sozial-Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser,




Markus Jantzer
epd-bild/Heike Lyding

die Vorschläge, wie einkommensschwache Haushalte angesichts der hohen Preissteigerungen unterstützt werden können, mehren sich. Die Diakonie Deutschland fordert nun gemeinsam mit dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung für bestimmte Gruppen einen monatlichen Krisenzuschlag von 100 Euro: Alle Haushalte, die Leistungen wie Wohngeld, Kinderzuschlag, Sozialgeld oder Grundsicherung erhalten, sollten diese Zusatzzahlung bekommen. Sie solle auf sechs Monate befristet werden. Sehen Sie dazu auch das epd-Video an.

Der Mangel an Hausärztinnen und Hausärzten in Deutschland schlägt bei immobilen, pflegebedürftigen Menschen voll durch. Das Zentrum für Qualität in der Pflege sieht aufgrund der unterlassenen Haus- und Heimbesuche bereits die gesundheitliche Versorgung gefährdet. Allgemeinarztverbände erklären ihre Zurückhaltung bei Hausbesuchen damit, dass Ärzte dabei nicht auf ihre Kosten kommen. „Die Vergütung ist viel zu gering“, sagt etwa Christian Pfeiffer, Vorstandsmitglied des Bayerischen Hausärzteverbandes.

Die Anbieter von betreutem Wohnen und Pflegeheimplätzen reagieren auf die stark gestiegenen Energiepreise. Manche Betreiber wie etwa die Augustinum Gruppe haben die Verteuerung bereits zum 1. Juli an die Seniorinnen und Senioren weitergegeben. Andere Betreiber haben mit Energieversorgern längerfristige Verträge geschlossen, so dass die Preiserhöhungen erst später wirksam werden. Wer wie die BruderhausDiakonie in Reutlingen von fossiler auf erneuerbare Energie umgestellt hat, könnte von einem Preisschock verschont bleiben.

Zuverdienste werden bei Hartz-IV-Beziehern grundsätzlich auf die staatliche Hilfeleistung angerechnet. Aber wie verhält sich das bei Trinkgeldern, also freiwilligen Zuwendungen von Privatpersonen? Das Bundessozialgericht hat jetzt entschieden, dass Hartz-IV-Aufstocker Trinkgeld in gewissem Rahmen behalten dürfen: nämlich zehn Prozent des Regelbedarfs. Derzeit liegt der Hartz-IV-Regelsatz für Alleinstehende bei monatlich 449 Euro, so dass 44,90 Euro an Trinkgeld nicht einkommensmindernd angerechnet werden dürfen.

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Ihr Markus Jantzer




sozial-Thema

Inflation

Diakonie und DIW wollen 100-Euro-Zuschlag für Ärmere




Ulrich Lilie (vorn) und Marcel Fratzscher fordern 100-Euro-Zuschlag für ärmere Haushalte
epd-bild/Christian Ditsch
Haushalte mit wenig Einkommen leiden stärker unter der Inflation als Gutverdiener. Sie müssten schnell entlastet werden, um eine soziale Krise abzuwenden, warnen Diakonie und DIW. Ihr Vorschlag: ein Zuschlag von 100 Euro pro Monat.

Berlin (epd). Der Sozialverband Diakonie und das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) haben sich angesichts der Inflation für einen Zuschlag zugunsten einkommensschwacher Haushalte ausgesprochen. Es gebe eine wirklich dramatische soziale Krise, die sich in den kommenden Monaten noch einmal verschärfen dürfte, sagte DIW-Präsident Marcel Fratzscher am 13. Juli in Berlin. Sein Institut legte ein von der Diakonie beauftragtes Gutachten vor, das den Vorschlag des Wohlfahrtverbandes für eine auf ein halbes Jahr befristete Zahlung von 100 pro Monat an Erwachsene, die Sozialleistungen empfangen, unterstützt.

Fratzscher: Entlastungspakete reichen nicht aus

Solch eine Form der Unterstützung sei zielgenau, schnell und klug, sagte Fratzscher. Das DIW-Gutachten kommt zu dem Schluss, dass die bisher von Bundesregierung und Bundestag beschlossenen Entlastungspakete zwar Wirkung zeigten und auch einkommensschwächere Haushalte stärker davon profitierten als reichere. Die Maßnahmen wie die Energiepreispauschale, Einmalzahlungen und Heizkostenübernahme reichten aber nicht aus, um die Belastung vollständig zu kompensieren, heißt es darin.

Die Berechnungen des DIW zeigen, dass die derzeitigen Preissteigerungen insbesondere bei Energie und Lebensmitteln einkommensschwache Haushalte bis zu fünfmal stärker belasten als einkommensstarke. Im Juni stiegen die Verbraucherpreise nach Angaben des Statistischen Bundesamts um 7,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat. Hauptursache sind die Preissteigerungen im Energiebereich. Aber auch Lebensmittel sind demnach deutlich teurer geworden.

Ärmere sind davon stärker betroffen, weil sie von vorneherein einen größeren Anteil ihres Einkommens für den Grundbedarf aufwenden müssen. Die einkommensschwächsten 20 Prozent der Haushalte in Deutschland wendeten fast zwei Drittel (62,1 Prozent) ihres Einkommens für Wohnen, Energie und Lebensmittel auf, erklärte Diakonie-Präsident Ulrich Lilie. Bei den einkommensstärksten 20 Prozent sei es weniger als die Hälfte (44,1 Prozent) des Einkommens.

Haushalte ohne Ersparnisse

Hinzu kommt laut Gutachten, dass ärmere Haushalte Mehrausgaben schwerer oder gar nicht durch Erspartes ausgleichen können. Ein Drittel der Deutschen habe praktisch kein Erspartes und könne 100 bis 200 Euro Mehrausgaben im Monat nicht stemmen, sagte Fratzscher.

Lilie ergänzte, acht bis neun Millionen Menschen in Deutschland lebten von existenzsichernden Leistungen. Sie würden von dem Vorschlag der Diakonie profitieren. Im Blick hat der Verband dabei alle Bezieher von Sozialleistungen wie Grundsicherung, Wohngeld, Kinderzuschlag oder Sozialgeld. Kosten würde dies Lilie zufolge rund 5,4 Milliarden Euro. Hinzu kämen aber auch Familien sowie Rentnerinnen und Rentner, deren Einkommen knapp oberhalb der Anspruchsgrenze für Sozialleistungen liege und die nun wegen der Inflation in Armut rutschen könnten, sagte Lilie. Sie wären von dem Vorschlag zunächst nicht umfasst.

„Soziale Notlage nationaler Tragweite“

Um den Zuschlag schnell zahlen zu können, schlägt die Diakonie die Ausrufung einer „sozialen Notlage nationaler Tragweite“ durch den Bundestag vor. Sie lehnt sich dabei an die in der Corona-Pandemie festgestellte sogenannte epidemische Notlage an.

Die Bundesregierung bewertete den Vorschlag am 13. Juli zunächst nicht. Regierungssprecher Steffen Hebestreit verwies auf die Gespräche zwischen Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften im Rahmen der sogenannten konzertierten Aktion. Bis zu Ergebnissen werde es noch einige Wochen dauern, sagte Hebestreit. Bis dahin will sich die Regierung noch nicht auf konkrete Maßnahmen festlegen.

Die stellvertretende Vorsitzende der Linken-Fraktion, Susanne Ferschl, begrüßte den Vorstoß und erhob weitere Forderungen: „Menschen im Grundsicherungsbezug befinden sich permanent in einem wirtschaftlichen Krisenmodus. Dieser ist von Verzicht und Existenzangst geprägt, weil die Regelsätze politisch kleingerechnet sind.“ Diese seien daher langfristig um mindestens 200 Euro plus Stromkosten zu erhöhen. Notwendig sei außerdem ein Inflationsausgleich, sagte Ferschl am 13. Juli in Berlin.

Corinna Buschow, Markus Jantzer


Inflation

Von der Energiepauschale kommen im Schnitt 193 Euro an




Heizen wird teurer.
epd-bild/Heike Lyding
Im September soll die beschlossene Energiepauschale an einkommenssteuerpflichtige Erwerbstätige ausgezahlt werden. Im Schnitt werden dabei 107 Euro an Abzügen fällig, wie das Finanzministerium ausgerechnet hat.

Berlin (epd). Von den 300 Euro Energiepauschale werden im Durchschnitt 193 Euro netto bei den Beschäftigten ankommen. Das geht aus einer Antwort des Bundesfinanzministeriums auf eine Anfrage der Linksfraktion hervor, die dem Evangelischen Pressdienst (epd) vorliegt.

Abzüge von 0 bis 142,42 Euro

Demnach lag im vergangenen Jahr der Bruttojahresverdienst für Vollzeitbeschäftigte bei 54.304 Euro. „Unterstellt man keine weiteren Abzugsbeträge, ergäbe sich in diesem Durchschnittsfall ein Abzugsbetrag von 107 Euro auf die Energiepreispauschale“, heiß es in der Antwort.

Die Energiepauschale, die im September an einkommenssteuerpflichtige Beschäftigte ausgezahlt werden soll, wird mit dem Einkommenssteuersatz verrechnet. Die Spanne der Abzüge werde dabei von 0 bis 142,42 Euro reichen, teilte das Finanzministerium mit.

„Bittere Mogelpackung“

Die Kosten der Bereitstellung der 300 Euro pro Person beliefen sich auf 13,8 Milliarden Euro, hieß es weiter. Da aber durch die Lohnsteuer, Einkommenssteuer und den Solidaritätszuschlag wiederum 3,4 Milliarden Euro einbehalten würden, liege das Saldo der Steuermindereinnahmen insgesamt bei rund 10,4 Milliarden Euro. Diese würden sich mit jeweils 4,4 Milliarden Euro auf den Bund und die Länder sowie mit rund 1,6 Milliarden Euro auf die Kommunen verteilen.

Linksfraktionschef Dietmar Bartsch bezeichnete die Energiekostenpauschale als „bittere Mogelpackung“. „Die Energiekostenpauschale sollte steuerfrei und vor allem auch an Rentner und Studierende ausgezahlt werden“, erklärte er. „Dafür sollten Topverdiener wie Minister diese Leistung nicht bekommen.“

Stefan Fuhr



sozial-Politik

Gesundheit

Ärzte haben kaum Zeit für Pflegeheimbewohner




Blutdruckmessung im Pflegeheim
epd-bild/Jürgen Blume
In Deutschland fehlt es an Hausärzten. Den Mangel bekommen vor allem die Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeheimen zu spüren. Denn viele Allgemeinärzte haben einfach keine Zeit, zu ihnen in die Pflegeeinrichtung zu kommen und sie zu untersuchen.

Frankfurt a.M. (epd). Stefan Holst (Name geändert) macht sich große Sorgen um seine Mutter. Sie ist 92 Jahre alt und hat Diabetes. Sie hat Wassereinlagerungen und kann nur noch sehr schlecht gehen. Bis vor vier Monaten schaute die Hausärztin regelmäßig nach der alten Dame, die in einem Pflegeheim in einem kleinen Ort im baden-württembergischen Enzkreis lebt. Anfang März schloss jedoch die Praxis. Seitdem sucht Stefan Holst einen Arzt, der zu seiner Mutter ins Pflegeheim kommt: „Ich habe bisher etwa zwölf Ärzte angerufen, aber keiner ist bereit, Heimbesuche zu machen“, klagt er.

Dramatische Konsequenzen

Tatsächlich herrscht seit Jahren ein eklatanter Ärztemangel in Deutschland. Laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV) fehlen bundesweit 2.100 Hausärzte. Das hat gerade für Heimbewohnerinnen und -bewohner dramatische Konsequenzen. Die ärztliche Versorgung im Heim verschlechtert sich.

Die bisherige Hausärztin von Holsts Mutter sah meist zweimal in der Woche nach der 92-jährigen Dame. Seit März wurde die Seniorin nicht mehr untersucht. Zwei Ärzte gibt es noch im Ort. Sie müssen sich um mehr als 5.200 Einwohner kümmern und haben entsprechend viel um die Ohren. Hausbesuche, wurde dem Rentner gesagt, kommen überhaupt nicht mehr infrage.

Das bringt nicht nur seine Mutter in die Bredouille. Holst kümmert sich auch um seine 90-jährige Schwiegermutter. Sie lebt noch daheim, ist aber nicht mehr mobil und daher auf einen Arzt angewiesen, der Hausbesuche macht. Weil es den nicht gibt, bleibt auch die Schwiegermutter im Moment unversorgt.

Versorgung gefährdet

Glücklich, wer im Heim wohnt und einen Hausarzt hat, der, wenn es nötig ist, alle acht Tage vorbeischaut. Viele haben dieses Glück nicht mehr, bestätigt Ellen Benölken, Vorsitzende des Sozialverbands VdK im hessischen Kreis Friedberg. Immer wieder hört sie, dass Hausärzte es ablehnen, in ein Pflegeheim zu gehen: „Dann geht die Suche nach einem Arzt los, der das macht. Das ist inzwischen wirklich eine verteufelte Geschichte.“ Auch in Hessen nehmen mittlerweile viele Hausärzte keine neuen Patienten mehr an.

„Dass Angehörige größte Probleme haben, einen Hausarzt für pflegebedürftige Menschen zu finden, wird auch uns immer wieder geschildert“, sagt Simon Eggert vom Berliner Zentrum für Qualität in der Pflege (ZQP). Dadurch werde die gesundheitliche und pflegerische Versorgung gefährdet. Noch sei dem ZQP nicht bekannt, welche Dimensionen das Problem hat: „Die Frage nach dem Zugang zu hausärztlicher Versorgung ist jedoch Bestandteil einer Studie, die gerade vorbereitet wird.“ Ergebnisse seien im nächsten Jahr zu erwarten.

Von Region zu Region ist die Situation unterschiedlich. „In unserem Haus machen zwei Hausärzte regelmäßig Visite, und sie bemühen sich auch, im Notfall sofort zu kommen“, berichtet Nathalie Kuhaupt, Pflegedienstleiterin im Evangelischen Pflegeheim „Haus Phöbe“ im nordrhein-westfälischen Warburg. Auch Kuhaupt ist bekannt, dass es in der Region Ärzte gibt, die keine neuen Patienten mehr aufnehmen. Die Bewohner von „Haus Phöbe“ seien davon jedoch nicht betroffen.

Zeit für Patientengespräche

„Insgesamt ist die Versorgung von Heimbewohnern meines Erachtens schlechter als für Pflegebedürftige, die zu Hause leben“, schätzt Andrej Zeyfang, Altersmediziner an der Medius Klinik Ostfildern-Ruik. Möglicherweise könne durch den Einsatz von Telemedizin eine Verbesserung erreicht werden. Der Chefarzt plädiert zudem für eine bessere Qualifikation der Pflegekräfte, vor allem mit Blick auf Pflegebedürftige, die an Diabetes leiden.

Christian Pfeiffer, Vorstandsmitglied des Bayerischen Hausärzteverbandes, bestätigt, dass gerade ländliche Pflegeheime oft unterversorgt sind: „Teilweise haben auch städtische Pflegeheime Probleme, die Versorgung sicherzustellen, doch auf dem Land ist die Not größer.“ Heimbesuche, sagt er, seien oft aufwendig. Ein 80-Jähriger, der in einem Pflegeheim lebt, sei sehr wahrscheinlich mehrfach erkrankt. Um diesem Patienten gerecht zu werden, sei es wichtig, sich viel Zeit zu nehmen - vor allem für Gespräche.

Grundsätzlich sei die Vergütung von Hausbesuchen in Höhe von 24 Euro „viel zu gering“, sagt der Allgemeinmediziner aus dem fränkischen Giebelstadt. „Das prangern wir seit Jahren an.“ Die Besuche im Pflegeheim würden nur für den ersten Patienten mit 24 Euro vergütet: „Jeder weitere Patient, der angeschaut wird, wird als Mitbesuch mit 12 Euro vergütet.“

Pat Christ


Pflege

Eckpunkte der Koalition für mehr Pflegekräfte in Krankenhäusern




Eine Pflegekraft bei der Dokumentation
epd-bild/Werner Krüper
Die Bundesregierung will mit mehr Pflegepersonal die Versorgung in den Krankenhäusern verbessern. Dazu hat sie jetzt ein Eckpunktepapier vorgelegt. Es stößt auf ein geteiltes Echo.

Berlin (epd). In den kommenden drei Jahren soll die Zahl der Pflegekräfte in den Krankenhäusern steigen. Dafür soll ein Gesetz zur Personalbemessung sorgen, wie am 7. Juli aus dem Gesundheitsministerium verlautete. Über die Eckpunkte werden die Fraktionen der Ampel-Koalition beraten. SPD, Grüne und FDP hatten im Koalitionsvertrag angekündigt, Personalvorgaben für die Pflege im Krankenhaus einzuführen, damit sich die Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte verbessern. Die AOK sieht die Pläne kritisch, der Deutsche Pflegerat (DPR) lobte dagegen die vorgelegten Eckpunkte.

Tests in Modellkliniken

Die Personalvorgaben sollen 2024 für die Kliniken verbindlich werden, nachdem sie im kommenden Jahr in Modellkliniken auf ihre Tauglichkeit in der Praxis getestet werden. Von 2025 an sollen Kliniken bestraft werden können, wenn sie die Vorgaben zur Erhöhung des Personalbestands nicht umsetzen. Berücksichtigt werden soll dabei allerdings, ob auf dem Arbeitsmarkt genügend Pflegekräfte verfügbar sind.

Kliniken und Krankenhausträger, die bereits sogenannte Entlastungstarifverträge mit der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di abgeschlossen haben, werden von der Neuregelung ausgenommen. Die Gewerkschaft hatte einen solchen Tarifvertrag, der neben besserer Bezahlung die Einstellung von mehr Pflegekräften und damit eine Entlastung vorsieht, zum ersten Mal nach einem langen Streik an der Berliner Charité durchgesetzt.

Die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Carola Reimann, begrüßte am 8. Juli in Berlin, dass das Thema der Personalbemessung angepackt werde. Denn die Situation in der Pflege müsse dringend verbessert werden. Allerdings fehle in den Eckpunkten die klare Festlegung darauf, dass die Finanzierung der Krankenkassen auf die tatsächlich am Bett beschäftigten Pflegekräfte begrenzt werde, reklamiert die Kasse.

„Bedeutsames Versprechen des Koalitionsvertrags“

Reimann vermisst außerdem ein „Bekenntnis zu den Pflegepersonaluntergrenzen“. Sie seien aus Gründen des Patientenschutzes weiter erforderlich. Außerdem ignoriere das Bundesgesundheitsministerium in den Eckpunkten die gesetzlichen Vorgaben zur Entwicklung eines Instrumentes zur Pflegepersonal-Bedarfsmessung. „Die vorgelegten Eckpunkte werden nach unserer Einschätzung keinen wesentlichen Beitrag dazu leisten, die Arbeitsbedingungen in der Pflege zeitnah zu verbessern“, zeigte sich die AOK-Chefin insgesamt skeptisch.

Der Deutsche Pflegerat hingegen „freut sich darüber, dass die Pflegepersonal-Regelung PPR 2.0 mit den Eckpunkten eines Pflegeentlastungsgesetzes auf den Weg gebracht wurde. Damit wäre ein bedeutsames Versprechen des Koalitionsvertrags eingelöst“, loben die Pflegekräfte. Nicht nachzuvollziehen sei allerdings, dass Krankenhäuser, die Entlastungstarifverträge abgeschlossen haben, von der Neuregelung ausgenommen werden.

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) nannte die Eckpunkte „einen ersten Rahmen, der noch einer erheblichen Klärung bedarf. Der DKG-Vorstandsvorsitzende Gerald Gaß erwartet, “dass der Bundesgesundheitsminister die Krankenhäuser an der weiteren Erarbeitung des Gesetzes zur Einführung der Pflegepersonalbemessung eng beteiligt".

Erstattung der tatsächlichen Personalkosten

Seit gut drei Jahren wird die Pflege im Krankenhaus nicht mehr über eine pauschale Vergütung durch die Krankenkassen finanziert, sondern mit jedem der rund 1.900 Krankenhäuser abgerechnet, so dass die tatsächlichen Personalkosten erstattet werden. Das sollte dazu führen, dass die Krankenhäuser wieder mehr Personal in der Pflege beschäftigen, nachdem jahrelang rationalisiert worden war, um Personalkosten zu sparen. Gleichwohl fehlen den Kliniken aber weiterhin Zehntausende Krankenschwestern und -pfleger.

Zuletzt war während der Corona-Pandemie der Mangel an Intensivpflegekräften offenbar geworden, weil Betten stillgelegt werden mussten. Die ständige Überlastung treibt seit Jahren viele Pflegekräfte dazu, ihren Beruf aufzugeben oder nach der Ausbildung gar nicht erst in die Pflege am Bett einzusteigen.

Bettina Markmeyer, Markus Jantzer


Armut

Alleinerziehende in Existenznot




Alleinerziehende Mutter mit ihrem Kind
epd-bild/Maike Gloeckner
Alleinerziehende leben auffällig oft in Armut. Fehlende Betreuungsmöglichkeiten für ihr Kind erschweren es ihnen zusätzlich, ihre finanzielle Situation durch eine Erwerbstätigkeit zu verbessern. Betroffen sind meist Frauen.

Münster (epd). Für Nadine Weber sind es besonders die Wochenenden, an denen sie merkt, wie knapp das Geld ist. Denn gerade dann will ihre fünfjährige Tochter etwas unternehmen oder sieht etwas, das sie gerne haben möchte. „Die Pommes im Freibad, eine Runde Trampolinspringen oder eine zusätzliche Süßigkeit sind oft einfach nicht drin“, sagt Weber.

Flucht ins Frauenhaus

In den letzten Monaten sei ihre finanzielle Lage durch die steigenden Lebensmittel- und Energiepreise existenzbedrohend geworden. Die 41-Jährige macht derzeit eine Umschulung zur Kauffrau für Büromanagement. Gehalt bekommt sie dafür nicht, sie lebt von Hartz IV.

Seit mehr als vier Jahren ist Weber alleinerziehend. Als der andauernde Streit mit ihrem Partner und dem Vater des Mädchens in Gewalt ausartete, floh sie ins Frauenhaus. Ihre Tochter war zum damaligen Zeitpunkt ein Jahr alt. Ihren Beruf in der Gastronomie konnte sie aufgrund der späten Arbeitszeiten nicht mehr ausüben und begann daher die auf eineinhalb Jahre verkürzte Umschulung, die sie voraussichtlich im Mai 2023 abschließen wird.

„Ich hoffe, dass mein Gehalt für uns beide reichen wird, sobald ich ausgelernt habe“, sagt die alleinerziehende Mutter. Bis dorthin sind Ausgaben für Freizeitparks oder Urlaubsreisen kaum möglich. „Die Kleine war noch nie am Meer“, sagt Weber.

Das höchste Armutsrisiko aller Familienformen

In Deutschland sind laut Statistischem Bundesamt mehr als zwei Millionen Frauen und fast eine halbe Million Männer alleinerziehend. Viele wollen ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten. Doch das ist nicht immer möglich. Laut Bundesfamilienministerium waren im Jahr 2018 lediglich zwei Drittel der Alleinerziehenden mit minderjährigen Kindern erwerbstätig.

Daniela Jaspers, Bundesvorsitzende des Verbands alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV), sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd): „Alleinerziehende haben mit 43 Prozent das höchste Armutsrisiko aller Familienformen. Sie sind oft arm trotz Arbeit: Jede sechste Alleinerziehende muss mit Hartz IV aufstocken.“ Für die Armut seien strukturelle Gründe und nicht persönliches Versagen die Ursache.

Geeignete Maßnahmen, um die Situation Alleinerziehender zu verbessern, sind nach Jaspers' Meinung eine gut ausgestaltete Kindergrundsicherung, reguläre Beschäftigung statt Minijobs und bessere Betreuungsmöglichkeiten für Kinder als Voraussetzung für Erwerbstätigkeit, „auch in typischen Frauenberufen mit untypischen Arbeitszeiten“.

„Babysitter kann ich mir nicht leisten“

Mit der Arbeit in der Gastronomie war Weber zufrieden. „Ich würde gerne wieder ab und zu kellnern. Aber mir fehlt der familiäre Hintergrund. Meine Mutter lebt nicht mehr, und einen Babysitter kann ich mir nicht leisten“, sagt sie.

Ohne Job hat sich ihre finanzielle Lage zugespitzt. „Früher habe ich meiner Tochter, wenn ihre Hose kaputt war, einfach eine neue gekauft“, erinnert sie sich. Heute schaue sie, ob sie die Hose nicht doch noch einmal flicken oder eine gebrauchte kaufen könne.

In der Kita ihrer Tochter müsse sie für das Mittagessen nichts bezahlen. Die Kita macht nun wieder Ausflüge. Das bereitet Weber Sorgen. „Bis jetzt musste ich zum Glück noch keine Anträge beim Amt einreichen, da es sich lediglich um Tagesausflüge handelte“, sagt sie. Wie das jedoch aussehen wird, sobald ihre Tochter zur Schule geht, weiß sie noch nicht.

Im Alter droht eine niedrige Rente

Besonders das Alter mache ihr Angst. „Ich bin zweieinhalb Jahre beruflich ausgefallen, da ich meine Mutter und meine schwerbehinderte Schwester gepflegt habe. Mit der Elternzeit, die ich mir für meine Tochter genommen habe, sind es insgesamt acht Jahre, in denen ich nicht Vollzeit arbeiten konnte“, sagt sie. Ihr droht daher eine niedrige Rente.

Alleinerziehende Väter und Mütter werden nach Webers Ansicht nicht genug von der Politik unterstützt. „Ich wünsche mir ein kompaktes Angebot in Rathäusern und Ämtern mit Informationen, an welche Stelle Bedürftige in einer akuten Notsituation sich wenden können“, fordert sie.

Stefanie Unbehauen


Armut

Rund 178.000 Wohnungslose in Quartieren untergebracht




Obdachlosenunterkunft der Berliner Stadtmission in einer Wärmelufthalle
epd-bild/Rolf Zöllner
Erstmals erfasst eine offizielle Statistik wohnungslose Menschen, die vorübergehend untergebracht sind. Das Bild der Wohnungslosigkeit insgesamt hat noch Lücken, aber neue Studien sind schon in Auftrag.

Wiesbaden, Berlin (epd). In Deutschland leben etwa 178.000 wohnungslose Menschen in Not- und Gemeinschaftsunterkünften oder in vorübergehenden Quartieren. Wie das Statistische Bundesamt am 14. Juli in Wiesbaden mitteilte, sind knapp zwei Drittel der Untergebrachten Männer, gut ein Drittel Frauen. 37 Prozent sind jünger als 25 Jahre, knapp fünf Prozent 65 Jahre alt oder älter. Familien oder Alleinerziehende mit Kindern machen 46 Prozent der Fälle aus.

„Besser als bisherige Schätzungen“

Es handelt sich um die erste Statistik der Behörde zu untergebrachten Wohnungslosen. Erfasst wurden den Angaben zufolge Menschen, die zum Stichtag 31. Januar 2022 in Räumen oder Übernachtungsgelegenheiten lebten, die ihnen von Gemeinden oder mit Kostenerstattung durch andere Träger von Sozialleistungen zur Verfügung gestellt wurden.

Nicht erfasst wurden Personen, die bei Freunden, Familien oder Bekannten unterkommen, und Obdachlose, die auf der Straße leben. Fälle von Flüchtlingen flossen nur ein, wenn sie einen positiven Asylbescheid hatten und durch das Wohnungsnotfallhilfesystem untergebracht waren.

„Die jetzt veröffentlichten Zahlen sind ein wichtiger Schritt und besser als bisherige Schätzungen“, sagte die stellvertretende Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Städtetags, Verena Göppert. „Wichtig ist nun, die Lücken in der Statistik durch geeignete Verfahren auszufüllen. Erst dann liegt ein vollständiges Bild vor - auch über die Situation besonders vulnerabler wohnungsloser Personen.“

Um auch verdeckte Formen von Wohnungslosigkeit, etwa das Unterkommen bei Freunden oder Bekannten, und die Obdachlosigkeit auf der Straße überblicken zu können, hat das Bundessozialministerium nach eigenen Angaben eine repräsentative Studie in Auftrag gegeben. Zahlen dazu sollen in diesem Herbst vorliegen. Schätzungen gibt es bereits heute. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe beziffert die Zahl wohnungsloser Menschen in Deutschland auf rund 233.000.

Mindeststandards für Notunterbringung

Das Deutsche Institut für Menschenrechte forderte unterdessen verpflichtende Mindeststandards für die kommunale Notunterbringung. „Wohnungslose Menschen, die in kommunalen Notunterkünften leben müssen, erleben häufig verdreckte und beschädigte Sanitäranlagen, Mehrbettzimmer, keine Privatsphäre und ein Zusammenleben geprägt von Angst und Konflikten“, sagte Claudia Engelmann, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Instituts. Für viele Betroffene sei dies ein Zustand von Monaten und Jahren.

Die Aufgabe, für bessere Unterkünfte und kürzere Aufenthalte zu sorgen, könne nicht den Kommunen allein überlassen werden, betonte das Institut für Menschenrechte. Die Länder sollten in Abstimmung mit den Kommunen Mindeststandards formulieren. Der Bund könne außerdem strukturelle Verbesserungen im Rahmen des geplanten Nationalen Aktionsplans gegen Wohnungslosigkeit voranbringen.

Der Obmann im Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales, Wolfgang Strengmann-Kuhn (Grüne), forderte einen bundesweiten Aktionsplan, „um gemeinsam mit den Ländern und Kommunen wirksame Maßnahmen auf den Weg zu bringen, um Wohnungs- und Obdachlosigkeit in einem reichen Land wie Deutschland zu verhindern“. Im Koalitionsvertrag ist ein solcher Aktionsplan vereinbart mit dem Ziel, Wohnungslosigkeit bis 2030 zu überwinden.

Nils Sandrisser


Ausbildung

Erhebung: Weiter erhebliche Unterschiede bei Azubi-Vergütung



Ein Handwerk, etwas Kaufmännisches oder Soziales? Welche Ausbildung Schulabgänger beginnen, ist nicht nur von Interessen und freien Lehrstellen abhängig. Auch die Höhe des "Lehrgelds" ist ein Weichensteller. Die Unterschiede für Azubis sind enorm.

Düsseldorf (epd). Die in Tarifverträgen vereinbarten Vergütungen für Auszubildende weisen laut einer aktuellen Auswertung je nach Branche und Region weiter erhebliche Unterschiede auf. Die Bandbreite reiche von 585 Euro im ersten Ausbildungsjahr des thüringischen Friseurhandwerks bis zu 1.580 Euro im vierten Lehrjahr des westdeutschen Bauhauptgewerbes, teilte die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung am 12. Juli in Düsseldorf mit. Der Tarifexperte des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Stiftung, Thorsten Schulten, fordert eine weitere Anhebung der Vergütungen „gerade in den klassischen Niedriglohnbranchen“.

Hohes Entgelt für Pflege-Azubis

Die Ergebnisse beruhen auf einer Auswertung von 20 ausgewählten Tarifbranchen durch das WSI. Die höchste Ausbildungsvergütung wird demnach im ersten Jahr aktuell im Öffentlichen Dienst für Pflegeberufe gezahlt: Die angehenden Pflegekräfte erhalten 1.191 Euro (Bund und Gemeinden) beziehungsweise 1.161 Euro (Länder). Damit hätten die Tarifvertragsparteien auf den akuten Fachkräftemangel reagiert, erklärte das Institut. In privaten Pflegeeinrichtungen ohne Tarifvertrag könne die Entlohnung aber auch deutlich niedriger ausfallen.

Über 1.000 Euro pro Monat verdienen Azubis demnach außerdem im Versicherungsgewerbe mit bundeseinheitlich 1.070 Euro, gefolgt vom Öffentlichen Dienst, der chemischen Industrie in den Bezirken Nordrhein und Ost, der Metall- und Elektroindustrie in Baden-Württemberg und Sachsen, sowie im Bankgewerbe, bei der Deutschen Bahn und in der Druckindustrie.

Nach wie vor Unterschiede zwischen Ost und West

In lediglich sieben der durch das Institut untersuchten Tarifbranchen existieren bundesweit einheitliche Ausbildungsvergütungen, darunter das Backhandwerk, Bankgewerbe, Druckindustrie, Bahn und Öffentlicher Dienst. In 13 Branchen bestünden nach wie vor Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland, hieß es weiter. Die größten Abweichungen beziffert die Auswertung mit 165 beziehungsweise 169 Euro weniger im Monat in der ostdeutschen Textilindustrie und im Kfz-Handwerk. Demgegenüber lägen die Landwirtschaft und die Süßwarenindustrie im Osten mittlerweile leicht oberhalb des Westniveaus, hieß es.

Die niedrigsten Vergütungen im ersten Lehrjahr von zum Teil deutlich unter 800 Euro finden sich laut der Auswertung in der Landwirtschaft, dem Backhandwerk, der Floristik und dem Friseurhandwerk. Schlusslichter mit der gesetzlichen Mindestausbildungsvergütung von monatlich 585 Euro seien die ostdeutsche Floristik und das Friseurhandwerk in Thüringen. Die erheblichen Unterschiede zwischen den Branchen setzen sich demnach im zweiten und dritten Ausbildungsjahr fort.

Vor dem Hintergrund der hohen Preissteigerungen hätten es derzeit viele Auszubildende schwer, mit ihrem Verdienst über die Runden zu kommen, beklagte der Tarifexperte Schulten. Er verlangte eine weitere Anhebung der Vergütung in den Niedriglohnbranchen. Ohne eine deutliche Verbesserung der Ausbildungssituation werde dem zunehmenden Fachkräftemangel nicht beizukommen sein.

Thomas Krüger


Corona

Pandemie: Epidemiologe Zeeb warnt vor Sorglosigkeit



Bremen (epd). Der Bremer Epidemiologe Hajo Zeeb warnt angesichts einer möglicherweise starken Corona-Welle im Herbst und Winter vor allzu großer Sorglosigkeit. Spätestens im Herbst sollte es wieder eine Maskenpflicht in Innenräumen und Schulen geben, sagte der Professor am Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie dem Evangelischen Pressedienst (epd). Darüber hinaus halte er es zwar für vertretbar, weitere Schutzmaßnahmen der Eigenverantwortung der Bürger zu überlassen. Diese müsse aber enden, sobald sich eine Virusvariante entwickle, die wie die Delta-Variante schwere Verläufe verursache. „Das bleibt leider eines der möglichen Szenarien“, betonte Zeeb.

Zudem warnte der Epidemiologe kürzlich oder aktuell infizierte Menschen davor, sich nicht auf einen über den Winter reichenden Immunschutz zu verlassen: „Das Kalkül geht nicht auf.“ Der Infektionsschutz halte nur kurz, auch weil sich das Spike-Protein, über das das Virus in die Wirtszellen eintritt, mit neu aufkommenden Varianten immer wieder verändere. In jedem Falle müsse die Politik eine neue Impfkampagne mit dem zu erwartenden Omikron-Impfstoff starten. Dieser werde voraussichtlich besser als die bisherigen Impfstoffe vor einer Infektion schützen.

Impfung auch nach zweitem Booster

Eine Aufhebung der fünftägigen Quarantänepflicht ist aus der Sicht des Epidemiologen nicht sinnvoll: Das sei zu gefährlich, auch wenn gut sitzende Masken vor einer Weitergabe des Virus schützen könnten. „Es ist ein Grundprinzip in der Infektionsepidemiologie, dass sich diejenigen Personen isolieren, die andere anstecken können. Diese Wahrscheinlichkeit ist bei Corona in den ersten fünf Tagen erheblich“, betonte Zeeb.

Auch für Menschen, die bereits vier Mal geimpft seien, könne nach einem ausreichenden Zeitabstand eine Impfung mit dem Omikron-angepassten Vakzin sinnvoll sein. Vor allem in Pflegeeinrichtungen sollten die Impfungen noch einmal vorangetrieben werden, sagte Zeeb. Er erwarte dazu Empfehlungen der Ständigen Impfkommission. Für Angehörige von Risikogruppen außerhalb von Einrichtungen werde es schwieriger, sich zu schützen. „Die müssen viel für sich selbst tun und vor allem Masken tragen“, betonte Zeeb.

Bis die Corona-Pandemie in eine Endemie übergehe, wird es laut Zeeb noch viele Monate oder sogar Jahre dauern. Die dafür notwendige Grundimmunität, die über die sogenannten T-Zellen vermittelt werde, entwickle sich offensichtlich langsamer als gedacht. Mittelfristig werde es weiterhin zu größeren Infektionswellen kommen: „Leider schlägt das Virus immer wieder Kapriolen, die auch die Wissenschaft überraschen. Deshalb ist es schwer, genaue Vorhersagen zu treffen.“

Martina Schwager


Sucht

Expertin: Risikospieler haben in Lockdowns exzessiver gespielt



München (epd). Online-Glücksspiele bergen wegen ihrer Verfügbarkeit rund um die Uhr laut Suchtexpertin Johanna Loy enorme Risiken. „Etwa in der Bahn, aber auch wenn man auf der Arbeit mal kurz auf Toilette geht“, sagte Loy vom Institut für Therapieforschung (IFT) dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Was in anderen Ländern schon lange Usus war, ist seit einem Jahr auch in Deutschland erlaubt: Mit dem im Juli 2021 in Kraft getretenen Glücksspielstaatsvertrag wurden Online-Glücksspiele legalisiert. „Ab Oktober 2020 waren sie bereits geduldet, davor waren sie offiziell illegal, allerdings gab es sie dennoch in einer rechtlichen Grauzone“, erläutert Loy. Sie fand in einer Studie heraus, dass problematische Spieler während der Lockdowns noch exzessiver als zuvor digital gespielt haben.

„Sie spielten noch länger und noch häufiger.“

Die Lockdowns, wohl auch in Verbindung mit dem Home-Office, scheinen das Glücksspielverhalten bei problematischen Spielern in zweifacher Hinsicht verändert zu haben: „Sie spielten noch länger und noch häufiger.“ Das fand Loy heraus, indem sie die Webseiten der Glücksspielanbieter analysierte. Onliner unter jenen Menschen, die es zwanghaft zum Glücksspiel zieht, sind auch deshalb gefährdet, weil Schutzmechanismen nicht richtig greifen, betont die Suchtforscherin.

So wird durch Tracking-Dateien gemessen, wie viel Geld ein Spieler einzahlt. Dem Glücksspielstaatsvertrag zufolge dürfen über alle Anbieter hinweg nicht mehr als 1.000 Euro im Monat verzockt werden: „Wir wissen jedoch von vielen Betroffenen, dass es möglich ist, über dieses Limit hinauszugehen.“ Jeder Vertrag bleibt so lange ein Stück Prosa, solange er nicht durchgesetzt wird. Beim Glücksspielstaatsvertrag hapert es laut der Münchner Forscherin an vielen Stellen.

Vorgesehen ist zum Beispiel ein auf Algorithmen gestütztes System zur Suchtfrüherkennung. Wird das Spielverhalten als sehr riskant registriert, soll der Spieler gewarnt werden. Nach Johanna Loys Beobachtung funktioniert dies noch nicht so gut wie vorgesehen. Ein großes Anliegen wäre es ihr schließlich, dass Spieler, die sich selbst sperren, tatsächlich gesperrt bleiben: „Auch hier gibt es Kontrollprobleme.“

Pat Christ


Demografie

Bildung mildert Folgen der Alterung ab



Wiesbaden (epd). Mehr Bildung ist nach Einschätzung des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) das Schlüsselelement, um dem demografischen Wandel zu begegnen. Ein höheres Bildungsniveau vieler Menschen könne einen Rückgang der Zahl an Erwerbstätigen ausgleichen, da gut Gebildete tendenziell produktiver seien, sagte BiB-Forschungsgruppenleiterin Elke Loichinger am 11. Juli in Wiesbaden.

In einer Untersuchung hat das BiB den demografischen Wandel aus neuen Perspektiven betrachtet, jenseits der Konzentration auf die Alterung der Bevölkerung. So ergebe beispielsweise der Blick auf Bildung, Erwerbsleben oder Rentenbezug, dass sich die Muster von Männern und Frauen langsam anglichen. Dies deute auf Fortschritte bei der Gleichberechtigung hin.

Viele Frauen wollen mehr arbeiten

Die Zunahme der Erwerbstätigkeit von Frauen sei allerdings weitgehend auf Teilzeitbeschäftigungen zurückzuführen. „Da besteht noch Potenzial, dem sinkenden Erwerbspersonenpotenzial entgegenzuwirken“, sagte BiB-Direktorin Katharina Spieß. Es sei bekannt, dass sich viele Frauen wünschten, mehr zu arbeiten, aber nicht könnten, weil sie Kinder oder ältere Angehörige betreuten. Es fehlten daher Betreuungsangebote.

Der Anteil von Personen ohne Ausbildung habe zwar zwischen 1991 und 2021 abgenommen, es bleibe aber ein breiter Sockel. „Das muss angegangen werden, weil dieses Potenzial derzeit nicht genutzt wird“, sagte Spieß.

„Demografischer Wandel ist kein Schicksal“

Migration hat nach Erkenntnissen des BiB die Alterung der Bevölkerung im Durchschnitt spürbar verlangsamt. „Zuzüge aus dem Ausland haben erheblich dazu beigetragen, dass die Bevölkerung heute auf einem breiteren Sockel steht als Mitte der 2000er Jahre“, sagte die Bildungsökonomin Spieß. Integration sei daher eine zentrale Aufgabe, vor allem die Eingliederung der Kinder in das deutsche Bildungswesen.

Die Daten zeigten, dass der demografische Wandel kein Schicksal sei, sondern mit den Stellschrauben Bildung, Ausschöpfung der Erwerbspotenziale und Integration gestaltet werden könne, urteilte Spieß: "Es muss darum gehen, jede Person mitzunehmen.




sozial-Branche

Energie

Ein Platz im Heim könnte teurer werden




Eine Bewohnerin im Waschsalon einer Senioren-Wohnanlage
epd-bild/Heike Lyding
Nicht nur Privathaushalte stehen vor starken Erhöhungen der Abschläge für Strom und Heizung. Auch Pflegeheime und betreutes Wohnen werden teurer. Einige Senioren und Pflegebedürftige sind aber noch eine Zeit lang vor steigenden Preisen geschützt.

Frankfurt a.M. (epd). Seit Russland die Ukraine überfallen hat, sind die Preise für Energie enorm gestiegen. Die bevorstehenden saftigen Erhöhungen der Kosten für Strom und Heizung betreffen auch Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeheimen und Seniorenresidenzen - die einen früher, die anderen später.

Künftige Verfügbarkeit von Energie

„Ab wann steigende Energiekosten umgelegt werden, unterscheidet sich sicherlich in Abhängigkeit von der Größe des Heimbetreibers“, erklärt André Vater, Vorstand der Bremer Heimstiftung und Aufsichtsratsmitglied des Kuratoriums Deutsche Altershilfe (KDA). „Kleinere Betreiber werden die Kostendynamik sehr zeitnah spüren und sicher auch zeitnah umsetzen.“ Größere Betreiber hätten künftige Energiebedarfe über Terminkontrakte für längere Zeit zu niedrigeren Konditionen festgezurrt, so dass sich die Preise für Bewohnerinnen und Bewohner erst später und dann mit Vorlauf erhöhen werden.

Bis zu zwei Jahre lang könnten Heimbewohnerinnen und -bewohner sicher sein vor steigenden Energiekosten. So lange laufen laut Vater zufolge die längsten Verträge mit den Energieversorgern. „Unabhängig hiervon kann es natürlich für alle schwierig werden, wenn sich die künftige Verfügbarkeit von Energie verknappen sollte“, sagt er.

Im betreuten Wohnen sind Preiserhöhungen jährlich möglich. Denn hier werden die Kosten nach dem gleichen Verfahren wie in anderen Mietwohnungen abgerechnet.

Preiserhöhungen sind Verhandlungssache

Die in München sitzende Augustinum Gruppe beispielsweise hat die Preise für Unterbringung und Verpflegung in ihren bundesweit 23 Seniorenresidenzen zum 1. Juli erhöht - um durchschnittlich 3,5 Prozent. Eine Anpassung gebe es zwar jedes Jahr, sagt Matthias Steiner, Sprecher der Augustinum Gruppe. Aber: „Die Preisanpassung 2022 ist in der Tat zu etwa 70 Prozent den erheblich gestiegenen Energiekosten geschuldet.“

Preiserhöhungen in Heimen sind im Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG) geregelt. Demnach müssen Heimbetreiber mit Pflegekassen und Sozialhilfeträgern verhandeln, wenn sie mehr Geld wollen. Das WBVG enthält keine Regelung, wie oft und wie stark die Entgelte steigen dürfen. Das ist Verhandlungssache.

Die Verbraucherzentralen weisen darauf hin, dass Heimbetreiber das Entgelt für Wohnen nur mit Einverständnis der Betroffenen erhöhen können. Erhalten sie dieses Einverständnis nicht, müssen sie klagen. Sobald das Unternehmen mehr Geld will, können Bewohnerinnen und Bewohner überdies fristlos kündigen.

Passivhäuser mit niedrigem Verbrauch

Langfristig fordern Interessenvertretungen von Heimbewohnern wie das KDA den sogenannten Sockel-Spitzen-Tausch. Bislang zahlt nämlich die Pflegeversicherung für die Grundpflege und die Betreuung nur einen Sockelbetrag, abhängig vom jeweiligen Pflegegrad. Alles, was darüber hinausgeht, müssen Pflegebedürftige selbst tragen. Die Wohnungskosten müssen sie ohnehin ganz bezahlen.

Ein Sockel-Spitzen-Tausch würde das Verhältnis umkehren: Pflegebedürftige zahlen einen festen Betrag, alles darüber hinaus die Kassen. Die Wohnkosten verblieben allerdings immer noch bei den Heimbewohnerinnen und -bewohnern. Aber wenigstens wären sie an anderer Stelle vor steigenden Kosten geschützt.

Gegen die teurer werdende Energie müssten andere Lösungen her. Zum Beispiel jener, den die BruderhausDiakonie Reutlingen geht. Zwei Seniorenheime in den schwäbischen Orten Walddorfhäslach und Römerstein ließ sie 2008 und 2010 in Passivhaus-Bauweise errichten. Sie sind ordentlich gedämmt, Wärme wird über zentrale Lüftungsanlagen zurückgewonnen, für warmes Wasser sorgen erneuerbare Energien.

Derzeit stünden keine Preiserhöhungen bei der BruderhausDiakonie an, sagt deren Sprecherin Sabine Steininger. Die Sätze seien mit den Kostenträgern bereits verhandelt. Erst im kommenden Jahr gebe es neue Verhandlungen und danach vielleicht steigende Preise. „Mieter in einem Passivhaus könnten da etwas im Vorteil sein“, sagt Steininger.

Nils Sandrisser


Energie

Gasknappheit könnte Betrieb von Kliniken beeinträchtigen



Berlin (epd). Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) warnt vor Auswirkungen einer Gasknappheit auf die Kliniken. „Sollte im kommenden Winter ein Gasnotstand in Deutschland eintreten, wären die Krankenhäuser von dieser Lage massiv betroffen“, sagte der Vorstandsvorsitzende Gerald Gaß am 8. Juli in Berlin. Kliniken erzeugten Wärme überwiegend mit Erdgas.

Zwar seien Kliniken als vorrangig zu beliefern eingestuft, erläuterte die DKG. Für viele Zulieferbetriebe wie Wäschereien oder Hersteller von Medikamenten oder medizinischen Geräten und Material sei das aber nicht sicher - und die seien ebenfalls auf Gas angewiesen. „Die Lage könnte sehr schwierig werden, da die komplexen Abhängigkeiten der Krankenhäuser eine Vielzahl von Lieferketten betreffen“, sagte Gaß.

92 Prozent der Krankenhäuser benötigten unter anderem Erdgas zur Wärmeerzeugung, hieß es vonseiten der Krankenhausgesellschaft. Nur sehr wenige Häuser nutzten erneuerbare Energien. Es sei notwendig, deren Energieversorgung schnell umzustellen, sagte Gaß. Seinen Angaben zufolge kostet das für alle Krankenhäuser in Deutschland fast 40 Milliarden Euro.

Dieses Geld sei aber für die Krankenhäuser aus eigener Kraft kaum aufzubringen, weil die Investitionsfördermittel der Länder defizitär seien. Gaß schlug vor, ein „Green-Hospital-Investitionsprogramm“ aufzulegen.



Pflege

Gegen die Hitze: Heimstiftung erprobt ganzheitliche Klimakonzepte




Eine Seniorin trinkt ein Glas Wasser.
epd-bild/Heike Lyding
Hitzephasen können mörderisch sein, besonders für pflegebedürftige Menschen. Die Evangelische Heimstiftung hat dagegen ein Konzept entwickelt, das als beispielhaft gilt. Für spezielle Baumaßnahmen sieht sie auch die öffentliche Hand in der Pflicht.

Stuttgart (epd). Die Zahlen des Statistischen Landesamts Baden-Württemberg sprechen eine eindeutige Sprache: Im „Jahrhundertsommer“ 2003 gab es nahezu 2.700 hitzebedingte Sterbefälle im Südwesten. Im sehr heißen August 2018 gab es 1.500 „Hitzetote“ und 2019 den statistischen Daten zufolge knapp 1.700. Inzwischen gibt der Deutsche Wetterdienst schon entsprechende Warnungen für Pflegeheime heraus. Die Evangelische Heimstiftung mit ihrem Hauptsitz in Stuttgart hat daher für ihre Einrichtungen ein Klimakonzept entwickelt.

Die Mahlzeiten werden angepasst

„Wir haben das Thema 'Hitzewellen' beziehungsweise 'Temperaturentwicklungen' in einen größeren Zusammenhang eingebettet“, erklärt Alexandra Heizereder, Pressesprecherin der Heimstiftung. Im Blick seien die Bewohner, die Mitarbeitenden und die Gebäudesubstanz. Neben Hitze bereitet sich die Heimstiftung auch auf andere sogenannte Extremwetterereignisse vor.

Besonders kritisch seien extrem heiße Tage, mit Tageshöchsttemperaturen bei 35 Grad und schwüler Hitze in der Nacht. „Wir reagieren hier strategisch auf zwei Ebenen: Zum einen durch die Erarbeitung einer langfristigen, spezifischen Strategie zur Gebäudeentwicklung. Zum anderen durch niedrigschwellige und einfache Maßnahmen mitsamt Sensibilisierung aller Betroffenen und Qualifizierung der Mitarbeitenden“, sagt Heizereder.

Konkret bedeutet das unter anderem, dass an heißen Tagen frühmorgens gelüftet und früh abgedunkelt wird. Es werde noch mehr als ohnehin schon darauf geachtet, dass alle - Bewohner und Mitarbeitende - genug trinken. Die Mahlzeiten werden angepasst, und es gibt mehr Obst zwischendurch. Die älteren und beeinträchtigten Menschen in den Einrichtungen der Heimstiftung sollen ein Bewusstsein für die Klimawandel-Folgen vermittelt bekommen. Informierte Heimbewohner sind sensibler dafür, dass beispielsweise mehr Wasser getrunken werden soll und Lebensmittel bei Hitze umsichtiger gelagert werden müssen.

Aktuell werden sechs Modellhäuser speziell im Bereich Hitzeschutz qualifiziert, berichtet Heizereder. Klimaangepasste Gebäude können die Innenraumtemperatur konstanter halten. Das bedeutet mehr Komfort und weniger Gesundheitsrisiken. Doch: „Das muss natürlich finanziert werden und bei älteren Gebäuden ist es oft baulich nicht möglich, wir suchen aber nach geeigneten Wegen, es umzusetzen.“ Konkret geht es um Schattenspender, den Einbau von Lüftungsanlagen oder die Umrüstung von Ölheizungen auf Wärmepumpen. Der Altenhilfeanbieter wünscht sich, dass die Politik „mit gezielter Förderung“ dazu beiträgt, „sowohl akute klimatische Belastungen in den Pflegeeinrichtungen abzumildern als auch eine umfassende Vorbereitung auf zukünftige klimatische Veränderungen zu ermöglichen“.

Lieblingsgetränke in Reichweite

Für Menschen mit angeschlagener Gesundheit kann Hitze ins Krankenhaus führen - durch Hitzschlag, Hitzeerschöpfung und Austrocknung. Vorbeugen ist besonders bei älteren Menschen schwierig, unter anderem weil das Durstgefühl im Alter abnimmt und der Körper zugleich weniger Wasser speichert. Pflegeexperten raten, Lieblingsgetränke der Senioren vorzubereiten und die in Reichweite zu platzieren. Nur Zureden helfe oft nichts: „In Gesellschaft klappt es mit dem Trinken oft besser, als wenn die Bewohner allein auf ihrem Zimmer sitzen.“ Auch kühlende Arm- und Fußbäder tun gut, ebenso wie helle und luftige Kleidung. Auch mobile Klimaanlagen sind nützlich, besonders dann, wenn sie leicht zu bedienen sind.

Das baden-württembergische Sozialministerium hat nach dem „Jahrhundertsommer“ 2003 die Aufklärung verstärkt. Praxistipps gibt es im Faltblatt „Gesundheitsrisiken bei Sommerhitze für ältere und pflegebedürftige Menschen“. Und die 2009 in Kraft gesetzte Landesheimbauverordnung fordert Heimkonzepte, mit denen „jederzeit ein den Bewohnerbedürfnissen entsprechendes Raumklima gewährleistet werden soll“.

Susanne Müller


Jugend

AWO hilft bei der Rückkehr in die Schule




Elisa Nowotny von der AWO Hannover unterrichtet einen Schulvermeider.
epd-bild/Nancy Heusel
Kamera aus, Mikro aus. Statt Homeschooling Spiele und Chats auf dem Handy. So sah für viele Schüler der Lockdown aus. Einige sind komplett abgetaucht - noch immer. Ein Projekt der AWO hilft ihnen bei der Rückkehr in die Schule und ins Leben.

Hannover (epd). Chiko verschwindet in seinem schwarzen Hoodie. Die Schultern hochgezogen, den Kopf gesenkt, die Kapuze in die Stirn gezogen, fixiert er die Tischplatte. Eigentlich wollte der 15-Jährige von sich erzählen: Wie es ihm geht, warum er nicht mehr zur Schule geht, wie er sich seine Zukunft vorstellt. Jetzt scheint alle Energie aus ihm gewichen. „Ich bin faul und kiffe zu viel“, sagt er und fügt leise an: „Schule ist doch eh scheiße.“ Seine Mutter habe schon etliche Male Bußgeld gezahlt, weil er nicht im Unterricht erschien, er selbst müsse Sozialstunden ableisten. „Viele haben wegen Corona angefangen zu schwänzen“, sagt er.

Ewig nicht mehr in der Schule

Chiko hat recht. Das Problem „Schulvermeidung“ hat Experten zufolge durch die Pandemie zugenommen. Die Situation sei alarmierend, sagt Thomas Thor, Leiter der „Fachstelle Schulvermeidung“ der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in der Region Hannover: „Corona wirkte wie ein Katalysator, zahlreiche Schüler sind während Lockdown und Homeschooling unter dem Radar geblieben und zum Teil komplett abgetaucht.“

Sozialpädagoge Thor und seine Kollegen sprechen von Schulvermeidung oder -absentismus, weil „Schwänzen“ ihrer Ansicht nach falsche Assoziationen weckt. „Schwänzen“ klinge harmlos, spielerisch, selbstbestimmt. Es klinge nach einer Stunde Eisdiele statt einer Stunde Mathe. Wer kennt das nicht? Doch darum geht es bei Chiko und den anderen schon lange nicht mehr. Chiko war seit Ewigkeiten nicht mehr in der Schule. Wie lange, weiß der Junge, der eigentlich die achte Klasse einer Realschule besuchen müsste, selbst nicht.

Auf jeden Fall hat er die von dem hannoverschen Jugendpsychiater Markus Just definierte Marke gerissen: „Ab 40 entschuldigten Fehltagen pro Halbjahr liegt ohne weitere plausible Erklärung ein pathologischer Schulabsentismus vor“, schrieb Just in einer Stellungnahme für die AWO im Jahr 2015.

Doch wie zurückfinden in die Schule, wenn die ohnehin fragile Tagesstruktur durch den Lockdown über lange Zeit vollends zusammengebrochen ist? Wenn es um Selbstdisziplin, Verlässlichkeit und Motivation noch nie gut bestellt war? Wenn die Eltern keine Stütze sind? Das Homeschooling habe die ohnehin stark ausgeprägte Abhängigkeit des Schulerfolgs von der sozialen Herkunft verstärkt, sagt Förderpädagoge Heinrich Ricking, Professor an der Universität Leipzig. „Erfolgreicher digitaler Unterricht erfordert ein förderliches Umfeld und stabile Unterstützungsstrukturen.“

Schule light - zum Angewöhnen

Chiko besucht nun seit fünf Wochen das Projekt „Glashütte“ der AWO in Hannover. Acht Plätze bietet der außerschulische Lernort, der 13- bis 17-Jährige sozialpädagogisch und ergotherapeutisch unterstützt. Die Jungen und Mädchen kommen täglich für vier Stunden - freiwillig. Von neun bis 13 Uhr haben sie Deutsch, Mathe, Englisch, Sozialkunde, Werken, Kochen. Es gibt viele Pausen, einen Tischkicker, keine Prüfungen, wenig Druck. Schule light - zum Angewöhnen. Chiko gefällt es. „Immerhin stehe ich morgens wieder auf“, sagt er.

Björn Brödtler unterrichtet seit sieben Jahren in der „Glashütte“. Mobbing, exzessiver Medienkonsum und damit einhergehend ein gestörter Tag-Nacht-Rhythmus, soziale Phobien und Isolation - das seien einige der Probleme, die dazu führten, dass Kinder nicht mehr zur Schule gingen. „Schulvermeidung ist ein Symptom, nicht die Ursache“, sagt er.

Die AWO geht Schulvermeidung ganzheitlich an. Außer der „Glashütte“ gibt es das Beratungsbüro „Konnex“ für Schüler, Lehrer, Eltern sowie ein Präventionsprojekt an neun Partnerschulen. Ziel: Durch Zusammenarbeit mit Lehrern gefährdete Schüler und Schülerinnen frühzeitig identifizieren. „Ich wünsche mir, dass Lehrer sensibel hinschauen und sich alle Akteure, Lehrer, Jugendämter, Sozialarbeiter, besser vernetzen“, sagt Brödtler.

In der „Glashütte“ bleiben die Jugendlichen zwischen sechs und neun Monate. So lang will Chiko nicht bleiben. Er macht bereits Pläne. Die Frage nach seinen Träumen lässt ihn wachsen, er strafft den Rücken und blickt auf. Erzieher wolle er werden und nach Warschau ziehen, in die Heimat seiner Familie. „Dort sind die Leute lustiger und das Essen billiger“, sagt er. Und wenn er einen Wunsch frei hätte? Jetzt blitzen Chikos Augen. „Ich schreibe Rap-Songs, wenn die mal in Clubs laufen würden - das wäre krass.“

Julia Pennigsdorf


Armut

Auf der Straße gezeichnet




Verlassenes Nachtlager eines Obdachlosen
epd-bild/Rolf Zöllner
Aus Mitgefühl und Neugier griff Sabine Roidl zum Bleistift und porträtierte Menschen, die obdachlos sind. Ihre Zeichnungen und Texte sind Momentaufnahmen aus einem Lebensalltag, den die meisten ausblenden.

München (epd). Jeder sieht sie, kaum einer beachtet sie: Über 9.000 Menschen sind in der Landeshauptstadt München wohnungslos, schätzungsweise 1.000 davon leben auf der Straße. Ein Leben, das in ein paar Plastiktüten passt. Ein Leben, von dem die Gemeinschaft wenig Notiz nimmt. „Ich habe mich immer gefragt: Wie kann es sein, dass jemand obdachlos ist?“, sagt Sabine Roidl. Die Illustratorin beschloss, sich dem Thema auf ihre Weise zu nähern und Obdachlose in München zu porträtieren. Daraus ist ein Buch geworden.

Obdachlos und schwanger

E sind Welten, die zwischen den Menschen auf der Straße und den anderen liegen. „Mein Wendepunkt war die schwangere junge Frau auf dem Viktualienmarkt“, erinnert sich Roidl. Ihre Fassungslosigkeit schlägt sich im Anfangssatz des Kapitels über „Marianne“ nieder: „Sie ist schwanger und schläft auf der Straße.“ Dreimal steht der Satz da, als wäre die Platte einer Lebensgeschichte hängengeblieben.

Sabine Roidl hatte zu diesem Zeitpunkt bereits mehrere Obdachlose in den Räumen des Evangelischen Bildungswerks gezeichnet. Ebw-Geschäftsführer Felix Leibrock, selbst ehrenamtlich in der Obdachlosenarbeit tätig, hatte ihr die Möglichkeit vermittelt. Doch dann kam der Lockdown und mit den bezahlten „Sitzungen“ war es vorbei.

Also musste die Künstlerin selbst auf die Straße, um die Menschen für ihr Buchprojekt zu finden - nicht so leicht für Roidl, die sich selbst als introvertiert beschreibt. Als sie Marianne sah, war ihr klar: „Wenn ich einen Kontakt herstellen will, muss ich runter auf den Boden.“ Und als sie dort saß, neben der Bettlerin, zwischen all den eilenden Passanten, da spürte sie, wie anders dieses glänzende München sein kann. „Ich bin da unten so schief angeschaut worden“, erinnert sich Roidl. Sie habe sich in dem Moment der Obdachlosen näher gefühlt „als denen mit den Tüten“.

„Meine Scheu hat sich gelegt“

Ursprünglich wollte die Künstlerin mit Atelier in Grafing die Menschen nur zeichnen. Doch während sie schweigend ihre Porträtnotizen mit dem Bleistift machte, begannen ihre Modelle zu erzählen. Wie man die eigene Obdachlosigkeit auf Familienfeiern kaschiert. Wie man auch ohne Geld in die Oper kommt. Wie es ist, auf die Räumung der eigenen Wohnung zu warten. Wie sehr man sich über zehn Euro freuen kann. Wie viel Menschlichkeit in einem Handschlag oder einem Lächeln steckt.

Sabine Roidl hat die Geschichten aufgeschrieben, sobald sie nach Hause kam. Und so hat jedes Porträt nicht nur sein eigenes Gesicht, sondern auch seine eigene Stimme behalten - mal leise, mal forsch, mal lamentierend, mal charmant. „Meine Scheu hat sich gelegt, als mir klar wurde, dass ich keine Obdachlosen zeichne, sondern Menschen, die obdachlos sind“, sagt sie. Am meisten überrascht habe sie „die Dummheit meiner Vorurteile“. Wie schnell sich die Abwärtsspirale des Lebens drehen kann, auch das hat sie gehört: „Ich bin sehr dankbar, dass ich ein Zuhause habe.“

Die Klammer des Buches liefert die Geschichte von Franz, dem Lebenskünstler. Er ist der heimliche Star, witzig, quirlig, offen für die Welt. Am Ende ist er tot. Gestorben an seinem Stammplatz am Isartor, Organversagen. Für Sabine Roidl war das ein Schock: „Ich hatte nicht auf dem Schirm, dass man nicht lange auf der Straße leben kann.“

Sterben auf der Straße

Das letzte Kapitel erzählt also nicht vom Leben, sondern vom Sterben auf der Straße, von unverhoffter Hilfsbereitschaft und von der Leerstelle des Todes. Roidl machte mit Hilfe eines Polizisten und einer Bestatterin die Heimatstadt von Franz ausfindig, den Tag der Beerdigung, den Namen seiner Mutter. Sie hinterließ ihre Telefonnummer - gern hätte sie der Mutter von Franz erzählt. „Aber sie hat sich nie gemeldet“, sagt Roidl nachdenklich.

So bleiben viele lose Enden. „Ohne Dach, ohne Ofen, ohne Bett“ ist eine Sammlung eindrucksvoller Momentaufnahmen, die den Sesshaften und Privilegierten der Gesellschaft einen Einblick in das Leben von obdachlosen Menschen ermöglicht. Im besten Fall sind Leserinnen und Leser nach der Lektüre berührt - das wäre Sabine Roidl schon genug. Nicht jeder sei für ein Ehrenamt in der Obdachlosenarbeit geschaffen. Wer Geld übrig habe, könne spenden. Oder sich für Konzepte wie das „Housing first“ einsetzen, bei dem Obdachlose eine Wohnung bekommen. „Niemand kann auf die Beine kommen ohne Schlafen in Sicherheit“, ist Roidl überzeugt.

Sie selbst geht seit dem Buch anders durch die Stadt - den Blick weniger auf Schaufensterhöhe mit all dem „Zeug, das man nicht braucht“. Ihr Blick rutscht eine Etage tiefer, dorthin, wo diejenigen leben, die mit der Schaufensterwelt schon lange nichts mehr zu tun haben.

Susanne Schröder


Psychologie

Krisendienst-Telefon in Bayern seit einem Jahr rund um die Uhr



Für einen Menschen in einer seelischen Krise ist rasche Hilfe von großem Wert. In Bayern gibt es seit einem Jahr eine einheitliche Telefonnummer des Krisendienstes, die ständig erreichbar ist. Sie wird durchschnittlich 180 Mal am Tag genutzt.

München/Nürnberg (epd). Die Apparate des neuen bayerischen Krisentelefons für „seelische Erste Hilfe“ standen vergangenes Jahr selten still. Insgesamt 60.000 Telefonate innerhalb eines Jahres, also etwa 180 pro Tag, hätten die Beraterinnen und Berater in den sieben Leitstellen im Freistaat mit Hilfesuchenden geführt, sagte der Präsident des Bayerischen Bezirketags, Franz Löffler (CSU), dem Evangelischen Pressedienst (epd) anlässlich des einjährigen Bestehens. Unter der Rufnummer 0800/6553000 können sich Menschen in seelischen Krisen sowie deren Angehörige seit Juli 2021 bayernweit kostenlos rund um die Uhr Hilfe holen.

Der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) sagte, dass ein knappes Drittel der Anrufe zwischen 18 und 24 Uhr komme, zeige, „dass es richtig war, die Erreichbarkeit auszubauen“. Psychische Krisen und Erkrankungen seien ausgesprochen häufig und kämen in jedem Lebensalter vor. Die Menschen bräuchten im Bedarfsfall unmittelbar Unterstützung. Bei Bedarf könnten mobile Einsatzteams innerhalb einer Stunde bei den Hilfesuchenden zu Hause sein, sagte Holetschek.

„Erste Hilfe für die Seele“

Die häufigsten Gründe für Anrufe bei dem Netzwerk aus sieben eigenständigen regionalen Krisendiensten, das von den bayerischen Bezirken und vom Freistaat organisiert und finanziert wird, waren depressive Verstimmungen, Ängste, Psychosen wie Wahnzustände und familiäre Belastungen, zählte Löffler auf. Bei jedem zehnten Anruf habe es Hinweise auf Selbstgefährdung gegeben. Das Fachpersonal leiste „Erste Hilfe für die Seele“ und nenne den Anrufenden bei Bedarf andere Hilfsangebote in der Nähe.

Auch der Krieg in der Ukraine habe bei manchem Anrufer dazu geführt, dass Erinnerungen an frühere erlittene Traumata wieder hochgekommen seien. „Er führte jedoch nicht zu einem sprunghaften Anstieg der Telefonate“, sagte der Präsident des bayerischen Bezirketags.

Jutta Olschewski, Brigitte Bitto



sozial-Recht

Hartz-IV-Aufstocker dürfen Trinkgelder meist behalten




Kartenspieler im Gasthaus (Archivbild)
epd-bild/Daniel Peter
Hartz-IV-Bezieher dürfen freiwillige Zuwendungen anderer Personen wie etwa Trinkgelder in gewissem Umfang behalten. Machen die Zuwendungen nur bis zu zehn Prozent des Regelbedarfs aus, darf das Jobcenter diese nicht als Einkommen auf das Arbeitslosengeld II anrechnen.

Kassel (epd). Hartz-IV-Aufstocker dürfen ihr Arbeitslosengeld II mit Trinkgeldern aus ihrer Beschäftigung als Servicekraft aufstocken. Wenn die monatlichen Trinkgelder allerdings mehr als zehn Prozent des Regelbedarfs ausmachen, sind diese ab diesem Wert als Einkommen vom Jobcenter mindernd auf das Arbeitslosengeld II anzurechnen, urteilte am 13. Juli das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel. Derzeit liegt der Hartz-IV-Regelsatz für einen alleinstehenden Arbeitslosengeld-II-Bezieher bei monatlich 449 Euro, so dass ihm bis zu 44,90 Euro an Trinkgeldern verbleiben dürfen.

Im konkreten Fall hatte eine Hartz-IV-Aufstockerin aus dem bayerischen Landkreis Deggendorf höheres Arbeitslosengeld II verlangt. Sie erhielt im Streitzeitraum von Dezember 2014 bis einschließlich April 2015 neben geringen Arbeitslosengeld-I-Leistungen auch ergänzendes Hartz IV zur Deckung ihres Existenzminimums.

Zur Aufbesserung des Grundgehalts

Beim Jobcenter Deggendorf gab sie auch eine kleine Nebenbeschäftigung als Servicekraft in einem bayerischen Wirtshaus an. Dort verdiente sie zunächst 50 Euro und zuletzt 144,50 Euro monatlich. Schätzungsweise 25 Euro kamen an Trinkgeldern hinzu.

Die Behörde wertete unter anderem nach Berücksichtigung des Grundfreibetrags das Trinkgeld als Einkommen und minderte entsprechend das Arbeitslosengeld II. Das Trinkgeld stehe im engen Zusammenhang mit der Erwerbstätigkeit und werde regelmäßig gezahlt, so die Behörde. Es diene in der Regel der Aufbesserung des Grundgehalts. Das Trinkgeld sei daher dem Arbeitsentgelt vergleichbar. Einnahmen in Geld seien nach dem Gesetz als Einkommen zu berücksichtigen

Als die Hartz-IV-Bezieherin die Höhe ihrer Hilfeleistung anzweifelte, stellte sie einen Überprüfungsantrag. Sie sah nicht ein, dass das Jobcenter ihr monatliches Trinkgeld als Einkommen mindernd auf das Arbeitslosengeld II angerechnet hatte.

Vor Gericht wandte sie ein, dass Gäste gar kein Trinkgeld mehr bezahlen würden, wenn das Jobcenter dies als Grund für die Minderung des Arbeitslosengeldes II ansehen würde. Außerdem handele es sich hier nicht um ein reguläres Erwerbseinkommen. Dies bestehe vielmehr bei einem Vertragsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmerin, nicht aber zwischen Trinkgeldgeber und -nehmer.

Trinkgelder seien vielmehr Zahlungen von dritten Personen, für die es keine „sittliche und rechtliche Verpflichtung“ gebe. Entsprechende Zuwendungen dürften nach dem Gesetz nicht als Einkommen auf das Arbeitslosengeld II angerechnet werden, wenn dies „für die Leistungsberechtigten grob unbillig wäre“ oder der Anspruch auf die Hartz-IV-Leistung trotz des erhaltenen Geldes - hier die Trinkgelder - immer noch gerechtfertigt wäre.

Vergleich mit „Motivationszuwendungen“ der Wohlfahrtspflege

Hier seien die Trinkgelder nicht sehr hoch gewesen. Die Klägerin verwies zudem auf die Rechtsprechung des BSG. Dieses habe in einem Fall entschieden, dass „Motivationszuwendungen“, die freie Wohlfahrtsträger Sozialhilfe-Beziehern für die Teilnahme an einer Arbeitstherapie zahlen, tatsächlich auch motivieren sollen und in gewissen Grenzen nicht als Einkommen mindernd auf das Arbeitslosengeld II angerechnet werden dürfen. Danach seien 60 Euro pro Monat anrechnungsfrei. Ähnliches müsse auch für Trinkgelder gelten.

Die Klage hinsichtlich der Anrechnung der Trinkgelder hatte vor dem Bayerischen Landessozialgericht keinen Erfolg. Trinkgelder seien Einnahmen, die beim Arbeitslosengeld II mindernd berücksichtigt werden müssten. Zwar sehe das Gesetz durchaus vor, dass bei grober Unbilligkeit Einkünfte nicht angerechnet werden dürfen. Dies sei bei Zuwendungen der Fall, die nicht der Deckung des physischen Existenzminimums dienten, etwa gesellschaftliche Preise zur Ehrung von Zivilcourage oder Soforthilfen bei Katastrophen. Trinkgelder würden dagegen für die erbrachte Serviceleistung gezahlt und dienten dem Lebensunterhalt.

Es handele sich bei den Trinkgeldern auch nicht um Zuwendungen, die „die Lage des Leistungsberechtigten nur unmaßgeblich“ beeinflussen und damit nicht berücksichtigt werden müssen. Dies sei etwa bei einem geringen Taschengeld der Großeltern der Fall. Eine solche Nähe gebe es aber nicht zwischen Trinkgeldgebenden und Trinkgeldempfänger.

Obergrenze festgelegt

Das BSG gab der Klägerin jedoch dem Grunde nach recht, so dass das Jobcenter neu über die Arbeitslosengeld-II-Höhe entscheiden muss. Bei Trinkgeldern handele es sich um eine Zuwendung und nicht um reguläres Erwerbseinkommen, da diese freiwillig gezahlt werden. Sie seien nicht mit einem Vertragsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vergleichbar.

Die gesetzlichen Bestimmungen würden vorsehen, dass geringe „Zuwendungen“ nicht beim Arbeitslosengeld II berücksichtigt werden müssen. Die Zahlung von Arbeitslosengeld II müsse dann aber trotz der erhaltenen Zuwendung noch gerechtfertigt sein.

Dies sei hier der Fall, so das BSG. Die obersten Sozialrichter legten dabei erstmals auch eine Grenze fest, bis zu welcher Höhe Zuwendungen nicht berücksichtigt werden müssen. Dies sei regelmäßig bei zehn Prozent des Regelbedarfs der Fall. Da die Klägerin unter diesem Wert lag, durfte das Jobcenter die Trinkgelder nicht mindernd auf das Arbeitslosengeld II anrechnen, so das Gericht.

Inwieweit auch Einkünfte aus Pfandflaschensammeln, Betteln oder erhaltene Essensspenden von den Tafeln darunter fallen, hatte das BSG nicht zu entscheiden.

Az.: B 7/14 AS 75/20 R (Bundessozialgericht, Trinkgelder)

Az.: B 8 SO 12/11 R (Bundessozialgericht, Motivationszuwendungen)

Frank Leth


Bundessozialgericht

Kein Kinderzuschlag für erwerbsunfähige Eltern



Kassel (epd). Erwerbsunfähige Eltern mit wenig Geld können keinen Kinderzuschlag beanspruchen. Nur wenn zumindest ein Elternteil oder ein Kind ab 16 Jahren einer Erwerbstätigkeit nachgehen kann, ist die Zahlung eines Kinderzuschlags möglich, urteilte am 13. Juli das Bundessozialgericht (BSG). Eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung zwischen erwerbsunfähigen Familienmitgliedern und jenen im Arbeitslosengeld-II-Bezug liege nicht vor, entschieden die Kasseler Richter.

Nach den gesetzlichen Bestimmungen können Eltern für jedes Kind einen Kinderzuschlag erhalten, damit sie nicht in den Hartz-IV-Bezug rutschen. Voraussetzung ist die Fähigkeit, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Seit Juli 2022 beträgt der Kinderzuschlag für jedes Kind monatlich 229 Euro.

Kindergeld, Elterngeld und Wohngeld

Geklagt hatte eine Mutter von drei Kindern, die zusammen mit ihrem Ehemann in Duisburg in einem gemeinsamen Haushalt lebt. Alle Kinder hatten das 16. Lebensjahr noch nicht erreicht. Die Eltern waren voll erwerbsgemindert, so dass kein Anspruch auf Arbeitslosengeld II bestand. Sie erhielten für ihren Lebensunterhalt Kindergeld, Elterngeld und Wohngeld sowie Renten wegen voller Erwerbsminderung.

Als sie bei der Familienkasse im Streitjahr 2017 für jedes Kind einen Kinderzuschlag in Höhe von damals 170 Euro beantragten, lehnte die Behörde dies ab. Mindestens ein Familienmitglied müsse erwerbsfähig sein.

Die Klägerin hielt dies für gleichheitswidrig. Der Kinderzuschlag sei für die Kinder da. Es sei nicht plausibel, warum voll erwerbsunfähige Eltern die Leistung nicht erhalten können, nur weil sie kein Hartz IV beantragen können.

Das BSG hatte jedoch keine Bedenken gegen die Entscheidung der Familienkasse. Anspruchsvoraussetzung für den Kinderzuschlag sei, dass Familienmitglieder Grundsicherung für Arbeitsuchende erhalten können. Der Kinderzuschlag diene dazu, ein Abrutschen in den Hartz-IV-Bezug zu vermeiden. Hier erfülle jedoch kein Familienmitglied die Voraussetzungen für einen grundsätzlichen Anspruch auf Arbeitslosengeld II. Der Gesetzgeber habe auch einen weiten Gestaltungsspielraum darüber, welche Sozialleistungen wem zubilligt werden. Ein verfassungswidriger Gleichheitsverstoß liege nicht vor.

Az.: B 7/14 KG 1/21 R



Landesarbeitsgericht

Charité-Sommerfest nur mit strengen Corona-Auflagen



Berlin (epd). Für die Teilnahme an einem betrieblichen Sommerfest darf eine Klinik von den Beschäftigten die Einhaltung strenger Corona-Regeln verlangen. Denn bei einer Beschäftigung in einer Klinik gebe es „besonderen Anlass für Schutzmaßnahmen, insbesondere auch in Form eines Impf- oder Genesenennachweises“, entschied das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg in Berlin in einem am 1. Juli zugestellten Beschluss.

Im Streitfall ging es um ein Sommerfest der Berliner Charité am 1. Juli 2022 an einem auswärtigen Veranstaltungsort. Für das gesellige Beisammensein mussten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich an die „2G-Regel“ halten: Eine Grundimmunisierung durch Impfung oder Genesung, wenn dies mehr als sechs Monate zurückliegt, eine Auffrischungsimpfung und zudem ein tagesaktueller negativer Corona-Test.

Keine gesetzliche Grundlage

Doch ein IT-Mitarbeiter wollte auch ohne Einhaltung dieser Regeln das Sommerfest besuchen und beantragte vor Gericht einstweiligen Rechtsschutz. Er führte an, dass es für die Zugangsbeschränkungen keine gesetzliche Grundlage gebe. Die Klinik sei eine öffentlich-rechtliche Körperschaft, so dass nur ein Gesetz dort solch eine „2G-Regel“ festlegen könne.

Dem widersprach das LAG. Das Sommerfest sei keine hoheitliche Angelegenheit. Zwar würden ungeimpfte und nicht getestete Beschäftigte gegenüber Mitarbeitern, die die „2G-Regeln“ erfüllen, ungleich behandelt.

Die Regelung sei aber „sachlich gerechtfertigt“, entschieden die Arbeitsrichter mit Verweis auf das Infektionsschutzgesetz. Hiernach gebe es für Beschäftigte in Kliniken „besonderen Anlass für Schutzmaßnahmen, insbesondere auch in Form eines Impf- oder Genesenennachweises“. Für das Infektionsrisiko spiele es keine Rolle, ob es um Zusammenkünfte bei der Arbeit oder bei einer Betriebsfeier gehe.

Dem IT-Mitarbeiter drohten mit der unterbliebenen Sommerfest-Teilnahme auch keine „erheblichen Nachteile“. Dies gelte erst recht „in Abwägung mit möglichen Nachteilen des Klinikbetriebes im Hinblick auf Infektionsrisiken“, entschied das LAG.

Az.: 6 Ta 673/22



Verwaltungsgericht

Corona-Maßnahmen missachtet: Suspendierung von Lehrerin rechtens



Düsseldorf (epd). Die Suspendierung einer Lehrerin, die die Corona-Schutzmaßnahmen in ihrer Schule nicht umsetzt, ist laut dem Verwaltungsgericht Düsseldorf rechtens. Das Gericht lehnte am 13. Juli in einem Beschluss den gegen das Land Nordrhein-Westfalen gerichteten Antrag einer Düsseldorfer Grundschullehrerin ab. Mit Blick auf den Schutz der Schüler und Kollegen sowie das Ansehen des Lehrerberufs sei es gerechtfertigt, der Frau die Führung der Dienstgeschäfte zu verbieten. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig.

Die Lehrerin hatte mehrfach die aus der seinerzeit geltenden Fassung der Corona-Betreuungsverordnung folgende Verpflichtung, zweimal wöchentlich Pooltests in ihrer Klasse durchzuführen, vorsätzlich nicht ordnungsgemäß ausgeführt. Zudem besteht laut Gericht der Verdacht, dass die Frau die Pflicht zum Tragen einer medizinischen Maske im Schulgebäude missachtet und die Einhaltung der Maskenpflicht durch ihre Schüler nicht konsequent überwacht hat. Auch nach ausdrücklicher Weisung durch die Schulleitung habe sie ihr Verhalten nicht geändert.

Dadurch bestünden hinreichende Anhaltspunkte für den Verdacht einer Gefährdung des Dienstbetriebes an der Schule, hieß es weiter. Durch ihr uneinsichtiges Verhalten erwecke sie den Anschein, dass sie weder derzeit noch in Zukunft bereit sei, rechtlichen Regelungen oder dienstlichen Anweisungen Folge zu leisten.

Az.: 2 L 490/22



Verwaltungsgericht

An Affenpocken Erkrankter muss zu Hause bleiben



München (epd). Eine Erkrankung an Affenpocken ist ein hinreichender Grund für eine häusliche Quarantäne. Das Gesundheitsamt darf in solch einem Fall eine „Absonderungsanordnung“ erlassen mit der Maßgabe, dass die Wohnung ohne ausdrückliche Zustimmung der Behörde nicht verlassen werden darf, entschied das Verwaltungsgericht München in einem am 7. Juli bekanntgegebenen Beschluss vom Vortag.

Der an Affenpocken erkrankte Antragsteller wollte eine gegen ihn vom Gesundheitsamt angeordnete dreiwöchige Quarantäne kippen. Laut Anordnung darf der Mann während seiner „Absonderung“ seine Wohnung nur mit ausdrücklicher Zustimmung des Gesundheitsamts verlassen.

Kontakt mit kontaminierten Gegenständen

Er hielt dies für überzogen. Denn eine Infektion mit Affenpocken könne sich nur beim gleichgeschlechtlichen Geschlechtsverkehr unter Männern übertragen.

Doch das Verwaltungsgericht stellte fest: „Die Erkrankung ist weder auf Männer beschränkt noch setzt die Übertragung dieses Virus einen sexuellen Kontakt voraus.“ Eine Infektion sei beispielsweise auch durch den Kontakt mit kontaminierten Gegenständen möglich.

Zwar seien die Verläufe bislang mild und die Risiken nach derzeitigem Stand gering. Dennoch sei davon auszugehen, dass insbesondere Neugeborene, Kinder, Schwangere, alte Menschen und Menschen mit Immunschwächen schwer an Affenpocken erkranken können. Nach den Empfehlungen des Robert Koch-Instituts (RKI) solle daher die weitere Verbreitung der Affenpocken so gut wie möglich verhindert werden.

Auch wenn die Quarantäneanordnung eine erhebliche Einschränkung für den Betroffenen darstelle, überwiege der Schutz der Gesundheit der Bevölkerung. Die Quarantänedauer von 21 Tagen ab Auftreten der ersten Krankheitssymptome entspreche den Empfehlung des RKI und sei voraussichtlich rechtmäßig.

Az.: M 26b S 22.3317



Landessozialgericht

Keine Asylleistungskürzung wegen verweigerter "Ehrenerklärung"



Darmstadt (epd). Ausreisepflichtige Flüchtlinge können für die Ausstellung neuer Passpapiere nicht zur Unterzeichnung einer Erklärung über ihre „freiwillige“ Ausreise gezwungen werden. Geben sie solch eine „Ehrenerklärung“ in der Botschaft ihres Heimatlandes nicht ab, verstoßen sie nicht gegen ihre Mitwirkungspflicht bei der Passbeschaffung, entschied das Hessische Landessozialgericht (LSG) in einem am 8. Juli veröffentlichten Beschluss. Eine Kürzung der Asylbewerberleistungen sei daher unbegründet, so die Darmstädter Richter, die sich damit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) anschlossen.

Im konkreten Fall ging es um einen abgelehnten iranischen Asylbewerber. Mit seiner Duldung wurde auch seine Abschiebung angedroht. Doch diese scheiterte, da der Flüchtling über keine gültigen Passpapiere verfügte.

Verletzung der Mitwirkungspflicht

Die deutschen Behörden forderten den Mann auf, sich den Pass in der iranischen Botschaft zu beschaffen. Der lehnte ab. Er habe mehrfach vor der Botschaft gegen den Iran demonstriert. Er habe Angst vor einer Abschiebung. Außerdem könne er nur einen neuen Pass erhalten, wenn er eine „Ehrenerklärung“ abgebe, nach der er „freiwillig“ ausreisen wolle. Er könne aber nicht zur freiwilligen Abgabe solch einer Erklärung gezwungen werden, verwies der Flüchtling auf die BSG-Rechtsprechung.

Wegen der Verletzung seiner Mitwirkungspflicht an der Passbeschaffung wurden dem Mann die Asylbewerberleistungen gekürzt. Der Flüchtling legte dagegen Widerspruch ein.

„Freiwillig heißt 'freier Wille'“

Zu Recht, befand das LSG, das die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wieder herstellte. Der Antragsteller habe Anspruch auf weitere Geldleistungen in Höhe von 154,58 Euro für März 2022 und 217,94 Euro bis einschließlich August 2022.

Das Gericht schloss sich dabei der Rechtsprechung des BSG vom 30. Oktober 2013 an (Az.: B 7 AY 7/12 R). Danach könne niemand von einem Flüchtling verlangen, dass dieser ausreisen will. Denn in Deutschland gelte immer noch der Grundsatz, dass die Gedanken frei sind. „Freiwillig heißt ‚freier Wille‘“, sagte der damalige Vorsitzende Richter des 7. BSG-Senats, Wolfgang Eicher. Würde man diesen Grundsatz missachten, „wären wir in einem totalitären Regime“.

Wegen der verweigerten Ehrenerklärung dürften Asylbewerberleistungen daher nicht gekürzt werden, so das LSG.

Az.: L 4 AY 13/22 B ER



Finanzgericht

Versäumter Jobcenter-Termin führt nicht zum Verlust des Kindergelds



Neustadt/Weinstraße (epd). Der Anspruch auf Kindergeld für ein als arbeitssuchend gemeldetes, volljähriges Kind erlischt nicht wegen eines versäumten Termins bei der Arbeitsagentur. In einem am 13. Juli veröffentlichten Urteil entschied das Finanzgericht Rheinland-Pfalz in Neustadt an der Weinstraße zugunsten einer Familie, deren Tochter aufgrund einer Risikoschwangerschaft ihre Ausbildung abgebrochen hatte. Da die Tochter keine Leistungen von der Arbeitsagentur bezogen habe, liege keine Pflichtverletzung vor, die mit Wegfall des Kindergelds geahndet werden dürfe.

Die Agentur für Arbeit hatte die Tochter aus der Arbeitsvermittlung abgemeldet, ohne sie darüber zu informieren, nachdem sie nicht zu einem Termin erschienen war. Mehr als drei Jahre später erfuhr die Familienkasse vom Abbruch der Ausbildung und forderte das bereits ausgezahlte Kindergeld zurück. Ein Einspruch des Vaters gegen die Entscheidung wurde zunächst abgewiesen.

Das Finanzgericht stellte in seiner Entscheidung klar, dass die Arbeitsagentur grundsätzlich unbefristet verpflichtet sei, bei der Suche nach einer Beschäftigung zu helfen. Bei Personen, die keine Leistungen beziehen, dürfe die Vermittlung nur eingestellt werden, wenn die Arbeitssuchenden ohne wichtigen Grund gegen Pflichten aus einem förmlichen Bescheid oder einer Eingliederungsvereinbarung verstießen. Im vorliegenden Fall sei die Tochter lediglich einer Meldepflicht nicht nachgekommen. Das Urteil ist rechtskräftig.

Az.: 2 K 2067/20




sozial-Köpfe

Caritas

Andreas Degelmann wird Geschäftsführer der St. Augustinus Gruppe




Andreas Degelmann
epd-bild/St. Augustinus Gruppe
Der Vorsitzende der Geschäftsführung der katholischen St. Augustinus Gruppe, Paul Neuhäuser, beendet seine Tätigkeit. Andreas Degelmann rückt in den Vorstand des Neusser Sozialunternehmens.

Neuss (epd). Der Vorsitzende der gemeinnützigen St. Augustinus Gruppe mit Hauptsitz in Neuss, Paul Neuhäuser, zieht sich Ende September nach mehr als 20 Jahren in der Geschäftsführung von seinem Posten zurück. Damit läutet der 63-Jährige einen Generationenwechsel ein. Ab 1. Oktober wird die Geschäftsführung dann durch Andreas Degelmann (36) ergänzt.

Der Bamberger ist derzeit Sprecher der Geschäftsführung der Kplus Gruppe in Solingen, war aber bis Ende 2019 als Leiter der Zentralen Unternehmensentwicklung bei der St. Augustinus Gruppe tätig. Nun kehrt er als einer von drei Geschäftsführern zum größten Gesundheits- und Sozialunternehmen am linken Niederrhein zurück. Die drei Geschäftsführer werden zukünftig gleichberechtigt ihre Leitungsverantwortung wahrnehmen.

Anfang 2020 war Andreas Degelmann in die Geschäftsführung der Kplus Gruppe eingetreten und hatte dort eine Neukonzeption der Krankenhauslandschaft im Raum Mettmann/Leverkusen/Solingen vorgelegt. „Andreas Degelmann hat bei Kplus die Voraussetzungen für eine nachhaltige Entwicklung der katholischen Krankenhauslandschaft in diesem Raum geschaffen“, lobt der Vorsitzende der Gesellschafterversammlung der St. Augustinus Gruppe, Wilhelm Straaten.

Degelmann studierte an der katholischen Universität Eichstätt Betriebswirtschaftslehre. An der Universität Passau erwarb er den Master in Caritaswissenschaften und Angewandter Theologie. Anschließend war er in verschiedenen Funktionen unter anderem für die Malteser in Passau, Köln und Neuss tätig. 2017 kam er zunächst als Assistent der Geschäftsführung zur St. Augustinus-Fachkliniken gGmbH und wechselte kurze Zeit später zur St. Augustinus Gruppe, wo er die Leitung der Zentralen Unternehmensentwicklung übernahm. Am 1. Oktober wird er nun als Geschäftsführer der St. Augustinus Gruppe mit ihren 6.000 Mitarbeitenden in Krankenhäusern, Senioreneinrichtungen oder Psychiatrien nach Neuss zurückkehren.

Die gemeinnützige St. Augustinus Gruppe machte 2020 einen Umsatz von rund 370 Millionen Euro. Aktuell besteht die Geschäftsführung neben ihrem Vorsitzenden Paul Neuhäuser, der diesen Posten seit 2004 bekleidet, aus Markus Richter und Rainer Pappert.



Weitere Personalien



Irme Stetter-Karp, die Präsidentin des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge und Vizepräsidentin des Deutschen Caritasverbandes, wurde in Freiburg mit dem Silbernen Brotteller ausgezeichnet. Der Silberne Brotteller ist die höchste Auszeichnung des Caritasverbandes. Mit diesem werden ehren- oder hauptamtlich Mitarbeitende gewürdigt, die sich in hervorragender Weise um Werk und Idee der Caritas verdient gemacht haben. „Wir kennen und schätzen Frau Dr. Stetter-Karp als engagierte und fachlich hochkompetente Persönlichkeit und freuen uns für sie über diese wohlverdiente Ehrung“, sagte Michael Löher, Vorstand für öffentliche und private Fürsorge.

Marc Korbmacher (47) übernimmt am 1. Januar 2023 die Leitung der Diakonischen Stiftung Ummeln. Seit 2013 arbeitet der Kaufmann und Diakoniewissenschaftler als Geschäftsführer der Diakonie für Bielefeld gGmbH. Bis Ende Juni ist Uwe Winkler Vorstand der Diakonischen Stiftung Ummeln, ehe er nach 26 Jahren an der Spitze in den Ruhestand gehen wird. Für die Übergangszeit bis zum Start von Marc Korbmacher übernehmen der ehemalige Aufsichtsratsvorsitzende Thomas Domeyer und der Diakoniemanager und Berater Johannes Schildmann die Rolle des Vorstands.Die Stiftung hat ihren Hauptsitz in Bielefeld und beschäftigt rund 750 Mitarbeitende.

Ferda Ataman ist neue Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Eine Mehrheit im Bundestag stimmte für den Vorschlag von Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne). Ataman ist die erste vom Parlament gewählte Antidiskriminierungsbeauftragte. Um die Personalie hatte es zuvor eine hitzige Debatte gegeben. Auf Ataman entfielen 376 Ja-Stimmen. Damit erhielt sie die erforderliche absolute Mehrheit. 278 Abgeordnete stimmten gegen sie, 14 enthielten sich. Ataman war bisher unter anderem im Familien- und Integrationsministerium in Nordrhein-Westfalen tätig und baute den Mediendienst Integration auf, eine wissenschaftliche Internetplattform für Journalistinnen und Journalisten. Die 42-Jährige hatte unter anderem für Diskussionen gesorgt, als sie in einer Kolumne die Bezeichnung „Kartoffel“ für Deutsche ohne Migrationshintergrund verteidigte. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes berät von Diskriminierung betroffene Menschen und legt regelmäßig Berichte über Art und Ausmaß der Benachteiligung vor. Grundlage ist das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG).




sozial-Termine

Veranstaltungen bis September



Wir haben Tagungen, Seminare, Workshops und Webinare aufgelistet, die aktuell geplant sind. Wegen der Corona-Epidemie sagen Veranstalter allerdings Termine auch kurzfristig ab. Wir bitten unsere Leserinnen und Leser, das zu beachten.

Juli

20.-21.7. Stuttgart:

Seminar „Veränderungsprozesse gestalten“

der Paritätischen Akademie Süd

Tel.: 0711/286976-10

28.7. München:

Seminar „Aktuelle Entwicklungen im Sozialdatenschutz“

der Unternehmensberatung Solidaris

Tel.: 02203/8997-221

August

8.-11.8. Berlin:

Seminar „Familiennachzug von Geflüchteten“

der AWO Bundesakademie

Tel.: 030/26309-139

26.8. Berlin:

Seminar „Wirkung und Wirksamkeit in der Eingliederungshilfe“

der Paritätischen Akademie Berlin

Tel.: 030/275828224

29.-31.8. Berlin:

Seminar „Überzeugen muss kein Kraftakt sein - Einsatz von Körper, Stimme, Sprache in Verhandlungen und Präsentationen“

der Bundesakademie für Kirche und Diakonie

Tel.: 030/48837-476

30.8. Berlin:

Seminar „Grundlagen des Arbeitsrechtes in Einrichtungen der Sozialwirtschaft - Gestaltungsspielräume nutzen“

der BFS Service GmbH

Tel.: 0221/97356159

31.8. Berlin:

Seminar „Betriebsverfassungsrecht aus Arbeitgebersicht“

der BFS Service GmbH

Tel.: 0221/97356159

September

6.-7.9. Frankfurt a.M.:

Fortbildung „Datenschutz in sozialen Einrichtungen - Einführung in das KDG: rechtliche Anforderungen und Umsetzungen im operativen Tagesgeschäft“

der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes

Tel.: 0761/20011700

21.-23.9.:

Online-Fortbildung „Agile Führungsansätze - Soziale Organisationen für die Zukunft ausrichten“

der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes

Tel.: 0761/2001700

26.9.:

Online-Fortbildung „Flucht und Behinderung - Rechtliche Möglichkeiten in der Flüchtlings- und Behindertenhilfe“

der Bundesakademie für Kirche und Diakonie

Tel.: 030/48837-495