Karlsruhe (epd). Die Bundespolizei muss bei der Kontrolle einer behinderten und polizeibekannten Umweltaktivistin im Zug mit Augenmaß vorgehen. Wird eine Rollstuhlfahrerin wegen befürchteter Baumbesetzungen durchsucht und ihre Identität festgestellt, müsse hierfür ein konkreter Gefahrenverdacht vorliegen, stellte das Bundesverfassungsgericht in einem am 19. Januar veröffentlichten Beschluss klar. Fehlt dieser und will die Frau gegen die polizeiliche Maßnahme klagen, dürfe ihr nicht Prozesskostenhilfe verweigert werden.
Damit bekam eine Rollstuhlfahrerin und freie Journalistin Recht. Die Frau ist als Umweltaktivistin polizeibekannt und hatte bei Protesten mehrfach an Kletteraktionen teilgenommen und sich abseilen lassen. Als sie am 3. Dezember 2020 in einem ICE der Deutschen Bahn saß, wurde sie 80 Kilometer nördlich des damals zur Rodung anstehenden Dannenröder Forstes in Hessen von Bundespolizisten angesprochen. Ihre Personalien wurden festgestellt. Bei einer Durchsuchung wurden Kletterutensilien sichergestellt.
Die Umweltaktivistin verwies erfolglos darauf, dass sie nicht an Umweltprotesten teilnehmen wolle. Um gegen das Polizeivorgehen gerichtlich vorgehen zu können, beantragte sie Prozesskostenhilfe. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof lehnte dies ab. Die Frau sei eine polizeibekannte Aktivistin, so dass eine jederzeitige Durchsuchung an Verkehrsknotenpunkten im Bundesgebiet begründet sei.
Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass dies die Ablehnung der Prozesskostenhilfe nicht begründen könne. Für eine Durchsuchung und Identitätsfeststellung bedürfe es einer konkreten Gefahrenprognose. Es sei nicht berücksichtigt worden, dass der Zug zum Zeitpunkt der Polizeimaßnahme die Haltestellen zum Dannenröder Forst längst passiert hatte. Nur weil die Rollstuhlfahrerin in Polizeidatenbanken gespeichert sei, sei dies noch kein Grund für ein gezieltes Herausgreifen einer Person und ihre Durchsuchung, befanden die Verfassungsrichter.
Az.: 1 BvR 687/22