sozial-Politik

Rheinland-Pfalz

Härtefallkommission vor Neustart



Rheinland-Pfalz hat seine Härtefallkommission reformiert, die Ausreisepflichtigen in humanitären Ausnahmefällen zu einem Bleiberecht verhilft. Kritik von Flüchtlingshilfe und evangelischer Kirche an den Plänen des Landes verhallte nahezu folgenlos.

Mainz (epd). In Tschetschenien hatte Amina Achmadowa (Name geändert) als Lehrerin gearbeitet, nach ihrer Flucht vor den patriarchalischen Verhältnissen in ihrer Heimat lernte sie Deutsch und versuchte, noch einmal ganz von vorne anzufangen. Trotz eines abgelehnten Asylantrags konnte sie zunächst auch in Deutschland bleiben.

Doch als sie eine Ausbildung in einer Konditorei abbrechen musste, drohte ihr nach jahrelangem Aufenthalt plötzlich doch wieder die Abschiebung in die russische Kaukasusrepublik. Achmadowas letzter Strohhalm wurde zu ihrer Rettung: Die rheinland-pfälzische Härtefallkommission prüfte ihren Antrag. Nach einjährigem Hoffen und Bangen fiel im Frühjahr 2023 eine positive Entscheidung.

93 Personen durften einstweilen bleiben

Im Jahr 2022 waren in Rheinland-Pfalz 31 Härtefallanträge erfolgreich, alle betroffenen Familienangehörigen eingerechnet profitierten davon 93 Personen - eine verschwindend kleine Anzahl vor dem Hintergrund von aktuell mehr als 7.000 geduldeten ausreisepflichtigen Ausländern.

Dennoch hat das rheinland-pfälzische Integrationsministerium die Kommission jetzt reformiert - offenbar mit Ziel, weniger Anträge zuzulassen. Neu hinzugekommen sind zusätzliche Ausschlussgründe, vor allem aber soll die Kommission in bestimmten Fällen nicht mehr in voller Besetzung tagen, sondern eine lediglich dreiköpfige Runde entscheiden. Integrationsministerin Katharina Binz (Grüne) versprach „kürzere und stringentere Verfahren“.

Die Härtefallkommissionen der Bundesländer sind unterschiedlich zusammengesetzt und arbeiten nach jeweils eigenen Regeln, aber im Kern verfolgen sie das gleiche Ziel: In seltenen Ausnahmefällen, in denen weder Asylgründe vorliegen noch gesetzliche Bleiberegelungen greifen, können sie eigentlich ausreisepflichtigen Ausländern zu einem Aufenthalt aus humanitären Gründen verhelfen. Ihre Einrichtung basiert auf § 23a des Aufenthaltsgesetzes.

Entscheidend ist der Grad der Integration

„Das maßgebliche Kriterium für die Entscheidung der Kommission, ob ein 'Härtefall' vorliegt, ist der Grad der Integration in Deutschland und die Härte, die eine erneute Entwurzelung bedeuten würde“, heißt es beim „Informationverbund Asyl & Migration“. Faktoren wie Erwerbstätigkeit, Sprachkenntnisse, Bildungserfolge und soziale Bindungen (zum Beispiel über das Engagement in Vereinen oder religiöse Gemeinschaften) spielten hierbei häufig eine Rolle: „Es kommt also nicht auf etwaige Gefährdungen im Herkunftsland an. Diese sind im Asylverfahren geltend zu machen.“

Typische Fälle in den nichtöffentlichen Sitzungender Kommissionen sind Personen, die sich schon lange in Deutschland aufhalten, aber unverschuldet nicht oder nicht vollständig für ihren Lebensunterhalt sorgen können, aber auch Menschen mit einer ernsthaften psychischen Erkrankung. Da deren Diagnose umfangreiche Gutachten erfordert, können die nötigen Papiere oft schon aus Zeitgründen nicht während des Asylverfahrens beschafft werden.

„Grundannahme war schon falsch“

Dass das Mainzer Ministerium die Reform unter anderem damit begründete, sie sei wegen der gestiegenen Fallzahlen nötig, hatte bei Mitgliedern der Kommission, Verbänden und Medien jedoch für Verwunderung gesorgt. Denn die eigenen Statistiken der Kommission belegen das genaue Gegenteil. „Die ganze Grundannahme war schon falsch“, sagt Michael Engelhardt von Amnesty International.

In einem Protestschreiben hatten evangelische Kirche und Flüchtlingshilfe deshalb gewarnt, die geplante neue Arbeitsweise laufe dem eigentlichen Sinn der Kommissionsarbeit zuwider. „Zudem würde es den humanitären Charakter dieses Gremiums stark einschränken“, hieß es in dem Papier. Die Kritik verhallte jedoch weitgehend ungehört. Es habe lediglich einige kleine Nachbesserungen gegeben, räumt Wolfgang Schumacher, Vertreter der evangelischen Landeskirchen am Sitz der Mainzer Regierung, ein.

Kommission kommt nun immerhin wieder zusammen

Mit neuer Rechtsgrundlage kann die Kommission immerhin überhaupt wieder tagen. Vor der Reform war sie nämlich schon ein gutes halbes Jahr gar nicht mehr zusammengekommen, Landkreis- und Städtetag waren den Sitzungen sogar schon länger ferngeblieben und hatten zuletzt nicht einmal mehr offizielle Vertreter benannt.

Bereits vor einigen Jahren hatten die Kommunalvertreter die Sitzungen über Monate hinweg boykottiert. Sie forderten damals unter anderem ein Vetorecht gegen positive Entscheidungen, obwohl viele Abstimmungen in dem Gremium laut Insidern traditionell einstimmig erfolgen. Damals blieb die harte Haltung der Kommunen zunächst folgenlos, inzwischen sind die Zeiten andere. „Wichtig ist, dass es überhaupt weitergeht“, sagt Kirchenrat Schumacher.

Karsten Packeiser