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125 Jahre Seemannsmission Kiel: Ein Zuhause auf Zeit



Vor 125 Jahren wurde die Seemannsmission Kiel gegründet, um Ehefrauen von Seeleuten eine Unterkunft zu bieten. Heute beherbergt die diakonische Einrichtung in erster Linie die Seeleute selbst.

Kiel (epd). 20 Minuten bestimmen die Arbeit der Seemannsmission Kiel. 20 Minuten liegen die Containerschiffe in der Schleusenanlage am Nord-Ostsee-Kanal vor dem Kieler Ufer. 20 Minuten, um an Bord zu kommen und zu fragen, wie es so geht.

Diakonin Sabrina Folster leitet die Seemannsmission Kiel. Im Aufenthaltsraum des Seemannsheimes Holtenau berichtet sie von diesen 20 Minuten, die ihrem Team bleiben. Die Ehrenamtlichen stehen mit Zeitschriften in den Landessprachen der Besatzung an der Brücke. Russisch, Englisch, vor allem Tagalog, die Landessprache der Philippinen. „Auch Geschenke bringen wir mit, Schokolade zum Beispiel“, sagt Folster.

Übervorteilung und Ausbeutung

Auch Bestellungen liefern sie aus, wie Telefonkarten und Hygieneartikel. Eine WhatsApp-Nachricht an die Seemannsmission genügt. „Die Menschen von den Containerschiffen haben kaum Zeit, um selbst einzukaufen.“

Seit 125 Jahren hat Kiel eine Seemannsmission, 1898 wurde sie gegründet. „Zweck ist die Bewahrung der Seeleute vor Übervorteilung und Ausbeutung durch unlautere Personen, Hebung der Sittlichkeit und Erhaltung der Religion“, heißt es im Handbuch der Wohlfahrtspflege der Stadt Kiel von 1909.

Übervorteilung und Ausbeutung, sie sind auch heute noch, wenn auch sehr selten, aktuell. Dann nämlich, wenn Seeleute ihren Lohn nicht erhalten. „Die Leute wenden sich an uns, weil sie uns vertrauen“, sagt Sabrina Folster. Die Seemannsmission vermittelt und schaltet etwa die Bundespolizei ein. Folster betont jedoch: „Ich habe viele Schiffe erlebt, wo die Arbeitsbedingungen gut sind.“

Drei Standorte hat die Seemannsmission in Kiel: das Seemannsheim Holtenau, die Seafarer’s Lounge am Kreuzfahrtterminal und das Seemannsheim „Baltic Poller“ auf dem Ostufer. Elf Hauptamtliche und etwa 15 Ehrenamtliche gehören zum Team und sorgen dafür, dass etwa das Seemannsheim an der Schleuse rund um die Uhr geöffnet ist.

Einige Tage Ruhe

„Wir haben Sitzgäste, die auf ihren nächsten Einsatz warten“, erklärt Folster. Im Aufenthaltsraum gibt es für sie Sofas, Spiele und Bücher - und Internet. Neun Zimmer mit Vollpension werden für diejenigen angeboten, die länger an Land bleiben: Lotsen, die zwischen ihren Einsätzen schlafen wollen, Männer, die auf ihre nächste Passage warten, andere, die frisch operiert einige Tage ruhen müssen.

1.122 Übernachtungen waren es im vergangenen Jahr. „Dabei war der Kanal gleich zweimal gesperrt“, erinnert sich Sabrina Folster. „Das bedeutete, dass wir keine Gäste und dadurch auch keine Einnahmen hatten.“

Bis zum Jahr 2001 hieß das Seemannsheim „Seemannsfrauenheim“. 1951 stellte es die Kanalverwaltung der Seemannsmission zur Verfügung, um Frauen, Mütter und Kinder unterzubringen, die am Ufer auf ihre zur See fahrenden Ehemänner, Söhne oder Väter warteten. Doch die internationale Seefahrt änderte sich. Ein Großteil der Besatzung, die das Seemannsheim aufsucht, stammt heute aus Russland, der Ukraine und den Philippinen.

„Von den Philippinen können die Ehefrauen nicht anreisen“, sagt Folster. Stattdessen findet die Begegnung online statt - das WLAN ist dort kostenfrei. Die Emotionen, die das Team der Seemannsmission spürt, sind nach den Familienbegegnungen am Bildschirm häufig sehr deutlich. „Die einen haben Heimweh, wenn sie neun Monate an Bord bleiben. Andere sind froh, dass sie endlich zurückkommen.“

Im Eingangsbereich des Heimes hängt ein helles Holzkreuz. Die Deutsche Seemannsmission gehört zu den ältesten Arbeitszweigen der Kirche in Deutschland. Ihre Wurzeln hat sie im diakonischen „Komitee für kirchliche Versorgung im Ausland“, das 1886 gegründet wurde.

„Wenn jemand über Glauben reden will, machen wir das. Aber wir zwängen es nicht auf“, sagt Diakonin Folster. Gebete, Segnungen und Abendmahl werden angeboten, an Bord und an Land. All das geschieht unabhängig von Herkunft und Religion der Schiffsbesatzungen, finanziert aus öffentlichen Mitteln, kirchlichen Zuschüssen sowie Spenden. Ohne diese sei ihre Arbeit kaum möglich, so Folster.

Catharina Volkert