Wiesbaden (epd). Die Politikwissenschaftlerin Regina-Maria Dackweiler sagt: Warnsignale für Partnerschaftsgewalt sind erkennbar. „Etwa wenn eine Frau mit ihrem neuen Freund ausgeht und dieser immer wieder Männer am Nebentisch aggressiv anpöbelt 'Was glotzen Sie meine Freundin so an?', dann sollte sie das nachdenklich stimmen. Auch Freunde könnten, bevor es zur körperlichen Gewalt kommt, Hinweise erkennen und einschreiten. “Wir dürfen nicht wegsehen", sagt die Wiesbadener Hochschullehrerin im Interview. Mit Regina-Maria Dackweiler sprach Markus Jantzer.
epd sozial: Nach den jüngsten Daten des Bundeskriminalamts haben die Fälle von Gewalt in Paarbeziehungen oder von Ex-Partnern deutlich zugenommen. Die Polizeibehörden registrierten 2022 im Durchschnitt 432 Fälle solcher Delikte pro Tag. Rund 80 Prozent der Gewaltopfer waren Frauen, 78 Prozent der Tatverdächtigen Männer. Wie bewerten Sie diese Zahlen? Und woher resultiert der Anstieg?
Regina-Maria Dackweiler: Partnerschaftsgewalt wird in allen sozialen Schichten ausgeübt, unabhängig vom Einkommen und Bildung, kulturellem und religiösen Hintergrund. Auch Professoren schlagen ihre Frauen. Einen Anstieg von Gewalttätigkeit erleben wir in Beziehungen, in denen die Frauen den Männern finanziell oder auch in der Bildung überlegen sind. Gefährlich wird es für die Frauen, wenn Männer dies als eine Bedrohung wahrnehmen und ihren Dominanzanspruch in Gefahr sehen. Bei den 20 Prozent der männlichen Opfer der BKA-Statistik handelt es sich bei einem Viertel bis zur Hälfte um Gegenanzeigen. Das geschieht insbesondere bei Sorgerechtsstreitigkeiten.
epd: Reden wir über den weitaus häufigeren Fall: Ein Mann schlägt seine Partnerin. Wie können Frauen schon früh erkennen, dass ihr neuer Beziehungspartner zur Gewalt neigt?
Dackweiler: Sie können einem Menschen Gewalttätigkeit nicht ansehen. Aber im Laufe einer Beziehung können Frauen einige Beobachtungen machen, die sie nachdenklich stimmen sollten. Etwa, wenn sie mit ihrem Partner ausgeht und dieser immer wieder Männer am Nebentisch aggressiv anpöbelt „Was glotzen Sie meine Freundin so an?“ und Ähnliches. Es gibt aber auch den Typus der Gewalt ausübenden Männer, der nach außen freundlich und umgänglich wirkt und ausschließlich innerhalb der Paarbeziehung aggressiv und gewalttätig ist. In der „Honeymoon“-Phase wird Gewalt vermutlich nicht auftreten - dann wird die Gefahr von Gewalttätigkeit kaum zu erkennen sein.
epd: Gibt es weitere Warnsignale?
Dackweiler: Der Ausübung von physischer Gewalt gehen in der Regel andere Gewaltformen voraus. Wenn etwa Männer versuchen, die sozialen Kontakte ihre Partnerinnen zu kontrollieren und einzuschränken und sie so sozial zu isolieren. Das kann durchaus in einer vermeintlich romantisierenden Weise geschehen, indem er davon spricht: „Es ist doch so schön, nur wir zwei. Lass uns doch nur noch füreinander da sein.“ Aber auch Herabsetzungen und gezielte Demütigungen können körperlicher Gewalt vorausgehen: „Wie siehst du denn heute wieder aus“ oder „Du wirst ja immer dünner“.
epd: Noch handelt es sich um verbale Gewalt ...
Dackweiler: Ja, und dann kann es zu weiteren Eskalationen auf der psychischen Ebene kommen. Oder auch zu massiven Ausbrüchen, indem der über das angeblich schlechte Mittagessen schimpfende Mann den Teller vom Tisch fegt, sich brüllend und drohend über seine Partnerin beugt. Er holt zur ersten Ohrfeige aus. Die Spirale zur körperlichen Gewalt kommt in Gang.
epd: Warum verlassen Frauen, nachdem sie so heftig beschimpft und sogar geschlagen werden, nicht die unglückliche Beziehung?
Dackweiler: Diese Frage wird vom Umfeld sehr häufig gestellt: „Warum geht sie nicht?“ Dabei könnte man doch fragen: „Warum schlägt er? Warum würdigt er sie herab?“
Aber um Ihre Frage zu beantworten: Die Spirale der Gewalt, die mit Verunsicherungen, Herabwürdigung, Beschimpfungen und Einschüchterungen anfängt, beschreibt die Beziehungsdynamik nicht vollständig. Denn Täter zeigen zwischendurch Reue und versprechen, dass sie nie wieder Gewalt ausüben werden. Es kommen Blumen, Einladungen, ein schönes Geschenk.
epd: So bleibt es aber nicht ...
Dackweiler: Nein, dann kommt wieder die Wut. Schließlich, so denkt er, hat er sich doch solche Mühe gegeben. Und trotzdem hat sie ihn wieder verärgert und ihm einen Anlass für seine Gewalt gegeben. Es entsteht für die Gewaltbetroffene eine Dynamik von Kuss und Tritt, Kuss und Tritt.
epd: Wie können Männer daran gehindert werden, Gewalt an ihren Partnerinnen oder ehemaligen Partnerinnen auszuüben? Mit anderen Worten: Wie sieht erfolgreiche Prävention aus?
Dackweiler: Wir haben auch eine ganz große gesellschaftliche Verantwortung. Das bedeutet, nicht wegzusehen, wenn die Kollegin ein Brillenhämatom hat und wenig plausible Erklärungen dafür angibt oder auf Fragen ausweichend reagiert. Wir haben auch eine Verantwortung, wenn wir erleben, dass ein Mann immer wieder über seine Partnerin herabwürdigend redet, sie als Schlampe bezeichnet oder über sie herzieht.
epd: Sie sehen also vor allem Nachbarn, Freunde, Verwandte, Kolleginnen in der Verantwortung?
Dackweiler: Wir alle dürfen nicht wegsehen. Wir können den Betroffenen unsere Unterstützung anbieten, müssen dabei aber auch akzeptieren, wenn sie unsere Hilfe nicht sofort annehmen. Wir sollten vor allem auch gegenüber den Tätern klar auftreten, auch wenn deren Reaktion uns unangenehm sein könnte.
epd: Was ist im Leben der Männer, die gegenüber ihrer Partnerin zu Gewalttätern werden, falsch gelaufen?
Dackweiler: Kinder, die Partnergewalt gegen ihre Mutter erleben, haben ein höheres Risiko, später selbst Gewaltopfer oder Gewalttäter zu werden. Auch ist empirisch belegt, dass für Männer, die selbst misshandelt wurden, ein höheres Risiko besteht, später Gewalt auszuüben. Beides reicht allerdings zur Erklärung von Partnerschaftsgewalt nicht aus.
epd: Was kommt hinzu?
Dackweiler: Schauen Sie sich doch mal an, was in Hip-Hop-Videos gezeigt wird. Da wird ein Männlichkeitsideal des bulligen, coolen, souveränen und potenten Manns gezeigt und puppenhafte und devote Frauen. Diese Videos werden massenhaft konsumiert und sind in den Köpfen der Menschen präsent. Und welches Frauenbild ist in der Werbung zu sehen? Nicht selten finden wir fast unbekleidete oder nackte Frauen, mit welchen etwa für einen Heizungsbetrieb Reklame gemacht wird. Das alles beeinflusst unser Bild von dominanter Männlichkeit und gefügiger und gefälliger Weiblichkeit. Trotz aller Emanzipationsfortschritte in den vergangenen Jahrzehnten haben wir es eben weiterhin nicht mit einer Gleichrangigkeit und Gleichwichtigkeit der Geschlechter zu tun.
epd: Medienkonsum als Hindernis für Gleichberechtigung in Paarbeziehungen?
Dackweiler: Und das ist nicht alles. Um es deutlich zu sagen: Es ist erforscht, dass jedes elfjährige Kind bereits einmal in Berührung mit einem Pornovideo gekommen ist. Und noch ein Befund ist schockierend: 17-jährige männliche Jugendliche konsumieren Pornografie bis zu drei Stunden pro Woche. Die dargestellten Sexualpraktiken und hierüber vermittelten Bilder von männlicher Lust an Macht, Dominanz und Kontrolle und weiblicher Lust an Unterwerfung prägen das Verständnis von Männern und Frauen, welches Verhältnis zwischen Geschlechtern besteht und wie Heterosexualität aussehen kann und soll.
epd: Elfjährige Mädchen schauen Pornos? Wie die Jungs?
Dackweiler: Wie gesagt, haben auch Mädchen ersten Kontakt durch ungefragt weitergeleitete Pornofilmsequenzen auf ihr Handy und dies mehrheitlich viele Jahre, bevor sie selbst erste sexuelle Beziehungen eingehen. Außerdem gehört zum Alltag unserer Gesellschaft Prostitution. Ganz offen kaufen Männer sexuelle Dienstleistung von Frauen. Auch das sagt viel über die fortbestehenden Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern.
epd: Hier sehen Sie also einen Zusammenhang zur Gewalt in heterosexuellen Beziehungen?
Dackweiler: Die ausgeübte Partnerschaftsgewalt hat oft ihren Ursprung im Macht- und Kontrollanspruch von Männern und dem Ideal einer asymmetrischen Beziehung, das auch gewaltförmig durchgesetzt wird. Dieser Anspruch steckt nicht in der DNA der männlichen Bevölkerung, sondern in unserer gesellschaftlichen DNA.