in Taufkirchen bei München steht die erste forensische Klinik in Deutschland nur für Frauen. Bei ihrer Gründung vor 25 Jahren wurden dort 14 Patientinnen behandelt. Heute sind in dem Klinikum fast 200 psychisch kranke Straftäterinnen im Maßregelvollzug untergebracht. Reporterin Anna Schmid hat für den Evangelischen Pressedienst die gut abgeschirmte Einrichtung besucht und sich selbst ein Bild gemacht. Sie ist dabei auch auf Frauen gestoßen, die hier gemeinsam mit ihren kleinen Kindern leben.
Die Länder dringen auf Änderungen am Heizungsgesetz von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Es könnte zu einer zeitlichen Verschiebung kommen. Wie genau die flankierende staatliche Förderung für Haushalte ausfallen wird, die klimafreundliche Heizungen einbauen, ist noch offen. Der SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch sagte dem epd: „Menschen mit einem ganz normalen Einkommen müssen sich die Umstellung leisten können.“
Angela Paraminski unterstützt den Witwer Elliot Parry und seine beiden fünf- und neunjährigen Kinder. Die 55-jährige Fürtherin ist Familienpatin. Das bedeutet: Sie hilft im Haushalt und bei der Kinderbetreuung. Sie sagt über ihr Ehrenamt: „Das ist die sinnvollste Arbeit, die ich je in meinem Leben machen durfte.“ Dennoch werde die Gewinnung von Ehrenamtlichen „zunehmend schwierig“, beklagt das Netzwerk Familienpaten in Bayern.
Der Umgang getrennt lebender Eltern mit dem gemeinsamen Kind sorgt häufig für Streit. Bei Uneinigkeit schalten die Eltern die Familiengerichte ein. Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat in einem aktuellen Beschluss entschieden, dass die Gerichte für beide Elternteile unmissverständliche Regelungen treffen müssen.
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Ihr Markus Jantzer
Taufkirchen (epd). Die Ablage im Bad ist voll: Körpercreme mit Blütenduft, Kokos-Deo, Enthaarungsstreifen und ganz besonders: Nagellack. Nagellack in Rot, in Rosa, in Lila. Farbige Flakons reihen sich im Bad nebeneinander. „Viele Frauen beginnen hier wieder, auf sich zu achten“, sagt Verena Klein. Die Psychiaterin leitet seit 2013 den Maßregelvollzug im bayerischen Taufkirchen an der Vils. Vor 25 Jahren eröffnete in der 10.000-Einwohnergemeinde, 60 Kilometer von München entfernt, die erste forensische Abteilung in Deutschland nur für Frauen.
Patientinnen, die in einer forensischen Klinik zum Maßregelvollzug untergebracht sind, sind Straftäterinnen, die psychisch krank sind oder ein Drogenproblem haben. Sie sind nicht freiwillig hier, ein Gericht hat ihre Unterbringung angeordnet. Die Allgemeinheit soll so vor ihnen und ihren Taten geschützt werden, gleichzeitig sollen die Frauen in der Klinik von ihrer psychischen Krankheit geheilt werden oder einen Entzug machen. „Es ist unser Auftrag, Patientinnen zu bessern und zu sichern“, sagt Forensikerin Klein.
Die Zahl der Menschen im Maßregelvollzug steigt. Frauen sind davon allerdings nur ein sehr kleiner Teil. Die jüngsten Zahlen des Statistischen Bundesamtes sind mehr als drei Jahre alt: Am 31. Dezember 2019 zählte die Statistik 11.553 Menschen in Deutschland, davon 891 Frauen. Zehn Jahre zuvor waren es 10.023 Menschen im Maßregelvollzug, darunter 716 Frauen. 1999 sind unter den 6.206 Patienten 347 weiblich. Die Zahlen sind nach den Angaben nur bedingt vergleichbar, weil nicht immer alle Bundesländer ihre Zahlen an die Behörde melden.
In Taufkirchen startete die Frauenforensik 1998 mit 14 Patientinnen. 2003 waren es bereits 72. Heute werden in der Forensik des Isar-Amper-Klinikums Taufkirchen knapp 200 Patientinnen stationär behandelt. Sie sind zwischen 18 und über 70 Jahre alt.
Dass die Fenster der Taufkirchner Klinik vergittert sind, sehen Besucher erst auf den zweiten Blick: Es gibt keine Gefängnisfenster mit Stab an Stab. Stattdessen verdeckt ein engmaschiges, rautenförmiges Gitternetz die schmalen Scheiben. Einen Zaun oder Stacheldraht gibt es vor dem Gebäude nicht - stattdessen müssen alle, die ins Haus oder wieder hinaus wollen, am Pförtner vorbei und durch ein Schleusensystem mit vielen Türen und Schlössern, Besucher genauso wie die Angestellten und die Chefin.
Keine der Patientinnen möchte über ihre Geschichte oder über ihr Leben in der Klinik mit der Presse sprechen. Einen oberflächlichen Eindruck von ihrem Leben bekommen Besucher im Innern der Klinik: Drinnen, in den Gängen des 2011 gebauten Neubaus, hängen bunte Bilder an der Wand, gemalt von Patientinnen. Es gibt einen Raum für Kunsttherapie, vollgestellt mit Staffelei und Farben, eine Turnhalle mit Volleyballnetz und ein Musikzimmer, auf das eine junge Frau an der Seite ihres Lehrers zusteuert, eine Gitarre unterm Arm. Gleich hat sie ihre dritte Gitarrenstunde. „Ich bin ein Naturtalent“, ruft sie über den Flur, es klingt stolz. „Musik machen gibt den Patientinnen Selbstvertrauen“, sagt Pflegedienstleiterin Karoline Aigner. Mit therapeutischer Hilfe sollen die Patientinnen Zugang zu ihren Gefühlen finden und lernen, in der Welt außerhalb der Klinik zurechtzukommen.
Viele Frauen im Maßregelvollzug haben einander ähnelnde persönliche Geschichten. Es sind nicht die Geschichten einer glücklichen, von Mutter und Vater behüteten Kindheit: „Fast keine unserer Patientinnen kommt aus einer Familie mit zwei konsistenten Bezugspersonen“, sagt Klein.
Die Zeit in der Klinik sei für manche Frauen der erste Lebensabschnitt ohne Gewalt, sagt Chefpflegerin Aigner. Die examinierte Krankenschwester und ihre Kollegen helfen den Patientinnen auch, ihren Alltag zu strukturieren und begleiten sie beim Spazierengehen oder zum Sport in der Turnhalle. Den Patientinnen sind Pflegerinnen und Pfleger fest zugeteilt, die sich um sie kümmern - und streng darauf achten müssen, professionelle Distanz zu wahren. „Wenn man das Gefühl hat, das verrutscht, wechselt man im Zweifelsfall die Station“, sagt Aigner.
Viele der drogenabhängigen Patientinnen sind Mütter. So wie die junge Frau, die mit Baby auf dem Arm die Mutter-Kind-Station betritt. Sie verschwindet mit dem Kind in einem Raum und setzt es vorsichtig auf den Boden, wo es tapsig ein paar wackelige, erste Schritte macht, dann schließt sie die Tür. Bis ihre Kinder drei Jahre alt sind, können sechs Frauen hier gemeinsam mit ihren Kindern leben, die Kleinen besuchen dann eine Krippe im Ort.
Die Straftaten, die Frauen begehen, unterscheiden sich oft von denen der Männer. Verena Klein sagt: „Frauen verüben Gewalttaten häufiger im Kontext sozialer Beziehungen.“ Zu den Opfern der Frauen gehörten oft ihre Partner oder ihre Kinder. Einige Frauen in der Forensik haben ihrem Partner schwere Gewalt angetan, manche haben ihre Kinder getötet. Ein häufiges Delikt sei auch Brandstiftung. Sexualdelikte von Frauen gebe es praktisch nicht.
In der Öffentlichkeit gibt es nicht nur die Angst vor Straftätern, die aus dem Maßregelvollzug entlassen sind, es gibt auch Kritik an dieser Form der Unterbringung. Das bekannteste Gesicht dieser Kritik ist Gustl Mollath, dem 2014 ein Gericht beschied, zu Unrecht jahrelang im Maßregelvollzug gesessen zu haben.
In dieser Zeit wurden auch Vorwürfe gegen die Klinik in Taufkirchen laut, es ging unter anderem um unverhältnismäßig lange Fixierungen. Dabei werden Patienten und Patientinnen ruhiggestellt, indem sie mit Gurten oder Riemen ans Bett gefesselt werden. In einem Fall aus dem Jahr 2011 war die Rede von einer 60 Tage langen Fixierung, in einem anderen aus dem Jahr 2013 von 25 Stunden. Der damalige Klinikleiter Matthias Dose bestätigte den Medien beide Vorfälle und erklärte sie mit aggressivem Verhalten der Patientinnen gegenüber dem Personal.
„Fixierungen sind die Ultima Ratio“, sagt Verena Klein heute. Sie kämen nur zum Einsatz, wenn gar nichts anderes hilft. Um sie zu vermeiden, habe die Klinik seit 2015 drei sogenannte Time-Out-Räume eingerichtet. Dort können Patientinnen sich abreagieren, ohne sich zu verletzen.
Dass das Bewusstsein in den Kliniken sich ändert, beobachtet auch die bayerische Angehörigenvertreterin Angelika Herrmann, zweite Vorsitzende des Landesverbandes Bayern der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen (ApK Bayern). Kliniken versuchten, Fixierungen von vorneherein zu vermeiden und präventiv zu arbeiten, sagt Herrmann. „Insgesamt sind Fixierungen deutlich weniger geworden. Und es gibt gute Bemühungen, dass sie noch seltener vorkommen“, sagt sie. Die Angehörigenvertreterin Herrmann engagiert sich auch im Maßregelvollzusbeirat. Das Gremium gibt es seit der Reform des Maßregelvollzugs in Bayern 2015 an jeder forensischen Klinik. Dem Beirat gehören zwei Abgeordnete des Bayerischen Landtags sowie zwei bis drei weitere Personen an, er soll Ansprechpartner für Patienten sein und hat Zugang zu den Kliniken.
Ein weiterer Vorwurf gegen die forensische Unterbringung: Psychisch kranke Straftäter bleiben eine ungewisse Zeit im Maßregelvollzug, ihre Entlassung ist abhängig von Gutachten bei Gericht. Entscheidungen im Maßregelvollzug würden kaum extern geprüft, schrieb etwa Sozialrechtler Rolf Marschner in einem Gutachten, das er erstellt hat, bevor 2015 in Bayern ein neues Gesetz zum Maßregelvollzug in Kraft trat. Dadurch gebe es einen hohen Anpassungsdruck. Wer dem nicht nachgibt, riskiere, dass die Entscheidung über Lockerungen oder die Stellungnahme zur Entlassung negativ ausfallen. Zugespitzt formuliert: Wer sich nicht benimmt, bleibt drin.
Der Vorwurf, dass Kliniken Lockerungen widerrufen oder Patienten nicht entlassen, die sich nicht anpassen, sei heute in der Regel nicht mehr haltbar, sagt Angehörigenvertreterin Angelika Herrmann: „Die Kliniken entscheiden anhand professioneller Kriterien und haben daher oftmals eine andere Einschätzung als die Patienten und die Angehörigen. Der Patient sagt, dass es ihm gut geht und die Klinik ist der Meinung, dass er noch nicht stabil ist oder sich vielleicht noch nicht genügend mit seiner Tat auseinandergesetzt hat.“
Das Isar-Amper-Klinikum erklärt seine Entlassungspraxis so: Bei psychisch kranken Straftäterinnen fordere das Gericht jährlich eine Stellungnahme bei der Klinik an. Nach einer persönlichen Anhörung der Patientinnen beschließen die Richter, ob eine Patientin entlassen werden kann. Alle drei oder alle zwei Jahre erstellten externe Sachverständige Prognosegutachten. Klinikintern werde der Therapiefortschritt halbjährlich überprüft.
„Patientinnen, die der Meinung sind, dass ihre Therapiefortschritte nicht hinreichend gewürdigt werden, haben verschiedenste Beschwerdemöglichkeiten“, erklärt die Klinik weiter. Dazu gehörten etwa der Forensikbeirat, das bayerische Amt für Maßregelvollzug oder Patientenfürsprecher.
Außerdem verweist Taufkirchen auf die Überbelegung forensischer Kliniken: Die Einrichtungen hätten daher selbst ein Interesse daran, dass Patientinnen nicht länger in der Klinik bleiben als nötig.
München (epd). Mit dem Fall Gustl Mollath ist die forensische Psychiatrie, in der psychisch kranke und süchtige Straftäterinnen und Straftäter untergebracht sind, heftig in die Kritik geraten. Gesetzesänderungen waren die Folge. „Seither hat sich vieles verändert“, sagt Angelika Herrmann, Zweite Vorsitzende des Landesverbandes Bayern der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen (ApK Bayern), im epd-Interview mit Anna Schmid.
epd sozial: Frau Herrmann, Sie engagieren sich ehrenamtlich für Angehörige psychisch erkrankter Menschen und hatten selbst ein Familienmitglied in der forensischen Psychiatrie. Haben Sie das Gefühl, dass Angehörige mitbekommen, wie es den Menschen in der forensischen Klinik geht?
Angelika Herrmann: Wenn Angehörige die Patienten dort besuchen, dann bekommen sie natürlich einen Eindruck durch deren Erzählungen. Und natürlich gibt es in den Kliniken Regeln, die mitunter für die Patienten schwer zu verstehen oder auszuhalten sind. Somit entsteht für Angehörige teilweise ein etwas verschobenes Bild.
epd: Was wünschen Sie sich von den Kliniken?
Herrmann: Ich würde mir einen intensiveren, regelmäßigen Austausch mit den behandelnden Ärzten, den Therapeuten und dem pflegenden Personal wünschen. Insbesondere zu Beginn der forensischen Unterbringung eine umfangreiche Aufklärung. Mehr Verständnis für den „Ausnahmezustand“ der Angehörigen in diesem Moment. In manchen Kliniken gelingt dies bereits. Man bemüht sich sehr, Gespräche mit den Angehörigen zu führen, insbesondere auch dann, wenn der Patient bald entlassen wird. Auch bieten einige Kliniken sogenannte Angehörigentreffen an. Hier können sie sich untereinander austauschen und auch Vertretern der Klinik Fragen stellen.
epd: 2015 ist in Bayern ein neues Maßregelvollzugsgesetz in Kraft getreten. Dem vorausgegangen war öffentliche Kritik am Maßregelvollzug, am bekanntesten ist der Fall Gustl Mollath. Was hat sich mit dem neuen Gesetz geändert?
Herrmann: Seither hat sich vieles verändert. So gibt es etwa keine „Black-Box“-Forensik mehr, weil die Kliniken eine regelmäßige Berichtspflicht haben. Beispielsweise, wie viele Patienten oder Patientinnen sie im Jahr haben, wie viele Zwischenfälle es gab und welche Zwangsmaßnahmen angewendet wurden.
epd: Haben Patientinnen und Patienten denn genügend Möglichkeiten, sich zu beschweren?
Herrmann: Die haben sie. Sie können sich an die Patientenbeauftragten der Kliniken wenden oder an den Maßregelvollzugsbeirat, den es seit der neuen gesetzlichen Regelung in jeder bayerischen Forensik gibt. Dessen Vorsitzender und sein Stellvertreter werden aus dem Kreis der Landtagsabgeordneten gewählt, unter den übrigen Mitgliedern können auch Angehörige ernannt werden, deren Kenntnisse aus dem Alltag der Forensik oft eine wertvolle Bereicherung für die anderen Mitglieder sind. Ebenfalls seit der neuen gesetzlichen Regelung gibt es das Amt für Maßregelvollzug. Dessen Mitarbeiter besuchen routinemäßig jede Klinik ein- bis zwei Mal im Jahr, halten Sprechstunden ab und erkundigen sich - genau wie der Maßregelvollzugsbeirat auch - nach Vorkommnissen oder eventuellen Missständen. Wenn die Beiratsmitglieder oder Mitarbeiter des Amtes für Maßregelvollzug kommen, weiß das die Klinik und informiert die Patienten über die Möglichkeit, mit diesen zu sprechen.
epd: Tut sich danach auch was?
Herrmann: Ja, auf jeden Fall. Möglicherweise passiert nicht immer gleich etwas oder das, was die Patienten sich wünschen. Denn nicht jeder Wunsch ist erfüllbar. In diesen Fällen versucht der Maßregelvollzugsbeirat in Gesprächen mit den Patienten die Situation bestmöglich zu erklären.
epd: Worüber beschweren sich die Patientinnen und Patienten?
Herrmann: Über alles Mögliche. Etwa, dass sie ein anderes Medikament wünschen und nicht bekommen, dass ihr Taschengeld nicht pünktlich ausgezahlt wird oder dass sie mit der Anschaffung der Kleidung unzufrieden sind. Dass die Station zu laut ist, über Mitpatienten, über die langen Zeiten der juristischen Abwicklungen, über zu wenig Therapien, über zu viel Leerlauf. Aber ganz vorne ist immer: „Ich bin hier schon so lange - wann komme ich raus?“ Häufig haben schwerer erkrankte Patienten ein Bild von sich, welches nicht dem Eindruck der Ärzte entspricht. Sie haben möglicherweise noch nicht verinnerlicht, was der Grund ihres Klinikaufenthalts ist und warum sich im Moment daran nichts ändern lässt.
epd: Kann es passieren, dass die Klinik Lockerungen widerruft oder jemanden nicht entlässt, wenn er oder sie sich nicht anpasst?
Herrmann: Das ist ein schwieriges Thema, auch für die Kliniken. In der Regel ist dieser Vorwurf heute nicht mehr haltbar. Es ist nicht so, dass die Kliniken Lockerungen zurücknehmen, wenn sich jemand nicht regelkonform verhält, auch wenn manchmal der Eindruck entsteht. Ich sehe eher, dass sie eine Entlassung möglich machen wollen. Aber natürlich entscheiden die Kliniken anhand professioneller Kriterien und haben daher oftmals eine andere Einschätzung als die Patienten und die Angehörigen: Der Patient sagt, dass es ihm gut geht, und die Klinik ist der Meinung, dass er noch nicht stabil ist oder sich vielleicht noch nicht genügend mit seiner Tat auseinandergesetzt hat. Und es gibt Patienten, bei denen es ganz schwierig wird. Gerade, wenn sie mehrere Diagnosen haben, wie Suchtdiagnosen, psychiatrische Diagnosen und vielleicht noch eine Lernbeeinträchtigung. Die Schwere der Erkrankung macht dann häufig keine Einsicht möglich.
epd: Auch gegen ihren Willen dürfen Patientinnen und Patienten Medikamente gegeben werden. 2021 hat das Bundesverfassungsgericht geurteilt, dass das als „letztes Mittel“ möglich ist. Wie bewerten Sie das?
Herrmann: Ja, das ist möglich, aber eben nur unter ganz bestimmten, sehr engen Bedingungen. Manchmal ist das zum Leidwesen der Angehörigen, die die Erkrankung und ihre Auswirkungen ja schon sehr lange miterleben und wissen, dass man schnell handeln muss, wenn sich erneut eine Krise andeutet. Beim Verband der Angehörigen in Bayern wollen wir ein Bewusstsein dafür schaffen, dass es manchmal unwürdiger ist, wenn man schwer und chronisch erkrankte Menschen in ein selbstzerstörerisches Leben entlässt, indem man ihrem Wunsch nachgibt und sie nicht behandelt. Häufig ist die Folge Obdachlosigkeit oder Selbstschädigung.
epd: Eine andere hochumstrittene Zwangsmaßnahme sind Fixierungen: Patienten werden ruhiggestellt, indem sie mit Gurten oder Riemen ans Bett gefesselt werden. Was hat sich da getan?
Herrmann: Das gibt es immer noch, aber zunehmend ändert sich das Bewusstsein. Inzwischen versucht man eher präventiv dahingehend einzuwirken, dass eine Fixierung gar nicht erst zum Einsatz kommt. Außerdem bedeuten die inzwischen ergangenen gesetzlichen Änderungen bedeutend mehr Aufwand, wie zum Beispiel Dokumentationspflicht oder Überwachung rund um die Uhr. Oftmals sind es auch wenige Patienten in einer Station, die die Fixierungszahlen ausmachen. Schon vor zehn Jahren hat unser Verband den Vorschlag in einer Forensik eingebracht, Räume einzurichten, in dem die Patienten sich ausschreien oder austoben können. Inzwischen gibt es derlei „Time-Out“-Möglichkeiten und sie werden als erfolgreich bezeichnet. Außerdem darf nicht vergessen werden, dass die Klinik in aller Regel daran interessiert ist, Fixierungen nur in Ausnahmefällen vorzunehmen. Für die Mitarbeiter ist das nämlich auch eine Belastung. Insgesamt sind Fixierungen deutlich weniger geworden, und es gibt gute Bemühungen, dass sie noch seltener vorkommen.
Frankfurt a.M., Köln (epd). „Hi, ich bin Anni, 39, und habe die Schnauze voll! Ich lebe von Hartz IV und es reicht ganz einfach nicht! Nein, ich kann keine weiteren Kosten senken. Nein, ich kann nicht auf das spritsparende Auto verzichten.“ Mit diesem Tweet vom 17. Mai 2022 brachte Anni W. den Stein ins Rollen. Seitdem posteten Arbeitslose, Geringverdienerinnen, Studierende und Rentner unter dem Hashtag „#ichbinarmutsbetroffen“, später auch unter „#gibArmuteinGesicht“ ihre Geschichten.
Anni lebt am Niederrhein in Nordrhein-Westfalen und hat mit ihrer öffentlichen Stellungnahme vielen armen Menschen Mut gemacht. „Aus Wut über Berichterstattungen, die nur darauf abzielen, Betroffenen die Schuld zuzuschustern“, erinnert sich die Mutter an den Auslöser ihres Protests. Damals sei die Stiftung „OneWorryLess“ (deutsch: „Eine Sorge weniger“) an sie herangetreten, die Bewegung war geboren. Einige der Forderungen: Eine unbürokratische Entlastung bei den Energiekosten für Menschen in Armut sowie eine sofortige Erhöhung der Regelsätze auf 678 Euro.
Auch Ben hatte sich damals ein Herz gefasst. Der 39-jährige Kölner ist seit 2009 arbeitslos. Früher hat er einmal eine Ausbildung zum Bäcker und Konditor angefangen. Danach habe er über eine Zeitarbeitsfirma in der Farbabfüllung gearbeitet. Dann aber wurde ein Teil der Belegschaft wegen Auftragsverlusten entlassen, Ben gehörte dazu.
„#ichbinarmutsbetroffen“ hat Ben aus der sozialen Isolation geholt: „Ich habe gemerkt, es gibt doch noch viele andere, denen es so geht wie mir“, erzählt er. Er hatte sich und sein Leben fast aufgegeben. „Man hat verlernt, sich Hilfe zu holen“, berichtet Ben, der sich inzwischen in der Kölner Ortsgruppe von „#ichbinarmutsbetroffen“ engagiert.
Neben ihm sitzt Mitstreiterin Kati. Die 40-Jährige aus Köln ist psychisch krank, wie sie erzählt. Posttraumatische Belastungsstörung, Angststörung, Depression. Seit ihrem 18. Lebensjahr ist sie in Therapie. Schon ihre Mutter war von Armut betroffen.
Kati war von Anfang an bei „#ichbinarmutsbetroffen“ dabei. Sie ist froh, dass sie wieder eine Aufgabe hat. „Wir existieren vor uns hin, das macht krank“, sagt sie, und weiter: „Seit den Preissteigerungen ist die Lage komplett eskaliert“. Auf ihrer Amazon-Wunschliste stehen Toastbrötchen, Kaffeesahne, Kosmetiktücher und Batterien. Solche Listen haben viele Betroffene an ihr Profil gepinnt. Wer möchte, kann einzelne Produkte direkt kaufen und somit Betroffenen helfen.
Für Kritiker der Kampagne ein gefundenes Fressen. „Einige Userinnen und User haben die teuersten Sachen einiger Wunschlisten rausgepickt und gepostet“, erzählt Ben verärgert. Die Folge solcher Beiträge seien Hasskommentare gewesen, berichten die beiden Aktivisten. Gegen einzelne Personen habe es sogar Aufforderungen gegeben, sich umzubringen. Einige Armutsbetroffene hätten sich deswegen wieder aus der Öffentlichkeit zurückgezogen.
Umgekehrt habe es aber auch viele Menschen gegeben, die sich solidarisiert hätten, die etwa zu Demonstrationen der Initiative gekommen sind. In Köln zum Beispiel sei der katholische Pfarrer Franz Meurer immer dabei, berichten Kati und Ben, die in der Domstadt regelmäßig auf die Straße gehen.
Der Protest dürfe nicht nur auf die Armen abgewälzt werden, mahnt der Kölner Armutsforscher Christoph Butterwegge. Auch die Mitte der Gesellschaft müsse aufstehen. Der Politikwissenschaftler bezeichnet „#ichbinarmutsbetroffen“ als „historischen Meilenstein“.
„Die Aktion hat gezeigt, dass das Menschen sind wie du und ich“, sagt Butterwegge. Arme Menschen würden immer noch häufig „wie Aussätzige“ behandelt. „Wir müssen die Blockaden in den Köpfen der Menschen lösen“, appelliert der Wissenschaftler und Autor, der sich besonders gegen Kinderarmut und für eine bessere Bildungs- und Betreuungsinfrastruktur starkmacht.
Trotz Hetze - „die Bewegung ist da und bleibt“, sagt Anni W. als Initiatorin: „Wir wollen uns nicht länger für strukturelle Probleme schämen müssen!“
Essen (epd). Das Gesundheitswesen soll laut Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) künftig deutlich weniger von Bürokratie und Ökonomisierung bestimmt werden. „Bei der Ökonomisierung sind wir in einigen Bereichen zu weit gegangen“, sagte Lauterbach selbstkritisch bei der Eröffnung des Deutschen Ärztetags am 16. Mai in Essen. Bundesärztekammer-Präsident Klaus Reinhardt forderte eine frühzeitige Einbeziehung der Landes- und Bundesärztekammern in den vom Bundesgesundheitsministerium geplanten Reformprozess.
„Technokratische Lösungen fressen die Seele der Versorgung auf“, sagte Lauterbach vor rund 250 ärztlichen Delegierten aus 17 Landesärztekammern bundesweit. Das Gesundheitswesen müsse zurück zu den Wurzeln einer an den Bedürfnissen der Menschen orientierten Medizin. Als „roten Faden“ seiner noch 2023 anstehenden Reformen bezeichnete es Bundesgesundheitsminister Lauterbach, in manchen Bereichen „eine überdrehte Ökonomisierung zurückzudrehen“. Etwa bei Fallpauschalen in Krankenhäusern, über die sie sich finanzieren müssten. Ziel sei es, dass in Zukunft bis zu 60 Prozent der Versorgung fallunabhängig über Leistungspauschalen abgerechnet werden könnten.
Mit Blick auf die Digitalisierung im Gesundheitswesen sprach Lauterbach von einer „Aufholjagd“ gegenüber anderen Ländern. Bis 2025 sollten 80 Prozent alle Patientinnen und Patienten mit einer elektronischen Patientenakte (ePA) ausgestattet sein.
Der nordrhein-westfälische Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) nannte es eine „Gerechtigkeitsfrage“ sicherzustellen, dass alle Menschen in akzeptablen Zeiträumen Zugang zum Gesundheitssystem hätten. Die Politik müsse im Auge behalten, „dass die Strukturen des Gesundheitssystems für die kranken Menschen da sind und nicht die kranken Menschen für die Strukturen“. In Krankenhäusern sollten Qualität und Erreichbarkeit erhalten bleiben, aber gleichzeitig Doppelstrukturen vermieden werden, sagte Laumann weiter.
Kritisch äußerte sich Laumann gegenüber einer wachsenden Zahl „kapitalgesteuerter“ Medizinischer Versorgungzentren (MVZ). Patienten müssten sich darauf verlassen können, dass ärztliche Beratung „von Fachwissen geprägt ist und nicht von finanzieller Abhängigkeit“.
Bundesärztekammer-Präsident Klaus Reinhardt forderte eine frühzeitige Einbeziehung der Landes- und Bundesärztekammern in den vom Bundesgesundheitsministerium geplanten Reformprozess. Sein Eindruck sei, dass die politische Partizipation der Ärzteschaft oft „als unnötig oder störend empfunden“ werde und der Praxis-Check für neue Maßnahmen zu spät komme. „Partizipation bei der Planung sollte am Anfang einer jeden Reformidee stehen“, sagte Reinhardt.
Schwerpunktthemen bei den berufspolitischen und medizinisch-ethischen Debatten des 127. Deutschen Ärztetages in der Messe Essen sind die Pläne der Bundesregierung zur Neuorganisation der Krankenhausplanung und Vergütung, das Berufsverständnis der ärztlichen Profession und die Gesundheitsbildung bei Kindern und Jugendlichen. Weitere Themen sind der Einfluss fachfremder Investoren in Form von Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) auf die ambulante Patientenversorgung, die zukünftige Finanzierung des Krankenversicherungssystems sowie Fragen der Digitalisierung.
Berlin (epd). Der Bundesrat hat am 12. Mai mehr Klarheit und etliche Änderungen an den Heizungsplänen von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) gefordert, die gegenwärtig ganz Deutschland beschäftigen. Bürgerinnen und Bürger dürfte neben der Frage, welche Heizungen die künftigen Vorschriften erfüllen, vor allem interessieren, wann das Gesetz kommt und welche Förderungen es geben soll.
Um die Klimaziele zu erreichen, sollen vom kommenden Jahr an nur noch neue Heizungen eingebaut werden dürfen, die zu mindestens 65 Prozent mit erneuerbaren Energien laufen. Habecks Entwurf für Änderungen am Gebäudeenergiegesetz (GEG) hat das Bundeskabinett am 19. April beschlossen. Im Fokus stand der Einbau von Wärmepumpen. Nach der FDP will aber inzwischen auch die SPD einen breiten Mix an Technologien zulassen. Der Bundesrat fordert unter anderem, dass der Einbau von Pellets- und Biogasheizungen nicht gesetzlich eingeschränkt wird.
Nach dem gegenwärtigen Zeitplan soll das Gesetz am 25. Mai in den Bundestag eingebracht und einen Monat später, am 22. oder 23. Juni verabschiedet werden. Am 7. Juli, in der letzten Sitzung vor der Sommerpause, soll es den Bundesrat passieren und Anfang 2024 in Kraft treten.
Angesichts vieler offener Fragen gibt es aber Zweifel an der Umsetzbarkeit. Niedersachsen und Bremen hatten die weitestgehende Verschiebung der Heizungspläne um bis zu drei Jahre gefordert. Der Bundesrat hat die Forderung nicht übernommen, verlangt aber, den Zeitplan zu strecken. Habeck hat signalisiert, er sei pragmatisch, wenn es um geringfügige Verschiebungen gehe, will das Gesetz aber bis zum Sommer abschließen. Die Fraktionsspitzen der SPD und der FDP halten es für denkbar, dass das Gesetz später oder schrittweise in Kraft tritt.
Wie genau die flankierende staatliche Förderung ausfallen wird, ist noch offen. Das vom Kabinett gebilligte Förderkonzept von Bauministerin Klara Geywitz (SPD) sieht vor, dass die Kosten für eine klimafreundliche Heizung grundsätzlich zu 30 Prozent vom Staat gefördert werden. Außerdem gibt es verschiedene Zuschläge: Klimabonus I, II und III. Sie werden an ärmere Haushalte gezahlt und an Haushalte, die eine klimafreundliche Heizung anschaffen wollen, obwohl sie dazu nicht oder noch nicht verpflichtet sind.
Die Grünen und die SPD wollen die Fördersummen stärker am Einkommen ausrichten. Nach den Vorstellungen der grünen Fraktionsspitze sollen Menschen mit einem Haushaltseinkommen von bis zu 20.000 Euro im Jahr maximal 80 Prozent der Kosten erstattet bekommen. Haushalte mit einem Jahreseinkommen von 60.000 Euro würden aber auch noch zu 40 Prozent gefördert. Gegenwärtig wird der Heizungsaustausch je nach Technologie mit 10 bis zu 40 Prozent der Kosten bezuschusst.
Zum Mieterschutz gibt es ebenfalls über den Gesetzentwurf hinausreichende Forderungen. Grüne und SPD wollen, dass die Umlage von Modernisierungskosten auf die Mieter von acht auf vier Prozent pro Jahr halbiert und von drei Euro auf 1,50 Euro pro Quadratmeter gesenkt wird.
Die SPD betont, sie werde nicht ohne eine sozial ausgewogene Förderung zustimmen, wie der Vizevorsitzende der SPD-Fraktion, Matthias Miersch, dem Evangelischen Pressedienst (epd) bestätigte: „Menschen mit einem ganz normalen Einkommen müssen sich die Umstellung auf klimafreundliche Heizungen leisten können.“ Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner (FDP) hatte vorgeschlagen, die Förderung an der Klimaschädlichkeit der alten Heizung auszurichten. Als Finanzminister weist Lindner außerdem darauf hin, dass die Mittel begrenzt sind.
Die Länder fordern unter anderem ein technologieoffenes Gesetz und die Stärkung klimafreundlicher Fernwärme. Die geplanten Ausnahmen für über 80-Jährige wollen sie durch eine Härtefallklausel ersetzen oder die Altersschwelle senken. Der Bundestag kann die Änderungswünsche aufgreifen. Dort wird der Gesetzentwurf - unberührt von den derzeitigen politischen Debatten - in der ursprünglichen Kabinetts-Fassung eingebracht. Es ist deshalb im Verlauf der Beratungen mit vielen Änderungen zu rechnen.
Osnabrück (epd). Die Erziehungswissenschaftlerin Julia Schneewind-Landowsky spricht sich deutlich gegen die Vergrößerung von Kita-Gruppen als Reaktion auf den Fachkräftemangel aus. Studien der vergangenen Jahrzehnte zeigten, dass der Betreuungsschlüssel in den Kitas im Gegenteil verbessert werden müsse, sagte die Elementarpädagogin an der Hochschule Osnabrück dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Zur Erinnerung: Kitas sind keine Aufbewahrungsstationen, sondern die erste Bildungsinstitution, die Kinder in Deutschland besuchen.“
Derzeit betreuen zwei Erzieherinnen maximal 25 Kinder, sagte Schneewind-Landowsky. Um weiteren Versorgungsengpässen in den Kitas entgegenzuwirken, hatten kürzlich die Städtetage unter anderem in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen eine Absenkung der Standards in den Kitas gefordert. Konkret sollen unter anderem die Gruppen vergrößert und häufiger als bisher erlaubt auch Betreuungskräfte eingesetzt werden können, die keine Fachkräfte seien, erläuterte die Expertin.
Schneewind-Landowsky sagte, die pädagogischen Fachkräfte seien mit immer mehr Herausforderungen konfrontiert. Das betreffe etwa die psychosoziale Verfassung der Kinder oder finanzielle Probleme der Familien. Hinzu kämen gesundheitliche Probleme, Übergewicht, übermäßiger Medienkonsum, Verhaltensauffälligkeiten der Kinder. „Kitas sind ein Ort, an dem Familien niedrigschwellig Unterstützung bei der Bewältigung der Erziehungsaufgaben bekommen könnten, sofern die Kapazitäten da wären.“
Sie halte es für unvermeidbar, dass die Öffnungszeiten der Kita gekürzt und gegebenenfalls Gruppen geschlossen würden, sagte Schneewind-Landowsky. „Ohne Druck wird sich nichts verändern, sondern der Mangel auf dem Rücken der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausgetragen.“ Trotz höherer Anforderungen, längerer Öffnungszeiten und einer größeren Anzahl von Kitas gebe es keine Ausbildungsinitiative und keine Aufwertung des Berufs. Je höher der Druck im Alltag für die einzelne Fachkraft sei, desto größer sei die Gefahr, dass Menschen aus dem Beruf ausstiegen oder ihn gar nicht in Betracht zögen.
Eine Verkürzung von Ausbildungszeiten oder die Öffnung der Kitas für pädagogisch nicht qualifizierte Quereinsteiger lehnt die Elementarpädagogin ab. Sie forderte stattdessen eine vergütete Ausbildung, höhere Löhne, flexible Arbeitszeitmodelle, Rahmenbedingungen, die nicht krank machten und eine bessere Gesundheitsförderung. „Es sagt sehr viel über unsere Gesellschaft aus, welchen Stellenwert wir der professionellen, fachlich fundierten Bildung und Erziehung von Kindern beimessen - und wie viel wir bereit sind, dafür zu investieren.“
Fürth/München (epd). Nach einer schweren Krebserkrankung seiner Ehefrau wurde Elliot Parry im Jahr 2019 zum Witwer und seine beiden Kinder zu Halbwaisen. Der Tod der Ehefrau und Mutter war ein schwerer Schicksalsschlag für die Familie. Doch es gibt Unterstützung: Familienpatin Angela Paraminski ist einmal die Woche bei den Parrys zu Hause und greift dem Vater unter die Arme. „Ich helfe beim Haushalt und der Kinderbetreuung rund um Hausaufgaben und Spielen“, sagt Paraminski.
Die Fürtherin ist seit zweieinhalb Jahren ehrenamtlich als Familienpatin tätig. Auf die Idee kam sie durch eine Bekannte. „Es war Lockdown und ich hatte durch die Kurzarbeit mehr Freizeit, die ich sinnvoll nutzen wollte“, sagt die 55-jährige Teamassistentin. Zunächst hatte sie überlegt, bei einem Sprachkurs für Flüchtlinge zu helfen. „Doch das wäre nur vormittags gegangen. Die Arbeit als Familienpatin kann ich besser in meinen Alltag integrieren“, erklärt Paraminski.
Der Familienvater Parry ist froh über die Unterstützung. Besonders da der gebürtige Neuseeländer, der 2015 nach Deutschland ausgewandert ist, keine engeren Angehörigen hat. „Ich finde es schwierig, Haushalt, Beruf und Kindererziehung unter einen Hut zu bekommen“, sagt der IT-Manager. „Angela greift mir sehr unter die Arme und hat immer tolle Ideen für Unternehmungen.“
Einmal in der Woche holt Paraminski den fünfjährigen Jungen vom Kindergarten und das neunjährige Mädchen von der Grundschule ab und verbringt den Nachmittag mit den Kindern. „Wir gehen dann auf den Spielplatz oder backen etwas gemeinsam“, sagt sie.
Bayernweit gab es im Jahr 2022 rund 400 aktive Familienpaten. Das teilte das Netzwerk Familienpaten Bayern dem Evangelischen Pressedienst (epd) mit. Im Vergleich zum Vorjahr ist das ein Rückgang von sieben Prozent. „Die Gewinnung von Ehrenamtlichen wird zunehmend schwierig“, sagt Leiterin Anne Reimers mit.
Die Familienpaten dürfen eigene Präferenzen je nach Eignung und Interessen angeben. „Wichtig ist, dass die Erziehungsvorstellungen und Regeln übereinstimmen und die Werte ähnlich sind“, sagt Paraminski. Da sie selbst ihren Vater früh verlor, wollte sie einer Familie zugeteilt werden, in der ein Elternteil verstorben war. „Mein eigener Vater starb, als ich acht Jahre alt war“, sagt sie. Sie wisse daher, mit welcher Last die Verbliebenen leben müssen.
Voraussetzungen, um Familienpate zu werden, sind ein Führungszeugnis ohne Einträge sowie eine verpflichtende Schulung, die eineinhalb Tage dauert. In diesem Kurs erlernen die zukünftigen Paten den richtigen Umgang mit den Kindern, aber auch das Setzen eigener Grenzen. „Es geht um Fragen wie: Was macht es mit einer Familie, wenn eine fremde Person in den Haushalt kommt?“, erinnert sich Paraminski. Einmal im Monat findet ein Treffen der Familienpaten statt. Dabei lernte sie Mine Shayesteh von der Erziehungs- und Familienberatungsstelle Fürth kennen. „Ich habe Angela als engagiert, reflektiert und unkompliziert erlebt“, sagt Shayesteh.
„Die Zielgruppe der Familienpaten ist sehr heterogen. Je nach Lebenswelt sind die Bedarfe sehr unterschiedlich“, berichtet Shayesteh. Von Alleinerziehenden oder Menschen mit Migrationshintergrund, Familien, bei denen ein Elternteil verstorben oder krank ist, bis hin zu Familien, die beruflich sehr viel arbeiten und keinen familiären Hintergrund als Unterstützung haben, sei alles mit dabei.
Shayesteh bestätigt die Einschätzung des Netzwerks Familienpaten Bayern, dass es schwieriger werde, Freiwillige zu gewinnen. „Leider ist es uns letztes Jahr nicht gelungen, genügend Interessenten zu finden“, sagt Shayesteh.
Für das unbezahlte Ehrenamt erhielt Paraminski nach zwei Jahren die Ehrenamtskarte für die Stadt Fürth, mit der sie verschiedene Vergünstigungen erhält. Ihre Motivation sei ohnehin eine andere als Geld. „Für alle, die gerne mit Kindern zusammenarbeiten, ist das ein toller Job“, betont sie. Die Zeit, die sie mit den beiden Kindern verbringt, beschreibt sie als „sinnvollste Arbeit, die ich je in meinem Leben machen durfte“.
Paraminski hat selbst zwei eigene Kinder im Alter von 14 und 18 Jahren, einen Sohn und eine Tochter. „Doch für die beiden bin ich oft nicht mehr cool genug“, sagt sie und lacht. Mittlerweile sei sie schon Teil der Familie Parry geworden. „Letztens hat mich der Fünfjährige aus Versehen als “die Oma„ bezeichnet“, sagt Paraminksi.
Berlin (epd). Zum Internationalen Tag der Pflege haben am 12. Mai in Berlin auf mehreren Veranstaltungen Hunderte Menschen für bessere Rahmenbedingungen in der Pflege demonstriert. Kritisiert wurden unter anderem eine schlechte Bezahlung der professionellen Pflegekräfte, zu wenig Unterstützung für pflegende Angehörige sowie stetig steigende Beiträge für die Pflegeversicherung. Diakonie-Vorständin Maria Loheide sagte auf einer Kundgebung vor dem Berliner Hauptbahnhof: „Die Pflege selbst ist schon längst ein Pflegefall.“
Nötig sei eine „grundlegende Pflegereform“, um künftig in einer stetig älter werdenden Gesellschaft „eine würdevolle Pflege für alle Menschen zu sichern“. Auf Plakaten hieß es unter anderem „Wir retten Leben - wer rettet uns?“, „Die Pflege arbeitet härter als die Politik“ und „Leasingmarkt macht uns kaputt“.
Zu der Demonstration am Berliner Hauptbahnhof hatten die Diakonie Deutschland und der Deutsche Evangelische Verband für Altenarbeit und Pflege (DEVAP) aufgerufen. Der Bundesverband Pflegemanagement suchte vor dem Reichstagsgebäude auf dem Platz der Republik den „Austausch“ mit der Politik. Außerdem gab es einen vor allem von Auszubildenden organisierten „Walk of Care“. In einer Social-Media-Kampagne für faire Bedingungen in der Pflege posteten diakonische Einrichtungen unter dem Hashtag „#5nach12“ Bilder, Kommentare und Videos.
Der DEVAP-Vorstandsvorsitzende Wilfried Wesemann betonte, es sei längst fünf nach zwölf. Auch er forderte eine grundlegende Struktur- und Finanzreform der Pflege, „damit wir endlich vor die Krise kommen“. Dabei verwies er auch auf eine in dieser Woche veröffentlichte Umfrage unter Einrichtungen. Demnach müssen drei Viertel der Pflegeeinrichtungen Angebote einschränken. Neun von zehn Pflegediensten mussten bereits neue Pflegekunden ablehnen. Hauptgrund sei der Fachkräftemangel.
Die Vorständin der Diakonie Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Andrea Asch, warf der Politik vor, Pflegekräfte und pflegende Angehörige nicht zu beachten. Symptome für das Versagen der Politik seien ein gravierender Personalmangel in den Pflegeeinrichtungen sowie Tausende Pflegebedürftige, die durch die steigende Eigenbeteiligung an den Pflegekosten auf Sozialhilfe angewiesen sind. Asch sprach sich für eine Pflegevollversicherung aus. Eine Teilkaskoversicherung sei nichts anderes als die Absage an den Sozialstaat: „Altern in Würde ist ein Menschenrecht“, sagte die Berliner Diakonie-Chefin.
Als ein Vertreter pflegender Angehöriger kritisierte Jochen Springborn eine finanzielle „Ungleichbehandlung“ von stationärer und häuslicher Pflege. Die Politik wälze jetzt die Kosten auf die Pflegebedürftigen und deren Angehörige ab: „Für die häusliche Pflege ist es mindestens schon halb eins und nicht fünf nach zwölf“, sagte Springborn.
Die Vorstandsvorsitzende der Volkssolidarität Berlin, Susanne Buss, forderte eine bessere Verzahnung von pflegenden Angehörigen und professionellen Pflegekräften. Um dem weiter steigenden Personalbedarf gerecht zu werden, seien vor allem politische Lösungen gefragt.
Zum Tag der Pflege äußerte sich auch der Präsident des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste, Bernd Meurer. „Eine massive Ausweitung der Zuwanderung in die Pflegeberufe würde eine spürbare Entlastung für Pflegende und Pflegeeinrichtungen bedeuten“, sagte er.
Die Präsidentin der Arbeiterwohlfahrt, Kathrin Sonnenholzner, forderte eine Begrenzung der Leiharbeit in der Pflege. „Leiharbeit schafft zwei Klassen von Pflegenden, konterkariert Beziehungspflege und Teambuilding und zermürbt das Stammpersonal.“
Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, rügte, dass die geplante Pflegereform für die häusliche Versorgung der über vier Millionen Pflegebedürftigen keine Entlastungen vorsehe. Er forderte einen Rechtsanspruch auf Verhinderungs- und Kurzzeitpflege. Auch müsse das Pflegegeld um mindestens 340 Euro monatlich pauschal erhöht und dann jährlich dynamisiert werden. „Seit sechs Jahren warten die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen auf diese Anpassungen“, sagte Brysch.
Berlin (epd). Die Caritas hat eine neue Analyse vorgelegt, wonach die Anstellung von Pflegefachkräften in ihren Einrichtungen immer schwieriger wird. 90 Prozent der Betriebe gaben in einer Umfrage für das „Caritaspanel 2022“ an, dass die Gewinnung von Fachpersonal immer größere Probleme bereite, sagte Norbert Altmann, der Sprecher der Dienstgeber, am 11. Mai in Berlin. Für jede vierte ausgeschriebene Stelle fand sich keine passende Fachkraft.
Zwar könne sich die Caritas dank attraktiver Arbeitsbedingungen und im Vergleich mit anderen Branchen guter Bezahlung als Arbeitgeberin behaupten, sagte Altmann. Doch weil in den nächsten zehn Jahren 200.000 von derzeit etwa 700.000 Mitarbeitenden in den Care-Berufen in den Ruhestand gingen, werde sich die Lage weiter zuspitzen. Trotz bereits um über 50 Prozent gestiegener Ausbildungskapazitäten in der Altenpflege „sind Einschränkungen der Angebote und Schließungen von Einrichtungen bereits Realität“, sagte Altmann.
80 Prozent der Caritas-Pflegeunternehmen bilden bereits Fachkräfte aus, berichtete Altmann. Und es sei positiv, dass der ausgebildete Nachwuchs zu 75 Prozent auch von den Trägern übernommen wurde. „Die Übernahmequote hat sich gegenüber 2020 um zwölf Prozentpunkte erhöht“, sagte der Sprecher.
Frankfurt a. M. (epd). Eine Stunde saß Simon Köster (Name geändert) auf der Toilette. Zwei Rollen Klopapier gingen drauf, bis er sich endlich sauber fühlte. Der 61-Jährige aus Hessen erinnert sich an die schlimmsten Phasen seiner Krankheit. Köster leidet unter Zwangsstörungen - seit seinem 15. Lebensjahr, wie er erzählt. Eine davon: ein Waschzwang.
Aus sieben bis neun Stunden Zwangshandlungen pro Tag habe er es nach einer 16-wöchigen stationären Therapie in Münster auf eine Stunde geschafft. Heute geht es dem Sozialpädagogen besser, wie er sagt. Seit Jahren nimmt er Antidepressiva: „Ohne geht es nicht.“ Einmal habe er es versucht ohne die Tabletten. Die Zwänge seien rasch zurückgekommen.
Zwei bis drei Prozent aller Menschen erkranken laut Angaben des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie im Laufe ihres Lebens an einer Zwangsstörung. Dabei kommt es zu Handlungen oder Gedanken, die Betroffene wiederholt ausführen müssen. Zwangsstörungen können so stark werden, dass sie den ganzen Alltag bestimmen. Zu den häufigsten Arten gehören Reinigungs- und Waschzwänge, Kontrollzwänge sowie Wiederhol- und Zählzwänge. Die Corona-Pandemie habe die Zwänge bei vielen Kranken nochmals verschärft, sagt die Freiburger Psychologin und Psychotherapeutin Anne Katrin Külz.
Einige davon kennt auch Pauline, die einen Internet-Blog zu dem Thema betreibt. Die 25-jährige Sozialarbeiterin ist seit vielen Jahren von einer Zwangsstörung betroffen, wie sie sagt. Die offizielle Diagnose sei erst vor anderthalb Jahren gestellt worden. „Die Krankheit hat sich schleichend entwickelt. Schon als kleines Kind hatte ich das Gefühl, eine große Verantwortung zu tragen und wollte niemanden enttäuschen.“ Immer wollte sie alles ganz genau machen, perfekt sein.
Tatsächlich geben Wissenschaftler an, dass der Beginn von Zwängen oft schon in der Kindheit entwickelt wird. Bei einem Drittel der Betroffenen tritt eine Zwangsstörung bereits in der Pubertät auf. In den allermeisten Fällen wird laut Külz die Diagnose mit Anfang 20 bestimmt.
Pauline leidet unter Zwangshandlungen und Zwangsgedanken. „Der erste Zwang war zum Beispiel die Kontrolle, ob das Glätteisen auch wirklich aus ist.“ Die Angst, sie könnte verantwortlich sein für einen Brand des Hauses und den möglichen Tod der Bewohner, verfolgte sie permanent, wie die junge Frau aus Hessen erzählt. Später seien immer mehr Zwänge hinzugekommen. Besonders die Zwangsgedanken, sie könnte eine schlimme Straftat begangen haben, ohne es zu merken, hätten fortan ihren Alltag bestimmt. „Ich hatte ständig Angst, gleich von der Polizei abgeholt zu werden.“ Sie traute niemanden mehr über den Weg, nur ihr Partner wusste Bescheid.
Von einer Zwangsstörung sprächen Experten dann, wenn Zwangshandlungen zeitintensiv seien oder zu Beeinträchtigungen in wichtigen Lebensbereichen führten, erklärt Expertin Anne Katrin Külz. Sie ist auf die Behandlung von Zwangsstörungen spezialisiert und Mitglied im Vorstand der Deutschen Gesellschaft Zwangserkrankungen.
Die genauen Ursachen einer Zwangsstörung sind nach Angaben des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie nicht bekannt, Forschungsergebnisse deuteten auf Veränderungen in Hirnsystemen hin. Laut Külz beeinflussen verschiedene Faktoren die Entstehung einer Zwangsstörung, etwa eine sehr gewissenhafte Persönlichkeit. Auslöser könnten bedeutsame Lebensereignisse sein, wie der Wechsel in die erste eigene Wohnung oder die Geburt des ersten Kindes. Betroffen seien Männer und Frauen gleichermaßen, sie kämen aus allen sozialen Schichten, erklärt die Therapeutin. Bei 60 Prozent ihrer Patientinnen und Patienten kämen im Lauf des Lebens Depressionen hinzu.
Als Therapie hat sich die kognitive Verhaltenstherapie bewährt, wie die Expertin berichtet. Dabei werden die Erkrankten bewusst mit ihren Zwängen konfrontiert. Das Problem: Viele Menschen verheimlichten die Symptome lange.
Umgekehrt sei aber auch Vorsicht geboten mit einer vorschnellen Diagnose. Wenn etwa auf Social Media Betroffene von ihren Zwängen berichteten, sei die Gefahr groß, dass man selbst denke, man sei betroffen. Im Internet geisterten zudem viele Mythen zur Behandlung von Zwängen herum. Külz wünscht sich, dass Praxen mehr Online-Therapien möglich machten, da die Wartelisten für Patienten und Patientinnen mit Zwangserkrankungen lang seien. Sie betont: „Zwangsstörungen sind gut behandelbar.“
Auch Pauline fordert niedrigschwellige Therapie-Angebote. Mit ihrem Blog und ihrem Instagram-Auftritt möchte sie anderen Betroffenen Mut machen und dazu beitragen, dass psychische Erkrankungen nicht mehr stigmatisiert werden. Und Simon Köster hofft, dass Zwangsstörungen eines Tages kein Tabu-Thema mehr sein werden. Bei seinem jetzigen Arbeitgeber weiß niemand von seiner Krankheit.
Hamburg (epd). Kendra Eckhorst hat die Steine nicht gezählt. „Es waren sehr viele“, sagt die Soziologin lachend und streicht über die fertige Rampe aus bunten Legosteinen. Für die Hamburger Initiative „Horn - einfach für alle“ hat sie mit Erwachsenen und Kindern aus Tausenden bunten Steinen Rampen gebaut. Sie sollen Menschen mit Rollator und Rollstuhl den Zugang zu Geschäften erleichtern. Mitte März wurden die ersten Rampen an das Blumengeschäft Grieser übergeben, die nächsten beiden gingen am 24. April an den Friseursalon „Frau Schmidt“, in dem es auch Kulturprogramm gibt.
Die bis zu zehn Zentimeter hohen Rampen sind an mehreren Tagen gemeinsam gebastelt und geklebt worden. „Da mussten wir schon ganz schön tüfteln“, sagt Alex Wilke, Koordinator des Stadtteilhauses Horner Freiheit. Es habe länger gedauert als gedacht.
Rampenbauer nach dem Vorbild der „Lego-Oma“ Rita Ebel aus Hanau in Hessen gibt es in einigen deutschen Städten und auch in St. Petersburg, Frankreich und den USA. „Sie sind ein Hingucker und schaffen auch das Bewusstsein für die Alltagsprobleme von Menschen mit Einschränkungen“, sagt die Soziologin Eckhorst.
Doch eine echte Lösung sind die bunten Hingucker für Eckhorst nicht. „Das Thema Inklusion braucht viel mehr Aufmerksamkeit“, sagt die Leiterin des Büros für barrierefreie Kommunikation vom Rauhen Haus. Die 47-Jährige möchte mit den Menschen im Stadtteil ins Gespräch kommen, Hürden aufzeigen und auf Schwierigkeiten aufmerksam machen.
„Inklusion betrifft nicht nur Rollstuhlfahrer, sondern auch Menschen, die sehbehindert sind oder die Sprache schlecht verstehen.“ Es gehe um hohe Stufen, schlechte Beschilderung, Werbeaufsteller auf dem Gehweg oder graue Straßenpoller, die leicht zu übersehen sind, und unübersichtliche Baustellen.
Die Senatskoordinatorin für die Gleichstellung behinderter Menschen in Hamburg, Ulrike Kloiber, sagt, sie begrüße es sehr, „wenn sich Menschen für Barrierefreiheit engagieren und nach kreativen Lösungsmöglichkeiten suchen“. Die Aktion sollte zum Anstoß genommen werden, um Einrichtungen wie Stadtteilzentren, Bürgerhäuser und den Einzelhandel für Barrierefreiheit zu sensibilisieren. „Was wir aber brauchen, sind dauerhafte Lösungen, die Menschen mit Behinderungen eine selbstbestimmte Teilhabe ermöglichen - nicht aufgrund des Wohlwollens unserer Gesellschaft, sondern weil es das Recht der Betroffenen ist“, sagt Kloiber.
Das Thema Barrierefreiheit sei durch gesetzliche Anforderungen der UN-Behindertenrechtskonvention und nicht zuletzt durch sich verändernde Ansprüche einer zunehmend älter werdenden Gesellschaft deutlich in das Bewusstsein der öffentlichen Verwaltung gerückt, betont Kloiber. Behörden befassten sich fachübergreifend mit Fragen der barrierefreien Mobilität im Verkehr, im öffentlichen Raum und im Hochbau.
Dagegen kritisiert Raúl Krauthausen, Berliner Aktivist für die Rechte behinderter Menschen, in seinem Online-Blog, dass jeder Tag „voller Barrieren“ ist. Krauthausen schreibt: „Dass wir nur über Barrieren aufklären brauchen, damit sich die Lage bessert, glaube ich nicht mehr. Es muss darum gehen, die Barrierefreiheit als Grundrecht einzufordern, statt ehrenamtlich mit Lego zu basteln!“ Barrierefreiheit sollte nicht besonders sein, kein Geschenk oder eine Legostein-Spende. Sie sei eine „schlichte Notwendigkeit“.
Dietenhofen/Bruckberg (epd). Tischtennisbälle klackern, Gummisohlen quietschen auf dem Hallenboden und ab und zu greift Trainer Stephan Meßlinger zum Mikrofon, um die neuen Ergebnisse zu verkünden. Seit zehn Uhr morgens wird an den 16 Tischtennisplatten, die in der Sporthalle des TV 09 Dietenhofen aufgebaut sind, gespielt, gecoacht und gejubelt. Aber auch eine Niederlage ist nur halb so schlimm: An oberster Stelle geht es darum, Spaß am Spiel zu haben. 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit und ohne geistige Behinderung haben sich angemeldet, um beim inklusiven Tischtennisturnier gegeneinander anzutreten. Wer gerade nicht spielt, kann sich draußen mit Kuchen, Wurst- und Käsesemmeln stärken.
Einer der Teilnehmer ist Günther Ritschel (44). Beim Aufschlag ist er konzentriert, selten entgeht ihm ein Ball. „Sauber, Günther“, feuert ihn sein Trainer an. Für Ritschel dient das Turnier der Vorbereitung auf die großen Spiele: Im Juni wird er als Athlet des „Team Germany“ bei den Special Olympics Worldgames 2023 antreten, die in diesem Jahr unter dem Motto #ZusammenUnschlagbar in Berlin stattfinden.
Die gesamte deutsche Tischtennis-Delegation, bestehend aus zehn Athletinnen und Athleten mit geistiger Behinderung und zwei Unified-Teampartnern, ist an diesem Wochenende nach Dietenhofen gekommen, um sich mit Training und Theorieeinheiten auf die Spiele in Berlin vorzubereiten. Höhepunkt dieses Vorbereitungslehrgangs ist das offene Turnier.
„'Unified Sports', das bedeutet, dass Menschen mit und ohne geistige Behinderung zusammen trainieren und an Wettbewerben teilnehmen“, erläutert Daniel Strössner (38). Er arbeitet als pädagogischer Fachdienst in der Wohneinrichtung von Diakoneo in Bruckberg. Schon als Kind hat er mit dem Tischtennis spielen angefangen und sich vor zwei Jahren dazu entschieden, als Ritschels Teampartner zu trainieren. Das habe ihm auch wieder neue Motivation für den Sport gegeben: „Ich hatte allein in den letzten Jahren ein wenig die Lust verloren, aber jetzt bin ich hochmotiviert für die Weltspiele“, sagt Strössner.
Auch Günther Ritschel interessiert sich schon seit seiner Kindheit für Tischtennis: „Mit neun Jahren habe ich damit angefangen, Tischtennis im Fernsehen anzuschauen und dann hobbymäßig zu spielen“, erzählt er. Seit über 25 Jahren ist er Mitglied der Tischtennisgruppe der Bruckberger Heime und seit mehreren Jahren spielt er auch im Verein des TV 09 Dietenhofen. Seitdem hat er schon zahlreiche Medaillen bei Special Olympics Wettkämpfen auf regionaler und nationaler Ebene sammeln können. Ein sportliches Highlight waren für ihn zwei Goldmedaillen bei den nationalen Special Olympics 2022 in Berlin: eine im Einzel und eine im Doppel, die er zusammen mit seinem Unified-Team-Partner gewann.
Einmal pro Woche trainieren Ritschel und Strössner zusammen mit ihrem Trainer Stefan Meßlinger. In manchen Dingen gibt Meßlinger aber auch das Ruder ab: „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass durch Unified-Team-Partner die Anleitung für taktische Vorgaben viel unmittelbarer und effektiver erfolgen kann als durch einen Trainer von außen“, sagt Meßlinger. Am Ende profitieren dann beide Seiten. „Ich bin immer der Hibbeligere und Nervösere von uns beiden, da beruhigt mich Günther dann oft. Im Gegenzug motiviere ich ihn manchmal, dass er auch mit Spannung an der Platte steht“, erzählt Strössner.
Schon seit mehreren Jahren trainieren in Dietenhofen Menschen mit geistiger Behinderung aus der Einrichtung "Diakoneo Wohnen Bruckberg” zusammen mit Vereinsmitgliedern ohne geistige Behinderung in einer Mannschaft. Zum Tischtennisturnier sind auch Menschen aus anderen Einrichtungen angereist, wie zum Beispiel aus Erlangen, Rummelsberg oder Fürth.
Die Einrichtung „Wohnen Bruckberg“ erhielt 2015 den Status des bundesweit ersten und einzigen Qualifikationsstützpunktes für das Special Olympics Unified-Sportprogramm, sagt Diakoneo-Pressesprecher Markus Wagner. Die Einrichtung fördert nicht nur selbst „Unified Sports“, sondern gibt die Erfahrungen mit dem Programm auch in Seminaren, Vorträgen und Schulungen an andere weiter. Das Konzept gibt es nicht nur im Tischtennis, sondern auch in vielen anderen Sportarten, wie zum Beispiel im Basketball. „Das Besondere ist, dass sich über den Sport zum Beispiel auch Freundschaften entwickeln können, die sich sonst vielleicht nicht so leicht ergeben würden“, sagt Wagner.
Am 17. Juni starten die Special Olympics Worldgames in Berlin. Daniel Strössner sieht die Spiele auch als Chance, Unified Sports einem breiten Publikum bekannt zu machen: „Menschen verlieren die Hemmungen im Umgang mit Menschen mit Behinderung. Es bietet die Chance, alle Menschen als gleich zu betrachten und nicht zu kategorisieren.“
Es war eine besonders schlechte Nachricht für Menschen mit Behinderung, als im Frühjahr das Baden-Württembergische Sozialministerium mitteilte, dass im aktuellen Doppelhaushalt keine Fördermittel für den Bau von barrierefreien und den Förderrichtlinien entsprechenden Wohnungen für Menschen mit Behinderungen (mit hohem Unterstützungsbedarf) vorgesehen seien. Denn dieser Förderstopp benachteiligt Menschen mit Behinderungen, weil es in Baden-Württemberg eine Aufteilung der Förderzuständigkeit im sozialen Wohnungsbau gibt.
Für Menschen, die selbständig leben können, ist das Bauministerium mit einer guten finanziellen Ausstattung zuständig, für Menschen mit Behinderung, die auf (hohe) Unterstützung angewiesen sind (insbesondere auf Wohnungen gemäß dem Wohn-, Teilhabe- und Pflegegesetz WTPG)) ist das Sozialministerium zuständig. Das bedeutet in der Praxis, dass gerade diejenigen Menschen, für die die hohen Erwartungen der UN-Behindertenrechtskonvention und des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) geweckt sind, kaum noch eine Chance auf eine eigene Wohnung haben.
Die in der „Initiative e.V.“ verbundenen Leistungserbringer der Behindertenhilfe verstehen sich als eine starke Interessensgruppe, die derzeit rund 75 Prozent aller Angebote in den sogenannten „besonderen Wohnformen“ in ganz Baden-Württemberg abdecken. Gerade diese Interessengruppe sieht sich zur Umsetzung der Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention und des Bundesteilhabegesetzes verpflichtet.
Insbesondere unterstützen sie die Menschen mit Behinderungen, die bis dato in den sogenannten „besonderen Wohnformen“, leben bei ihrer Suche nach Wohnungen. Oft müssen sie als Hauptmieter eintreten, weil Vermieter die direkte Vermietung an einen Menschen mit Behinderungen scheuen.
Noch viel öfter finden sich aber gar keine geeigneten Wohnungen. Die gewünschte und gesetzlich geforderte Inklusion kommt nahezu zum Stillstand, wenn dem Wohnungsmangel nicht entgegengewirkt wird, erst recht, wenn auch noch, wie eingangs beschrieben, die staatliche Förderung ausgesetzt wird.
Eine Studie des Pestel Instituts „Wohnsituation von Menschen mit Behinderung in Baden-Württemberg“ aus dem Dezember 2020 belegt den gravierenden Mangel von Wohnungen für Menschen mit Behinderungen. Die Initative hat ihre Forderungen zur Unterstützung der Interessen der Menschen mit Behinderungen in Briefen und Gesprächen mit dem Bauministerium, einer Petition an den Petitionsausschuss und Mitte April in einem Schreiben an Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) vorgebracht. Gleichzeitig macht sie ihre Forderungen auch öffentlich.
Damit wieder mehr für Menschen mit Behinderung geeigneter Wohnungen entstehen, ist es erforderlich,
Konkret fordert die Initiative außderdem, dass durch geeignete Maßnahmen der Stadt- und Landkreise und der Landesregierung bis zum Jahr 2025 für Menschen mit Behinderungen zusätzlich zu bestehenden oder aktuell geplanten Maßnahmen 5.000 bezahlbare und geeignete Wohnungen bereitgestellt werden, davon mindestens 1.000 barrierefreie.
Um dieses Ziel von 5.000 Wohnungen zu erreichen, braucht es ein Bündel von Maßnahmen. Die wichtigsten Forderungen dazu sind:
1. Das Landeswohnraumfördergesetz muss angepasst und WTPG-konform ausgestaltet werden, indem Integrations- und Inklusionsbemühungen sowie eine Quotenregelung integriert wie auch ein Ausschluss der Menschen mit Behinderungen vermieden werden.
2. Für private und öffentliche Investoren müssen nachhaltige Anreize und Fördermöglichkeiten geschaffen werden, um Wohnraum insbesondere für Menschen mit kognitiver und psychischer Behinderung zu schaffen.
3. Auf kommunaler Ebene braucht es geeignete und transparente Verfahren, um selbständige Wohnraumentscheidungen von Menschen mit Behinderung zu ermöglichen und zu unterstützen.
4. Beteiligungen an Mietverträgen oder Unterstützungen seitens der Leistungserbringer oder rechtlichen Betreuer im Interesse von deren Klienten dürfen nicht länger zum Nachteil von Menschen mit Behinderung führen.
5. Insgesamt muss die Lobby von Menschen mit Behinderung beim Thema „Wohnraum“ durch geeignete Beteiligungsverfahren (insbesondere auf kommunaler Ebene) gestärkt werden. Auch hierzu braucht es rechtliche Absicherungen, gegebenenfalls durch eine Verordnung.
Es braucht aus unserer Sicht eine gemeinsame Anstrengung der Stadt- und Landkreise, der Landesregierung und derjenigen, die die Umsetzung bewerkstelligen sollen: Investoren und genossenschaftliche und gemeinnützige Wohnbaugesellschaften. Die Einrichtungen der Initiative stehen jedenfalls bereit, um die Menschen mit Behinderungen zu einer möglichst selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Lebensführung im eigenen Wohnraum sowie in ihrem Sozialraum zu befähigen oder sie hierbei zu unterstützen.
Berlin (epd). Der Deutsche Hospiz- und Palliativverband wendet sich gegen die Forderung, auf ein neues Gesetz zur Regelung der Suizidassistenz zu verzichten. „Ein Verzicht auf gesetzliche Vorgaben würde auf Dauer zu rechtlichen Unsicherheiten für Betroffene und Ärztinnen und Ärzte führen“, sagte Präsident Winfried Hardinghaus dem Evangelischen Pressedienst (epd). Mit ihm sprach Dirk Baas.
epd sozial: Herr Professor Hardinghaus, Wissenschaftler um den früheren Ethikratsvorsitzenden Peter Dabrock haben in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ an die Abgeordneten des Bundestags appelliert, auf das geplante Gesetz zur Regelung der Suizidassistenz zu verzichten. Ist das jenseits inhaltlicher Einwände überhaupt möglich nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahr 2020?
Winfried Hardinghaus: Das Bundesverfassungsgericht hat den seit 2015 geltenden Paragrafen 217 im Strafgesetzbuch, der die geschäftsmäßige Suizidbeihilfe verboten hatte, gekippt. Es sah die Autonomie Sterbewilliger unzulässig eingeschränkt. Es sei ein unzulässiger Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Einzelnen, wenn ein selbstbestimmtes Sterben verwehrt werde. Das Gericht hat zwar die Bundesregierung nicht verpflichtet, ein neues Gesetz vorzulegen, verwies aber auf die gesetzgeberischen Möglichkeiten zum Schutz vor einer gefahrenträchtigen Entwicklung.
epd: Also muss es tatsächlich kein Gesetz geben?
Hardinghaus: Es ist richtig, dass nicht zwingend ein Gesetz verabschiedet werden muss. Wir als Deutscher Hospiz- und PalliativVerband hätten am liebsten den Paragraph 217 StGB behalten, nun ist aus unserer Sicht allerdings die gesetzliche Regulierung zwingend notwendig. Nicht zuletzt, weil es zumindest in einem der drei vorliegenden Entwürfe im Bundestag auch um den deutlichen Ausbau der Suizidprävention geht, was wir für den wichtigeren Aspekt in dem ganzen Prozess halten. Hier muss auch deutlich mehr investiert werden.
epd: Die Ethiker betonen, keiner der vorliegenden Gesetzentwürfe helfe Menschen, die einen Suizid erwägen, in ihrer existenziell schwierigen Lage. Da gehen Sie vermutlich nicht mit?
Hardinghaus: Das kann ich nicht nachvollziehen. Es geht um eine professionelle Beratung beziehungsweise Begleitung vor jeder Entscheidung über einen assistierten Suizid, damit möglichst viele Betroffene vom Suizid wieder Abstand nehmen. Denn die Beratungspflicht schließt ja mit ein, Alternativen aufzuzeigen. Ich denke da vor allem auch an depressive Menschen, die überproportional oft ihrem Leben ein Ende setzen wollen. Auch wenn die parlamentarischen Verhandlungen über die drei vorliegenden Entwürfe kompliziert sind, so kann das doch nicht ernsthaft ein Grund sein, das geplante Gesetz zu kippen. Wir brauchen eine Regelung, auch wenn es vielleicht verlockend ist zu sagen, wir lassen es lieber bleiben. Das wäre ein gefährlicher Weg.
epd: Was wären die Folgen, wenn es tatsächlich zu keinem Gesetz kommen sollte?
Hardinghaus: Dann würde es über viele Jahre keine neue Regelung zur Suizidbeihilfe geben. Die Chance dazu wäre vertan. Und es würde weiter eine totale rechtliche Unsicherheit geben, für Ärzte und Ärztinnen wie auch für schwerkranke Menschen und deren Angehörige. Und - auch das wäre eine Folge - die unregulierte Suizidbeihilfe könnte dem Tun von Sterbehilfevereinen Tür und Tor öffnen. Wir unterstützten hingegen die Forderung nach einer Verbesserung der Suizidprävention, die sich - nebenbei gesagt - lediglich auf Menschen mit lebenslimitierenden Erkrankungen bezieht. Man kann eine gesetzliche Regelung der Suizidbeihilfe nicht gegen die Prävention ausspielen. Man braucht beides, beides muss Hand in Hand gehen.
epd: Gibt es keine alternativen Wege, das zu regeln, wenn man kein Gesetz verabschiedet?
Hardinghaus: Nein. Wenn man kein Gesetz beschließt, dann ist der Paragraf 217 StGB dauerhaft und vor allem ersatzlos abgeschafft, dann kann Suizidbeihilfe weiter tagtäglich ungeregelt verkauft werden. Ein Beispiel: Die Zahl der Doppel-Suizide, insbesondere von älteren Menschen, hat im vergangenen Jahr deutlich zugenommen, das heißt, dass der Partner oder die Partnerin eines Suizidwilligen gleich mitgeht. Die in dem Beitrag durch eine neue Gesetzgebung befürchtete „Normalisierung“ ergibt sich weniger durch eine Bürokratisierung als eher durch eine geänderte gesellschaftliche Wertentscheidung mit Blick auf Alter, Vulnerabilität und Gebrechlichkeit.
epd: Ihr Verband will die Suizidprävention ausbauen. Dazu wäre ein eigenes Gesetz sinnvoll gewesen.
Hardinghaus: Ja. Das haben wir vorgeschlagen. Ideal wäre es gewesen, wenn ein Gesetz zur Suizidprävention noch vor dem Gesetz über Suizidbeihilfe gekommen wäre. Wir haben u.a. gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention einen Forderungskatalog erstellt, dessen Inhalte hoffentlich noch in ein solches Gesetz münden. So etwa die Forderung nach einer 24-Stunden-Telefonbereitschaft, mehr Aufklärung an Schulen, besseren Beratungsangeboten sowie baulichen Vorkehrungen zum Beispiel an Hochhäusern und Brücken. Das ist ein umfassenden Präventionsprogramm, das uns da vorschwebt.
epd: Es gibt noch immer Lücken in der Hospiz- und Palliativversorgung. Was ist auf diesem Feld zu tun?
Hardinghaus: Wir müssen versuchen, bestehende Lücken in der Fläche schnell zu schließen. Das ist natürlich immer auch eine Frage des Geldes. Aber diese Investitionen zahlen sich aus: Denn eine gute Hospiz- und Palliativversorgung ist immer auch eine sinnvolle Suizidprävention. Dieser Zusammenhang ist uns sehr wichtig. Andere Bereiche, wo dringend nachgebessert werden muss, sind die Hospiz- und Palliativbegleitung in Alten- und Pflegeheimen und die Spezialisierte ambulante Palliativversorgung. Und nicht zuletzt braucht es Angebote bei Trauer und Einsamkeit, denn immer wieder begehen verzweifelte Hinterbliebene Suizid. An all diesen Themen arbeitet der Deutsche Hospiz- und Palliativverband bereits intensiv.
Bonn (epd). Ältere Menschen erhalten künftig an mehr Orten Hilfe bei digitalen Anwendungen. Das Netz der „Erfahrungsorte“ des „DigitalPakts Alter“ sei um 50 auf bundesweit 200 gewachsen, teilte die Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (Bagso) am 15. Mai in Bonn mit.
„Die Erfahrungsorte begleiten ältere Menschen langfristig dabei, digitale Kompetenzen zu erwerben“, erläuterte Bagso-Vorsitzende Regina Görner. „Damit das gelingt, unterstützen wir die Mitarbeitenden mit Schulungen und Materialien und schaffen einen Rahmen für die Vernetzung und den Austausch zwischen den Erfahrungsorten.“
An den „Erfahrungsorten“ können Seniorinnen und Senioren beispielsweise den Umgang mit dem Smartphone oder mit Onlinebanking lernen. Der „DigitalPakt Alter“ ist eine Initiative der Bagso und des Bundesfamilienminsteriums. Nach Angaben der Bagso haben seit 2021 mehr als 15.000 ältere Menschen die Angebote der „Erfahrungsorte“ genutzt.
Karlsruhe (epd). Der Umgang getrennt lebender Eltern mit dem gemeinsamen Kind braucht gerade bei noch bestehenden elterlichen Streitigkeiten klare Regeln. Legt ein Familiengericht den regelmäßigen Umgang eines getrennt lebenden Vaters mit seinem Kind auf „Freitag nach der Schule“ fest, sollte auch geklärt werden, inwieweit der Vater das Kind an Tagen ohne Schulbesuch betreuen kann, entschied das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe in einem am 7. Mai veröffentlichten Beschluss. Andernfalls könne der Mutter wegen eines verweigerten Umgangs an schulfreien Tagen kein Ordnungsgeld auferlegt werden.
Konkret ging es um ein siebenjähriges, im Haushalt der Mutter lebendes Kind. Die Eltern hatten sich getrennt und standen im Streit, wer wann Umgang mit dem Kind haben kann. Das Familiengericht hatte daraufhin bestimmt, dass der Vater alle 14 Tage „von Freitag nach der Schule bis Montag früh zum Beginn der Schule“ Umgang mit dem Kind haben soll. Auch an jedem Mittwoch einer Woche nach der Schule bis Donnerstag zum Beginn der Schule sollten Vater und Kind Umgang pflegen.
Doch gerade am ersten Wochenende, an dem die Umgangsregelung greifen sollte, gab die Mutter das Kind nicht heraus. Denn am darauffolgenden Montag wurde das Kind erst eingeschult.
Der Vater beantragte gegen seine Ex-Partnerin wegen des verweigerten Umgangs ein Ordnungsgeld. Dem kam das Familiengericht nach und verdonnerte die Frau zur Zahlung von 300 Euro.
Das OLG hob diese Entscheidung wieder auf. Damit ein Ordnungsgeld vollstreckt werden könne, müsse klar sein, gegen welche Pflichten verstoßen wurde. Bei Umgangsregelungen sei „eine genaue und erschöpfende Bestimmung über Art, Ort und Zeit des Umgangs erforderlich, insbesondere auch eine konkrete Uhrzeit“. Zwar könne der Kindesumgang auf Zeiten vom Beginn und Ende der Schule bestimmt werden. Dann müsse auch geregelt werden, wie es sich in Zeiten verhält, in denen keine Schule ist oder das Kind aus unterschiedlichen Gründen nicht zur Schule gehen kann. Da dies nicht geregelt wurde, sei die Vollstreckung des Ordnungsgeldes nicht möglich.
Dabei haben getrennt lebende Eltern nicht nur ein Recht auf Kindesumgang, sondern auch die Pflicht dazu. Wie das OLG Frankfurt am Main mit Beschluss vom 11. November 2020 im Fall eines Vaters von drei Söhnen entschied, muss dieser sich auf Antrag der Mutter zum Umgang mit seinen Kindern durchringen.
Das Kind sei „Grundrechtsträger, dem die Eltern schulden, ihr Handeln an seinem Wohl auszurichten“. Schließlich bedürften Kinder elterlichen Schutz und Hilfe, um zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit heranwachsen zu können. Nur wenn der Umgang nicht dem Kindeswohl förderlich ist, könne der Kontakt zum Vater versagt werden, entschied das OLG.
Hier würden die Söhne aber den Vater vermissen. Auch bei einer hohen beruflichen Belastung könne ihm zugemutet werden, die Kinder tagsüber einmal im Monat an einem Sonntag sowie zeitweise in den Ferien zu sich zu nehmen. Verweigere der Vater den angeordneten Umgang, könne ein Zwangsgeld gegen ihn festgesetzt werden, betonte das Gericht.
Allerdings sind getrennt lebende Eltern nicht frei, sich gegen den Willen des anderen Elternteils ein Betreuungsmodell auszusuchen. Wie das Bundesverfassungsgericht am 22. Januar 2018 entschied, kann ein Elternteil trotz seines im Grundgesetz verankerten Elternrechts nicht verlangen, dass das sogenannte paritätische Wechselmodell beim Umgang mit den gemeinsamen Kindern als Regelfall festgeschrieben wird.
Hier komme das Wechselmodell, bei dem die Eltern zu gleichen Teilen das Kind betreuen, ohnehin nicht infrage. Denn das Verhältnis zwischen den Eltern sei „hoch strittig“, so dass das auf Kooperation angewiesene Wechselmodell nicht dem Kindeswohl diene. Schließlich dürfe auch nicht das Kind übergangen werden. Denn je älter das Kind sei, desto eher könne es über ein gewünschtes Wechselmodell mit entscheiden.
Doch auch der Staat muss das Elternrecht und die Pflicht von Eltern auf Umgang mit ihrem Kind achten. Hat etwa ein Asylbewerber ein deutsches Kind, muss er auch ohne Sorgerecht eine Vater-Kind-Beziehung aufrechterhalten können, entschied das Verwaltungsgericht Köln in einem Beschluss vom 15. August 2019. Die Behörden seien mit Blick auf den verfassungsrechtlichen Schutz der Familie grundsätzlich gehalten, bei der Umverteilung des Vaters in eine Gemeinschaftsunterkunft darauf Rücksicht zu nehmen. Die Kölner Richter gaben damit dem Eilantrag eines Asylbewerbers auf Unterbringung in eine Kölner Gemeinschaftsunterkunft statt, damit dieser weiterhin Kontakt zu seiner in Köln lebenden Tochter halten kann.
Az.: 5 WF 29/23 (Oberlandesgericht Karlsruhe)
Az.: 3 UF 156/20 (Oberlandesgericht Frankfurt am Main)
Az.: 1 BvR 2616/17 (Bundesverfassungsgericht)
Az.: 15 L 732/19.A (Verwaltungsgericht Köln)
Karlsruhe (epd). Eine Justizvollzugsanstalt darf bei einem geäußerten Sterbewunsch eines Häftlings und einer beabsichtigten Nahrungsverweigerung trotzdem eine Zwangsernährung vorsehen. Denn sei gar nicht klar, dass der Gefangene aus freiem Willen und ernsthaft seinen Sterbeentschluss gefasst hat, müsse er die zwangsweise Ernährung dulden, entschied das Bundesverfassungsgericht in einem am 16. Mai veröffentlichten Beschluss. Die Karlsruher Richter lehnten damit den Antrag eines Häftlings auf einstweilige Anordnung ab, keine Zwangsernährung bei ihm vorzunehmen.
Der Mann befindet sich in Untersuchungshaft und wollte die Nahrungsaufnahme verweigern, um sterben zu können. Gerichtlich wollte er verhindern, dass er zwangsernährt wird. Als auch der Bundesgerichtshof den Untersuchungshäftling abwies, beantragte er beim Verfassungsgericht eine einstweilige Anordnung, dass ihm nicht zwangsweise Nahrung verabreicht wird.
Das Bundesverfassungsgericht lehnte den Antrag ab. Der Häftling müsse „jedenfalls bis zum Vorliegen einer belastbaren psychiatrischen Einschätzung der Ernsthaftigkeit seines Sterbewunsches - die von ihm abgelehnte zwangsweise Ernährung dulden“. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt werde der Sterbewunsch ärztlicherseits unterschiedlich bewertet. Eine fundierte psychiatrische Begutachtung und Bewertung, ob der Mann aus freiem Willen seinen Entschluss gefasst hat, liege nicht vor. Es sei „zweifelhaft, ob sein Entschluss, aus dem Leben zu scheiden, von freier Selbstbestimmung und Eigenverantwortung getragen ist“.
Az.: 2 BvQ 51/23
München (epd). Der Kindergeldanspruch für ein über 25 Jahre altes behindertes Kind bleibt auch beim Erhalt einer aus einer Erbschaft finanzierten privaten Rente bestehen. Liegt mit der privaten Rente nur eine Umschichtung des geerbten Vermögens vor, stellt diese kein steuerpflichtiges, beim Kindergeld zu berücksichtigendes Einkommen dar, stellte der Bundesfinanzhof (BFH) in München in einem am 11. Mai veröffentlichten Urteil klar. Lediglich der Ertragsanteil der privaten Rentenversicherung habe als zu berücksichtigendes Einkommen Einfluss auf den Kindergeldanspruch.
Nach den gesetzlichen Bestimmungen können Eltern für ihr über 25 Jahre altes behindertes Kind Kindergeld erhalten. Voraussetzung hierfür ist unter anderem, dass die Behinderung vor dem 25. Lebensjahr entstanden ist und das erwachsene behinderte Kind sich nicht aus eigenen Einkünften unterhalten kann.
Im konkreten Fall ging es um einen 62 Jahre alten behinderten Sohn, der behinderungsbedingt seinen Lebensunterhalt nicht selbst bestreiten konnte. Der Vater erhielt für seinen Sohn Kindergeld. Als die Mutter starb, erbte das Kind knapp 380.000 Euro. Laut Testament sollte das Geld in eine private Rentenversicherung fließen. Das behinderte Kind sollte dadurch lebenslang eine private Rente erhalten.
Die Familienkasse strich daraufhin den Kindergeldanspruch für den Vater. Denn mit der Rente könne der behinderte Sohn nun seinen Lebensunterhalt selbst bestreiten.
Der BFH urteilte, dass der Kindergeldanspruch für den Vater noch besteht. Vermögen werde bei der Frage, ob das behinderte Kind sich selbst unterhalten könne, bei der Prüfung des Kindergeldanspruchs nicht berücksichtigt, entschied der BFH. Hier sei nach dem letzten Willen der verstorbenen Mutter das aus der Erbschaft stammende Vermögen nur in die private Rentenversicherung umgeschichtet worden. Mit der Rentenzahlung erhalte der Sohn daher sein eingezahltes Vermögen zurück, so dass sich dieses nicht schädlich auf das Kindergeld auswirken dürfe.
Nur der Ertragsanteil, den die Rentenversicherung aus der Einzahlung zusätzlich erwirtschaftet, könne als Einkünfte berücksichtigt werden. Dieser sei hier aber nicht so hoch gewesen, dass Kindergeldanspruch entfallen sei.
Az.:III R 23/22
Erfurt (epd). Eine Klinik kann einen Bereitschaftsdienstplan für Ärzte auch ohne die Zustimmung des Betriebs- oder Personalrates bekanntgeben. Nur weil die Zustimmung des Betriebsrates fehlt, können Ärzte nicht auf eine fehlerhafte Bekanntgabe des Dienstplanes pochen und damit zusätzliche tarifliche Bereitschaftsdienstzuschläge verlangen, entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt in einem am 6. Mai veröffentlichten Urteil.
Im Streit stand eine Bestimmung des Tarifvertrags für Ärztinnen und Ärzte an kommunalen Krankenhäusern. Diese sah vor, dass der Dienstplan für Bereitschaftsdienste und Rufbereitschaften „spätestens einen Monat vor Beginn des jeweiligen Planungszeitraumes aufgestellt wird“. Bei verpasster Frist der „Aufstellung“ des Dienstplans gibt es seit 2023 einen Zuschlag von 17,5 Prozent. Im Streitzeitraum 2020 waren es noch zehn Prozent.
Der klagende Oberarzt einer kommunalen Klinik in Nordbaden reklamierte den Zuschlag wegen eines nicht „aufgestellten“ Bereitschaftsdienstplans für sich. Er verlangte für 16 Bereitschaftsdienste und Rufbereitschaften von Februar bis September 2020 eine Extrazahlung von 1.320 Euro. Zwar habe die Klinik die Dienstpläne pünktlich ausgehängt. Es habe aber an der Zustimmung des Betriebsrates gefehlt. Dieser hatte dem nicht zugestimmt, da die Dienstpläne seiner Meinung nach gegen das Arbeitsgesetz verstoßen haben. Ohne diese Zustimmung seien die Pläne aber nicht wirksam pünktlich „aufgestellt“ gewesen, meinte der Oberarzt. Der tarifliche Zuschlag stehe ihm daher zu.
Das BAG urteilte, dass der Krankenhausarzt den tariflichen Zuschlag nicht verlangen kann. Maßgeblich für den Anspruch auf den Zuschlag sei allein, dass der Arbeitgeber die Dienstpläne rechtzeitig bekanntgegeben hat. Dies sei der Fall gewesen. Es komme für die Aufstellung und damit Bekanntgabe des Dienstplanes nicht darauf an, ob gegen die unumstrittenen Mitbestimmungspflichten oder Arbeitszeitgesetze verstoßen wurde.
Rechtlos seien die Krankenhausärzte dadurch nicht. Denn ohne die Zustimmung des Betriebsrats oder Personalrats stehe den Arbeitnehmern ein Leistungsverweigerungsrecht zu. Zwar sei dies in Krankenhäusern mit Blick auf die Patientensicherheit problematisch. „Gleichwohl haben die Tarifvertragsparteien die Leistungsverweigerungsmöglichkeit offenkundig als ausreichende Sanktion für die Rechtswidrigkeit des Dienstplans angesehen“, urteilte das BAG.
Az.: 6 AZR 130/22
Celle (epd). Empfängerinnen und Empfänger von Grundsicherung, die dem Jobcenter Kapitallebensversicherungen verschweigen, müssen mit erheblichen Rückforderungen von gewährten Leistungen rechnen. Verträge ohne „Hartz-IV-Klausel“ - dies ist bei Lebensversicherungen in der Regel der Fall - seien kein geschütztes Altersvorsorgevermögen, teilte das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (LSG) am 15. Mai in Celle mit. Zudem befand es das Gericht für rechtens, bereits gezahlte Leistungen auch über den Wert des nicht angegebenen Versicherungsvermögens hinaus zurückzufordern.
Dem Urteil zugrunde liegt die Klage einer 1958 geborenen Frau aus dem Landkreis Celle, die seit 2013 Grundsicherungsleistungen bezogen hatte. Weder im Antrag noch in der Folgezeit informierte sie das Jobcenter über zwei Kapitallebensversicherungen im Wert von rund 13.500 Euro. Erst als ihr Ex-Mann 2019 gegenüber dem Jobcenter seinen Anspruch auf die Hälfte der Versicherungsleistungen anmeldete, wurden die Verträge bekannt. Die Behörde machte daraufhin eine Rückforderung von rund 14.000 Euro geltend, da der Vermögensfreibetrag von 9.600 Euro überschritten war und die Frau deshalb nicht leistungsberechtigt war.
Die Klägerin hatte zunächst angegeben, von den Versicherungen keine Kenntnis gehabt zu haben. Die Ermittlungen ergaben laut Gericht jedoch, dass sie die Policen persönlich unterschrieben hatte. Zudem vertrat die Frau die Ansicht, dass für die Rückforderungen gewährter Leistungen höchstens der Versicherungswert oberhalb des Freibetrags berücksichtigt werden dürfe.
Dem widersprach das LSG. Der Grundsicherungsanspruch der Frau entfalle für jeden Monat, in dem das Vermögen real vorhanden gewesen sei. Entsprechend dürfe das Jobcenter die gezahlten 14.000 Euro zurückfordern. Auch genieße die Klägerin keinen Vertrauensschutz, da sie die Lebensversicherungen vorsätzlich verschwiegen habe.
Potsdam (epd). Die von einem Leichenumbetter vorgebrachte Posttraumatische Belastungsstörung ist nach einem Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg nicht mit einer Berufskrankheit gleichzusetzen. Der Kläger habe damit auch keinen Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung, befand das Gericht in einem 12. Mai veröffentlichten Urteil vom 27. April.
Der Kläger war den Angaben zufolge von 1993 bis 2005 als Leichenumbetter beim Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge tätig. In Mittel- und Osteuropa exhumierte und identifizierte er Weltkriegstote und später Tote der Jugoslawien-Kriege der 1990er Jahre. Seit 2005 war der 1963 geborene Kläger arbeitsunfähig. 2017 machte er bei der Berufsgenossenschaft gesundheitliche Störungen mit einer lebenslangen Behinderung durch seine langjährige Tätigkeit geltend.
Die Berufsgenossenschaft lehnte es den Angaben zufolge ab, seine Erkrankung einer Berufskrankheit gleichzustellen. Die Klage des Mannes dagegen blieb vor dem Sozialgericht Potsdam erfolglos. Dem schloss sich nun auch das Landessozialgericht an.
Eine Posttraumatische Belastungsstörung sei Folge eines extrem bedrohlichen oder entsetzlichen Ereignisses, urteilte das Landessozialgericht. Dies sei bei einem Leichenumbetter nicht der Fall. Auch gebe es keine gesicherten Erkenntnisse über einen Zusammenhang zwischen dieser Tätigkeit und einer Posttraumatischen Belastungsstörung.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Eine Revision beim Bundessozialgericht ist möglich.
Az.: L 21 U 231/19
Berlin (epd). Die Erziehungswissenschaftlerin Sabine Andresen ist neue Präsidentin des Kinderschutzbundes. Die 57-jährige Professorin aus Frankfurt am Main ist Nachfolgerin von Heinz Hilgers, der den Bundesverband 30 Jahre lang leitete. Hilgers hatte auf der Mitgliederversammlung nicht mehr für den Vorsitz kandidiert.
Zu den Arbeitsschwerpunkten Andresens gehören Kinderarmut, sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen und deren Aufarbeitung, Generationengerechtigkeit und Bildungsmöglichkeiten. Von 2016 bis 2021 war Andresen ehrenamtlich Vorsitzende der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs der Bundesregierung.
Andresen erklärte nach ihrer Wahl, die Corona-Pandemie habe gezeigt, wie oft Interessen, Bedürfnisse und vor allem die Rechte von Kindern und Jugendlichen nachrangig behandelt werden. „Wir brauchen in unserer Gesellschaft endlich einen Sinneswandel.“ Kinder und Jugendliche müssten sich darauf verlassen können, dass sie gehört, gesehen und beteiligt werden.
Zentrale Themen des Kinderschutzbundes seien Armut, Gewalt, die medizinische Versorgung, Bildung, Erfahrungen mit Diskriminierung und Ungerechtigkeit sowie angesichts der Klimakrise das Recht der jungen Generation auf Zukunft. Der bisherige Präsident Hilgers wurde von der Mitgliederversammlung zum Ehrenpräsidenten des Kinderschutzbundes ernannt.
Tobias Gaydoul und Karl Schulz, Vorstandsmitglieder der Rummelsberger Diakonie, und der Aufsichtsrat haben sich darauf verständigt, die Arbeitsverträge der beiden Vorstände zu verlängern. Finanzvorstand Gaydoul wird damit der Rummelsberger Diakonie bis ins Jahr 2030 und Vorstand Dienste Schulz bis zu seinem voraussichtlichen Eintritt in den Ruhestand im Jahr 2031 erhalten bleiben. Die Rummelsberger Diakonie ist Träger von mehr als 230 Diensten und Einrichtungen für Kinder, Jugendliche, Familien, Menschen mit Behinderung und Seniorinnen und Senioren. Das Unternehmen beschäftigt mehr als 6.200 Mitarbeitende in Voll- und Teilzeit.
Janina Loh übernimmt die Honorarprofessur für „Ethik der Technik und ihre sozialen Kontexte“ an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Die Professur gehört zum „Zentrum für Ethik und Verantwortung“ der Hochschule. Loh hat in Philosophie promoviert. Seit September 2021 hat sie die Stabsstelle Ethik bei der kirchlichen Stiftung Liebenau inne. Dass sie nun zusätzlich an einer Hochschule lehren und sich auch wissenschaftlich mit ethischen Fragen auseinandersetzen wird, sieht Stiftungsvorstand Prälat Michael H. F. Brock als großen Glücksfall für beide Seiten.
Lydia Kassing und Özcan Yakut sind mit dem undotierten „Pflegepreis NRW“ ausgezeichnet worden. Die Leiterin im Resi-Stemmler-Haus des Seniorenzentrums Marien-Hospital in Euskirchen, Kassing, erhielt die Auszeichnung für ihr „langjähriges herausragendes Engagement für die Pflege“. Der Praxisanleiter in der Intensivpflege am Heilig-Geist-Krankenhaus in Köln, Yakut, erhielt den Preis in der Kategorie „Newcomer“. Der „Pflegepreis NRW“ wurde zum dritten Mal vergeben. Die Pflegekammer NRW hatte die Öffentlichkeit dazu aufgerufen, Pflegefachpersonen für den Preis vorzuschlagen.
François Deleu ist von der Asylagentur der Europäischen Union (EUAA) zum Beauftragten für Grundrechte ernannt worden. Der Belgier soll künftig garantieren, dass die Rechte von Asylsuchenden geschützt sind. Dafür soll er eine Grundrechtsstrategie erarbeiten und ein neues Beschwerdeverfahren verantworten. In der Vergangenheit hat es immer wieder Berichte über illegale Zurückweisungen (Pushbacks) an den europäischen Außengrenzen und die Misshandlung von Geflüchteten gegeben. Die Asylagentur wurde 2022 gegründet. Sie löst das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen ab, das seit 2010 existierte.
23.-25.5.:
Fortbildung „Aufsuchen statt Abwarten - Grundlagen Streetwork“
der Bundesakademie für Kirche und Diakonie
Tel.: 030/48837-495
Juni
12.-13.6. Berlin:
Fortbildung „Sexuelle Aufklärung: die Kunst der Vermittlung - Sexualität, Intimität und Beziehungen im Leben von Menschen mit geistiger Behinderung“
der Bundesakademie für Kirche und Diakonie
Tel.: 0172/7392885
14.-16.6. Hofgeismar:
Trainingsprogramm „Rückfallprävention bei Suchterkrankung und Substanzmissbrauch“
Tel.: 030/26309-139
20.6. Berlin:
Seminar „Chancen- und Risikomanagement in Einrichtungen der Sozialwirtschaft - vom Umgang mit rechtlichen und wirtschaftlichen Risiken“
der BFS Service GmbH
Tel.: 0221/98817-159
22.6. Freiburg:
Seminar „Steuer-Update für Non-Profit-Organisationen“
der Unternehmensberatung Solidaris
Tel.: 0761/79186-39
22.6.:
Online-Kurs „Resilienz - Training für Führungskräfte“
der Paritätischen Akademie Süd
Tel.: 0711/286976-16
28.6. München:
Seminar „ABC des Umsatzsteuer- und Gemeinnützigkeitsrechts“
der Unternehmensberatung Solidaris
Tel.: 0761/79186-39