Essen (epd). Das Gesundheitswesen soll laut Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) künftig deutlich weniger von Bürokratie und Ökonomisierung bestimmt werden. „Bei der Ökonomisierung sind wir in einigen Bereichen zu weit gegangen“, sagte Lauterbach selbstkritisch bei der Eröffnung des Deutschen Ärztetags am 16. Mai in Essen. Bundesärztekammer-Präsident Klaus Reinhardt forderte eine frühzeitige Einbeziehung der Landes- und Bundesärztekammern in den vom Bundesgesundheitsministerium geplanten Reformprozess.
„Technokratische Lösungen fressen die Seele der Versorgung auf“, sagte Lauterbach vor rund 250 ärztlichen Delegierten aus 17 Landesärztekammern bundesweit. Das Gesundheitswesen müsse zurück zu den Wurzeln einer an den Bedürfnissen der Menschen orientierten Medizin. Als „roten Faden“ seiner noch 2023 anstehenden Reformen bezeichnete es Bundesgesundheitsminister Lauterbach, in manchen Bereichen „eine überdrehte Ökonomisierung zurückzudrehen“. Etwa bei Fallpauschalen in Krankenhäusern, über die sie sich finanzieren müssten. Ziel sei es, dass in Zukunft bis zu 60 Prozent der Versorgung fallunabhängig über Leistungspauschalen abgerechnet werden könnten.
Mit Blick auf die Digitalisierung im Gesundheitswesen sprach Lauterbach von einer „Aufholjagd“ gegenüber anderen Ländern. Bis 2025 sollten 80 Prozent alle Patientinnen und Patienten mit einer elektronischen Patientenakte (ePA) ausgestattet sein.
Der nordrhein-westfälische Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) nannte es eine „Gerechtigkeitsfrage“ sicherzustellen, dass alle Menschen in akzeptablen Zeiträumen Zugang zum Gesundheitssystem hätten. Die Politik müsse im Auge behalten, „dass die Strukturen des Gesundheitssystems für die kranken Menschen da sind und nicht die kranken Menschen für die Strukturen“. In Krankenhäusern sollten Qualität und Erreichbarkeit erhalten bleiben, aber gleichzeitig Doppelstrukturen vermieden werden, sagte Laumann weiter.
Kritisch äußerte sich Laumann gegenüber einer wachsenden Zahl „kapitalgesteuerter“ Medizinischer Versorgungzentren (MVZ). Patienten müssten sich darauf verlassen können, dass ärztliche Beratung „von Fachwissen geprägt ist und nicht von finanzieller Abhängigkeit“.
Bundesärztekammer-Präsident Klaus Reinhardt forderte eine frühzeitige Einbeziehung der Landes- und Bundesärztekammern in den vom Bundesgesundheitsministerium geplanten Reformprozess. Sein Eindruck sei, dass die politische Partizipation der Ärzteschaft oft „als unnötig oder störend empfunden“ werde und der Praxis-Check für neue Maßnahmen zu spät komme. „Partizipation bei der Planung sollte am Anfang einer jeden Reformidee stehen“, sagte Reinhardt.
Schwerpunktthemen bei den berufspolitischen und medizinisch-ethischen Debatten des 127. Deutschen Ärztetages in der Messe Essen sind die Pläne der Bundesregierung zur Neuorganisation der Krankenhausplanung und Vergütung, das Berufsverständnis der ärztlichen Profession und die Gesundheitsbildung bei Kindern und Jugendlichen. Weitere Themen sind der Einfluss fachfremder Investoren in Form von Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) auf die ambulante Patientenversorgung, die zukünftige Finanzierung des Krankenversicherungssystems sowie Fragen der Digitalisierung.