung stellt keinen ausreichenden Ersatz dar.“
Paritätischer Wohlfahrtsverband: "Die Zahl der Geflüchteten wird dadurch nicht abnehmen, wohl aber werden sich die sozialen Probleme, bis hin zur Traumatisierung von Kindern, verschärfen. Dass Betroffenen angesichts dieser offenen Missachtung von Grund- und Menschenrechten jetzt wenigstens ein Pflichtverteidiger zugestanden wird, ist ein kleiner Hoffnungsschimmer für unseren Rechtsstaat, sollte aber doch eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein”, sagte Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider.
Bundeszuwanderungs- und Integrationsrat: „Die generelle Hinnahme von Mehrstaatigkeit und die Verkürzung der Voraufenthaltszeiten sind begrüßenswerte Neuerungen, die der Realität unserer Einwanderungsgesellschaft entsprechen. Zur Ehrlichkeit gehört aber auch, dass sie die Verluste in anderen Bereichen nicht ausgleichen können. So wird die Ampel-Koalition ihrem eigenen Anspruch, Einbürgerungen in Deutschland zu erleichtern, nur mit erheblichen Abstrichen gerecht. Das hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack“, sagte Memet Kilic, Vorsitzender des BZI. Besonders kritisch sieht Kilic die Verschärfung für Menschen, die Sozialleistungen beziehen. Die Verknüpfung von Einbürgerung und Einkommen widerspreche zudem „unseren demokratischen Grundprinzipien der gleichberechtigten Teilhabe.“
Bündnis „Passt uns allen“: „Wir haben nichts Utopisches gefordert, sondern das Minimum für eine gerechte Gesellschaft. Die heute verabschiedeten Verschärfungen bewerten Menschen nach Nützlichkeitskriterien, stellen Einbürgerungswillige unter Generalverdacht und behandeln Alt- und Neubürger unterschiedlich. Das ist nicht nur ungerecht, sondern gefährlich für unsere Demokratie“, sagte Miman Jasarovski, der Sprecher des Bündnisses. Einbürgerungswillige müssten zahlreiche zusätzliche Prüfungen über sich ergehen lassen, die zu einer Verlängerung der ohnehin schon langen Wartezeiten bis zur Einbürgerung beitragen. Auch die Situation von Staatenlosen und langjährig Geduldeten sei nicht genügend berücksichtigt worden.
Mannheim (epd). Der Wirtschaftsforscher Martin Lange hat die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts begrüßt. Dass mit der vom Bundestag am 19. Januar beschlossenen Änderung der Einbürgerungsregeln viele Menschen künftig früher einen deutschen Pass erhalten können, sei „ein gutes Signal an alle Zugewanderten - aber auch für die deutsche Wirtschaft und den Fiskus“, erklärte Lange am 23. Januar in Mannheim.
Es gebe viele empirische Belege für die Verbesserung der beruflichen und sozialen Integration von Zugewanderten durch schnellere Einbürgerung, sagte der Forscher am Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim. Nach dem Parlamentsbeschluss sind Einbürgerungen schon nach fünf statt bislang acht Jahren möglich, beim Nachweis besonderer Integrationsleistungen wie Sprachkenntnissen nach drei statt bislang sechs Jahren.
Laut Lange zeigen ähnliche Reformen in anderen europäischen Ländern, dass Zugewanderte durch einen früheren Erhalt der Staatsbürgerschaft ihre Beschäftigungschancen verbessern, höhere Einkommen erzielen und länger im neuen Heimatland bleiben. „Das ist gut für die Zugewanderten und die Unternehmen, und es steigert die Steuereinnahmen und Sozialabgaben.“ Gerade die Wartezeitverkürzung für besonders gut integrierte Zugewanderte setze die richtigen Anreize und schaffe Perspektiven.
Aus arbeitsmarktpolitischer Sicht war dieser Schritt nach Ansicht des Ökonomen dringend notwendig. Der demografische Wandel werde in den nächsten Jahren immer stärker ins Gewicht fallen und die Sozialkassen sowie den Arbeitsmarkt belasten. Schon heute gebe es in vielen Regionen und Berufen einen Mangel an Fach- und Arbeitskräften. Lange betonte: „Wollen wir unseren Wohlstand halten, werden wir künftig mehr Zuwanderung brauchen, und nicht weniger.“
München (epd). Dass es mit der Qualität im deutschen Bildungssystem vor allem bei den Kleinsten nicht vorangeht, ist vielfach belegt. Die Gründe sind für Susanne Kuger vielfältig: „Das Thema ist sehr komplex“, so die Expertin. Kernproblem im Föderalismus: „Die Einigkeit, wie man da am besten hinkommt, ist leider sehr gering“, sagt die Forschungsdirektorin. Die Fragen stellte Dirk Baas.
epd sozial: Der erste Pisa-Schock liegt 20 Jahre zurück. Nach zwischenzeitlichen kleinen Verbesserungen gab es jüngst wieder ein schlechtes Ergebnis für Deutschland. Warum geht es nicht voran in der Bildungspolitik?
Susanne Kuger: Darauf gibt es leider keine einfache Antwort. Das Thema Bildung ist sehr komplex. Auf politischer Seite ist für uns als Forschende der Föderalismus eine stete Herausforderung. Bildung ist Ländersache, und die Länder verfolgen teilweise ganz unterschiedliche Ziele mit unterschiedlichen Schwerpunkten und Konzepten. Den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern fällt es manchmal schwer nachzuvollziehen, dass auch nach vielen Jahren die vorliegenden Erkenntnisse nicht dazu genutzt werden, um den vielbeschworenen Bestenwettbewerb unter den Ländern herzustellen. Hierzulande wurde stattdessen eine unüberschaubare Vielfalt an Konzepten geschaffen, die, das muss man so klar sagen, oft nicht zielführend ist. Dazu kommt, dass selbst in den zuständigen Landesministerien die Komplexität der Ansätze und Projekte oft nicht mehr überschaut wird.
epd: Aber der Wille, zu besseren Bildungsresultaten zu kommen, ist doch immerhin vorhanden ...
Kuger: Auf jeden Fall. Alle Bundesländer sind ernsthaft daran interessiert, die Dinge in den Schulen und damit die Leistungen der Schülerinnen und Schüler zu verbessern. Doch die Einigkeit, wie man da am besten hinkommt, ist leider sehr gering. In der Vergangenheit wurden viele Programme gestartet, von denen abernicht in allen Fällen klar war, ob sie funktionieren oder nicht. Ich erinnere nur an das „Schreiben nach Gehör“, das einige Bundesländer eingeführt hatten, um es dann wieder abzuschaffen, nachdem die wissenschaftlichen Befunde nicht mehr zu überhören waren. Ein ziemlich schädlicher Versuch für die Schülerinnen und Schüler, dem zuvor jede Evidenz gefehlt hat.
epd: Wie lässt sich die hiesige Bildungspolitik verdichtet beschreiben?
Kuger: Es ist eine Mischung aus Aktionismus in der Politik, eine Verzettelung von zu vielen Akteuren, die bei zu wenig fundiertem Wissen manchmal Entscheidungen treffen, die letztlich am gewünschten Erfolg vorbeiführen. Und das alles bei sehr knappen finanziellen Ressourcen. Von der Summe her gesehen sind die Bildungsausgaben in den vergangenen Jahren zwar gestiegen, das zeigt auch der Bildungsfinanzbericht, aber die Pro-Kopf-Ausgaben pro Grundschüler sind im EU-Vergleich alles andere als spitze.
epd: Jedes Bundesland hat doch Bildungspläne für die Kindergartenjahre. Steht da überall das Richtige drin?
Kuger: Zunächst das Hauptproblem vorweg: Die Bildungs- und in manchen Bundesländern Orientierungspläne für die Bildungsphase vor der Einschulung sind nicht immer verpflichtend. Sie sind oft nur eine Empfehlung, wie frühe Bildung stattfinden kann. Gleichzeitig findet in der Praxis natürlich vielerorts frühe Bildung statt, wenn auch nicht nach fixen Vorgaben oder gar einheitlichen Standards. Das ist heute zum Glück schon anders als vor 20 Jahren, als der Kindergarten noch stärker um seinen eigenständigen Bildungsauftrag gerungen hat und herausstellen musste, dass er mehr bietet als nur Betreuung. Es bleibt aber dabei, dass es für die Kitas keine Bildungsstandards gibt, die existieren nur für den Schulbereich.
epd: Sollte das geändert werden?
Kuger: Das kann man schlecht sagen. Um Standards von einem Bildungsabschnitt zu verlangen, müsste der ja in die Lage versetzt werden, mit allen Kindern arbeiten zu können. Es gibt aber keine Kitapflicht. Das bedeutet, auch wenn die frühe Bildung im Kindergarten verbindlich geregelt würde, werden nie alle Kinder eines Jahrgangs davon profitieren, weil nicht alle in einer Kita oder in der Kindertagesbetreuung sind.
epd: Aber es gibt doch wegen des Rechtsanspruchs auf einen Kita-Platz hohe Besuchsquoten. Also hat man doch zumindest im Vorschuljahr schon viele Kinder in den Einrichtungen ...
Kuger: Ja, das stimmt. Bei den Sechsjährigen sind es etwa 96 Prozent, die eine Kita besuchen. Hier eine Kita-Pflicht zu diskutieren, ist irrelevant. Und natürlich sind sich alle einig, dass Kinder bis zum Ende der Kindergartenzeit bestimmte Fähigkeiten vorweisen sollten, wie etwa ausreichende Sprachkenntnisse. Doch es ist und bleibt schwierig, sich dazu auf Bildungsstandards zu einigen. Dabei wäre es wichtig, dass der Staat eine Garantie dafür abgibt, dass alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, um allen Kindern die Chance zu geben, zum Zeitpunkt der Einschulung so fit zu sein, dass sie unter anderem dem Schulunterricht in der Grundschule folgen können.
epd: Was würde da bindend vermittelt werden?
Kuger: Es geht gar nicht nur um gute Sprachkenntnisse, die natürlich auch wichtig sind. Dazu gehört auch eine große Vielfalt anderer Fähigkeiten und Fertigkeiten, etwa, dass die Mädchen und Jungen mal eine gewisse Weile lang ihre Bedürfnisse zurückstellen können, nicht zu laut aber auch nicht zu leise sind. Dass sie ihre Schuhe selbst binden können und dass sie in der Lage sind, in einer Gruppe Regeln zu befolgen, aber auch ihre Interessen vertreten und sich insgesamt auch mit fremden Kindern arrangieren können. All das sind Bereiche, in denen die Kinder die erwähnte Garantie der Förderung bekommen sollten.
epd: Was ist mit dem Hilfsmittel der Sprachstandserhebungen?
Kuger: Es fehlt ganz grundsätzlich an systematischen und länderübergreifend vergleichbaren Beobachtungen von Dreijährigen und Vierjährigen. Es gibt zwar überall Sprachstandserhebungen, aber die eingesetzten Instrumente sind von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich und die Ergebnisse deshalb nur bedingt vergleichbar. In den wenigsten Sprachstandserhebungen werden alle wissenschaftlich relevanten Bereiche der Sprachentwicklung erfasst. Es ist nun einmal keine umfassende Sprachdiagnostik, wenn eine Erzieherin zweimal im Jahr eine Checkliste ausfüllt. Dafür ist sie auch nicht zuständig, und dafür wurde sie nicht ausgebildet. Diese Tests wären aber notwendig, um genau zu wissen, wo ein bestimmtes Kind noch Hilfe benötigt.
epd: Wie lässt sich das Problem lösen?
Kuger: Man müsste systematischer vorgehen und mit allen idealerweise vierjährigen Kindern ein Screening machen. So erkennt man, wie weit der Weg noch ist, um, bleiben wir beim Beispiel, vom Sprachstand her in der Grundschule bestehen zu können. Auf dieser Basis kann man dann gemeinsam mit anderen Professionen wie Logopäden überlegen, welche Förderungen im Einzelfall nötig sind. Ganz neu ist das nicht. Baden-Württemberg hat das zum Beispiel im Projekt „Schulreifes Kind“ umgesetzt. Dort wurden runde Tische eingerichtet mit der pädagogischen Fachkraft, der Grundschullehrkraft und gegebenenfalls weiterem Fachpersonal, die dann gemeinsam einen Förderplan verfasst haben. Es gibt also durchaus funktionierende Modelle, die sich jedoch nur dann flächendeckend umsetzen lassen, wenn man ordentlich Geld investiert.
epd: Hamburg hat schon vor Jahren reagiert und ist mit Sprachtests und Hilfen erfolgreich. Also scheint die Problemlösung nicht nur eine Frage des Geldes zu sein?
Kuger: Ja, Hamburg hat tatsächlich das Schulsystem und den Bereich der frühen Bildung umgekrempelt und die verschiedenen Teilkomponenten seiner Hilfesysteme gut verknüpft. Es gibt hier flächendeckende Sprachdiagnostik und auch regelmäßige Leistungsfeststellungen jenseits der Grundschule. Und, auch das ist relevant, Hamburg hat vor einigen Jahren alle Grundschulen auf Ganztagsbetrieb umgestellt und bietet zahlreiche Förderangebote an, sehr eng vernetzt mit der Kinder- und Jugendhilfe. Ziel ist es, über die Säulen der verschiedenen Hilfesysteme hinweg an der Lebenslage der Kinder anzusetzen. Ähnlich grundlegend sind auch die Veränderungen in der Ausstattung der Bildungsorte auf Basis von Sozialraumbewertungen, das heißt, in allen Vierteln der Stadt wurden Problemgebiete ermittelt. Schulen, die aufgrund sozialer Indikatoren einen besonderen Bedarf haben, bekommen mehr Geld zugewiesen, je nachdem, wie schwierig das Klientel ist, mit dem sie es zu tun haben.
epd: Braucht man ein spezielles Förderprogramm für Kitas in schwierigen Sozialräumen? Das wäre dann die gleiche Idee, die hinter dem „Startchancenprogramm“ für Schulen steckt.
Kuger: Es wäre zu überlegen, Kinder mit zum Beispiel besonderem Hilfebedarf in Kitas noch stärker zu berücksichtigten. Es gibt diese Ansätze schon, aber sie sind vielleicht noch nicht ausreichend. Mit Blick auf die Probleme des Spracherwerbs darf man zum Beispiel nicht allein darauf abheben, dass nur Kinder aus Migrantenfamilien betroffen sind. Damit hat auch ein substanzieller Teil von Kindern aus deutschsprachigen Familien zu kämpfen. Sie erleben in ihrem Alltag keine so reichhaltige Sprache mehr, als dass sie sie richtig erlernen könnten. Ein Migrationshintergrund und ein nicht Deutsch sprechender Familienhaushalt sind da nur ein Teil des Problems. Ein Ansatzpunkt waren die Sprach-Kitas, die aber als Förderprogramm ausgelaufen sind, weil der Bund das Modellprojekt beendet hat. Insgesamt ein guter Ansatz, aber die Vielzahl der angebotenen Sprachförderangebote in den Kitas war nicht mehr wirklich überschaubar - und wiederum war nicht alles, was eingesetzt wurde, nachweislich auch effektiv.
epd: Müsste die Erzieherausbildung reformiert werden mit Blick auf die frühe Bildung?
Kuger: Das sehe ich nicht als zwingend notwendig an. Man kann sicher darüber nachdenken, ob es nicht besser wäre, früher mit einer Spezialisierung auf einen gewissen Altersbereich zu beginnen. Doch eine Fokussierung auf die frühe Kindheit hätte auch Nachteile, weil sie das Feld der beruflichen Einsatzmöglichkeiten einengt. Die Vielseitigkeit ermöglicht es auch, sich beruflich weiterzuentwickeln, und zum Beispiel in der pädagogischen Arbeit zwischen verschiedenen Altersgruppen an zu betreuenden Kindern zu wechseln. Das eröffnet auch Perspektiven für die Mitarbeitenden, noch mal was Neues zu beginnen, wenn Sie das wollen.
epd: Reden wir zum Schluss noch über das Problem des Fachkräftemangels, der ja alle Bemühungen, die frühe Bildung voranzubringen, auch durchkreuzen kann.
Kuger: Es gibt in der Tat in bestimmten Regionen Probleme, Fachpersonal zu finden. Und meines Erachtens ist keine schnelle Lösung in Sicht. Aber man muss auch wissen, dass sich die Zahl der Beschäftigten in der Kinder- und Jugendhilfe in den vergangenen Jahren insgesamt verdreifacht hat. Wir haben es mit einem sehr dynamischen Sektor im Arbeitsmarkt zu tun und sind grundsätzlich auf einem guten Weg. Leider reicht das mitunter noch immer nicht aus, unter anderem auch weil nach einem zwischenzeitlichen Geburtenzuwachs durch die vor dem Krieg aus der Ukraine geflüchteten Familien vermehrt kleine Kinder in die Betreuung kommen. Derzeit ist leider auch keine Besserung absehbar, angesichts einer nicht unerheblichen Anzahl an Erkrankungen von Fachkräften und hoher Fluktuation. Erfreulich ist aber zugleich, dass die Anzahl der neu in die Ausbildung startenden Fachschülerinnen und Fachschüler ebenso nach oben geht wie die Anzahl der Berufseintritte. Der Beruf des Erziehers beziehungsweise der Erzieherin ist also durchaus attraktiv. Ein Problem liegt sicher auch noch im Halten der Fachkräfte. Da kann und muss man besser werden.
Mainz (epd). In Tschetschenien hatte Amina Achmadowa (Name geändert) als Lehrerin gearbeitet, nach ihrer Flucht vor den patriarchalischen Verhältnissen in ihrer Heimat lernte sie Deutsch und versuchte, noch einmal ganz von vorne anzufangen. Trotz eines abgelehnten Asylantrags konnte sie zunächst auch in Deutschland bleiben.
Doch als sie eine Ausbildung in einer Konditorei abbrechen musste, drohte ihr nach jahrelangem Aufenthalt plötzlich doch wieder die Abschiebung in die russische Kaukasusrepublik. Achmadowas letzter Strohhalm wurde zu ihrer Rettung: Die rheinland-pfälzische Härtefallkommission prüfte ihren Antrag. Nach einjährigem Hoffen und Bangen fiel im Frühjahr 2023 eine positive Entscheidung.
Im Jahr 2022 waren in Rheinland-Pfalz 31 Härtefallanträge erfolgreich, alle betroffenen Familienangehörigen eingerechnet profitierten davon 93 Personen - eine verschwindend kleine Anzahl vor dem Hintergrund von aktuell mehr als 7.000 geduldeten ausreisepflichtigen Ausländern.
Dennoch hat das rheinland-pfälzische Integrationsministerium die Kommission jetzt reformiert - offenbar mit Ziel, weniger Anträge zuzulassen. Neu hinzugekommen sind zusätzliche Ausschlussgründe, vor allem aber soll die Kommission in bestimmten Fällen nicht mehr in voller Besetzung tagen, sondern eine lediglich dreiköpfige Runde entscheiden. Integrationsministerin Katharina Binz (Grüne) versprach „kürzere und stringentere Verfahren“.
Die Härtefallkommissionen der Bundesländer sind unterschiedlich zusammengesetzt und arbeiten nach jeweils eigenen Regeln, aber im Kern verfolgen sie das gleiche Ziel: In seltenen Ausnahmefällen, in denen weder Asylgründe vorliegen noch gesetzliche Bleiberegelungen greifen, können sie eigentlich ausreisepflichtigen Ausländern zu einem Aufenthalt aus humanitären Gründen verhelfen. Ihre Einrichtung basiert auf § 23a des Aufenthaltsgesetzes.
„Das maßgebliche Kriterium für die Entscheidung der Kommission, ob ein 'Härtefall' vorliegt, ist der Grad der Integration in Deutschland und die Härte, die eine erneute Entwurzelung bedeuten würde“, heißt es beim „Informationverbund Asyl & Migration“. Faktoren wie Erwerbstätigkeit, Sprachkenntnisse, Bildungserfolge und soziale Bindungen (zum Beispiel über das Engagement in Vereinen oder religiöse Gemeinschaften) spielten hierbei häufig eine Rolle: „Es kommt also nicht auf etwaige Gefährdungen im Herkunftsland an. Diese sind im Asylverfahren geltend zu machen.“
Typische Fälle in den nichtöffentlichen Sitzungender Kommissionen sind Personen, die sich schon lange in Deutschland aufhalten, aber unverschuldet nicht oder nicht vollständig für ihren Lebensunterhalt sorgen können, aber auch Menschen mit einer ernsthaften psychischen Erkrankung. Da deren Diagnose umfangreiche Gutachten erfordert, können die nötigen Papiere oft schon aus Zeitgründen nicht während des Asylverfahrens beschafft werden.
Dass das Mainzer Ministerium die Reform unter anderem damit begründete, sie sei wegen der gestiegenen Fallzahlen nötig, hatte bei Mitgliedern der Kommission, Verbänden und Medien jedoch für Verwunderung gesorgt. Denn die eigenen Statistiken der Kommission belegen das genaue Gegenteil. „Die ganze Grundannahme war schon falsch“, sagt Michael Engelhardt von Amnesty International.
In einem Protestschreiben hatten evangelische Kirche und Flüchtlingshilfe deshalb gewarnt, die geplante neue Arbeitsweise laufe dem eigentlichen Sinn der Kommissionsarbeit zuwider. „Zudem würde es den humanitären Charakter dieses Gremiums stark einschränken“, hieß es in dem Papier. Die Kritik verhallte jedoch weitgehend ungehört. Es habe lediglich einige kleine Nachbesserungen gegeben, räumt Wolfgang Schumacher, Vertreter der evangelischen Landeskirchen am Sitz der Mainzer Regierung, ein.
Mit neuer Rechtsgrundlage kann die Kommission immerhin überhaupt wieder tagen. Vor der Reform war sie nämlich schon ein gutes halbes Jahr gar nicht mehr zusammengekommen, Landkreis- und Städtetag waren den Sitzungen sogar schon länger ferngeblieben und hatten zuletzt nicht einmal mehr offizielle Vertreter benannt.
Bereits vor einigen Jahren hatten die Kommunalvertreter die Sitzungen über Monate hinweg boykottiert. Sie forderten damals unter anderem ein Vetorecht gegen positive Entscheidungen, obwohl viele Abstimmungen in dem Gremium laut Insidern traditionell einstimmig erfolgen. Damals blieb die harte Haltung der Kommunen zunächst folgenlos, inzwischen sind die Zeiten andere. „Wichtig ist, dass es überhaupt weitergeht“, sagt Kirchenrat Schumacher.
Hannover (epd). „Jay Jay“, wie er sich nennt, hat Erfahrungen damit, bei Minusgraden draußen in einem Zelt zu nächtigen. Seit 24 Jahren lebt er buchstäblich auf der Straße. „Ich habe es bisher gemeistert“, sagt er. Um sich am Vormittag aufzuwärmen, ist er wie an beinahe jedem Tag in den Kontaktladen „Mecki“ in Hannover gekommen, einer niedrigschwelligen Anlaufstelle für wohnungslose Menschen. In dem schlicht eingerichteten Raum in Bahnhofsnähe bietet das Diakonische Werk warme und kalte Getränke und ein tägliches Frühstück an, an diesem Vormittag sind es Milchhörnchen und Eier.
Rund zwei Dutzend Menschen sitzen an Tischen oder holen sich an der Theke ein Getränk. Es herrscht ein Kommen und Gehen. „Mir gefällt das herzliche Chaos“, sagt Jay Jay. „Hier treffe ich Freunde, Bekannte und Sozialarbeiter, die mir helfen.“ Eine davon ist Lea Coners, die seit zweieinhalb Jahren im „Mecki“ arbeitet. „Auf der Straße sind extreme Wetterbedingungen wie Regen, Schnee oder Hitze eine Bedrohung für die Existenz der Menschen“, erklärt sie. „So zu leben, hat katastrophale Auswirkungen auf die Gesundheit.“ Bei den Schlafplätzen im Freien sei es besonders wichtig, dass die Plätze zumindest überdacht und windgeschützt sind.
Jay Jay hatte sich zuletzt unter einer Brücke am Fluss Ihme eingerichtet. Mehrere Decken, Schlafsäcke und Isomatten helfen dem 46-jährigen Deutschen, die Nächte zu überstehen. Mit Stövchen und Brennpaste erwärmt er sich das Essen. Als im Dezember das Hochwasser kam und die Ihme über die Ufer trat, hat es ihn besonders hart getroffen. „Alles wurde fortgeschwemmt“, sagt Jay Jay: Handy, Kleidung, Zelt, Kochtöpfe und sogar Weihnachtsgeschenke, die er für Freunde besorgt hatte.
Verschiedene Träger in Hannover bieten neben Tages- und Nachttreffs auch Übernachtungsmöglichkeiten in mehreren Notschlafstellen an. Aber nicht alle Betroffenen möchten in solchen Notunterkünften schlafen. Sie fürchteten gewaltsame Übergriffe oder Diebstahl, sagt Lea Coners. „Dort schlafen mehrere Personen in einem Zimmer, oft ist es überfüllt.“
Hilfsorganisationen wie die Diakonie oder die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe mit Sitz in Berlin fordern deshalb viel mehr menschenwürdige Unterkünfte. „Es braucht Ein- und Zweibettzimmer und keine Massenquartiere, wo man sich das Zimmer mit acht Personen teilen muss“, sagt Geschäftsführerin Sabine Bösing.
Um Wohnungslosigkeit grundsätzlich zu überwinden, müsse es mehr bezahlbaren Wohnraum geben. „Von den 100.000 neuen Wohnungen jährlich, die uns die Regierung versprochen hat, sind wir leider weit entfernt“, sagt Bösing. Die Bundesarbeitsgemeinschaft wünsche sich eine Quotierung für wohnungslose Menschen. Das bedeutet, dass eine Anzahl von Wohnungen extra für sie zur Verfügung gestellt wird. Denn ein sicherer Wohnraum sei der Wunsch der betroffenen Menschen. So geht es auch Jay Jay. Doch er stellt klar: „In eine Wohnung möchte ich nur, wenn ich weiß, dass es mein Zuhause ist, wo ich mich wohlfühle.“
Lea Coners und ihre Kolleginnen und Kollegen müssen im Umgang mit wohnungslosen Menschen viel Beziehungsarbeit leisten, wie sie erzählt. Unter anderem sind sie in den Straßen unterwegs, um Kontakte zu den Menschen zu knüpfen. „Viele haben das Vertrauen ins Hilfesystem verloren und erfahren Rückstöße in der Gesellschaft.“ Zu häufig würden Wohnungslose noch ausgegrenzt und stigmatisiert.
Doch jeder könne auf der Straße landen, „von heute auf morgen“, erläutert die Sozialarbeiterin: „Wohnungslose Menschen bilden einen Querschnitt der Gesellschaft ab.“ Darunter seien sowohl Akademiker als auch Menschen, die bereits als Jugendliche auf der Straße landeten. Die Gründe reichten von Trennung über Krankheit bis zum Jobverlust.
Jay Jay hat seine Wohnung vor Jahrzehnten durch eine Trennung verloren, wie er berichtet. Mittlerweile hat er übergangsweise einen neuen Platz für sein Zelt gefunden. „Aber dort werde ich von der Stadt manchmal verscheucht.“ Was Jay Jay sich wünscht? „Das kann mir keiner geben“, sagt er. „Ein neues Leben.“
Leipzig (epd). Beim Start der Kampagne im Caritas-Familienzentrum Leipzig sagte Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa: „Frieden ist nichts, was ein für alle Mal da ist. Er muss immer wieder neu erworben und abgesichert werden.“ Und die Verbandschefin ergänzte: „Auch in unfriedlichen Zeiten ist es möglich und dringlich nötig, zum Frieden anzustiften.“
Dazu stellt der katholische Wohlfahrtsverband in der Kampagne eigene Projekte und Angebote in den Mittelpunkt, die einen Beitrag zum Frieden leisten, wie Familienberatungsstellen, Bahnhofsmissionen und Aufnahmeeinrichtungen für Geflüchtete.
„Friedensstifterin ist die Caritas da, wo sie Brücken zu baue, Kompromisse ermögliche und auch “politischen Brandstiftern das Handwerk legt", unterstrich sie mit Blick auf polarisierende Debatten und spaltende Verhaltensweisen in der Gesellschaft.
Zu den vorbildlichen Initiativen, die zeigten, wie vielfältig die Friedensarbeit vor Ort sein könne, gehört laut der Caritas-Präsidentin auch das Projekt „Stinktier“ des Caritasverbandes Leipzig, das Gewaltprävention an Schulen anbietet. Die Schülerinnen und Schüler lernen dabei, Konflikte frühzeitig zu erkennen, gewaltfreie Lösungswege zu finden und Eskalationen zu verhindern. Ein anderes Beispiel seien in den bundesweit 25.000 Caritas-Einrichtungen Patenprogramme für geflüchtete Kinder, die oft von ehrenamtlich Engagierten getragen werden.
In der Caritas-Kita Don Bosco in Solingen zeigte zum Kampagnenstart das aus der „Sendung mit der Maus“ bekannte Schauspielerduo Fug und Janina das für den Caritasverband im Erzbistum Köln entwickelte interaktive Theaterstück „Katze und Hund, na und?“, bei dem die Bewältigung von Konflikten im Vordergrund steht.
Auch in der Anlauf- und Beratungsstelle „No Limits“ des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF) in Hameln ist man für den Frieden aktiv. Dort ist das Mädchencafé Anlaufstation und Schutzraum für diejenigen, die Unfrieden und Gewalt erleben. „Hier finden die Mädchen eine friedliche zugewandte Atmosphäre und können, aber müssen nicht, über ihre Probleme sprechen. Manche sind im Krieg mit ihrem Körper, manche kämpfen mit der Rolle, die ihnen in der Familie zugewiesen wird. Wir zeigen ihnen Wege aus der Gewalt“, umschreibt Christiane Emmel, Sozialarbeiterin und Präventionsbeauftragte des Caritas-Haus’ Hameln das Projekt.
Besonderes Augenmerk müsse auch auf die Menschen am Rande der Gesellschaft gelegt werden, sagte der Vorstandsvorsitzende des Caritasverbandes Leipzig, Tobias Strieder: „Wer einsam und isoliert lebt, wer gesundheitliche Beeinträchtigungen hat, wer nicht weiß, ob am Ende des Monats die wichtigsten Auslagen noch beglichen werden können, wird die aktuellen Krisen so belastend und bedrängend erleben, dass die Kapazität für gemeinsame Gegenwehr fehlt.“
Im Laufe des Jahres will die Caritas durch Aktionen an vielen Standorten die eigenen Träger sowie andere Organisationen, Institutionen, Gruppen und einzelne Menschen dazu bringen, ihren eigenen Beitrag zum Frieden zu reflektieren. Insbesondere sollen im öffentlichen Raum aufgestellte, mit dem Kampagnenmotto „Frieden beginnt bei mir“ versehene Spiegel dazu animieren. Auch in den Einrichtungen der Caritas sollen die vorhandenen Spiegelflächen, etwa in den Badezimmern, dazu genutzt werden.
Bremen, Borkum (epd). An die Sache mit der Taschenlampe kann sich Hans-Georg Bierbass noch gut erinnern. „Ich las mit der Taschenlampe unter der Decke und bin dabei erwischt worden“, sagt der Kölner, der 1972 im Alter von zehn Jahren für sechs Wochen in das diakonische Adolfinenheim auf die Nordseeinsel Borkum verschickt wurde. Zur Strafe musste er dann nachts auf dem gekachelten Fußboden im Waschraum schlafen - ohne jede Decke oder Unterlage, nur im Schlafanzug.
Das Adolfinenheim steht für ein typisches deutsches Kindererholungsheim der Nachkriegszeit. Über einen Zeitraum von 75 Jahren wurden bis 1996 etwa 90.000 Jungen und Mädchen aus vielen Teilen Deutschlands zur Erholung oder auch zur Therapie in das Haus geschickt, unter anderem aus Bremen, Niedersachsen, Hessen und Nordrhein-Westfalen. Ziel war es, die Kinder aufzupäppeln, weil sie in den Augen von Ärzten, Eltern oder Lehrern zu blass, zu dünn oder auch zu dick waren. Kinder-, Haus- oder Schulärzte verschrieben die Kuren.
Doch statt der erhofften Erholung erlebten viele der „Verschickungskinder“ lieblose Behandlung, Angst und Zwang. Exemplarisch zeigen die Bremer Kulturwissenschaftlerin Gerda Engelbracht und ihr Kollege Achim Tischer nun in einer Dokumentation, die unterstützt vom Diakonischen Werk und der evangelischen Kirche in Bremen entstanden ist, wie sehr die Kinder unter der schwarzen Pädagogik der Kurheime litten.
„Zwischen Erholung und Zwang“ lautet der Titel des Buches, für das die Historiker unter anderen mit Hans-Georg Bierbass gesprochen haben. Gefühle von Angst und Ohnmacht hätten seine Zeit im Adolfinenheim geprägt, erinnert sich der heute 61-Jährige. Das Selbstwertgefühl des damals schmächtigen Jungen, der sich bei der Abfahrt noch „völlig gesund“ fühlte, verwandelte sich in Wut und Hilflosigkeit. „Wut und Hilflosigkeit darüber, dass die Bediensteten mit uns machen und lassen konnten, was sie wollten - und wir keine Chance hatten, uns dagegen zu wehren.“
Die Bediensteten, das waren lange Zeit vor allem Schwestern aus dem Bremer Diakonissen-Mutterhaus. Ihre Machtposition und ihr autoritär-konservativer Erziehungsstil hätten die Atmosphäre im Haus geprägt, schildert Tischer: „Hinter den Mauern des völlig abgeschotteten Hauses praktizierten die Diakonissen mit dem ihnen unterstellten Personal über Jahrzehnte hinweg eine schwarze Pädagogik.“
Dazu gehörten ein scharfer Umgangston, grobes Vorgehen beim Kämmen, Haare ziehen, leichte Schläge auf den Kopf, schwere Schläge mit der offenen Hand auf das Gesäß, Einsperren in dunklen Räumen, nächtliches Aussperren in der kalten Dusche ohne Kleidung - und immer wieder Demütigungen. So wurden Bettnässer öffentlich an den Pranger gestellt. Hans-Georg Bierbass berichtet: „Ein Junge, der ins Bett gemacht hatte, musste sich morgens mit dem nassen Bettlaken auf das Bett stellen und unendlich lange das Laken hochhalten. Wenn man abends ins Bett ging, hatte man also immer Angst und dachte: Hoffentlich passiert mir das nicht.“
Ähnliche Schikanen und Übergriffe hat die gebürtige Bremerin Ulrike Bergmann-Seifert erlebt. Sie war 1966 für acht Wochen auf Borkum und erinnert sich an seelische Brutalität und entsetzliches Heimweh. „Im Adolfinenheim ging es um das Verwalten von Kindern, nicht ums Umsorgen“, bringt sie es auf den Punkt. Das habe Spuren hinterlassen - bis heute. „Ich habe zum Beispiel große Probleme, mich auf andere zu verlassen“, sagt sie und ist überzeugt: „Das resultiert sicherlich auch aus dieser Zeit.“
Sie habe jahrelang nicht darüber gesprochen, was auf Borkum passiert sei, ergänzt Ulrike Bergmann-Seifert. Überhaupt: Niemand fragte, was in den Kurheimen geschah, die Kinder trugen ihr Leid im Stillen - millionenfach. Mittlerweile gehen Betroffene selbst an die Öffentlichkeit und erzählen beispielsweise im Internet von ihren teils dramatischen Erlebnissen.
Dabei zeigt sich: Was auf Borkum geschah, waren keine Einzelfälle und wurzelte in einer Gesellschaft, in der strenge und auch gewalttätige Erziehung genauso wie die Demütigung von Kindern zum Alltag gehörten. Die Berichte von Hans-Georg Bierbass und Ulrike Bergmann-Seifert zeigten eindrucksvoll das traumatisierende Grundrauschen des Heimalltags während der Kuren, resümiert Tischer. Die Dokumentation biete den verletzten Kinderseelen möglicherweise „die Chance, aus dem Nebel zu steigen und besser damit umzugehen“.
Bremen (epd). Zwischen Ende der 1940er bis in die 1980er Jahre wurden in der Bundesrepublik Millionen Kinder in Kurheime verschickt. Sie sollten dort erholen und „aufgepäppelt“ werden. Häufig spielten ein zu geringes Körpergewicht oder vorhandene Erkrankungen eine Rolle. Zudem konnten sich viele Familien einen Urlaub nicht leisten. Die Kosten trugen die Krankenkassen.
Oft wurde der Erfolg der Kur an der Gewichtszunahme gemessen. Doch viele Mädchen und Jungen kehrten traumatisiert zurück. Sie berichteten unter anderem von Essenszwang durch das Pflegepersonal bis hin zum Erbrechen sowie von harten Strafen wie Schlafentzug oder Ans-Bett-Fesseln.
Häufige Ziele waren die nord- und ostfriesischen Inseln sowie die Hoch- und Mittelgebirge. Betrieben wurden die Kurheime unter anderem von Trägern wie der Diakonie, der Caritas, der Arbeiterwohlfahrt oder vom Deutschen Roten Kreuz.
Ende 2019 kamen erstmals Betroffene zu einer bundesweiten Konferenz auf Sylt zu einem Austausch zusammen, um das Erlebte gemeinsam aufzuarbeiten. Sie fordern vom Bund mehr Engagement bei der Aufklärung der Missstände in Kinderkurheimen, beispielsweise eine öffentlich finanzierte Anlaufstelle zur Beratung und Vernetzung. Bisher beschränken sich die Aufarbeitungsbemühungen jedoch auf einzelne Bundesländer.
Darmstadt (epd). Nach der Überzeugung der Leiterin des Fachbereichs Kindertagesstätten in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), Sabine Herrenbrück, sind beim Problem Fachkräftemangel die nächsten fünf Jahre entscheidend: „In dieser Zeit muss ein Drittel unserer Kräfte aufgrund von Verrentung ausgetauscht werden“, sagte sie im Interview des Evangelischen Pressedienstes (epd). Mit ihr sprach Christopher Hechler.
epd sozial: Frau Herrenbrück, die neue hessische Landesregierung hat ihre Arbeit aufgenommen. Im Koalitionsvertrag haben sich CDU und SPD in Sachen Kita nur recht vage geäußert. Unter anderem soll die Anwerbung von Erzieherinnen und Erziehern aus dem Ausland intensiviert werden. Was halten Sie davon und was erwarten Sie angesichts des Vertrags von der künftigen Landesregierung?
Sabine Herrenbrück: Ich vermisse neue Impulse. In der Tat muss die Anerkennung ausländischer Abschlüsse unbedingt beschleunigt werden, da hier noch Potenzial ist. Dennoch sollte auch berücksichtigt werden, dass die vorhandenen Fachkräfte unterschiedliche „Sorten“ Einsteiger und Einsteigerinnen in Kitas auch begleiten, einarbeiten und betreuen müssen. Deshalb kommt es darauf an, unter Berücksichtigung der Ressourcen in den Kitas vorzugehen, sonst wird das Fachpersonal noch zusätzlich belastet.
epd: Wie ernst ist die Lage in Sachen Fachkräftemangel tatsächlich?
Herrenbrück: Die nächsten fünf Jahre sind für uns entscheidend, in dieser Zeit muss ein Drittel unserer Kräfte aufgrund von Verrentung ausgetauscht werden. Wir hatten noch nie so viele Arbeitsplätze und Stunden in den Soll-Stellen-Plänen wie jetzt, die Kitas können sie aber nicht besetzen. Neben der Verrentung liegt das auch daran, dass Kräfte das Feld verlassen, Azubis nicht nachkommen und Erzieherinnen und Erzieher, die in Elternzeit sind, aufgrund des Betreuungsplatzmangels nicht wieder in den Beruf zurückkommen können.
epd: Was bedeutet das konkret für Eltern?
Herrenbrück: Wir haben bereits Öffnungszeiten reduziert und Gruppen geschlossen. Die Eltern erfreut das nicht, aber sie haben bis zu einem gewissen Grad Verständnis. Deren Arbeitgeber allerdings nicht. Das ist der springende Punkt.
epd: Es braucht mehr Verständnis auf Seiten der Arbeitgeber?
Herrenbrück: Ich bin der Meinung, dass sich Arbeitgeber für den Kinderbetreuungsbereich viel stärker machen müssten. Letztlich gewährleistet der, dass Fachkräfte für sie zur Verfügung stehen. Gerät der Betreuungsbereich ins Schlingern, wirkt sich das auch auf die Planbarkeit von Personal in den Unternehmen aus. Man weiß nicht sicher, wer morgen im Labor stehen kann, wenn eine Grippewelle in der Kita womöglich auch die letzten zwei Erzieherinnen erwischt hat. Die Arbeitgeber müssten sich viel stärker für eine Stabilität in der Kinderbetreuung einsetzen.
epd: Wie findet man neues Personal, wenn der Fachkräftemangel überall zu spüren ist?
Herrenbrück: Die Möglichkeiten sind sehr überschaubar, und wir sind in Konkurrenz mit vielen anderen Kita-Trägern, die dabei mit allen Mitteln, von der Bezahlung über Vergünstigungen, arbeiten. Wir sind der Meinung, dass darüber hinaus vor allem eine gute Führung und eine gute Stimmung am Arbeitsplatz wichtig sind. Wichtig ist aber auch die Selbstdarstellung im Internet, mit Werbung im Bus kommen wir nicht mehr weit.
epd: Welche Rolle spielt das Gehalt?
Herrenbrück: Es ist eine Falschauskunft zu sagen, dass Erzieherinnen schlecht verdienen. In Vollzeit ist der Verdienst auch zum Berufsbeginn schon gut - das, was Erzieherinnen verdienen, hätte sicher auch mancher Handwerksgeselle gerne monatlich auf dem Konto. Natürlich sind viele Frauen in der Branche, die in Teilzeit arbeiten, dann sind die Einkünfte entsprechend abgestuft. Aber dieser Diskurs sollte nicht um die Kita herum geführt werden, es gibt andere Berufslagen, die sehr viel prekärer sind.
epd: Inwiefern wirkt sich der Fachkräftemangel auf die Kinder aus?
Herrenbrück: Ein Beispiel: Wir spüren immer noch die Auswirkungen der Corona-Pandemie. Kinder, die 2019 geboren wurden, sind unter pandemischen Bedingungen drei Jahre alt geworden - das macht etwas mit ihnen und ihren Eltern. Die Kinder sind zunächst mehr oder weniger abgeschottet, ohne gleichaltrige Artgenossen und ohne Einübung von sozialen Kompetenzen, aufgewachsen. Bei der Aufnahme in die Kita verändern sich dann die Verhaltensweisen. Es gibt Rückmeldungen, dass Kinder in Kitas sehr viel mehr Aufmerksamkeit einfordern, als das bisher der Fall war. An dieser Stelle wäre es beispielsweise eine große Hilfe, wenn alle Stellen in einer Kita besetzt wären.
epd: Die knappe Besetzung wirkt sich sicher auch auf die Erzieherinnen aus.
Herrenbrück: Mich treibt ein Narrativ sehr herum, das sich unter Fachkräften aufgebaut hat und Echo-Kammern findet: Es heißt, wir könnten aufgrund des Fachkräftemangels keine Pädagogik mehr machen. Das ist so, als würde ein Banker sagen: „Es ist Finanzkrise, ich kann nicht mehr rechnen.“ Damit schaden wir uns, weil das den Eltern suggeriert, sie würden ihre Kinder in eine Kita geben, in der keine Pädagogik mehr stattfindet. Vielleicht kann man in einer Phase des Personalmangels weniger gezielte Projekte machen, aber Pädagogen sind auch dann noch Experten für Lebensalltagsgestaltung und Bildungsarbeit mit Kindern.
epd: Trotzdem stehen die Fachkräfte sicher unter einer hohen Arbeitsbelastung. Was lässt sich dagegen tun?
Herrenbrück: Wir verstehen Gesundheitsförderung als Managementprinzip. Alle pädagogischen Fachberatungen sind darin geschult und zu den Maßnahmen gehört beispielsweise, die Einführung von Jahresarbeitszeitkonten zu prüfen und Dienstpläne so zu gestalten, dass die Menschen ihre Freizeit auch antreten können, ohne vertreten zu müssen. Es macht sich aber bemerkbar, dass die Fachkräfte auch während der Pandemie keine Pause hatten. Wir waren systemrelevant, solange Corona da war. Jetzt sind wir wieder gesellschaftliche Nebensache, wie wir es auch vorher waren.
epd: Das Land Hessen erhält vom Bund rund 300 Millionen Euro im Rahmen des Kita-Qualitätsgesetzes. Damit sollen die Arbeitsbedingungen für Fachkräfte unter anderem durch Teambuilding-Maßnahmen verbessert werden, auch soll der Einsatz von Verwaltungskräften gefördert werden. Was halten Sie davon?
Herrenbrück: Wir haben an diesen Maßnahmen tüchtig mitdiskutiert und uns, zum Beispiel, für die Verwaltungskräfte eingesetzt. Warum sollte eine Kita-Leitung, die den pädagogischen Betrieb organisieren muss, etwa Jugendamtsstatistiken ausfüllen? Was das Teambuilding angeht: Ich denke, dass es da eine Verbindung zum Fachkräftemangel gibt. Dabei geht es auch um den Personalerhalt. In einem Team, in dem man sich wohlfühlt, hat man keinen Grund zu kündigen. Früher war der Kita-Bereich ein zementierter Arbeitsmarkt, heute ist er sehr fluide. Mittlerweile suchen sich die Arbeitnehmer den Arbeitgeber aus, was für uns eine ungewohnte Situation ist.
Berlin, Düsseldorf (epd). Der Deutsche Pflegerat, der Bundesverband Pflegemanagement und die Rentenversicherung haben sich gegen jede Form von Rechtsextremismus und Diskriminierung gestellt. Die Präsidentin des Pflegerats, Christine Vogler, erklärte am 24. Januar in Berlin, rechtsextreme Überzeugungen seien unvereinbar mit dem Pflegeberuf. Sie rief dazu auf, die Demokratie zu stärken, Rückgrat zu zeigen und wachsam zu bleiben.
Die Präsidentin der Deutschen Rentenversicherung Bund, Gundula Roßbach, versicherte, die Rentenversicherung wende sich gegen alle, die den demokratischen Rechts- und Sozialstaat mit menschenfeindlichen Ideen torpedieren wollten. Industrievertreter warnten vor Wohlstandsverlust durch Fremdenfeindlichkeit in Deutschland.
Der Bundesvorstand des Bundesverbands Pflegemanagement bezieht ebenfalls klar Stellung gegen den aktuellen Rechtsruck in Teilen der Gesellschaft. „Ohne qualifizierte Pflegefachkräfte aus den verschiedensten Ländern wäre bereits heute die Pflege hierzulande nicht mehr zu leisten. Ganz abgesehen von der kulturellen Armut, die damit einherginge“, so eine Mitteilung vom 24. Januar.
Man stehe für ein buntes, demokratisches Land und eine Vielfalt in der Pflege, erklärte der Verband: „Den Rechtsruck und insbesondere die Politik der AfD verurteilen wir unter mehreren Gesichtspunkten scharf. Fremdenfeindliche und isolationistische Ansichten gefährden nicht nur die soziale und kulturelle Vielfalt Deutschlands, sondern bedrohen auch die Grundpfeiler unserer Gesund-heitsversorgung und Demokratie.“ Es sei essenziell, dass Deutschland seine Position als gastfreundliches und offenes Land weiterhin festigte, sowohl in Bezug auf die Aufnahme qualifizierter Arbeitskräfte aus dem Ausland als auch im Schutz seiner fundamentalen Werte.
Vogler und Roßbach bezogen sich auf Berichte, wonach Rechtsradikale und AfD-Mitglieder bei einem gemeinsamen Treffen Vertreibungspläne für Millionen Menschen aus Deutschland besprachen. Pflegerats-Präsidentin Vogler sagte, Angriffe auf die deutsche Verfassung und die Würde des Menschen seien auch ein Angriff auf das Berufsverständnis in der Pflege. Der Deutsche Pflegerat vertritt nach eigenen Angaben rund 1,7 Millionen Beschäftigte.
Vogler sagte: „Wir werden sicherstellen, dass der Ethikkodex des 'International Council of Nurses' jederzeit und überall in Deutschland gelebt und umgesetzt wird“. Das Recht auf Leben, die Achtung der Menschenwürde, einschließlich der kulturellen Rechte sowie respektvolle Behandlung seien „Grundpfeiler des Berufsverständnisses der Profession Pflege“.
Rentenversicherungs-Chefin Roßbach erklärte: „Jeder Mensch erhält unsere Leistungen, der seine Beiträge gezahlt hat, ungeachtet von Herkunft, Religion oder Geschlecht.“ Die Rentenversicherung bekenne sich zu ihrer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung und verurteile jede Form von Hass und Hetze.
Berlin (epd). Vor dem Hintergrund der sich zuspitzenden Debatte über die Zukunft der generalistischen Pflegeausbildung hat sich die Lenkungsgruppe Junge Pflege, die Vertretung der jungen Pflegenden, Auszubildenden und Studierenden im Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK), am 23. Januar mit einem Statement zu Wort gemeldet. Sie verteidigt die Ausbildungsreform und kommt zu dem Schluss: „Die Generalistik in der Pflegeausbildung muss beibehalten und weiterentwickelt werden. Sie bietet die Grundlage für eine breite und qualitativ hochwertige Pflegepraxis, die den Bedürfnissen der Pflegeempfänger gerecht werden kann.“
Weiter heißt es dort: „Wir sehen in der generalistischen Pflegeausbildung einen großen Gewinn und einen wichtigen Schritt für eine zukunftsfähige Pflege.“ Im Jahr 2020 wurde mit dem Pflegeberufegesetz die Ausbildung reformiert. Seitdem werden alle Bereiche des Pflegeberufes, also Gesundheits- und Krankenpflege, Gesundheits- und Kinderkrankenpflege sowie Altenpflege gemeinsam ausgebildet. Doch daran gibt es zunehmend Kritik. Es mehren sich Stimmen, die die Abschaffung oder ein Aufbrechen der Generalistik fordern.
Dazu schreibt die Lenkungsgruppe, die Kinderkliniken und Ärzte klagten über einen akuten Personalmangel im pädiatrischen Bereich und seien überzeugt, dass der Erhalt der Kinderkrankenpflegeausbildung diese Situation verbessern könnte. Ähnlich positioniere sich die CDU/CSUFraktion des Bundestages. Obwohl die Einführung der Generalistik von einer CDU/CSU-geführten Regierung durchgesetzt worden sei, werde jetzt im Positionspapier „Die Pflege zukunftsfest machen“ angekündigt, diese Entwicklung wieder rückgängig machen zu wollen.
Auch die Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung äußert demnach Bedenken: Pflegende könnten sich zukünftig nach der dreijährigen Ausbildung weniger für den beruflichen Weg in die Altenpflege entscheiden. „Aktuell gibt es jedoch keine konkreten Belege, dass eine solche Abwanderung tatsächlich stattfindet. Eine Evaluation der bisher noch vorgesehenen Spezialisierungen zur Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin beziehungsweise zum Altenpfleger ist erst für 2025 geplant und auch dann erst sinnvoll.“
In dem Statement wird betont, dass die Herausforderungen der generalistischen Pflegeausbildung und die Wahl des Arbeitssettings weniger im Bereich der Ausbildungsinhalte, sondern stehen eher im Zusammenhang mit der Berufsrealität. Hier müsse der Hebel zu Verbesserungen angesetzt werden. „Es ist für die Gesundheitsversorgung essenziell, die generalistische Ausbildung attraktiv zu gestalten. Dafür müssen die Ausbildungsbedingungen stimmig sein und mindestens den gesetzlichen Vorgaben entsprechend eingehalten werden.“
Die generalistische Ausbildung stehe für die Professionalisierung des Pflegeberufes. Sie ermögliche es, ein breites Spektrum an pflegerischen Schlüsselkompetenzen zu erwerben und flexibel in verschiedenen Bereichen der Gesundheitsversorgung tätig zu sein. „Diese Vielseitigkeit fördert stark die individuelle berufliche Entwicklung und ermöglicht Anpassungen an wechselnde Anforderungen im Gesundheitswesen - gerade auch in Krisenzeiten wie in einer Pandemie“, schreibt die Lenkungsgruppe.
Familienbildung stärkt den gesellschaftlichen Zusammenhalt, aber braucht dafür bessere finanzielle Absicherung. Die sich gegenwärtig überlagernden Krisen treffen Familien besonders hart. Sie möchten ihren Alltag weiterhin selbstbestimmt gestalten und suchen vielfältig nach Bestärkung, Rat und Austausch. Familienbildung ermöglicht es Eltern in herausfordernden Lebenslagen, Kompetenzen zur konkreten Krisenbewältigung zu erwerben und bietet ihnen Gelegenheiten zum Erfahrungsaustausch und zur Alltagsreflexion.
Mit professionellen, generationen- und milieuübergreifenden Lerngelegenheiten konnten Familien bereits unter Pandemiebedingungen unterstützt werden. Seither sind Familienbildungseinrichtungen stärker auch als Stabilitätsfaktor des Familienalltags gefragt. Mit ihren Programmen können sie zeitnah und innovativ auf aktuelle Herausforderungen reagieren. Immer wieder konzipieren sie neue, zum Teil auch kostenlos nutzbare Bildungsangebote.
In diesen Zeiten brauchen Familien nicht weniger, sondern mehr unterstützende und entlastende Bildungsangebote. Allerdings ist das breite und niederschwellige Angebotsspektrum der Familienbildung gefährdet: die allgemeinen Kostensteigerungen sowie Einsparungen in den kommunalen Haushalten belasten die Budgets. Mehrkosten und unzureichende Finanzierung müssen trotz Gemeinwohlorientierung vielfach durch erhöhte Teilnahmegebühren kompensiert werden. Das explorative und milieuübergreifende Angebotsspektrum wird reduziert, da es finanziell stark risikobehaftet ist und besonders von zusätzlichen Förderungen abhängt. Doch Familienbildung darf kein Privileg werden.
Kostenlose, niederschwellige und neu zu etablierende Angebote sind unverzichtbar, wenn sie weiterhin allen Familien offenstehen sollen. Deswegen sind Familienbildungsträger stärker finanziell darin zu unterstützen, ihre Unterstützungs- und Bildungsangebote auch für Familien mit niedrigen oder prekären Einkommen vorhalten zu können. Diesem Bedarf wird weder die sich abzeichnende Haushaltspolitik im Bund gerecht noch werden es die für Familienbildung bereitgestellten Mittel in den Ländern und Kommunen.
Als Kooperationsverbund Familienbildung fordern wir Kommunal-, Landes- und Bundespolitik auf,
dem Ziel, sie offen zu halten für alle Familien, die Rat, Austausch und Bestärkung suchen,
bereitzustellen, die es ihnen erlauben, bei steigenden Kosten weiterhin auch präventiv wirksame Lern- und Begegnungsorte zu bieten,
Familien künftig eher mehr als weniger zu sozialverträglichen Konditionen gemeinsam und voneinander lernen können.
Wir fordern die Bundespolitik auf, diesbezüglich initiativ zu werden und eine koordinierte Abstimmung mit den Ländern und Kommunen anzubahnen. Eine für alle zugängliche Familienbildung ist mehr denn je nötig. Und dafür braucht es finanzielle und nachhaltige Absicherung.
Celle (epd). Asylbewerber ohne deutsche Sprachkenntnisse müssen bei einem erforderlichen ärztlichen Aufklärungsgespräch selbst erst einmal einen behördlichen Antrag auf Kostenübernahme für einen Dolmetscher stellen. Krankenhaus und Arzt können das jedoch nicht einfordern. Denn „der Erbringer einer medizinischen Behandlung hat grundsätzlich keinen eigenen Anspruch gegen den Leistungsträger (...) auf Übernahme der mit der Behandlung einhergehenden Kosten“, entschied das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen in Celle in einem am 16. Januar veröffentlichten Urteil.
Eine ärztliche Behandlung oder ein Aufklärungsgespräch ohne ausreichende Deutschkenntnisse des Patienten ist schwierig, wenn nicht gar unmöglich. Kliniken und Arztpraxen greifen daher mitunter auf eigene medizinische Fachkräfte zurück, die die Sprache des ausländischen Patienten sprechen. Mitunter vertrauen Patienten auch auf die Übersetzungsdienste von Angehörigen. Doch untergräbt das die Vertraulichkeit des Arzt-Patientengesprächs.
Im vom LSG entschiedenen Fall ging es um ein fünfjähriges Mädchen aus Mazedonien, das unter anderem wegen einer Magnetresonanztomografie des Gehirns in eine Klinik aufgenommen wurde. Die nicht deutsch sprechenden Eltern waren Asylbewerber und erhielten ebenso wie das Kind Asylbewerberleistungen.
Um die Eltern über die Behandlung ihres Kindes ärztlich aufklären zu können, nahm die Klinik die Hilfe eines Dolmetschers in Anspruch. Die Kosten des Übersetzungsbüros in Höhe von 523 Euro machte das Krankenhaus anschließend beim Sozialhilfeträger geltend.
Das Krankenhaus führte zur Begründung an, dass nach dem Asylbewerberleistungsgesetz der Sozialhilfeträger für die Behandlung „akuter Erkrankungen und Schmerzzustände“ sowie für medizinisch gebotene Vorsorgeuntersuchungen und Schutzimpfungen aufkommen müsse. Eine Kostenerstattung im Rahmen der ärztlichen Behandlung komme auch als „sonstige Leistung“ infrage. Das betrifft dann Ausländer wie Kinder mit besonderen Bedürfnissen, unbegleitete Minderjährige oder Menschen, die Folter oder andere Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben.
Der Sozialhilfeträger lehnte die Kostenübernahme jedoch ab. Es handele sich nicht um Kosten einer stationären Behandlung. Und: Die Übernahme der Dolmetscherkosten hätte zusätzlich von den betroffenen Eltern beantragt werden müssen. Das Krankenhaus sei auch nicht als „Nothelfer“ tätig geworden. Dafür fehle es an einem Eilfall, hieß es.
Die dagegen eingelegte Klage des Krankenhausträgers hatte vor dem LSG indes keinen Erfolg. Zwar habe das Bundesverwaltungsgericht bereits 1996 zum damaligen Sozialhilferecht entschieden, dass zur erforderlichen Krankenbehandlung auch die Übernahme von Dolmetscherkosten gehören könne, „wenn der Anspruch auf Krankenhilfe ohne sprachliche Hilfestellung nicht erfüllt werden kann“.
Ein Kostenerstattungsanspruch scheide hier dennoch aus, urteilte das LSG. Denn der Erbringer einer medizinischen Behandlung habe grundsätzlich keinen eigenen Anspruch auf Übernahme der mit der Behandlung einhergehenden Kosten. Die Übernahme der Dolmetscherkosten hätte allenfalls von den Eltern geltend gemacht werden können und nicht vom Krankenhausträger.
Die Frage, ob fremdsprachigen Patienten Übersetzungskosten für die ärztliche Beratung auch nach dem aktuellen Asylbewerberleistungsgesetz überhaupt erstattet werden, sei höchstrichterlich allerdings noch nicht geklärt. Das könne hier aber offenbleiben, weil nicht die Eltern, sondern das Krankenhaus die Kostenerstattung verlangt habe.
Schließlich habe es auch an einer wirksamen Kostenübernahmeerklärung des Sozialhilfeträgers gefehlt. Vor diesem Hintergrund könne auch nicht darüber entschieden werden, ob die Dolmetscherkosten bereits mit den vom Krankenhausträger geltend gemachten Fallpauschalen abgegolten seien, so das Gericht.
Bereits am 23. Januar 2018 hatte das LSG Celle zudem geurteilt, dass auch die gesetzliche Krankenkasse Dolmetscherdienste beim niedergelassenen Arzt nicht erstatten muss. Nach dem Gesetz könnten nur ärztliche Behandlungen abgerechnet werden, die der Arzt selbst ausführe. Tätigkeiten von Hilfspersonen seien nur dann abrechenbar, wenn sie unmittelbar zur ärztlichen Behandlung zählten und vom Arzt überwacht und angeleitet würden.
Dolmetscherleistungen lägen jedoch nicht in ärztlicher Kontrolle oder Verantwortung. Keine Rolle spiele es, dass im vorliegenden Fall der Arzt die Übersetzung befürwortet hat. Der Gesetzgeber habe die Kostenübernahme für „nicht medizinische Nebenleistungen“ bewusst nur auf wenige Fälle beschränkt, etwa für die eines Gebärdendolmetschers.
Az.: L 8 AY 24/21
Karlsruhe (epd). Die Bundespolizei muss bei der Kontrolle einer behinderten und polizeibekannten Umweltaktivistin im Zug mit Augenmaß vorgehen. Wird eine Rollstuhlfahrerin wegen befürchteter Baumbesetzungen durchsucht und ihre Identität festgestellt, müsse hierfür ein konkreter Gefahrenverdacht vorliegen, stellte das Bundesverfassungsgericht in einem am 19. Januar veröffentlichten Beschluss klar. Fehlt dieser und will die Frau gegen die polizeiliche Maßnahme klagen, dürfe ihr nicht Prozesskostenhilfe verweigert werden.
Damit bekam eine Rollstuhlfahrerin und freie Journalistin Recht. Die Frau ist als Umweltaktivistin polizeibekannt und hatte bei Protesten mehrfach an Kletteraktionen teilgenommen und sich abseilen lassen. Als sie am 3. Dezember 2020 in einem ICE der Deutschen Bahn saß, wurde sie 80 Kilometer nördlich des damals zur Rodung anstehenden Dannenröder Forstes in Hessen von Bundespolizisten angesprochen. Ihre Personalien wurden festgestellt. Bei einer Durchsuchung wurden Kletterutensilien sichergestellt.
Die Umweltaktivistin verwies erfolglos darauf, dass sie nicht an Umweltprotesten teilnehmen wolle. Um gegen das Polizeivorgehen gerichtlich vorgehen zu können, beantragte sie Prozesskostenhilfe. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof lehnte dies ab. Die Frau sei eine polizeibekannte Aktivistin, so dass eine jederzeitige Durchsuchung an Verkehrsknotenpunkten im Bundesgebiet begründet sei.
Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass dies die Ablehnung der Prozesskostenhilfe nicht begründen könne. Für eine Durchsuchung und Identitätsfeststellung bedürfe es einer konkreten Gefahrenprognose. Es sei nicht berücksichtigt worden, dass der Zug zum Zeitpunkt der Polizeimaßnahme die Haltestellen zum Dannenröder Forst längst passiert hatte. Nur weil die Rollstuhlfahrerin in Polizeidatenbanken gespeichert sei, sei dies noch kein Grund für ein gezieltes Herausgreifen einer Person und ihre Durchsuchung, befanden die Verfassungsrichter.
Az.: 1 BvR 687/22
Erfurt (epd). Kirchliche Arbeitgeber dürfen in ihrem eigenen kirchlichen Arbeitsrecht nicht von den gesetzlichen Regelungen zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall abweichen. In Tarifverträgen können zwar abweichende Regelungen zuungunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer getroffen werden, dies gilt aber nicht für die kirchlichen - also ohne Tarifvertrag vereinbarten - Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR), entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt in einem am 24. Januar veröffentlichten Urteil. Damit können sich kirchliche Arbeitgeber mit ihrem eigenen kirchlichen Arbeitsrecht nicht auf zahlreiche gesetzliche Öffnungsklauseln berufen, die allein den Tarifvertragsparteien vorbehalten sind.
Im konkreten Fall ging es um einen Anästhesiepfleger in einem Caritas-Krankenhaus in Nordrhein-Westfalen. Für den Mann gelten laut Arbeitsvertrag die AVR-Caritas, die über den sogenannten Dritten Weg und damit nicht über Tarifverträge mit den Möglichkeiten von Streik und Aussperrung vereinbart wurden.
Als der Kläger arbeitsunfähig erkrankte, hielt er seine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für zu niedrig. Ihm müssten noch 33,5 Stunden an Bereitschaftsdiensten gutgeschrieben werden, zu denen er laut Dienstplan eingeteilt war. Nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz sei er so zu stellen, als hätte er gearbeitet.
Die Caritas-Klinik hielt die Berechnung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für richtig und verwies auf die AVR, die von den gesetzlichen Regelungen abwichen. Dies sei aber zulässig, da Tarifverträge etwas anderes regeln könnten. Die AVR seien mit Tarifverträgen vergleichbar.
Dem widersprach das BAG. Schon nach dem Gesetzeswortlaut dürften nur Tarifverträge von der Berechnung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zuungunsten der Beschäftigten abweichen. Die AVR seien aber kein Tarifvertrag. Der Gesetzgeber habe keine Gleichsetzung von AVR und Tarifverträgen gewollt.
So bestehe nach dem Gesetz ein Vergütungsanspruch für krankheitsbedingt nicht geleistete Bereitschaftsdienste einschließlich etwaiger Zuschläge. „Es kommt darauf an, in welchem Umfang der Arbeitnehmer gearbeitet hätte, wenn er arbeitsfähig gewesen wäre“, so das BAG. Die AVR Caritas wichen in unzulässiger Weise von den zwingenden gesetzlichen Vorgaben ab.
Wegen fehlender Feststellungen verwies das BAG den Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht Hamm zurück.
Auch in anderen Bereichen räumt der Gesetzgeber allein den Tarifparteien das Recht ein, von gesetzlichen Vorgaben abzuweichen, etwa bei der Höchstdauer der täglichen oder wöchentlichen Arbeitszeit oder der zulässigen Höchstdauer des Einsatzes von Leiharbeitern.
Az.: 6 AZR 210/22
Erfurt (epd). Die Täuschung einer Pflegehelferin über eine angebliche ärztliche Untersuchung zur Covid-19-Impfunverträglichkeit begründet eine fristlose Kündigung. Die Vorlage einer entsprechenden Bescheinigung stelle eine schwerwiegende arbeitsvertragliche Pflichtverletzung dar, so dass auch auf eine Abmahnung verzichtet werden könne, entschied das Bundesarbeitsgericht in Erfurt in einem am 19. Januar veröffentlichten Urteil.
Im konkreten Fall ging es um eine in einem Krankenhaus beschäftigte Pflegehelferin aus Schleswig-Holstein. Während der Covid-19-Pandemie verlangte der Krankenhausträger zum Schutz von Patientinnen und Patienten den gesetzlich geforderten Nachweis über eine Impfung oder über eine bestehende Impfunverträglichkeit. Ohne Nachweis könne das Gesundheitsamt ein Beschäftigungsverbot aussprechen.
Die Pflegehelferin hatte Angst vor der Impfung und möglichen Folgen. Auf einer Internetseite ließ sie sich daher gegen Zahlung einer Gebühr und der Eingabe ihrer persönlichen Daten eine vermeintlich ärztliche Bescheinigung über eine Impfunverträglichkeit ausdrucken. Danach sei „der Patient“ bis zum Vorliegen eines Impfstoff-Allergie-Gutachtens als vorläufig impfunfähig anzusehen. Es bestehe die Gefahr, dass „der Patient“ durch eine Impfung schwere oder sogar tödliche Nebenwirkungen erleiden könne. Ein persönlicher Kontakt durch die vermeintliche Ärztin erfolgte nicht.
Als das Krankenhaus das Gesundheitsamt informierte, stellte sich heraus, dass die Ärztin gar nicht bekannt war und die Bescheinigung aus dem Internet heruntergeladen wurde. Der Frau wurde fristlos gekündigt.
Das sei rechtens gewesen, urteilte das Bundesarbeitsgericht. Mit der Täuschung über eine ärztliche Untersuchung habe die Frau in „erheblicher Weise“ gegen ihre arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen und auch die Gesundheit ihrer anvertrauten Patientinnen und Patienten gefährdet. Die Klägerin hätte vielmehr ihre Impfangst offenlegen und sich einer allergologischen Untersuchung unterziehen müssen.
Az.: 2 AZR 55/23
Erfurt (epd). Öffentliche Arbeitgeber müssen schwerbehinderte Menschen nach Einladung zu einem Vorstellungsgespräch auf Wunsch gegebenenfalls einen Ersatztermin anbieten. Für den begehrten Ersatztermin muss der Bewerber aber einen „hinreichend gewichtigen Grund“ mitteilen, entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG) in einem am 18. Januar veröffentlichten Urteil. Die Erfurter Richter klärten außerdem, dass die Verwendung eines Gendersternchens in einer Stellenanzeige alle Geschlechteridentitäten umfasst und zweigeschlechtliche Menschen damit nicht wegen ihres Geschlechts diskriminiert werden.
Im konkreten Fall suchte eine Stadt für ihre Ausländerbehörde „Fallmanager* innen im Aufenthaltsrecht“. Schwerbehinderte Bewerberinnen und Bewerber würden bei gleicher Qualifikation bevorzugt behandelt. Auf die Stelle bewarb sich auch die klagende schwerbehinderte Person.
Die Stadt ist als öffentlicher Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet, geeignete schwerbehinderte Stellenbewerber zum Vorstellungsgespräch einzuladen. Die Vergabe eines vom schwerbehinderten Bewerber gewünschten Ersatztermins erfolgte aber nicht. Daraufhin machte dieser eine Diskriminierung wegen der Schwerbehinderung geltend und verlangte 5.000 Euro Entschädigung.
Die Klage hatte keinen Erfolg. Öffentliche Arbeitgeber müssen schwerbehinderten Stellenbewerbern nach der Terminvergabe zu einem Vorstellungsgespräch unter Umständen einen Ersatztermin anbieten, urteilte das BAG. Hierfür müsse der Bewerber aber einen „hinreichend gewichtigen Grund“ wie etwa eine Erkrankung nennen. Allein die unbestimmte Angabe, einen anderen Termin zu haben, reiche nicht, so dass hier keine Diskriminierung wegen der Behinderung vorliege.
Eine geltend gemachte Diskriminierung wegen des Geschlechts bestehe ebenfalls nicht. Die klagende, zweigeschlechtliche und sich selbst als Hermaphrodit bezeichnende Person könne nicht verlangen, dass der Arbeitgeber in der Stellenausschreibung eine zweigeschlechtliche Geschlechtsidentität ausdrücklich benennt. Denn verwende ein Arbeitgeber in einer Stellenausschreibung bereits ein Gendersternchen, verstehe der durchschnittliche potenzielle Bewerber, dass alle Geschlechtsidentitäten angesprochen seien und damit auch zweigeschlechtliche Menschen. Eine Benachteiligung wegen des Geschlechts liege damit nicht vor.
Az.: 8 AZR 164/22
Leipzig (epd). Eltern können nach einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts leichter ihren Anteil an den Kosten für die Heimunterbringung ihres Kindes senken. So kann der Eigenbeitrag durch die Berücksichtigung von Kosten für das eigene Auto gemindert werden, urteilten die Leipziger Richter am 18. Januar. So könnten sowohl die Kosten für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte als auch die Finanzierungskosten für das Auto steuerlich abgesetzt werden.
Damit bekam eine Mutter aus Sachsen recht. Ihr Sohn war im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe vollstationär untergebracht. Nach den gesetzlichen Bestimmungen müssen Eltern sich mit einem angemessenen Beitrag an den Kosten für die Unterbringung beteiligen. Die Frau meinte, dass der Jugendhilfeträger die Kosten jedoch falsch berechnet und zu hoch angesetzt hat. Von ihrem Einkommen müssten auch ihre Pkw-Fahrten zu und von ihrer Arbeitsstelle ebenso mindernd berücksichtigt werden wie Kreditverpflichtungen für die Anschaffung des Autos. Das so berechnete geminderte Einkommen würde dann auch zu einem geringeren Kostenbeitrag für die Heimunterbringung führen.
Die gesetzlichen Bestimmungen sehen hier für die vollstationäre Unterbringung, etwa in einem Heim oder einer anderen betreuten Wohnform, einen Kostenbeitrag vor, der sich regelmäßig nach der Höhe des Jahreseinkommens des Vorjahres bemisst. So beträgt etwa der Kostenbeitrag ab einem monatlichen Einkommen von 5.600 Euro 25 Prozent.
Eltern können aber von ihrem Einkommen noch Aufwendungen für die Altersvorsorge, der Kranken- und Pflegeversicherung oder auch berufsbedingte Aufwendungen einkommensmindernd geltend machen. Auch Einkommensteuerzahlungen oder Schulden müssen abgezogen werden. Nach der Kostenbeitragsverordnung können pauschal 25 Prozent der angefallenen Belastungen abgezogen werden. Der Abzug höherer angemessener Belastungen ist möglich, wenn sie nachgewiesen werden. Der Kostenbeitrag für die Heimunterbringung fällt dann auch geringer aus.
Hier gab das Bundesverwaltungsgericht der Klägerin dem Grunde nach recht. Die Fahrten mit dem eigenen Auto zur Arbeitsstelle und zurück seien einkommensmindernd durch eine Wegstreckenpauschale zu berücksichtigen, die sämtliche Kfz-Kosten erfasst. Es würden hier die unterhaltsrechtlichen Maßstäbe gelten. Auch die Kfz-Finanzierungskosten seien damit einkommensmindernd abzuziehen.
Weil das Sächsische Oberverwaltungsgericht Bautzen keine Feststellungen zur Pkw-Nutzung sowie zu weiteren einkommensmindernden Umständen getroffen hatte, wurde das Verfahren zurückverwiesen.
Az.: 5 C 13.22
Hamburg (epd). Pastor Walter Füllbrandt ist am 17. Januar gestorben. Der 1930 in Weener in Ostfriesland geborene Theologe war 1964 zum Vorstandsvorsitzenden und Geschäftsführenden Direktor des Albertinen Diakoniewerkes berufen worden. Dieses Amt hatte er bis 1995 inne.
In seine Amtszeit fielen unter anderem die Inbetriebnahme und Erweiterung des Albertinen Krankenhauses, die Umstrukturierung des diakonischen Mutterhauses in ein modernes Diakoniewerk, die Gründung des geriatrischen Zentrums im Albertinen Haus mit bundesweiter Vorreiterrolle sowie die Etablierung der Herzchirurgie im Albertinen Krankenhaus.
Nach seinem Ausscheiden aus dem Amt des Vorstandsvorsitzenden blieb Füllbrandt zunächst als Vorsitzender des Kuratoriums, danach als Ehrenkurator dem Werk verbunden und an dessen weiteren Entwicklung auch nach dem Zusammenschluss zur Immanuel Albertinen Diakonie sehr interessiert.
Viele Jahre lang war er auch Vorsitzender der Hamburgischen Krankenhausgesellschaft sowie des Verbandes freigemeinnütziger Krankenhäuser. Für seine Verdienste um die Klinikversorgung in der Hansestadt wurde Füllbrandt 1995 vom Hamburger Senat zum Professor ehrenhalber ernannt.
Matthias Scheller, Vorsitzender der Konzerngeschäftsführung der Immanuel Albertinen Diakonie, sagte, man verneige sich „vor der herausragenden Lebensleistung von Walter Füllbrandt in großer Trauer, aber auch voller Dankbarkeit“. Er habe sich um das Diakoniewerk sehr verdient gemacht. „Mit seinem Intellekt, seinem tatkräftigen und visionären Handeln sowie seiner zugewandten Persönlichkeit ist ein besonderer Mensch von uns gegangen. Wir werden Walter Füllbrandt ein ehrendes Andenken bewahren. Unser herzliches Beileid gilt seiner Familie und den Angehörigen.“
Michael Schmidt (67) ist neuer Vorstandsvorsitzender der Liga der Freien Wohlfahrtspflege in Hessen. Der Geschäftsführer der Arbeiterwohlfahrt (AWO) Nordhessen hat den Vorsitz turnusgemäß für zwei Jahre von dem Chef der Diakonie Hessen, Carsten Tag, übernommen. Seine Stellvertreter sind Tag und der Diözesancaritasdirektor von Fulda, Markus Juch. Die Liga der Freien Wohlfahrtspflege in Hessen ist ein Zusammenschluss der sechs Wohlfahrtsverbände in Hessen. Dies sind die Diakonie, Caritas, Arbeiterwohlfahrt, Deutsches Rotes Kreuz, Paritätische und der Landesverband der Jüdischen Gemeinden in Hessen.
Julia Gebrande, Sozialpädagogin, ist zur Vorsitzenden der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs ernannt worden. Die 2016 gegründete Kommission hört Betroffene von Missbrauch an, dokumentiert ihre Erfahrungen, arbeitet sie wissenschaftlich auf und trägt damit dazu bei, die Sicht der Betroffenen in den Aufarbeitungsprozess einzubringen. Gebrande folgt auf die frühere Bundesfamilienministerin Christine Bergmann, die Ende vergangenen Jahres aus der Kommission ausgeschieden war. Gebrande lehrt und forscht an der Hochschule Esslingen unter anderem zu den Schwerpunkten Prävention, Intervention und Aufarbeitung sexualisierter Gewalt. Neu in die Kommission berufen wurde die Ulmer Sozialwissenschaftlerin Ulrike Hoffmann, die sich insbesondere für die Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs in der DDR einsetzen möchte.
Bernd Meurer, Präsident des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste (bpa), hat das Bundesverdienstkreuz erhalten. Der rheinland-pfälzische Sozialminister Alexander Schweitzer (SPD) überreichte den Orden in Mainz. „Bernd Meurer ist seit fast 30 Jahren in vielfältiger und außergewöhnlicher Weise für die Pflege in Deutschland und Rheinland-Pfalz engagiert, er führt im wahrsten Sinne ein Leben für die Pflege“, sagte der Minister. Meurer, der drei Heime in Bayern und Rheinland-Pfalz betreibt, steht seit drei Jahrzehnten an der Spitze des Dachverbandes der privaten Pflegeheime. 2004 wurde er in das Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA) berufen.
Ellen Kubica (39) aus Mainz soll neue rheinland-pfälzische Landesbeauftragte für die Belange von Menschen mit Behinderung werden. Der Landesvorstand der Grünen gab am 19. Januar bekannt, dass sie sie als Nachfolgerin von Matthias Rösch vorgeschlagen haben, der sein Amt nach zehn Jahren abgeben wird. Gemäß der Absprachen innerhalb der regierenden Ampel-Koalition haben die Grünen das Vorschlagsrecht für die Vergabe des Postens, der im rheinland-pfälzischen Sozialministerium angesiedelt ist. Kubica ist Projektleiterin beim Verein „Bildungs- und Forschungsinstitut zum selbstbestimmten Leben Behinderter“ (bifos) und Vorsitzende des kommunalen Mainzer Beirats für die Belange von Menschen mit Behinderungen. Außerdem gehört sie der Grünen-Fraktion im Mainzer Stadtrat an. Wann der Wechsel in das neue Amt stattfindet, sei noch nicht endgültig entschieden, hieß es.
Marc Deffland (43) ist zum Geschäftsführer der Diakonie Wermelskirchen berufen worden. Er leitet die Geschicke des Unternehmens nun gemeinsam mit Matthias Ruf, dem Vorsitzenden der Geschäftsführung der Diakonie Bethanien. Stephan Ricken, Geschäftsführer Finanzen, und Hartmut Fehler, Geschäftsführer Pflege & Wohnen der Diakonie Bethanien, scheiden aus dem Führungsgremium aus, haben aber weiterhin Prokura. Hintergrund ist, dass die Diakonie Wermelskirchen den Vertrag zum Interimsmanagement durch die Diakonie Bethanien bis zum Ende des Jahres 2024 verlängert hat. Deffland ist promovierter Betriebswirt, Wirtschaftspädagoge und Medizinwissenschaftler. Nach sechs Jahren als Berater bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG war er sieben Jahre Geschäftsbereichsleiter Corporate-Governance bei der Charité Berlin.
Mark Seibert (48) leitet das Berliner Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF). Er war bisher kommissarischer Leiter der LAF-Abteilung Unterkünfte. Seibert folgt auf Sozialstaatssekretär Aziz Bozkurt (SPD), der die Aufgabe im August 2023 kommissarisch übernommen hatte. Die Amtszeit von Seibert ist vorerst auf ein Jahr begrenzt. In dieser Zeit werde es ein erneutes reguläres Ausschreibungsverfahren geben, hieß es. Seibert arbeitet seit 2019 in der Berliner Verwaltung, er leitete seit 2020 den Krisenstab der Senatssozialverwaltung.
Kathrin Batzill ist neue Klinikdirektorin für die Alexianer Krefeld GmbH. Die Betriebsleitung besteht damit ab aus vier Mitgliedern. Neben Regionalgeschäftsführer Benjamin Koch und Pflegedirektorin Nicole Hilbert-Kluczkowski gehört auch der langjährige Ärztliche Direktor Professor Hans-Jürgen von Giesen zum Führungsteam. Batzill ist bereits seit 2015 bei den Alexianern beschäftigt. Die Medizinerin mit dem Schwerpunkt Innere Medizin war zuletzt Leiterin der Abteilung für Organisationsentwicklung. Ab sofort trägt sie die Verantwortung für das operative Geschäft.
12.2. Berlin:
Seminar „Wer schaukelt das Kind? Partnerschaftliche Vereinbarkeitspolitik in der Diskussion. Pflege, Kinderbetreuung und Beruf geschlechtergerecht gestalten“
des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge
Tel.: 030/62980-605
12.2.-4.3.:
Online-Seminar „Nachwuchs gewinnen und fördern - so geht's“
der Paritätischen Akademie Berlin
Tel.: 030/275828212
15.2. München:
Seminar „Interne Revision bei gemeinnützigen Trägern“
der Unternehmensberatung Solidaris
Tel.: 02203/8997-119
16.2.:
Online-Seminar „Von der Bedarfsermittlung zum Teilhabeziel“
der Paritätischen Akademie Süd
Tel.: 0711/286976-10
20.2.:
Online-Kurs „Spendenrecht - steuerliche Regelungen“
der Paritätischen Akademie Süd
Tel.: 0711/286976-10
21.-22.2.:
Online-Kurs „Digitalisierung und Prozessoptimierung in sozialen Organisationen“
der Paritätischen Akademie Berlin
Tel.: 030/275828211
28.-29.2.:
Online-Kurs „Umgang mit Todeswünschen in der Palliativversorgung“
Tel.: 030/26309-139
29.2.:
Online-Seminar „Immobilienwirtschaft - Grundlagen für Akteure in Kirche und Diakonie“
der Akademie für Kirche und Diakonie
Tel.: 03361/710943
März
5.-6.3.:
Online-Seminar „Haftungsrecht und Gemeinnützigkeit“
der Paritätischen Akademie Süd
Tel.: 0711/286976-10
6.-7.3.:
Online-Fortbildung „Der Einsatz von Einkommen und Vermögen in der Sozialhilfe (SGB XII)“
des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge
Tel.: 030/62980 606
14.-15.3.:
Online-Veranstaltung „Wohnraum für alle - Ansätze und Möglichkeiten Wohnraum für am Wohnungsmarkt benachteiligte Zielgruppen“
des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge
Tel.: 030/62980 606
19.3. Freiburg:
Seminar „Neues vom Bundesarbeitsgericht“
der Unternehmensberatung Solidaris
Tel.: 02203/8997-411
19.3.:
Online-Fortbildung „Live Online-Seminar: Ihre Pflichten im Rahmen des § 2b Umsatzsteuergesetz - Vertiefungsmodul Spendenwesen“
der Akademie für Kirche und Diakonie
Tel.: 0172/2883106