Wiesbaden, Ulm (epd). Im Gespräch zwischendurch aufs Handy schielen, beim Familienabendessen unter dem Tisch schnell mal WhatsApp, Instagram, Snapchat checken: „Phubbing ('Phone-Snubbing')“ ist ein bekanntes Alltagsthema. Damit ist gemeint, dass man in Anwesenheit anderer Menschen das Nutzen des eigenen Smartphones vorzieht. „Studien zeigen wenig überraschend, dass die wahrgenommene Qualität des Miteinanders in einer solchen Situation leidet“, erklärt Christian Montag, Professor für Molekulare Psychologie der Universität Ulm.
Besonders negativ sind die Folgen für Kinder: „Kinder entwickeln sich optimal in einem Umfeld intensiver persönlicher Beziehungen. Smartphones haben das Potenzial, diese Beziehungszeiten zu reduzieren“, sagt Günter Steppich, Wiesbadener Lehrer, Fachberater für Jugendmedienschutz am Staatlichen Schulamt und Referent am Hessischen Kultusministerium.
Laut der aktuellen JIM-Studie liegt die tägliche Bildschirmzeit der Zwölf bis 19-Jährigen an Schultagen bei über sechs Stunden. „Mehr als die Hälfte davon dürfte am Smartphone sein“, sagt Steppich. Seine Erfahrung: „Viele Eltern lassen diese exorbitanten Zeiten zu, weil sie keinen Stress mit den Kindern haben möchten und mit der Erklärung 'Ich vertraue meinem Kind' Konflikten aus dem Weg gehen. Kinder und Jugendliche sind aber kaum in der Lage, sich aus eigener Kraft der Faszination des Smartphones zu entziehen.“
Melanie Zeinali ist Fachkraft für Suchtprävention am Suchthilfezentrum Wiesbaden. Sie kennt die Folgen, wenn der ständige Griff zum Handy unwiderstehlich wird: „Bei Jugendlichen mit problematischem Konsum haben oftmals ungesunde Konsumgewohnheiten wichtige Lebenskompetenzen wie Umgang mit Langeweile, Entspannung, Geduld und Eigenmotivation verdrängt.“
Sichtbar würden die Probleme oft erst in der Pubertät, wenn Regeln zum Thema Mediennutzung immer schwieriger durchzusetzen seien. Als Folgen beobachtet sie die Reduktion der Aufmerksamkeitsspanne, die mentale wie emotionale Erschöpfung nebst sozialer Isolation. Zeinali: „Das 'abhängig machende' Social-Media-Design sorgt dafür, dass wir immer wieder zum Handy greifen, unsere Grundbedürfnisse wie Bindung oder Lustgewinnung damit stillen wollen.“
Die Weichen sollten Eltern daher schon ab dem Kindergartenalter stellen, sagt sie: klare Regeln für die Begrenzung der Nutzungsdauer geben und mit den Kindern hierüber sprechen. Das Motto müsse lauten: „Handy aus - Beziehung an“. Zeinali: „Kinder sind hedonistisch veranlagt, sie sind sehr an Lustgewinn interessiert. Diese Lust in Bezug auf Medien kann durch die Entgrenzung verwässern und ins Gegenteil umschlagen. Das Leben wird nur noch konsumiert statt aktiv selbst gestaltet.“
Für die Aufrechterhaltung der psychischen und physischen Gesundheit von Kindern, für das Miteinander innerhalb der Familie und die gelebte Beziehung ist es laut Zeinali wichtig, „nahrhafte“ Alternativen zum Medienkonsum zu finden. Sie nennt ganz bewusst eingeplante Offline-Phasen, gemeinsames Kuscheln und ruhige Musik bei Kerzenlicht - als Strategien zur Entspannung und als Zeit, um Bindung aufzubauen.
Tipps für den Alltag seien, die Kinder ihren wöchentlichen Medienkonsum mit sogenannten „Medienmünzen“ eigenverantwortlich organisieren zu lassen, den Medienkonsum durch Bildschirmzeiten in den digitalen Einstellungen klar zu regulieren und auf Medien vor dem Einschlafen oder am Esstisch ganz zu verzichten.
Psychologieprofessor Montag empfiehlt, dass Kinder kein eigenes Smartphone besitzen sollten und meint: „Ich sehe aber kein Problem, wenn Kinder mal auf dem Familientablet oder Smartphone der Eltern eine altersgerechte Applikation nutzen.“ Zum ersten eigenen Smartphone, das für viele mit einem Alter ab zwölf Jahren, häufig auch mit dem Wechsel auf die weiterführende Schule, komme, betont er: Wenn möglich, solle dieser Zeitpunkt noch ein wenig länger herausgezögert werden.
Eltern sollten sich ihrer Verantwortung bewusst sein, sagt Melanie Zeinali - und in Sachen Handykonsum Vorbild sein, statt in Gegenwart der Kinder selbst ständig am Smartphone zu hängen. Zeinali: „Es ist wichtig, den Kindern trotz Widerstand medienfreie Räume offenzuhalten, selbst vorzuleben. Die Medienabstinenzfähigkeit der Kinder hängt auch vom Verhalten der Eltern ab.“