sozial-Politik

Flüchtlinge

Gastbeitrag

Hilfen für ukrainische Geflüchtete erreichen längst nicht alle




Max Reinhardt
epd-bild/DJI/Inge Kraus
Unterstützungsangebote für ukrainische Geflüchtete greifen nicht immer. Woran das liegt und wie die Bedingungen für Integration verbessert werden können, hat das Deutsche Jugendinstitut (DJI) untersucht. Im Gastbeitrag für epd sozial erläutert Max Reinhardt, wissenschaftlicher Referent am DJI, die Ergebnisse.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Deutschen Jugendinstituts (DJI) haben die Lebenslagen von Kindern, Jugendlichen und Müttern, die aus der Ukraine nach Deutschland geflüchtet sind, untersucht. Auch analysierten sie in der Studie „Ukrainische Geflüchtete in Deutschland - Erhebungen zur Zielgruppe und zu kommunalen Betreuungs- und Unterstützungsstrukturen“ die bestehenden Hilfen, beispielsweise in der Kinder- und Jugendhilfe und in den kommunalen Verwaltungen. Ziel war es zu ermitteln, worauf es bei einer gelingenden Integration ankommt.

Für die Studie wurden drei Teilprojekte realisiert: „Kommunale Unterstützungsstrukturen“, „Kitas und ukrainische Mütter mit Kitakindern“ und „Ukrainische Jugendliche in Deutschland“. Im Zeitraum vom 1. September 2022 bis 28. Februar 2023 gab es quantitative und qualitative Befragungen der Zielgruppen zu ihrem Leben in Deutschland und ihren Unterstützungsbedarfen. Auch Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe, kommunale Verwaltungen und zivilgesellschaftliche Akteure wurden zu den Herausforderungen der Fluchtbewegungen befragt.

Sprache, Bildung und soziale Kontakte

Die Forschungsergebnisse zeigen auf, dass Bildung, Sprachentwicklung, Freizeitgestaltung, Freundschaften und Unterstützungsstrukturen die Basis für eine gelingende Integration sind. Doch wie können Institutionen und Kommunen auf die Bedarfe von Geflüchteten reagieren?

Aus den Befunden zu den kommunalen Unterstützungsstrukturen ergeben sich mehrere Handlungsfelder. Ein grundlegender Schlüssel ist die Sprache. Eine unserer Empfehlungen ist, die Sprachförderung für Kinder, Jugendliche und Familien in Kitas, Schulen und durch außerschulische Kursangebote auszuweiten. Die Schulen kommen den Bedürfnissen der Kinder besser entgegen, wenn die Sprachförderung ergänzend zum Regelunterricht stattfindet und die Kinder in festen Regelklassen verortet sind.

Weiterhin könnten Informationskampagnen und verbesserte Zugänge zu Unterstützungsangeboten dabei helfen, Nutzungsbarrieren abzubauen, denn häufig sind unzureichende Deutschkenntnisse der Grund dafür, dass Hilfen beim Deutschlernen, bei Behördengängen oder der Wohnungssuche nicht in Anspruch genommen werden. Auch Kultur- und Sportangebote haben eine wesentliche Bedeutung im Integrationsprozess, weil sie niederschwellige Austauschmöglichkeiten eröffnen. Aus diesem Grund sollten sie weiter ausgebaut werden.

Weitere Erkenntnis: Für die Bereitstellung umfangreicher Integrationsangebote sind nachhaltig verankerte, breit aufgestellte kommunale Netzwerke mit zivilgesellschaftlichen Organisationen wesentlich, damit sie bei Bedarf schnell und nachhaltig auf aktuelle Integrationsherausforderungen reagieren können.

Durch das Kriegsgeschehen belastet

Die Mehrheit der ukrainischen Geflüchteten sind Mütter mit Kindern. Die meisten der 777 aus der Ukraine geflüchteten befragten Mütter fühlen sich erschöpft und durch das Kriegsgeschehen belastet. Auch das Wohlbefinden ihrer Kinder schätzen die Mütter häufig eher gering ein. Diejenigen, die psychologische, sprachliche und andere Unterstützungsmöglichkeiten nutzen, sind im Durchschnitt besser sozial integriert und haben intensivere Kontakte zur Bevölkerung.

Die Mütter, die diese Hilfsangebote nutzen, äußern zudem ein höheres Wohlbefinden und haben auch häufiger das Gefühl, in Deutschland sehr willkommen zu sein. Jedoch sind vielen Müttern, die die Angebote nicht nutzen, diese speziellen Hilfen gar nicht bekannt. Auch wird professionelle Unterstützung seltener wahrgenommen, wenn es keine passende Betreuungsmöglichkeit für die Kinder gibt.

Die 621 befragten Kita-Leitungen hoben hervor, dass Kita-Plätze sowie pädagogisches Personal fehlten. Fehlende Sprachkenntnisse der Kinder und ihrer Eltern sind den Aussagen nach für alle Beteiligten eine große Herausforderung. Das betont einmal mehr die Notwendigkeit niedrigschwelliger Zugänge zu den Sprachkursen für Geflüchtete.

Eine wesentliche Herausforderung ist die möglichst nahtlose Bildungsintegration durch Sprachförderung, durch Bildungs-, Sport- und Kulturangebote, aber auch durch Unterstützungsangebote im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe sowie im Gesundheitsbereich. Einige der Angebote werden auch von zivilgesellschaftlichen Organisationen wie Vereinen bereitgestellt. Verwaltungsinterne, abteilungsübergreifende Task Forces haben oftmals eine strategische Koordinationsfunktion, um auf kommunaler Ebene möglichst schnell und bedarfsgerecht zu handeln. Oftmals fehlt es aber an Ressourcen und Fachkräften. Gleichzeitig bleiben Plätze vor allem in den Kitas eine zentrale Herausforderung für die Kommunen und die Integration, wie auch Ergebnisse der Jugendamtserhebung im DJI-Projekt „Jugendhilfe und sozialer Wandel“ verdeutlichen.

Schule als zentraler Ort für Jugendliche

Die befragten Jugendlichen sind vor dem Krieg geflüchtet, jedoch haben sie bereits vor oder während der Flucht Erfahrungen und Auswirkungen des Krieges erlebt. Nun stehen sie angesichts von Ortswechseln vor der Herausforderung einer möglichst bruchlosen Integration in ein neues Bildungssystem. Unsere Studie zeigt: Ein gelungenes Ankommen in Deutschland hängt maßgeblich von der Unterstützung und dem Engagement von Schule und Lehrkräften ab. Schule ist für Jugendliche ein zentraler Ort, um neue Freundschaften zu knüpfen. Gleichzeitig ist es für sie schwieriger geworden, ihre alten Freundschaften in der Ukraine zu pflegen.

Brückenklassen mit altersheterogener Zusammensetzung dienen dabei vor allem dem Erwerb von Deutschkenntnissen, ermöglichen jedoch nicht allen Schülerinnen und Schülern die angestrebten Bildungsfortschritte. Sie bieten jedoch mehr Kontinuität und damit mehr Möglichkeiten, Beziehungen aufzubauen als bei wechselnden Zuordnungen zu unterschiedlichen Regelklassen.

Zusammenfassend ist die Situation für alle Geflüchteten sehr belastend und mit der Anstrengung verbunden, den Übergang von der Ukraine nach Deutschland möglichst bruchlos zu bewältigen. Dabei fehlt es trotz vieler Koordinationsanstrengungen an Platzangeboten, Fachkräften, finanziellen Ressourcen und teils auch an ausreichender Angebotskenntnis seitens der Zielgruppe. Es bedarf längerfristig des Erhalts nachhaltiger Unterstützungsstrukturen vor allem in den Kommunen, auch über das aktuelle Flüchtlingsgeschehen hinaus.

Max Reinhardt ist wissenschaftlicher Referent am Deutschen Jugendinstitut.