vor den Schlägen des Lebensgefährten hilft oft nur die Flucht in ein Frauenhaus. Ich habe eine 48-Jährige besucht, die neun Jahre lang eine gewalttätige Beziehung ertragen hat. „Ständig ist er ausgerastet. Ich lief zu Hause wie auf rohen Eiern“, berichtet sie. Der Weg in ein besseres Leben kam nach einem zehnmonatigen Aufenthalt im Frauenhaus im hessischen Bad Schwalbach. Als alleinerziehende Mutter zweier Kinder und berufstätige Frau startete sie einen Neuanfang.
Die geplante Anhebung des Bürgergelds von derzeit 502 auf dann 563 Euro zum Anfang nächsten Jahres lässt sich nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit nicht zurücknehmen. Der Auszahlungsprozess laufe bereits, sagte ein Sprecher der Bundesagentur für Arbeit (BA) am 6. Dezember. Es sei „technisch nicht mehr möglich“, die Beträge wie von CDU/CSU und FDP gewünscht abzusenken und andere Summen auszuzahlen. Bürgergeldbezieher können dennoch nicht aufatmen, denn: Nun schlägt die FDP eine Nullrunde für 2025 vor.
Sozialarbeiter, Psychologen und Vollzugsbeamte kümmern sich in der Jugendanstalt Hameln um Hunderte Gefangene. Die epd-Redakteurin Julia Pennigsdorf war zur Reportage in Deutschlands größtem Jugendgefängnis. Sie erfuhr: Für die Strafgefangenen zwischen 15 und 25 Jahren sind die Gefängniswärter „wichtige Bezugspersonen, fast wie Mutter oder Vater“. Und: Das oberste Ziel in der Haft ist Resozialisierung. Bei fast allen Inhaftierten hätten Vernachlässigung, Gewalt, Drogen ihre Jugend geprägt.
Kinderzuschlag erhalten nur finanzschwache Familien, deren monatliches Einkommen eine gewisse Untergrenze überschreitet. Sie liegt oberhalb der Grundsicherung. Bei der Ermittlung des Mindesteinkommens zählen nach einem Urteil des Landessozialgerichts Essen nur die im jeweiligen Monat zugeflossenen Einkünfte. Später eingegangenes Krankengeld ist für das Recht auf einen Kinderzuschlag nicht zu berücksichtigen.
Lesen Sie täglich auf dem epd-sozial-Account des Internetdienstes X, vormals Twitter, Nachrichten aus der Sozialpolitik und der Sozialbranche. Auf dem Kanal können Sie mitreden, Ihren Kommentar abgeben und auf neue Entwicklungen hinweisen. Gern antworte ich auch auf Ihre E-Mail.
Ihr Markus Jantzer
Frankfurt a. M. (epd). Es ist Abend, als Sabine Falt (Name geändert) sich entscheidet zu fliehen. Sie packt ihre beiden Kinder ins Auto und verlässt ihre Wohnung in Nordhessen. Ihr arbeitsloser Lebensgefährte ist für einen Moment nicht zu Hause. „Das ist die einzige Chance. Eine andere gibt es nicht“, habe sie gedacht, wie sie später erzählt. Sie hat nur einen Wunsch: endlich weg von ihrem gewalttätigen Partner.
Wieder einmal habe er ihr an jenem Tag pausenlos Vorwürfe gemacht, sie beschimpft, den Topf vom Mittagessen auf ihrem Bett ausgeschüttet: „Er ist vollkommen ausgerastet.“ Nach neun Jahren in einer unglücklichen und demütigenden Beziehung sucht Sabine Falt mit ihrem 14-jährigen Sohn Max und ihrer fünfjährigen Tochter Azra (Namen geändert) das Weite: „Wir sind einfach losgefahren.“ Sie ruft eine Freundin an und übernachtet mit ihren Kindern bei ihr. Danach bekommt sie sofort einen Platz in einem Frauenhaus und ist damit erst einmal in Sicherheit.
Im vergangenen Jahr suchten nach Schätzungen des Vereins Frauenhauskoordinierung etwa 14.400 Frauen mit 16.600 Kindern Schutz in einem der rund 400 Frauenhäuser in Deutschland. Das sind im Schnitt 40 Frauen pro Tag. Das Bundeskriminalamt (BKA) hat für das vergangene Jahr 157.800 Fälle von Partnerschaftsgewalt erfasst - 9,1 Prozent mehr als im Vorjahr.
Nach Angaben des Vereins fehlen Tausende Frauenhausplätze: Mindestens 21.000 Plätze würden benötigt, die Statistik weise aber nur 6.800 Plätze aus.
Das Frauenhaus der Caritas in Bad Schwalbach, in das Sabine Falt floh, bietet sechs Frauen und ihren Kindern Platz. „Die Frauen und ihre Kinder, die zu uns kommen, sind psychisch sehr belastet“, sagt Ilse Gießer, die Leiterin der Einrichtung, dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Wir versuchen, den Frauen zunächst Halt zu geben.“
Auf den beiden Etagen des Hauses wohnen jeweils drei Frauen und ihre Kinder, „wie in einer Wohngemeinschaft“, sagt Gießer. Jede Familie hat ihren eigenen Wohnbereich, es gibt Gemeinschaftsräume. „Wir machen Gruppenarbeit. Einmal in der Woche gibt es ein gemeinsames Frühstück.“ Die meisten Frauen sind laut Gießer zwischen 20 und 35 Jahren alt. Der Anteil der Frauen mit Migrationshintergrund sei in den vergangenen Jahren von etwa einem Drittel auf mehr als die Hälfte gestiegen.
Kaum war Sabine Falt im Frauenhaus in Bad Schwalbach angekommen, da habe sich schon der Anwalt ihres Partners wegen des Sorgerechts für ihre gemeinsame Tochter gemeldet, sagt sie. Ihrem Partner wurde vom Gericht ein Umgangsrecht zugesprochen. Wegen des Umgangs ihres Ex mit der gemeinsamen Tochter habe sie sich keine Sorgen machen müssen, sagt Falt. Zu ihr sei er immer lieb gewesen.
Auch zu ihr selbst sei ihr Freund, den sie im Internet kennengelernt hatte, am Anfang der Beziehung „total lieb, fürsorglich und nett“ gewesen, berichtet Sabine Falt. Sie war deshalb auch damit einverstanden, dass er schon sehr bald, nachdem sie sich kennengelernt hatten, zu ihr zog - „ins gemachte Nest“, wie sie heute bitter sagt.
Schon bald nach dem Einzug habe er ständig an ihr herumgemeckert, sei wegen Kleinigkeiten ausgerastet. Sie habe langjährige Freundinnen verloren, weil diese nichts mehr mit ihnen zu tun haben wollten. Schließlich schlug Sabine Falt ihrem Lebensgefährten vor, gemeinsam die Region zu verlassen. „Ich wollte mit ihm nicht in meinem Umfeld bleiben.“ Zugleich hoffte sie auf einen Neuanfang.
Doch es ging gründlich schief. Er kündigte bald seinen Job und saß nur noch im Wohnzimmer auf dem Sofa, wie sie erzählt. Die Stimmung war total angespannt. „Du wusstest nicht, wie du dich am besten verhältst, damit es nicht eskaliert. Ich lief in unserer Wohnung den ganzen Tag wie auf rohen Eiern.“ Der permanente Stress habe bei ihr zu immer wiederkehrenden Attacken höllischer Kopfschmerzen geführt.
Die Wiesbadener Politikwissenschaftlerin Regina-Maria Dackweiler, die unter anderem zu Gewalt in der Geschlechterbeziehung forscht, sagte dem epd: „Herabsetzungen und gezielte Demütigungen wie 'Wie siehst du denn heute wieder aus' können körperlicher Gewalt vorausgehen.“ Täter zeigten zwischendurch auch Reue und versprächen, dass sie nie wieder Gewalt ausüben würden. „Es entsteht eine Dynamik von Kuss und Tritt.“
Nach zehn Monaten verließ Sabine Falt das Frauenhaus und trat eine Stelle als Pharmazeutisch-kaufmännische Angestellte an. Es war ein Neuanfang als alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern.
Der Notaufenthalt im Frauenhaus liegt jetzt acht Jahre zurück. Vor ihrem früheren Partner hat Sabine Falt keine Angst mehr. Er habe Deutschland verlassen und lebe im Land seiner Vorfahren, der Türkei. Seine Tochter rufe er nur noch selten an.
Die 13-jährige Azra geht zur Schule, der 22-jährige Max studiert. Alles scheint in guter Ordnung. Sabine Falt sagt aber: „Früher habe ich gelebt, heute funktioniere ich.“ Die plötzlich und unvermittelt auftretenden Kopfschmerzattacken plagten sie noch immer. Demnächst wird die 48-Jährige zum ersten Mal in ihrem Leben zur Kur fahren.
Wiesbaden (epd). Die Politikwissenschaftlerin Regina-Maria Dackweiler sagt: Warnsignale für Partnerschaftsgewalt sind erkennbar. „Etwa wenn eine Frau mit ihrem neuen Freund ausgeht und dieser immer wieder Männer am Nebentisch aggressiv anpöbelt 'Was glotzen Sie meine Freundin so an?', dann sollte sie das nachdenklich stimmen. Auch Freunde könnten, bevor es zur körperlichen Gewalt kommt, Hinweise erkennen und einschreiten. “Wir dürfen nicht wegsehen", sagt die Wiesbadener Hochschullehrerin im Interview. Mit Regina-Maria Dackweiler sprach Markus Jantzer.
epd sozial: Nach den jüngsten Daten des Bundeskriminalamts haben die Fälle von Gewalt in Paarbeziehungen oder von Ex-Partnern deutlich zugenommen. Die Polizeibehörden registrierten 2022 im Durchschnitt 432 Fälle solcher Delikte pro Tag. Rund 80 Prozent der Gewaltopfer waren Frauen, 78 Prozent der Tatverdächtigen Männer. Wie bewerten Sie diese Zahlen? Und woher resultiert der Anstieg?
Regina-Maria Dackweiler: Partnerschaftsgewalt wird in allen sozialen Schichten ausgeübt, unabhängig vom Einkommen und Bildung, kulturellem und religiösen Hintergrund. Auch Professoren schlagen ihre Frauen. Einen Anstieg von Gewalttätigkeit erleben wir in Beziehungen, in denen die Frauen den Männern finanziell oder auch in der Bildung überlegen sind. Gefährlich wird es für die Frauen, wenn Männer dies als eine Bedrohung wahrnehmen und ihren Dominanzanspruch in Gefahr sehen. Bei den 20 Prozent der männlichen Opfer der BKA-Statistik handelt es sich bei einem Viertel bis zur Hälfte um Gegenanzeigen. Das geschieht insbesondere bei Sorgerechtsstreitigkeiten.
epd: Reden wir über den weitaus häufigeren Fall: Ein Mann schlägt seine Partnerin. Wie können Frauen schon früh erkennen, dass ihr neuer Beziehungspartner zur Gewalt neigt?
Dackweiler: Sie können einem Menschen Gewalttätigkeit nicht ansehen. Aber im Laufe einer Beziehung können Frauen einige Beobachtungen machen, die sie nachdenklich stimmen sollten. Etwa, wenn sie mit ihrem Partner ausgeht und dieser immer wieder Männer am Nebentisch aggressiv anpöbelt „Was glotzen Sie meine Freundin so an?“ und Ähnliches. Es gibt aber auch den Typus der Gewalt ausübenden Männer, der nach außen freundlich und umgänglich wirkt und ausschließlich innerhalb der Paarbeziehung aggressiv und gewalttätig ist. In der „Honeymoon“-Phase wird Gewalt vermutlich nicht auftreten - dann wird die Gefahr von Gewalttätigkeit kaum zu erkennen sein.
epd: Gibt es weitere Warnsignale?
Dackweiler: Der Ausübung von physischer Gewalt gehen in der Regel andere Gewaltformen voraus. Wenn etwa Männer versuchen, die sozialen Kontakte ihre Partnerinnen zu kontrollieren und einzuschränken und sie so sozial zu isolieren. Das kann durchaus in einer vermeintlich romantisierenden Weise geschehen, indem er davon spricht: „Es ist doch so schön, nur wir zwei. Lass uns doch nur noch füreinander da sein.“ Aber auch Herabsetzungen und gezielte Demütigungen können körperlicher Gewalt vorausgehen: „Wie siehst du denn heute wieder aus“ oder „Du wirst ja immer dünner“.
epd: Noch handelt es sich um verbale Gewalt ...
Dackweiler: Ja, und dann kann es zu weiteren Eskalationen auf der psychischen Ebene kommen. Oder auch zu massiven Ausbrüchen, indem der über das angeblich schlechte Mittagessen schimpfende Mann den Teller vom Tisch fegt, sich brüllend und drohend über seine Partnerin beugt. Er holt zur ersten Ohrfeige aus. Die Spirale zur körperlichen Gewalt kommt in Gang.
epd: Warum verlassen Frauen, nachdem sie so heftig beschimpft und sogar geschlagen werden, nicht die unglückliche Beziehung?
Dackweiler: Diese Frage wird vom Umfeld sehr häufig gestellt: „Warum geht sie nicht?“ Dabei könnte man doch fragen: „Warum schlägt er? Warum würdigt er sie herab?“
Aber um Ihre Frage zu beantworten: Die Spirale der Gewalt, die mit Verunsicherungen, Herabwürdigung, Beschimpfungen und Einschüchterungen anfängt, beschreibt die Beziehungsdynamik nicht vollständig. Denn Täter zeigen zwischendurch Reue und versprechen, dass sie nie wieder Gewalt ausüben werden. Es kommen Blumen, Einladungen, ein schönes Geschenk.
epd: So bleibt es aber nicht ...
Dackweiler: Nein, dann kommt wieder die Wut. Schließlich, so denkt er, hat er sich doch solche Mühe gegeben. Und trotzdem hat sie ihn wieder verärgert und ihm einen Anlass für seine Gewalt gegeben. Es entsteht für die Gewaltbetroffene eine Dynamik von Kuss und Tritt, Kuss und Tritt.
epd: Wie können Männer daran gehindert werden, Gewalt an ihren Partnerinnen oder ehemaligen Partnerinnen auszuüben? Mit anderen Worten: Wie sieht erfolgreiche Prävention aus?
Dackweiler: Wir haben auch eine ganz große gesellschaftliche Verantwortung. Das bedeutet, nicht wegzusehen, wenn die Kollegin ein Brillenhämatom hat und wenig plausible Erklärungen dafür angibt oder auf Fragen ausweichend reagiert. Wir haben auch eine Verantwortung, wenn wir erleben, dass ein Mann immer wieder über seine Partnerin herabwürdigend redet, sie als Schlampe bezeichnet oder über sie herzieht.
epd: Sie sehen also vor allem Nachbarn, Freunde, Verwandte, Kolleginnen in der Verantwortung?
Dackweiler: Wir alle dürfen nicht wegsehen. Wir können den Betroffenen unsere Unterstützung anbieten, müssen dabei aber auch akzeptieren, wenn sie unsere Hilfe nicht sofort annehmen. Wir sollten vor allem auch gegenüber den Tätern klar auftreten, auch wenn deren Reaktion uns unangenehm sein könnte.
epd: Was ist im Leben der Männer, die gegenüber ihrer Partnerin zu Gewalttätern werden, falsch gelaufen?
Dackweiler: Kinder, die Partnergewalt gegen ihre Mutter erleben, haben ein höheres Risiko, später selbst Gewaltopfer oder Gewalttäter zu werden. Auch ist empirisch belegt, dass für Männer, die selbst misshandelt wurden, ein höheres Risiko besteht, später Gewalt auszuüben. Beides reicht allerdings zur Erklärung von Partnerschaftsgewalt nicht aus.
epd: Was kommt hinzu?
Dackweiler: Schauen Sie sich doch mal an, was in Hip-Hop-Videos gezeigt wird. Da wird ein Männlichkeitsideal des bulligen, coolen, souveränen und potenten Manns gezeigt und puppenhafte und devote Frauen. Diese Videos werden massenhaft konsumiert und sind in den Köpfen der Menschen präsent. Und welches Frauenbild ist in der Werbung zu sehen? Nicht selten finden wir fast unbekleidete oder nackte Frauen, mit welchen etwa für einen Heizungsbetrieb Reklame gemacht wird. Das alles beeinflusst unser Bild von dominanter Männlichkeit und gefügiger und gefälliger Weiblichkeit. Trotz aller Emanzipationsfortschritte in den vergangenen Jahrzehnten haben wir es eben weiterhin nicht mit einer Gleichrangigkeit und Gleichwichtigkeit der Geschlechter zu tun.
epd: Medienkonsum als Hindernis für Gleichberechtigung in Paarbeziehungen?
Dackweiler: Und das ist nicht alles. Um es deutlich zu sagen: Es ist erforscht, dass jedes elfjährige Kind bereits einmal in Berührung mit einem Pornovideo gekommen ist. Und noch ein Befund ist schockierend: 17-jährige männliche Jugendliche konsumieren Pornografie bis zu drei Stunden pro Woche. Die dargestellten Sexualpraktiken und hierüber vermittelten Bilder von männlicher Lust an Macht, Dominanz und Kontrolle und weiblicher Lust an Unterwerfung prägen das Verständnis von Männern und Frauen, welches Verhältnis zwischen Geschlechtern besteht und wie Heterosexualität aussehen kann und soll.
epd: Elfjährige Mädchen schauen Pornos? Wie die Jungs?
Dackweiler: Wie gesagt, haben auch Mädchen ersten Kontakt durch ungefragt weitergeleitete Pornofilmsequenzen auf ihr Handy und dies mehrheitlich viele Jahre, bevor sie selbst erste sexuelle Beziehungen eingehen. Außerdem gehört zum Alltag unserer Gesellschaft Prostitution. Ganz offen kaufen Männer sexuelle Dienstleistung von Frauen. Auch das sagt viel über die fortbestehenden Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern.
epd: Hier sehen Sie also einen Zusammenhang zur Gewalt in heterosexuellen Beziehungen?
Dackweiler: Die ausgeübte Partnerschaftsgewalt hat oft ihren Ursprung im Macht- und Kontrollanspruch von Männern und dem Ideal einer asymmetrischen Beziehung, das auch gewaltförmig durchgesetzt wird. Dieser Anspruch steckt nicht in der DNA der männlichen Bevölkerung, sondern in unserer gesellschaftlichen DNA.
Berlin, Nürnberg (epd). Die politische Debatte um Kürzungen beim Bürgergeld hat keinen Einfluss auf die Erhöhung der Leistungen zum Januar 2024. Der Auszahlungsprozess laufe bereits, sagte ein Sprecher der Bundesagentur für Arbeit (BA) dem Evangelischen Pressedienst (epd) am 6. Dezember. Es sei „technisch nicht mehr möglich“, andere Summen auszuzahlen, sagte er. Für Änderungen brauche die BA nach Inkrafttreten eines entsprechenden Gesetzes mindestens einen Monat Zeit, um die neuen Bescheide rechtzeitig zu verschicken.
Die Erhöhung des Bürgergelds ist bei Union und FDP in der Kritik. SPD und Grüne halten an ihr fest. Die Arbeitsmarktexpertin der Grünen-Bundestagsfraktion, Beate Müller-Gemmeke, warf Union und FDP im Gespräch mit dem epd vor, sie erweckten fälschlicherweise den Eindruck, das Bürgergeld sei zu hoch. Auslöser der Kürzungsdebatte sind die Haushaltsprobleme des Bundes nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts.
Das Bundeskabinett hatte die Erhöhung der Regelsätze im September beschlossen. Der Bundesrat hatte der Verordnung im Oktober zugestimmt. Danach steigt der monatliche Betrag für einen alleinlebenden Erwachsenen von 502 auf 563 Euro. Zusätzlich werden Miet- und Heizkosten übernommen.
Müller-Gemmeke kritisierte, dass Politiker von Union und FDP bei der Bevölkerung mit der Forderung nach einem niedrigeren Bürgergeld ein „Kopfkino“ in Gang setzten. Behauptungen, wonach Menschen ihre Stelle kündigten, um Bürgergeld zu beziehen, seien nicht nachvollziehbar, erklärte die Grünen-Politikerin. „Es gibt keine Zahlen, die belegen, dass Leute kündigen, weil sie ins Bürgergeld gehen wollen.“
Wenn behauptet werde, dass Menschen mit Sozialleistungen mehr hätten als arbeitende Menschen, werde häufig deren Nettoeinkommen mit dem Bürgergeld verglichen. Da werde mit falschen Zahlen operiert, kritisierte Müller-Gemmeke. Ein Paar mit zwei Kindern etwa bekomme zusätzlich 500 Euro Kindergeld, sowie den Kinderzuschlag und Wohngeld, wenn nur ein geringes Einkommen erwirtschaftet werde. Dies werde in der Regel nicht erwähnt. Das sei aber wichtig, sagte die Grünen-Politikerin: „Beim Bürgergeld bekommen Menschen diese Leistungen nicht, weil sie bereits eingerechnet sind.“
Künftig werde im Rahmen der Kindergrundsicherung geprüft, ob Eltern Anspruch auf den Kinderzuschlag haben, weil heute viele Familien den Zuschlag nicht beantragen. „Das ist die richtige Antwort, statt den Sozialstaat madig zu machen“, sagte Müller-Gemmeke. Sie bekräftigte, dass die Grünen die Erhöhung des Bürgergeldes nicht rückgängig machen werden: „Wir werden dem nicht zustimmen“, sagte sie und unterstützte damit die Position von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Auch die SPD-Vorsitzende Saskia Esken hatte die Erhöhung des Bürgergelds verteidigt.
Der Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Christian Dürr, macht sich unterdessen für eine Nullrunde im übernächsten Jahr stark. Er sagte der „Bild“-Zeitung (6. Dezember), wenn das Bürgergeld 2024 stärker steige als die Inflation, müsse es 2025 eine Nullrunde geben: Rechtlich sei „das auch möglich. Alles andere wäre ein falsches Signal.“ Dürr sprach sich außerdem für eine Änderung der Regelsatz-Berechnung aus. Die Ampel-Koalition solle „grundsätzlich über die Berechnungsmethode des Bürgergelds sprechen, die noch aus Zeiten von Hartz IV kommt“.
Die Berechnung orientiert sich an den monatlichen Ausgaben von Privathaushalten mit geringen Einkommen. Seit der Einführung des Bürgergelds geht die zu erwartende Inflation in die Regelsatz-Berechnung ein. Bei den vorherigen Hartz IV-Leistungen führten die Preissteigerungen erst im Nachhinein zu einer Anhebung. Für die jährliche Anpassung wird die Preis- und Nettolohnentwicklung im Verhältnis von 70 zu 30 Prozent berücksichtigt.
Berlin (epd). Mehr als eine Million Kinder in Deutschland leben dauerhaft in Armut. Der Anteil armer Kinder und Jugendlicher ist nach einem Forschungsbericht von Unicef seit einem Jahrzehnt unverändert hoch. Wie das UN-Kinderhilfswerk am 6. Dezember in Berlin mitteilte, rangiert Deutschland damit im unteren Mittelfeld der reichen Länder: auf Platz 25 der insgesamt 39 untersuchten Staaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und der Europäischen Union (EU). Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) nannte den Bericht einen „Weckruf“.
Unicef forderte die Politik auf, effektiver und nachhaltiger in Kinder und Jugendliche zu investieren. Familienministerin Paus räumte in Berlin ein, Deutschland habe bei der Kinderarmut „ein verfestigtes Problem“. Die Studienergebnisse sieht sie als Mahnung, dem Kampf gegen Kinderarmut höchste Priorität einzuräumen". Sie wolle daher mit der Kindergrundsicherung ab dem Jahr 2025 Armut in Deutschland bekämpfen.
In der EU sind laut Unicef rund sechs Millionen Kinder unmittelbar von Einkommensarmut betroffen. Hinzu kommen nach dem Bericht viele weitere Kinder, deren Familien es sich nicht leisten können, die Wohnung ausreichend zu heizen, abgenutzte Kleidung zu ersetzen oder für genügend Lebensmittel, geschweige denn Spielzeug zu sorgen.
Kinder, die dauerhaft oder immer wieder in Armut leben müssen, zeigen laut Bericht häufig soziale und emotionale Verhaltensauffälligkeiten. Viele von ihnen wiesen einen geringeren Wortschatz auf und erkrankten häufiger an Depressionen als Kinder, die in Wohlstand aufwachsen. Eine Person gilt als einkommensarm, wenn sie über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung verfügt.
Am schlechtesten ist nach dem Forschungsbericht die Entwicklung in Frankreich und Großbritannien. In Frankreich sei die Kinderarmut von 2012 bis 2021 um zehn Prozent angestiegen, in Großbritannien sogar um 20 Prozent. Dagegen minderten Polen, Slowenien, Lettland und Litauen Kinderarmut im Untersuchungszeitraum um mehr als 30 Prozent, wie es weiter heißt. „Die Politik hat es weitgehend in der Hand, Kinderarmut effektiv zu bekämpfen“, bilanzieren die Autoren des Berichts.
Daher dürfe nicht bei der Bekämpfung der Kinderarmut gespart werden, sagte Sebastian Sedlmayr von Unicef Deutschland. „Gemeinsam mit vielen anderen Organisationen appellieren wir deshalb an die Bundesregierung sowie die Länder und Kommunen, trotz der aktuellen Haushaltskrise mehr für Kinder zu tun, die in Armut leben. Neben einer effektiven Kindergrundsicherung geht es dabei um den Erhalt und Ausbau der Infrastruktur für Kinder“, sagte Sedlmayr.
Darmstadt (epd). Fofo, wie sie sich nennt, hat über ein Jahr gebraucht, um nach Deutschland zu kommen. Die junge Frau in schwarz-weiß gestreiftem Pulli, Blue Jeans und mit hochgesteckten schwarzen Haaren war im Irak Krankenschwester. Ihr Heimatland habe sie mit dem Ziel Europa verlassen, weil sie in Sicherheit leben wolle, sagt sie. Mit ihrer Mutter, ihrem Bruder und der damals sechsjährigen Schwester flog sie nach Belarus und ging zu Fuß nach Litauen. „Es war eine schlimme Zeit“, berichtet Fofo schon gut auf Deutsch. Ein Jahr lang hätten sie in einem geschlossenen Lager hausen müssen, ohne ärztliche Versorgung, ohne Schule und nur mit einer Mahlzeit am Tag. „Wir hatten Hunger“, sagt sie.
Im vergangenen Jahr schaffte es die junge Irakerin, nach Hessen zu kommen. Nach der Erstaufnahme in Gießen verbrachte sie zehn Monate in einer Unterkunft in Butzbach, dann lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) die Aufnahme eines Asylverfahrens ab und ordnete ihre Rückreise nach Litauen an. Das will Fofo auf keinen Fall. Ihre Hoffnung auf eine sichere Zukunft in Deutschland setzt sie in die Evangelische Matthäusgemeinde Darmstadt. Die Gemeinde hat sie, ihre Mutter und ihre kleine Schwester im September ins Kirchenasyl aufgenommen.
Kirchengemeinden wollen damit Flüchtlingen, die in ein anderes EU-Land abgeschoben werden sollen oder deren Asylantrag abgelehnt wurde, vor einer Abschiebung bewahren und ihnen zu einer Antragstellung oder erneuten Prüfung ihres Schutzantrags verhelfen. Die Kirchen haben sich darüber mit dem Bamf verständigt. Jeder Gast wird den Behörden gemeldet, diese respektieren in der Regel die Aufnahme.
In Deutschland gab es Ende Oktober nach Angaben der „Ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche“ 452 Kirchenasyle mit mindestens 629 Personen, davon etwa 97 Kinder. Die Zahlen schwanken stark: Auf ihrer Homepage hat die BAG die Zahl der gewährten Asyle dokumentiert. So wurden beispielsweise 2013 von der BAG 79 Kirchenasyle dokumentiert (davon 46 neu begonnen). Das bedeutete einen Anstieg der Kirchenasylfälle von 37 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, wo nur 50 Fälle verzeichnetet wurden. Im Vergleich zum Jahr 2011, in dem es 32 Kirchenasyle gab, war das ein Anstieg von knapp 60 Prozent.
Die Darmstädter Matthäusgemeinde hat für die Aufnahme von Geflüchteten gute Voraussetzungen: Sie verfügt über zwei Zwei-Zimmer-Wohnungen früherer Gemeindeschwestern und hat engagierte Ehrenamtliche. Seit 2015 hält sie die Wohnungen für Flüchtlinge vor, mehr als 60 haben dort inzwischen vorübergehenden Schutz gefunden. Den Schutzraum des Grundstücks dürfen die Flüchtlinge nicht verlassen. Sie lerne viel Deutsch, putze, helfe anderen, erzählt Fofo. Viele Menschen in der Kirchengemeinde seien freundlich zu ihr, kauften für sie ein oder laden sie zu einem Konzert oder Flohmarkt in die Kirche ein. „Schwer ist nur, nicht hinausgehen zu dürfen.“
Vier Helferinnen begleiten den Alltag der Gäste, wie Elisabeth Biehl-Menzel, die Leiterin des Arbeitskreises Kirchenasyl der Gemeinde, erklärt. Sie kaufen jede Woche für sie ein, begleiten sie zum Arzt, organisieren Besuche. Bei Aufnahme eines Gastes gebe es ein Kennenlerntreffen. Ein 22-Jähriger aus Guinea habe danach gesagt, zum ersten Mal in seinem Leben habe sich jemand für ihn interessiert.
Das Kirchenasyl verändert die Gäste, hat Biehl-Menzel beobachtet: „Sie kommen in großer Angst, dann merkt man von Tag zu Tag, wie sie zur Ruhe kommen, den Kopf frei kriegen und ihr Herz öffnen.“ Die Gäste verändern auch die Kirchengemeinde. Flüchtlinge gehörten inzwischen zum Gemeindeleben dazu, sagt Biehl-Menzel. Zweimal die Woche gibt es einen Sprachkurs, an dem die Gäste und Flüchtlinge von außerhalb teilnehmen. Für die von außerhalb bietet die Gemeinde auch Ausflüge an und veranstaltet Flohmärkte. Der Gottesdienst wird regelmäßig von Migranten aus Iran, Afghanistan oder Syrien besucht, Flüchtlinge wirken als Helfer beim Abendmahl mit.
In Darmstadt unterstützten die Stadt und die Öffentlichkeit das Kirchenasyl, erklärt Biehl-Menzel. Bei einer befürchteten Abschiebung im Sommer durch eine auswärtige Behörde seien morgens um sieben Uhr 150 Menschen erschienen, um dagegen zu protestieren. Die Abschiebung fand nicht statt, dem Gast wurde ein Asylverfahren versprochen.
Frankfurt a.M. (epd). Bei einem Kirchenasyl gewährt eine Kirchengemeinde von Abschiebung bedrohten Geflüchteten einen zeitlich befristeten Schutz. Ziel ist es, eine erneute sorgfältige Prüfung ihrer Situation durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) zu erreichen. Menschen, denen durch eine Abschiebung Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit oder nicht hinnehmbare Härten drohen, sollen dadurch ein neues Asylverfahren oder ein Bleiberecht in Deutschland erhalten.
Hintergrund des Kirchenasyls ist der Einsatz der Kirchen für das grundgesetzlich verankerte Recht auf Schutz von Menschenwürde, Freiheit und körperlicher Unversehrtheit. Der Staat toleriert das Kirchenasyl, bei dem Kirchengemeinden Flüchtlingen Wohnraum bieten und sie versorgen. Allerdings kann er von seinem Zugriffsrecht Gebrauch machen, um Betroffene abzuschieben.
Das erste Kirchenasyl fand 1983 in einer Berliner evangelischen Kirche statt. In Deutschland gab es Ende Oktober nach Angaben der Ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche 452 Kirchenasyle mit mindestens 629 Personen, davon etwa 97 Kinder.
Frankfurt a. M. (epd). Der Frankfurter Suchtforscher Heino Stöver hat das Gesetz zur Legalisierung von Cannabis begrüßt. „Das Gesetz ist ein großer Fortschritt, weil der Erwerb und Besitz und der Eigenanbau bei einer Menge von 50 Gramm straffrei gestellt wird“, sagte der Professor für sozialwissenschaftliche Suchtforschung an der Frankfurt University of Applied Sciences. Es werde zu einer deutlichen Entlastung von Cannabis-Konsumentinnen und -Konsumenten führen. „Sie konnten jahrzehntelang nur heimlich das auf dem Schwarzmarkt erworbene Cannabis verbrauchen. Hunderttausende von Strafverfahren werden endlich eingestellt“, erwartet der Experte.
Die Koalitionsfraktionen von SPD, Grünen und FDP hatten sich am 27. November abschließend über das Gesetz zur Legalisierung von Cannabis verständigt. Es wird derzeit im Bundestag beraten und soll im kommenden Jahr in Kraft treten.
Stöver hält es für richtig, dass mit dem neuen Gesetz nicht nur der Eigenanbau, sondern auch der gemeinschaftliche Anbau in Vereinen, den sogenannten Cannabis-Clubs, erlaubt wird. Dies werde unter ökologischen Anbaubedingungen geschehen. Das bedeute, dass das so gewonnene Cannabis nicht mehr mit Pestiziden oder anderen Giftstoffen verunreinigt sein werde. „Auch werden Konsumentinnen und Konsumenten nicht mehr durch synthetische Cannabinoide gesundheitlich gefährdet“, sagte Stöver.
Der Direktor des Instituts für Suchtforschung Frankfurt begrüßte, dass im Gesetz „der Kinder- und Jugendschutz sehr ernst genommen wird“. Allerdings werde es darauf ankommen, wie Jugendschutzmaßnahmen in die Praxis umgesetzt werden könnten. Die Präventionsbeauftragten in den Anbauvereinen hätten da eine wichtige Rolle, „aber das muss sich in der Praxis finden“.
Mit der Liberalisierung könne sich die deutsche Cannabis-Politik sehen lassen. „Im europäischen Vergleich sind wir jetzt am weitesten“, lobte Stöver. Als negatives Beispiel nannte er Frankreich. Der französische Nachbar habe mit seinen Repressionen die größten Probleme und den höchsten Konsum.
Stöver empfahl der Bundesregierung als nächsten Schritt die Entkriminalisierung der Konsumenten von Heroin, Amphetaminen und Stimulantien wie Kokain oder Crack. „Hier bekommen noch zigtausende Menschen wegen ihres Konsums Haftstrafen, die das Problem eher verschärfen“, kritisierte der Drogenexperte.
München (epd). Die vom Bund geplante Cannabis-Legalisierung verharmlost nach Ansicht der bayerischen Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU) die Gesundheitsrisiken der Droge. Wenn der Staat „quasi offiziell“ die Erlaubnis zum Konsum gebe, könne bei den Menschen das Gefühl entstehen „Wird schon nicht so schlimm und schädlich sein“, sagte Gerlach dem Evangelischen Pressedienst (epd): „Wir wissen aber, dass das insbesondere für Jugendliche und für Heranwachsende gerade nicht gilt.“
Sie halte eine Legalisierung für falsch, betonte Gerlach: „Wir werden als Staatsregierung alle rechtlichen Möglichkeiten dagegen ausschöpfen.“ Sie sei auch deshalb dagegen, den Konsum freizugeben, weil es dann faktisch keine Möglichkeit mehr gebe, eine solche Entscheidung wieder zurückzudrehen: „Es ist wahnsinnig schwierig, Dinge wieder zurückzunehmen oder einzuschränken, sobald sie einmal erlaubt sind“, sagte die Ministerin mit Blick auf die Forderung einiger Experten, den Alkoholkonsum in Deutschland stärker einzuschränken.
Man dürfe „der Legalisierung weiterer Suchtmittel überhaupt keinen Vorschub leisten“, forderte Gerlach. Schon vor einigen Tagen hatte die bayerische Staatsregierung angekündigt, die Kontrollen bei Umsetzung des Gesetzes - wenn man es nicht noch verhindern könne - „maximal restriktiv auszulegen“. Die Ampel-Parteien SPD, Grüne und FDP haben sich auf ein Gesetz zur Teillegalisierung von Cannabis verständigt. Es wird derzeit im Bundestag beraten und soll demnächst verabschiedet werden.
Düsseldorf (epd). Wie viele Beschäftigte hätten gerne eine Vier-Tage-Woche? Und unter welchen Bedingungen? Diese und andere Fragen beantwortet die Hans-Böckler-Stiftung nach Auswertung einer Umfrage unter Vollzeit-Angestellten. „Unsere Ergebnisse zeigen: Der Wunsch nach einer Vier-Tage-Woche ist dominant unter den abhängig Beschäftigten“, schreiben die Autoren Yvonne Lott und Eike Windscheid in ihrem Bericht „Vier-Tage-Woche - Vorteile für Beschäftigte und betriebliche Voraussetzungen für verkürzte Arbeitszeiten“.
Nach den Ergebnissen der Umfragen, die zwischen April und November 2022 gemacht wurden, wünschen sich 80 Prozent der Vollzeit-Beschäftigten eine Vier-Tage-Woche. Der größte Teil von ihnen (knapp 73 Prozent)wollen dies jedoch nur bei gleichem Lohn. Acht Prozent der Beschäftigten würden auch bei geringerem Lohn weniger arbeiten. 17 Prozent wünschen sich keine Vier-Tage-Woche. Und zwei Prozent gaben an, bereits weniger zu arbeiten.
Blickt man auf die Motive für eine verkürzte Arbeitszeit, dann werden vor allem mehr Zeit für sich selbst (97 Prozent), für ihre Familie (89 Prozent) sowie für Hobbys und Freizeitaktivitäten wie Ehrenämter oder Sport (87 Prozent) genannt. Fast 75 Prozent sagten, sie wollten die Arbeitsbelastung verringern. Damit, so die Autoren, könnten drei wesentliche Vorteile mit einer Arbeitszeitverkürzung erreicht werden: eine bessere Regeneration, eine bessere Vereinbarkeit von Familie und beruflichen Belangen und drittens mehr zivilgesellschaftliche Teilhabe. Oft scheitere ehrenamtliches Engagement an langen oder ungünstigen Arbeitszeiten.
Die wesentlichen Gründe gegen eine verkürzte Arbeit beziehen sich auf die vorhandene Arbeitsorganisation beziehungsweise die Arbeitsumstände. 82 Prozent, derjenigen, die sich keine Vier-Tage-Woche vorstellen können, gaben an, dass sich an den Arbeitsabläufen voraussichtlich nichts ändern würde und sie daher nicht kürzer arbeiten wollen. 77 Prozent sagten, dass die Arbeit in kürzerer Zeit nicht zu schaffen wäre, also die Arbeitsmenge einer Verkürzung der Arbeitszeit entgegensteht. „Spaß an der Arbeit“ ist neben „an den Arbeitsabläufen würde sich nichts ändern“ mit 86 Prozent der am häufigsten genannte Grund gegen den Start in eine Vier-Tage-Woche.
„Bleiben die Arbeitsmenge, die Arbeitsabläufe sowie eine (implizit erwartete) Erreichbarkeit unverändert, so werden die Vorteile der Arbeitszeitreduktion unterminiert - mit möglichen negativen Folgen für Arbeitsmotivation und Sinnerleben der Beschäftigten“, heißt es in der Studie. Es geht also um eine „echte“ Arbeitszeitreduktion, die nicht durch Mehrarbeit an den verbliebenen Tagen konterkariert wird.
Für eine wirkungsvolle Umsetzung braucht es den Fachleuten zufolge verbindliche Vertretungsregelungen, mehr Personal sowie eine angepasste Arbeitsorganisation und eine verringerte Arbeitsmenge, etwa durch Fortschritte in der Automatisierung. Empfohlen wird, den Beschäftigten eine Wahloption zu lassen zwischen der Vier- und Fünf-Tage-Woche. Das kürzere Arbeiten wäre dann Normalität, aber nicht vorgeschrieben: „Somit wird eine Norm geschaffen, nach der kürzere Arbeitszeiten die “neue Vollzeit„ sind.“
Hameln (epd). Grauer Himmel, grauer Beton, grauer Stacheldraht: Die Jugendanstalt (JA) Hameln sieht an diesem trüben Herbsttag besonders trostlos aus. Regen peitscht über das 20 Hektar große Gelände des größten Jugendgefängnisses Deutschlands südlich von Hameln in Niedersachsen. Ein paar Jungs schieben mit hochgezogenen Schultern eine Sackkarre - neugierig schauen sie hoch, einige lächeln scheu.
417 junge Männer sitzen derzeit in der JA Hameln - unter ihnen Sexualstraftäter und Mörder. Ein heute 15-Jähriger, der im Januar in Wunstorf einen Mitschüler ermordet hat, ist hier inhaftiert: zehn Jahre mit vorbehaltlicher Sicherungsverwahrung. Ebenso ein zur Tatzeit 14-Jähriger, der im Sommer 2022 in Salzgitter eine 15-Jährige tötete. Das Urteil: acht Jahre.
Nachdem die Jugendkriminalität über Jahrzehnte zurückgegangen war, zeigt die Polizeistatistik für 2022 einen Anstieg. Laut Bundesinnenministerium waren 2022 etwa 93.000 Kinder tatverdächtig, das ist ein Plus von rund 16 Prozent gegenüber dem Vor-Corona-Jahr 2019. Bei den Delikten handelt es sich meist um Diebstahl, Beleidigungen, leichte Körperverletzungen. Tötungsdelikte sind bei Jugendlichen trotz aller Schlagzeilen weiterhin selten.
Für junge Straftäter ist die JA Hameln ein Zuhause auf Zeit, Ziel ist die Resozialisierung. Dieser Gedanke wird im Jugendstrafrecht großgeschrieben. Er kommt laut niedersächsischem Justizvollzugsgesetz noch vor „dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten“. Der Vollzug sei erzieherisch zu gestalten, heißt es.
Die Gefangenen leben in Wohngruppen. Zu acht sind sie in Einzelzellen in einem Hafthaus untergebracht, betreut von einem Justizvollzugsfachwirt, so die offizielle Bezeichnung für das, was der Volksmund abfällig „Wärter“ nennt. „Die sind wichtige Bezugspersonen, fast wie Mutter oder Vater“, sagt JA-Sprecher David Lamers.
Die Zellen sind klein, neun Quadratmeter. Ein Bett mit dünner Matratze, ein Schrank schmal wie ein Spind, Tisch, Stuhl, ein vergittertes Fenster, eine Toilette mit Tür. Der Tagesablauf ist eng getaktet. Er beginnt morgens um sechs Uhr mit der „Lebendkontrolle“, es folgen Schule, Arbeit, Sozialtherapie, Freizeit - bis die Zellentür sich am Abend wieder schließt.
Einige Gefangene haben einen Fernseher. Wer beleidigt und prügelt, ist das Gerät aber schnell wieder los. „Das will niemand“, sagt Lamers. Immerhin verspricht der Fernseher etwas Zerstreuung. Internet und Handys sind in der JA tabu - für Insassen wie Bedienstete. „Unsere Drogenhunde können sogar Speichermedien erschnüffeln.“
Die Erziehung in der JA ist geprägt von strengen Regeln, einer klaren Erwartungshaltung und Privilegien für diejenigen, die sich an die Vorgaben halten. Nach dieser Bereitschaft werden die Gefangenen eingeteilt. In Haus drei leben die „Verweigerer“. Sonderrechte gibt es für sie nicht. Sie können zwar zur Schule oder zur Arbeit gehen, haben aber nur kurze und eng überwachte Freizeitintervalle außerhalb ihrer Zelle.
In Haus neun leben die Kooperationswilligen. Laute Bässe schallen aus einer Zelle. Sozialarbeiterin Linda Faix öffnet die Klappe in der Stahltür. „Machen Sie bitte leise“, ruft sie. Sofort ist die Musik aus. Wer sich an die Regeln hält, wird belohnt. In Haus neun dürfen die Gefangenen Privatkleidung tragen, sich eine Tiefkühl-Pizza in den Ofen schieben. Sie haben längere Aufschlusszeiten - zum Beispiel, um Sport zu treiben.
Tischtennis, Spinning, Badminton, Fußball - das Angebot ist groß: Es gibt einen Rasenplatz mit Aschenbahn, einen Basketball- und Beachvolleyballplatz und eine Indoorhalle. „Sport ist im Alltag der JA eine wichtige Säule“, sagt Lamers.
Ebenso wie Schule und Arbeit. Es gibt Haupt- und Realschulkurse, Sprach- und Integrationskurse. Dazu kommt die berufliche Ausbildung - etwa zum Mechaniker, Tischler, Maler, Maurer, Koch. 62 Prozent der Inhaftierten haben keinen Schulabschluss.
Für Roland Neumann ist Arbeit das A und O. Breitbeinig und gut gelaunt steht er in der Gefängnistischlerei. Insassen sägen und schleifen, es duftet nach Holz. „Wer nach einem Tag harter Arbeit kaputt nach Hause geht, macht keine Dummheiten mehr“, sagt der Tischlermeister. „Hier lernen die Jungs, dass Fähigkeiten zählen und nicht, wer der größte Macker ist.“
Fast alle Gefangenen kommen laut Lamers aus „broken homes“, einem kaputten Zuhause: Vernachlässigung, Gewalt, Drogen haben ihre Jugend geprägt. Zwei Drittel haben Suchtmittelerfahrung, 45 Prozent sind abhängig, sechs Prozent psychisch auffällig. Für sie gibt es Suchtbehandlungsplätze und eine Psychiatrie.
„Wer sich helfen lassen will, dem helfen wir mit ganzer Kraft“, sagt Lamers. Es gibt Trainings für Gewaltfreiheit, Kurse für junge Väter, Schuldnerberatung und eine gründliche Entlassungsvorbereitung.
In einer besonderen Vollzugsabteilung der JA ist außerdem die „Sozialtherapie für Gewalt- und Sexualstraftäter“ untergebracht. Dort muss dem Urteil des Landgerichts Hannover zufolge auch der Wunstorfer Jugendliche therapiert werden, der einen Mitschüler getötet hatte.
Stefan Warnecke ist seit Februar Seelsorger in der JA Hameln. Er ist überzeugt: „Reden hilft immer.“ Die Nachfrage nach Gesprächen, Halt gebenden Ritualen sei groß, sagt der evangelische Pastor. Sein Trumpf: „Gespräche mit mir fallen unter die Schweigepflicht.“
Hameln (epd). Die Jugendanstalt (JA) Hameln ist das größte Jugendgefängnis in Deutschland für junge Männer im geschlossenen Vollzug. Sie liegt im Hamelner Ortsteil Tündern südlich der niedersächsischen Stadt und wurde 1980 eröffnet. Es gibt derzeit 580 Haftplätze. Die jungen Insassen im Alter zwischen 14 und 24 Jahre verbüßen in der Regel Jugendstrafen von sechs Monaten bis zehn Jahren. Heranwachsende, die zur Zeit der Tat 18, aber noch nicht 21 Jahre alt sind, können Strafen von bis zu 15 Jahren erhalten.
Im Durchschnitt beträgt die Haftdauer knapp zwei Jahre. Insgesamt hat die JA 457 Mitarbeitende, darunter Vollzugsbeamte, Psychologinnen, Lehrer, Sozialarbeiter, Ärztinnen sowie Handwerksmeister als Ausbilder. Zur JA gehört ein offener Jugendvollzug in Göttingen mit 75 Plätzen. Das Gelände in Göttingen ist im Gegensatz zum Gefängnis in Hameln nicht technisch gesichert, es gibt dort weder Mauern noch vergitterte Fenster.
Hameln (epd). Die Psychologin Katja Liebmann wünscht sich von Eltern, Lehrern und anderen Bezugspersonen sich ein genaueres Hingucken bei Verhaltensauffälligkeiten von Jugendlichen. Liebmann arbeitet seit 2006 in der Jugendanstalt Hameln, seit drei Jahren leitet sie dort die Sozialtherapie. Mit ihr sprach Julia Pennigsdorf.
epd sozial: Frau Liebmann, was sagen Sie zu dem Eindruck, dass Jugendkriminalität und -gewalt zunehmen?
Katja Liebmann: Nach unserer Wahrnehmung nimmt die Jugendkriminalität quantitativ ab. Was zunimmt, ist die Brutalität, die Heftigkeit der Gewalttaten. Und die Taten werden zunehmend von jüngeren Tätern begangen. Die Zahl der sehr jungen Gefangenen in der Jugendanstalt Hameln steigt, ebenso wie psychische Probleme und Verhaltensauffälligkeiten.
epd: Woran liegt das?
Liebmann: Da kann ich nur Vermutungen anstellen, belastbare Studien gibt es dazu bisher nicht. Ich denke, zum Teil sind es - insbesondere bei den sehr jungen Gefangenen - auch Nachwirkungen der Corona-Pandemie. Der Lockdown, all die Beschränkungen, der Verlust stabilisierender Alltagsstruktur, Freunde, Schule haben Kinder in ihrer Entwicklung beeinträchtigt. Dazu kommt der Konsum digitaler Medien mit zum Teil verstörenden Inhalten, die einfach so mit einem Klick verfügbar sind. Der Anteil psychischer Erkrankungen hat zugenommen. Und natürlich spielt bei der Verunsicherung auch die krisenhafte Weltlage eine Rolle.
epd: Was brauchen junge Menschen in diesen Situationen, um nicht auf die schiefe Bahn zu geraten?
Liebmann: Vor allem verlässliche Bezugspersonen. Doch das Gegenteil ist bei weit über 90 Prozent der Häftlinge, die wir hier in der JA Hameln haben, der Fall. Sie haben in ihren Herkunftsfamilien viel Instabilität erfahren: Gewalt, emotionale Vernachlässigung, Trennung, Sucht. Wenn das nicht aufgefangen wird, von anderen Bezugspersonen, Großeltern, Lehrern, Nachbarn, Trainern, wird es schwierig.
epd: Was kann die Gesellschaft insgesamt tun?
Liebmann: Es ist wichtig, dass wir bei verhaltensauffälligen jungen Menschen genau hinschauen. Probleme dürfen nicht unter den Teppich gekehrt werden. Denn eines ist klar: Jugendkriminalität und Gewalttaten kommen niemals aus dem Nichts. Sie haben immer eine Vorgeschichte.
epd: Laut Landgericht Hannover muss der 15-Jährige, der im Januar seinen Mitschüler ermordet hat und zu zehn Jahren Haft verurteilt wurde, seine Strafe in der Sozialtherapie der JA Hameln absitzen. Wie läuft das ab?
Liebmann: Sie werden verstehen, dass ich nichts zu konkreten Fälle sagen kann. Grundsätzlich ist es so, dass jeder Häftling in der JA Hameln zunächst das sogenannte „Diagnostik- und Planungsverfahren“ durchläuft. Wir schauen uns den Häftling, sein bisheriges Leben, genau an, Familie, Schule, Lebenssituation. Was gibt es für Probleme, Risiken, Auffälligkeiten? In strukturierten Interviews erforschen wir die gesamte bisherige Entwicklung. Auf dieser Basis wird dann ein individueller Erziehungs- und Förderplan erstellt, der alle vier Monate fortgeschrieben wird. Diese Anamnese kann mehrere Monate dauern, sie bildet eine wichtige Basis für die Behandlung. Im von Ihnen angesprochenen Fall ist das Diagnoseverfahren noch nicht abgeschlossen, die eigentliche Therapie hat also bisher nicht begonnen.
Berlin (epd). Viele Krankenhausaufenthalte von pflegebedürftigen Menschen wären vermeidbar. Dem am 5. Dezember in Berlin vorgestellten Barmer-Pflegereport 2023 zufolge summieren sich die potenziell vermeidbaren Klinikbehandlungen von Pflegebedürftigen auf 1,3 Millionen Fälle im Jahr. Hauptgrund ist dem Report zufolge, dass pflegebedürftige und chronisch kranke Menschen pflegerisch nicht bestmöglich versorgt werden. Das betrifft die Betreuung in Heimen ebenso wie die Pflege durch ambulante Dienste. Patientenschützer und die Diakonie forderten Konsequenzen.
So werden dem Report zufolge etwa Patientinnen und Patienten mit einer Herzschwäche oder Diabetes in Kliniken eingewiesen, obwohl sie auch im Pflegeheim oder zu Hause stabilisiert werden könnten. Dafür müssten aber die Rahmenbedingungen stimmen, was nicht der Fall sei, kritisieren die Autoren des Pflegereports. Barmer-Chef Christoph Straub forderte regionale Versorgungseinrichtungen, in denen Pflegedienste, Ärzte und andere Gesundheitsberufe zusammenarbeiten, um zumindest die ambulante Pflegeversorgung zu gewährleisten.
Zu den unnötigen Krankenhausaufenthalten zählt dem Report zufolge auch die Verlängerung von Klinikaufenthalten um rund eine Woche, wenn die pflegerische Versorgung im Anschluss nicht rechtzeitig in die Wege geleitet wird. Darum müssten sich Kliniken und Kassen kümmern und den Angehörigen zur Seite stehen. Der Pflegewissenschaftler Heinz Rothgang von der Universität Bremen sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd): „Kurzzeitpflege ist Mangelware, ins Heim wollen viele nicht, und zu Hause geht's nicht.“ In dieser Situation müssten die Angehörigen dann eine Lösung finden. „Wir haben keine vernünftigen Nachsorge-Strukturen“, kritisierte Rothgang.
Der Vorstand der Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, erklärte, die Krankenhausaufenthalte seien nur in der Theorie vermeidbar. Praktisch erlebten Pflegebedürftige, dass die ambulante medizinische Versorgung abgebaut werde. So machten niedergelassene Ärzte kaum noch Hausbesuche. Der Report sei ein Appell an Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), bilanzierte Brysch, doch sei angesichts der Haushaltsprobleme nicht mit Besserungen zu rechnen.
Diakonie-Vorständin Maria Loheide erklärte, Krankenhauseinweisungen seien vermeidbar, wenn Pflegekräfte im Vorfeld mit den Ärzten, Angehörigen und den Kassen klärten, was individuell notwendig sei, wie etwa Arztbesuche und eine Haushaltshilfe. Doch werde diese Arbeit weder gewürdigt noch ausreichend bezahlt, obwohl sie helfe, Krankenhauseinweisungen zu verhindern.
Dem Statistischen Bundesamt zufolge wurden 2022 rund 16,8 Millionen Krankenhausbehandlungen gezählt. Vor den Corona-Jahren waren es 2019 mit 19,4 Millionen Behandlungsfällen deutlich mehr. Von den knapp 17 Millionen Klinikbehandlungen sind Rothgang zufolge insgesamt rund vier Millionen pro Jahr vermeidbar. 1,3 Millionen von diesen potenziell vermeidbaren Krankenhausaufenthalten betreffen pflegebedürftige Menschen.
Frankfurt a. M. (epd). Als Hugo noch Grundschüler war, besuchte er einmal im Jahr für einen Monat seine Großmutter in Deutschland. Und er ging dort zur Schule. Bemerkenswert fand er, dass „es allen in der Klasse super wichtig war, gute Noten zu bekommen“, erzählt der 13-Jährige, der mit seinen Eltern und sechs Geschwistern in Norwegen lebt. Dort gibt es erst ab der achten Klasse Noten. „Überhaupt ist es für die Kinder in der Schule viel entspannter“, berichtet seine Mutter Korinna Helling.
Hugos Papa Harald wollte nicht die Arztpraxis seines Vaters übernehmen und zog vor 20 Jahren nach Norwegen. Geplant war, sagt der aus dem Harz stammende Geriater, in dem Land zwei Jahre mit seiner Frau und seinen damals zwei Kindern zu bleiben. „Doch dann blieben wir hängen.“ Harald Helling fand einen guten Job. Er integrierte sich rasch und gut, sagt er. „Vier Jahre war ich im Pfarrgemeinderat.“
Seine deutschen Wurzeln hat der Arzt nicht vergessen. Manchmal schnappt sich Harald Helling einen Gedichtband von Rilke. Und genießt die deutsche Sprache. Bei Besuchen in Deutschland, sagt er schmunzelnd, werde sein in der Ferne verklärtes Deutschlandbild regelmäßig korrigiert.
Beim letzten Aufenthalt erlebte Harald Helling, wie schnell man bei geringem Fehlverhalten im öffentlichen Raum eine giftige Bemerkung kassiert. In Norwegen sei das nicht so. Dort seien die Menschen wesentlich entspannter.
Auch wenn er manches in Deutschland vermisst, vor allem die Kultur, möchte Helling nicht wieder zurückkehren. Dazu bietet ihm Norwegen zu viele Vorteile. Nicht nur, was die Schule für die Kinder anbelangt. Beruflich hat er Benefits, an die in Deutschland nicht zu denken ist: Als er noch Oberarzt war, konnte er alle drei Jahre vier volle Monate neben dem regulären Urlaub bezahlt freinehmen. Inzwischen ist er Chef einer geriatrischen Abteilung. Alle knapp fünf Jahre erhält er mindestens vier Monate bezahlten Bildungsurlaub. „Den nächsten werde ich vermutlich in Südafrika verbringen“, hat er sich vorgenommen.
Viel ist dieser Tage von Zuwanderung nach Deutschland die Rede, auch, weil überall Fachkräfte fehlen. Dabei gerät aus dem Blick, dass auch viele Deutsche ihrer Heimat den Rücken kehren. Laut Statistischem Bundesamt zogen 2022 mehr als 268.000 Deutsche ins Ausland. Knapp 185.000 Deutsche kehrten zurück.
Der Wanderungssaldo, also die Differenz zwischen Zu- und Abwanderung, vergrößerte sich in den letzten Jahren. Demnach zogen 2022 rund 83.000 Deutsche mehr weg als zu. 2019 betrug der Saldo nur 57.600. „Bei Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit ist seit 2005 eine Nettoabwanderung festzustellen“, teilt das Statistische Bundesamt mit.
Oft gäben persönliche oder familiäre Gründe den Ausschlag dafür, dass Deutsche ihr Geburtsland verlassen, sagt Uta Koch vom Raphaelswerk. Der in Hamburg ansässige Fachverband der Caritas berät Menschen, die Deutschland dauerhaft oder befristet verlassen wollen. Er koordiniert zwei evangelische sowie sämtliche Caritas-Beratungsstellen des Raphaelswerks in der Bundesrepublik.
Bei Andreas Abel, ein ehemaliger Münchner, gab der Job den Ausschlag für den Länderwechsel. Vor zehn Jahren ging der Programmiersprachenforscher nach Göteborg. Eigentlich wäre er gern in München geblieben: „In Deutschland ist es aber sehr schwer, eine akademische Karriere zu machen, die nicht mit 40 in einer Sackgasse endet.“ Das sei in Schweden anders.
Besser als in Deutschland sind laut Andreas Abel auch die Verwaltungsabläufe organisiert: „Vieles ist in Schweden digital, die Verwaltung ist wirklich auf Zack.“ Ein Problem sei speziell in Göteborg die Wohnungsnot: „Ich habe immer noch keine schöne Wohnung.“ Und, noch ein Manko: Das Wetter sei insgesamt schlechter als in Bayern, der Sommer kurz.
Das Paradies findet sich wahrscheinlich nirgendwo. Viele Länder haben gegenüber Deutschland zwar Vorzüge, gleichzeitig aber auch Nachteile. „Meine Aufgabe besteht darin, ergebnisoffen auf die Unterschiede der Systeme hinzuweisen“, sagt Uta Witte von der Evangelischen Auslandsberatung in Hamburg.
Bis zu 15 Anfragen treffen wöchentlich in ihrer Beratungsstelle ein. Aktuell wollen der Auswanderungsberaterin zufolge viele Menschen nach Österreich, Dänemark oder Großbritannien. Das war nicht immer so. Auch Auswanderung ist dem Wandel unterworfen: „Vor wenigen Jahren war die Nachfrage nach Schweden sehr groß.“ Laut Statistischem Bundesamt leben inzwischen 29.000 Deutsche in Schweden.
Witte berät nicht nur Auswanderer. Zu ihr kommen auch Menschen, die zurückkehren wollen. „Das wollen sie meist deshalb, weil ihre finanzielle oder gesundheitliche Situation prekär ist“, berichtet sie. Wer beispielsweise eine Operation machen lassen muss, stellt oft fest, dass die Chancen in Deutschland besser stehen als in der Wahlheimat. Das erkannte auch ein betagtes Paar, das vor langer Zeit nach Kanada ausgewandert war. Als es der Frau gesundheitlich immer schlechter ging, zogen die beiden unlängst nach Baden-Württemberg zurück.
„Kürzlich rief mich eine Familie an, die sich über das Heizkostengesetz beschwerte“, erzählt Uta Witte. Die Familie wohnt zur Miete. Die Angst, dass anstehende Heizungsbaumaßnahmen im Haus zu einer massiven Mieterhöhung führen könnten, ließ den Auswanderungswunsch wachsen: „Außerdem beklagten sie sich über die soziale Kälte im Land.“ Nach Norwegen sollte es gehen: „Allerdings war die Familie noch nie dort gewesen.“
Ob sie am Ende gegangen ist, weiß Uta Witte nicht. Sie berät immer so, dass die finanziellen, beruflichen und sozialen Konsequenzen einer Auswanderung klar werden. Dabei liege es ihr fern abzuschrecken. Aber Euphorie befeuern, das wolle sie auch nicht.
Hannover (epd). Die Beauftragte für Altenseelsorge der evangelischen Landeskirche Hannovers, Pastorin Anita Christians-Albrecht, benennt die Folgen der fortschreitenden Digitalisierung: Ob beim Online-Shopping, bei der digitalen Arztsprechstunde oder in den sozialen Medien entfalle ein persönlicher Kontakt, den nur die analoge Welt bieten könne. Die Folge sei eine wachsende Gefahr der Vereinsamung. Mit der Altenseelsorgerin sprach Daniel Behrendt.
epd sozial: Frau Christians-Albrecht, immer mehr alltägliche Vorgänge werden digital abgewickelt. Bleiben ältere, nicht digital sozialisierte Menschen dabei auf der Strecke?
Anita Christians-Albrecht: Die Gefahr besteht zumindest. Immerhin hat laut Statistischem Bundesamt 2022 ein Sechstel der 65- bis 74-Jährigen in Deutschland das Internet noch nie genutzt. Und zwei Drittel der über 80-Jährigen haben aus unterschiedlichen Gründen keinen Zugang zum Netz. W-Lan ist für Bewohnerinnen und Bewohner von Altenheimen oft nicht vorgesehen. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen fordert deshalb schon lange, dass bei der digitalen Teilhabe älterer Menschen mehr passieren muss, denn in einer technisierten Gesellschaft wie der unseren gehören der Zugang zum Internet und zu digitalen Angeboten zur Grundversorgung.
epd: Es gibt ja immerhin punktuelle Hilfen ...
Christians-Albrecht: Ja, es gibt viel Engagement und gute Projekte wie die „digitalen Engel“, die Seniorinnen und Senioren in persönlichen Terminen ins Internet einführen und ihnen beispielsweise zeigen, wie sie Online-Banking nutzen, bei Instagram unterwegs sind oder mit ihren Lieben in der Ferne chatten können. Auch in vielen Kirchengemeinden gibt es inzwischen Angebote, die Ältere dabei unterstützen, digital fit zu werden. Neben der Vermittlung technischer Digitalkompetenz gibt es aber noch eine andere, meiner Meinung nach mindestens ebenso wichtige Facette: Was macht die Digitalisierung mit uns und unseren Beziehungen? Befördert sie womöglich gerade bei Älteren vorhandene Probleme wie Einsamkeit? Ich glaube, das tut sie manchmal auch.
epd: Dabei bieten die sozialen Medien doch zahllose Möglichkeiten in Kontakt zu treten, gerade wenn die Mobilität nachlässt und weite Wege anstrengender werden, oder?
Christians-Albrecht: Das hat durchaus Vorteile. Und ich bin immer wieder erstaunt, wie viele Menschen jenseits der 70 oder 80 höchst versiert auf WhatsApp, Facebook, Instagram und selbst TikTok unterwegs sind. Die Krux ist nur: In den sozialen Medien neigen Menschen dazu, sich miteinander zu vergleichen. In einer virtuellen Welt, in der die meisten vermeintlich jung, schön, dynamisch und erfolgreich sind, kann dieser Vergleich - und das Gefühl, ihm nicht gewachsen zu sein - die Einsamkeit eher noch forcieren. Ältere brauchen oft eine andere Ansprache, verbindlichere Formen der Begegnung - und das auch im digitalen Raum.
epd: Wie kann so etwas aussehen?
Christians-Albrecht: Wir haben in der Altenseelsorge unserer Landeskirche ein sehr schönes Projekt namens „Slow Dating“ initiiert. Es ist in manchem tatsächlich das Gegenteil von „Speed Dating“. Es geht dabei nicht um Partnervermittlung im Turbo-Tempo, sondern darum, dass ältere Menschen in Ruhe, mit viel Zeit und in einem angenehmen, geschützten Rahmen miteinander ins Gespräch kommen können. In der Corona-Zeit haben wir das Format digitalisiert und die Treffen per Zoom angeboten. Das waren längere, moderierte Sitzungen zu verschiedenen vorgegebenen Themen von zwei Stunden Dauer, inklusive einer kleinen Einführung in die Technik. Das wurde hervorragend angenommen. Es gab wiederkehrende Teilnehmende - und manche Kontakte haben sich verstetigt und wurden in der analogen Welt fortgesetzt, etwa beim Kaffeeklatsch oder Spaziergang. Das Projekt hat mir gezeigt, dass das Digitale eine gute Ergänzung zum wirklich persönlichen Kontakt sein kann, niemals aber ein voller Ersatz.
epd: Digitale Begegnungen sind „entkörperlichte“ Begegnungen. Inwieweit spielt das beim Thema Einsamkeit eine Rolle?
Christians-Albrecht: Eine entscheidende, gerade für Menschen, die viel allein sind. Der kurze Schwatz mit der Kassiererin im Supermarkt entfällt beim Online-Shopping natürlich, der Hausarzt am Bildschirm kann der älteren Patientin nicht tröstend oder ermutigend die Hand auf die Schulter legen, und die Enkel zu umarmen ist etwas anderes, als nur mit ihnen zu chatten. Für die zunehmende Entkörperlichung des Alltages durch die Digitalisierung gibt es inzwischen den Begriff „haptische Einsamkeit“. Das trifft es sehr gut.
epd: Die Digitalisierung schreitet beschleunigt voran. Damit wächst der Lern- und Anpassungsdruck. Verstehen Sie, wenn ein älterer Mensch irgendwann sagt, dass er schlicht keinen Nerv mehr hat, Schritt zu halten?
Christians-Albrecht: Das verstehe ich absolut. Ich glaube sogar, dass die Widerständigkeit und eine gewisse „Sturheit“ mancher älteren Menschen äußerst wertvoll für die Gesellschaft ist. Sie halten uns in unserem Leistungsdenken, unserem unablässigen Strampeln, einen Spiegel vor und sagen gewissermaßen: Lass mal gut sein. Sie werfen die Frage auf: Wovon lassen wir uns eigentlich bestimmen? Und: Ist es das tatsächlich wert? Klar ist aber auch: Die Digitalisierung schafft neben Risiken auch viele Möglichkeiten. Dinge wie Smart-Home-Technik und Assistenzsysteme ermöglichen es Älteren beispielsweise, möglichst lange im eigenen Zuhause zu leben. Problematisch wird die Digitalisierung dort, wo sie der Menschenwürde zuwiderläuft. Wo sie ein Menschenbild propagiert, in dem das Altern, die Verletzlichkeit, auch die Hinfälligkeit keinen Platz haben, was etwa in den sozialen Medien durchaus zu beobachten ist. Da haben wir als Kirche schon ein Wächteramt und müssen uns klar dagegen stellen.
Berlin (epd). Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat dafür geworben, die Bedingungen insbesondere für ehrenamtliches Engagement in der Politik zu überdenken. Man müsse sich Gedanken darüber machen, wie man denjenigen, die sich engagieren wollen, auch Möglichkeiten biete, „die für sie passen“, sagte Steinmeier am 4. Dezember bei der traditionellen Ordensverleihung an engagierte Bürgerinnen und Bürger in Berlin. Die kirchlichen Hilfswerke Diakonie und Caritas forderten stabile Rahmenbedingungen für das freiwillige Engagement und eine bessere Finanzierung.
Steinmeier erklärte, mehr Ehrenamtler wünschten sich, politisch mitzugestalten. „Gleichzeitig plagen uns große Nachwuchssorgen gerade vor Ort in der Kommunalpolitik“, sagte der Bundespräsident. Wenn sich in einer vielfältigen Gesellschaft die Tendenz zum Rückzug verstärke, werde es für die Demokratie gefährlich, „denn dann trocknet sie von unten aus“, mahnte er. Das gelte generell, aber besonders in der Kommunalpolitik.
Die Diakonie wirbt gemeinsam mit einem zivilgesellschaftlichen Bündnis für die zügige Umsetzung des geplanten Demokratiefördergesetzes. „Demokratie braucht zivilgesellschaftliches Engagement. Unsere Demokratie wird derzeit oft infrage gestellt. Nur in einer starken Zivilgesellschaft können wir diese Herausforderung bewältigen“, sagte Vorständin Maria Loheide.
Die Caritas stellte heraus, freiwilliges Engagement halte die Gesellschaft zusammen. Weil der Wille schwinde, sich ehrenamtlich einzubringen, sei es wichtig, bestehende verbandliche Strukturen verlässlich zu stärken. „Werden Strukturen einmal zerstört, indem die Finanzierung zum Beispiel für die Freiwilligendienste wegbricht, dann wird es nur sehr schwer gelingen, diese Strukturen wieder aufzubauen“, sagte Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa.
Die Arbeiterwohlfahrt (AWO) forderte von der Bundesregierung eine „mutige und wirksame neue Ehrenamtsstrategie“. „Die Politik hat in den letzten Jahren zunehmend erkannt, wie wichtig bürgerschaftliches Engagement für die Demokratie ist. Jetzt gilt es, Taten folgen zu lassen“, sagte die Vorsitzende des Präsidiums, Kathrin Sonnenholzner. Es müsse der Weg zu einer dauerhaft und auskömmlich finanzierten Engagementinfrastruktur gefunden werden.
Hannover (epd). Am 15. November hatte die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ihre Tagung in Ulm wegen eines Bahnstreiks unterbrechen. Bei einer digitalen Fortsetzung am 5. Dezember fasste die EKD-Synode einen Beschluss zur Mitbestimmung in großen evangelischen Unternehmen.
Das geänderte Mitarbeitervertretungsgesetz der EKD sieht vor, dass in Einrichtungen mit mehr als 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern diese „durch eine Vertretung an den Aufgaben des Aufsichtsorgans der Einrichtung zu beteiligen“ sind. Die verbindliche Mitsprachemöglichkeit etwa im Aufsichtsrat eines großen diakonischen Trägers geht damit über die Regelungen im staatlichen Arbeitsrecht hinaus. Details der Regelung soll das Evangelische Werk für Diakonie und Entwicklung in einer Verbandsregelung bestimmen - mit einer Umsetzungsfrist „bis spätestens zum 31. Dezember 2028“.
Karlsruhe (epd). Die Diakonie Baden hat einen ersten Preis bei dem Wettbewerb „familyNET 4.0“ erhalten. Die Auszeichnung wurde vom baden-württembergischen Arbeitsministerium und dem Bildungswerk der Baden-Württembergischen Wirtschaft vergeben, wie die Diakonie am 1. Dezember mitteilte. Der Diakonie Baden wurde der Preis für ihre moderne Unternehmenskultur und der guten Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf zuerkannt.
Neben guten Arbeitsbedingen sieht Beatrix Vogt-Wuchter, Vorständin der Diakonie Baden, vor allem eine hohe Flexibilität für die Mitarbeitenden bei Arbeitsort und Arbeitszeit als Plus des kirchlichen Sozialwerks. In einem umfassenden Familienbegriff seien auch Kinder, pflegebedürftige oder erkrankte Angehörige und das Kümmern um Nachbarn eingeschlossen. .
Bei dem Wettbewerb „familyNet 4.0 - Familienbewusst. Innovativ. Digital - Fachkräfte sichern durch eine moderne Unternehmenskultur“ sind den Angaben zufolge Unternehmen in fünf Kategorien ausgezeichnet worden. Die Diakonie setzte sich in der Kategorie „51- 250 Mitarbeitende“ durch.
Essen, Kassel (epd). Finanzschwache Familien können den staatlichen Kinderzuschlag nur für Monate mit tatsächlich erhaltenem Einkommen beanspruchen. Ist eine Familie wegen eines zunächst nicht gewährten Krankengeldes auf Bürgergeld vom Jobcenter angewiesen, kann sie bei einer späteren Krankengeldnachzahlung nicht rückwirkend den vorenthaltenen Kinderzuschlag einfordern, entschied das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen in einem am 29. November veröffentlichten Urteil. Denn für den Anspruch auf den Kinderzuschlag komme es darauf an, wann das „Einkommen“, hier das Krankengeld, zugeflossen ist, erklärten die Essener Richter.
Der Gesetzgeber hat den Kinderzuschlag vorgesehen, damit Eltern mit kleinem Einkommen nicht in den Hartz-IV-Bezug, das heutige Bürgergeld, abrutschen. Voraussetzung ist damit eine Erwerbsfähigkeit und ein Erwerbseinkommen von mindestens 900 Euro (Paare) beziehungsweise 600 Euro (Alleinerziehende). Zum Einkommen zählt dabei nicht nur ein Verdienst aus einer selbstständigen oder versicherungspflichtigen Beschäftigung, sondern auch Kurzarbeitergeld, Krankengeld, BAföG oder Arbeitslosengeld I. Bezieherinnen und Bezieher von Hartz IV oder Bürgergeld erhalten keinen Kinderzuschlag.
Die Eltern dürfen zudem nicht über erhebliches Vermögen verfügen. Für jedes Kind, für das Kindergeld gezahlt wird, können monatlich bis zu 250 Euro an Kinderzuschlag gezahlt werden.
Im konkreten Rechtsstreit ging es um Eltern von sechs Kindern. Da die Mutter kindergeldberechtigt ist, erhielt sie für die Kinder den Kinderzuschlag. Als Einkommen machte sie das Krankengeld des arbeitsunfähig erkrankten Ehemannes geltend. Als ihm wegen einer zu spät eingereichten Krankmeldung das Krankengeld gestrichen wurde, war die Familie zur Deckung ihres Lebensunterhaltes auf Hartz-IV-Leistungen angewiesen.
Als dann die Krankenkasse doch noch Krankengeld rückwirkend bewilligte, wurde das Geld mit den zuvor gezahlten Jobcenter-Leistungen aufgerechnet. Nun wollte die klagende Mutter jedoch für die Streitmonate Juni und Juli 2017 rückwirkend auch den vorenthaltenen Kinderzuschlag beziehen. Denn mit dem nachgezahlten Krankengeld habe der Ehemann auch für diese Monate über Einkommen verfügt.
Die zuständige Familienkasse lehnte die Nachzahlung des Kinderzuschlags ab. In den strittigen Monaten sei der Familie kein Einkommen von jeweils mindestens 900 Euro zugeflossen.
Dem folgte das LSG. Zwar erfülle die Mutter die Grundvoraussetzungen für den Kinderschlag. So lebten die unter 25 Jahre alten Kinder in ihrem Haushalt, für die sie auch Kindergeld beziehe. Allerdings haben die Klägerin und ihr Ehemann in den Streitmonaten zusammen nicht über das Mindesteinkommen in Höhe von 900 Euro monatlich verfügt. Sie habe vielmehr in den Monaten Juni und Juli 2017 Arbeitslosengeld II erhalten, sodass der Bezug des Kinderzuschlags ausgeschlossen sei.
Maßgeblich sei das sogenannte Zuflussprinzip. Es komme darauf an, in welchem Monat das Einkommen zugeflossen ist. Hier habe die Familie in den Streitmonaten nicht über Krankengeld oder anderes anzurechnendes Einkommen als „bereite Mittel“ verfügt. Sie habe daher zu Recht Arbeitslosengeld II vom Jobcenter erhalten. Damit entfalle aber der Anspruch auf den Kinderzuschlag. Das LSG ließ die Revision zum Bundessozialgericht (BSG) in Kassel zu.
Die BSG-Richter urteilten bereits am 26. Juli 2016, dass auch das Elterngeld bei einkommensschwachen Familien als Einkommen angerechnet wird. Dies kann aber nicht nur dazu führen, dass Eltern die erforderliche Mindesteinkommensgrenze erreichen, sie können auch zusammen mit anderen Einkommen zu viel verdienen. Führe das Elterngeld dazu, dass der Bedarf der Familie zusammen mit anderen Einkommen mehr als gedeckt ist, gehe der Anspruch auf den Kinderzuschlag verloren, entschieden die Kasseler Richter.
Voll erwerbsunfähige Eltern können den gesetzlichen Kinderzuschlag nicht erhalten, urteilte das BSG am 13. Juli 2022. Dieser könne nur beansprucht werden, wenn zumindest ein Elternteil oder ein Kind ab 16 Jahren in einer Bedarfsgemeinschaft Erwerbseinkommen oder vergleichbares Einkommen hat. Anspruchsvoraussetzung für den Kinderzuschlag sei nach dem Gesetz, dass Familienmitglieder dem Grunde nach Grundsicherung für Arbeitsuchende erhalten können. Der Kinderzuschlag diene dann dazu, ein Abrutschen in den Hartz-IV-Bezug zu vermeiden.
Az.: L 9 BK 3/22 (LSG Essen)
Az.: B 4 KG 2/14 R (BSG, Elterngeld)
Az.: B 7/14 KG 1/21 R (BSG, Erwerbsunfähigkeit)
Karlsruhe (epd). Ausländerbehörden dürfen für den Familiennachzug von Ausländern die Pflicht zur Einholung eines entsprechenden Visums nicht überspannen. Wird von einem abgelehnten Asylbewerber und Vater von zwei Kindern für sein Aufenthaltsrecht ein Visum zum Familiennachzug verlangt, kann die geforderte Visa-Antragstellung in seinem Heimatland und die damit verbundene lange Familientrennung das Grundrecht auf Schutz der Familie verletzen, entschied das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe in einem am 4. Dezember veröffentlichten Beschluss.
Im konkreten Fall ging es um einen abgelehnten äthiopischen Asylbewerber. Der Vater von zwei 2015 und 2021 in Deutschland geborenen Töchtern übt zusammen mit der getrennt lebenden, als Flüchtling anerkannten Mutter das gemeinsame Sorgerecht aus.
Im Juni 2022 forderte die Bezirksregierung von Unterfranken als Ausländerbehörde ihn zur Ausreise auf. Da er nun über Passpapiere verfüge, sei seine bisherige Duldung erloschen, arbeiten dürfe er auch nicht mehr. Er könne zwar als Familienangehöriger seiner Töchter einen Aufenthaltstitel erlangen. Hierfür müsse er aber zunächst nach Äthiopien ausreisen und bei der Deutschen Botschaft ein Visum zum Familiennachzug beantragen. Erst dann könne er zurückkehren.
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) hielt dies für zumutbar, zumal das Visaverfahren vermutlich nur sechseinhalb Monate dauern werde. Es sei auch nicht zwingend davon auszugehen, dass er während seiner Abwesenheit seine Mietwohnung verliere.
Das Bundesverfassungsgericht sah indes den verfassungsrechtlichen Schutz der Familie verletzt. Zwar könne für einen Aufenthaltstitel wegen eines Familiennachzugs ein Visum verlangt werden. Dies müsse aber verhältnismäßig sein. Werde von einem Vater die Ausreise und ein monatelanges Visaverfahren verlangt, könne dies das Kindeswohl verletzen. So würden gerade kleine Kinder eine monatelange Trennung von ihrem Vater nicht begreifen und dies als endgültigen Verlust erfahren.
Der VGH habe keine „belastbare Prognose“ abgegeben, wie lange das Visaverfahren tatsächlich dauert und ob der Vater auch Anspruch auf das Visum hat. So sei es offensichtlich, dass der Beschwerdeführer ohne laufende Einkünfte seine Wohnung in Deutschland nicht halten könne. Um ein Visum zum Familiennachzug erhalten zu können, müsse aber „ausreichender Wohnraum“ vorhanden sein. Schließlich sei nicht geprüft worden, ob wegen der Integration des Mannes in Deutschland auf das Visumverfahren gänzlich verzichtet werden könne.
Az.: 2 BvR 441/23
Erfurt (epd). Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ist das Lesen einer SMS von ihrem Arbeitgeber über den Beginn ihrer zuvor eingeteilten Arbeitsschicht in ihrer Freizeit zuzumuten. Legt eine betriebliche Regelung fest, dass Springerdienste eines Notfallsanitäters vom Arbeitgeber einen Tag zuvor zu einem bestimmten Zeitpunkt angewiesen werden, darf der Beschäftigte eine solche SMS nicht ignorieren, entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt in einem am 6. Dezember veröffentlichten Urteil.
Im Streitfall ging es um einen Notfallsanitäter aus Schleswig-Holstein. Laut Betriebsvereinbarung wurde der Mann auch zu sogenannten unkonkreten Springerdiensten eingeteilt, um so kurzfristige Erkrankungen anderer Mitarbeiter zu kompensieren. Der Arbeitgeber musste dem eingeteilten Springer den Beginn und den Dienstort am Vortag bis spätestens 20 Uhr mitteilen.
Als der Arbeitgeber im April sowie im September 2021 kurzfristig Dienste besetzen musste, konnte sie den Kläger telefonisch nicht erreichen. Sie sandte ihm daher einen Tag zuvor eine SMS und wies ihn an, zur Arbeit zu erscheinen. Der Sanitäter nahm die SMS nicht zur Kenntnis und kam deshalb nicht beziehungsweise zu spät zur Arbeit. Der Arbeitgeber kürzte ihm eine Gutschrift in seinem Arbeitszeitkonto und erteilte eine Abmahnung. Der Kläger meinte dagegen, er sei nicht verpflichtet, ständig sein Smartphone auf SMS von seinem Chef zu prüfen.
Während das Landesarbeitsgericht Kiel ihm recht gab, urteilte das BAG, dass der Kläger die vom Arbeitgeber versandte SMS einen Tag vor Dienstbeginn auch in der Freizeit zur Kenntnis nehmen müsse. Ihm sei bekannt gewesen, dass er als Springer eingesetzt werde, und dass ihm der Arbeitsbeginn am Vortag bis 20 Uhr mitgeteilt werde. Zwar müsse bei einer „Arbeit auf Abruf“ der Mitarbeiter laut Gesetz mindestens vier Tage zuvor über seinen Einsatz informiert werden. Ein Abrufarbeitsverhältnis bestehe hier jedoch nicht, weil der Kläger von seinem Einsatz gewusst habe. Nur der konkrete Dienstbeginn und -ort seien unbekannt gewesen.
Er habe auch nicht „ununterbrochen“ sein Smartphone auf Nachrichten von seinem Chef prüfen müssen. Es habe ausgereicht, sich am Vortag um 20 Uhr über den konkreten Dienstbeginn zu informieren. Als Arbeitszeit sei das einmalige Checken des Mobiltelefons nicht zu werten, befand das Gericht.
Az.: 5 AZR 349/22
Kassel (epd). Das ehrenamtliche Mitglied eines Kita-Elternbeirats steht bei Sägearbeiten für den Weihnachtsbasar des Kindergartens unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Wurden die Sägearbeiten dem Freiwilligen ausdrücklich übertragen, muss die Unfallkasse für einen dabei geschehenen Unfall haften und ihn als Arbeitsunfall anerkennen, urteilte am 5. Dezember das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel. Für den Versicherungsschutz spiele es keine Rolle, dass sich der Unfall auf dem Privatgrundstück des Unfallopfers ereignet habe, befand das Gericht.
Konkret ging es um ein ehrenamtliches Mitglied des Elternbeirats eines kommunalen Kindergartens aus dem Raum Gotha. Der Mann hatte den Auftrag, für den jährlichen Weihnachtsbasar der Kita Baumscheiben zu beschaffen und zurechtzuschneiden. Mit dem Verkauf der Sägearbeiten sollten Kita-Projekte finanziert werden. Doch als der Kläger mit den Arbeiten auf seinem Privatgrundstück begann, geriet er mit seiner linken Hand in die Kreissäge. Er verlor dabei zwei Finger.
Von der Unfallkasse Thüringen wollte der Mann sich den Unfall als Arbeitsunfall anerkennen lassen. Doch die Kasse verweigerte das. Der Kläger habe sich zwar unentgeltlich für die kommunale Kita betätigt, sodass grundsätzlich Versicherungsschutz bestehe. Die Tätigkeit auf dem Privatgrundstück sei aber „außerhalb des organisatorischen Verantwortungsbereichs der Gemeinde beziehungsweise des Kindergartens erfolgt“, argumentierte die Kasse.
Doch das sei unerheblich, urteilte nun das BSG. „Der Schutz ehrenamtlich Tätiger erstreckt sich ohne zeitliche und örtliche Begrenzung auf alle Tätigkeiten für die im Gesetz genannten Einrichtungen“, stellten die Kasseler Richter klar. Dazu gehöre auch die kommunale Kita. Hier sei der Kläger ausdrücklich mit den Sägearbeiten beauftragt worden. Fehlende Einwirkungsmöglichkeiten seitens der Gemeinde oder der Kita „auf dem Privatgrundstück des Klägers sind insoweit ohne Belang“, urteilte das BSG.
Az.: B 2 U 10/21 R
Kassel (epd). Schwerstbehinderte Menschen können von ihrer Pflegeversicherung keinen Zuschuss für den Einbau einer videobasierten Türöffnungsanlage verlangen. Weil diese Technik mittlerweile kabellos und batteriebetrieben zur Verfügung stehe, liege keine fest mit der Wohnung verbundene Anlage vor, was Voraussetzung für den Zuschuss wäre, entschied das Bundessozialgericht (BSG) in einem am 1. Dezember bekanntgegebenen Urteil. Es sei aber möglich, dass die Krankenkasse eine solche als Hilfsmittel zum „mittelbaren Behinderungsausgleich“ bewilligt, erklärten die Kasseler Richter.
Der aus Franken stammende Kläger ist infolge eines Schädel-Hirn-Traumas auf einen Rollstuhl angewiesen und stark schwerhörig. Klingeln bei ihm Besucher, kann er die Haustür nicht selbstständig öffnen. Der privat versicherte Mann hatte daher für den Einbau einer videogestützten Türöffnungsanlage von seiner Pflegeversicherung einen Zuschuss in Höhe von mehr als 3.800 Euro beantragt. Die Anlage umfasste drei Monitore, zwei Videotürstationen und zwei Türöffner. Die Pflegeversicherung zahlte die beantragte „Wohnumfeldverbesserung“ nicht.
Sowohl das Landessozialgericht München als nun auch das BSG wiesen den behinderten Versicherten ab. „Eine videogestützte Türöffnungsanlage ist dem Zweck nach keine von der Pflegeversicherung zu bezuschussende Maßnahme der Wohnumfeldverbesserung, sondern ein der Leistungszuständigkeit der Krankenversicherung zuzurechnendes Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich“, urteilte die obersten Sozialrichter.
Ein Zuschuss für eine Wohnumfeldverbesserung komme nur für Anlagen infrage, die fest mit der Wohnung verbunden sind und bei einem Umzug typischerweise dort verbleiben. Videogestützte Türanlagen gebe es aber mittlerweile kabellos und batteriebetrieben. Fest mit der Wohnung verbunden seien diese nicht.
Ob der Kläger die Anlage als Hilfsmittel von seiner Krankenversicherung beanspruchen könne, könne hier nicht entschieden werden, erklärte das BSG weiter. Da er privat versichert sei, seien in diesem Fall die Zivilgerichte zuständig.
Az.: B 3 P 5/221 R
Düsseldorf (epd). Ein Arbeitgeber muss für eine unvollständige oder verspätete Auskunft über die gespeicherten Daten einer Arbeitnehmerin oder eines Arbeitnehmers keine Entschädigung zahlen. Die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) sieht in solch einem Fall keine Entschädigung für den Auskunft verlangenden Mitarbeiter vor, urteilte am 28. November das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf.
Der Kläger war vom 1. Januar bis 31. Dezember 2016 beim Kundenservice eines Immobilienunternehmens beschäftigt. Am 1. Oktober 2022 wollte er von seiner früheren Arbeitgeberin wissen, welche Daten diese über ihn noch gespeichert hat. Er verlangte eine Datenkopie und berief sich dabei auf die DSGVO.
Nach Artikel 15 DSGVO müssen datenverarbeitende Stellen, darunter auch Arbeitgeber, Betroffenen Auskunft über deren gespeicherter Daten geben. Dies umfasst Art und „Kategorien“ der Daten, ihre Herkunft und ihre Weitergabe an Dritte, den Zweck der Datenverarbeitung und Auskunft zur Dauer der Speicherung. Auf Antrag ist auch eine Kopie der gespeicherten Daten herauszugeben. Beides soll „unverzüglich“, spätestens aber innerhalb eines Monats geschehen. In schwierigen oder besonders umfangreichen Fällen kann dies um zwei Monate verlängert werden, der Betroffene ist darüber zu informieren.
Der frühere Mitarbeiter setzte für die verlangte Datenauskunft eine Frist und verlängerte diese noch einmal bis zum 31. Oktober 2022. Einige Tage später übermittelte die Arbeitgeberin eine Datenkopie. Erst zum 1. Dezember 2022 war die Auskunft vollständig. Wegen der verspäteten Datenauskunft verlangte der Kläger eine Entschädigung.
Das LAG wies ihn jedoch ab. Zwar habe der Kläger die gewünschte Auskunft zu spät erhalten. Dies führe jedoch nicht zu einem Anspruch auf Entschädigung. Eine solche sehe die DSGVO nur bei Verstößen gegen die Regeln für die Datenverarbeitung selbst vor, wenn Betroffenen dadurch ein Schaden entstanden ist. Hier habe der Kläger weder einen Schaden dargelegt, noch sei dieser ersichtlich. Gegen das Urteil hat das LAG die Revision zum Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt zugelassen.
Az.: 3 Sa 285/23
Wien (epd). In der Vollversammlung der Caritas Österreich am 21. November wurde das vierköpfige Präsidium der Caritas Österreich neu gewählt. Nora Tödtling-Musenbichler, Direktorin der Caritas der Diözese Graz-Seckau und Vizepräsidentin der Caritas Österreich, übernimmt im Februar die Leitung des Verbandes von Michael Landau. Sie ist die erste Frau in der Geschichte der Caritas, die dem Präsidium vorsteht.
Michael Landau sagte nach der Wahl: „Ich freue mich, dass mit Nora Tödtling-Musenbichler erstmals eine hochkompetente Frau an der Spitze der Caritas Österreich stehen wird. Ein starkes, weibliches Zeichen für die Caritas nach innen wie nach außen.“
Tödtling-Musenbichler war langjährige Leiterin der VinziWerke Österreich, seit November 2021 ist sie Direktorin der Caritas der Diözese Graz Seckau und seit Dezember 2022 Vizepräsidentin der Caritas Österreich. „Mir ist es gerade in Zeiten multipler Krisen, in einer Zeit, die von Unsicherheit, Komplexität - und ja auch Resignation geprägt ist - wichtig, dass die Caritas die Werte der Solidarität und des Zusammenhalts weiterhin lebt und vorlebt, mit Zuversicht und Hoffnung antwortet und Menschen in Not eine starke und laute Stimme gibt“, sagte die designierte Präsidentin.
Die Generalsekretärin der Caritas Österreich, Anna Parr, würdigte Michael Landau, der die Sozialpolitik Österreichs im letzten Jahrzehnt geprägt habe wie kaum ein anderer. Dafür gebühre ihm großer Dank. Mit Nora Tödtling-Musenbichler folge ihm eine ausgewiesene Sozialexpertin und Caritas-Direktorin mit viel Erfahrung nach.
Der scheidende Caritas-Präsident Landau ist seit 28 Jahren für die Caritas in Österreich im Einsatz, zunächst mehr als 25 Jahre als Caritasdirektor der Erzdiözese Wien und seit 2013 zusätzlich als Präsident der Caritas Österreich. Seit 2020 ist er auch Präsident der Caritas Europa und in dieser Funktion im Vorjahr bis 2027 einstimmig wiedergewählt worden. „Dieser Aufgabe werde ich mich weiterhin mit voller Kraft widmen“, kündigte Landau an.
Sascha John, Hauptgeschäftsführer der Alexianer GmbH (Münster), und Ulrich Knopp, Vorstandsmitglied der St. Franziskus-Stiftung (Münster), sind als neue Mitglieder in den Vorstand der Arbeitsgemeinschaft caritativer Unternehmen (AcU) gewählt worden. Die Wahl fand am 30. November auf der Mitgliederversammlung des Dienstgeberverbandes statt. Dem Vorstand gehören insgesamt acht Vertreter an, seine Amtsperiode ist von 2024 bis 2027. Im Januar wählt der neue AcU-Vorstand auf seiner konstituierenden Sitzung seinen Vorsitzenden. Derzeit bekleidet dieses Amt Matthias Scholz. Er gehörte bis 2020 der Malteser Deutschland gGmbH an. Die Mitglieder der AcU beschäftigen bundesweit etwa 142.000 Mitarbeitenden in allen Bereichen der Caritas.
Thomas Otto (53) bleibt Hauptgeschäftsführer der Saar-Arbeitskammer. Die Vertreterversammlung bestätigte ihn für weitere acht Jahre im Amt. Seit März 2016 führt er gemeinsam mit Geschäftsführerin Beatrice Zeiger die Geschäfte der Arbeitskammer. Otto ist Industriekaufmann und Diplom-Betriebswirt. In der Arbeitskammer sind alle sozialversicherungspflichtig beschäftigten Arbeitnehmer sowie Minijobber, Arbeitssuchende und Auszubildende automatisch Mitglied. Die Kammer berät und bildet nach eigenen Angaben ihre Mitglieder und forscht für deren Interessen.
Henning Golldack ist in den Vorstand des Digitalverbandes Finsoz gewählt worden. Das langjährige Verbandsmitglied und Leiter IT-Entwicklung und Datenmanagement der Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie mbH (NGD-Gruppe) in Rendsburg übernimmt die Position von Wolfgang Boelmann, der nach vierjähriger Tätigkeit aus dem Amt ausscheidet. Golldack wird sich als neues Vorstandsmitglied um den Ausbau der Angebote der Finsoz-Akademie kümmern und die Aufgaben der IT-Administration des Verbandes übernehmen. Der gemeinnützige Fachverband Finsoz versteht sich als Plattform zur Gestaltung des digitalen Wandels in der Sozialwirtschaft und Sozialverwaltung.
Stefan Gasser, Richter am Bundessozialgericht (BSG), ist zum 1. Dezember in den Ruhestand getreten. Gasser trat im November 2004 seinen Dienst als Richter am BSG an. Zunächst war er dem für Vertragsarztrecht zuständigen 6. Senat zugewiesen. Ab September 2009 wechselte als stellvertretender Vorsitzender in den 13. Senat (Rentenversicherung) und ab Oktober 2017 nochmals in den 6. Senat. Seit Januar 2020 war er stellvertretender Vorsitzender in dem für die Rentenversicherung zuständigen 5. Senat. Von 2017 bis 2021 war er zudem als Kostenrichter tätig. Von 2011 bis 2022 gehörte Gasser dem Präsidium des Bundessozialgerichts an.
Kerstin Wimmer ist neue Leiterin der Regionalstelle Oberpfalz der Landesbehörde Zentrum Bayern Familie und Soziales (ZBFS) in Regensburg. Sie tritt die Nachfolge von Abteilungsdirektor Günther Lange an. Lange trat Ende November in den Ruhestand. Kerstin Wimmer war, ehe sie nun die Leitung der oberpfälzischen ZBFS-Regionalstelle übernahm, unter anderem als Referatsleiterin in der Bayerischen Staatskanzlei für Bürgeranliegen zuständig. Anschließend war sie einige Jahre zunächst als Richterin an den Sozialgerichten in München und Regensburg, und zuletzt am Bayerischen Landessozialgericht tätig. In der Regionalstelle Oberpfalz des ZBFS kümmern sich 270 Beschäftigte um Bürgerbelange und sind zuständig für Familienleistungen (z. B. Elterngeld, Familiengeld und Krippengeld), das Schwerbehindertenverfahren, Leistung der Sozialen Entschädigung sowie das Bayerische Blindengeld.
Phillip Nowak (37) wird Verwaltungsdirektor im Sankt Vincentius Krankenhaus in Speyer. Der Gesundheitsökonom übernimmt den Posten in der kirchlichen Klinik im Januar. Zuvor war er in verschiedenen Häusern des Asklepios Konzerns als Klinikmanager tätig, zuletzt in den Asklepios Südpfalzkliniken Germersheim und Kandel.
Heinrich Stark, Richter am Bundessozialgericht a.D., ist am 29. November ist im Alter von 95 Jahren gestorben. Stark, 1928 in Sachsen geboren, trat nach Studium, Referendariat und einer kurzen Anwaltstätigkeit 1957 in den höheren Justizdienst des Landes Berlin ein und begann seine richterliche Laufbahn am Sozialgericht Berlin. Im Oktober 1969 wurde er zum Richter am Landessozialgericht ernannt. Im Juni 1976 wurde Stark zum Richter am Bundessozialgericht gewählt und war dort überwiegend mit Rechtsstreitigkeiten aus dem Gebiet der Rentenversicherung sowie der Kriegsopfer- und Soldatenversorgung befasst. Er war zudem von 1981 bis 1989 Mitglied der Dokumentationskommission des Gerichts.
15.1.:
Online-Seminar „Rechtliche Beratung in der Wohnungslosenhilfe - Mehr GeRECHTigkeit auf der Straße“
der Bundesakademie für Kirche und Diakonie
Tel.: 030/48837-495
16.1. Köln:
Seminar „Interne Revision bei gemeinnützigen Trägern“
der Solidaris Unternehmensberatung
Tel.: 02203/8997-119
16.1. Köln:
Seminar „Basiswissen Altenhilfe“
der Solidaris Unternehmensberatung
Tel.: 02203/8997-221
17.1.:
Webinar „Probleme in der Pflege lösen“
der BFS Service GmbH
Tel.: 0221/98816-802
22.1.:
Online-Kurs „Agiles Führen - Methoden zur Steigerung der Verantwortlichkeit, Zusammenarbeit und Selbstorganisation“
der Paritätischen Akademie Süd
Tel.: 0711/286976-10
24.1. Köln:
Seminar „Personaleinsatzplanung unter dem Bundesteilhabegesetz“
Tel.: 0221/98816-802
24.1.:
Online-Seminar „Soziale Arbeit über Grenzen hinweg - offenes Beratungsangebot zu Einzelfragen der Kinder- und Jugendhilfe mit Auslandsbezug“
des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge
Tel.: 030/62980605
24.1.:
Online-Kurs „Arbeitsorganisation und Tourenplanung - ein Seminar zur neuen Personalbemessung in stationären Pflegeeinrichtungen“
der Paritätischen Akademie Süd
Tel.: 0711/286976-10
29.1.-28.3. Stuttgart:
Seminar „Von der Fach- zur Führungskraft“
Tel.: 030/26309-142