Essen, Karlsruhe (epd). Gut verdienende Kinder müssen grundsätzlich den Aufenthalt ihrer zahlungsunfähigen Eltern in einem Pflegeheim mitfinanzieren. Allerdings darf der Sozialhilfeträger bei der ersten Prüfung der Einkommensverhältnisse nicht auch noch Auskunft über das bestehende Vermögen und über andere Familienmitglieder verlangen, entschied das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen in Essen in einem am 5. Oktober veröffentlichten Urteil. Andernfalls sei das Auskunftsersuchen nichtig.
Konnten mittellose pflegebedürftige Eltern bis Ende 2019 ihre Pflegeheimunterbringung nicht bezahlen, waren ihre Kinder grundsätzlich zum Elternunterhalt verpflichtet. Sie mussten mit ihrem Einkommen und ihrem Vermögen ihren Eltern beistehen. Eigene finanzielle Probleme waren häufig die Folge.
Der Gesetzgeber hatte darauf mit dem Angehörigen-Entlastungsgesetz reagiert. Seit 2020 sind Kinder nur noch dann zum Elternunterhalt verpflichtet, wenn sie mehr als 100.000 Euro brutto verdienen. So sollten Kinder mit geringerem Einkommen von Unterhaltszahlungen entlastet und von einer langwierigen Prüfung ihrer Einkommensverhältnisse verschont werden. Für die Pflegeheimkosten kommt dann das Sozialamt auf. Nicht mehr unterhaltspflichtig sind zudem Schwiegerkinder oder auch Kinder, die zwar unter der Einkommensgrenze liegen, aber über Vermögen verfügen. Erst bei „hinreichenden Anhaltspunkten“ müssen Kinder Auskunft über ihr Einkommen geben.
Im konkreten Fall ging es um einen in einem Pflegeheim lebenden mittellosen Rentner mit Pflegegrad 3. Da seine Rente und sein Pflegewohngeld nicht zur Deckung der Heimkosten ausreichten, beantragte sein Bruder als gesetzlicher Betreuer die Übernahme der Heimpflegekosten durch das Sozialamt.
Die Behörde verlangte daraufhin im Januar 2020 von einem Sohn des Rentners Auskunft über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse. Auch müsse er Angaben zu Familienmitgliedern und seinem Familienstand und über mögliches Haus- und Wohneigentum machen. In dem Bescheid wies die Behörde darauf hin, dass 80.000 Euro an ungedeckten Heimkosten aufgelaufen waren.
Zuvor hatte das Sozialamt recherchiert, dass der Sohn als „Chief Technology Officer“ in einem Unternehmen der Digitalindustrie tätig ist. Es sei daher zu vermuten, dass er mehr als 100.000 Euro brutto im Jahr verdiene und er daher zum Elternunterhalt verpflichtet sei. Auch sein Wohnort in einem teureren Wohnortviertel spreche für höhere Einkünfte.
Doch der Sohn lehnte jegliche konkrete Auskunft ab. Seine Jahreseinkommensgrenze liege unterhalb von 100.000 Euro. Er verwies auf eine Gehaltsvergleichsseite im Internet, wonach Beschäftigte in seiner Position deutlich weniger verdienten. Damit bestünden keine hinreichenden Anhaltspunkte für hohes Einkommen, so dass keine Auskunft verlangt werden könne.
Das LSG urteilte, dass der Kläger nicht zur Auskunft verpflichtet sei. Grundsätzlich komme der Kläger als unterhaltspflichtige Person aber in Betracht. Auch gebe es angesichts der beruflichen Position „hinreichende Anhaltspunkte“, dass die Jahreseinkommensgrenze von 100.000 Euro brutto überschritten werde und der Sohn damit Auskunft über seine Einkommensverhältnisse geben müsse.
Bei „hinreichenden Anhaltspunkten“ über hohes Einkommen dürfe die Behörde nach dem Gesetz aber zunächst nur nach dem Einkommen und nicht nach bestehendem Vermögen oder gar anderen Familienmitgliedern fragen. „Bevor eine Unterhaltspflicht des Klägers jedoch nicht feststeht, sind entsprechende Fragen ... nicht erforderlich und damit unverhältnismäßig“, heißt es in dem Urteil. Erst wenn klar sei, dass die Einkommensgrenze überschritten worden sei, habe die Behörde ein umfassendes Auskunftsrecht.
Hier habe der Sozialhilfeträger aber zu viel auf einmal wissen wollen. Das Auskunftsverlangen nach dem Vermögen und den Familienmitgliedern führe dazu, dass der Bescheid insgesamt nichtig sei und keine Auskunft gegeben werden müsse, entschied das LSG. Die Essener Richter haben die Revision zum Bundessozialgericht in Kassel zugelassen. Dort ist das Verfahren unter dem Aktenzeichen B 8 SO 5/23 R anhängig.
Ist das Einkommen erwachsener Kinder so hoch, dass die Zahlung von Elternunterhalt in Betracht kommt, können sie Unterhaltsleistungen - Bar- und Naturalunterhalt - für ihre eigenen Kinder aber einkommensmindernd anrechnen lassen, entschied der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe in einem Beschluss vom 15. Februar 2017. Müssen sie ihre eigenen Kinder betreuen, können sie die Betreuungsleistungen aber danach nicht einkommensmindernd berücksichtigen lassen. Die von einem Elternteil „geschuldete Betreuung“ lasse sich nicht in Geld umrechnen, entschied der BGH.
Az.: L 12 SO 231/22
Az.: XII ZB 201/16