seit 1. Juli greift die zweite Stufe der Bürgergeldreform. Mit neuen Regelungen und Instrumenten sollen die Jobcenter den Langzeitarbeitslosen besser den Weg in die Beschäftigung ebnen - und dies am besten nachhaltig. Dabei soll ein sogenannter Kooperationsplan als gemeinsamer Fahrplan dienen, um eine Stelle am Arbeits- oder Ausbildungsmarkt zu erlangen. Die zwölf Jobcenter in Berlin begrüßen nach Angaben ihres Pressesprechers „die Entbürokratisierung der persönlichen Beratung“. Was die Jobcenter allerdings belastet, sind die im Entwurf im Bundeshaushalt 2024 vorgesehenen Kürzungen der finanzioellen Mittel um sieben Prozent.
Das Deutsche Jugendinstitut (DJI) hat untersucht, worauf es für eine gelingende Integration ukrainischer Flüchtlinge ankommt. Ganz zentral ist, wie der DJI-Forscher Max Reinhardt im Gastbeitrag für epd sozial schreibt, die Sprachförderung für Kinder, Jugendliche und Familien in Kitas, Schulen und durch außerschulische Kursangebote auszuweiten. Auch hätten Kultur- und Sportangebote eine wesentliche Bedeutung im Integrationsprozess. Mütter, die Hilfsangebote nutzen, äußerten in der Studie ein höheres Wohlbefinden.
Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) beklagt eine sich verschärfende Unterfinanzierung der Suchtberatung und der Suchthilfe. „Die Problematik spitzt sich aktuell aufgrund der schwierigen finanziellen Situation vieler Kommunen sowie aufgrund der Preissteigerungen weiter zu“, warnt die DHS. Weil nun auch noch Kürzungen im Bundeshaushalt drohen, warnen Suchthilfeexperten vor einem Abbau an Beratungs- und Hilfsangeboten. „Die Träger werden Personal reduzieren und Suchtberatungsstellen schließen müssen“, sagt die Landesstelle für Suchtfragen in Baden-Württemberg voraus.
Söhne oder Töchter, die mehr als 100.000 Euro brutto im Jahr verdienen, sind verpflichtet, den Aufenthalt in einem Pflegeheim ihrer Eltern mitzufinanzieren, wenn deren Einkommen nicht ausreicht. Allerdings darf die Sozialbehörde, die zunächst die Finanzierung übernommen hat, bei der Prüfung der Einkommensverhältnisse der Kinder nur nach dem Einkommen fragen und nicht auch noch die Vermögensverhältnisse prüfen. Andernfalls ist das Auskunftsersuchen nach einem Gerichtsurteil nichtig.
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Ihr Markus Jantzer
Frankfurt a. M. (epd). Mit Beginn dieses Jahres wurde Hartz IV in Bürgergeld umgewandelt. Auf die Jobcenter kamen damit neue Herausforderungen zu. Seit 1. Juli greift nun auch die zweite Stufe der Bürgergeldreform. Was es damit auf sich hat, weiß Matthias Kleindienst, Pressesprecher der Bundesagentur für Arbeit (BA) in Nürnberg. „Im Kern geht es bei der zweiten Stufe der Bürgergeldreform darum, dass wir nun Instrumente haben, mit denen wir Betroffenen den Weg in Beschäftigung besser ebnen können“, teilte er dem Evangelischen Pressedienst (epd) mit.
So wurden zum einen die Freibeträge für Bürgergeldbezieher erhöht, die zusätzlich Erwerbseinkommen erzielen. Sie dürfen, wenn sie zwischen 520 Euro und 1.000 Euro verdienen, seit Juli davon 30 Prozent behalten. Zuvor waren es lediglich 20 Prozent. Außerdem wurde die bisherige Eingliederungsvereinbarung durch einen sogenannten Kooperationsplan abgelöst. Er diene als gemeinsamer Fahrplan, um eine Stelle am Arbeits- oder Ausbildungsmarkt zu erlangen, sagt Kleindienst.
Zudem sollen Weiterbildungsmöglichkeiten den Weg zurück in Arbeit vereinfachen. Hierbei gibt es einmal das Weiterbildungsgeld in Höhe von 150 Euro monatlich für Weiterbildungen, die zu einem Berufsabschluss führen, sowie den Bürgergeldbonus in Höhe von 75 Euro im Monat für nicht-abschlussbezogene Weiterbildungen mit einer Dauer von mindestens acht Wochen.
„Diese Prämien sollen einen finanziellen Anreiz darstellen und so den Menschen im Bürgergeldbezug die Entscheidung für eine Weiterbildung erleichtern“, erklärt Kleindienst. Weiterbildung und Qualifizierung würden somit attraktiver. „Schließlich ist Bildung der beste Schutz vor Arbeitslosigkeit und hilft, den Drehtüreffekt, also den schnellen Wiedereintritt in die Arbeitslosigkeit, zu vermeiden“, sagt Kleindienst. Laut BA-Vorstand Daniel Terzenbach rückt mit der zweiten Bürgergeldreform eine nachhaltige Arbeitsmarktintegration vor der schnellen Jobvermittlung in den Vordergrund.
In den sozialen Medien tauschen sich Bürgergeldbezieherinnen und -bezieher über die Neuerungen aus. Hier sind die Meinungen geteilt. „Das Weiterbildungsgeld von 150 Euro ist goldrichtig“, schreibt eine Nutzerin auf X, vormals Twitter. Andere empfinden die Höhe als zu gering. Eine Nutzerin kritisiert zudem, dass der Bürgergeldbonus nicht für Fernuniversitäten gelte.
Die Jobcenter wurden auf die Neuerungen gut vorbereitet, so Kleindienst. „Der Umgang mit gesetzlichen Änderungen ist grundsätzlich nichts Neues für uns. Die erste Stufe zum 1. Januar haben die Kolleginnen und Kollegen gut gemeistert. Auch für die zweite Stufe zum 1. Juli wurden die Mitarbeitenden wieder unterstützt.“
Das kann Eugen Schalk, stellvertretender Geschäftsführer des Jobcenters der Stadt Ansbach, bestätigen. „Aufgrund der langjährigen Erfahrung zum Thema Weiterbildung verfügen die Jobcenter und ihre Mitarbeiter über fundiertes Fachwissen“, sagt Schalk. Dieses sei durch fachliche Weisungen, Fachpräsentationen und Fortbildungen zur zweiten Stufe der Bürgergeldreform erweitert worden. „In der Praxis konnten wir feststellen, dass das Weiterbildungsgeld und der Bürgergeldbonus die Jobcenter-Kunden durchaus zur Qualifizierung motivieren“, sagt Schalk.
Auch die Pressestelle der zwölf Berliner Jobcenter befürwortet die Neuerungen. „Wir begrüßen die Entbürokratisierung der persönlichen Beratung“, teilte Pressesprecher Jens Krüger mit. Die Beschäftigten in den Jobcentern hätten genug Zeit gehabt, sich auf die zweite Reformstufe vorzubereiten. „Die Jobcenter fühlen sich durch die zusätzlichen Aufgaben nicht überfordert“, betont der Sprecher.
Auch nach dem Eindruck des Sozialversicherungsexperten der Gewerkschaft ver.di, Markus Nöthen, sind die Beschäftigten ausreichend qualifiziert worden. Nichtsdestotrotz sei die andere Herangehensweise, also der „Kulturwandel“ für einige Jobcenter und ihre Beschäftigten, die bisher vermehrt mit Sanktionen gearbeitet haben, eine Umstellung.
Allerdings komme auf die Jobcenter eine andere Herausforderung zu: die Folgen der Etatkürzungen ab 2024. „Mit den geplanten Ausgabemitteln des Bundes für die Jobcenter von 9,85 Milliarden Euro für 2024 liegen wir um 700 Millionen Euro niedriger als im Vorjahr“, kritisiert Kleindienst. Das seien fast sieben Prozent weniger. Allein die Tariferhöhungen im kommenden Jahr würden zu Mehrkosten von 300 Millionen Euro führen.
Berlin (epd). Die Pläne von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) für eine schärfere Abschiebepraxis werden konkreter. Faeser veröffentlichte am 11. Oktober einen Gesetzentwurf, der nach ihren Worten „ein Bündel restriktiver Maßnahmen“ vorsieht, um Menschen ohne Bleiberecht in Deutschland leichter rückführen zu können. Parallel teilte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) in Berlin mit, dass sich die Bundesregierung darauf verständigt habe, den Zugang zu Arbeit für Menschen, die geflohen sind, in Deutschland zu erleichtern. Er sprach von einem „Doppelschritt“ beim Umgang mit dem Thema Migration.
Faesers Pläne gehen nun in die Abstimmung innerhalb der Bundesregierung und sollen nach ihren Worten „in Kürze“ vom Kabinett beschlossen werden, bevor der Bundestag darüber noch beraten muss. Ihr Gesetzentwurf sieht mehr Befugnisse für Behörden und Polizei bei der Durchsetzung von Rückführungen vor. Die Höchstdauer des sogenannten Ausreisegewahrsams, mit dem ein ausreisepflichtiger Ausländer festgesetzt werden kann, soll von zehn auf 28 Tage verlängert werden, damit die Behörden mehr Zeit für die Vorbereitung einer Abschiebung erhalten.
Vorgesehen ist unter anderem zudem, dass Polizisten zur Durchsetzung einer Abschiebung auch andere Räume als die des Betroffenen betreten können. Damit soll beispielsweise in Gemeinschaftsunterkünften sichergestellt werden, dass die Person auch tatsächlich angetroffen werde. Zudem sollen künftig Verstöße gegen Einreise- und Aufenthaltsverbote ein Grund für Abschiebehaft sein sowie Ankündigungen von Abschiebungen entfallen. Ausnahme sollen dabei Familien mit Kindern unter zwölf Jahren sein. Insbesondere bei den Grünen waren die Pläne auf Kritik gestoßen.
Bundeswirtschaftsminister Habeck sagte nach der Veröffentlichung von Faesers Plänen, dass sich die Regierung auch auf einen leichteren Arbeitsmarktzugang für Flüchtlinge geeinigt habe. Habeck zufolge zählt zu den geplanten Maßnahmen etwa eine Anweisung an Ausländerbehörden, dass Arbeit zugelassen werden „soll“ und nicht nur „kann“. Nach einem Bericht des ARD-Hauptstadtstudios sollen Flüchtlinge mit einem Aufenthaltsstatus zudem künftig schon nach sechs statt erst neun Monaten arbeiten dürfen.
Habeck betonte, dass allgemein zur Deckung des Fachkräftebedarfs in Deutschland Zuwanderung wichtig sei. Das Anwachsen der Zahl sozialversicherungspflichtig Beschäftigter sei seit diesem Jahr „nachweisbar“ von ausländischen Fachkräften getragen, sagte er. Von Januar bis Juni seien 100.000 sozialversicherungspflichtig beschäftigte Deutsche aus dem Job ausgeschieden. Parallel habe es einen Zuwachs von 300.000 sozialversicherungspflichtig beschäftigten Nicht-Deutschen gegeben, sagte Habeck.
Zugleich verteidigte er die Pläne im Bereich Abschiebungen. Man sehe, in welch herausfordernder Situation sich das Land derzeit befinde. Deswegen müsse man darauf eine Antwort geben, „auch um das Asylrecht zu verteidigen und einen Konsens in der Gesellschaft zu bewahren“. Es gehöre zur „DNA der Republik“, dass Menschen, die fliehen und nach Sicherheit suchten, in Deutschland Aufnahme fänden. Umgekehrt sei es dann aber auch richtig, dass Menschen, die nicht bleiben können, wieder ausgewiesen werden, sagte der Vizekanzler.
Berlin (epd). Die Unionsfraktion im Bundestag setzt angesichts der Finanzprobleme der Pflegeversicherung auf mehr private und betriebliche Vorsorge. Sie veröffentlichte am 11. Oktober in Berlin ein Positionspapier zur Zukunft der Pflegeversicherung. Der gesundheitspolitische Sprecher der Fraktion, Tino Sorge (CDU), nannte als eines der zentralen Ziele seiner Partei, zu einem Finanzierungsmix aus den Beiträgen zur gesetzlichen Pflegeversicherung plus privater und betrieblicher Vorsorge zu kommen. Nur mit einer Mischfinanzierung könnten ein Kollaps der Pflegeversicherung verhindert und die Beiträge stabil gehalten werden, sagte Sorge.
Die Union will besonders die junge Generation für mehr Vorsorge gewinnen. Die Zusatzbeiträge seien verkraftbar, wenn man früh genug beginne, privat für die Pflege vorzusorgen, erklärte Sorge. Der Abschluss von Zusatzversicherungen müsse mit steuerlichen Anreizen begleitet werden.
Bisher gibt es den sogenannten Pflege-Bahr, eine geringfügig vom Staat geförderte Zusatzversicherung, die von dem früheren FDP-Gesundheitsminister Daniel Bahr in einer schwarz-gelben Koalition unter Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) eingeführt worden war. Den verfügbaren Zahlen zufolge haben rund eine Million Menschen seit ihrer Einführung 2013 eine solche Versicherung abgeschlossen. Insgesamt haben in Deutschland weniger als vier Millionen Menschen eine private Pflegezusatzversicherung. In der gesetzlichen Pflegeversicherung sind rund 74 Millionen Menschen versichert, in der privaten Pflege-Pflichtversicherung gut neun Millionen.
Bei dem Vorhaben, eine betriebliche Pflege-Vorsorge zu fördern, orientiert sich die Union an Regelungen, die die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie tariflich vereinbart hat. Danach zahlen die Arbeitgeber einen Monatsbeitrag von rund 34 Euro für jede und jeden Beschäftigten. Im Pflegefall erhalten die früheren Beschäftigten dann monatlich zusätzlich 300 Euro Pflegegeld und 1.000 Euro, wenn sie stationär gepflegt werden.
Wegen der immer noch geringen Verbreitung der privaten Pflegezusatzversicherungen setzt die Ampel-Koalition demgegenüber auf eine freiwillige, zusätzlich zur gesetzlichen Pflegeversicherung einzuführende Pflegevollversicherung. Diese würde für alle Pflegeleistungen aufkommen und zu gleichen Teilen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern bezahlt werden. Dafür soll eine Expertenkommission Vorschläge erarbeiten.
Die familienpolitische Sprecherin der Fraktion, Silvia Breher (CDU), stellte im Rahmen der Unions-Pflegepläne eine Lohnersatzleistung für pflegende Angehörige in Aussicht. Sie schränkte aber ein, dass die Fraktion die Umsetzung nur befürwortet, wenn dafür Geld da ist. Das sei derzeit nicht der Fall. Bisher können Angehörige zehn bezahlte Tage im Job pausieren, wenn sie einen Pflegenotfall in der Familie haben. Auch die Ampel-Koalition strebt laut Koalitionsvertrag eine Lohnersatzleistung für pflegende Angehörige an, hat aber bisher keine Vorschläge vorgelegt.
Rund 4,7 Millionen Menschen erhielten im Jahr 2022 Leistungen aus der Pflegeversicherung. 80 Prozent der Pflegebedürftigen werden nach Angaben des Statistischen Bundesamts zu Hause von Angehörigen und Pflegediensten versorgt, der deutlich kleinere Teil in Pflegeheimen. Im vergangenen Jahr schloss die Pflegeversicherung mit einem Defizit von 2,3 Milliarden Euro ab. Die Ausgaben lagen 2022 bei rund 58 Milliarden Euro. Die Zusatzausgaben in der Corona-Pandemie und eine Ausweitung der Leistungen haben in den vergangenen Jahren zu mehr Ausgaben und einem wachsenden Defizit geführt.
Berlin (epd). Die Zahl der Rentnerinnen und Rentner, die Grundsicherungsleistungen beziehen, steigt auch in diesem Jahr weiter. Im bundesweiten Durchschnitt zählte das Statistische Bundesamt im Juni 2023 rund zehn Prozent mehr Altersrentnerinnen und -rentner in der Grundsicherung als im Juni 2022. Ihre Zahl stieg um 63.250 auf 691.820 Menschen.
Das geht aus einer Aufstellung des Statistischen Bundesamtes hervor, die die Linksfraktion im Bundestag angefragt hat und die auf den Internetseiten des Statistischen Bundesamts zu finden ist. Aus den Daten geht auch hervor, dass die Zahl der Frauen im Rentenalter, die auf die Grundsicherung angewiesen sind, weiterhin höher ist als die der Männer. Im Juni 2023 bezogen danach 394.565 Rentnerinnen und 297.250 Männer die Grundsicherung im Alter.
Den höchsten Anstieg gab es der Statistik zufolge in den fünf ostdeutschen Flächenländern. Er lag zwischen 14 Prozent in Brandenburg und 22,8 Prozent in Sachsen. In Thüringen stieg die Zahl der Rentnerinnen und Rentner mit Grundsicherungsbezug um 21,2 Prozent, in Sachsen-Anhalt um 17,1 Prozent und in Mecklenburg-Vorpommern um 17,3 Prozent.
In den westlichen Bundesländern fällt der Anstieg den Daten zufolge geringer aus, von 4,3 Prozent in Hamburg bis zu 11,3 Prozent im Saarland. Auch in Niedersachsen, Bayern und Hessen stiegen die Zahlen der Grundsicherungsbezieher unter den Rentnerinnen und Rentnern überdurchschnittlich, während die Steigerung in Baden-Württemberg, Berlin, Bremen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein unter dem bundesweiten Durchschnitt von zehn Prozent lag.
Der Linken-Fraktionschef im Bundestag, Dietmar Bartsch, sagte: „Die Altersarmut in unserem Land jagt von Rekord zu Rekord. Die aktuelle Bundesregierung tut gegen Altersarmut weniger als die Vorgängerregierung.“
Grundsicherung für Rentnerinnen und Rentner wird gezahlt, wenn die Renten und mögliche andere Einkünfte nicht zum Leben reichen. Als Faustregel gilt derzeit laut Rentenversicherung, dass Rentenbezieherinnen und -bezieher mit Monatseinkünften von weniger als 924 Euro prüfen lassen sollten, ob sie einen Anspruch auf Grundsicherung haben. Die Zahl der Bezieherinnen und Bezieher nimmt seit Jahren langsam zu. 2015 bezogen dem Statistischen Bundesamt zufolge 523.160 Rentnerinnen und Rentner Grundsicherung, fünf Jahre später, im Jahr 2020, waren es 569.490 Menschen.
In Deutschland bezogen Ende 2022 rund 21 Millionen Menschen eine Rente, davon 18,6 Millionen Menschen eine Altersrente.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Deutschen Jugendinstituts (DJI) haben die Lebenslagen von Kindern, Jugendlichen und Müttern, die aus der Ukraine nach Deutschland geflüchtet sind, untersucht. Auch analysierten sie in der Studie „Ukrainische Geflüchtete in Deutschland - Erhebungen zur Zielgruppe und zu kommunalen Betreuungs- und Unterstützungsstrukturen“ die bestehenden Hilfen, beispielsweise in der Kinder- und Jugendhilfe und in den kommunalen Verwaltungen. Ziel war es zu ermitteln, worauf es bei einer gelingenden Integration ankommt.
Für die Studie wurden drei Teilprojekte realisiert: „Kommunale Unterstützungsstrukturen“, „Kitas und ukrainische Mütter mit Kitakindern“ und „Ukrainische Jugendliche in Deutschland“. Im Zeitraum vom 1. September 2022 bis 28. Februar 2023 gab es quantitative und qualitative Befragungen der Zielgruppen zu ihrem Leben in Deutschland und ihren Unterstützungsbedarfen. Auch Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe, kommunale Verwaltungen und zivilgesellschaftliche Akteure wurden zu den Herausforderungen der Fluchtbewegungen befragt.
Die Forschungsergebnisse zeigen auf, dass Bildung, Sprachentwicklung, Freizeitgestaltung, Freundschaften und Unterstützungsstrukturen die Basis für eine gelingende Integration sind. Doch wie können Institutionen und Kommunen auf die Bedarfe von Geflüchteten reagieren?
Aus den Befunden zu den kommunalen Unterstützungsstrukturen ergeben sich mehrere Handlungsfelder. Ein grundlegender Schlüssel ist die Sprache. Eine unserer Empfehlungen ist, die Sprachförderung für Kinder, Jugendliche und Familien in Kitas, Schulen und durch außerschulische Kursangebote auszuweiten. Die Schulen kommen den Bedürfnissen der Kinder besser entgegen, wenn die Sprachförderung ergänzend zum Regelunterricht stattfindet und die Kinder in festen Regelklassen verortet sind.
Weiterhin könnten Informationskampagnen und verbesserte Zugänge zu Unterstützungsangeboten dabei helfen, Nutzungsbarrieren abzubauen, denn häufig sind unzureichende Deutschkenntnisse der Grund dafür, dass Hilfen beim Deutschlernen, bei Behördengängen oder der Wohnungssuche nicht in Anspruch genommen werden. Auch Kultur- und Sportangebote haben eine wesentliche Bedeutung im Integrationsprozess, weil sie niederschwellige Austauschmöglichkeiten eröffnen. Aus diesem Grund sollten sie weiter ausgebaut werden.
Weitere Erkenntnis: Für die Bereitstellung umfangreicher Integrationsangebote sind nachhaltig verankerte, breit aufgestellte kommunale Netzwerke mit zivilgesellschaftlichen Organisationen wesentlich, damit sie bei Bedarf schnell und nachhaltig auf aktuelle Integrationsherausforderungen reagieren können.
Die Mehrheit der ukrainischen Geflüchteten sind Mütter mit Kindern. Die meisten der 777 aus der Ukraine geflüchteten befragten Mütter fühlen sich erschöpft und durch das Kriegsgeschehen belastet. Auch das Wohlbefinden ihrer Kinder schätzen die Mütter häufig eher gering ein. Diejenigen, die psychologische, sprachliche und andere Unterstützungsmöglichkeiten nutzen, sind im Durchschnitt besser sozial integriert und haben intensivere Kontakte zur Bevölkerung.
Die Mütter, die diese Hilfsangebote nutzen, äußern zudem ein höheres Wohlbefinden und haben auch häufiger das Gefühl, in Deutschland sehr willkommen zu sein. Jedoch sind vielen Müttern, die die Angebote nicht nutzen, diese speziellen Hilfen gar nicht bekannt. Auch wird professionelle Unterstützung seltener wahrgenommen, wenn es keine passende Betreuungsmöglichkeit für die Kinder gibt.
Die 621 befragten Kita-Leitungen hoben hervor, dass Kita-Plätze sowie pädagogisches Personal fehlten. Fehlende Sprachkenntnisse der Kinder und ihrer Eltern sind den Aussagen nach für alle Beteiligten eine große Herausforderung. Das betont einmal mehr die Notwendigkeit niedrigschwelliger Zugänge zu den Sprachkursen für Geflüchtete.
Eine wesentliche Herausforderung ist die möglichst nahtlose Bildungsintegration durch Sprachförderung, durch Bildungs-, Sport- und Kulturangebote, aber auch durch Unterstützungsangebote im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe sowie im Gesundheitsbereich. Einige der Angebote werden auch von zivilgesellschaftlichen Organisationen wie Vereinen bereitgestellt. Verwaltungsinterne, abteilungsübergreifende Task Forces haben oftmals eine strategische Koordinationsfunktion, um auf kommunaler Ebene möglichst schnell und bedarfsgerecht zu handeln. Oftmals fehlt es aber an Ressourcen und Fachkräften. Gleichzeitig bleiben Plätze vor allem in den Kitas eine zentrale Herausforderung für die Kommunen und die Integration, wie auch Ergebnisse der Jugendamtserhebung im DJI-Projekt „Jugendhilfe und sozialer Wandel“ verdeutlichen.
Die befragten Jugendlichen sind vor dem Krieg geflüchtet, jedoch haben sie bereits vor oder während der Flucht Erfahrungen und Auswirkungen des Krieges erlebt. Nun stehen sie angesichts von Ortswechseln vor der Herausforderung einer möglichst bruchlosen Integration in ein neues Bildungssystem. Unsere Studie zeigt: Ein gelungenes Ankommen in Deutschland hängt maßgeblich von der Unterstützung und dem Engagement von Schule und Lehrkräften ab. Schule ist für Jugendliche ein zentraler Ort, um neue Freundschaften zu knüpfen. Gleichzeitig ist es für sie schwieriger geworden, ihre alten Freundschaften in der Ukraine zu pflegen.
Brückenklassen mit altersheterogener Zusammensetzung dienen dabei vor allem dem Erwerb von Deutschkenntnissen, ermöglichen jedoch nicht allen Schülerinnen und Schülern die angestrebten Bildungsfortschritte. Sie bieten jedoch mehr Kontinuität und damit mehr Möglichkeiten, Beziehungen aufzubauen als bei wechselnden Zuordnungen zu unterschiedlichen Regelklassen.
Zusammenfassend ist die Situation für alle Geflüchteten sehr belastend und mit der Anstrengung verbunden, den Übergang von der Ukraine nach Deutschland möglichst bruchlos zu bewältigen. Dabei fehlt es trotz vieler Koordinationsanstrengungen an Platzangeboten, Fachkräften, finanziellen Ressourcen und teils auch an ausreichender Angebotskenntnis seitens der Zielgruppe. Es bedarf längerfristig des Erhalts nachhaltiger Unterstützungsstrukturen vor allem in den Kommunen, auch über das aktuelle Flüchtlingsgeschehen hinaus.
Berlin, Frankfurt a. M. (epd). In der Debatte um eine gesetzliche Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs plädiert die evangelische Kirche für eine teilweise Streichung strafrechtlicher Vorschriften. Regulierungen des Schwangerschaftsabbruchs könnten nach einem Positionspapier der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für bestimmte Konstellationen auch außerhalb des Strafrechts formuliert werden. Die Stellungnahme des EKD-Rates wurde für die von der Bundesregierung eingerichtete Kommission für reproduktive Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin verfasst und am 11. Oktober veröffentlicht.
Dem Rat der EKD gehe es „um den größtmöglichen effektiven Schutz des Lebens nicht gegen die Rechte der Frau, sondern durch deren Stärkung“, erklärte die EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus laut Mitteilung. Bislang war die EKD für die geltende rechtliche Regelung eingetreten, die von Kritikern vermehrt als Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht von Frauen angesehen wird.
Der Rat der EKD betont in der Stellungnahme, dass er eine „vollständige Entkriminalisierung“ des Schwangerschaftsabbruchs wegen der Verpflichtungen des Staates für den Schutz des Lebens für „nicht vertretbar“ halte. Zudem plädiert er weiter für eine verpflichtende Beratung der Schwangeren vor einer Abtreibung. Vor allem Frauen, die wegen ökonomischen oder sozialen Zwängen nicht vollständig autonom entscheiden können, könnten sonst von einem bloßen Rechtsanspruch auf Beratung unter Umständen keinen Gebrauch machen, so die Befürchtung.
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Thomas Rachell, der selbst Mitglied des EKD-Rates ist, sieht die Stellungnahme kritisch. Rachel bezeichnete das Papier als „Paradigmenwechsel“, der ihm „große Sorge“ bereite, sagte er der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ am 12. Oktober.
Deutschland habe mit dem bisherigen Strafrechtsparagrafen 218 eine „kluge, ausbalancierte Regelung“, sagte Rachel der Zeitung. Die bewährte „doppelte Anwaltschaft“ für das Selbstbestimmungsrecht der Frau und das Lebensrecht des Ungeborenen dürfe nicht durch eine teilweise Streichung aus dem Strafrecht „ohne Not beseitigt werden“. Zugleich sprach er sich auch für die Beibehaltung der Beratungspflicht aus.
Ende März hatte die Kommission ihre Arbeit aufgenommen. Die Regierungskoalition aus SPD, Grünen und FDP will prüfen lassen, ob Abtreibungen weiterhin im Strafgesetzbuch (StGB) gesetzlich geregelt werden. Die katholische Deutsche Bischofskonferenz sprach sich am 11. Oktober für einen Verbleib des betreffenden Paragrafen 218 StGB aus. Ein Sprecher der Bischofskonferenz verwies auf Aussagen des Bischofskonferenz-Vorsitzenden, Georg Bätzing, von März.
Bätzing hatte damals erklärt, das Grundgesetz schütze nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sowohl die Selbstbestimmung und Gesundheit der Frau als auch das ungeborene Kind als selbstständiges Rechtsgut. Dass eine außerstrafrechtliche Regelung des Schwangerschaftsabbruchs das verfassungsrechtlich garantierte Lebensrecht des ungeborenen Kindes in gleicher Weise oder besser schützen solle als die gegenwärtige Regelung, sei nicht einsichtig, sagte er. Die Bischofskonferenz kündigte an, ebenfalls eine Stellungnahme für die Kommission abzugeben.
Auch der Katholische Deutsche Frauenbund hatte seine Position an die Kommission übermittelt, wie eine Sprecherin mitteilte. Die katholischen Frauen lehnen ebenfalls eine Streichung des Paragrafen 218 aus dem Strafgesetzbuch ab.
Der Rat der EKD spricht sich für eine „abgestufte Fristenkonzeption“ aus, über die noch näher zu diskutieren sei. Die Stellungnahme nennt selbst zwei Zeiträume als Orientierung: Spätestens ab der sogenannten extra-uterinen Lebensfähigkeit, die üblicherweise ab der 22. Schwangerschaftswoche angesetzt werde, „sollte ein Schwangerschaftsabbruch strafrechtlich geregelt und nur in klar definierten Ausnahmefällen zulässig sein“. Hinsichtlich möglicher anderer oder weiterer Fristen müsse ausgelotet werden, wie viel Zeit der Schwangeren minimal eingeräumt werden sollte, um eine verantwortliche Entscheidung zu treffen. Das könnten die ersten zwölf Wochen nach Empfängnis sein.
Berlin (epd). Die Sorge vor finanziellen Belastungen dominiert aktuell die Ängste der Deutschen. Einer Umfrage zufolge sind die drei häufigsten Befürchtungen die Sorge vor steigenden Lebenshaltungskosten, gefolgt von der Furcht, dass das Wohnen unbezahlbar wird und dass der Staat dauerhaft Steuern erhöht oder Leistungen kürzt. Das geht aus der repräsentativen Umfrage „Die Ängste der Deutschen“ im Auftrag der R+V-Versicherung hervor, die am 12. Oktober in Berlin vorgestellt wurde.
Dafür wurden zwischen Juni und August rund 2.400 Männer und Frauen der deutschsprachigen Bevölkerung im Alter ab 14 Jahren persönlich befragt, davon 800 in Ostdeutschland. Demnach hat sich die Stimmung der Deutschen insgesamt verschlechtert. Der Angstindex, der den durchschnittlichen Wert aller gemessenen Ängste wiedergibt, stieg laut Umfrage gegenüber dem Vorjahr um drei Prozentpunkte auf 45 Prozent.
So fürchten zwei Drittel der Deutschen, dass die Lebenshaltungskosten weiter steigen. Die Angst vor steigenden Preisen landete mit 65 Prozent zum zweiten Mal in Folge auf dem ersten Platz der Studie. Im Vorjahr war diese Angst angesichts der höchsten Inflation seit rund 50 Jahren um 17 Prozentpunkte auf 67 Prozent hochgeschnellt.
Die Politikwissenschaftlerin an der Marburger Universität, Isabelle Borucki, sagte als Beraterin der Studie: „Die Menschen fühlen sich in ihrer Existenzgrundlage bedroht und sehen ihren Lebensstandard gefährdet. Das schürt Abstiegsängste.“
Auf Platz zwei der Top-Ängste steht, dass Wohnen unbezahlbar wird (60 Prozent). „Hier ist der Staat in der Pflicht - das Recht auf Wohnen ist ein Menschenrecht“, sagte Borucki. 57 Prozent befürchten, dass der Staat dauerhaft Steuern erhöht oder Leistungen kürzt, Platz drei der Studie. Angesichts der öffentlichen Debatte über Sparpläne habe diese Sorge „einen ganz realen Hintergrund“, unterstrich Borucki.
Am deutlichsten gestiegen ist die Sorge, dass die Zahl der Geflüchteten die Deutschen und ihre Behörden überfordert. Sie legte im Vergleich zum Vorjahr um elf Prozentpunkte zu (56 Prozent, Platz vier). Auffällig sei dabei, dass diese Angst erstmals im Westen größer sei als im Osten. Die Befragten hätten Angst, „dass die Integration nicht gelingt“, sagte Borucki.
Eine ähnliche Steigerung um zehn Prozentpunkte zeige sich bei der Angst, dass das Zusammenleben zwischen Deutschen und den hier lebenden Migrantinnen und Migranten durch weiteren Zuzug von Menschen aus dem Ausland beeinträchtigt wird. Sie liegt mit 47 Prozent auf Platz zwölf (2022: 37 Prozent, Platz 16).
Dennoch blieben beide Sorgen deutlich unter ihren Höchstwerten von 2016. Damals fürchteten zwei von drei Befragten, dass der Staat überfordert ist und es durch weiteren Zuzug von Ausländern zu Spannungen kommt.
Heute denkt jeder Zweite (51 Prozent), dass die Politiker von ihren Aufgaben überfordert sind (Platz sechs; 2022: Platz zehn). Im Schnitt erhalten die Politiker die Schulnote 3,9 (2022: 3,7).
Die Angst vor den Folgen des Klimawandels landete auf Platz zehn, die Sorge vor Naturkatastrophen auf Platz elf (jeweils 47 Prozent). Dabei ist die Angst vor dem Klimawandel in Ostdeutschland weniger ausgeprägt als im Westen.
Berlin (epd). Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in seinem Urteil aus dem Jahr 2019 festgehalten, dass die EU-Mitgliedstaaten die Arbeitgeber verpflichten müssen, ein System einzuführen, mit dem die geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann. Auf dieser Grundlage hatte das Bundesarbeitsgericht (BAG) 2022 festgestellt, dass die Arbeitgeber ein System einführen und anwenden müssen, mit dem der Beginn und das Ende der täglichen Arbeitszeiten einschließlich der Überstunden erfasst werden.
Jetzt hatte der Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales Expertinnen und Experten geladen, die sich am 9. Oktober in Berlin zu zwei Anträgen von CDU/CSU und Linkspartei äußerten. Während die Vertreter der Arbeitgeberverbände in der Anhörung entsprechend dem Unionsantrag die Notwendigkeit von Spielräumen und Flexibilität betonten, trat der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) wie der Antrag der Linken für die taggenaue Aufzeichnung von Arbeitszeit und Ruhepausen ein.
Isabel Eder vom DGB betonte, eine enge Auslegung des BAG-Urteils wäre wünschenswert. Zudem gebe es bereits jetzt genügend Flexibilisierungsmöglichkeiten im Arbeitszeitgesetz. Der DGB plädierte für die Beibehaltung des Achtstundentages, der von erheblicher Bedeutung für den Arbeits- und Gesundheitsschutz sei. Eder sprach sich ferner für eine Begrenzung der täglichen Höchstarbeitszeit aus.
Unterstützt wurde diese Position von Nils Backhaus von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. Er wies darauf hinwies, dass 80 Prozent der Beschäftigten ihre Arbeitszeit bereits erfassten. Diese verfügten über mehr zeitliche Spielräume als jene, die das nicht tun. Einfluss auf die Arbeitszeit zu haben, wirke sich aus Sicht des Arbeitsschutzes positiv aus, sagte Backhaus. Lange Arbeitszeiten könnten hingegen zu psychosomatischen Beschwerden führen bis hin zu Depressionen und Angststörungen, Stoffwechselerkrankungen oder Erschöpfungszuständen.
Dagegen unterstrich Roland Wolf von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), dass der Erhalt der sogenannten Vertrauensarbeitszeit ein wichtiges Element der betrieblichen Praxis sei. Wolf schlug vor, die Höchstarbeitszeit auf die Woche zu verteilen. Das BAG habe die Vertrauensarbeitszeit bestätigt, deshalb sollte aus seiner Sicht daran festgehalten und nicht in Arbeitsverträge eingegriffen werden. Nach Wolfs Interpretation des EuGH-Urteils müsse der Arbeitgeber lediglich ermöglichen, dass die Arbeitszeit erfasst werden kann. Er sei aber nicht verpflichtet, diese selbst zu erfassen.
Oliver Zander vom Gesamtverband der Arbeitgeberverbände der Elektro- und Metall-Industrie (Gesamtmetall) sagte, an „minutengenauer“ Arbeitszeit-Aufzeichnung hätten die Arbeitgeber kein Interesse. Zander ermunterte die Koalition, „Vertrauensarbeitszeit wieder zu ermöglichen“. Andernfalls würde eine „gute, eingeübte Kultur verschüttet“. Aus seiner Sicht ermögliche das EuGH-Urteil eine „Vereinbarungslösung“.
Unterschiedliche Sichtweisen gab es auch bei den Jura-Professoren. Gregor Thüsing von der Universität Bonn sprach sich für tarifliche Öffnungsklauseln aus. Der EU-Gesetzgeber gehe von einer Wochen-Höchstarbeitszeit von 48 Stunden aus. Kombiniert mit Ruhezeiten sei das ein genügender Schutz. Die Bundesregierung sollte sich daran orientieren, so Thüsing, „mehr Freiheit“ zu wagen.
Christiane Brors von der Universität Oldenburg sagte, auf Dauer länger als acht Stunden pro Tag zu arbeiten, sei ungesund. Mobiles Arbeiten führe zur Entgrenzung von Arbeit und Freizeit. Die Zunahme von psychischen Erkrankungen zeige, dass ein modernes Arbeitsrecht Begrenzungen brauche. Erforderlich sei auch eine manipulationssichere Arbeitszeiterfassung. Aus Bror' Sicht wird es auf eine taggenaue Aufzeichnungspflicht, die zu Kontrollzwecken auch digital sein sollte, hinauslaufen.
Frank Bayreuther von der Universität Passau plädierte für eine klare gesetzliche Vorgabe, dass eine Behörde bei Verstößen ein Bußgeld verlangen kann. Er widersprach der Ansicht, der Arbeitgeber könne selbst entscheiden, ob er von der Arbeitszeiterfassung Gebrauch machen wolle oder nicht.
Frankfurt a. M. (epd). Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) beklagt: Geld für eine ausreichend gut ausgebaute Suchthilfe fehle seit Jahrzehnten. „Die Problematik spitzt sich aktuell aufgrund der schwierigen finanziellen Situation vieler Kommunen sowie aufgrund der Preissteigerungen bei den Personalkosten, den Mieten und der Energie weiter zu“, heißt es in einem Eckpunktepapier der DHS zur Finanzierung der Suchtberatung.
Weil in dieser Lage nun auch noch Kürzungen im Bundeshaushalt im kommenden Jahr drohen, warnen Suchthilfeexperten vor einem Abbau an Beratungs- und Hilfsangeboten für Suchtkranke. „Die Träger werden Personal reduzieren und Suchtberatungsstellen mancherorts ganz schließen müssen“, sagt die Landesstelle für Suchtfragen in Baden-Württemberg voraus. Der Bundesetat mit dem Titel „Aufklärungsmaßnahmen auf dem Gebiet des Drogen- und Suchtmittelmissbrauchs“ soll nach aktuellen Plänen massiv gekürzt werden: von derzeit 13,2 Millionen Euro auf 9,2 Millionen Euro in 2024.
Die Suchtberatung fällt nach dem Sozialstaatsprinzip unter die kommunale Daseinsvorsorge und wird durch Steuermittel von Bund und Ländern finanziert. Verbände kritisieren, dass die Höhe und Verwendung der Geldmittel jedoch auf einer politischen Entscheidung und nicht auf der Grundlage des tatsächlich festgestellten Bedarfs beruhe.
Geld für Suchtberatung sei eine gute Investition, betont Heike Timmen, Suchthilfereferentin beim AWO-Bundesverband. „Für jeden eingesetzten Euro können 17 Euro an Folgekosten eingespart werden“, sagt sie. In den rund 1.400 Suchtberatungsstellen bundesweit würden jährlich etwa 500.000 Abhängigkeitskranke beraten.
Wie schnell und wie häufig ein Suchtkranker Hilfe erhält, hänge allerdings davon ab, wo er lebt: „Es gibt Regionen, in denen eine Fachkraft für bis zu 70.000 Personen zuständig ist.“ Timmen fordert eine Suchtfachkraft pro 10.000 Einwohner.
Der Verein „Suchtberatung“ im baden-württembergischen Weinheim unterstützt derzeit mehr als 600 Abhängige und ihre Angehörigen. Der Leiter des Vereins, Paul Jöst, findet es unverständlich, dass das Land Baden-Württemberg nicht mehr in Suchtberatung investiert: „Die Förderung hat sich für uns seit 2002 fast nicht verändert.“ Dabei seien die Kosten in vielen Bereichen deutlich gestiegen.
Suchtkranke leiden laut Karina Bauer, Leiterin der Suchtberatungsstelle des Blauen Kreuzes in Würzburg, nicht allein unter ihrem unkontrollierten Drogenkonsum. Vergrößert werde ihr Leid durch gesellschaftliche Ächtung. „Mir ist es ein großes Anliegen, gegen Stigmatisierung zu wirken“, sagt die Suchttherapeutin.
Paul Jöst arbeitet dafür, dass Menschen erst gar nicht in eine Suchtspirale hineingeraten. Dafür geht er auch in Schulen. „Einmal im Monat sind wir außerdem im Jobcenter“, sagt er. Noch mehr könnte nach seinen Worten getan werden, gäbe es mehr Geld für Suchtprävention.
Corinna Mäder-Linke, Geschäftsführerin des Bundesverbands Suchthilfe in Kassel, nennt es „fatal“, dass „Suchtberatungsstellen finanziell sehr schlecht ausgestattet sind“. Denn Suchtberatungsstellen seien „so wichtig, weil sie das System der Suchthilfe quasi zusammenhalten“. Ohne sie würden viel weniger Drogenabhängige in eine Suchtklinik vermittelt.
Suchtberatungsstellen seien stark ausgelastet, sagt Christina Rummel, Geschäftsführerin der in Hamm angesiedelten Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS). Dennoch erhielten keineswegs alle Menschen mit problematischem Konsum von legalen oder illegalen Drogen Hilfe. Es würde vielmehr nur ein kleiner Teil der Betroffenen erreicht. Ohne ausreichende Unterstützung liefen Suchtkranke jedoch Gefahr, zu verelenden und im schlimmsten Fall zu sterben.
Laut Rummel sind Suchtberatungsstellen „chronisch unterfinanziert“. Beratungsstellen seien am Limit. Die DHS fordert vor diesem Hintergrund einen Rechtsanspruch auf Suchtberatung. Suchtberatung müsse eine Pflichtleistung der kommunalen Daseinsvorsorge werden.
Hilde Rainer-Münch, Suchtreferentin beim bayerischen Landesverband der Caritas, sagt, zur mangelnden Finanzierung geselle sich nun auch an Mangel an Fachkräften. „Der macht vor der Suchthilfe nicht halt.“
Nürnberg (epd). Das war für die Journalistin Ilse Weiß ein echtes Highlight. Vor kurzem hat sie für eine Reportage ein Pflegeheim in ihrer Stadt entdeckt, das Menschen aufnimmt, die arm sind, alkoholabhängig, psychisch krank oder wohnungslos waren. „Dass ich davon noch nichts gehört hatte, war schon erstaunlich“, sagt die 62-Jährige. Sie hat über das Heim eine Titelstory geschrieben, hat Bewohner und ihre Geschichten geschildert, professionell, wie sie es auf der Deutschen Journalistenschule in München vor über 30 Jahren gelernt hat.
Journalistische Qualität ist Ilse Weiß wichtig. „Ich will kein Mitleidsblatt, ich will kein langweiliges tränenreiches Blatt, in dem man im Elend steckenbleibt“, sagt sie. Konstruktiv will Ilse Weiß sein. Für sie heißt das, die Fähigkeiten und das Vermögen „gerade von Menschen zeigen, die sonst so oft in Schubladen gesteckt werden“.
Als sie begann, hießen solche Straßenzeitungen noch Obdachlosen-Blätter. „Wir machen was für die armen Hascherl“, sei damals die Devise gewesen, erzählt Weiß. Heute soll der monatlich erscheinende Straßenkreuzer qualitativ hochwertige Geschichten bringen und mehr Selbstbewusstsein schaffen bei den Verkäuferinnen und Verkäufern in der Stadt und im Umland, die wenig Geld haben. „Die sind immer im Fokus“, sagt Weiß im Konferenzraum des „Straßenkreuzers“. An der Wand aufgereiht hängen in bunten Farben die Ausgaben der bisherigen 30 Jahrgänge des Sozialmagazins.
Ihre eigene Familiengeschichte habe sie gelehrt, „wie das ist, wenn du nichts hast“. Sie entstamme „einem schlichten Milieu“, schildert die gebürtige Herzogenauracherin. Die Mutter war Tochter einer Bauernfamilie, ihr Vater kam aus einer Arbeiterfamilie. „Sie hatten immer ein kleines Leben.“ Der Vater ging in die Fabrik zu Schaeffler. Die Mutter war Buchhalterin in einer kleinen Schuhfabrik, oft wusch sie nachts die Wäsche im Keller. Ilse und ihre drei Geschwister waren häufig sich selbst überlassen, „aber nicht im Sinne von lieblos - sie konnten nicht anders“. Die Mutter sei „eine total empathische Frau“ gewesen. Ihre Lebenseinstellung habe sie geprägt, „immer auf die anderen zu schauen“.
Ilse Weiß engagiert sich. Sie ist bei der Gründung eines Jugendzentrums aktiv, leitet in der katholischen Jugendarbeit eine eigene Gruppe. Gern habe sie Verantwortung übernommen, sagt sie. Und sie habe den Mund aufgemacht und mitentschieden: „Ich habe mir immer eine Meinung gebildet, die wollte ich auch loswerden.“
Mit 18 Jahren tritt sie aus der katholischen Kirche aus, „als ich mich total aufgeregt habe über den Papst und seine Einmischung in eine liberale Abtreibungspolitik. Das war für mich empörend“. Es ist Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre - sowieso eine Zeit, in der junge Menschen protestierten, gegen die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersorf, gegen den Nato-Doppelbeschluss, gegen Alt-Nazis. Ilse Weiß reist damals viel durch die Welt. Sie studiert in Nürnberg Sozialwissenschaften. Weil sie immer schon gerne geschrieben hat, bewirbt sie sich bei der Deutschen Journalisten-Schule.
Seit sie beim „Straßenkreuzer“ ist, gehören Themen wie die Kinder von Häftlingen, Hunger im reichen Bayern, Alkoholabhängigkeit oder Wohnungsnot zum täglichen Geschäft der Redakteurin. „Es gibt und gab Geschichten, die haben mich schon verfolgt“, gibt sie zu. Sie denkt an Klaus, der fast zehn Jahre auf der Straße gewohnt hat.
„Im Winter, wenn es in der Frühe eisig kalt war, hab ich mir meinen Kaffee gemacht, und da dachte ich oft, wie es dem Klaus jetzt geht.“ Wenn sie ihm das sagte, war die Antwort: „Ach, ihr seid doch alle Weicheier“. Sie wisse heute, für Klaus sei das ein Schutzmechanismus gewesen. „Sollte er sich hinsetzen und weinen über sein Leben?“ Klaus hat längst eine eigene Wohnung, aber immer noch seinen Rucksack - für alle Fälle. Wenn er heute in die Straßenkreuzer-Räume kommt, sagt er: „Ihr habt mich zum größten Spießer gemacht“ und lacht.
Ilse Weiß hat viele ihrer Ideen umgesetzt: Sie und ihre Mitstreiter gründeten eine „Straßenkreuzer-Uni“, luden Referenten ein. Die damalige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger kam, der evangelische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm war ebenfalls zu Gast. Auch die Initiative für Housing First ist von Ilse Weiß ausgegangen, ein Projekt für „bedingungsloses Wohnen“.
Ilse Weiß hat die Bürgermedaille der Stadt Nürnberg erhalten. Sie sei ein Gewinn für die soziale Landschaft, hieß es in der Laudatio. „Es ist ein schöner Satz, da habe ich mich gefreut“, sagt sie.
Kiel (epd). 20 Minuten bestimmen die Arbeit der Seemannsmission Kiel. 20 Minuten liegen die Containerschiffe in der Schleusenanlage am Nord-Ostsee-Kanal vor dem Kieler Ufer. 20 Minuten, um an Bord zu kommen und zu fragen, wie es so geht.
Diakonin Sabrina Folster leitet die Seemannsmission Kiel. Im Aufenthaltsraum des Seemannsheimes Holtenau berichtet sie von diesen 20 Minuten, die ihrem Team bleiben. Die Ehrenamtlichen stehen mit Zeitschriften in den Landessprachen der Besatzung an der Brücke. Russisch, Englisch, vor allem Tagalog, die Landessprache der Philippinen. „Auch Geschenke bringen wir mit, Schokolade zum Beispiel“, sagt Folster.
Auch Bestellungen liefern sie aus, wie Telefonkarten und Hygieneartikel. Eine WhatsApp-Nachricht an die Seemannsmission genügt. „Die Menschen von den Containerschiffen haben kaum Zeit, um selbst einzukaufen.“
Seit 125 Jahren hat Kiel eine Seemannsmission, 1898 wurde sie gegründet. „Zweck ist die Bewahrung der Seeleute vor Übervorteilung und Ausbeutung durch unlautere Personen, Hebung der Sittlichkeit und Erhaltung der Religion“, heißt es im Handbuch der Wohlfahrtspflege der Stadt Kiel von 1909.
Übervorteilung und Ausbeutung, sie sind auch heute noch, wenn auch sehr selten, aktuell. Dann nämlich, wenn Seeleute ihren Lohn nicht erhalten. „Die Leute wenden sich an uns, weil sie uns vertrauen“, sagt Sabrina Folster. Die Seemannsmission vermittelt und schaltet etwa die Bundespolizei ein. Folster betont jedoch: „Ich habe viele Schiffe erlebt, wo die Arbeitsbedingungen gut sind.“
Drei Standorte hat die Seemannsmission in Kiel: das Seemannsheim Holtenau, die Seafarer’s Lounge am Kreuzfahrtterminal und das Seemannsheim „Baltic Poller“ auf dem Ostufer. Elf Hauptamtliche und etwa 15 Ehrenamtliche gehören zum Team und sorgen dafür, dass etwa das Seemannsheim an der Schleuse rund um die Uhr geöffnet ist.
„Wir haben Sitzgäste, die auf ihren nächsten Einsatz warten“, erklärt Folster. Im Aufenthaltsraum gibt es für sie Sofas, Spiele und Bücher - und Internet. Neun Zimmer mit Vollpension werden für diejenigen angeboten, die länger an Land bleiben: Lotsen, die zwischen ihren Einsätzen schlafen wollen, Männer, die auf ihre nächste Passage warten, andere, die frisch operiert einige Tage ruhen müssen.
1.122 Übernachtungen waren es im vergangenen Jahr. „Dabei war der Kanal gleich zweimal gesperrt“, erinnert sich Sabrina Folster. „Das bedeutete, dass wir keine Gäste und dadurch auch keine Einnahmen hatten.“
Bis zum Jahr 2001 hieß das Seemannsheim „Seemannsfrauenheim“. 1951 stellte es die Kanalverwaltung der Seemannsmission zur Verfügung, um Frauen, Mütter und Kinder unterzubringen, die am Ufer auf ihre zur See fahrenden Ehemänner, Söhne oder Väter warteten. Doch die internationale Seefahrt änderte sich. Ein Großteil der Besatzung, die das Seemannsheim aufsucht, stammt heute aus Russland, der Ukraine und den Philippinen.
„Von den Philippinen können die Ehefrauen nicht anreisen“, sagt Folster. Stattdessen findet die Begegnung online statt - das WLAN ist dort kostenfrei. Die Emotionen, die das Team der Seemannsmission spürt, sind nach den Familienbegegnungen am Bildschirm häufig sehr deutlich. „Die einen haben Heimweh, wenn sie neun Monate an Bord bleiben. Andere sind froh, dass sie endlich zurückkommen.“
Im Eingangsbereich des Heimes hängt ein helles Holzkreuz. Die Deutsche Seemannsmission gehört zu den ältesten Arbeitszweigen der Kirche in Deutschland. Ihre Wurzeln hat sie im diakonischen „Komitee für kirchliche Versorgung im Ausland“, das 1886 gegründet wurde.
„Wenn jemand über Glauben reden will, machen wir das. Aber wir zwängen es nicht auf“, sagt Diakonin Folster. Gebete, Segnungen und Abendmahl werden angeboten, an Bord und an Land. All das geschieht unabhängig von Herkunft und Religion der Schiffsbesatzungen, finanziert aus öffentlichen Mitteln, kirchlichen Zuschüssen sowie Spenden. Ohne diese sei ihre Arbeit kaum möglich, so Folster.
Berlin (epd). Die schlechte Bewertung der deutschen Inklusionspolitik durch die Vereinten Nationen (UN) ruft Eltern und Verbände auf den Plan. In einem Offenen Brief wandten sie sich am 10. Oktober an die Bundesregierung. Deutschland müsse sich endlich seiner Verantwortung für inklusive Bildung stellen. Die Regierung dürfe dies nicht allein den Bundesländern überlassen, schreiben die Verbände an Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP).
Der Bund könne nicht länger auf den Föderalismus verweisen, erklären die Unterzeichner. Dazu zählen die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), die Sozialverbände VdK und SoVD sowie zahlreiche Eltern- und Selbstvertretungs-Organisationen - bisher rund 140 Verbände und 1.000 Einzelpersonen. Vielmehr müsse die Bundesregierung auf Aktionspläne für inklusive Bildung bei den Ländern dringen und eine einheitliche Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im Bildungssektor sicherstellen.
Deutschland hat die UN-Konvention unterzeichnet und sich damit verpflichtet, behinderten Menschen die volle Teilhabe zu ermöglichen (Inklusion). Kinder mit und ohne Behinderung sollen zusammen unterrichtet werden, Ausbildungen, Studium und öffentliche Räume müssen barrierefrei zugänglich sein.
Die Fortschritte werden regelmäßig von einem UN-Fachausschuss überprüft. Der Ausschuss hatte sich bei dieser sogenannten Staatenprüfung im August in Genf insbesondere über die deutsche Bildungspolitik besorgt gezeigt. Es bestehe ein ausgeprägtes Parallelsystem von Förderschulen und Werkstätten für Menschen mit Behinderungen, das der UN-Behindertenrechtskonvention widerspreche, hatte der Fachausschuss festgestellt. Kinder und ihre Familien müssten in Deutschland viele Hürden überwinden, um in einer Regelschule aufgenommen zu werden und dort ihren Abschluss machen zu können.
Rostock (epd). Für diakonische Einrichtungen ist der Fachkräftemangel in der Pflege die größte Herausforderung. Aufgrund von Personalmangel würden bereits Stationen in Krankenhäusern und Wohnbereiche in Pflegeeinrichtungen geschlossen, teilte das Evangelische Werk für Diakonie und Entwicklung (EWDE) am 12. Oktober in Rostock zum Abschluss einer zweitägigen Konferenz mit. Ambulante Pflegedienste könnten keine neuen Klienten annehmen, hieß es. Es komme zu Wartezeiten und Unterversorgung.
Diakonie-Vorständin Maria Loheide kritisiert, bei der Anwerbung von ausländischen Fachkräften gebe es immer noch zu hohe bürokratische Hürden. Allerdings könne der Personalmangel in der Pflege nicht ausschließlich oder vorrangig dadurch gelöst werden, dass Fachkräfte aus Drittstaaten angeworben werden. „Pflege- und Sozialberufe sind attraktive Berufe und bieten sichere Arbeitsplätze, die durch bessere Arbeitsbedingungen und Innovationen noch attraktiver werden“, sagte Loheide.
„Wir müssen in der Wohlfahrtspflege unsere Personalgewinnungsstrategien noch besser auf die Einwanderungsgesellschaft ausrichten“, forderte die Diakonie-Vorständin. Die Möglichkeit, in den Pflegeberuf einzusteigen, müsse für Geflüchtete, die bereits in Deutschland lebten, geschaffen und verbessert werden.
Dagmar Pruin, EWDE-Vorstandsvorsitzende sowie Präsidentin von „Brot für die Welt“ und Diakonie Katastrophenhilfe, sagte: „Wir brauchen eine Übereinkunft für das ethische Anwerben von Pflegekräften aus dem Ausland und Lösungen zur Entschärfung des globalen Wettbewerbs um Pflegefachkräfte.“ Dabei dürfe Gesundheitspersonal aus dem Globalen Süden nur in Ausnahmefällen und nur unter Berücksichtigung von WHO-Verhaltenskodexes angeworben werden.
Zuwanderung befreie Bundespolitik und Arbeitgeber nicht von der Verantwortung, die Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen hierzulande zu verbessern, sagte Pruin.
Laut Weltgesundheitsorganisation fehlten bis zum Jahr 2030 bis zu zehn Millionen Fachkräfte in der Gesundheitsversorgung, vor allem in Afrika und großen Teilen Asiens, informierte das EWDE. In Deutschland würden laut Deutschem Pflegerat bis 2030 etwa 500.000 Pflegevollzeitstellen vakant.
Wilhelmsdorf/Tübingen (epd). Mit einem Ausbildungsprojekt mit Kooperationspartnern in Indien will das Sozialunternehmen „Die Zieglerschen“ der Personalknappheit in der Pflege begegnen. Im Seniorenzentrum Karolinenstift in Tübingen habe der Vorstandsvorsitzende Gottfried Heinzmann die ersten drei indischen Pflegeauszubildenden und eine indische Pflegefachfrau begrüßt, teilten die Zieglerschen am 9.Oktober in Wilhelmsdorf (Kreis Ravensburg) mit. Ann Mira Shaju, Mary Saniya Puthan Parambil Georg und Agnes Aleena Wilson aus Südindien würden in Tübingen zu Pflegefachfrauen ausgebildet, Divya Rose Baby als Pflegefachkraft im Karlsstift in Schorndorf eingesetzt.
Die Zieglerschen haben den Angaben zufolge mit Partnern in den südindischen Bundesstaaten Kerala und Karnataka Kooperationen vereinbart. Das Sozialunternehmen will sich am Aufbau von zwei Internaten beteiligen, an denen Deutsch unterrichtet wird. Im April 2024 werden sich in Kochi (Kerala) junge Inder auf das B2-Deutschzertifikat vorbereiten. Ähnliches soll auch in Bangalore (Karnataka) geschehen. Ein Internat in Kooperation mit der Christian Medical Association of India richtet sich hauptsächlich an Schüler aus eher ärmlichen Verhältnissen. Unterrichtsziel ist auch hier das B2-Zertifikat.
Die berufliche Ausbildung zur Pflegefachkraft finde entweder in einem der 27 Seniorenzentren der Zieglerschen statt oder bei einem weiteren Kooperationspartner, der Pflegeschule JMCON der Jubilee Mission in Thrissur (Kerala). Diese bilde mehr Pflegerinnen und Pfleger aus, als das Krankenhaus in Thrissur aufnehmen kann. Auf dieser Grundlage hat die Krankenhausleitung einer Kooperation mit den Zieglerschen zugestimmt. Aus beiden Kooperationen erwartet das Unternehmen bis 2025 rund 30 Pflegekräfte.
Die Zieglerschen haben seit 2017 Erfahrungen mit internationalen Ausbildungsprojekten gesammelt und sich einem Kosovo-Ausbildungsprojekt des Diakonischen Werks Württemberg angeschlossen. Inzwischen wurde das Projekt auf Armenien, Albanien und Bosnien-Herzegowina ausgeweitet. Seitdem wurden jährlich rund 30 Pflegeschüler gewonnen. Doch in den Balkanstaaten, so Heinzmann, seien die Bewerberzahlen rückläufig. Derzeit haben die Zieglerschen für ihre rund 60 Standorte in Baden-Württemberg rund 300 offene Stellen ausgeschrieben.
Essen, Karlsruhe (epd). Gut verdienende Kinder müssen grundsätzlich den Aufenthalt ihrer zahlungsunfähigen Eltern in einem Pflegeheim mitfinanzieren. Allerdings darf der Sozialhilfeträger bei der ersten Prüfung der Einkommensverhältnisse nicht auch noch Auskunft über das bestehende Vermögen und über andere Familienmitglieder verlangen, entschied das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen in Essen in einem am 5. Oktober veröffentlichten Urteil. Andernfalls sei das Auskunftsersuchen nichtig.
Konnten mittellose pflegebedürftige Eltern bis Ende 2019 ihre Pflegeheimunterbringung nicht bezahlen, waren ihre Kinder grundsätzlich zum Elternunterhalt verpflichtet. Sie mussten mit ihrem Einkommen und ihrem Vermögen ihren Eltern beistehen. Eigene finanzielle Probleme waren häufig die Folge.
Der Gesetzgeber hatte darauf mit dem Angehörigen-Entlastungsgesetz reagiert. Seit 2020 sind Kinder nur noch dann zum Elternunterhalt verpflichtet, wenn sie mehr als 100.000 Euro brutto verdienen. So sollten Kinder mit geringerem Einkommen von Unterhaltszahlungen entlastet und von einer langwierigen Prüfung ihrer Einkommensverhältnisse verschont werden. Für die Pflegeheimkosten kommt dann das Sozialamt auf. Nicht mehr unterhaltspflichtig sind zudem Schwiegerkinder oder auch Kinder, die zwar unter der Einkommensgrenze liegen, aber über Vermögen verfügen. Erst bei „hinreichenden Anhaltspunkten“ müssen Kinder Auskunft über ihr Einkommen geben.
Im konkreten Fall ging es um einen in einem Pflegeheim lebenden mittellosen Rentner mit Pflegegrad 3. Da seine Rente und sein Pflegewohngeld nicht zur Deckung der Heimkosten ausreichten, beantragte sein Bruder als gesetzlicher Betreuer die Übernahme der Heimpflegekosten durch das Sozialamt.
Die Behörde verlangte daraufhin im Januar 2020 von einem Sohn des Rentners Auskunft über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse. Auch müsse er Angaben zu Familienmitgliedern und seinem Familienstand und über mögliches Haus- und Wohneigentum machen. In dem Bescheid wies die Behörde darauf hin, dass 80.000 Euro an ungedeckten Heimkosten aufgelaufen waren.
Zuvor hatte das Sozialamt recherchiert, dass der Sohn als „Chief Technology Officer“ in einem Unternehmen der Digitalindustrie tätig ist. Es sei daher zu vermuten, dass er mehr als 100.000 Euro brutto im Jahr verdiene und er daher zum Elternunterhalt verpflichtet sei. Auch sein Wohnort in einem teureren Wohnortviertel spreche für höhere Einkünfte.
Doch der Sohn lehnte jegliche konkrete Auskunft ab. Seine Jahreseinkommensgrenze liege unterhalb von 100.000 Euro. Er verwies auf eine Gehaltsvergleichsseite im Internet, wonach Beschäftigte in seiner Position deutlich weniger verdienten. Damit bestünden keine hinreichenden Anhaltspunkte für hohes Einkommen, so dass keine Auskunft verlangt werden könne.
Das LSG urteilte, dass der Kläger nicht zur Auskunft verpflichtet sei. Grundsätzlich komme der Kläger als unterhaltspflichtige Person aber in Betracht. Auch gebe es angesichts der beruflichen Position „hinreichende Anhaltspunkte“, dass die Jahreseinkommensgrenze von 100.000 Euro brutto überschritten werde und der Sohn damit Auskunft über seine Einkommensverhältnisse geben müsse.
Bei „hinreichenden Anhaltspunkten“ über hohes Einkommen dürfe die Behörde nach dem Gesetz aber zunächst nur nach dem Einkommen und nicht nach bestehendem Vermögen oder gar anderen Familienmitgliedern fragen. „Bevor eine Unterhaltspflicht des Klägers jedoch nicht feststeht, sind entsprechende Fragen ... nicht erforderlich und damit unverhältnismäßig“, heißt es in dem Urteil. Erst wenn klar sei, dass die Einkommensgrenze überschritten worden sei, habe die Behörde ein umfassendes Auskunftsrecht.
Hier habe der Sozialhilfeträger aber zu viel auf einmal wissen wollen. Das Auskunftsverlangen nach dem Vermögen und den Familienmitgliedern führe dazu, dass der Bescheid insgesamt nichtig sei und keine Auskunft gegeben werden müsse, entschied das LSG. Die Essener Richter haben die Revision zum Bundessozialgericht in Kassel zugelassen. Dort ist das Verfahren unter dem Aktenzeichen B 8 SO 5/23 R anhängig.
Ist das Einkommen erwachsener Kinder so hoch, dass die Zahlung von Elternunterhalt in Betracht kommt, können sie Unterhaltsleistungen - Bar- und Naturalunterhalt - für ihre eigenen Kinder aber einkommensmindernd anrechnen lassen, entschied der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe in einem Beschluss vom 15. Februar 2017. Müssen sie ihre eigenen Kinder betreuen, können sie die Betreuungsleistungen aber danach nicht einkommensmindernd berücksichtigen lassen. Die von einem Elternteil „geschuldete Betreuung“ lasse sich nicht in Geld umrechnen, entschied der BGH.
Az.: L 12 SO 231/22
Az.: XII ZB 201/16
Karlsruhe (epd). Thüringen darf weiter ausreisepflichtigen Ausländerinnen und Ausländern in Härtefällen den Aufenthalt in Deutschland erlauben. Das Bundesverfassungsgericht hat mit einem am 6. Oktober veröffentlichten Beschluss die Verfassungsbeschwerde der AfD-Landtagsfraktion gegen die Einrichtung einer Härtefallkommission abgewiesen.
Das Aufenthaltsgesetz sieht vor, dass die Bundesländer Härtefallkommissionen bilden dürfen, die sich aus dringenden humanitären Gründen für den weiteren Aufenthalt von vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländern in Deutschland aussprechen können. Die oberste Landesbehörde kann dann einen Aufenthaltstitel erteilen oder verlängern.
Die thüringische Landesregierung hatte für die Bildung einer Härtefallkommission eine Verordnung erlassen. Diese legt unter anderem fest, dass etwa die beiden großen Kirchen, aber auch ein Vertreter des Gemeinde- und Städtebundes einen Kommissionsvertreter benennen dürfen.
Die AfD-Fraktion im Landtag hielt die Einrichtung der Härtefallkommission für verfassungswidrig. Es fehle hierfür ein Bundesgesetz. Eine Landesverordnung reiche nicht aus. Zudem hätte die Besetzung der Kommission ausgeschrieben werden müssen. Insbesondere seien die katholische und die evangelische Kirche in der Kommission überrepräsentiert, indem sie jeweils ein Mitglied vorschlagen dürfen. Das sei willkürlich und verstoße gegen den Gleichheitssatz.
Der Thüringer Verfassungsgerichtshof in Erfurt hatte mit Urteil vom 16. Dezember 2020 die Verfassungsbeschwerde der AfD zurückgewiesen (Az.: VerfGH 14/18). Die dagegen beim Bundesverfassungsgericht eingelegte Verfassungsbeschwerde sei unbegründet, befanden die Karlsruher Richter. Es sei nicht erforderlich, dass der Bund die Besetzung der Härtefallkommissionen gesetzlich regelt. Denn gesetzlich zu regelnde „wesentliche Entscheidungen“ treffe die Kommission nicht. Sie spreche vielmehr nur in „eng begrenzten Ausnahmefällen“ Empfehlungen für den weiteren Aufenthalt eines Ausländers aus humanitären Gründen aus, an die sich die zuständige Landesbehörde halten kann.
Das Thüringer Verfassungsgericht hätte das Verfahren auch nicht dem Bundesverfassungsgericht vorlegen müssen. Hinsichtlich des geäußerten AfD-Vorwurfs, dass die beiden großen Kirchen in der Kommission überrepräsentiert seien, sei dies eine Wertung, „ohne aufzuzeigen, warum das angegriffene Urteil willkürlich sein soll“.
Az.: 2 BvR 107/21
Erfurt (epd). Arbeitgeber dürfen eine zusätzliche betriebliche Invaliditätsrente vom Erhalt einer gesetzlichen Erwerbsminderungsrente und dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis abhängig machen. Es benachteiligt Arbeitnehmer nicht unangemessen, wenn sie während des Ruhens ihres Arbeitsverhältnisses von der betrieblichen Invaliditätsversorgung noch ausgeschlossen sind, urteilte am 10. Oktober das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt.
Der Kläger war seit August 1979 bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) Essen, Mülheim/Ruhr, Oberhausen als Verwaltungsangestellter beschäftigt. Die IHK gewährte ihren Beschäftigten in ihrer Zusatzversorgung Mitarbeitern ein Ruhegeld, wenn sie wegen einer Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung beziehen und aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden sind.
Als der Verwaltungsangestellte am 1. November 2020 befristet bis zum 31. August 2022 eine volle Erwerbsminderungsrente von der gesetzlichen Rentenversicherung erhielt, ruhte zunächst sein Arbeitsverhältnis. Bei seinem Arbeitgeber beantragte er ab Januar 2021 wegen seiner Erwerbsminderung die betriebliche Invaliditätsrente. Dieser lehnte ab, da das Arbeitsverhältnis nur ruhe und nicht beendet worden sei.
Als der Kläger daraufhin zum 31. März 2022 kündigte, erhielt er ab April die betriebliche Invaliditätsrente. Ihm müsse aber auch während des noch ruhenden Arbeitsverhältnisses die Leistung zustehen, meinte er vor Gericht. Die Regelung, die ein Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis vorschreibe, zwinge ihn in unzumutbarer Weise, zu kündigen, nur um das Ruhegeld erhalten zu können.
Doch ein Arbeitgeber darf die betriebliche Invaliditätsrente vom Erhalt einer Erwerbsminderungsrente und dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis abhängig machen, urteilte das BAG. Ein unzumutbarer Druck, das Arbeitsverhältnis zu beenden, werde damit nicht ausgeübt. Ein Verstoß gegen Treu und Glauben liege nicht vor.
Az.: 3 AZR 250/22
München (epd). Ein homosexuelles Paar kann die Kosten für eine Leihmutterschaft im Ausland nicht als außergewöhnliche Belastung von der Steuer absetzen. Denn der Abzug als außergewöhnliche Belastung ist wegen des in Deutschlands geltenden Verbotes einer Leihmutterschaft und dem Verbot einer fremden Eizellenspende nicht möglich, entschied der Bundesfinanzhof (BFH) in einem am 5. Oktober veröffentlichten Urteil.
Die verheirateten Kläger, ein schwules Paar aus Westfalen, wollten unbedingt ein eigenes Kind haben. Sie suchten sich deshalb eine Leihmutter in den USA. Das mit einer Eizellspende und dem Samen eines der Kläger per künstlicher Befruchtung gezeugte Kind lebt seit seiner Geburt bei den Klägern in Deutschland. Die Kosten für die Leihmutterschaft machten die Eltern als außergewöhnliche Belastungen in ihrer Steuererklärung geltend.
Doch sowohl das Finanzgericht Münster als auch der BFH lehnten den Steuerabzug ab. Der sei für einen Steuerpflichtigen nur möglich, wenn ihm „zwangsläufig“ größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen bei gleichen Einkommensverhältnissen entstehen, erklärte der BFH. Hierfür müssten die angefallenen Aufwendungen mit der „innerstaatlichen Rechtsordnung“ im Einklang stehen. Das sei bei der Leihmutterschaft und der fremden Eizellspende nicht der Fall. Denn diese seien in Deutschland nach dem Embryonenschutzgesetz verboten.
Die Kläger hätten zwar geltend gemacht, dass mit der Einführung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare eine Angleichung von verschiedengeschlechtlichen Ehen erreicht werden sollte. Dazu gehöre aber nicht, dass es gleichgeschlechtlichen Paaren ermöglicht werden sollte, per Leihmutterschaft ein Kind zu bekommen.
Auch stelle der unerfüllte Kinderwunsch wegen der biologischen Gegebenheiten des Paares keine Krankheit dar, deren Aufwendungen zum Steuerabzug berechtige.
Az.: VI R 29/21
Essen (epd). Ein schwerst gehbehindertes Kind kann im Einzelfall die Übernahme von Taxikosten für Fahrten zur Schule als Eingliederungshilfeleistungen beanspruchen. Handelt es sich um behinderungsbedingt erforderliche, nicht vom Schulträger übernommene Kosten und ist die Beförderung des Kindes nicht durch einen Schülerspezialverkehr möglich, unterliegen die Taxifahrtkosten "grundsätzlich dem Leistungskatalog der Eingliederungshilfe, entschied das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen in einem am 5. Oktober veröffentlichten Urteil. Dies gelte auch dann, wenn die Beförderung des Kindes durch die Eltern grundsätzlich möglich wäre, erklärten die Essener Richter.
Bei der 2006 geborenen Klägerin besteht ein Grad der Behinderung von 100, Merkzeichen „aG“ (außergewöhnlichen Gehbehinderung) zuerkannt. Gehstrecken bis zu einem Kilometer kann sie wegen einer angeborenen Gelenkbewegungserkrankung nur mit größter Mühe bewältigen. Ein Fahrrad oder Bus und Bahn kann sie behinderungsbedingt nicht nutzen.
Als die Schülerin auf ein Gymnasium wechselte, nahm sie für den 1,1 Kilometer langen Schulweg - wie zuvor auch in der Grundschule - das Taxi. Die Taxifahrtkosten für das Schuljahr 2017/2018 beliefen sich auf 2.240 Euro. Der Schulträger des Gymnasiums erstattete ihr nach der Schülerfahrtkostenverordnung nur 60,42 Euro als Wegstreckenentschädigung. Die restlichen 2.179,58 Euro machte die Schülerin als Eingliederungshilfeleistungen geltend.
Der Eingliederungshilfeträger lehnte ab. Die Eltern seien zur Beförderung ihrer Tochter verpflichtet. Dies sei ihnen mit ihren Pkws auch möglich.
Doch die Klage der Schülerin hatte vor dem LSG Erfolg. Behinderungsbedingt erforderliche Fahrtkosten unterfielen grundsätzlich dem Leistungskatalog der Eingliederungshilfe, vorausgesetzt der Schulträger komme dafür nicht auf. Hier könne die Klägerin die Schule nicht ohne fremde Hilfe erreichen. Ein Schülerspezialverkehr gebe es nicht. Zwar hätten die Eltern eine Pflicht zur Beförderung ihres Kindes zur Schule. Dem seien sie aber nachgekommen, indem sie die Fahrten organisiert und die Taxikosten vorfinanziert hätten. Eine Verpflichtung, die Kosten zu tragen, gebe es nicht. Vielmehr müsse "die Allgemeinheit die Eltern im Rahmen der Eingliederungshilfe entlasten.
Es würde die Klägerin angesichts ihres Alters benachteiligen, wenn sie den Schulweg nicht alleine bewältigen dürfe, sondern sie weiter von einem Transport der Eltern abhängig wäre. Dies sei mit dem Gedanken der Inklusion nicht vereinbar.
Gegen das Urteil wurde Revision beim Bundessozialgericht in Kassel eingelegt. Es ist dort unter dem Aktenzeichen B 8 SO 3/23 R anhängig.
Az.: L 9 SO 240/21
Münster (epd). Ein aus Syrien geflohener Student der islamischen Rechtswissenschaften, der in Deutschland sein Studium in einem anderen Fach fortsetzen will, hat vor dem Oberverwaltungsgericht Münster einen Anspruch auf die Zahlung von BAföG erstritten. Bei der Fortführung der Hochschulausbildung in Deutschland sei ein Wechsel der Fachrichtung unumgänglich, da die Rechtswissenschaften in Syrien und Deutschland nicht miteinander vergleichbar seien, heißt es in dem am 10. Oktober veröffentlichten Urteil.
Als anerkannter Flüchtling sei der Kläger auch nicht darauf zu verweisen, das in seinem Heimatland aufgenommene Studium dort zum Abschluss zu bringen, hieß es. Damit änderte das Oberverwaltungsgericht zugunsten des Syrers ein vorangegangenes Urteil des Verwaltungsgerichts Münster ab.
Der 2015 aus seiner Heimat geflohene Mann konnte sein vier Jahre zuvor aufgenommenes Studium an einer Hochschule in Damaskus nicht beenden. In Deutschland wurde er als Flüchtling anerkannt. Nach erfolgreichem Absolvieren von Deutschkursen nahm er 2018 ein Studium der „Sozialen Arbeit“ an der Fachhochschule in Münster auf.
Seinen BAföG-Antrag lehnte das dortige Studierendenwerk ab. Der Mann müsse an seiner im Heimatland getroffenen Ausbildungswahl festhalten, da ein rechtswissenschaftliches Studium auch in Deutschland angeboten werde. Nach einem mehrjährigen, nicht abgeschlossenen Studium in Syrien komme eine Förderung der neu begonnenen anderen Ausbildung nur bei einem unabweisbaren Grund für den Fachrichtungswechsel in Betracht, begründete die Hochschul-Einrichtung die Ablehnung.
Das Oberverwaltungsgericht verwies hingegen darauf, dass der Mann sein in Syrien begonnenes Studium in Deutschland nicht fortsetzen könne. Das Studium der Rechtswissenschaften an einer deutschen Universität sei offensichtlich eine andere Fachrichtung als die rechtswissenschaftliche Ausbildung in Syrien. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Urteils hat das OVG eine Revision zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen.
Az.: 12 A 1659/21
Hannover (epd). Eine massive Gebührenerhöhung in einer Obdachlosenunterkunft in Hannover ist nach einem Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover vom 10. Oktober rechtmäßig. Die Klage eines Bewohners war somit erfolglos, wie das Gericht mitteilte. Im Jahr 2020 hatte die Stadt Hannover die Benutzungsgebühren für Obdachlosen- und Geflüchtetenunterkünfte von 159 Euro auf 411 Euro erhöht. Nach Ansicht des Klägers ist die Gebührenkalkulation fehlerhaft. Dem widersprachen die Richter: Ein Verstoß gegen das Kostendeckungsprinzip sei nicht feststellbar.
Wie das Gericht auf epd-Anfrage mitteilte, handelt es sich bei dem Kläger um einen 34-jährigen beninischen Staatsangehörigen, der aufenthaltsrechtlich geduldet ist. Seit 2015 wohne der Mann in Unterkünften der Stadt Hannover. Dabei sei der Mann „Selbstzahler“, die Gebühren würden also nicht vom Staat übernommen.
Die Gebühreneinnahmen der Stadt überstiegen die entstehenden Kosten nicht, begründeten die Richter das Urteil. Das Gericht habe zudem nicht feststellen können, dass sich die von der Stadt Hannover angebotenen Unterbringungsleistungen am freien Markt zu ähnlichen oder günstigeren Konditionen beschaffen ließen. Dass die Gebühren im Jahr 2020 deutlich erhöht wurden, liege daran, dass sie zuvor über lange Zeit nicht angehoben worden seien.
Auch das Sozialstaatsprinzip sei nicht verletzt worden, hieß es. Zum einen übernehme im Falle einer Erwerbsuntätigkeit der zuständige Sozialleistungsträger die Unterkunftskosten. Zum anderen bestehe in vielen Einrichtungen der Stadt Hannover die Möglichkeit, die Gebühren zu ermäßigen, sofern keine ausreichenden Einkünfte erzielt werden. Gegen das Urteil kann die Zulassung der Berufung beim Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht in Lüneburg beantragt werden.
Berlin (epd). Michael Schlickum (52) übernimmt das Amt als Finanzchef von Frank Böker, dem Vorsitzenden der Geschäftsführung, der diese Funktion nur kommissarisch übernommen hatte. Vorgänger Ansgar Hermeier war rund zehn Jahre Finanzgeschäftsführer der Johanniter und schied im Frühjahr 2023 aus. Seit Oktober 2023 ist Hermeier Hauptgeschäftsführer der Knappschaft Kliniken Solution GmbH.
Schlickum ist Diplom-Volkswirt und arbeitete in den zurückliegenden sechs Jahren als Geschäftsführer der Paracelsus-Kliniken für das Ressort Finanzen. Zuvor war er acht Jahre für das zentrale Finanzmanagement der Schön Klinik Gruppe verantwortlich. Es folgte eine Position als kaufmännischer Geschäftsführer und Klinikleiter bei den Acura Ruland Kliniken sowie 2016 die Rückkehr zur Schön Klinik Gruppe als Klinikleiter für den Standort Düsseldorf.
Zusätzlich zu vielen Jahren Expertise im Klinik-Sektor bringt der gebürtige Magdeburger Erfahrung in verschiedenen Positionen bei Banken und damit die Perspektive der Finanzierungspartner mit. Geschäftsführer Böker erklärte: „Wir freuen uns sehr, dass wir mit Herrn Schlickum einen so versierten und erfahrenen Kollegen für die Aufgabe des CFO gewinnen konnten.“
Die Johanniter GmbH ist einer der größten christlichen Träger von Kliniken und Altenpflegeeinrichtungen. Sie koordiniert als Trägergesellschaft des stationären Johanniter-Verbundes bundesweit 168 Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen. Der Verbund umfasst neun Krankenhäuser, neun Fach- und Rehabilitationskliniken, 50 Kassenarztsitze in Medizinischen Versorgungs- und Therapiezentren, 94 Seniorenhäuser, drei Hospize, drei Pflegeschulen sowie drei zentrale Dienstleistungsgesellschaften. Diese Einrichtungen beschäftigten rund 17.000 Mitarbeitende, davon mehr als 7.700 Pflegekräfte.
Agim Kaptelli (57) wird neuer Vorstand für den Bereich Soziales und Freiwilligendienste des Diakonischen Werks der Evangelischen Kirche der Pfalz. Ab Februar 2024 komplettiert der Religionspädagoge die Führungsriege. Kaptelli folgt auf die im Frühjahr 2023 ausgeschiedene ehemalige Vorständin Sabine Jung. Er ist seit den 1990er Jahren im diakonischen Umfeld aktiv. Unter anderem war er Bildungsreferent in der Diakonie in Hessen und Leiter des regionalen Diakonischen Werks Main-Taunus. Zuletzt leitete er die Diakonie Wiesbaden.
Carolin Werner ist die neue Pflegedirektorin im Vorstand des Ludwig-Maximilians-Universitätsklinikums München.Sie trat das Amt zum 1. Oktober an und folgt damit auf Alfred Holderied, der sich Ende des Jahres in den Ruhestand verabschiedet und bis dahin seine Nachfolgerin noch einarbeitet. Die 42-Jährige kommt vom Universitätsklinikum Münster, wo sie als Pflegedienstleiterin für den Bereich Anästhesie und OP sowie gleichzeitig als stellvertretende Leiterin des Geschäftsbereichs OP Organisation tätig war. Sie schloss an der Universität Münster ihren Master of Business Administration (MBA) im Fach Medizinmanagement ab.
Hendrik Maler ist neuer Leiter der Regionalstelle Oberbayern der Landesbehörde Zentrum Bayern Familie und Soziales (ZBFS) in München. Er tritt die Nachfolge von Helmut Krauß an, der Ende des Jahres in den Ruhestand geht. Der ehemalige Berufssoldat war zuletzt beim Landesverband Bayern des Technischen Hilfswerks (THW) als Leiter der Verwaltung tätig. Seit 2019 war er beim THW Bayern als Referatsleiter unter anderem Inklusionsbeauftragter und hatte bereits fachliche Anknüpfungspunkte zum ZBFS. Die Regionalstelle Oberbayern beschäftigt rund 285 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Ansgar Hermeier (48) ist neuer Hauptgeschäftsführer der Knappschaft Kliniken Solution GmbH (KKSG). Zum 1. Oktober folgte er auf Igor Levit, der die Position des Finanzgeschäftsführers besetzt hatte. Hermeier war zuvor mehr als zehn Jahre Finanzgeschäftsführer der Johanniter GmbH und Geschäftsführer der Johanniter HealthCare - IT Solutions GmbH. Die Knappschaft Kliniken GmbH steuert die sieben Krankenhausverbünde, an denen die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See (DRV KBS) zu mindestens 50 Prozent beteiligt ist. Im Verbund der Knappschaftskliniken werden jährlich rund 660.000 Patientinnen und Patienten versorgt.
Ute Günther ist die neue Leiterin der Abteilung Unternehmenskommunikation und Marketing der Diakonie Baden in Karlsruhe. Die Kommunikationswissenschaftlerin übernahm die Position Anfang Oktober übernommen. Günther verantwortet die Entwicklung, Steuerung und Umsetzung der Kommunikations- und Markenstrategie des Landesverbandes. Sie ist zudem zentrale Ansprechperson für Presse und Medien. Günther folgt auf Pressesprecher Christian Könemann, der die Diakonie Baden im Juli verlassen hatte. Die bisherige Presse- und Öffentlichkeitsarbeit geht in der neuen Abteilung auf.
Petra Densborn, Vorständin der Bundesarbeitsgemeinschaft Evangelische Jugendsozialarbeit, ist mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet worden. Densborn arbeitet für das Christliche Jugendorfwerk (cjd). Seit April 2022 ist sie als Vorstand Angebote in der CJD-Führung tätig. Als Vorständin der Bundesarbeitsgemeinschaft engagiert sie sich auch für die Belange benachteiligter junger Menschen. Ihr Ziel: die Inklusion zu fördern.
Aladin El-Mafaalani, Bildungsforscher an der Universität Osnabrück, ist mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland geehrt worden. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zeichnete den Professor für Erziehung und Bildung in der Migrationsgesellschaft im Schloss Bellevue gemeinsam mit 22 weiteren Personen aus, die sich für mehr Bildungsgerechtigkeit, moderne Wissensvermittlung und in der Elternarbeit engagieren. In der Laudatio des Bundespräsidialamtes hieß es, El-Mafaalani sei „ein verdienstvoller Brückenbauer in unserem vielfältigen Land“.
18.-20.10. Freiburg:
Fortbildung „Kinderschutz in der Familienpflege - Auftrag und Handlungsoptionen im Einsatz“
der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes
Tel.: 0761/200-1700
20.-21.10.:
Online-Tagung „Sterben wollen - Leben müssen - Sterben dürfen? - Von der Kontroverse in die Praxis: Umgang mit den assistierten Suizid“
des Hauses Villigst
Tel.: 02304/755-325
23.-24.10. Erkner:
Seminar „Die Umsetzung des KJSG in der Kindertagesbetreuung - Aktuelle Entwicklungen und Perspektiven“
Tel.: 030/62980-219
23.-25.10. Hannover:
Fortbildung „Hilfe für wohnungslose Männer und Frauen in besonderen sozialen Schwierigkeiten“
der Bundesakademie für Kirche und Diakonie
Tel.: 030/48837-495
November
7.11.
Online-Seminar „Aktuelle steuerliche Themen in der Abgabenordnung und im Umsatzsteuerrecht - Update für Fortgeschrittene“
Tel.: 030/26309-138
8.11. München
Seminar „Pflegesatzverhandlungen in der stationären Altenhilfe Vorbereitung, Strategie und Verhandlungsführung“
der Unternehmensberatung Solidaris
Tel.: 0221/2093-0
8.-9.11.
Seminar „Grundlagen “Positive Führung„ - wertschätzend und zukunftsorientiert führen“
der Paritätischen Akademie Berlin
Tel.: 030/2758282-21