sozial-Branche

Suizidassistenz

Interview

Verbandspräsident: Wir brauchen ein Gesetz zur Suizidassistenz




Winfried Hardinghaus
epd-bild/W. Hardinghaus /DHPV
Der Hospiz- und Palliativverband widerspricht Ethik-Experten, die den Verzicht auf ein Sterbehilfe-Gesetz fordern. "Das wäre ein Unding", sagte Präsident Winfried Hardinghaus im epd-Interview. Zudem würde Sterbehilfevereinen Tür und Tor geöffnet.

Berlin (epd). Der Deutsche Hospiz- und Palliativverband wendet sich gegen die Forderung, auf ein neues Gesetz zur Regelung der Suizidassistenz zu verzichten. „Ein Verzicht auf gesetzliche Vorgaben würde auf Dauer zu rechtlichen Unsicherheiten für Betroffene und Ärztinnen und Ärzte führen“, sagte Präsident Winfried Hardinghaus dem Evangelischen Pressedienst (epd). Mit ihm sprach Dirk Baas.

epd sozial: Herr Professor Hardinghaus, Wissenschaftler um den früheren Ethikratsvorsitzenden Peter Dabrock haben in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ an die Abgeordneten des Bundestags appelliert, auf das geplante Gesetz zur Regelung der Suizidassistenz zu verzichten. Ist das jenseits inhaltlicher Einwände überhaupt möglich nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahr 2020?

Winfried Hardinghaus: Das Bundesverfassungsgericht hat den seit 2015 geltenden Paragrafen 217 im Strafgesetzbuch, der die geschäftsmäßige Suizidbeihilfe verboten hatte, gekippt. Es sah die Autonomie Sterbewilliger unzulässig eingeschränkt. Es sei ein unzulässiger Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Einzelnen, wenn ein selbstbestimmtes Sterben verwehrt werde. Das Gericht hat zwar die Bundesregierung nicht verpflichtet, ein neues Gesetz vorzulegen, verwies aber auf die gesetzgeberischen Möglichkeiten zum Schutz vor einer gefahrenträchtigen Entwicklung.

epd: Also muss es tatsächlich kein Gesetz geben?

Hardinghaus: Es ist richtig, dass nicht zwingend ein Gesetz verabschiedet werden muss. Wir als Deutscher Hospiz- und PalliativVerband hätten am liebsten den Paragraph 217 StGB behalten, nun ist aus unserer Sicht allerdings die gesetzliche Regulierung zwingend notwendig. Nicht zuletzt, weil es zumindest in einem der drei vorliegenden Entwürfe im Bundestag auch um den deutlichen Ausbau der Suizidprävention geht, was wir für den wichtigeren Aspekt in dem ganzen Prozess halten. Hier muss auch deutlich mehr investiert werden.

epd: Die Ethiker betonen, keiner der vorliegenden Gesetzentwürfe helfe Menschen, die einen Suizid erwägen, in ihrer existenziell schwierigen Lage. Da gehen Sie vermutlich nicht mit?

Hardinghaus: Das kann ich nicht nachvollziehen. Es geht um eine professionelle Beratung beziehungsweise Begleitung vor jeder Entscheidung über einen assistierten Suizid, damit möglichst viele Betroffene vom Suizid wieder Abstand nehmen. Denn die Beratungspflicht schließt ja mit ein, Alternativen aufzuzeigen. Ich denke da vor allem auch an depressive Menschen, die überproportional oft ihrem Leben ein Ende setzen wollen. Auch wenn die parlamentarischen Verhandlungen über die drei vorliegenden Entwürfe kompliziert sind, so kann das doch nicht ernsthaft ein Grund sein, das geplante Gesetz zu kippen. Wir brauchen eine Regelung, auch wenn es vielleicht verlockend ist zu sagen, wir lassen es lieber bleiben. Das wäre ein gefährlicher Weg.

epd: Was wären die Folgen, wenn es tatsächlich zu keinem Gesetz kommen sollte?

Hardinghaus: Dann würde es über viele Jahre keine neue Regelung zur Suizidbeihilfe geben. Die Chance dazu wäre vertan. Und es würde weiter eine totale rechtliche Unsicherheit geben, für Ärzte und Ärztinnen wie auch für schwerkranke Menschen und deren Angehörige. Und - auch das wäre eine Folge - die unregulierte Suizidbeihilfe könnte dem Tun von Sterbehilfevereinen Tür und Tor öffnen. Wir unterstützten hingegen die Forderung nach einer Verbesserung der Suizidprävention, die sich - nebenbei gesagt - lediglich auf Menschen mit lebenslimitierenden Erkrankungen bezieht. Man kann eine gesetzliche Regelung der Suizidbeihilfe nicht gegen die Prävention ausspielen. Man braucht beides, beides muss Hand in Hand gehen.

epd: Gibt es keine alternativen Wege, das zu regeln, wenn man kein Gesetz verabschiedet?

Hardinghaus: Nein. Wenn man kein Gesetz beschließt, dann ist der Paragraf 217 StGB dauerhaft und vor allem ersatzlos abgeschafft, dann kann Suizidbeihilfe weiter tagtäglich ungeregelt verkauft werden. Ein Beispiel: Die Zahl der Doppel-Suizide, insbesondere von älteren Menschen, hat im vergangenen Jahr deutlich zugenommen, das heißt, dass der Partner oder die Partnerin eines Suizidwilligen gleich mitgeht. Die in dem Beitrag durch eine neue Gesetzgebung befürchtete „Normalisierung“ ergibt sich weniger durch eine Bürokratisierung als eher durch eine geänderte gesellschaftliche Wertentscheidung mit Blick auf Alter, Vulnerabilität und Gebrechlichkeit.

epd: Ihr Verband will die Suizidprävention ausbauen. Dazu wäre ein eigenes Gesetz sinnvoll gewesen.

Hardinghaus: Ja. Das haben wir vorgeschlagen. Ideal wäre es gewesen, wenn ein Gesetz zur Suizidprävention noch vor dem Gesetz über Suizidbeihilfe gekommen wäre. Wir haben u.a. gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention einen Forderungskatalog erstellt, dessen Inhalte hoffentlich noch in ein solches Gesetz münden. So etwa die Forderung nach einer 24-Stunden-Telefonbereitschaft, mehr Aufklärung an Schulen, besseren Beratungsangeboten sowie baulichen Vorkehrungen zum Beispiel an Hochhäusern und Brücken. Das ist ein umfassenden Präventionsprogramm, das uns da vorschwebt.

epd: Es gibt noch immer Lücken in der Hospiz- und Palliativversorgung. Was ist auf diesem Feld zu tun?

Hardinghaus: Wir müssen versuchen, bestehende Lücken in der Fläche schnell zu schließen. Das ist natürlich immer auch eine Frage des Geldes. Aber diese Investitionen zahlen sich aus: Denn eine gute Hospiz- und Palliativversorgung ist immer auch eine sinnvolle Suizidprävention. Dieser Zusammenhang ist uns sehr wichtig. Andere Bereiche, wo dringend nachgebessert werden muss, sind die Hospiz- und Palliativbegleitung in Alten- und Pflegeheimen und die Spezialisierte ambulante Palliativversorgung. Und nicht zuletzt braucht es Angebote bei Trauer und Einsamkeit, denn immer wieder begehen verzweifelte Hinterbliebene Suizid. An all diesen Themen arbeitet der Deutsche Hospiz- und Palliativverband bereits intensiv.