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Psychiatrie

Die bundesweit erste Frauen-Forensik wird 25 Jahre - ein Besuch




Sicherheitsschleuse in der Forensischen Klinik für Frauen in Taufkirchen
epd-bild/Theo Klein
Sie haben Brände gelegt, ihren Partnern schwere Gewalt angetan oder sogar ihre Kinder getötet: Im Maßregelvollzug im bayerischen Taufkirchen sollen psychisch kranke oder drogenabhängige Straftäterinnen den Weg zurück in die Gesellschaft finden.

Taufkirchen (epd). Die Ablage im Bad ist voll: Körpercreme mit Blütenduft, Kokos-Deo, Enthaarungsstreifen und ganz besonders: Nagellack. Nagellack in Rot, in Rosa, in Lila. Farbige Flakons reihen sich im Bad nebeneinander. „Viele Frauen beginnen hier wieder, auf sich zu achten“, sagt Verena Klein. Die Psychiaterin leitet seit 2013 den Maßregelvollzug im bayerischen Taufkirchen an der Vils. Vor 25 Jahren eröffnete in der 10.000-Einwohnergemeinde, 60 Kilometer von München entfernt, die erste forensische Abteilung in Deutschland nur für Frauen.

Sie sind nicht freiwillig hier

Patientinnen, die in einer forensischen Klinik zum Maßregelvollzug untergebracht sind, sind Straftäterinnen, die psychisch krank sind oder ein Drogenproblem haben. Sie sind nicht freiwillig hier, ein Gericht hat ihre Unterbringung angeordnet. Die Allgemeinheit soll so vor ihnen und ihren Taten geschützt werden, gleichzeitig sollen die Frauen in der Klinik von ihrer psychischen Krankheit geheilt werden oder einen Entzug machen. „Es ist unser Auftrag, Patientinnen zu bessern und zu sichern“, sagt Forensikerin Klein.

Die Zahl der Menschen im Maßregelvollzug steigt. Frauen sind davon allerdings nur ein sehr kleiner Teil. Die jüngsten Zahlen des Statistischen Bundesamtes sind mehr als drei Jahre alt: Am 31. Dezember 2019 zählte die Statistik 11.553 Menschen in Deutschland, davon 891 Frauen. Zehn Jahre zuvor waren es 10.023 Menschen im Maßregelvollzug, darunter 716 Frauen. 1999 sind unter den 6.206 Patienten 347 weiblich. Die Zahlen sind nach den Angaben nur bedingt vergleichbar, weil nicht immer alle Bundesländer ihre Zahlen an die Behörde melden.

In Taufkirchen startete die Frauenforensik 1998 mit 14 Patientinnen. 2003 waren es bereits 72. Heute werden in der Forensik des Isar-Amper-Klinikums Taufkirchen knapp 200 Patientinnen stationär behandelt. Sie sind zwischen 18 und über 70 Jahre alt.

Schleusensystem mit vielen Türen und Schlössern

Dass die Fenster der Taufkirchner Klinik vergittert sind, sehen Besucher erst auf den zweiten Blick: Es gibt keine Gefängnisfenster mit Stab an Stab. Stattdessen verdeckt ein engmaschiges, rautenförmiges Gitternetz die schmalen Scheiben. Einen Zaun oder Stacheldraht gibt es vor dem Gebäude nicht - stattdessen müssen alle, die ins Haus oder wieder hinaus wollen, am Pförtner vorbei und durch ein Schleusensystem mit vielen Türen und Schlössern, Besucher genauso wie die Angestellten und die Chefin.

Keine der Patientinnen möchte über ihre Geschichte oder über ihr Leben in der Klinik mit der Presse sprechen. Einen oberflächlichen Eindruck von ihrem Leben bekommen Besucher im Innern der Klinik: Drinnen, in den Gängen des 2011 gebauten Neubaus, hängen bunte Bilder an der Wand, gemalt von Patientinnen. Es gibt einen Raum für Kunsttherapie, vollgestellt mit Staffelei und Farben, eine Turnhalle mit Volleyballnetz und ein Musikzimmer, auf das eine junge Frau an der Seite ihres Lehrers zusteuert, eine Gitarre unterm Arm. Gleich hat sie ihre dritte Gitarrenstunde. „Ich bin ein Naturtalent“, ruft sie über den Flur, es klingt stolz. „Musik machen gibt den Patientinnen Selbstvertrauen“, sagt Pflegedienstleiterin Karoline Aigner. Mit therapeutischer Hilfe sollen die Patientinnen Zugang zu ihren Gefühlen finden und lernen, in der Welt außerhalb der Klinik zurechtzukommen.

Viele Frauen im Maßregelvollzug haben einander ähnelnde persönliche Geschichten. Es sind nicht die Geschichten einer glücklichen, von Mutter und Vater behüteten Kindheit: „Fast keine unserer Patientinnen kommt aus einer Familie mit zwei konsistenten Bezugspersonen“, sagt Klein.

Drogenabhängige Mütter mit Baby

Die Zeit in der Klinik sei für manche Frauen der erste Lebensabschnitt ohne Gewalt, sagt Chefpflegerin Aigner. Die examinierte Krankenschwester und ihre Kollegen helfen den Patientinnen auch, ihren Alltag zu strukturieren und begleiten sie beim Spazierengehen oder zum Sport in der Turnhalle. Den Patientinnen sind Pflegerinnen und Pfleger fest zugeteilt, die sich um sie kümmern - und streng darauf achten müssen, professionelle Distanz zu wahren. „Wenn man das Gefühl hat, das verrutscht, wechselt man im Zweifelsfall die Station“, sagt Aigner.

Viele der drogenabhängigen Patientinnen sind Mütter. So wie die junge Frau, die mit Baby auf dem Arm die Mutter-Kind-Station betritt. Sie verschwindet mit dem Kind in einem Raum und setzt es vorsichtig auf den Boden, wo es tapsig ein paar wackelige, erste Schritte macht, dann schließt sie die Tür. Bis ihre Kinder drei Jahre alt sind, können sechs Frauen hier gemeinsam mit ihren Kindern leben, die Kleinen besuchen dann eine Krippe im Ort.

Die Straftaten, die Frauen begehen, unterscheiden sich oft von denen der Männer. Verena Klein sagt: „Frauen verüben Gewalttaten häufiger im Kontext sozialer Beziehungen.“ Zu den Opfern der Frauen gehörten oft ihre Partner oder ihre Kinder. Einige Frauen in der Forensik haben ihrem Partner schwere Gewalt angetan, manche haben ihre Kinder getötet. Ein häufiges Delikt sei auch Brandstiftung. Sexualdelikte von Frauen gebe es praktisch nicht.

Jahrelang zu Unrecht im Maßregelvollzug

In der Öffentlichkeit gibt es nicht nur die Angst vor Straftätern, die aus dem Maßregelvollzug entlassen sind, es gibt auch Kritik an dieser Form der Unterbringung. Das bekannteste Gesicht dieser Kritik ist Gustl Mollath, dem 2014 ein Gericht beschied, zu Unrecht jahrelang im Maßregelvollzug gesessen zu haben.

In dieser Zeit wurden auch Vorwürfe gegen die Klinik in Taufkirchen laut, es ging unter anderem um unverhältnismäßig lange Fixierungen. Dabei werden Patienten und Patientinnen ruhiggestellt, indem sie mit Gurten oder Riemen ans Bett gefesselt werden. In einem Fall aus dem Jahr 2011 war die Rede von einer 60 Tage langen Fixierung, in einem anderen aus dem Jahr 2013 von 25 Stunden. Der damalige Klinikleiter Matthias Dose bestätigte den Medien beide Vorfälle und erklärte sie mit aggressivem Verhalten der Patientinnen gegenüber dem Personal.

„Fixierungen sind die Ultima Ratio“, sagt Verena Klein heute. Sie kämen nur zum Einsatz, wenn gar nichts anderes hilft. Um sie zu vermeiden, habe die Klinik seit 2015 drei sogenannte Time-Out-Räume eingerichtet. Dort können Patientinnen sich abreagieren, ohne sich zu verletzen.

Deutlich weniger Fixierungen

Dass das Bewusstsein in den Kliniken sich ändert, beobachtet auch die bayerische Angehörigenvertreterin Angelika Herrmann, zweite Vorsitzende des Landesverbandes Bayern der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen (ApK Bayern). Kliniken versuchten, Fixierungen von vorneherein zu vermeiden und präventiv zu arbeiten, sagt Herrmann. „Insgesamt sind Fixierungen deutlich weniger geworden. Und es gibt gute Bemühungen, dass sie noch seltener vorkommen“, sagt sie. Die Angehörigenvertreterin Herrmann engagiert sich auch im Maßregelvollzusbeirat. Das Gremium gibt es seit der Reform des Maßregelvollzugs in Bayern 2015 an jeder forensischen Klinik. Dem Beirat gehören zwei Abgeordnete des Bayerischen Landtags sowie zwei bis drei weitere Personen an, er soll Ansprechpartner für Patienten sein und hat Zugang zu den Kliniken.

Ein weiterer Vorwurf gegen die forensische Unterbringung: Psychisch kranke Straftäter bleiben eine ungewisse Zeit im Maßregelvollzug, ihre Entlassung ist abhängig von Gutachten bei Gericht. Entscheidungen im Maßregelvollzug würden kaum extern geprüft, schrieb etwa Sozialrechtler Rolf Marschner in einem Gutachten, das er erstellt hat, bevor 2015 in Bayern ein neues Gesetz zum Maßregelvollzug in Kraft trat. Dadurch gebe es einen hohen Anpassungsdruck. Wer dem nicht nachgibt, riskiere, dass die Entscheidung über Lockerungen oder die Stellungnahme zur Entlassung negativ ausfallen. Zugespitzt formuliert: Wer sich nicht benimmt, bleibt drin.

Der Vorwurf, dass Kliniken Lockerungen widerrufen oder Patienten nicht entlassen, die sich nicht anpassen, sei heute in der Regel nicht mehr haltbar, sagt Angehörigenvertreterin Angelika Herrmann: „Die Kliniken entscheiden anhand professioneller Kriterien und haben daher oftmals eine andere Einschätzung als die Patienten und die Angehörigen. Der Patient sagt, dass es ihm gut geht und die Klinik ist der Meinung, dass er noch nicht stabil ist oder sich vielleicht noch nicht genügend mit seiner Tat auseinandergesetzt hat.“

Forensische Kliniken überbelegt

Das Isar-Amper-Klinikum erklärt seine Entlassungspraxis so: Bei psychisch kranken Straftäterinnen fordere das Gericht jährlich eine Stellungnahme bei der Klinik an. Nach einer persönlichen Anhörung der Patientinnen beschließen die Richter, ob eine Patientin entlassen werden kann. Alle drei oder alle zwei Jahre erstellten externe Sachverständige Prognosegutachten. Klinikintern werde der Therapiefortschritt halbjährlich überprüft.

„Patientinnen, die der Meinung sind, dass ihre Therapiefortschritte nicht hinreichend gewürdigt werden, haben verschiedenste Beschwerdemöglichkeiten“, erklärt die Klinik weiter. Dazu gehörten etwa der Forensikbeirat, das bayerische Amt für Maßregelvollzug oder Patientenfürsprecher.

Außerdem verweist Taufkirchen auf die Überbelegung forensischer Kliniken: Die Einrichtungen hätten daher selbst ein Interesse daran, dass Patientinnen nicht länger in der Klinik bleiben als nötig.

Anna Schmid


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