Berlin (epd). Wissenschaftler um den früheren Ethikratsvorsitzenden Peter Dabrock haben an die Abgeordneten des Bundestags appelliert, auf das geplante Gesetz zur Regelung der Suizidassistenz zu verzichten. Keiner der vorliegenden Gesetzentwürfe helfe Menschen, die einen Suizid erwägen, in ihrer existenziell schwierigen Lage, schreiben sie in einem Gastbeitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (Ausgabe vom 8. Mai). Sie fordern, das Geld, das in der Folge eines Gesetzes für Begutachtungsverfahren und Beratung aufgewendet werden müsste, in Suizidprävention sowie die Palliativ- und Hospizversorgung zu stecken.
„Für eine darüber hinausgehende bundesgesetzliche Regelung besteht kein Bedarf“, heißt es in dem Beitrag der Theologen Dabrock und Reiner Anselm, der Palliativmedizinerin und Klinikdirektorin Claudia Bausewein und des Staatsrechtlers Wolfram Höfling, der früher ebenfalls dem Ethikrat angehörte. Bei beteiligten Abgeordneten stößt die Forderung auf Widerspruch.
Das Bundesverfassungsgericht hatte im Februar 2020 geurteilt, dass das Recht auf selbstbestimmtes Sterben auch das Recht umfasst, hierbei Hilfe Dritter in Anspruch zu nehmen. Eine bis dahin geltende Regelung, die organisierte Suizidassistenz von Sterbehilfeorganisationen verboten hatte, erklärte das Gericht für nicht zulässig. Seitdem wird im Bundestag über eine mögliche Folgeregelung diskutiert.
Trotz der nun sehr liberalen Regelung sei es in den vergangenen drei Jahren auf breiter Ebene nicht zu unverantwortlichen Praktiken im Zusammenhang mit Suizidassistenz gekommen, heißt es in dem Gastbeitrag der Ethik-Experten: „Mehr noch: Derzeit etabliert sich - in aller Vorsicht formuliert - eine Praxis, die sich an den ethischen Standards von Ärztinnen und Ärzten orientiert.“ Ihnen komme eine wichtige Funktion zu, „damit der Suizid keine Normaloption des Sterbens wird, aber als letzter Ausweg möglich ist“, heißt es darin. Alle drei vorliegenden Gesetzentwürfe schwächten aber die Position von Ärztinnen und Ärzten, erklären die Wissenschaftler.
Der SPD-Abgeordnete Lars Castellucci, der gemeinsam mit anderen Abgeordneten im Bundestag einen der drei Vorschläge für eine Neuregelung vorgelegt hat, sieht das anders. Die Autoren machten „einen extrem lebensfremden Vorschlag“, sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd): „Aus meiner Sicht halten sich die Sterbehilfeorganisationen derzeit zurück, um im laufenden Gesetzgebungsverfahren nicht zu viel Unruhe zu stiften.“
Derzeit dürfe keine Ärztin und kein Arzt ein todbringendes Mittel an einen Suizidwilligen abgeben und insbesondere schwache Gruppen seien Sterbehilfeorganisationen schutzlos ausgeliefert, sagte Castellucci, der wie die anderen Gruppen die Verschreibung der Mittel erlauben will. „Aus meiner Sicht muss beides verändert werden, wir sollten den assistierten Suizid nach klaren Regeln ermöglichen, ohne ihn zu fördern“, sagte er.
Der Entwurf von Castellucci und anderen plädiert für ein erneutes Verbot der organisierten Suizidassistenz im Strafrecht, das Ausnahmen zulässt. Voraussetzung für eine legale Suizidassistenz wäre eine ärztliche Begutachtung. Eine andere Gruppe um Katrin Helling-Plahr (FDP) will eine Beratung zur Bedingung für eine Suizidassistenz machen und auf eine strafrechtliche Regelung verzichten. Der Vorschlag unter anderem von Renate Künast (Grüne) und Nina Scheer (SPD) geht in eine ähnliche Richtung.
Auch Helling-Plahr weist die Forderung der Wissenschaftler zurück. Für sie stehe „außer Frage, dass der Gesetzgeber tätig werden muss“, sagte sie dem epd. Wie Castellucci verweist sie darauf, „dass ohne eine Änderung des Betäubungsmittelgesetzes Betroffene hierzulande keine transparente Möglichkeit haben, Medikamente zur Selbsttötung zu erhalten“. Die Autoren würden zudem verkennen, „dass Beratungsstellen, die Menschen wegen eines Suizidwunsches aufsuchen, selbstverständlich umfassende Präventionsarbeit machen würden“, sagte Helling-Plahr.
Die drei Entwürfe wurden im Bundestag bereits in erster Lesung und in einer Expertenanhörung beraten. Wann die Abstimmung folgt, ist noch offen. Castellucci zufolge könnte sie noch vor der Sommerpause aufgesetzt werden.