sozial-Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser,




Dirk Baas
epd-bild/Heike Lyding

das jüngste Änderungsgesetz beim BAföG steht schon wieder in der Kritik - die hohe Inflation fresse avisierte finanzielle Vorteile wieder auf. Doch es gibt auch die Forderung nach einer ganz neuen Form der Ausbildungsförderung. Denn 89 Prozent der Studierenden erhalten derzeit gar kein BAföG. Damit hängt ein Studium faktisch an der Unterstützung durch die Eltern und an studentischen Nebenjobs. Doch die sind wegen Corona massenhaft weggefallen - ein Situationsbericht.

Fast 100.000 meist junge Menschen sind im Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ) oder im Bundesfreiwilligendienst aktiv. Und dennoch hat Bundespräsident Steinmeier eine soziale Pflichtzeit ins Gespräch gebracht. Doch die Bundesregierung sieht keinen Handlungsbedarf und erteilte der Idee eine höfliche Absage. Auch die großen Sozialverbände sind grundsätzlich gegen Pflichteinsätze. Zustimmung kommt indes vom großen diakonischen Träger Bethel.

Der Migrationsforscher Marcus Engler sieht im Plan von SPD-Innenministerin Nancy Faeser, Geduldeten unter bestimmten Voraussetzungen ein Chancen-Aufenthaltsrecht zu geben, einen wichtigen und richtigen Schritt. „Dieser Ansatz steht in einem deutlichen Kontrast zur Migrationspolitik der vorherigen Bundesregierung unter Innenminister Horst Seehofer (CSU)“, sagt der Sozialwissenschaftler im Interview mit epd sozial. Von einem großen Wurf will er beim Chancen-Aufenthaltsrecht noch nicht sprechen: „Aber die Richtung stimmt insgesamt.“

Die Lage in vielen Kitas ist dramatisch - und nicht erst seit Corona. Jetzt belegt eine neue Studie, wie unzufrieden Fachkräfte in Kindertagesstätten tatsächlich sind. Knapp zwei Drittel der Befragten halten die Personalschlüssel für unzureichend, um den Bedürfnissen der Kinder gerecht zu werden. Jede zweite Kindertagesstätte kann ihre Kapazitäten wegen des anhaltenden Fachkräftemangels nicht vollständig auslasten - höchste Zeit, dass die Politik gegensteuert.

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Dirk Baas




sozial-Politik

Bildung

Studentin: "Von einem auf den anderen Tag war mein Gehalt bei null"




Studierende in der Uni-Mensa
epd-bild/Detlef Heese
Franziska Zagura (23) war im vierten Semester ihres Bachelorstudiums. Dann kam Corona. Im Lockdown verlor sie ihren Job. BAföG erhielt sie trotzdem nicht. Doch selbst wer die staatliche Hilfe für sein Studium bekommt, muss sich oft nach der Decke strecken.

Nürnberg, Düsseldorf (epd). Franziska Zagura arbeitete seit Beginn ihres Studiums als Nachhilfelehrerin bei der Schülerhilfe in Nürnberg, um sich ihre Ausbildung zur Medizinjournalistin an der Hochschule Ansbach zu finanzieren. Pro Woche hatte sie fünf Kurse, für eineinhalb Stunden erhielt sie 18 Euro. Dann kam im März 2020 Corona: „Von dem einen auf den anderen Tag ging mein monatlicher Lohn von rund 360 Euro runter auf null,“ sagt sie.

Etwa 40 Prozent der Studierenden verloren in der Pandemie ihren Job, wie eine Umfrage des Personaldienstleisters Zenjob ergab. Der Bund gewährte in finanzielle Not geratenen Studierenden eine monatlich zu beantragende Überbrückungshilfe von bis zu 500 Euro. Zagura: „Der Corona-Zuschuss kam erst im Herbst und nicht, als ich ihn am meisten benötigt hätte.“ Jeder dritte Studierende in Deutschland lebt laut Paritätischem Wohlfahrtsverband unterhalb der Armutsgrenze - unter BAföG-Beziehenden sind es 44,9 Prozent.

Zuschuss kam verzögert

Die neue Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) will erreichen, dass die gesunkene Zahl der BAföG-Beziehenden wieder steigt. So wurde nach einem Kabinettsbeschluss die Altersgrenze auf 45 Jahre erhöht. Der Vermögensfreibetrag soll auf 45.000 Euro steigen. Auch der Förderungshöchstsatz soll zum Wintersemester 2022/2023 von 861 Euro auf 931 Euro erhöht werden. Das klingt zunächst einmal gut, wenn da nicht die hohe Inflation von 7,9 Prozent wäre. Auf Anfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) teilte das Ministerium mit, es plane weitere Verbesserungen bei der Ausbildungsförderung.

Ulrich Müller vom Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) in Gütersloh hält die beschlossenen Anpassungen für unzureichend: „Die BAföG-Reformen kamen in den letzten zehn Jahren immer zu spät, waren immer zu zurückhaltend und zu kleinteilig.“ Das jetzige Änderungsgesetz sehe er als Art „provisorische Brückentechnologie“. Er hofft auf weitere Änderungen, denn ein Studium müsse auch ohne fehlende Hilfe der Eltern möglich sein. „89 Prozent der Studierenden erhalten kein BAföG. Damit hängt ein Studium faktisch an der Unterstützung durch die Eltern und an studentischen Nebenjobs.“ Eine regelmäßige Anhebung der Bemessungsgrenzen und Fördersätze wäre beim Gegensteuern hilfreich.

Studentin mit achtjähriger Tochter

Auch die Studentin und alleinerziehende Mutter Jennifer Schulte hatte während des Lockdowns mit Geldmangel zu kämpfen: „Ohne die Unterstützung meiner Mutter hätte ich es nicht geschafft“, sagt die 29-Jährige, die in Düsseldorf Kindheitspädagogik und Familienbildung studiert. Sie fordert ein völlig elternunabhängiges BAföG. Und: Die Weiterbewilligungsanträge dauerten zu lange. Nicht nur einmal stand die Mutter einer achtjährigen Tochter ohne Geld da. Auch würden die steigende Inflationsrate sowie die Krankenkassenbeiträge nicht genügend berücksichtigt. „Ich erhalte so viel Geld wie ein Hartz-IV-Empfänger, muss aber noch 110 Euro für meine Krankenversicherung bezahlen.“

Das BAföG wird nun um einen „Notfallmechanismus“ ergänzt, damit auch Studierende vorübergehend BAföG bekommen können, die normalerweise nicht dazu berechtigt sind. Er tritt in Kraft, sobald der Bundestag eine bundesweite Notlage durch Beschluss feststellt. Ziel: Studienabbrüche sollen ebenso verringert werden wie finanzielle Notlagen.

Als es wieder möglich war, nahm Franziska Zagura ihre Nebentätigkeit wieder auf. Doch waren die Stunden reduziert, der Unterricht fand digital und mit wesentlich weniger Gruppen statt: „Ich gab mein geringes Gehalt nur noch für Miete und Essen aus. Es hat gerade so zum Überleben gereicht.“

Stefanie Unbehauen


Bildung

Hintergrund

Das Stichwort: BAföG



Frankfurt a. M. (epd). Das Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) trat am 1. September 1971 in der Kanzlerschaft von Willy Brandt (SPD) in Kraft. Ziel ist bis heute die finanzielle Unterstützung von Schülern und Studierenden während ihrer Ausbildung sowie das Erreichen von mehr Chancengerechtigkeit im deutschen Bildungswesen. Für Auslandsaufenthalte kann das sogenannte Auslands-Bafög beantragt werden.

Völlig neu war eine öffentliche Studienhilfe vor 50 Jahren jedoch nicht. Eine erste Ausbildungsförderung für Studierende gab es bereits 1957 nach dem „Honnefer Modell“. Das Geld wurde aufgrund von Richtlinien vergeben. Gefördert wurden nur Studierende an Universitäten und gleichgestellten Hochschulen mit besonders guten Leistungen.

Einklagbarer Rechtsanspruch

Größte Neuerung im BAföG war der der Rechtsanspruch auf Ausbildungsförderung, der somit auch einklagbar ist. Bis heute ist dadurch eine Rechtssicherheit für Studierende gewährleistet. Seit Beginn der Erhebung im Jahr 1975 wurden laut Statistischem Bundesamt bisher mehr als 36 Millionen Personen durch das BAföG gefördert, davon waren knapp zwei Drittel Studierende. Die gesamte Fördersumme belief sich bis einschließlich 2020 auf 89,7 Milliarden Euro.

Die Höhe der individuellen monatlichen Zahlungen ist abhängig von der Einkommens- und Vermögenssituation Eltern, Ehegatten oder Lebenspartner. Denn sie sind dem Azubi oder Studierenden gegenüber unterhaltspflichtig, auch wenn er schon volljährig ist und aus dem Elternhaus ausgezogen ist. Ähnliches gilt für Ehe- und eingetragene Lebenspartner. Verdienen sie zu viel, sinkt das gezahlte BAföG. BAföG setzt sich zusammen aus einem Kredit, der zurückgezahlt werden muss, und einer staatlichen Förderung.

Immer wieder reformiert

In den zurückliegenden Jahrzehnten ist das Gesetz immer wieder reformiert worden. Das 27. BAföG-Änderungsgesetz führt zu einer Anhebung der Vermögensfreibeträge um 20 Prozent auf 45.000 Euro sowie eine Anhebung der Bedarfssätze des Kinderbetreuungs- und Wohnzuschlags.

Der Förderungshöchstbetrag steigt von 861 Euro auf 931 Euro. Die Altersgrenze, die vorher für Bachelorstudierende bei 30 und für Masterstudierenden bei 35 Jahren lag, wird einheitlich auf 45 Jahre hochgesetzt. Die Antragsstellung sowie die darauffolgende Kommunikation werden digitaler. Das Gesetz soll bereits im Sommer in Kraft treten, für Schülerinnen und Schüler also ab Beginn des neuen Schuljahres im September und für Studierende ab dem Wintersemester 2022/23.



Freiwilligendienst

Höfliche Ablehnung sozialer Pflichtzeit




Aika Causing, Freiwillige im DRK-Krankenhaus in Alzey
epd-bild/Kristina Schäfer
Der Vorstoß des Bundespräsidenten, eine soziale Pflichtzeit für junge Menschen einzuführen, erfährt in Berlin höfliche Ablehnung. "Nicht der richtige Zeitpunkt" oder "eine theoretische Diskussion" lauten die skeptischen Reaktionen. Auch Sozialverbände gingen auf Distanz. Aber aus Bethel kam Zustimmung.

Berlin (epd). Der Vorschlag von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier für eine soziale Pflichtzeit für junge Menschen stößt in der Bundesregierung auf Zurückhaltung. Der stellvertretende Regierungssprecher Wolfgang Büchner verwies am 13. Juni in Berlin auf die bestehenden Freiwilligendienste. Fast 100.000 junge Menschen engagierten sich dort, sagte er mit Blick auf Angebote wie den Bundesfreiwilligendienst oder das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ).

Die Bundesregierung habe sich vorgenommen, das bürgerschaftliche Engagement weiter zu stärken, sagte er. Der Koalitionsvertrag sieht vor, bestehende Freiwilligendienste gegebenenfalls aufzustocken und die Rahmenbedingungen zu verbessern.

Steinmeier: „Soziale Pflichtzeit kann wertvoll sein“

Steinmeier hatte in der „Bild am Sonntag“ eine Debatte über eine sogenannte soziale Pflichtzeit angeregt, die bei der Bundeswehr oder in sozialen Einrichtungen geleistet werden könnte. Es gebe ein wachsendes Verständnis dafür, dass sich Menschen für eine gewisse Zeit für die Gemeinschaft einsetzen. „Gerade jetzt, in einer Zeit, in der das Verständnis für andere Lebensentwürfe und Meinungen abnimmt, kann eine soziale Pflichtzeit besonders wertvoll sein“, sagte der Bundespräsident.

Jan Korte, erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Links-Fraktion sagte, Zwangsdienste aller Art sind ganz grundsätzlich mit einer demokratischen Gesellschaft kaum vereinbar. „Die Regierung muss endlich dafür sorgen, dass die bestehenden freiwilligen Dienste massiv ausgebaut und für junge Menschen attraktiver werden. Den vielen sinnvollen sozialen, kulturellen und ökologischen Projekten in diesem Land mangelt es schon ewig an verlässlicher Unterstützung.“ Die Antwort auf den Mangel an Pflegekräften könne nicht in der Einführung eines neuen Niedriglohnsektors und der schrittweisen Rückkehr zur Wehrpflicht bestehen.

Diakonie ist skeptisch

Auch der Präsident der evangelischen Diakonie, Ulrich Lilie, reagierte skeptisch auf den Vorschlag des Bundespräsidenten. „Freiwilligkeit und persönliche Überzeugung müssen entscheidend bleiben. Besser als eine Dienstpflicht und dringend notwendig wären weitere Anreize und Rahmenbedingungen, damit eine freiwillige Entscheidung für ein soziales Engagement noch breiter möglich wird“, sagte Lilie am Montag in Berlin. Eine Pflichtzeit für junge Menschen käme außerdem zur Unzeit. Sie gehörten, so Lilie, zu den Hauptleidtragenden der Pandemie und hätten sich sehr solidarisch gezeigt.

Der Paritätische Gesamtverband lehnt einen sozialen Pflichtdienst ebenfalls ab. Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider nannte im SWR Aktuell mögliche Motivationsschwierigkeiten bei jungen Leuten als einen der Gründe. „Man müsste auch Menschen rekrutieren, die überhaupt keine Lust haben und vielleicht auch ungeeignet sind. Das wollen wir nicht.“ Das könne beispielsweise in einem Pflegeheim den Bewohnern und Angehörigen nicht zugemutet werden.

Hinzu komme die hohe Anzahl an verpflichteten Jugendlichen. „Dann müsste man 700.000 Schulabgänger jährlich in einen solchen Pflichtdienst hineinstecken.“ Im Moment würden etwa 90.000 junge Leute das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ) absolvieren. Als Alternative schlägt Schneider vor, den Bereich Soziales verstärkt im Schulunterricht zu vermitteln. „Da gehört es hinein, wenn man will, dass alle jungen Leute soziale Erfahrungen sammeln sollen.“

SoVD: Soziale Dienste ausbauen ist bessere Lösung

Der Präsident des Sozialverbandes Deutschland (SoVD), Adolf Bauer, sagte den Funke-Zeitungen, statt einer Dienstpflicht sollten der Gesetzgeber, soziale Einrichtungen und Wohlfahrtsverbände besser den Ausbau der Freiwilligendienste und die Förderung des ehrenamtlichen Engagements forcieren. „Ziel des sozialen Engagements sollte allerdings nicht das Stopfen von Personallöchern in Einrichtungen und Diensten sei“, fügte er hinzu.

Brigitte Döcker, Vorsitzende des AWO-Bundesverbandes, stellte klar: „Als AWO lehnen wir eine Dienstpflicht ab und setzen klar auf Freiwilligkeit. Wir stehen für ein selbstbestimmtes freiwilliges Engagement und sind überzeugt, dass die Freiwilligendienste (FSJ und BFD) dafür einen ausgezeichneten Rahmen bieten.“ Was wir wirklich benötigt werde, sei mehr Wertschätzung und Anerkennung für junge Menschen, die einen Freiwilligendienst leisten. „Dieses freiwillige Engagement noch viel ernster zu nehmen, würde den Gemeinsinn stärken. Das ist aus unserer Sicht auch der richtige Weg, Menschen für soziale Berufsfelder zu interessieren“, saggte Döcker.

Auch die Präsidentin des Pflegerats, Christine Vogler, warnte davor, über eine Dienstpflicht Menschen als „preiswerte Pflegeersatzkräfte“ akquirieren zu wollen. Das würde aus ihrer Sicht weder den jungen Leuten noch den zu Pflegenden gerecht werden. Soziale Verantwortung zu fördern, sei aber ein wichtiges Statement. „Deshalb befürworten wir die Idee einer solchen sozialen Pflichtzeit.“

Bethel-Chef Pohl für Pflichtdienst

Der Vorstandsvorsitzende der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel, Ulrich Pohl, unterstützt dagegen den Vorschlag von Bundespräsident Steinmeier. Pohl verlangte am 13. Juni in Bielefeld die für die Einführung einer Pflichtzeit notwendige Änderung des Grundgesetzes. Alle zivilgesellschaftlichen und politischen Kräfte sollten sich ebenfalls dafür einsetzen, appellierte der Theologe.

Mit einem sozialen Pflichtjahr für alle, das nicht wie der frühere Zivildienst ein Wehrersatzdienst sei, würde man „ein wirkungsvolles neues Instrument zur Stärkung gesellschaftlicher Solidarität schaffen“, argumentierte Pohl. Sozialer Dienst sei „ein Wert an sich“ und müsse nicht mit der Ablehnung des Dienstes an der Waffe begründet sein. Neben der Förderung sozialer Kompetenz und Intelligenz sowie des gesellschaftlichen Zusammenhaltes wäre ein „Allgemeines Soziales Jahr“ unter anderem auch ein Beitrag zu einer Linderung des zu erwartenden Pflegenotstands, so der Bethel-Chef.

Die Kommunen äußerten Zweifel, ob der vorgeschlagene soziale Pflichtdienst in absehbarer Zeit umsetzbar wäre. Es sei eine erhebliche Zeitspanne erforderlich, um die organisatorischen, finanziellen und rechtlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, sagte der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, den Zeitungen der Funke Mediengruppe. „Möglicherweise erfordert eine solche Verpflichtung auch eine Verankerung im Grundgesetz“, sagte Landsberg.

Corinna Buschow, Markus Jantzer


Freiwilligendienst

Ehrenamtlicher Einsatz für die Gesellschaft



Berlin (epd). Seit dem Ende der Wehrpflicht im Jahr 2011 kehrt die Debatte um eine Dienstpflicht für junge Menschen regelmäßig zurück. Vor allem die Union - allen voran die frühere CDU-Parteivorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer - hatte sich in der Vergangenheit dafür ausgesprochen, junge Menschen zu einem Einsatz bei der Bundeswehr oder im sozialen Bereich zu verpflichten. Jetzt brachte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den Vorschlag erneut auf. „Gerade jetzt, in einer Zeit, in der das Verständnis für andere Lebensentwürfe und Meinungen abnimmt, kann eine soziale Pflichtzeit besonders wertvoll sein“, findet er.

Viele Menschen in Deutschland leisten einen sozialen Dienst bereits freiwillig. Wie man den Daten des Bundesfamilienministeriums entnehmen kann, begannen 2021 mehr als 52.000 Menschen ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ), weitere rund 3.200 ein Freiwilliges Ökologisches Jahr (FÖJ). Für diese Freiwilligendienste können sich Jugendliche und junge Erwachsene bis zum Alter von 27 Jahren bewerben.

Älteren steht der Bundesfreiwilligendienst offen

Auch für Ältere steht der Bundesfreiwilligendienst offen, der nach dem Ende der Wehrpflicht und dem damit verbundenen Aus für den Zivildienst zum Juli 2011 eingeführt wurde. 2021 leisteten der Statistik des Ministeriums zufolge mehr als 37.000 Menschen den „Bufdi“. Hinzu kommt noch der Freiwilligendienst des Auswärtigen Amts.

Wahrscheinlich könnte es sogar noch mehr als die derzeit rund 100.000 Freiwilligen gebe - die Interessenten sind da. Träger forderten in der Vergangenheit wiederholt eine Aufstockung der vorhandenen Plätze. Die Nachfrage sei größer als das Angebot, erklärte Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne), die eine Verpflichtung für den Dienst ablehnte.

Ablehnung kam auch von der Wehrbeauftragten des Bundestags, Eva Högl (SPD). Sie ist der Auffassung, dass eine Pflicht derzeit auch der Bundeswehr nichts bringt. Angesichts des Krieges in der Ukraine sei das eine „theoretische Diskussion“, denn jetzt helfe die Wiedereinführung einer Wehrpflicht oder die Einführung einer Dienstpflicht nicht, sagte sie dem epd.

9.200 Freiwillige bei der Truppe

9.200 freiwillig Wehrdienstleistende gibt es laut Verteidigungsministerium aktuell. Wie viele davon den noch recht jungen Freiwilligendienst unter dem Titel „Dein Jahr für Deutschland“ leisten, konnte es am 13. Juni nicht beziffern. Die damalige Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) hatte ihn eingeführt, um mehr junge Rekruten und Rekrutinnen zu gewinnen. In diesem Freiwilligendienst sind Auslandseinsätze ausgeschlossen.

Man setze auf Freiwilligkeit, sagte auch eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums. Das gilt offenbar für die ganze Bundesregierung, denn Skepsis gegenüber dem Vorschlag des Bundespräsidenten gab es auch aus dem Bildungsministerium und von höchster Stelle, dem Kanzleramt. Der Koalitionsvertrag der Ampel sieht jedenfalls auch keinen verpflichtenden Dienst für junge Menschen vor. Er enthält nur Versprechen für das freiwillige Engagement: „Die Plätze in den Freiwilligendiensten werden wir nachfragegerecht ausbauen, das Taschengeld erhöhen und Teilzeitmöglichkeiten verbessern“, heißt es darin.

Corinna Buschow


Arbeit

"Ich habe mich ausgebeutet gefühlt"




Mitte 2021 waren im Schnitt deutschlandweit 784.000 Leiharbeiter beschäftigt.
epd-bild/Gustavo Alàbiso
Seit 50 Jahren ist es in Deutschland erlaubt, Menschen für zeitlich befristete Arbeit an Betriebe auszuleihen. Das Instrument war vom ersten Tag an umstritten: Ist es eine Brücke zu besseren Jobs oder erleichtert es die Ausbeutung von Beschäftigten?

Würzburg (epd). Es sollte nur ein Anfang sein: Als Thomas Gandel (Name geändert) im Anschluss an seine Ausbildung zum Industriemechaniker nur in der Zeitarbeit Jobs fand, griff er zu. Der Würzburger war sicher, bald eine feste Anstellung zu finden. Doch er täuschte sich. „Ich war schließlich bei vier verschiedenen Leiharbeitsfirmen und hatte fast zehn verschiedene Jobs, unter anderem als Helfer in der Industrie und im Ladenbau sowie in der Lagerlogistik“, berichtet der 32-Jährige.

Wie mit Leiharbeiterinnen und Leiharbeitern teilweise umgegangen wird, ist für Gandel nicht zu entschuldigen: „Ich habe mich ausgebeutet gefühlt.“ Leiharbeit steht in der Kritik, seit es sie gibt. Das ist seit genau 50 Jahren der Fall. Bis 1972 war Leiharbeit in Deutschland verboten. Am 21. Juni 1972 stimmte der Deutsche Bundestag dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) einstimmig zu.

„Jetzt werde ich wie ein Mensch behandelt“

Über seinen Einsatz bei einem Wurstproduzenten vor vielen Jahren ist Thomas Gandel heute noch empört. Dort sei „Drecksarbeit“ verlangt worden: „Ich musste zum Beispiel den Fettabscheider reinigen.“ Das sei ein stinkiger, schmieriger und unangenehmer Job gewesen. Für den sei er obendrein auch noch deutlich schlechter bezahlt worden als die fest angestellten Kollegen. Es sei ihm verboten worden, die Kollegen danach zu fragen, was sie denn verdienten: „Ich tat es dennoch.“

Gandel ist froh, dass er endlich der Zeitarbeit entkommen ist: „Ich erhielt vor drei Monaten eine Arbeitsgelegenheit im Würzburger Sozialkaufhaus ‚Brauchbar‘.“ Nun verdient er zwar immer noch nicht viel. Aber der junge Mann fühlt sich endlich an einem Arbeitsplatz wohl. „Ich werde hier wie ein Mensch behandelt.“ Nun hofft er auf einen Berufsweg ohne Zeitarbeit. Das ständige „hire and fire“ habe ihm sehr zugesetzt: „Immer hatte es geheißen, dass ich nach drei Monaten übernommen werde. Meist sagten sie aber nach zwei Monaten, dass die Firma doch kein Interesse an mir hat.“

Erst Hartz-Reformen beflügelten die Leiharbeit

Nach der Einführung durch den Gesetzgeber vor 50 Jahren spielte die Leiharbeit hierzulande zunächst keine große Rolle in Deutschland, erst die Hartz-Reformen verhalfen ihr zu einem Siegeszug. Nach Zahlen der Bundesagentur für Arbeit (BA) in Nürnberg sind aktuell von 100 Beschäftigten zwei in der Leiharbeit tätig. Im ersten Halbjahr Juni 2021 waren es im monatlichen Durchschnitt 784.000 Männer und Frauen. Der Höchststand war im November 2017 mit über einer Million Leiharbeiter erreicht. Mehr als jeder zweite Leiharbeiter übt eine Helfertätigkeit aus.

Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz wurde in den vergangen fünf Jahrzehnten oft reformiert. Vor 40 Jahren kam es zum Verbot der Arbeitnehmerüberlassung im Bauhauptgewerbe. Vor 25 Jahren wurde die Überlassungshöchstdauer von neun auf zwölf Monate verlängert. Vor 20 Jahren wurde sie auf zwei Jahre ausgeweitet. Seit April 2017 muss Leiharbeitern und Leiharbeiterinnen nach neun Monaten der gleiche Lohn wie dem Stammpersonal bezahlt werden. Die Überlassungshöchstdauer wurde auf eineinhalb Jahre reduziert.

Oft unvermeidlicher Schritt zu einer Beschäftigung

Für viele Männer und Frauen sei Zeitarbeit die einzige Möglichkeit, überhaupt erst mal in Arbeit zu kommen, sagt Matthias Schulze-Böing, Vorsitzender des in Offenbach angesiedelten Vereins „Beschäftigungspolitik: kommunal“. Zeitarbeit sei auf jeden Fall besser als Arbeitslosigkeit. „Nur wenige wollen dauerhaft in der Zeitarbeit bleiben“, sagt der Soziologe, der in den 1980er Jahren an der ersten größeren wissenschaftlichen Studie zur Zeitarbeit mitgewirkt hatte.

Nach Ansicht von Schulze-Böing ist es nicht nötig, nach der umfassenden Reform von 2017 in nächster Zeit einen weiteren Gesetzentwurf zur Novellierung des AÜG vorzulegen. „Es wurden in den letzten Jahren schon relativ viele Streben eingezogen“, sagt er. Allerdings gebe es noch immer schwarze Schafe in der Wirtschaft. „Jobcenter und Arbeitsagenturen sollten deshalb immer genau hinschauen, mit wem sie zusammenarbeiten, und nicht einfach jedes Stellenangebot blind bedienen“, appelliert der ehemalige Geschäftsführer des Jobcenters Offenbach.

Die DGB-Gewerkschaften setzten kürzlich höhere Löhne in der Zeitarbeitsbranche sowie mehr Urlaubsgeld und höhere Weihnachtszuwendungen durch. Der aktuellen, in neun Gruppen aufgeteilten Entgelttabelle zufolge müssen Leiharbeiter mindestens 10,88 Euro pro Stunde erhalten. In der Entgeltgruppe 9 sind es 23,72 Euro.

Migranten oft zunächst Leiharbeiter

Vor allem Geflüchtete und Menschen mit Migrationshintergrund akzeptieren zunächst Leiharbeit, um auf dem hiesigen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, beobachtet Jochen Widmann vom „Würzburger Arbeitslosentreff“. Dies sei auch oft die einzige Chance, eine versicherungspflichtige Arbeit zu bekommen: „Hin und wieder gelingt dann auch der Wechsel in die Festanstellung.“ Hierbei müsse man allerdings beachten, dass es sich bei den Arbeitnehmern in der Regel um junge, gesunde und flexible Männer handelt, sagt der Arbeitslosenberater: „Sie unternehmen viel für einen Arbeitsplatz.“

Ralph Stapp von der Katholischen Arbeitnehmerbewegung (KAB) kennt aus seinen Beratungen mehr schlechte als gute Beispiele von Leiharbeit. Nicht einverstanden ist der Aschaffenburger Betriebsseelsorger damit, dass Arbeitsagenturen Leiharbeit „massiv bewerben“.

Widmann liegt es fern, Leiharbeit einfach abzutun. Doch es gebe durchaus Probleme. Schwierig werde es für die Betroffenen immer dann, wenn der Verdienst stark schwankt. Jedes Mal, wenn zum Beispiel Stunden reduziert werden, könne der Leiharbeiter gezwungen sein, zum Jobcenter zu gehen und und einen Hartz-IV-Zuschlag zu beantragen.

Pat Christ


Asyl

Interview

Migrationsforscher: Chancen-Aufenthaltsrecht kein großer Wurf




Marcus Engler
epd-bild/Mehdi Bahmed/DeZIM
Der Migrationsforscher Marcus Engler sieht Ministerin Faesers Plan, Geduldeten unter bestimmten Voraussetzungen ein Bleiberecht zu geben, als wichtigen und richtigen Schritt. Doch für einen echten Paradigmenwechsel in der deutschen Asylpolitik müsse noch mehr passieren. Welche weiteren Reformen nötig sind, erläutert der Sozialwissenschaftler im Interview mit epd sozial.

Frankfurt a.M. (epd). Setzte die Vorgängerregierung unter Innenminister Horst Seehofer (CSU) strikt auf Abwehr und Härte gegen ankommende Flüchtlinge, so atmet der Koalitionsvertrag der neuen Regierung einen anderen Geist. Migrationsforscher Marcus Engler vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) in Berlin begrüßt das. „Es geht vor allem erst einmal darum, das Rad wieder etwas zurückzudrehen und zu einer pragmatischen, liberalen Migrations- und Asylpolitik zurückzukehren, die von Vernunft geprägt ist.“ Die Fragen stellte Dirk Baas.

epd sozial: Herr Dr. Engler, seit Jahren stehen die Kettenduldungen in der Kritik. Jetzt hat Innenministerin Nancy Faeser (SPD) einen Gesetzentwurf vorgelegt, der abgelehnten Asylbewerbern unter bestimmten Bedingungen ein Bleiberecht ermöglicht. Wie ist das zu bewerten?

Marcus Engler: Die Ampel-Regierung hat in ihrem Koalitionsvertrag einen Paradigmenwechsel im Umgang mit Flüchtlingen und Migranten angekündigt. Faesers Gesetzesentwurf ist ein erster Schritt in diese Richtung. Dass die Ministerin jetzt den Gesetzgebungsprozess startet, kommt nicht überraschend. Das, was diese Bundesregierung an Reformen plant, geht aber noch weit darüber hinaus, was Faeser jetzt als „Chancen-Aufenthaltsrecht“ bezeichnet. Das aktuelle Paket enthält zum Beispiel auch Regelungen zum erleichterten Familiennachzug für bestimmte Arbeitsmigrantinnen und -migranten. Zudem soll der Zugang zu Sprachkursen verbessert werden. Später im Jahr will die Regierung weitergehende Reformvorschläge vorlegen, etwa für den Bereich der Arbeitsmigration oder die Migrationsaußenpolitik. Bislang gibt es dazu oft nur Absichtserklärungen. Wir müssen abwarten, ob und was davon dann wie im Detail umgesetzt wird.

epd: Es gibt also schon eine grundsätzlich andere, nicht mehr von Abwehr geprägte Herangehensweise?

Engler: Ja, dieser Ansatz steht in einem deutlichen Kontrast zur Migrationspolitik der vorherigen Bundesregierung unter Innenminister Horst Seehofer (CSU). Das fängt schon mit der Art und Weise an, wie die Ampel-Regierung über Migration spricht. Unter Seehofer wurde Migration überwiegend als Risiko oder Bedrohung dargestellt. Er fürchtete einen Kontrollverlust und setzte fast ausschließlich auf mehr Ordnung und Härte. Zudem war der Politikstil der vergangenen Regierung von einem permanenten Krisenmodus geprägt. Sie handelte oft unter hohem Zeitdruck, was zur Folge hatte, dass etwa NGOs oder Verbände im Anhörungsprozess zu Gesetzen mitunter nur ein, zwei Tage Zeit hatten, sich zu äußern. Und äußerst selten wurde dann etwas aus deren Stellungnahmen in die Gesetze aufgenommen. Auch das spricht Bände. Die vorherige Bundesregierung hatte die Chancen von Migration zuletzt völlig aus dem Blick verloren.

epd: Und jetzt?

Engler: Jetzt deutet sich ein Neustart an. Der Koalitionsvertrag lässt das erwarten. Und auch zahlreiche Äußerungen von Regierungsmitgliedern deuten darauf hin. Es dürfte auch einen anderen Politikstil geben, eine Rückkehr zu normalen, geordneten Gesetzgebungsverfahren und ernst gemeinten Konsultationen. Das sollte in liberalen und partizipativen Demokratien eigentlich selbstverständlich sein. Ich würde mir wünschen, dass wir wieder breitere inhaltliche Debatten über Migration und Asyl führen, die nicht alleine von sicherheitspolitischen Erwägungen dominiert werden. Ich gehe allerdings davon aus, dass es zu diesen Themen weiterhin kontroverse Auseinandersetzungen geben wird.

epd: Da spielen doch sicher nicht alleine humanitäre Überlegungen ein Rolle ...

Engler: Ich denke nicht ausschließlich. Aber wie schon gesagt: es geht vor allem erst einmal darum, das Rad wieder etwas zurückzudrehen und zu einer pragmatischen, liberalen Migrations- und Asylpolitik zurückzukehren, die von Vernunft geprägt ist. Für das „Chancen-Aufenthaltsrecht“ gibt es ein Bündel an Motiven. Sicher gibt es dafür auch humanitäre Gründe: man will vielen Menschen ersparen, mit einem unsicheren Aufenthaltsstatus leben zu müssen. Über Jahre mit einer lediglich temporären Duldung leben zu müssen ist, eine sehr belastende Situation. Davon sind oft ganze Familien betroffen. Mit dem Chancen-Aufenthaltsrecht" kehrt jetzt auch wieder eine Form von Pragmatismus in die Migrationspolitik ein.

epd: Was naheliegend ist, denn viele Menschen werden ohnehin bleiben ...

Engler: Ja. Auch viele geduldete Personen werden langfristig in Deutschland leben. Und dann spielt auch der Bedarf an Arbeitskräften eine Rolle. Die Wirtschaft sucht händeringend nach Mitarbeitenden. Die kann sie natürlich auch unter den Geflüchteten finden, die im Land bleiben können. Aber klar sehen muss man auch, dass die neue Regelung nur einen begrenzten Personenkreis betrifft und die Probleme auf dem Arbeitsmarkt alleine sicher nicht lösen wird.

epd: Ist der Entwurf von Ministerin Faeser schon der große Wurf oder nicht mehr als ein erster Schritt, dem viele weitere folgen müssen?

Engler: Von einem großen Wurf würde ich noch nicht sprechen. Aber die neue Richtung stimmt insgesamt. Die Bundesregierung muss aber an vielen Stellschrauben drehen, und restriktive Entscheidungen der Vorgängerregierung rückgängig machen. Die große Koalition hat vor allem seit Ende 2015 viele Bestimmungen in der Asylpolitik verschärft, die Rechte vieler Flüchtlinge beschränkt und somit deren Partizipation am gesellschaftlichen Leben erheblich erschwert.

epd: Welche Rolle in der aktuellen Debatte um Reformen im Asylrecht spielt der Ukraine-Krieg?

Engler: Viele Geflüchtete, die schon länger in Deutschland leben, fühlen sich im Vergleich mit den Menschen, die vor dem Krieg in der Ukraine fliehen, ungerecht behandelt. Letztere erhalten ja jetzt unmittelbar Zugang zum Arbeitsmarkt und Integrationskursen. Auch vor diesem Hintergrund ist es sinnvoll, auch Geflüchteten aus anderen Staaten einen schnelleren Zugang zu Integrationskursen und zum Arbeitsmarkt zu gewähren.

epd: Vor diesem Problem steht Deutschland ja nicht alleine ..

Engler: Richtig, alle modernen Einwanderungsgesellschaften stehen vor der Herausforderung, wie sie mit Menschen umgehen sollen, die in ihrem Land leben, aber kein Aufenthaltsrecht haben. Denken Sie an die Millionen irregulärer Einwanderer in den USA oder die vielen Sans Papiers in Frankreich. Welche Optionen haben Regierung? Sie können tolerieren, dass hunderttausende Menschen einfach im Land sind, oft illegal arbeiten, womöglich ausgebeutet werden, weil sie rechtlos sind, und eventuell keine Steuern und Abgaben zahlen. Oder sie versuchen, diese Menschen zur Rückkehr zu bewegen - auf „freiwilliger“ Basis oder durch Abschiebungen, die ganz oft aus verschiedensten Gründen scheitern. Als dritte Möglichkeit bleibe der Politik, den zu legalisieren - und das passiert hier bei uns gerade. In der Praxis nutzen Regierungen oft alle drei Optionen gleichzeitig. Nur eben mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Auch im Koalitionsvertrag ist ja die Rede von einer „Rückkehroffensive“.

epd: Wie viele Geduldete könnten von den geplanten Reformen profitieren?

Engler: Rund 242.000 Menschen sollen Ende 2021 in Deutschland mit einer Duldung gelebt haben, sagt die Bundesregierung - etwas weniger als die Hälfte davon, knapp 105.00 Menschen, seit fünf Jahren oder länger. Viele dieser Menschen stammen übrigens aus fragilen Staaten wie Afghanistan, dem Irak oder Nigeria, in die sie auf absehbare Zeit häufig nicht in Sicherheit zurückkehren können. Das ist keine sehr hohe Zahl, und nur ein Teil dieser 105.0000 Menschen wird vom Chancen-Aufenthaltsrecht profitieren. Denn auch hier gibt es Hürden, die genommen werden müssen.

epd: Sie müssen ihre Identität nachweisen. Das aber ist mitunter schwierig ...

Engler: Ja, viele Geduldete können oder wollten das nicht. Dahinter stecken aber - anders, als etwa viele Unions-Politiker meinen - in der Regel keine kriminellen Motive und auch nicht die Absicht, den Staat zu betrügen. Häufig ist es sehr kompliziert und mit beachtlichen Kosten verbunden, sich Ausweispapiere zu verschaffen. Das schreckt viele ab. Außerdem gibt es wenig Anreize, sich Papiere zu beschaffen. Viele europäische Staaten haben sich zunehmend vom Völkerrecht abgewendet, schieben Flüchtlinge an ihren Grenzen mit Härte zurück und machen auch vor Abschiebungen in Staaten wie Afghanistan nicht Halt. Vor dieser Politik versuchen sich manche Menschen schlichtweg zu schützen.

epd: Wie sind die anderen Voraussetzungen zu beurteilen, die erfüllt sein müssen, um ein Bleiberecht zu erlangen?

Engler: Das kommt auf viele Details an. Bereits im aktuellen Aufenthaltsgesetz finden sich in § 25 Regelungen, die ein Bleiberecht möglich machen. Für viele Menschen sind diese Hürden bislang aber zu hoch. Das Chancen-Aufenthaltsrecht soll ihnen helfen, diese Hürden zu überwinden. Entscheidend ist aber, dass die davon betroffenen Menschen während der zwölf Monate, die ihnen dafür gegeben werden, auch tatsächlich effektive Unterstützung erhalten. Die Beherrschung der deutschen Sprache auf dem Niveau A2 zu fordern, ist angemessen: Deutschkenntnisse sind eine Minimalvoraussetzung, um an dieser Gesellschaft teilnehmen zu können. Aber es muss sichergestellt werden, dass diese Menschen auch an einem Sprachkurs teilnehmen können. Im Aufenthaltsgesetz steht außerdem, dass man sein Lebensunterhalt überwiegend durch Erwerbstätigkeit bestreiten können muss. Man muss also nicht finanziell völlig auf eigenen Füßen stehen, sondern kann zum Beispiel noch Wohngeld erhalten. Aber auch hier ist es entscheidend, dass die betroffenen Personen, die Unterstützung erhalten, die sie benötigen. Viele durften in der Vergangenheit gar nicht arbeiten.

epd: Werfen wir noch einen Blick auf die Bedenken der Union gegen das Chancen-Aufenthaltsrecht. Die Konservativen warnen vor einem deutschen Sonderweg. Wie bewerten Sie die Kritik?

Engler: Ich halte das für vollkommen übertrieben. Da wird so getan, als ob jeder jetzt automatisch ein Bleiberecht bekommen soll, auch wenn sein Asylantrag abgelehnt wurde. Das ist aber nicht so. Richtig ist, dass das europäische Asylrecht alles andere als großzügig ist, und über Jahre in seinen Grundfesten ausgehöhlt wurde. Das hat zu den Dramen geführt, die sich an den EU-Außengrenzen abspielen. Das Verhalten vieler Staaten ist völkerrechtswidrig. Richtig ist aber auch, dass auch andere EU-Staaten in der Vergangenheit immer wieder den Aufenthalt von Menschen ohne Bleiberecht in ihren Ländern legalisiert haben, wenn sie es aus humanitären oder pragmatischen Gründen für richtig hielten. Was Deutschland jetzt plant, ist nur, zu den europäischen Grundwerten zurückzukehren. Wenn wir in Europa insgesamt wieder stärker zu einer humanitär ausgerichteten Flüchtlings- und Migrationspolitik zurückfinden und nicht nur die Menschen, die jetzt aus der Ukraine flüchten, großzügig aufnehmen würden, dann würden wir Hunderttausende von Menschen europaweit in Zukunft nicht mehr länger über Jahre hinweg in einer prekären Situation lassen.



Asyl

Psychosoziale Zentren: Mehr Menschen aus der Duldung holen



Berlin (epd). Die Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAfF) hat sich kritisch zu Plänen der Bundesregierung geäußert, Geduldeten ein dauerhaftes Aufenthaltsrechts zu geben. „Das Gesetz könnte viele Menschen aufgrund der hohen Hürden ausschließen“, heißt es in einer am 13. Juni veröffentlichten Mitteilung.

Nach einem Entwurf von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) soll ein sogenanntes Chancen-Aufenthaltsrecht eingeführt werden. So sollen Menschen, die sich seit mindestens fünf Jahren geduldet in Deutschland aufhalten und zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennen, nicht straffällig geworden sind und nicht über ihre Identität getäuscht haben, eine einjährige Aufenthaltserlaubnis erhalten.

Kritik an verschärften Regelungen

Der Dachverband der Psychosozialen Zentren begrüße, dass die Kettenduldungen beendet und die Menschen eine Aufenthaltserlaubnis erhalten sollen. Problematisch an dem Entwurf aus dem Ministerium sei allerdings, dass viele Personen vermutlich von der geplanten Regelung ausgeschlossen werden, weil sie nicht in Besitz eines Passes sind. „Berichte aus der Praxis zeigen, dass die Identitätsklärung und Passbeschaffung für geflüchtete Menschen mitunter sehr schwierig sein können.“

Außerdem hätte der Koalitionsvertrag den Ausschluss vom Bleiberecht wegen angeblicher Täuschung über die Identität bislang nicht vor. „Somit könnte die Regelung vom Bundesinnenministerium viel restriktiver umgesetzt werden als ursprünglich verhandelt“, so der Verband.

„Als BAfF fordern wir: Menschen mit Fluchterfahrungen brauchen eine echte Zukunftsperspektive und eine möglichst rasche Herstellung eines sicheren Lebensumfeldes“, sagte Geschäftsleiter Lukas Welz: „Die Kettenduldungen können zu großen psychischen Belastungen führen, daher braucht es eine gesetzliche Regelung, die möglichst vielen Menschen hilft.“



Kommunen

Zehn deutsche Kommunen testen "Zukunftsräte"




Schleichender Verfall: unsaniertes Haus in einem Dorf in Sachsen
epd-bild/Jens Trenkler
Es geht um eine "enkeltaugliche" Zukunft. Zehn deutsche Kommunen wählen per Losverfahren Bürgerinnen und Bürger in einen Zukunftsrat. Dieser soll der lokalen Politik Vorschläge unterbreiten, was vor Ort anders und vor allem besser gemacht werden kann.

Berlin (epd). In einem Modellprojekt setzen zehn ausgewählten Kommunen in Deutschland sogenannte Zukunftsräte ein. Die Räte bestehen aus 20 aus den Melderegistern ausgelosten Bürgerinnen und Bürgern und sollen mithilfe eines professionellen Moderationsteams Empfehlungen für die Kommunalpolitik entwickeln, kündigten der Verein Mehr Demokratie e.V. und das Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS Potsdam) als Projektverantwortliche am Dienstag in Berlin an. Es gehe dabei um eine „enkeltaugliche“ Zukunft der Kommunen. Der erste Zukunftsrat soll am Wochenende in Flecken Ottersberg bei Bremen tagen.

Das Losverfahren ermögliche den Kommunen, andere als die „üblichen Verdächtigen“ zu erreichen und eine möglichst diverse Gruppe zusammenzustellen, hieß es. Professionelle Prozessbegleitende würden die Sitzungen und späteren Beteiligungsveranstaltungen moderieren. Sie sollen zudem helfen, die Ergebnisse in der lokalen Politik umzusetzen.

„Kommune ist Herzkammer der Demokratie“

Gefördert wird das Projekt „Losland - Zukunft vor Ort gestalten“ von der Bundeszentrale für Politische Bildung. Beteiligt sind neben dem Flecken Ottersberg Ludwigsfelde in Brandenburg, Leupoldsgrün und Lindau am Bodensee in Bayern, Augustusburg und Rietschen in Sachsen, Coesfeld und Gütersloh in Nordrhein-Westfalen, das niedersächsische Varel und Efze in Hessen.

Die „Zukunftsräte“ in den „Losland“- Kommunen ermöglichten es den Bürgern, ihre Ideen und ihr Wissen über ihren Ort einzubringen und ihr Zusammenleben jenseits von Filterblasen zu diskutieren. „Die Herzkammer der Demokratie ist die Kommune“, sagte der parteilose Augustusburger Bürgermeister Dirk Neubauer: „Wenn wir wollen, dass Leute Sinn und Inhalt und Kraft der Demokratie erlernen und erleben können, dann geht das nur hier.“

Initiatorinnen des Projektes sind die Partizipationsexpertin Patrizia Nanz und der Journalistin Marie von Mallinckrodt. „Wir leben in einer Umbruchphase voll komplexer Herausforderungen: Klimawandel, Migration, Digitalisierung. Unsere Demokratie braucht hier nicht mehr “Durchregieren„ von oben, sondern mehr Dialog und gemeinsames Gestalten“, sagte die Politikwissenschaftlerin Nanz.

Bürgermeisterin: Wo sind wir betriebsblind?

Die Bürgermeisterin der kleinsten „Losland“-Kommune Leupoldsgrün, Annika Popp (CSU), sieht in dem Projekt eine „super Möglichkeit, Bürgerbeteiligung mal auszuprobieren und der Politikverdrossenheit vorbeugen“. Die Lokalpolitik bekomme Input und könne sich hinterfragen, „wo sind wir zu sehr in eingefahrenen Fahrwassern, wo sind wir betriebsblind?“

Ihr Amtskollege aus dem sächsischen Rietschen sagte, er habe das Gefühl, dass gerade in Ostdeutschland viele Menschen die Mechanismen der Demokratie noch nicht verstünden. „Angefangen mit Menschen, die den Staat in Frage stellen, bis hin zu Leuten, die immer dagegen sind und meinen, alles besser zu wissen“, sagte der SPD-Politiker Ralf Brehmer: „Daher die Idee, die Leute vorher zu fragen und verschiedene Meinungen einzuholen.“

„Wir warten mit großem Interesse auf die Ergebnisse des Modellprojektes und werden sicher die eine oder andere Anregung in unsere Arbeit einfließen lassen“, sagte der Präsident der Bundeszentrale, Thomas Krüger.

Markus Geiler


Corona

Studie: Kampagnen und Schulschließungen halfen besonders gegen Pandemie



Kiel (epd). Schulschließungen und Informationskampagnen haben abgesehen von medizinischen Maßnahmen einer Studie zufolge am besten gegen Ansteckungen in der Corona-Pandemie geholfen. Informationskampagnen senkten die Reproduktionszahl und damit die Anzahl an Menschen, die eine infizierte Person im Durchschnitt ansteckt, um 0,35 und Schulschließungen um 0,24, wie das Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW) am 13. Juni mitteilte. Medizinische Maßnahmen wie Impfen oder die Behandlungen durch medizinisches Personal wurden in der Studie nicht untersucht.

Corona-Tests, Kontaktnachverfolgung und internationale Reisebeschränkungen trugen ebenfalls deutlich zum Infektionsschutz bei. Auch die Absage öffentlicher Veranstaltungen, Homeoffice und Einschränkungen bei privaten Treffen hätten nachweislich die Reproduktionszahl gesenkt, hieß es. Dagegen brachten lokale Reisebeschränkungen und Stoffmasken in der ersten Corona-Welle keinen statistisch messbaren Erfolg.

Hohe Wirksamkeit von Info-Kampagnen

„Die hohe Wirksamkeit von Informationskampagnen erklärt sich wohl aus ihrer Rolle als Wegbereiter vieler weiterer Maßnahmen“, sagte Studienautor Alexander Sandkamp. Die Bereitschaft von Menschen, Infektionsschutzmaßnahmen überhaupt umzusetzen, sei durch die Kampagnen maßgeblich gestiegen. Aus der hohen Wirksamkeit einer Maßnahme folge aber nicht automatisch die Empfehlung zur Umsetzung, wenn wie im Fall von Schulschließungen die negativen Folgen stark seien, so Sandkamp.

Für die Studie wurden 2020 in 182 Ländern 14 sogenannte nicht-pharmazeutische Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie und die Entwicklung der Reproduktionszahl analysiert. Die Ergebnisse beziehen sich auf die Wirksamkeit der Maßnahmen im Durchschnitt über alle untersuchten Länder und seien prinzipiell auch auf künftige Pandemien übertragbar, hieß es.



Bundesregierung

Ministerin Paus gibt Startschuss für Strategie gegen Einsamkeit



Berlin (epd). Mit einer Konferenz gemeinsam mit Fachkräften aus der Sozialen Arbeit, aus Forschung sowie Wohlfahrtsverbänden hat Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) am 14. Juni die Arbeit an einer Strategie gegen Einsamkeit gestartet. Sie solle bis Ende der Legislaturperiode in einem breiten Beteiligungsprozess entstehen und gemeinsam mit dem Kompetenznetz Einsamkeit umgesetzt werden, heißt es in einer in Berlin veröffentlichten Mitteilung.

Ihr Ministerium wolle das Thema politisch und wissenschaftlich genauer betrachten, so Paus. Wie kann Einsamkeit vorgebeugt, wie kann sie bekämpft werden? „Einsamkeit betrifft viele Menschen. Häufig sind es die Älteren unter uns, deren Partner oder Partnerin gestorben ist, deren Freundeskreis kleiner wird oder die nicht mehr mobil genug sind, um das Haus zu verlassen. Aber auch viele jüngere Menschen kennen das Gefühl der Einsamkeit und leiden darunter, wie sich gerade während der Corona-Pandemie gezeigt hat.“

Blicke aus verschiedenen Perspektiven

Für eine erfolgreiche Strategie gegen Einsamkeit seien unterschiedliche Perspektiven notwendig, weil Einsamkeit ein vielfältiges gesellschaftliches Phänomen sei: „Dafür legen wir heute den Grundstein“, so die Ministerin.

Benjamin Landes, Direktor des Instituts für Sozialarbeit und Sozialpädagogik und Leiter des Projekts Kompetenznetz Einsamkeit (KNE), sagte, man wolle mit der Konferenz einerseits zur Sensibilisierung für das Thema Einsamkeit beitragen und andererseits die Debatte in Deutschland mit vielfältigen Impulsen bereichern. Dazu werde das Thema aus internationaler, wissenschaftlicher, zivilgesellschaftlicher, sowie politischer Perspektive betrachtet. „Dabei legen wir den Fokus besonders auf die Praxis der Aktiven im Engagement sowie der Sozialen Arbeit und wollen damit einen Beitrag zur Verbesserung der Vorbeugung und Bekämpfung von Einsamkeit leisten.“

Gelder für zahlreiche Modellversuche

Über das Programm des Malteser Hilfsdienstes „Miteinander Füreinander“ sollen an rund 110 Malteser-Standorten besonders hochbetagte Seniorinnen und Senioren erreicht werden. Mit dem Programm Stärkung der Teilhabe Älterer - Wege aus der Einsamkeit und sozialen Isolation im Alter aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF) werden bis Oktober 2022 29 Modellprojekte gefördert, die ungewollter Einsamkeit und zugleich Altersarmut entgegenwirken.

Ab Oktober 2022 schließt sich den Angaben nach ein weiteres ESF Plus Programm zur Stärkung der Teilhabe älterer Menschen an. Bis zum September 2027 können rund 80 Projekte mit sozial neuartigen Angeboten gefördert werden. Zudem helfen die bundesweit vom Ministerium geförderten 530 Mehrgenerationenhäuser, Isolation sowie Einsamkeit zu verhindern.




sozial-Branche

Kinderbetreuung

Umfrage des Paritätischen: Qualitätsmängel in Kitas




Vielen Kitas fehlen die personellen Kapazitäten, sich um die Sprachförderung zu kümmern.
epd-Bild/Jens Schulze
Fachkräfte in Kindertagesstätten sind überwiegend unzufrieden mit ihren Arbeitsbedingungen und sehen Defizite bei der Betreuung der Kinder. Das geht aus einer Umfrage des Paritätischen Gesamtverbandes hervor, die am 13. Juni in Berlin veröffentlicht wurde. Neu sind die Nöte nicht, doch durch Corona spitzte sich die Lage in vielen Kitas zu.

Berlin (epd). Der jüngste Kita-Bericht des Paritätischen Gesamtverbandes basiert auf einer Umfrage bei über 1.000 Kindertageseinrichtungen aus dem gesamten Bundesgebiet. Und er muss als Indiz für eine sehr angespannte Situation in der öffentlichen Kinderbetreuung gesehen werden. Der Paritätische fordert angesichts dieser alarmierenden Befunde konzertierte Anstrengungen aller politischen Ebenen zur Qualitätsentwicklung und Fachkräftegewinnung.

Knapp zwei Drittel der Befragten halten die Personalschlüssel für unzureichend, um den Bedürfnissen der Kinder gerecht zu werden. Jede zweite Kindertagesstätte kann ihre Kapazitäten wegen des anhaltenden Fachkräftemangels nicht vollständig auslasten. Ein Drittel der Pädagoginnen und Pädagogen erklärten, die Finanzmittel reichten für eine ausgewogene Ernährung der Kinder nicht aus.

Strukturelle Defizite werden nicht nur bei den Personalschlüsseln, sondern etwa auch im Bereich der Kita-Finanzierung ausgemacht. Neu- und Ersatzanschaffungen seien kaum selbstverständlich.

Wohlhabende Gegenden im Vorteil

In Einrichtungen, die viele sozial benachteiligte Kinder betreuen, bewerten die Fachkräfte ihre Möglichkeiten und Mittel durchweg schlechter als in wohlhabenden Gegenden. Das betrifft der Studie zufolge auch die Sprachförderung.

Insgesamt gehen 60 Prozent der Umfrageteilnehmer davon aus, dass sie mit dem gegenwärtigen Personalschlüssel den Bedürfnissen der ihnen anvertrauten Kinder nicht gerecht werden können. Kindertageseinrichtungen in benachteiligten Sozialräumen sind davon besonders betroffen.

Genau dieser Zusammenhang wurde erstmals untersucht. Der Befund: Unabhängig von der Pandemie fehlt es insbesondere für Kitas in benachteiligten Sozialräumen an gezielter Unterstützung. „Die Fachkräfte vor Ort leisten Tag für Tag Enormes unter vielerorts wirklich schweren Bedingungen. Gerade dort, wo viele Kinder in Armut aufwachsen oder auf besondere Unterstützung angewiesen sind, klagen auch die Kitas über schlechtere Ausstattung. Hier braucht es dringend gezielte und bessere Unterstützung”, forderte Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider: “Im gegenwärtigen System, das zeigt die Umfrage, bekommen insbesondere Kinder mit Benachteiligungen häufig nicht die Unterstützung, die sie bräuchten. Das muss sich ändern", schreibt Schneider im Vorwort der Studie.

Große Defizite in der Sprachförderung

Defizite belegt die Studie dabei unter anderem im Bereich der Sprachförderung: Je höher die sozialräumliche Benachteiligung, desto größer ist die Zahl der Kinder mit Unterstützungsbedarf bei der sprachlichen Bildung. Gleichzeitig könne dieser Bedarf mit dem gegenwärtigen Personalschlüssel überwiegend nicht gedeckt werden.

Auch die Ausbildung steht in der Kritik: Rund 40 Prozent der Teilnehmenden sind der Auffassung, dass die Ausbildung der Erzieherinnen nicht ausreichend auf den Kita-Alltag vorbereitet. Für die Anwerbung von Nachwuchs komme erschwerend hinzu, dass Fachkräfte sehr selten Aussicht auf Aufstiegsmöglichkeiten haben und zusätzliche Qualifikationen nur selten zu höheren Gehältern führen.

Gelder aus dem Gute-Kita-Gesetz anders einsetzen

An der Kita-Umfrage zur Qualität der Betreuung nahmen nach Angaben des Paritätischen 1.171 Fach- und Leitungskräfte aus Einrichtungen im gesamten Bundesgebiet teil. Ausgewertet wurden die Antworten in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern der Universität Osnabrück.

Der Verband will mit der Studie dazu beitragen, dass die Mittel aus dem sogenannten Gute-Kita-Gesetz da investiert werden, wo sie am dringendsten gebraucht werden. Ulrich Schneider: "Die Befunde sind erschütternd. Es ist schon ein Armutszeugnis, wenn es uns in diesem reichen Land nicht gelingt, jedem Kind eine gesunde Mahlzeit, bestmögliche Förderung in der individuellen Entwicklung und eine möglichst unbeschwerte Kindheit zu ermöglichen.”

Bettina Markmeyer, Dirk Baas


Kinderbetreuung

Dokumentation

Paritätischer: Kitas ausbauen, Personal sichern, Schulgeld abschaffen



Fachkräfte in Kindertagesstätten sind überwiegend unzufrieden mit ihren Arbeitsbedingungen und sehen Defizite bei der Betreuung der Kinder. Das geht aus einer Umfrage des Paritätischen Gesamtverbandes hervor, die am 13. Juni in Berlin veröffentlicht wurde. Der Verband reagiert mit einem eigenen Forderungskatalog, den epd sozial dokumentiert:

Berlin (epd). Die Corona-Pandemie hat den Wert und die Bedeutung der Kindertagesbetreuung als systemrelevanten Bereich für Familien und die Gesellschaft einmal mehr eindrucksvoll unterstrichen. Die Pandemie hat aber auch die Schwachstellendes Systems deutlich gemacht. Bund, Länder und Kommunen sind gleichermaßen gefordert die frühkindlichen Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsangebote so auszugestalten, dass sie ihrem Auftrag, auch in Krisenzeiten, uneingeschränkt gerecht werden können. Vor diesem Hintergrund fordert der Paritätische Gesamtverband:

1. Bund, Länder und Kommunen müssen sich dauerhaft an der Qualitätsentwicklung in der Kindertagesbetreuung beteiligen. Eine langfristige Planung und die Weiterentwicklung der Rahmenbedingungenbedürfen nachhaltiger Vereinbarungen und Verbindlichkeit.

2. Bedarfsgerechte und nachhaltige Finanzierungssysteme für die Kindertagesbetreuung müssen im Zuge der Qualitätsentwicklung eingeführt werden. Die in vielen Bundesländern übliche Beteiligung der Träger an den Kosten für die Kindertagesbetreuung schwächt die Handlungsfähigkeit von Trägern, steht dem weiteren Ausbau von Plätzen im Weg und ist angesichts des Rechtsanspruchs auf eine Kindertagesbetreuung nicht angemessen.

3. Kindertageseinrichtungen in benachteiligten Sozialräumen müssen personell besser ausgestattet und gezielt mit Fachberatung unterstützt werden. Gleichzeitig ist insbesondere in sozial benachteiligten Quartieren die Anbindung von Kindertageseinrichtungen an Familienzentren besonders wertvoll und muss gezielt gefördert werden.

4. Weitere Investitionen zum Ausbau von Plätzen in der Kindertagesbetreuung sind aufgrund der weiterhin hohen ungedeckten Nachfrage notwendig. Da es genauso wichtig ist, bestehende Betreuungsplätze zu erhalten, sollten auch Mittel für Sanierung und Modernisierung von Gebäuden zur Verfügung gestellt werden.

5. Die Länder müssen verbindlich festlegen, dass sie langfristig die wissenschaftlich empfohlenen Fachkraft-Kind-Schlüsseln und Leitungsanteile gewährleisten. Dazu müssen zunächst die notwendigen Ausbildungskapazitäten auf- und ausgebaut werden.

6. Sowohl die vollschulische als auch die praxisintegrierte Ausbildung zur Erzieherin/zum Erzieher müssen attraktiver werden. Dazu gehört die vollständige Abschaffung des Schulgeldes, die Zahlung eines angemessenen Ausbildungsentgeltes, ausreichend Zeit für Praxisanleitung sowie die Verbesserung der Lernortkooperation. Zudem müssen die Möglichkeiten für den Quereinstieg und das multiprofessionelle Arbeiten in der Kindertagesbetreuung ausgeweitet werden.

7. Eine pauschale Erhöhung der Personalausstattung für inklusiv arbeitende Kindertageseinrichtungen ist notwendig, um die Umsetzung von Inklusion zu erleichtern. Bürokratische Hürden bei der Umsetzung von Inklusion müssen zudem identifiziert und abgebaut werden.

8. Die besonderen Bedarfe von Kindertageseinrichtungen in benachteiligten Sozialräumen müssen wesentlich stärker im Rahmen des Monitorings und der Bildungsberichterstattung berücksichtigt werden. Weitere Forschung in diesem Bereich ist notwendig



Kinderbetreuung

Verband: Zusätzliche freie Tage sind keine Entlastung für die Teams



Berlin (epd). Der Deutsche Kitaverband ist nicht überzeugt davon, dass die in den Tarifverhandlungen im Sozial- und Erziehungsdienst ausgehandelten zusätzlichen freien Tage zur Entlastung der Fachkräfte in den Kitas führen. Die Bundesvorsitzende Waltraud Weegmann sagte am 13. Juni in Berlin: „Der zweifelsohne individuell sehr wertvolle Nutzen von zwei weiteren freien Tagen für die einzelnen Mitarbeiterinnen führt zu einer kollektiven Belastung des gesamten Kita-Teams.“ Um diese Belastung zu umgehen, würden viele Kita-Träger nun zusätzliche Schließtage einführen müssen.

Wegmann sagte weiter, damit seien Konflikte mit den Eltern vorprogrammiert. „Ob die Vertragsparteien an die konkrete Umsetzung und die Bedarfe der Eltern gedacht haben, kann bezweifelt werden.“

Urabstimmung läuft

Aktuell stimmen die Beschäftigten in den Sozial- und Erziehungsdiensten über das Verhandlungsergebnis zwischen ver.di und den kommunalen Arbeitgeberverbänden ab, das einen „Einstieg in Entlastung“ bedeuten soll. Der Kitaverband begrüßte die vorgesehenen finanziellen Zulagen für Erzieher und Praxisanleitung sowie die Anpassung der Stufenlaufzeiten analog zum öffentlichen Dienst „als Schritt zu einer Aufwertung des Erzieherberufs und zur Bekämpfung des Fachkräftemangels“ - doch nur bei vollen Finanzierungsausgleich für die freien Träger.

Dagegen bedeuteten die vorgesehenen zwei bis vier zusätzlichen freien Tage mittelfristig das Gegenteil von Entlastung. Um die Regenerationstage pro Mitarbeiterin zu realisieren, müssten die Kita-Träger entweder zusätzliches Personal einstellen oder die ohnehin stark belasteten Kita-Teams müssen die Abwesenheit der Kollegen zusätzlich auffangen. „In Zeiten des immensen Fachkräftemangels geraten die Teams so in gewerkschaftlich gewollte Unterbesetzung. Letztendlich wäre eine höhere finanzielle Tarifsteigerung gerade in Zeiten einer anwachsenden Inflation die bessere Lösung gewesen“, so Wegmann.



Krieg in der Ukraine

EKD und Diakonie: Flüchtlingen mit Behinderung Unterstützung gewähren




EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus und Diakoniepräsident Ulrich Lilie besuchen ukrainische Flüchtlinge in Bethel.
epd-bild/v. Bodelschwinghsche Stiftungen Bethel
Kirche und Diakonie weisen auf die Ungleichbehandlung von Geflüchteten mit Behinderungen hin. Nötig sei eine zügige Eingliederung in das Hilfesystem, hieß es bei einem Besuch der EKD-Ratsvorsitzenden und des Diakonie-Präsidenten in Bethel.

Bielefeld (epd). Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und die Diakonie fordern gleiche Rechte für Flüchtlinge mit Behinderungen. Geflüchtete aus der Ukraine erhielten zwar seit 1. Juni Zugang zu Sozialleistungen, notwendige Hilfen wegen einer Behinderung würden ihnen aber häufig versagt, erklärten EKD und Diakonie Deutschland am 10. Juni in Bielefeld. Die EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus und Diakonie-Präsident Ulrich Lilie zeigten sich bei einem Besuch der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel in Bielefeld beeindruckt von der kurzfristigen Aufnahme von bundesweit über 350 Flüchtlingen mit und ohne Behinderungen an den Bethel-Standorten.

Behindertengerechte Unterkunft

Lilie verlangte, Geflüchtete mit Behinderungen sollten nicht lange und mit großem Verwaltungsaufwand auf eine behindertengerechte Unterkunft, Rollstühle und andere medizinische Hilfe warten müssen. Während im Blick auf die in Bethel aufgenommene große Gruppe die Signale der Behörden „auf Kooperation“ stünden, gebe es Schwierigkeiten „in der Fläche“, schilderte der Diakonie-Präsident. Dies gelte vor allem für Einzelpersonen und einzelne Familien. Angesichts der „brutalen Kriege“ in der Ukraine und anderen Teilen der Welt wäre es „angemessen, die für Ausländer geltende gesetzliche Einschränkung der Eingliederungshilfe für Flüchtlinge aufzuheben“, sagte Lilie.

Der Zugang zur Eingliederungshilfe für Behinderte bleibe weiter unklar. Geflüchtete Menschen mit Behinderung aus der Ukraine erhalten diese Hilfen bislang nur über eine Ermessensentscheidung. „Es muss davon ausgegangen werden, dass viele Anträge auf Eingliederungshilfe für geflüchtete Menschen auch abgelehnt werden und so wichtige Leistungen versagt bleiben oder erstritten werden müssen“, so der Bundesverband evangelischer Behindertenhilfe.

Hoffen bei der Eingliederungshilfe auf „pragmatisches verfahren“

Die Geschäftsführerin von Bethel.regional, Sandra Waters, sagte, zum Glück habe die in den Betheler Häusern Mamre und Ebenezer untergekommene Gruppe von 109 Geflüchteten mit Behinderung und 17 Betreuerinnen Unterlagen zu Diagnosen und medizinischer Behandlung mitgebracht. Die Menschen hätten ihr 70 Kilometer von Kiew entferntes Heim in den ersten Kriegstagen verlassen müssen und seien durch Vermittlung der NRW-Landesregierung über Polen nach Bethel gelangt. Man sei nun mit dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe als Träger der Eingliederungshilfe im Gespräch und hoffe bei der Aufnahme der Menschen in das Hilfesystem auf ein „pragmatisches, schnelles Verfahren“, erklärte Waters.

Die EKD-Vorsitzende und westfälische Präses Kurschus betonte, Menschen mit Behinderungen hätten es in der Situation von Krieg und Flucht „noch ganz anders schwer“. Die Kinder erlebten zwar nach der Aufnahme in Bethel „einen Kulturschock im positiven Sinne“, dennoch litten sie auch an einem Verlust der gewohnten Sicherheiten. Auch die Betreuerinnen müssten sich in ein neues System einfinden. Diakonie-Präsident Lilie sagte, die Politik müsse dabei helfen, die Qualifikation von Mitarbeiterinnen aus der Ukraine anzuerkennen, damit sie „anständig vergütet“ werden könnten.

Menschen in einer Katastrophensituation

Kurschus wies auch auf die in der Ukraine verbliebenen Menschen mit Beeinträchtigungen und gesundheitlichen Problemen hin. Das Schicksal dieser „von dem grausamen Angriffskrieg“ besonders betroffenen Menschen „dürfen wir nicht aus dem Blick verlieren“, mahnte die EKD-Vorsitzende. Zugleich betonte sie, Geflüchtete dürften insgesamt „nicht als potenzielle Arbeitskräfte im sozialen Bereich angesehen werden“ - sie seien Menschen in einer Katastrophensituation, „die ihrem Heimatland verbunden sind“.

Der Bethel-Vorstandsvorsitzende Ulrich Pohl sagte, viele ukrainische Menschen mit Behinderungen seien durch die Flucht von Eltern und Angehörigen getrennt worden. Es werde vermutlich viel Zeit vergehen, bis sie zurückkehren könnten. So lange sollten sie in den diakonischen Einrichtungen „Schutz und ein neues Zuhause finden“.

Die Direktorin des ukrainischen Behindertenheims, Alla Vereszczak, betonte, für die geflüchteten Menschen sei es eine große Freude, nun zur Schule oder zur Arbeit gehen zu können: „Sie wissen jetzt, dass es weitergeht.“ Neben der Gruppe aus dem Heim bei Kiew sind den Angaben zufolge 153 weitere Ukraine-Flüchtlinge auf dem Stiftungsgelände in Bielefeld-Bethel aufgenommen worden, vielfach Mütter mit behinderten Kindern.

Thomas Kürger


Krieg in der Ukraine

DZI: 812 Millionen Euro höchstes Spendenaufkommen seit 1945



Berlin (epd). In Deutschland wurden bisher 812 Millionen Euro für die vom Krieg betroffenen Menschen in und aus der Ukraine gespendet. Das ergab eine aktualisierende Umfrage des Deutschen Zentralinstituts für soziale Fragen (DZI), die am 14. Juni veröffentlicht wurde. Im März hatten die befragten elf Hilfswerken und Bündnisse Spendenzuflüsse von mehr als zehn Millionen Euro verzeichnet hatten. Damit seien allein die Spenden an diese elf Organisationen seit dem 24. März um rund 180 Millionen Euro gestiegen, so das DZI.

Weil Zeit- und Sachspenden nur sehr schwer mit einem Geldwert zu beziffern sind, werden sie in den Erhebungen des DZI nicht erfasst. Auch das Gesamtvolumen der Geldspenden liegt den Angaben nach wohl noch etwas höher als die jetzt bestätigten 812 Millionen Euro, weil auch viele kleinere Initiativen Geld gesammelt haben, die aber nicht vollständig erfasst werden könnten.

Höchstes Spendenaufkommen seit dem Zweiten Weltkrieg

Mit dem jetzt erreichten Zwischenstand haben die Sammlungen zugunsten der Ukrainerinnen und Ukrainer nominal zum höchsten Spendenaufkommen geführt, das seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Deutschland für eine einzelne Katastrophe gemessen wurde. Unter Berücksichtigung der Geldwertentwicklung ist jedoch das Spendenaufkommen für die Betroffenen des Tsunamis in Südostasien (2004) gleichwohl immer noch das höchste anlassbezogene Spendenaufkommen, weil es auf heutigem Preisniveau einem Wert von 904 Millionen Euro entspricht.

„Die Spenden- und Unterstützungsbereitschaft für die Ukraine ist zwar weiter hoch; niedriger geworden ist aber das täglich neu gespendete Volumen von Geld und Sachen“, erklärte Burkhard Wilke, Geschäftsführer und wissenschaftlicher Leiter des DZI in Berlin. „So wichtig und wirksam Spenden für die Menschen in und aus der Ukraine auch weiterhin sind, so machen Spendenaufrufe etwa bezüglich der dramatischen Hungerkrise im Sudan und anderen afrikanischen Staaten deutlich, dass auch dieser Teil der Welt auf Hilfe der Weltgemeinschaft dringend angewiesen ist.“

Am 3. Juni hatten die Aktion Deutschland Hilft (220,4 Millionen Euro), das Aktionsbündnis Katastrophenhilfe (141,5 Millionen) und das Bündnis Entwicklung Hilft - Gemeinsam für Menschen in Not (97,6 Millionen) die höchsten Spendenbeträge gesammelt.



Heimerziehung

Bedrückende Einsichten der diakonischen Paulinenpflege




Buch über Gewalterfahrungen in der Paulinenpflege
epd-bild/
Am Anfang stand eine Ahnung. Dann folgte ein Hinweis. Jetzt liegt aufgearbeitet zwischen Buchdeckeln vor, was junge Menschen in der diakonischen Paulinenpflege in Winnenden zwischen 1945 und 1983 an Gewalt erlitten - ein beklemmendes Zeugnis.

Winnenden (epd). Schläge und noch mehr Schläge für Kinder und Jugendliche, die sich nicht anpassten. Prügeleien mit Verletzungen bis zur Arbeitsunfähigkeit. Sexuelle Übergriffe unter Jungen und von jungen Männern auf Mädchen und Frauen. Einweisungen in die Psychiatrie. Berichte über ausgeübte Gewalt hat der Historiker Sebastian Wenger in Archivakten der diakonischen Paulinenpflege Winnenden entdeckt und in Zeitzeugengesprächen erfahren. Im jetzt von der Paulinenpflege herausgegebenen Buch „Gewalterfahrungen von hörenden und gehörlosen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen in der Paulinenpflege Winnenden von 1945 bis 1983“ dokumentiert er aktenkundig gewordene Missbrauchs- und Misshandlungsfälle und ordnet sie ein.

Keine Ausnahme

Es hat lange gedauert, bis das Thema „Missbrauch in Heimen“ für die Paulinenpflege konkret wurde. „Je mehr über die Verhältnisse in anderen Einrichtungen und Heimen bekannt wurde, desto größer wurde die Ahnung bei uns, dass wahrscheinlich auch die Paulinenpflege keine Ausnahme gewesen ist“, erklärt Marco Kelch, Leiter der Öffentlichkeitsarbeit der Paulinenpflege. Zunächst aber schien in Winnenden die Welt in Ordnung gewesen zu sein: „Ein Aufruf an Betroffene auf unserer Homepage im Jahr 2010 ergab keine Rückmeldungen.“

Dann kam das Jahr 2018. Ein ehemaliges Heimkind meldete sich. Ihm selbst war nichts passiert, aber die Person berichtete von Gewalt gegen andere Kinder, die sich dann auch belegen ließ. Nachforschungen ergaben zudem, dass sich bei der Anlaufstelle des „Fonds Heimerziehung“ in den vergangenen Jahren 15 Menschen aus der Paulinenpflege gemeldet hatten. Die Anlaufstelle hatte die Hinweise nicht weitergegeben.

Die Paulinenpflege ließ die Zeit zwischen 1945 und 1983 aufarbeiten. Das Ergebnis, das Sebastian Wenger zusammengefasst hat, „ist für uns alle, die wir heute in der Paulinenpflege Verantwortung tragen, sehr bedrückend“, sagt Marco Kelch. Als Konsequenz hat die Paulinenpflege Maßnahmen getroffen, damit künftig Gewalt und Missbrauch verhindert oder zumindest sehr schnell aufgedeckt werden können. Es soll nie wieder passieren, dass beispielsweise von Mitschülern gequälte Kinder oder Jugendliche, die sich hilfesuchend an Lehrer wenden, von diesen abgewiesen werden. „Unsere Haltung ist: Unsere Klienten werden vor Gewalt und sexueller Gewalt geschützt. Täter werden nicht gedeckt“, hat sich die diakonische Einrichtung jetzt auf die Fahnen geschrieben.

Ein sicherer Ort

Der heutige Vorstand der Paulinenpflege, Andreas Maurer, verweist darauf, dass die Forschung Wengers sich gezielt mit Gewalterfahrungen beschäftigt. Die Untersuchung sei keine Bilanz der Gesamtleistung dessen, was in der Einrichtung auch an Positivem geleistet wurde. „Wir wollen, dass die Paulinenpflege ein sicherer Ort für all die ist, die bei uns Unterstützung suchen“, betont Maurer.

Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit könne aber helfen, heute einen besseren Weg zu gehen, ist er überzeugt. Im Vorwort zum Buch spricht er an, was Gewalt in der Pädagogik den Boden bereitet hat. Das reicht vom Unvermögen weiter Teile der Nachkriegsgesellschaft, neben dem materiellen Wiederaufbau auch eine „innere Erneuerung“ zu suchen, und fehlender Fachlichkeit bis hin zu einer „falsch verstandenen christlich motivierten Pädagogik“.

„Es ist mir schmerzlich bewusst, dass Betroffene solche Erfahrungen nicht einfach vergessen und vergeben können. Und ich weiß, dass solche Erlebnisse oft bis heute Leid verursachen“, schreibt Maurer. Deshalb können sich auch nach wie vor Betroffene in der Paulinenpflege Winnenden melden, die zusichert, dass sie das Erlebte ernst nehmen wird.

Susanne Müller


Menschenhandel

Beraterin kritisiert Umgang von Behörden mit Zwangsprostituierten



Stuttgart (epd). Luam Okbamicael, Sozialarbeiterin beim Fraueninformationszentrum Stuttgart, kritisiert den Umgang deutscher Behörden mit geflüchteten Zwangsprostituierten. Bei ihrem Asylantrag würden den Frauen viele intime Fragen stellt, und sie erlebten, dass ihren Antworten oft nicht geglaubt werde, sagte Okbamicael dem Evangelischen Pressedienst (epd). Das sei zutiefst verletzend für die Betroffenen und verstärke ihre Scham, Angst und das Gefühl der Hilflosigkeit.

Die Sozialarbeiterin berichtet von massivem Druck, den Menschenhändler gegenüber den Frauen aufbauten, die sie zur Prostitution zwingen. Wenn sie keinen Zugriff mehr auf diese Frauen hätten, bedrohten sie ihre Familien und fügten ihnen Schaden zu - „bis hin zum Mord“, sagte Okbamicael. Deshalb sei es für die Betroffenen fast unmöglich, den Tätern zu entkommen.




sozial-Recht

Verwaltungsgerichtshof

Befürchtete Entführung kein Grund für Namensänderung beim Kind




Schatten einer Mutter und ihrer Kinder
epd-bild/Maike Glöckner
Eine befürchtete Kindesentführung durch den Expartner rechtfertigt keine Namensänderung bei den Kindern. Das gilt auch dann, wenn mit verschiedenen Namen der Kinder und des Vaters höhere Hürden für Reisen bezweckt werden, entschied der Verwaltungsgerichtshof Mannheim.

Mannheim (epd). Für getrennt lebende oder geschiedene Mütter und Väter ist die Entführung der gemeinsamen Kinder durch den Expartner ein Schock. Um eine befürchtete Kindesentführung vor allem ins Ausland zu erschweren und Behörden misstrauisch zu machen, kann aber nicht verlangt werden, dass die Kinder und der Expartner verschiedene Namen haben müssen, entschied der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg in Mannheim in einem am 8. Juni veröffentlichten Beschluss. Eine mögliche Kindesentführung sei kein Grund für eine Änderung des Familiennamens beim Kind.

Streit um die Kinder

Konkret ging es um ein unverheiratetes Elternpaar von zwei heute neun und sechs Jahre alten Kindern. Ursprünglich hatten die Kinder den Familiennamen der Mutter. Im Mai 2016 ließen die Eltern den Familiennamen der Kinder auf den Namen des Vaters ändern. Beide Elternteile übten das Sorgerecht aus. Doch als das Paar sich im Mai 2019 trennte, folgten zahlreiche Streitigkeiten um die Kinder. Beim Umgang mit den Kindern brachte der Vater diese mehrfach nicht zur Mutter zurück.

2020 eskalierte die Situation. Der Vater nahm ohne Zustimmung der Mutter die Kinder mit ins Ausland. Die daraufhin eingeleitete Fahndung hatte erst nach fünf Monaten Erfolg. Sie wurden an der rumänisch-ungarischen Grenze aufgegriffen. Zwischenzeitlich hatte die Mutter das alleinige Sorgerecht erhalten. Da der Vater sich anschließend wieder kooperativ gezeigt hatte und eine Vereinbarung zum Umgangsrecht in Vorbereitung war, stellte die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der strafbaren Kindesentziehung ein.

Um künftige Kindesentziehungen zu erschweren, beantragte die Mutter, dass die Kinder wieder ihren früheren Familiennamen erhalten sollten. Sowohl Jugendamt als auch das Regierungspräsidium stimmten dem aus Kindeswohlgründen zu. Bei einer Namensverschiedenheit von Vater und Kindern werde die Gefahr einer Kindesentziehung verringert, so die Begründung. Denn gerade bei Auslandsreisen falle ein Mann mit Kindern und verschiedenen Namen bei Kontrollen leichter auf. Hier sei das Kindeswohl gefährdet gewesen, da die Kinder bereits fünf Monate lang keinen Kontakt zu ihrer Mutter hatten. Der Vollzug der Namensänderung wurde mit sofortiger Wirkung angeordnet.

Namensänderung aus „wichtigem Grund“

Der Vater beantragte vorläufigen Rechtsschutz und wollte die Entscheidung wieder kippen. Das Ermittlungsverfahren sei ja eingestellt worden. Die Änderung des Familiennamens der Kinder sei mit Blick auf das Kindeswohl nicht erforderlich.

Dem stimmte auch der VGH Mannheim zu und hob die sofortige Vollziehung der Namensänderung wieder auf. Die Änderung des Familiennamens sei nach dem Gesetz nur aus „wichtigem Grund“ erlaubt. Ein wichtiger Grund für die Namensänderung könne eine Kindeswohlgefährdung sein. Dies sei etwa der Fall, wenn der nicht sorgeberechtigte Elternteil sich überhaupt nicht um das Wohlergehen des Kindes kümmert oder andere Geschwister einen anderen Familiennamen aufweisen.

Hier liege jedoch keine Kindeswohlgefährdung vor, wenn die Kinder weiter den Namen des Vaters behalten. Die vorgebrachte Kindeswohlgefährdung wegen einer begangenen und drohenden Kindesentziehung liege nicht in dem gemeinsamen Namen mit dem Vater begründet, sondern in der widerrechtlichen Verlängerung des Umgangs mit den Kindern, betonte der VGH. Das Familienrecht könne dem mit einer Umgangsbeschränkung begegnen. Mittlerweile habe der Vater auch Umgangsvereinbarungen über einen längeren Zeitraum eingehalten. Anhaltspunkte für eine Kindesentziehung gebe es nicht mehr.

Gutes emotionales Verhältnis

Der Vater habe zudem ein gutes emotionales Verhältnis zu seinen Kindern und sei für sie eine wichtige Bezugsperson. Werde der Familienname geändert, bestehe die Gefahr, dass die persönliche stabile Beziehung zu dem nicht sorgeberechtigten Elternteil beeinträchtigt werde.

Allerdings hatte der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe am 27. März 2019 entschieden, dass bei konkreten Anhaltspunkten für eine Kindesentführung ein Elternteil nicht die Kinderreisepässe an den Expartner herausgeben muss. Bestünden hierzu aber keine Hinweise, könnten Eltern, die ihr Sorge- und Umgangsrecht wahrnehmen, „all diejenigen persönlichen Gegenstände, Kleidung und Urkunden“ verlangen, die während des Aufenthalts voraussichtlich benötigt werden.

Im Streitfall könne die aus Kamerun stammende Mutter den Kinderreisepass für ihr dreijähriges Kind von ihrem Expartner einfordern. Dass die Frau mit dem Kind nach Kamerun reist und nicht zurückkehrt, sei nicht zu erwarten. Denn die Frau gehe in Deutschland einer Ausbildung nach und sei hier verwurzelt.

Gefahr körperlicher und seelischer Schäden

Liegt eine strafbare Kindesentführung vor, darf das Kind von den Behörden aber nicht auf Teufel komm raus zum anderen Elternteil zurückgeführt werden. Denn vor einer Rückkehr muss erst geprüft werden, ob diese mit einer möglichen Gefahr körperlicher und seelischer Schäden beim Kind verbunden ist, urteilte am 26. November 2013 der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Das Kindeswohl sei höher zu bewerten als die Unrechtmäßigkeit der Kindesentführung.

Im entschiedenen Fall hatte eine Mutter ihr Kind von Australien in ihre Heimat nach Lettland ohne Zustimmung des Vaters entführt. Die zuständigen Behörden und Gerichte ordneten die Rückkehr des Kindes an. Die Mutter zog daraufhin wieder nach Australien, rügte jedoch, dass laut einem Gutachten das Kind bei einer Trennung von ihr ein Trauma erleiden würde. Dem hätten die lettischen Behörden jedoch nachgehen müssen, urteilte der EGMR.

Az.: 1 S 388/22

Az.: XII ZB 345/18

Az.: 27853/09

Frank Leth


Oberverwaltungsgericht

Corona-Schließungen von Saar-Gaststätten teilweise rechtswidrig



Saarlouis (epd). Die saarländische Landesregierung hätte nach einem aktuellen Gerichtsurteil die coronabedingte Betriebsschließung von Gaststätten vom 2. bis 15. November 2020 nicht anordnen dürfen. Die im sogenannten zweiten Lockdown erlassene Regelung sei formell rechtswidrig, weil sie nicht auf einer ausreichenden gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage beruhe, teilte das Oberverwaltungsgericht (OVG) des Saarlandes am 14. Juni in Saarlouis mit.

Die dafür nötigen Regelungen im Infektionsschutzgesetz des Bundes seien erst Mitte November 2020 und damit nach Inkrafttreten der Verordnung beschlossen worden. Das OVG hat die Revision beim Bundesverwaltungsgericht zugelassen.

Az.: 2 C 319/20



Sozialgericht

Beitragspflichten in der Krankenversicherung bei einmaliger Kapitalzahlung geklärt



Frankfurt a.M. (epd). Das Sozialgericht Frankfurt hat am 9. Juni in zwei Fällen über die Rechtmäßigkeit von Beiträgen der Krankenkasse auf einmalige Kapitalauszahlungen von Lebensversicherungen für die Dauer von zehn Jahren entschieden. Im ersten Fall bestätigte das Gericht die Zulässigkeit der Beiträge, im anderen Fall bekam der Kläger, ein einstmals selbstständiger Taxi-Unternehmer, Recht und muss keine Beiträge zahlen.

In beiden Fällen verwies das Gericht auf die höchstrichterliche Rechtsprechung. Wer sich zur Alters- und Hinterbliebenenvorsorge der Institutionen der betrieblichen Altersversorgung und der hiermit verbundenen Vorteile bediene, müsse sich grundsätzlich in der Konsequenz auch an die beitragsrechtlichen Folgen halten, so die Richterinnen und Richter. Dabei sei unerheblich, wer die Beiträge aus welchem Einkommen entrichtet habe.

GmbH-Geschäftsführerin stellte Eilantrag

In dem ersten entschiedenen Fall sind die Beiträge bei der Versorgungszusage einer GmbH an die für sie tätige Gesellschafter-Geschäftsführerin zulässig. Die Klägerin scheiterte mit ihrem Eilantrag. Die ihr und ihrem Mann zu gleichen Teilen gehörende GmbH hatte eine Versorgungszusage erteilt und die Beitragserhebung durch die Krankenkasse bestätigt. Dagegen klagte die Frau.

Das Sozialgericht befand, dass es auf eine abhängige oder selbständige Tätigkeit als Geschäftsführerin für die GmbH nicht ankomme, weil eine Direktversicherung mit dem Vorteil der Pauschalversteuerung genutzt und gerade nicht eine beliebige private Vorsorge, beispielweise eine private Kapitallebensversicherung, gewählt worden sei. Das Urteil ist rechtskräftig.

Unzulässiges In-Sich-Geschäft

Demgegenüber hat das Gericht im zweiten entschiedenen Fall der Klage eines Rentners gegen die Beitragszahlung stattgegeben, der 1990 als selbständiger Taxiunternehmer einen Direktversicherungsvertrag mit einer Lebensversicherungsgesellschaft zur eigenen Vorsorge im Alter abgeschlossen hatte. Zur Begründung verwiesen die Richtet vor allem darauf, dass es sich entgegen der Auffassung der Krankenkasse nicht um eine betriebliche Altersversorgung nach dem Betriebsrentengesetz handele. Mit der Versorgungszusage des Klägers als Einzelunternehmer an sich selbst liege ein unzulässiges In-Sich-Geschäft vor. Die Person des Zusagenden dürfe nicht mit der des Zusageempfängers identisch sein, so das Gericht. Das Urteil ist noch nicht rechtkräftig.

Az.: S 14 KR 64/22 ER, S 14 KR 204/20




sozial-Köpfe

Gesundheitswesen

Manuel Zelle Geschäftsführer der Stiftung Hospital zum Heiligen Geist




Manuel Zelle
epd-bild/Stiftung Hospital
Die Stiftung Hospital zum Heiligen Geist hat die Führungsspitze erweitert. Seit 1. Juni hat sie mit Manuel Zelle einen zweiten Geschäftsführer.

Frankfurt a. M. (epd). Zum 1. Juni ist Manuel Zelle (39) als weiterer Geschäftsführer in die Stiftung Hospital zum Heiligen Geist eingetreten. Er wird zusammen mit Ralph v. Follenius künftig die Gesellschaften der Stiftung in Frankfurt am Main leiten.

Zelle studierte Betriebswirtschaft und spezialisierte sich auf das Management von Einrichtungen im Gesundheitswesen. Der Diplom-Kaufmann war zuvor im Bereich Healthcare bei Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und als Finanzchef und Prokurist in mehreren Kliniken tätig. Zuletzt war er als Konzernbereichsleiter Finanzen und Controlling sowie als Geschäftsführer für die Medizinischen Versorgungszentren im Klinikverbund „varisano“ mit den Krankenhausstandorten Frankfurt Höchst, Bad Soden und Hofheim tätig.

Zelle soll in Zusammenarbeit mit Ralph v. Follenius die Stiftung und ihre Einrichtungen weiter stärken und den begonnenen Digitalisierungsprozess erfolgreich fortführen.

Zu den Gesellschaften der Stiftung gehören zwei Krankenhäuser, ein Fachärztezentrum sowie ein Seniorenstift in Kronberg. Darüber hinaus erbringt die Hospital Service & Catering GmbH Dienstleistungen für die Stiftungsunternehmen und betreibt ein Tagungszentrum am Krankenhaus Nordwest. Die Stiftung Hospital zum Heiligen Geist wurde 1267 erstmals urkundlich erwähnt und feierte im Jahr 2017 ihr 750-jähriges Jubiläum.



Weitere Personalien



Ferda Ataman (43), Publizistin, soll neue Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes werden. Sie wurde vom Bundeskabinett vorgeschlagen und muss noch vom Bundestag gewählt werden. Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) erklärte am 15. Juni in Berlin, Ataman stehe für großes Engagement für eine inklusive, demokratische Gesellschaft und werde allen Menschen eine starke Stimme verleihen, die in Deutschland Diskriminierung erfahren. Ataman war unter anderem im Familien- und Integrationsministerium in Nordrhein-Westfalen tätig und baute den Mediendienst Integration auf, eine wissenschaftliche Internetplattform für Journalistinnen und Journalisten. Zuletzt gründete die Buchautorin, Journalistin und Kolumnistin ein Beratungsunternehmen für Diversität. Sie folgt auf den Juristen Bernhard Franke, der seit 2018 kommissarischer Leiter der Antidiskriminierungsstelle ist, weil es Probleme bei der Neubesetzung der Leitung gab.

Marion Feldmann (52) wird neue Geschäftsführerin des Caritasverbandes für den Landkreis Emsland. Die Diplom-Religionspädagogin und Diplom-Sozialarbeiterin übernimmt das Amt am 1. August und löst Marcus Drees ab, der eine neue Aufgabe beim Caritasverband für die Diözese Osnabrück wahrnehmen wird. Drees war seit November 2008 Geschäftsführer des emsländischen Caritasverbandes. Feldmann ist mit dem Caritasverband gut vertraut: 1995 absolvierte sie dort ihr Anerkennungsjahr als Diplom-Sozialarbeiterin in der Wohnungslosenhilfe und wechselte danach in die Fachambulanz Sucht, deren Leitung sie 2009 übernahm. In vier Beratungsstellen und an weiteren Sprechstunden-Standorten beschäftigt der Caritasverband 70 Mitarbeitende.

Stefan Dominik Peter ist neuer Vorstandsvorsitzender des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Berlin. Er folgt auf Barbara John, die auf dem Jahresempfang des Verbands verabschiedet wurde. Seit ihrem Ausscheiden als Ausländerbeauftragte des Berliner Senats 2003 stand John dem Verband in dieser ehrenamtlichen Position vor. Für ihr herausragendes Engagement ernannte sie der Paritätische Berlin zur Ehrenvorsitzenden.

Alexander Funk übernimmt zum 1. Juli als Vorsitzender die Geschäftsführung der Caritas Trägergesellschaft Saarbrücken (cts) mbH. Funk löst damit Rafael Lunkenheimer ab, der den Verbund acht Jahre lang geführt hat und aus familiären Gründen die cts Mitte des Jahres verlassen wird. Alexander Funk ist Diplom-Kaufmann und war zuvor Vorsitzender der CDU-Landtagsfraktion. Er kennt den cts-Verbund bereits durch seine Tätigkeit als Aufsichtsratsvorsitzender. An seiner Seite stehen wird in einer Doppelspitze weiterhin Heinz Palzer, der seit 2019 gemeinsam mit Rafael Lunkenheimer die cts-Geschäftsführung innehatte.

Tanja Legenbauer ist in den Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie gewählt worden. Die Professorin für Klinische Psychologie und Psychotherapie in der Kinder- und Jugendpsychiatrie und Leiterin der Forschungsabteilung der LWL Universitätsklinik Hamm verstärkt für die kommenden zwei Jahre das Vorstandsteam. In ihrer neuen Funktion möchte sie die interdisziplinäre Arbeit sowie das Thema Nachwuchsförderung vorantreiben.

Robert Waltereit wird neuer Ärztlicher Direktor des LWL-Klinikums in Marsberg. Er tritt sein Amt am 1. September an, ab 1. Februar ist er auch neuer Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Privatdozent Waltereit wurde einstimmig vom Gesundheits- und Krankenhausausschuss des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe gewählt. Die Kliniken in Marsberg wurden neu aufgestellt: Unter der Bezeichnung „LWL-Klinikum Marsberg“ befinden sich die „LWL-Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik“ und die „LWL-Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik“ organisatorisch nun unter einem Dach. Damit gibt es eine Betriebsleitung für beide Kliniken. Der 53-jährige Waltereit folgt als Ärztlicher Direktor Stefan Bender, der in den Ruhestand geht. Als Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie folgt Waltereit zum 1. Februar 2023 dem langjährigen Chefarzt Falk Burchard nach, der dann ebenfalls in den Ruhestand gehen wird.

Marie-Laurence Jungfleisch, 13-fache deutsche Meisterin im Hochsprung, macht sich für hilfsbedürftige Menschen stark. Die Athletin und mehrfache Olympia-Teilnehmerin übernimmt die Aufgabe einer ehrenamtlichen Fürsprecherin der diakonischen Stiftung LebensWert in Großerlach (Rems-Murr-Kreis). Trägerinnen der Stiftung sind die beiden diakonischen Einrichtungsverbünde Erlacher Höhe und Dornahof, die an über 20 Standorten in Baden-Württemberg für mehr als 3.000 Menschen in sozialen Notlagen aktiv sind.




sozial-Termine

Veranstaltungen bis Juli



Wir haben Tagungen, Seminare, Workshops und Webinare aufgelistet, die aktuell geplant sind. Wegen der Corona-Epidemie sagen Veranstalter allerdings Termine auch kurzfristig ab. Wir bitten unsere Leserinnen und Leser, das zu beachten.

Juni

21.6.:

Webinar „Förderung durch Stiftungen“

der BFS Service GmbH

Tel.: 0221/97356-160

22.-24.6.:

Online-Seminar „New Social Work für eine Gesellschaft im Wandel - Zeitgemäße Entwicklung sozialer Organisationen“

der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes

Tel.: 0761/2001700

22.-24.6. Netphen:

Grundlagenseminar „Motivierende Gesprächsführung - Förderung von Veränderungsbereitschaft“

der AWO-Bundesakademie

Tel.: 030/26309-139

27.-28.6. Frankfurt a.M.

Seminar „Sozialraumorientierung! Und jetzt?“

der Bundesakademie für Kirche und Diakonie

Tel.: 0172/3012819

28.6. Berlin:

Seminar „Die Stiftungsgeschäftsführung - Schlüsselkompetenzen im Zivil- und Gemeinnützigkeitsrecht“

der BFS Service GmbH

Tel.: 0221/97356-159

29.6. Stuttgart:

Seminar „Abmahnung und Kündigung von Arbeitsverhältnissen“

der Paritätischen Akademie Süd

Tel.: 0711/286976-10

29.-30.6.: Frankfurt a.M.:

Seminar „Arbeitsrecht für Leitungskräfte“

der Paritätischen Akademie Süd

Tel.: 0711/286976-10

29.6.-1.7. Berlin:

Seminar „Beratungskompetenz erweitern: Zuhören - Verstehen - Begleiten“

der AWO-Bundesakademie

Tel.: 030/26309-139

30.6. Stuttgart:

Seminar „Rechtsformen und Rechtsformwechsel gemeinnütziger Organisationen“

der Paritätischen Akademie Süd

Tel.: 0711/286976-10

Juli

6.7.:

Online-Fortbildung „Suizidalen Krisen begegnen“

der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes

Tel.: 0761/2001-700

20.-21.7. Stuttgart:

Seminar „Veränderungsprozesse gestalten“

der Paritätischen Akademie Süd

Tel.: 0711/286976-10

28.7. München:

Seminar „Aktuelle Entwicklungen im Sozialdatenschutz“

der Unternehmensberatung Solidaris

Tel.: 02203/8997-221

August

8.-11.8. Berlin:

Seminar „Familiennachzug von Geflüchteten“

der AWO Bundesakademie

Tel.: 030/26309-139

29.-31.8. Berlin:

Seminar „Überzeugen muss kein Kraftakt sein - Einsatz von Körper, Stimme, Sprache in Verhandlungen und Präsentationen“

der Bundesakademie für Kirche und Diakonie

Tel.: 030/48837-476

30.8. Berlin:

Seminar „Grundlagen des Arbeitsrechtes in Einrichtungen der Sozialwirtschaft - Gestaltungsspielräume nutzen“

der BFS Service GmbH

Tel.: 0221/97356159

31.8. Berlin:

Seminar „Betriebsverfassungsrecht aus Arbeitgebersicht“

der BFS Service GmbH

Tel.: 0221/97356159