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Interview

Kita-Expertin: Arbeitgeber müssen mehr für Kinderbetreuung tun




Sabine Herrenbrück
epd-bild/EKHN
Die Leiterin des Fachbereichs Kindertagesstätten in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), Sabine Herrenbrück, fordert Arbeitgeber dazu auf, sich "viel stärker für eine Stabilität in der Kinderbetreuung" einzusetzen. Herrenbrück hat mehr als 600 Kitas, rund 9.000 Erzieherinnen und Erzieher sowie etwa 42.000 Kinder in Hessen und Rheinland-Pfalz im Blick.

Darmstadt (epd). Nach der Überzeugung der Leiterin des Fachbereichs Kindertagesstätten in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), Sabine Herrenbrück, sind beim Problem Fachkräftemangel die nächsten fünf Jahre entscheidend: „In dieser Zeit muss ein Drittel unserer Kräfte aufgrund von Verrentung ausgetauscht werden“, sagte sie im Interview des Evangelischen Pressedienstes (epd). Mit ihr sprach Christopher Hechler.

epd sozial: Frau Herrenbrück, die neue hessische Landesregierung hat ihre Arbeit aufgenommen. Im Koalitionsvertrag haben sich CDU und SPD in Sachen Kita nur recht vage geäußert. Unter anderem soll die Anwerbung von Erzieherinnen und Erziehern aus dem Ausland intensiviert werden. Was halten Sie davon und was erwarten Sie angesichts des Vertrags von der künftigen Landesregierung?

Sabine Herrenbrück: Ich vermisse neue Impulse. In der Tat muss die Anerkennung ausländischer Abschlüsse unbedingt beschleunigt werden, da hier noch Potenzial ist. Dennoch sollte auch berücksichtigt werden, dass die vorhandenen Fachkräfte unterschiedliche „Sorten“ Einsteiger und Einsteigerinnen in Kitas auch begleiten, einarbeiten und betreuen müssen. Deshalb kommt es darauf an, unter Berücksichtigung der Ressourcen in den Kitas vorzugehen, sonst wird das Fachpersonal noch zusätzlich belastet.

epd: Wie ernst ist die Lage in Sachen Fachkräftemangel tatsächlich?

Herrenbrück: Die nächsten fünf Jahre sind für uns entscheidend, in dieser Zeit muss ein Drittel unserer Kräfte aufgrund von Verrentung ausgetauscht werden. Wir hatten noch nie so viele Arbeitsplätze und Stunden in den Soll-Stellen-Plänen wie jetzt, die Kitas können sie aber nicht besetzen. Neben der Verrentung liegt das auch daran, dass Kräfte das Feld verlassen, Azubis nicht nachkommen und Erzieherinnen und Erzieher, die in Elternzeit sind, aufgrund des Betreuungsplatzmangels nicht wieder in den Beruf zurückkommen können.

epd: Was bedeutet das konkret für Eltern?

Herrenbrück: Wir haben bereits Öffnungszeiten reduziert und Gruppen geschlossen. Die Eltern erfreut das nicht, aber sie haben bis zu einem gewissen Grad Verständnis. Deren Arbeitgeber allerdings nicht. Das ist der springende Punkt.

epd: Es braucht mehr Verständnis auf Seiten der Arbeitgeber?

Herrenbrück: Ich bin der Meinung, dass sich Arbeitgeber für den Kinderbetreuungsbereich viel stärker machen müssten. Letztlich gewährleistet der, dass Fachkräfte für sie zur Verfügung stehen. Gerät der Betreuungsbereich ins Schlingern, wirkt sich das auch auf die Planbarkeit von Personal in den Unternehmen aus. Man weiß nicht sicher, wer morgen im Labor stehen kann, wenn eine Grippewelle in der Kita womöglich auch die letzten zwei Erzieherinnen erwischt hat. Die Arbeitgeber müssten sich viel stärker für eine Stabilität in der Kinderbetreuung einsetzen.

epd: Wie findet man neues Personal, wenn der Fachkräftemangel überall zu spüren ist?

Herrenbrück: Die Möglichkeiten sind sehr überschaubar, und wir sind in Konkurrenz mit vielen anderen Kita-Trägern, die dabei mit allen Mitteln, von der Bezahlung über Vergünstigungen, arbeiten. Wir sind der Meinung, dass darüber hinaus vor allem eine gute Führung und eine gute Stimmung am Arbeitsplatz wichtig sind. Wichtig ist aber auch die Selbstdarstellung im Internet, mit Werbung im Bus kommen wir nicht mehr weit.

epd: Welche Rolle spielt das Gehalt?

Herrenbrück: Es ist eine Falschauskunft zu sagen, dass Erzieherinnen schlecht verdienen. In Vollzeit ist der Verdienst auch zum Berufsbeginn schon gut - das, was Erzieherinnen verdienen, hätte sicher auch mancher Handwerksgeselle gerne monatlich auf dem Konto. Natürlich sind viele Frauen in der Branche, die in Teilzeit arbeiten, dann sind die Einkünfte entsprechend abgestuft. Aber dieser Diskurs sollte nicht um die Kita herum geführt werden, es gibt andere Berufslagen, die sehr viel prekärer sind.

epd: Inwiefern wirkt sich der Fachkräftemangel auf die Kinder aus?

Herrenbrück: Ein Beispiel: Wir spüren immer noch die Auswirkungen der Corona-Pandemie. Kinder, die 2019 geboren wurden, sind unter pandemischen Bedingungen drei Jahre alt geworden - das macht etwas mit ihnen und ihren Eltern. Die Kinder sind zunächst mehr oder weniger abgeschottet, ohne gleichaltrige Artgenossen und ohne Einübung von sozialen Kompetenzen, aufgewachsen. Bei der Aufnahme in die Kita verändern sich dann die Verhaltensweisen. Es gibt Rückmeldungen, dass Kinder in Kitas sehr viel mehr Aufmerksamkeit einfordern, als das bisher der Fall war. An dieser Stelle wäre es beispielsweise eine große Hilfe, wenn alle Stellen in einer Kita besetzt wären.

epd: Die knappe Besetzung wirkt sich sicher auch auf die Erzieherinnen aus.

Herrenbrück: Mich treibt ein Narrativ sehr herum, das sich unter Fachkräften aufgebaut hat und Echo-Kammern findet: Es heißt, wir könnten aufgrund des Fachkräftemangels keine Pädagogik mehr machen. Das ist so, als würde ein Banker sagen: „Es ist Finanzkrise, ich kann nicht mehr rechnen.“ Damit schaden wir uns, weil das den Eltern suggeriert, sie würden ihre Kinder in eine Kita geben, in der keine Pädagogik mehr stattfindet. Vielleicht kann man in einer Phase des Personalmangels weniger gezielte Projekte machen, aber Pädagogen sind auch dann noch Experten für Lebensalltagsgestaltung und Bildungsarbeit mit Kindern.

epd: Trotzdem stehen die Fachkräfte sicher unter einer hohen Arbeitsbelastung. Was lässt sich dagegen tun?

Herrenbrück: Wir verstehen Gesundheitsförderung als Managementprinzip. Alle pädagogischen Fachberatungen sind darin geschult und zu den Maßnahmen gehört beispielsweise, die Einführung von Jahresarbeitszeitkonten zu prüfen und Dienstpläne so zu gestalten, dass die Menschen ihre Freizeit auch antreten können, ohne vertreten zu müssen. Es macht sich aber bemerkbar, dass die Fachkräfte auch während der Pandemie keine Pause hatten. Wir waren systemrelevant, solange Corona da war. Jetzt sind wir wieder gesellschaftliche Nebensache, wie wir es auch vorher waren.

epd: Das Land Hessen erhält vom Bund rund 300 Millionen Euro im Rahmen des Kita-Qualitätsgesetzes. Damit sollen die Arbeitsbedingungen für Fachkräfte unter anderem durch Teambuilding-Maßnahmen verbessert werden, auch soll der Einsatz von Verwaltungskräften gefördert werden. Was halten Sie davon?

Herrenbrück: Wir haben an diesen Maßnahmen tüchtig mitdiskutiert und uns, zum Beispiel, für die Verwaltungskräfte eingesetzt. Warum sollte eine Kita-Leitung, die den pädagogischen Betrieb organisieren muss, etwa Jugendamtsstatistiken ausfüllen? Was das Teambuilding angeht: Ich denke, dass es da eine Verbindung zum Fachkräftemangel gibt. Dabei geht es auch um den Personalerhalt. In einem Team, in dem man sich wohlfühlt, hat man keinen Grund zu kündigen. Früher war der Kita-Bereich ein zementierter Arbeitsmarkt, heute ist er sehr fluide. Mittlerweile suchen sich die Arbeitnehmer den Arbeitgeber aus, was für uns eine ungewohnte Situation ist.