Berlin (epd). Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in seinem Urteil aus dem Jahr 2019 festgehalten, dass die EU-Mitgliedstaaten die Arbeitgeber verpflichten müssen, ein System einzuführen, mit dem die geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann. Auf dieser Grundlage hatte das Bundesarbeitsgericht (BAG) 2022 festgestellt, dass die Arbeitgeber ein System einführen und anwenden müssen, mit dem der Beginn und das Ende der täglichen Arbeitszeiten einschließlich der Überstunden erfasst werden.
Jetzt hatte der Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales Expertinnen und Experten geladen, die sich am 9. Oktober in Berlin zu zwei Anträgen von CDU/CSU und Linkspartei äußerten. Während die Vertreter der Arbeitgeberverbände in der Anhörung entsprechend dem Unionsantrag die Notwendigkeit von Spielräumen und Flexibilität betonten, trat der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) wie der Antrag der Linken für die taggenaue Aufzeichnung von Arbeitszeit und Ruhepausen ein.
Isabel Eder vom DGB betonte, eine enge Auslegung des BAG-Urteils wäre wünschenswert. Zudem gebe es bereits jetzt genügend Flexibilisierungsmöglichkeiten im Arbeitszeitgesetz. Der DGB plädierte für die Beibehaltung des Achtstundentages, der von erheblicher Bedeutung für den Arbeits- und Gesundheitsschutz sei. Eder sprach sich ferner für eine Begrenzung der täglichen Höchstarbeitszeit aus.
Unterstützt wurde diese Position von Nils Backhaus von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. Er wies darauf hinwies, dass 80 Prozent der Beschäftigten ihre Arbeitszeit bereits erfassten. Diese verfügten über mehr zeitliche Spielräume als jene, die das nicht tun. Einfluss auf die Arbeitszeit zu haben, wirke sich aus Sicht des Arbeitsschutzes positiv aus, sagte Backhaus. Lange Arbeitszeiten könnten hingegen zu psychosomatischen Beschwerden führen bis hin zu Depressionen und Angststörungen, Stoffwechselerkrankungen oder Erschöpfungszuständen.
Dagegen unterstrich Roland Wolf von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), dass der Erhalt der sogenannten Vertrauensarbeitszeit ein wichtiges Element der betrieblichen Praxis sei. Wolf schlug vor, die Höchstarbeitszeit auf die Woche zu verteilen. Das BAG habe die Vertrauensarbeitszeit bestätigt, deshalb sollte aus seiner Sicht daran festgehalten und nicht in Arbeitsverträge eingegriffen werden. Nach Wolfs Interpretation des EuGH-Urteils müsse der Arbeitgeber lediglich ermöglichen, dass die Arbeitszeit erfasst werden kann. Er sei aber nicht verpflichtet, diese selbst zu erfassen.
Oliver Zander vom Gesamtverband der Arbeitgeberverbände der Elektro- und Metall-Industrie (Gesamtmetall) sagte, an „minutengenauer“ Arbeitszeit-Aufzeichnung hätten die Arbeitgeber kein Interesse. Zander ermunterte die Koalition, „Vertrauensarbeitszeit wieder zu ermöglichen“. Andernfalls würde eine „gute, eingeübte Kultur verschüttet“. Aus seiner Sicht ermögliche das EuGH-Urteil eine „Vereinbarungslösung“.
Unterschiedliche Sichtweisen gab es auch bei den Jura-Professoren. Gregor Thüsing von der Universität Bonn sprach sich für tarifliche Öffnungsklauseln aus. Der EU-Gesetzgeber gehe von einer Wochen-Höchstarbeitszeit von 48 Stunden aus. Kombiniert mit Ruhezeiten sei das ein genügender Schutz. Die Bundesregierung sollte sich daran orientieren, so Thüsing, „mehr Freiheit“ zu wagen.
Christiane Brors von der Universität Oldenburg sagte, auf Dauer länger als acht Stunden pro Tag zu arbeiten, sei ungesund. Mobiles Arbeiten führe zur Entgrenzung von Arbeit und Freizeit. Die Zunahme von psychischen Erkrankungen zeige, dass ein modernes Arbeitsrecht Begrenzungen brauche. Erforderlich sei auch eine manipulationssichere Arbeitszeiterfassung. Aus Bror' Sicht wird es auf eine taggenaue Aufzeichnungspflicht, die zu Kontrollzwecken auch digital sein sollte, hinauslaufen.
Frank Bayreuther von der Universität Passau plädierte für eine klare gesetzliche Vorgabe, dass eine Behörde bei Verstößen ein Bußgeld verlangen kann. Er widersprach der Ansicht, der Arbeitgeber könne selbst entscheiden, ob er von der Arbeitszeiterfassung Gebrauch machen wolle oder nicht.