die Pläne der Bundesregierung, Cannabis zu legalisieren, werden konkreter. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat dazu Eckpunkte vorgelegt. Das Vorhaben spaltet: Ärzte warnen vor gesundheitlichen Schäden für Jugendliche, andere Fachleute verweisen darauf, dass in europäischen Ländern die Zahl der Drogentoten nach der Legalisierung von Suchtmitteln deutlich gesunken sei.
Angesichts des enormen Anstiegs der Energiepreise werden sie so sehr gebraucht wie wohl noch nie: die Energiesparberater der Wohlfahrtsverbände. Sie gehen jetzt verstärkt in die Haushalte der Armen und helfen ihnen, ihre Energiekosten zu senken. „Die häufigsten Stromfresser sind neben alten Glühbirnen und Halogenlampen vor allem Plasma-Fernseher, Wäschetrockner, alte Kühlschränke oder Computer im Stand-by-Modus“, erklärt Norbert Hermes, der bereits seit fünf Jahren in Niedersachsen als Stromsparhelfer tätig ist.
Die hohe Inflation von aktuell zehn Prozent macht nach Auffassung des Vorstandsvorsitzenden der Diakonie Mitteldeutschland, Christoph Stolte, eine Reform der Pflegefinanzierung äußerst dringlich. Viele Bewohnerinnen und Bewohner von Altenheimen können deutlich verteuerte Heimplätze nicht bezahlen. Daher fordert Stolte im epd-Interview eine Teilkasko wie in der Kfz-Versicherung: Der Versicherte zahlt einen festen Betrag und die Versicherung den Rest.
Menschen mit einer schweren Behinderung dürfen in ihren Urlaub einen Assistenten mitnehmen. Die Reisekosten des unverzichtbaren Alltagshelfers muss der Träger der Eingliederungshilfe übernehmen, urteilte das Bundessozialgericht. Behinderte hätten in gleicher Weise ein Bedürfnis nach Urlaub wie nicht behinderte Menschen.
Lesen Sie täglich auf dem Twitteraccount von epd sozial Nachrichten aus der Sozialpolitik und der Sozialbranche. Auf dem Twitter-Kanal können Sie mitreden, Ihren Kommentar abgeben und auf neue Entwicklungen hinweisen. Gern lese ich auch Ihre E-Mail.
Markus Jantzer
Hamburg, Großrückerswalde (epd). Im Jahr 2020 starben in Deutschland nach offiziellen Angaben fast 1.600 Menschen an den Folgen ihres Drogenkonsums. Im ersten Jahr der Corona-Pandemie ist der Gebrauch illegaler Drogen gegenüber dem Vorjahr um rund 13 Prozent gestiegen. Sind die Zahlen Ausdruck einer gescheiterten Drogenpolitik?
In den sozialen Medien, vor allem auf Twitter, findet unter dem Hashtag #Dufehlst eine Kontroverse statt. Diskutantinnen und Diskutanten klagen über eine Stigmatisierung von Drogenabhängigen, denn sie halte Betroffene davon ab, über ihre Sucht zu reden und Hilfe zu suchen.
Eine von ihnen schreibt: „Ich habe Menschen gekannt, die an der Doppelbelastung von Sucht und Strafverfolgung zugrunde gegangen sind.“ Eine andere Person berichtet über ihre Studienfreundin Marie, die nach zweimaligem Entzug rückfällig geworden sei. „Langsam entglitt ihr wieder alles. Aus Angst vor der Strafverfolgung hat sie sich keine Hilfe mehr gesucht.“ Ein Weiterer klagt: „Eine verfehlte Drogenpolitik hat meine Familie kaputtgemacht und meinem Bruder das Leben gekostet.“ Er fordert, den Konsum von Drogen zu legalisieren.
Andere Länder in Europa haben das bereits getan. So sind in Portugal seit 2001 alle Drogen legal. Seither ist die Zahl der Drogentoten gesunken: Während es laut Drogenbericht der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht 2001 in Portugal noch 280 Drogentote gab, waren es im Jahr 2018 nur 55.
Uwe Wicha, Leiter einer Fachklinik für Drogentherapie im sächsischen Großrückerswalde, hat Bedenken, das portugiesische Modell zu kopieren. „Die Zahl der Drogentoten mag zwar zurückgegangen sein, aber nicht der Konsum“, erklärt er. So schaffe etwa Cannabis häufig Abhängigkeit. Die Hoffnung, durch Legalisierung einen besseren Jugendschutz zu betreiben, hält Wicha für eine Illusion. „Im Gegenteil: Wenn eine Droge legal ist, denken sich Jugendliche, so schlimm kann sie nicht sein.“
Laut Drogen- und Suchtbericht 2019 der Bundesregierung haben zehn Prozent aller Jugendlichen im Alter von 12 bis 17 Jahren schon einmal Cannabis konsumiert - obwohl die Substanz in Deutschland nur illegal auf dem Schwarzmarkt erhältlich ist.
Linda Heitmann, Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen, sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd): „Ich glaube, dass eine Entkriminalisierung dazu führen kann, dass über gesundheitliche Gefahren und Wechselwirkungen eines Drogenkonsums offener gesprochen wird.“ Dazu fordert sie einen Ausbau der Beratungsangebote.
Um die Zahl der Drogentoten zu reduzieren, braucht es ihrer Ansicht nach „eine Sicherstellung flächendeckender Substitutionsangebote, damit mehr Abhängige diese wahrnehmen können“. Zudem fordert sie „gute Substitutionsangebote im Gefängnis und nach der Haftentlassung. Das ist ein sehr kritischer Moment, in dem viele Rückfälle und Überdosierungen vorkommen, die vermeidbar sein sollten“, sagt Heitmann.
Die Ampel plant laut Koalitionsvertrag die Einführung der kontrollierten Abgabe von Cannabis. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat laut einem Medienbericht Eckpunkte zur Cannabis-Legalisierung vorgelegt. Danach soll künftig der Kauf und Besitz von 20 Gramm Cannabis für Erwachsene ab 18 Jahren grundsätzlich straffrei sein, wie das „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ am 19. Oktober berichtete. Die Vorschläge würden derzeit zwischen den Ministerien der Bundesregierung abgestimmt.
In einem Appell äußern sich die deutschen kinder- und jugendpsychiatrischen und -medizinischen Fachgesellschaften und Verbände besorgt. Rainer Thomasius, Ärztlicher Leiter am Deutschen Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters (DZSKJ) am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, hat den Appell unterschrieben. Er warnt vor gesundheitlichen Schäden für Jugendliche: „Der Zusammenhang zwischen Cannabiskonsum und psychischen Störungen ist gut belegt.“ So litten jugendliche Cannabis-Konsumenten 3,4-mal so häufig an Psychosen als Abstinente.
„Ich arbeite mit vielen Jugendlichen zusammen, die mir sagen, sie hätten Cannabis unterschätzt.“ Und er fügt hinzu: „Wir werden bei einer Legalisierung mehr Suizide im Zusammenhang mit Cannabiskonsum haben.“
Berlin (epd). Ein Bericht des „Redaktionsnetzwerks Deutschland“ (RND) hat am 19. Oktober ein von der Bundesregierung geplantes Vorhaben auf die politische Tagesordnung gebracht: Danach soll künftig der Kauf und Besitz von 20 Gramm Cannabis für Erwachsene grundsätzlich straffrei sein und der Handel in bestimmten Geschäften erlaubt werden. Dies und etliche weitere Regelungen habe Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) in einem Eckpunktepapier niedergelegt, das derzeit in der Regierung abgestimmt werde.
Das Gesundheitsministerium dämpfte die Erwartungen umgehend. Ein Sprecher erklärte auf Anfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd), es gebe derzeit noch kein abgestimmtes Eckpunktepapier, und es sei auch nicht allein vom Gesundheitsministerium erarbeitet worden. Fünf Ministerien, darunter das Innen- und das Justizministerium, arbeiteten aber „mit Hochdruck daran, den Koalitionsvertrag umzusetzen“, teilte der Sprecher mit.
Relativ sicher scheint gleichwohl, dass die Grenze für den straffreien Kauf und Besitz von Cannabis bei 20 Gramm gezogen werden soll. Wie das RND unter Berufung auf das noch in der Abstimmung befindliche Papier weiter berichtete, sollen Jugendliche unter 18 Jahren nicht bestraft werden, wenn sie mit Cannabis erwischt werden. Der Stoff werde aber beschlagnahmt, und sie könnten zur Teilnahme an Präventionskursen verpflichtet werden.
Dem Bericht zufolge legt das Eckpunktepapier auch fest, wie der Cannabis-Handel reguliert werden soll. Die Geschäfte sollten nicht nah an Schulen und Jugendeinrichtungen liegen. Ohne eine Lizenz solle der Handel mit Cannabis grundsätzlich strafbar bleiben. Verboten bleibe auch der Verkauf von synthetisch produzierten Cannabinoiden. Werbung für Cannabis-Produkte soll nicht erlaubt werden.
SPD, Grüne und FDP hatten in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, dass sie die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene „zu Genusszwecken“ einführen wollen - im Unterschied zur eingeschränkt erlaubten medizinischen Anwendung von Cannabis. Dem Zeitungsbericht zufolge soll Cannabis als Handelsware ausschließlich aus heimischem Anbau kommen, weil der Import aus Gründen des EU- und des Völkerrechts nicht infrage komme.
Aus Regierungskreisen hieß es, die deutschen Pläne könnten nur umgesetzt werden, wenn sie mit dem EU-Recht vereinbar seien. Man müsse dies zuerst sicherstellen, bevor ein Gesetzentwurf zur Legalisierung von Cannabis auf den Weg gebracht werden könne.
Die Kassenärzte kritisierten die Legalisierungspläne. Der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen, sagte, man dürfe dem „Cannabiskonsum nicht das Mäntelchen der Ungefährlichkeit umhängen, nur weil bestimmte Wählergruppen der Ampel-Parteien sich das so wünschen“. Er äußerte mit Blick auf die Niederlande zudem Zweifel daran, dass es gelingen werde, die Drogenkriminalität einzudämmen oder den Umstieg von Cannabis-Konsumenten auf härtere Drogen zu verhindern.
Berlin/München (epd). Der frühere Leistungssportler Karl Harlec ist seit vier Jahren auf einen Rollstuhl angewiesen. „Vor acht Jahren ist bei mir Multiple Sklerose diagnostiziert worden. Der Verlauf war schleichend. Ich wurde immer schwächer“, berichtet der 45-jährige Berliner.
Harlec arbeitet als Sozialarbeiter in der Kinder- und Jugendhilfe bei einem katholischen Träger. „Eigentlich sollte man meinen, dass hier bereits Barrierefreiheit herrsche. Doch dem ist leider nicht so“, sagt er. Sein Antrag auf einen Aufzug im Kinderhaus wurde mit der Begründung abgelehnt, dass dieser erst ab zwei Rollstuhlfahrern bewilligt würde.
In Deutschland sitzen rund 1,4 Millionen Menschen im Rollstuhl. Das entsprach im Jahr 2019 bundesweit einem Anteil von rund 18 Prozent der schwerbehinderten Menschen und 1,7 Prozent der Gesamtbevölkerung. Mehr als 80 Prozent der Behinderungen sind nach Angaben des Statistischen Bundesamts Folgen von Krankheiten.
Obwohl in Deutschland viele Menschen auf einen Rollstuhl angewiesen sind, ist Barrierefreiheit in vielen Bereichen des Lebens immer noch keine Realität. „Behinderten-WCs sind oft mit Putzzeug zugestellt und dienen als Abstellkammer“, sagt Harlec. Doch er mache auch positive Erfahrungen. „Die überwiegende Mehrheit der Restaurantbesitzer ist sehr engagiert und hilfsbereit“, sagt er. Wenn ein Restaurant sich als nicht rollstuhlfreundlich erweise, suche er es nicht mehr auf.
Aktuell verdient er 1.700 Euro netto. Ohne die Zusatzversicherung der Katholischen Zusatzversorgungskasse (KZVK) würde er später in Altersarmut rutschen. „Ich habe keine Angst, aber Respekt“, sagt er.
Am öffentlichen Nahverkehr übt er Kritik. „Viele Aufzüge werden zurzeit nicht repariert“, sagt Harlec. Funktioniere ein Aufzug nicht, müsse er eine Station weiterfahren. Sein Arbeitgeber zeige viel Verständnis, wenn er sich dadurch verspäte.
Auch Maximilian Schulz stößt immer wieder auf Hürden. „Die Infrastruktur ist noch nicht barrierefrei. Viele U-Bahnstationen besitzen immer noch keine Rampe, um die kleinen Schwellen zu überwinden“, sagt er. Dabei lasse sich das einfach und kostengünstig ändern.
Schulz hat seit seinem sechsten Jahr eine Form von Kinderrheuma mit sehr aggressivem Verlauf. Seit Komplikationen bei einer Operation vor sechs Jahren ist der Münchner querschnittsgelähmt.
Der 35-jährige Student der Sozialen Arbeit macht sich Sorgen über seine berufliche Zukunft. „Ich frage mich oft, wie lange ich körperlich in der Lage sein werde zu arbeiten“, sagt er.
Nicht nur am Arbeitsplatz, auch im Privaten und in der Freizeit werde er immer wieder mit Hürden konfrontiert. „Wenn der Zug ausfällt, kann ich mir nicht einfach spontan ein Taxi rufen“, sagt er. Es gebe zwar einen Fahrdienst für Rollstuhlfahrer, doch dieser müsse rechtzeitig vorbestellt werden.
Der Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen begrüßt die im Koalitionsvertrag der Ampel beschlossene Stärkung der Barrierefreiheit in allen Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens. Vorgesehen ist hier vor allem der Ausbau der Barrierefreiheit beim Thema Mobilität bis zum Jahr 2026. Zudem sollen auch private Unternehmen zur Barrierefreiheit verpflichtet werden. „Für die Teilhabe von Menschen mit Behinderung ist eine barrierefreie Umwelt unabdingbar“, sagte eine Sprecherin. Wichtig sei allerdings eine verbindliche Umsetzung der Vorhaben.
Harlec und Schulz fordern mehr Aufklärung in der Gesellschaft. „Ich wünsche mir ein Schulfach 'Inklusion'“, sagt Harlec. Kinder sollten von klein auf den Umgang mit Menschen mit Behinderung lernen.
Gütersloh (epd). Nach Prognosen der Bertelsmann Stiftung fehlen im kommenden Jahr bundesweit rund 384.000 Kita-Plätze. Beim Ausbau der Plätze und einer kindgerechten Betreuung gibt es jedoch deutliche Unterschiede zwischen West- und Ostdeutschland, wie aus dem am 20. Oktober in Gütersloh veröffentlichen Ländermonitoring zu frühkindlicher Bildung hervorgeht. Sozialverbände und Gewerkschaften fordern massive Anstrengungen des Bundes, um die frühkindliche Bildung zu sichern.
Gemessen an den Betreuungswünschen fehlten im kommenden Jahr im Westen voraussichtlich bis zu 362.400 Kita-Plätze, in Ostdeutschland 21.200. Um den Betreuungsbedarf der Eltern zu erfüllen, müssten zusätzlich zum vorhandenen Personal weitere 93.700 Fachkräfte im Westen und 4.900 im Osten eingestellt werden, hieß es. Das seien insgesamt pro Jahr zusätzliche Personalkosten von 4,3 Milliarden Euro. Hinzu kämen Betriebs- und eventuelle Baukosten für Kitas.
68 Prozent aller Kita-Kinder werden nach Angaben der Stiftung in Gruppen betreut, deren Personalschlüssel nicht den wissenschaftlichen Empfehlungen entspricht. In Ostdeutschland trifft dies auf rund 90 Prozent der Kita-Kinder zu, doch auch im Westen sei der Anteil mit 63 Prozent zu hoch.
Vor allem in den westlichen Bundesländern sei die Nachfrage der Eltern nach Kita-Plätzen höher als das Angebot. Den größten Mangel an Plätzen macht die Studie in Nordrhein-Westfalen aus: Im bevölkerungsreichsten Bundesland fehlten den Berechnungen zufolge 101.600 Kita-Plätze. In Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen sei hingegen kein Platzausbau erforderlich.
Die größte Hürde auf dem Weg zu genügend Plätzen und mehr Qualität in der frühkindlichen Bildung bleibe „der enorme Fachkräftemangel“, erklärte die Expertin für frühkindliche Bildung der Bertelsmann Stiftung, Anette Stein. Es müsse jetzt „sehr schnell gelingen, viel mehr Personen für das Berufsfeld zu gewinnen“. Der Bund müsse in größerem Umfang in die dauerhafte Finanzierung des Kita-Systems einsteigen.
Das Deutsche Kinderhilfswerk erklärte, Deutschland steuere „sehenden Auges auf eine bildungspolitische Katastrophe zu“. Nötig seien eine „groß angelegte Fachkräfteoffensive“ sowie mehr finanzielle Mittel und bundeseinheitliche Mindeststandards in der Qualität.
Die Personallage in den Kitas sei immer mehr eine Notversorgung, kritisierte die Lehrergewerkschaft VBE (Verband Bildung und Erziehung) in Berlin. Individuelle Förderung zur Behebung von Bildungsungerechtigkeit sei kaum möglich, erklärte der Bundesvorsitzende Udo Beckmann. Neben einer bundesweit abgestimmten Fachkräfteoffensive brauche es eine „deutliche Verbesserung der Arbeitsbedingungen“.
Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) mahnte: „Bund und Länder müssen endlich handeln und massiv in den Kita-Ausbau und in mehr Personal investieren.“ Der Beruf von Erzieherinnen und Erziehern müsse attraktiver gestaltet werden, forderte die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack. Zudem brauche es mehr praxisintegrierte und berufsbegleitende Ausbildungsmodelle, um Quereinsteiger für den Beruf zu gewinnen.
Die Gewerkschaft ver.di warnte vor einem Kollaps des Kita-Systems. Dringend notwendig seien der Ausbau des sozialpädagogischen Ausbildungssystems, eine Erhöhung der Attraktivität der Ausbildung und eine Verbesserung der Rahmenbedingungen.
Grundlage des jährlichen Ländermonitorings sind den Angaben zufolge Daten der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder, aus der Kinder- und Jugendhilfestatistik und weiteren amtlichen Statistiken. Die Daten wurden mit Stand 1. März 2021 erhoben. Um die Zahl der fehlenden Kita-Plätze zu ermitteln, wurden demnach die Betreuungsquoten der Kita-Kinder im Jahr 2021 mit dem Anteil der Eltern abgeglichen, die im selben Jahr in der Kinderbetreuungsstudie des Deutschen Jugendinstituts (DJI) einen Betreuungsbedarf äußerten.
Berlin (epd). Wegen der hohen Energiepreise hat der Bundestag am 20. Oktober in Berlin weitere Entlastungen auf den Weg gebracht. Einstimmig beschloss das Parlament eine Energiepreispauschale von 300 Euro für Rentnerinnen und Rentner. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kündigte an, die geplante Gaspreisbremse werde spätestens zum März umgesetzt.
Rentnerinnen und Rentner sollen die einmalige Energiepauschale im Dezember ausgezahlt bekommen. Das Geld muss versteuert werden, so dass Rentner mit niedrigen Altersbezügen stärker profitieren. Einbezogen sind auch Menschen, die eine Erwerbsminderungs- oder eine Hinterbliebenenrente bekommen. Die Opposition stimmte zu, kritisierte aber, dass die Entlastung nicht zielgenau sei.
Eine 300-Euro-Energiepauschale war im September bereits an alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ausgezahlt worden. Nach breiter Kritik, unter anderem von Sozialverbänden, hatte die Ampel-Koalition im Rahmen des dritten Entlastungspakets auch eine Zahlung an Rentnerinnen und Rentner angekündigt.
Bundeskanzler Scholz kündigte die Umsetzung der Gaspreisbremse spätestens zum März an. Er sagte in seiner Regierungserklärung vor dem Treffen der Staats- und Regierungschefs der EU in Brüssel: „Spätestens im März nächsten Jahres erhalten alle Bürgerinnen und Bürgern mit Gas oder Fernwärme ein vergünstigtes Basiskontingent.“ Niemand sollte Angst haben, von den Preisen für Strom, Gas oder Fernwärme überfordert zu werden, ergänzte der Regierungschef.
Die von der Regierung eingesetzte Expertenkommission hatte vorgeschlagen, den Gaspreis durch einen staatlichen Zuschuss ab März 2023 auf zwölf Cent pro Kilowattstunde zu senken, für 80 Prozent des geschätzten bisherigen Verbrauchs, um weiter einen Sparanreiz zu geben. Als kurzfristige Hilfe schlägt die Kommission eine Einmalzahlung in Höhe der monatlichen Abschlagszahlung vor. Die Bundesregierung will für Entlastungsmaßnahmen 200 Milliarden Euro zur Verfügung stellen, für die neue Schulden aufgenommen werden.
Berlin (epd). Der Energieexperte Volker Quaschning von der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft sieht die Einführung einer Gaspreisbremse kritisch. „Das Geld, was wir in die Gaspreis-Subvention stecken, ist weg“, sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Das fließt nach Katar oder in die USA. Das sind keine Investitionen, die uns voranbringen.“ Überdies reduziere die Subvention den Anreiz für Verbraucherinnen und Verbraucher, Energie zu sparen. Dadurch könne in der zweiten Hälfte des Winters das Gas ausgehen.
Andererseits sehe er, dass derzeit viele Menschen finanzielle Hilfe brauchen, weil sie von den hohen Preisen überfordert seien. Er plädierte dafür, die soziale und die Energiefrage zu trennen und konsequent die erneuerbaren Energien auszubauen. Das Argument, dass sich Menschen mit geringem Einkommen Erneuerbare nicht leisten könnten, diene dazu, notwendige Veränderungen zu verhindern. „Wir müssen Menschen in die Lage versetzen, mögliche Mehrkosten zu bezahlen, beispielsweise durch ein höheres Existenzminimum“, sagte er.
Eine Umstellung auf erneuerbare Energien dürfte Quaschning zufolge insgesamt zu einer Senkung der Preise führen. Windstrom sei mit fünf bis sechs Cent pro Kilowattstunde heute schon deutlich billiger als Energie aus Kohle und Gas. Die Preise für Erneuerbare würden auch mittelfristig deutlich unter den Preisen für fossile Energie liegen.
Werde die Ausbaugeschwindigkeit im Vergleich zum vergangenen Jahr verachtfacht, sei der komplette Umstieg auf Erneuerbare in 10 bis 15 Jahren zu schaffen, schätzt Quaschning. Schon jetzt nehme der Einbau von Wärmepumpen und die Installation von Solarzellen deutlich zu. Die „Achillesferse Nummer eins“ sei hier die Bürokratie, sagte er: „Es ist nicht einzusehen, warum wir in vier Monaten ein Gasterminal planen und genehmigen können und für einen Windpark dafür acht Jahre brauchen.“
Quaschning beklagte eine soziale Schieflage beim Ausbau regenerativer Energien. „Das Problem ist, dass wir für Öl und Gas kontinuierlich bezahlen, während ich für ein Windrad oder ein Solarmodul das Geld am Anfang auf einmal auf den Tisch legen muss“, erläuterte er.
Es sollten jedoch nicht nur besserverdienende Wohnungseigentümer von einer eigenen Solaranlage profitieren können. „Mieter sind darauf angewiesen, dass der Vermieter die Heizung austauscht, das Gebäude dämmt oder eine Solaranlage aufs Dach schraubt“, sagte der Experte. „Da brauchen wir gesetzliche Vorgaben, damit jeder Mieter Anspruch auf Strom vom Dach hat.“
Hamburg, Wiesbaden (epd). Es fing im Sommer 2008 mit einem vollen Obstgarten und einer Idee an: Wenn es so viele Äpfel gibt und niemand Verwendung für sie hat, dachte sich der Hamburger Jan Schierhorn, warum können sie nicht von Menschen geerntet und verarbeitet werden, die sonst auf dem Arbeitsmarkt keine Chance haben?
„Darum geht es bei uns: Die Grundidee ist so einfach, dass man sie ganz schnell erklären kann“, sagt Nancy Menk. Die 34-Jährige ist Geschäftsführerin des Unternehmens mit dem programmatischen Namen „Das Geld hängt an den Bäumen gGmbH“, das aus der Idee entstand: „Wir bieten ökologisch-nachhaltige Arbeitsplätze für 18 Menschen.“
Menk führt die gemeinnützige Firma, seit Gründer Schierhorn sich zurückgezogen hat. Was anfing mit ein paar Bäumen in der Nachbarschaft, umfasst heute Streuobstwiesen in Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Wer Äpfel hat, für die er keine Verwendung findet, kann das Team rufen. Das erntet die Früchte und lässt sie zu Obstsäften oder -schorlen verarbeiten.
Beschäftigung finden Menschen, die auf dem ersten Arbeitsmarkt kaum Chancen haben, sei es wegen einer Behinderung, wegen einer Erkrankung oder etwa Suchtproblemen. Ganz nebenbei werden durch diese Arbeit Streuobstwiesen erhalten und gepflegt.
An einem Herbstvormittag hat das Team einen Ernteeinsatz auf einem Golfplatz im niedersächsischen Buxtehude - aber Nancy Menk kann nur die Obstbäume zeigen und Menschen, die Äpfel sammeln. Über seine Arbeit will keiner ihrer Angestellten reden. Und das sei auch richtig so, findet sie: „Bei vielen Menschen, die bei uns arbeiten, passiert ein totaler Mindset-Wechsel. Aus Hilfeempfängern werden Steuerzahler.“
Genau das sei es, was sie anstrebten: Jeder Mensch solle sich seiner Bestimmung bewusst werden und selbst entscheiden, was er von sich erzählt. Gerade dann, wenn jemand sein Denken von sich selbst sehr verändert habe, wolle er oft nicht gern von seiner Vergangenheit erzählen. „Ich kann und will da auch keinen Druck machen.“
Das Unternehmen begreift seinen Ansatz als ganzheitlich. Es gehe nicht nur um die Stärkung menschlichen Selbstbewusstseins, sondern auch um den Erhalt der Ökosysteme. Damit passt das Projekt in den bundesweit zunehmenden Trend zum Erhalt und Schutz von Streuobstwiesen.
Gerade erst hat das Land Hessen seine erste Streuobstwiesenstrategie vorgestellt, Baden-Württemberg hat für 2023 eine Überarbeitung seiner bereits geltenden Vorgaben angekündigt. Explizit festgehalten ist in den Strategien, dass es Menschen bedarf, die die Pflege der Bäume übernehmen, um etwa „zum Beispiel mit Obstwiesenbörsen oder Kelterangeboten neue Interessierte für die Streuobstnutzung gewinnen“, wie es im hessischen Konzept heißt.
„Ein landesweites Streuobstwiesenzentrum wird diese Maßnahmen zentral steuern“, sagte Landesumweltministerin Priska Hinz (Grüne) bei der Vorstellung im Sommer. Derartige Strategien gibt es bei den norddeutschen Bundesländern bislang noch nicht - vielleicht auch deswegen, weil Streuobstwiesen nicht in so starkem Maße Kulturgut sind wie im Süden des Landes.
Den Apfelsammlern von „Das Geld hängt an den Bäumen“ geht es darum, an diesem Denken etwas zu verändern. „Nachhaltigkeit hat mehrere Seiten. Es geht um einen anderen Umgang mit dem Menschen, aber auch mit der Natur“, sagt Geschäftsführerin Menk.
Hildesheim (epd). Der weiße Kühlschrank ist beinahe leer, nur ein paar Äpfel warten in einem blauen Plastikkorb. Kira Nadler öffnet die große Tür, wirft einen prüfenden Blick ins Innere des Geräts, dessen LED-Lampen der Dunkelheit des Hildesheimer Abendhimmels trotzen. Dann schnappt sich Nadler einen Lappen und wischt alle Flächen einmal ab.
„Heute morgen war der rappelvoll mit Hähnchen-Sandwiches und Heringssalat“, sagt die blasse junge Frau mit langen braunen Haaren. Der Kühlschrank, der unter einem Holzverschlag auf dem Innenhof der Martin-Luther-Kirchengemeinde steht, wird von hunderten Menschen gemeinsam benutzt - und einige von ihnen sind heute offenbar satt geworden. Kira Nadler freut das.
Die 28-Jährige nennt sich selbst Lebensmittelretterin, sie ermöglicht mit anderen Ehrenamtlichen den Betrieb des Gerätes in der Nordstadt, das sie Fairteiler nennen. 998 Menschen sind Teil der lokalen Telegram-Gruppe, 629 Personen holen Lebensmittel ab und 25 helfen mit, den Kühlschrank sauber zu halten.
Bei ihnen allen brummt das Handy, sobald jemand schreibt: „Ich habe etwas in den Fairteiler gelegt.“ Wer dann den rund um die Uhr verfügbaren Kühlschrank öffnet, kann sich frei bedienen - eine Kontrolle der Nutzerinnen und Nutzer gibt es nicht. Auch die Befüllung ist im Rahmen von hygienischen Grundregeln frei und reicht von Brot, Paprika, Erbsenmilch und Muffins bis hin zum Zehn-Liter-Eimer Mayonnaise.
1.117 Anlaufstellen wie die in Hildesheims Nordstadt betreibt der Verein Foodsharing nach eigenen Angaben bundesweit. Den Lebensmittelrettern geht es dabei nicht um das sozial ausgewogene Verteilen - sie wollen vor allem, dass Lebensmittel nicht auf dem Müll landen.
Aktuell gibt es Nadler zufolge allein in Hildesheim 19 vertragliche Vereinbarungen mit Supermärkten und anderen Betrieben, die unverkaufte und überzählige Lebensmittel zur Verfügung stellen. Grundregel bei der Auswahl sei dabei, Betriebe auszuschließen, die mit der lokalen Tafel kooperieren. „Wir wollen auf keinen Fall eine Konkurrenz sein“, sagt die 28-Jährige. „Es wird so viel Essen weggeschmissen, da bleibt genug für alle übrig.“
Uwe Lampe erlebt das Zusammenleben nicht ganz so unkompliziert. Es gebe eine schriftliche Vereinbarung auf Bundesebene mit dem Foodsharing-Trägerverein, bestätigt der Vorsitzende des Landesverbands der Tafeln in Niedersachsen und Bremen. Demnach würden die Tafeln zuerst beliefert, erst dann kämen die Lebensmittelretter. „Das klappt aber nicht immer“, sagt Lampe. „Unsere Helfer kommen dann - und die Foodsharer waren schon da. Das ist natürlich nervenaufreibend.“ Angesichts der stark steigenden Zahl von Bedürftigen und Aufnahmestopps in einigen Tafeln mahnt Lampe, dass die Belieferungsreihenfolge unbedingt respektiert werden müsse.
Grundsätzlich sei eine Koexistenz mit den Lebensmittelrettern möglich, die meist kleine Mengen zu Fuß oder mit dem Fahrrad abholen, sagt Lampe, der die Tafel in Springe leitet: „In unsere Fahrzeuge passen bis zu 45 Euro-Paletten. Das ist allein von der Menge eine ganz andere Welt.“
Lampe grenzt auch die Mission der Tafeln deutlich von den Foodsharern ab: „Wir versorgen allein in Niedersachsen 200.000 Menschen. Unser Anspruch ist es nicht nur, Lebensmittel zu retten, sondern vor allem Bedürftige zu versorgen.“
Einen sozialen Anspruch verfolgt auch die Nordstädter Martin-Luther-Kirchengemeinde, die den kollektiven Kühlschrank beheimatet. Pastor Jochen Grön sagt, man kümmere sich ohnehin viel um das Gemeinwesen - schließlich gebe es im Stadtteil viele Menschen mit wenig Geld. „Hier hauen Kinder in den Kitas auch deshalb ordentlich rein, weil sie zu Hause eher nicht satt werden. Und die älteren Leute, die hierherkommen, haben kleine Renten.“
Die Mitglieder der Hildesheimer „Foodsharing“-Ortsgruppe haben ausgerechnet, dass sie bereits mehr als 90 Tonnen vor der Entsorgung gerettet haben. Für Kira Nadler, deren Eltern ein Hotel mit Restaurantbetrieb führten, ist das Retten von Essen eine Lebensaufgabe: „Da wurde immer so viel weggeschmissen, das wollte ich selbst unbedingt anders machen.“
Berlin (epd). Monatlich 1.000 besonders gefährdete Afghaninnen und Afghanen sollen über ein neues Bundesaufnahmeprogramm nach Deutschland kommen können. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) einigten sich dazu auf ein neues Verfahren, wie beide Ministerien am 17. Oktober in Berlin mitteilten. Konkret geht es den Angaben nach um den Schutz von Menschen mit Aufenthalt in Afghanistan, die wegen ihres Einsatzes für Menschenrechte oder durch ihre Tätigkeit etwa in Justiz, Politik oder Medien in Gefahr sind. Auch wer wegen sexueller Orientierung, Geschlecht oder Religion verfolgt wird, kann über das Programm nach Deutschland kommen.
Allerdings können sich Betroffene nicht selbst darauf bewerben, sondern müssen von nicht namentlich genannten und von der Bundesregierung bestimmten „meldeberechtigten Stellen“ vorgeschlagen werden. Eine vom Bundesinnenministerium finanzierte Stelle übernehme die Koordination. Von der Größenordnung her orientiere sich das Programm an der Zahl der Menschen aus Afghanistan, die in den vergangenen Monaten aufgenommen worden seien, hieß es.
Nach dem Abzug der internationalen Truppen aus Afghanistan im vergangenen Jahr hatten die radikal-islamischen Taliban die Macht übernommen. Viele Menschen, die mit den internationalen Streitkräften und anderen westlichen Organisationen gearbeitet haben und zurückgelassen wurden, gerieten in Gefahr. Im Koalitionsvertrag haben die Ampel-Parteien SPD, Grüne und FDP daher ein humanitäres Aufnahmeprogramm angekündigt.
Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes erläuterte, in einer ersten Phase würden ab sofort Fälle bearbeitet, die den meldeberechtigten Organisationen schon bekannt seien. Das seien jetzt schon sehr, sehr viele, betonte er, ohne Details zu nennen.
Vorschläge machen können unter anderem zivilgesellschaftliche Organisationen, die während der militärischen Evakuierungsoperation im August 2021 mit dem Auswärtigen Amt zusammengearbeitet haben. Auch solche, die zwischen 2013 und 2021 für Projekte der Entwicklungszusammenarbeit Geld von der Bundesregierung erhalten haben, kommen infrage. Das Programm soll bis September 2025 laufen.
Innen- und Außenministerium betonten zugleich, dass das sogenannte Ortskräfteverfahren damit nicht beendet sei. Über dieses Verfahren können Personen, die vor der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan für die Bundeswehr, das Auswärtige Amt oder Entwicklungsorganisationen gearbeitet haben, ein Visum für Deutschland erhalten. Den Angaben zufolge wurden inzwischen fast 26.000 afghanische Ortskräfte und andere Härtefälle darüber nach Deutschland geholt.
Pro Asyl kritisierte derweil die Beschränkung auf afghanische Staatsangehörige in Afghanistan. Schutzsuchende, die sich bereits in Drittstaaten befänden, würden ausgeschlossen, teilte die Flüchtlingsorganisation mit. Ferner bemängelte Pro Asyl, dass sich Betroffene nicht selbst direkt für das Programm bewerben könnten.
Washington (epd). Am 8. November gehen US-Amerikaner in die Wahlkabinen. Die 435 Mitglieder des Repräsentantenhauses, 35 der 100 Senatoren sowie zahlreiche Gouverneure der Bundesstaaten werden gewählt. Inflation, Parteiloyalität und der Zustand der Demokratie beschäftigen die Wählerinnen und Wähler. Eine unerwartet große Rolle spielt Abtreibung. Die Demokratische Partei von US-Präsident Joe Biden will davon profitieren.
Es geht um viel: Bidens politische Vorhaben hätten wenig Chancen, sollten die Demokraten im Kongress in die Minderheit geraten. Im Repräsentantenhaus mit gegenwärtig 220 Demokraten und 212 Republikanern (drei Sitze sind vakant) müssen die Republikaner nur eine Handvoll demokratische Sitze erobern, um die Mehrheit zu stellen. Im Senat mit seinem 50-zu-50-Unentschieden genügt ein Sitz.
Dass Demokraten mit Abtreibung Wahlkampf machen, ist neu: Eigentlich gehört Schwangerschaftsabbruch zum Kulturkampf, mit dem die Republikaner die konservative und weiße evangelikale Basis zusammenhalten. Doch ein historisches Urteil des Obersten US-Gerichts im Juni, das das Recht auf Abtreibung annullierte, motiviert demokratische Wählerinnen und Wähler.
Der Richterspruch befugt jeden der 50 Bundesstaaten, Abtreibungsvorschriften zu erlassen, auch nahezu komplette Verbote wie in den republikanisch regierten Staaten Texas, Missouri und Oklahoma. Nach Angaben des Familienplanungsinstituts „Guttmacher Institute“ gelten nun in 14 Staaten „sehr oder besonders restriktive“ Gesetze. In zwölf Staaten seien die Gesetze „restriktiv“.
Bei einer Erhebung des gesundheitspolitischen Instituts Kaiser Family Foundation gab die Hälfte der Befragten an, das Urteil motiviere sie zur Stimmabgabe. Drei Viertel der vom Urteil Bewegten wollten für Kandidaten stimmen, die für legale Abtreibung eintreten, hieß es in der am Mittwoch vorgestellten Umfrage. 1.534 Personen wurden befragt.
Demokratische Kandidaten reagieren auf die veränderten Umstände. Ein Drittel des Gelds ihrer Fernsehwahlwerbung finanziere Spots für das Recht auf Abtreibung, berichtete der Rundfunksender NPR. Das Abtreibungsthema treffe „Menschen ganz persönlich“, begründete die demokratische Wahlstrategin Vriti Jain. Anfang 2022, vor dem Urteil des Obersten Gerichts, hätten Demokraten keine Wahlwerbung zur Abtreibung geschaltet. Mehrere Republikaner haben sich vorsichtig von ihrer Anti-Abtreibungshaltung distanziert, oder sie „vermeiden das Thema, das seit langem ein Kernteil des amerikanischen Konservatismus ist“, schrieb die „New York Times“.
In kaum einem Staat ist Abtreibung so prominent wie in Georgia. Eigentlich ist der Staat im Süden republikanisches Territorium, doch Biden hat in Georgia 2020 knapp gewonnen. Es kandidiert zur Wiederwahl im Senat der schwarze Baptistenpastor Raphael Warnock. Er steht für Bürgerrechte, soziale Programme und eben das Recht auf Abtreibung.
Republikanischer Herausforderer ist der frühere Football-Star Herschel Walker, der für „konservative Familienwerte“ antritt und gegen das Recht auf Abtreibung. Im Endspurt machten Walker Medienberichte Probleme über drei seiner Kinder, die mit ihren Müttern und nicht mit Walker lebten. Anfang Oktober gab es Anschuldigungen, Walker habe einer früheren Freundin Geld für eine Abtreibung gegeben. Walker bestritt das, er mache häufig Geldgeschenke. Bei einem Scheidungsverfahren wurde Walker häusliche Gewalt vorgeworfen.
Viele Abtreibungsgegner sehen keinen Kompromiss. Bart Barber, Präsident des Südlichen Baptistenverbandes, der größten protestantischen Kirche der USA, hat das vor wenigen Tagen im CBS-Fernsehen deutlich gemacht. Er habe 2020 für den Republikaner Donald Trump gestimmt mit Blick auf dessen Einstellung gegen Abtreibung. Bei Abtreibung gehe es „um eine menschliche Person, die das Recht auf Leben hat“, sagte Barber. Der CBS-Morderator sprach Barber auf eine kürzliche Kontroverse an über eine von einer Vergewaltigung schwangere Zehnjährige. Ob er das Kind zwingen würde, die Schwangerschaft auszutragen? Das sei entsetzlich, erwiderte Barber, doch besser, „als jemanden anderen zu töten“.
Prognosen für den 8. November deuten auf einen knappen Ausgang hin. In vier Bundesstaaten sollen sich die Wähler direkt zur Abtreibung äußern. Bei Volksentscheiden in Kalifornien, Michigan und Vermont geht es um Verfassungszusätze zum Schutz des Rechts auf Abtreibung. Kentucky stimmt über eine Vorlage ab, nach der die Verfassung kein Recht auf Abtreibung vorsehen soll.
Lingen, Osnabrück (epd). Mit großen Augen verfolgt Rentner Hartmut Henke (67), wie Ohanes Agop die Lampe aus der Fassung in der Abzugshaube herausschraubt. „Halogen“, stellt der gebürtige Syrer fest und ergänzt mit strengem Blick: „Die verbraucht viel zu viel.“ Agop kontrolliert bei den Henkes im emsländischen Lingen als Stromsparhelfer alle elektrischen Geräte. Hartmut Henke ist froh über jeden Spartipp.
Er und seine Frau Walburga (60) müssen in ihrer kleinen Zwei-Zimmer-Wohnung mit 800 Euro Rente und 450 Euro aus seinem Mini-Job als Fahrer über die Runden kommen: „Damit kann man keinen Baum stemmen“, sagt der 67-Jährige. Da kommt dem Ehepaar der kostenlose Stromspar-Check von Caritas und Energieagenturen gerade recht. „Die Stromkosten fressen einen richtig auf“, klagt Hartmut Henke.
In dem bundesweiten, von der Bundesregierung noch bis April 2023 geförderten Projekt checken ausgebildete Stromsparhelfer bereits seit 2008, wo Haushalte mit geringem Einkommen noch Sparpotenzial haben. Teams der federführenden Caritas, aber auch von Diakonie, Arbeiterwohlfahrt und dem Paritätischen sind mittlerweile in mehr als 150 Städten und Landkreisen bundesweit als Stromsparhelfer im Einsatz. Die Energieagenturen übernehmen deren Schulung.
Aufgrund der Energiekrise mit Preiserhöhungen von mehr als 100 Prozent steigt die Nachfrage gerade rasant. „Die Kommunen stehen aktuell Schlange, um Stromspar-Check-Standort zu werden“, sagt Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa. Sie hofft deshalb, dass der Bund dafür auch weiterhin zahlt. „Ausgerechnet jetzt die Förderung zurückzufahren, wäre paradox.“ Bislang wurden in Deutschland rund 400.000 Haushalte gecheckt. Im Schnitt spart jeder Haushalt seitdem 190 Euro pro Jahr. Nach und nach soll die Beratung auf die Themen Heizung und Lüftung ausgeweitet werden.
Menschen, die Sozialleistungen bezögen oder im Niedriglohnsektor arbeiteten, schafften es schon zu normalen Zeiten in der Regel nicht, Rücklagen zu bilden, sagt Luca Treidel, Projektleiterin beim Stromspar-Check Osnabrück. Anders als die Heizkosten bekommen Hartz-IV-Bezieher die Stromkosten nicht vom Jobcenter ersetzt. Da mache sich jeder eingesparte Cent im Portemonnaie bemerkbar.
Die Stromsparhelfer checken bei einem ersten Besuch vor Ort anhand eines mehrseitigen Fragebogens, wo am meisten Strom verbraucht wird. „Die häufigsten Stromfresser sind neben alten Glühbirnen und Halogenlampen vor allem Plasma-Fernseher, Wäschetrockner, alte Kühlschränke oder Computer im Stand-by-Modus“, erklärt Norbert Hermes, der bereits seit fünf Jahren als Stromsparhelfer tätig ist. „Wenn zum Beispiel ein Ein-Personenhaushalt im Jahr 3.000 Kilowattstunden Strom verbraucht, dann stimmt etwas nicht.“ Ein sparsamer Haushalt komme auf maximal 1.000 bis 1.200 Kilowattstunden.
Nach der Auswertung besucht Hermes die Personen ein zweites Mal - mit Tipps für Verhaltensänderungen und einer kostenlosen Energiespar-Ausstattung im Gepäck: „Dazu gehören Energiesparlampen, ausschaltbare Steckdosenleisten, Zeitschaltuhren oder auch ein Sparduschkopf.“ Zusätzlich können die Haushalte einen 100-Euro-Zuschuss für einen neuen Kühlschrank erhalten.
Fast überall arbeiten die Stromsparhelfer auch mit Schuldnerberatungsstellen zusammen. Von dort kämen alarmierende Zahlen, sagt Diakonie-Präsident Ulrich Lilie. Immer mehr Menschen gerieten in akute Not, nähmen Schulden bei Freunden auf „und kommen dann aus dieser Spirale gar nicht mehr raus“.
Die Diakonie Osnabrück hat seit einem halben Jahr eine Energieschuldenberatung, um Strom- und Gassperren zu verhindern. Leiter Axel Winter geht davon aus, dass die Zahl seiner Klienten ab Januar deutlich ansteigen wird, wenn die gestiegenen Energiepreise sich in den Abschlagszahlungen widerspiegeln. Zunehmend sei auch die untere Mittelschicht betroffen. „Wir merken, dass die Menschen schon allein aufgrund der gestiegenen Lebensmittelpreise mit ihrem Einkommen nicht mehr auskommen.“
Hartmut Henke und seine Frau sind es gewohnt, sich einzuschränken. „Bisher sind wir immer über die Runden gekommen“, sagt er. Die Tipps von Stromsparhelfer Agop wollen sie auf jeden Fall beherzigen: Immer das Licht ausschalten, Spül- und Waschmaschine erst laufen lassen, wenn sie voll sind, öfter mal Radio hören statt fernzusehen. „Wenn alles auf Sparflamme ist, geht es uns vielleicht etwas besser“, hofft der Ehemann und schiebt hinterher: „Es ist ja nicht so, dass man alles im Überfluss hat.“
Erfurt (epd). Die Diakonie Mitteldeutschland fordert, die Finanzierung der Pflege zu reformieren. Die Pflegebedürftigen sollten einen Festbetrag als Anteil an den Gesamtkosten zahlen, sagte der Vorstandsvorsitzende der Diakonie Mitteldeutschland, Christoph Stolte, im epd-Interview. Das helfe zu vermeiden, dass stationär Pflegebedürftige mit zusätzlichen Belastungen durch Energiekosten und Inflation überfordert werden. Mit Stolte sprach Matthias Thüsing.
epd sozial: Herr Stolte, wo liegen die Schwächen bei der derzeitigen Finanzierung sozialer Dienstleistungen?
Christoph Stolte: Im Grundsatz funktionieren die Beziehungen zwischen Versicherten, den Anbietern von sozialen Leistungen und den Kostenträgern. Nicht zufriedenstellend gelöst ist allerdings vielfach das Problem, wer bei unvorhergesehenen Kostensteigerungen die Mehrkosten bezahlen muss. Das wird besonders deutlich in der stationären Altenpflege. In der Pflege übernimmt die Pflegekasse einen festen Betrag je nach Pflegegrad. In der Pflegestufe 2 sind das 770 Euro. Den Rest müssen die Bewohner und Bewohnerinnen aufbringen.
epd: Das heißt, Inflation und Energiekostensteigerungen gehen vollständig zulasten der Pflegebedürftigen?
Stolte: Ja. Und wenn Sie wissen, dass ein durchschnittlicher Pflegeheimplatz 1.700 Euro in Thüringen kostet und heute schon deutlich über dem heutigen Rentenniveau liegt, werden viele unserer Klienten und Klientinnen Steigerungen von 200 oder 400 Euro nicht bezahlen können.
epd: Wer kommt stattdessen für die erhöhten Kosten auf?
Stolte: Erst wird geschaut, ob Angehörige einspringen müssen. Wenn das nicht möglich ist, werden die Kommunen als Sozialhilfeträger einspringen müssen, die selbst unter enormem finanziellen Druck stehen. Dabei war es ein zentrales Argument bei der Einführung der Pflegeversicherung vor fast 30 Jahren, dass pflegebedürftige Menschen im Alter nicht auf Sozialhilfe angewiesen sein sollten.
epd: Was könnte in dieser Situation helfen? Ein Rettungsschirm?
Stolte: Das hilft für den Moment. Aber was wir darüber hinaus fordern, ist eine Umkehrung der Finanzierung.
epd: Was bedeutet das?
Stolte: Ich erkläre es am Beispiel der Teilkasko in der Kfz-Versicherung: Da zahlt der Versicherte einen festen Betrag und die Versicherung den Rest - egal, ob der Schaden groß oder klein ist. Dahin sollten wir bei der Pflegeversicherung auch kommen. Das wurde in der Bundesregierung intensiv diskutiert. Doch die Debatte brach ab, als Corona kam.
epd: Wie stark müssten die Beiträge zur Pflegeversicherung für diesen Systemwechsel steigen?
Stolte: Ich kann keine Modellrechnung für ganz Deutschland nennen. Zumal neben den Beträgen zur Pflegeversicherung ja auch ein erheblicher Teil zur Finanzierung der Pflege aus dem allgemeinen Steueraufkommen aufgebracht wird. Das ist sinnvoll, weil nicht jede Person in Deutschland in die Pflegeversicherung einzahlt. Und unabhängig von den Kosten: Letztlich ist das eine Frage des politischen Willens. Wir hoffen, dass die jetzige Bundesregierung das Thema wieder aufgreift, anstatt mit kleinen Gesetzesänderungen an Symptomen der Unterfinanzierung herumzudoktern.
epd: Müssten die Bestimmungen für die Sozialwirtschaft einer gründlichen Revision unterzogen werden?
Stolte: Nein, das nicht. Aber es bedarf der Anstrengung, dass die sozialen Dienstleistungen, die zur staatlichen Daseinsvorsorge gehören, auskömmlich finanziert werden. Wir kritisieren etwa, dass Teile der Sozialwirtschaft in den gewerblichen Bereich übergegangen sind. Es müssen im Sozialbereich nicht Aktionäre befriedigt werden.
epd: Geht es dabei um Pflege- und Klinikkonzerne?
Stolte: Beispielsweise. Wenn wir die gesamte Sozialwirtschaft wieder in die Gemeinnützigkeit zurücknehmen, bleibt das Geld immer im System. Zumal es immer noch soziale Dienste gibt, für die es überhaupt keine gesetzlichen Finanzierungsverpflichtungen gibt, beispielsweise die Tafeln. Die haben gerade einen riesigen Zulauf. Die Inflation steigt, Armut nimmt zu. Aber die Tafeln stehen finanziell auf unglaublich wackeligen Finanzierungsmodellen. Manche Kommunen geben freiwillig Zuschüsse. Aber sie dürfen das per Gesetz nur so lange machen, wie sie selbst nicht in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Hier trifft es also die Ärmsten der Gesellschaft. Genauso sieht es auch bei Wärmestuben oder Bahnhofsmissionen aus.
epd: Dürfen diakonische Einrichtungen diese Angebote unterstützen?
Stolte: Die meisten Unternehmen der Sozialwirtschaft sind gemeinnützige Gesellschaften. Das heißt, sie dürfen keine Gewinne machen, nicht einmal nennenswerte Rücklagen ansparen, um finanzielle Krisenwinter wie diesen zu überstehen. Es ist aber auch so, dass viele Gesellschaften nicht imstande sind, Gewinne zu machen, weil sie heute schon fehlende Mittel durch Spenden kompensieren müssen. Trotzdem sollten wir die Möglichkeit, Rücklagen aufzubauen, einmal grundsätzlich diskutieren.
Erlangen (epd). „Im Wasser, da bin ich frei - da habe ich eine Bewegungsfreiheit, die ich an Land nicht habe.“ Josia Topf kann im Wasser Saltos schlagen und rückwärts tauchen, „da habe ich meinen Körper hundert Prozent unter Kontrolle“. An Land aber braucht der 19 Jahre alte Erlanger Jura-Student viel Hilfe. Von seinem Leben, das er ohne Arme und mit zwei unterschiedlich langen steifen Beinen meistert, erzählt er ungeschminkt. „Alles, wozu man lange Arme braucht, geht nicht“: die Beinschiene an- und ausziehen, duschen, rasieren, Kaffee kochen.
Im Röthelheimbad in Erlangen steht Josia Topf auf dem Startblock, den er mit der Hilfestellung seiner Mutter Wiebke erklommen hat. Er nimmt die Starthaltung ein, springt kopfüber ins Wasser, über zehn Meter taucht er nicht mehr auf, dann zeigt er seinen speziellen Schwimmstil.
Leicht auf der Seite liegend, kommt er mit Delfin-Kicks so schnell voran, dass die am Beckenrand sich zu Fuß beeilen müssen, wenn sie Josia bis zu seiner Wende am Bahnende begleiten wollen. „Ich liebe das Ausgepowertsein“, sagt er nach der Trainingseinheit fröhlich. „Muskelkater macht mir nichts, ich will Grenzen überschreiten und mir neue Aufgaben suchen.“
Schwimmen hat Josia mit sechs Jahren gelernt, erste große Wettkämpfe bestritt er mit acht, mit 15 Jahren wurde er Profisportler. Seit 2018 gehört er dem Perspektivkader der Deutschen Nationalmannschaft der Paraschwimmer an. Von Europameister- und Weltmeisterschaften kommt Josia mit Medaillen nach Hause. Im vergangenen Jahr nahm er an den Paralympics in Tokio teil und erreichte in seiner Klasse in allen Disziplinen die Finalläufe. Im nächsten Jahr will er zu den Weltmeisterschaften nach Manchester, 2024 zu den Paralympics nach Paris.
„Wir sprechen hier über Schwimmerfolge“, wird der 19-Jährige plötzlich ernst. Er sei immer gut gekleidet, rasiert und gepflegt, aber ohne seine Eltern könne er nicht einmal ansatzweise sein Leben bestreiten. „An manchen Tagen ist das ein beschissenes Gefühl und unfair“, denn Handlungsoptionen seien ihm von vorneherein genommen. „Ich kann nicht Architekt, nicht Dachdecker oder Polizist werden“, sagt der junge Mann. Aber Aufgeben, das gehe überhaupt nicht, kommt sein Lächeln wieder zurück. „Wenn ich den Kopf in den Sand stecken würde, hätte ich doch nichts vom Leben.“ Und in den vergangenen Jahren habe er „so viel Glück und so viel Freude“ erlebt.
Neulich im Gottesdienst habe der Pastor von den „Flauten im Leben“ gesprochen, erzählt Mutter Wiebke Topf. Da habe ihr Sohn sie angestoßen und gefragt, ob sie das kenne, eine solche „Flaute“. Er selbst könne sich das gar nicht vorstellen. Weshalb Menschen, die in einem gesunden Körper steckten, Motivationshilfen brauchten, frage er sich.
Josias Mutter ist sein „Schäferhund“, wie sie es ausdrückt: auf dem Flug nach Tokio zu den Paralympics und zu den ganzen anderen Wettkämpfen, auf den Fahrten zu Fernsehauftritten und täglich in der Umkleide im Schwimmbad. Ihr Sohn kann sich die Badehose nicht selbst anziehen und sich nicht föhnen. Wiebke Topf putzt ihm die Nase und passt auf, „dass mein Arm oder ein anderer Arm für ihn da ist“, so beschreibt sie es.
Sie habe zu ihrem Sohn „die beste Beziehung, die man haben kann“, schwärmt die ausgebildete Musicaltänzerin. Josia sei witzig, „ich hätte kein besseres Kind kriegen können“. Aber die Mutter erzählt auch von dem Schock, den sie damals erlitten habe, als sie vor der Geburt erfahren habe, dass sie kein gesundes Kind auf die Welt bringen werde, sondern ihr Sohn das TAR-Syndrom habe, einen Gendefekt. Josia Topf benötigte in der ersten Lebensphase künstliche Ernährung, dann folgten ungezählte Operationen.
Seit vergangenem Jahr fährt Josia Topf einen umgebauten BMW, den er mit einem Joystick lenkt. Ein Auto, das bedeutet für den jungen Mann ein Stück Freiheit. Mit dem Wagen kann er nicht nur zum Training, sondern auch an die Uni fahren.
Die vielen bürokratischen, schier unüberwindlichen Hürden für behinderte Menschen haben ihn auf die Idee gebracht, Jura zu studieren. „Ich möchte mich dann auf juristischen Wegen auch für die Interessen anderer einsetzen“, sagt Topf. „Gott hätte mich auch normal machen können, aber er hat keinen Fehler gemacht, da steht ein Plan dahinter.“ Vielleicht der Plan, dass er als Jurist einmal in die Politik gehen könnte, überlegt der 19-Jährige.
„Das kann ich mir sehr gut vorstellen“, sagt sein Mentor, der Dekan des Fachbereichs Rechtswissenschaft an der Universität in Erlangen, Professor Markus Krajewski. Josia Topf sei einer, „der Menschen für sich einnehmen kann, der sehr gut artikulieren kann, und wenn man in Deutschland etwas bewegen will, dann ist Jura das richtige Studium“. Krajewski ist überzeugt, dass der angehende Jurist als Kämpfernatur das Studium packt: „Einer, der Profisportler ist, weiß, dass man sich den Erfolg erarbeiten muss.“
Berlin (epd). Die Delegierten der Konferenz Diakonie und Entwicklung hat am 20. Oktober in Berlin beschlossen, in ihren Gremien einen Frauenanteil von mindestens 50 Prozent erreichen zu wollen. Diakonievorstand Maria Loheide erklärt im Interview, warum Frauen bisher zurückbleiben. Mit ihr sprach Bettina Markmeyer.
epd sozial: Frau Loheide, wie will die Diakonie mehr Frauen in Führung bringen?
Maria Loheide: Wir brauchen dringend eine verbindliche Regelung, weil der Frauenanteil zuletzt in einigen Gremien sogar zurückgegangen ist. Deshalb hat die Konferenz für Diakonie und Entwicklung heute erste Änderungen in der Satzung des Evangelischen Werkes für Diakonie und Entwicklung und in der Geschäftsordnung beschlossen.
epd: Läuft das auf eine 50-Prozent-Quote hinaus?
Loheide: Ja, das denke ich schon - allerdings erst langfristig. Wir haben zunächst für die laufende Amtsperiode einige Übergangsregelungen beschlossen, damit Frauen bei Nachbesetzungen zum Zuge kommen. 2024 soll dann über eine verbindliche Quote entschieden werden.
epd: Bei den Regelungen für die Wirtschaft ist es so, dass der Platz in Aufsichtsräten leer bleiben soll, wenn die Quote nicht erfüllt wird. Ist das bei der Diakonie auch vorgesehen?
Loheide: Ja, so ist es. Da wir allerdings momentan mitten in einer Wahlperiode sind, ist jetzt geregelt, dass eine Frau nachberufen werden muss, sofern in der laufenden Amtsperiode ein Mitglied aus einem Gremium ausscheidet, bis ein Frauenanteil von mindestens 50 Prozent erreicht ist. Gelingt das nicht, bleibt dieser Platz bis zur nächsten Wahl unbesetzt.
epd: Gilt die Quote nur auf der Bundesebene oder auch in den Landes- und Fachverbänden der Diakonie?
Loheide: Die Konferenz für Diakonie und Entwicklung kann nur über ihre eigene Satzung bestimmen. Das heißt, die Quotenregelung gilt für das Evangelische Werk für Diakonie und Entwicklung und seine Gremien. Parallel hat die Konferenz aber eine Empfehlung zur Gleichstellung in Einrichtungen der Diakonie beschlossen, in der ihnen die Umsetzung einer verbindlichen Quote nahegelegt wird.
epd: Warum haben in den Leitungsgremien der Diakonie immer noch Männer die Oberhand, obwohl sich die Belegschaften zu drei Vierteln aus Frauen zusammensetzen?
Loheide: Ein Grund ist, dass überwiegend Männer in Spitzenposten sind und zur Wahl stehen und es außerdem überwiegend Männer sind, die die zur Wahl stehenden Personen in diese Posten wählen.
epd: Aber warum ist das so? Passen die Arbeitsbedingungen in den Führungspositionen der Diakonie besser zu männlichen Karriereplänen als zu weiblichen?
Loheide: Ich setze mich seit über 30 Jahren dafür ein, dass wir die Rahmenbedingungen in Spitzenpositionen so verändern, dass wir mehr Frauen für diese Position gewinnen. Die Vereinbarkeit von Familie und Kindern mit einer Berufstätigkeit ist da nur ein Punkt.
Es geht auch darum - das ist jedenfalls meine Erfahrung -, dass wir Frauen anders ansprechen müssen. Wenn höhere Positionen ausgeschrieben werden oder die Frage aufkommt, wer wäre dafür geeignet, dann greifen Männer in der Regel schnell zu und bewerben sich. Die erste Frage unter Männern ist oft nicht: Was ist das für eine Aufgabe, und bringe ich die nötigen Kompetenzen mit?
Frauen gehen da etwas anders, zögerlicher heran. Sie fragen als erstes, was sind das für Aufgaben, die da auf mich zukommen? Kann ich die bewältigen? Kenne ich mich aus? Sie springen also nicht sofort auf den Zug auf. Deswegen muss man sie anders ansprechen als Männer.
epd: Welche Rolle spielen vorherige Absprachen bei der Besetzung von Führungspositionen?
Loheide: Ich glaube, dass auch in der Diakonie immer noch viele Posten von Männern an Männer vergeben werden. Wir alle kennen diese Studien, wonach Männer sich gegenseitig protegieren.
Aus eigener, jahrzehntelanger Erfahrung als Frau unter Männern in Leitungsfunktionen kann ich außerdem sagen, dass Frauen sich selbstverständlicher behaupten, sich Raum nehmen und sich mutig durchsetzen müssen. Wir müssen uns zu Wort melden. Wir müssen dafür sorgen, dass wir gehört werden.
Die Bundesvereinigung Lebenshilfe beschreibt in einem Positionspapier, welche Schritte aus Sicht der Organisation auf dem Weg zu einem inklusiven Arbeitsmarkt notwendig sind. epd sozial dokumentiert eine Kurzfassung:
"Die gleichberechtigte Teilhabe am Arbeitsleben ist in der von Deutschland im Jahr 2009 ratifizierten UN-Behindertenrechtskonvention fest verankert. Doch bis heute ist dieses Ziel nicht erreicht. Das gilt auch für die Entlohnung in Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM).
Im aktuellen Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung steht dazu: 'Wir werden das Beteiligungsvorhaben zur Entwicklung eines transparenten, nachhaltigen und zukunftsfähigen Entgeltsystems in den WfbM und deren Perspektiven auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt fortsetzen und die Erkenntnisse umsetzen." Die alte Bundesregierung hatte eine Studie in Auftrag gegeben, deren Abschlussbericht für Ende 2022 angekündigt ist. Daher erwartet die Lebenshilfe ab 2023 eine umfassende Reform der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben.
Mit ihrem Positionspapier legt die Bundesvereinigung Lebenshilfe nun neun zentrale Forderungen vor:
1. Personenzentrierung Für Menschen mit Behinderung darf es keinen Unterschied machen, welchen Ort sie für die Leistungserbringung wählen. Sie sollen frei darin sein, ihre Teilhabeleistungen nach ihrem jeweiligen Bedarf und ihren eigenen Wünschen auch in inklusiven Settings und unabhängig von der Beschäftigung in einer WfbM zu erhalten.
2. Arbeitsrechte Auf einem inklusiven Arbeitsmarkt müssen arbeitende Menschen die gleichen Rechte und Pflichten haben, auch wenn sie Leistungen zur Teilhabe an Arbeit beziehen, Unterstützung brauchen, weniger leistungsfähig sind als andere oder in WfbM beschäftigt sind.
3. Anspruch auf einen Arbeitsplatz Menschen, die auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben angewiesen sind, sollen auch in Zukunft ihren Anspruch auf einen solchen Arbeitsplatz behalten. Wenn sie nicht selbst einen Arbeitsplatz finden, haben wohnortnahe WfbM oder andere Anbieter ihnen einen Arbeitsplatz anzubieten.
4. Kein Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeit Auch Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf müssen Zugang zu Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben haben.
5. Die Kompetenz von Werkstätten nutzen WfbM erfüllen wichtige Funktionen, wie das Bereitstellen von Arbeitsplätzen, die Unterstützung bei der Arbeit, berufliche Rehabilitation, Bildung und soziale Teilhabe. Alle fünf Funktionen sollen in einer personenzentrierten, flexiblen und inklusiven Struktur erhalten bleiben und sollen durch WfbM als Kompetenzzentren bereitgestellt werden.
6. Bildung und Ausbildung stärken Berufsorientierung, arbeitsplatzbezogene berufliche Bildung sowie berufliche Fort- und Weiterbildung sind wichtige Voraussetzungen für selbstbestimmte Teilhabe am Arbeitsleben.
7. Mehr inklusive Arbeitsplätze Der allgemeine Arbeitsmarkt in Deutschland ist nicht inklusiv. Die Zahl an inklusiven, barrierefreien Arbeitsplätzen in allen Unternehmen muss ausgebaut werden. Hierfür braucht es dringend weitere Maßnahmen. Dazu gehören auch erweiterte und strengere Regelungen bei der Ausgleichsabgabe.
8. Unabhängigkeit von Grundsicherungsleistungen Knapp ein Drittel der Beschäftigten in WfbM sind heute auf ergänzende Grundsicherung angewiesen. Ein neues Entgeltsystem muss so ausgestaltet sein, dass es Menschen mit Behinderung unabhängig von existenzsichernden Leistungen macht.
9. Finanzielle Sicherheit auch im Alter Menschen mit Behinderung sollen auch im Alter unabhängig von existenzsichernden Leistungen leben können. Eine angemessene Alterssicherung ist unverzichtbar.
Die neun Forderungen werden in dem 19-seitigen Positionspapier ausführlich und auch in Leichter Sprache erläutert. Dabei macht die Lebenshilfe deutlich, dass die beiden zentralen Ziele - langfristige Schaffung eines inklusiven Arbeitsmarktes und eine gerechte Entlohnung für Menschen mit Behinderung - unbedingt gemeinsam angegangen werden müssen."
Berlin (epd). Nachdem der Europarat Deutschland erhebliche Lücken im Schutz von Frauen vor Gewalt attestiert hat, ruft die Frauenhauskoordinierung die Bundesregierung zum schnellen Handeln auf. „Die Empfehlungen des Gremiums sind zeitnah umzusetzen und umfassende Maßnahmen zu ergreifen, um wirksam gegen Gewalt an Frauen vorzugehen“, heißt es in einer Pressemitteilung des Verbandes vom 17.Oktober.
In seinem kürzlich erschienenen Bericht über die Umsetzung der Istanbul-Konvention in Deutschland stellte der Europarat fest: Deutschland erfüllt zahlreiche Anforderungen des seit 2018 rechtskräftigen Abkommens nicht. Unter anderem kritisieren die Expertinnen und Experten das Fehlen einer langfristigen, umfassenden Strategie gegen Gewalt an Frauen sowie einer nationalen Koordinierungsstelle für entsprechende Maßnahmen.
Zudem diagnostiziert der Bericht einen Mangel an Schutzplätzen in Frauenhäusern. Er unterstreicht, dass großen Gruppen Gewaltbetroffener der Zugang zu Schutz durch die unzuverlässigen und uneinheitlichen Finanzierungswege des Hilfesystems versperrt wird.
„Zahlreiche Analysen des Berichts bestätigen Probleme, auf die Frauenhauskoordinierung und das Bündnis Istanbul-Konvention bereits seit Jahren hinweisen. Umso wichtiger ist, dass nun auch der Europarat dringend anrät, die Diskussion über einen bundesweiten Rechtsanspruch auf Schutz und Hilfe bei Gewalt voranzubringen“, sagte die Vorstandsvorsitzende der Frauenhauskoordinierung, Katrin Frank.
Als besonders problematisch hebt der Bericht zudem hervor, dass Umgangs- und Sorgerechtsentscheidungen in Deutschland immer wieder die Sicherheit von gewaltbetroffenen Frauen und ihren Kindern gefährdeten. Es müsse daher in der Gesellschaft dringend ein umfassenderes Verständnis für die systematischen Zusammenhänge geschlechtsspezifischer Gewalt und der Dynamiken von häuslicher Gewalt geschaffen werden.
Lobend hingegen erwähnt der Bericht neben dem Gewaltschutzgesetz auch strafrechtliche Maßnahmen gegen digitale Gewalt oder im Sexualstrafrecht. „Gerade vor dem Hintergrund der mangelhaften Prävention können wir uns diesem Lob allerdings nur bedingt anschließen: Strafrechtliche Maßnahmen stehen immer am Ende der Interventionskette und verhindern die Gewalt nicht“, erklärte Frank. Wie wirksam Schutz vor Gewalt ist, bemesse sich daran, wie gut Schutzeinrichtungen für die Betroffenen zugänglich seien. „Und da hat Deutschland erheblichen Verbesserungsbedarf“, stellte der Verein fest.
Berlin (epd). Der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge fordert eine breitere Umsetzung des Konzeptes von Housing First in den Wohnungsnotfallhilfen und eine Sicherung bereits bestehender Projekte. Damit würden „obdach- und wohnungslosen Menschen Hilfen geboten, die schon lange ohne eigenen Wohnraum sind und bei denen bisherige Hilfeangebote nicht gegriffen haben“, sagte Irme Stetter-Karp, Präsidentin des Deutschen Vereins, am 14. Oktober in Berlin.
Günstiger Wohnraum sei knapp, Mieten und Energiekosten stiegen. Wer wohnungs- oder obdachlos sei, habe es besonders schwer, wieder Wohnraum zu erlangen, hieß es zur Begründung. Der Deutsche Verein begrüße daher, dass sich Kommunen in Deutschland auf den Weg machten, den Ansatz Housing First in den Wohnungsnotfallhilfen zu erproben und umzusetzen.
Der Deutsche Verein hat Empfehlungen zur Konzeption und zur Umsetzung des Housing First-Ansatzes erarbeitet. „Unsere Empfehlungen zeigen zentrale Aspekte des Hilfeansatzes auf und wollen zu einer Verbreitung des Hilfeansatzes zur Überwindung von Obdach- und Wohnungslosigkeit beitragen“, so die Präsidentin. Ziel müsse dabei eine Einbettung von Housing First in die bestehenden Hilfestrukturen sein.
Dabei empfiehlt der Deutsche Verein eine Verstetigung der in der Regel zeitlich befristeten Projekte. „Ziel muss eine Überführung der bisher zumeist aus Projektmitteln der Kommunen oder Länder finanzierten Angebote in eine sozialrechtlich abgesicherte Finanzierung sein“, sagte Stetter-Karp. Das gelte insbesondere mit Blick auf den im Koalitionsvertrag vereinbarten Nationalen Aktionsplan, der zum Ziel hat, bis 2030 Obdach- und Wohnungslosigkeit zu überwinden, und hierbei auch den Housing-First-Ansatz hervorhebt.
Fulda (epd). Das Personal in Kitas und Behinderteneinrichtungen der Caritas bekommt deutlich mehr Geld. Darauf verständigte sich die Arbeitsrechtliche Kommission der katholischen Wohlfahrt, wie sie am 20. Oktober in Fulda mitteilte.
Danach erhalten die mehr als 250.000 Beschäftigten des Sozial- und Erziehungsdienstes in den rund 19.000 Einrichtungen und Diensten der Caritas ab 1. Januar neue Zulagen in Höhe von bis zu 180 Euro monatlich und für das zweite Halbjahr 2022 Einmalzahlungen von bis zu 1.240 Euro sowie mindestens zwei zusätzliche Regenerationstage pro Jahr. Hinzukommen werden weitere Gehaltserhöhungen aus der allgemeinen Tarifrunde 2023, wie es weiter hieß. Die Verhandlungen für alle rund 650.000 Caritas-Beschäftigten seien jedoch noch nicht abgeschlossen.
„Mit der heutigen Einigung steigt die Vergütung im Sozial- und Erziehungsdienst bei der Caritas deutlich“, sagte Norbert Altmann, Sprecher der Dienstgeberseite. Damit würden diese Berufe attraktiver. „Wir wissen aber auch, dass dieser mit der Mitarbeiterseite ausgehandelte Kompromiss die Dienste und Einrichtungen der Caritas vor große finanzielle Herausforderungen stellt.“ Nicht in allen Bereichen werde eine vollständige Refinanzierung gelingen, erwartet Altmann.
Fulda (epd). Die Mitarbeiterseite der Arbeitsrechtlichen Kommission des Deutschen Caritasverbandes fordert für die Tarifrunde 2023 10,5 Prozent mehr Gehalt, mindestens aber 500 Euro zusätzlich. Auszubildende, Studierende und Praktikantinnen und Praktikanten sollen 200 Euro mehr erhalten. Das beschlossen die Arbeitnehmervertreter in ihrer Sitzung am 18. Oktober in Fulda. In den Einrichtungen und Diensten der Caritas sind bundesweit mehr als 650.000 Menschen beschäftigt.
Die Caritas-Mitarbeiterseite schließt sich damit den Forderungen der DGB-Gewerkschaft ver.di in der Tarifrunde des Öffentlichen Dienstes der Kommunen und des Bundes an. Sprecher Thomas Rühl sagte: „Die aktuellen Preissteigerungen wirken wie permanente Lohnkürzungen, gerade in den unteren und mittleren Lohngruppen. Pandemie und Arbeitsverdichtung treiben die Beschäftigten über den Rand ihrer Belastungsgrenze.“ Dagegen müsse in der kommenden Tarifrunde „wirkungsvoll gegengesteuert werden“.
Von den Verhandlungen sind nach den Angaben Ärztinnen und Ärzte, für die am 30. Juni 2022 ein Abschluss erzielt wurde, sowie Lehrkräfte, deren Vergütung sich am Tarifvertrag der Länder orientiert. Nach der letzten Tarifrunde stiegen die Gehälter 2021 um 1,4 Prozent und 2022 um 1,8 Prozent.
Stuttgart (epd). Der Bundesverband evangelische Behindertenhilfe hat eine Namensänderung beschlossen. Die Entscheidung dazu fiel auf der jüngsten Mitgliederversammlung in Stuttgart, heißt es in einer Mitteilung vom 14. Oktober. „Um deutlich zu machen, wofür der BeB steht, werden wir zukünftig als 'Der evangelische Fachverband für Teilhabe (BeB)“ auftreten", erklärte Vorstandsvorsitzender Frank Stefan.
Man wolle deutlich machen, dass der Fachverband mit seinen Mitgliedseinrichtungen und Partnern daran arbeite, „die volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe der Menschen mit Behinderung oder psychischer Erkrankung in ihrer Vielfalt zu fördern sowie umfassende Mitbestimmung zu realisieren“. Der veränderte Name greife diese Aspekte auf.
„Auf der Grundlage unserer ethischen Haltung, unseres christlichen Menschenbildes sowie der UN-Behindertenrechtskonvention setzen wir uns engagiert auch in Zukunft für die Belange von Menschen mit Behinderung oder psychischer Erkrankung und deren Angehörigen ein“, sagte Stefan weiter. Der neue Name trage dem veränderten Verständnis der Rechte von Menschen mit Behinderung und psychischen Erkrankungen Rechnung, die sich in den fast 25 Jahren seit Gründung des Verbandes deutlich weiterentwickelt hätten.
Kassel (epd). Behinderte Menschen haben ein „legitimes Bedürfnis“ nach Erholungsurlaub. Ein Eingliederungshilfeträger ist daher verpflichtet, die mit dem Urlaub auftretenden behinderungsbedingten Mehraufwendungen zu übernehmen, stellte das Bundessozialgericht (BSG) in einem am 13. Oktober schriftlich veröffentlichten Grundsatzurteil klar. Die Behörde dürfe die Kostenübernahme nicht mit dem Argument verweigern, dass das Teilhabebedürfnis eines Rollstuhlfahrers wegen seines ehrenamtlichen Engagements ja bereits gedeckt sei und er damit keinen Urlaub zur sozialen Teilhabe in der Gesellschaft mehr benötige, erklärten die Kasseler Richter.
Der Kläger ist wegen einer sogenannten spinalen Muskelatrophie, eine seltene neuromuskuläre Erbkrankheit, die zu Muskelschwund führt, auf einen Rollstuhl angewiesen. Er lebt in einer eigenen Wohnung und hat drei Assistenzkräfte angestellt, die ihn rund um die Uhr betreuen. Um sein Existenzminimum decken zu können, erhält er Grundsicherung im Alter sowie Sozialleistungen zur Finanzierung seines Pflegebedarfs. Der Rollstuhlfahrer ist ehrenamtlich engagiert und war Behindertenbeauftragter des Landkreises Leipzig.
2016 hatte er eine einwöchige Urlaubsreise mit einem Kreuzfahrtschiff auf der Nordsee gemacht. Die behinderungsbedingten Mehrkosten machte er beim Landkreis als Eingliederungshilfeträger geltend. Dabei ging es um insgesamt 2.015 Euro, die für die Reisekosten der notwendigen Assistenzkraft fällig wurden. Sein Vater hatte das Geld vorgestreckt.
Ohne die Begleitperson hätte er den Urlaub nicht machen können, gab der Rollstuhlfahrer gegenüber dem Landkreis an. Zumal ihm ein Ansparen der Reisekosten für die Begleitperson nicht möglich sei. Er würde dann über die geltenden Vermögensfreibeträge liegen, so dass der überschüssige Betrag auf seine Sozialhilfeleistungen angerechnet würde. Der Erholungsurlaub diene seinem „sozialen Teilhabebedürfnis“. Er habe im Urlaub die Möglichkeit, auch mit nicht behinderten Menschen in Kontakt zu kommen.
Der Landkreis lehnte die Übernahme der Mehrkosten für die Begleitperson ab. Die Reise habe nur zur Erholung und nicht zur Teilhabe am sozialen Leben gedient. Der Teilhabebedarf des Rollstuhlfahrers sei wegen seines wahrgenommenen Ehrenamtes sowieso mehr als gedeckt gewesen. Er könne zur Erholung ja auch Tagesausflüge im Raum Leipzig machen.
Das Sächsische Landessozialgericht (LSG) urteilte am 29. August, dass die Sozialhilfe nicht die behinderungsbedingten Mehrkosten für die einwöchige Kreuzfahrt übernehmen muss. Zwar könnten im Einzelfall auch Kosten für Urlaubsreisen übernommen werden. Voraussetzung hierfür sei, dass durch den Urlaub die Folgen der Behinderung mindestens gemildert werden oder der Urlaub dazu beiträgt, dass der behinderte Mensch in die Gesellschaft eingegliedert und insbesondere die Begegnung mit nicht behinderten Menschen ermöglicht wird.
Hier sei der Kläger angesichts seines ehrenamtlichen Engagements bereits in die Gesellschaft eingegliedert. Er lebe in einer eigenen Wohnung, werde von Assistenzkräften unterstützt, sei Mitglied in verschiedenen Verbänden und als Behindertenbeauftragter aktiv, so damals das LSG. Die Kreuzfahrt könne kein darüber hinausreichendes Teilhabeziel erreichen.
Das BSG hob das LSG-Urteil auf und verwies das Verfahren zurück. Auch behinderte Menschen haben ein „legitimes Bedürfnis“ nach Urlaub. Um am sozialen Leben in der Gemeinschaft teilhaben zu können, können sie sich bei einer angemessenen Urlaubsreise mit einem Kreuzfahrtschiff die Mehrkosten für die Begleitung einer notwendigen Assistenzkraft erstatten lassen. „Die Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft erfassen auch Leistungen, denen als Teilhabeziel das Bedürfnis nach Freizeit und Freizeitgestaltung zugrunde liegt“, heißt es in dem Urteil.
Nach dem Willen des Gesetzgebers bestimme der behinderte Mensch selbst, wie er seine Freizeit gestaltet. Nur weil der Betroffene sich vielleicht auch ehrenamtlich engagiert, dürfe ihm nicht vorgehalten werden, dass sein Teilhabebedürfnis nun gedeckt sei, so das BSG. Auch die UN-Behindertenrechtskonvention habe als Ziel festgelegt, dass Menschen mit Behinderungen die gleichberechtigte Teilnahme an Erholungs-, Freizeit- und Sportaktivitäten ermöglicht werden soll.
Da behinderte und nicht behinderte Menschen in gleicher Weise ein allgemeines Bedürfnis nach Urlaub haben, müsse der Eingliederungshilfeträger nicht den Urlaub auch der behinderten Person finanzieren. „Sehen sich behinderte Menschen dagegen mit besonderen Kosten zur Durchführung der Freizeitgestaltung konfrontiert, sind erforderlich behinderungsbedingte Mehraufwendungen vom Anspruch auf Eingliederungshilfeleistungen umfasst“, urteilte das BSG.
Allerdings müsse die Reise „angemessen“ und die behinderungsbedingten Mehrkosten „notwendig“sein. Maßstab sei hier der nicht-behinderte durchschnittliche Deutsche. Danach sei eine jährlich durchgeführte einwöchige Kreuzfahrtschiffsreise in der Nordsee durchaus üblich. Das LSG muss nun prüfen, ob die Leistungen tatsächlich notwendig waren und ob nicht auch die Kosten für die Begleitperson hätten gesenkt werden können.
Az.: B 8 SO 13/20 R (BSG)
Az.: L 8 SO 6/18 (LSG Chemnitz)
Kassel (epd). Geschiedene Ehepartner müssen für eine vom Ex-Ehegatten gezahlte einmalige Abfindung für Unterhaltsansprüche Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung zahlen. Die Krankenkasse darf die Einnahme auf zwölf Monate verteilen und für jeden Monat Beiträge verlangen, urteilte am 18. Oktober das Bundessozialgericht (BSG). Eine Verteilung der Einnahme auf 120 Monate, wie bei bestimmten Lebensversicherungen oder anderen Versorgungsbezügen, sei bei der Abfindung für Unterhaltsansprüche nicht vorgesehen, erklärten die Kasseler Richter.
Im Streitfall ist die Klägerin seit ihrer Scheidung freiwilliges Mitglied der Techniker Krankenkasse. Von ihrem geschiedenen Ehemann hatte sie eine einmalige Abfindung für nacheheliche Unterhaltsansprüche in Höhe von 120.000 Euro erhalten. Damit musste der Mann keinen regelmäßigen Unterhalt mehr zahlen.
Die Krankenkasse wertete die Abfindungszahlung als beitragspflichtige Einnahme. Für jeden Beitragsmonat wurde ein Jahr lang ein Zwölftel der Abfindungssumme, also 10.000 Euro, zur Berechnung der Kranken- und Pflegekassenbeiträge herangezogen.
Die Frau meinte, dass die Beiträge viel geringer ausfallen müssten. Die Abfindung sei mit Versorgungsbezügen wie etwa eine vom Arbeitgeber finanzierte Direktversicherung vergleichbar. Bei solch einer Lebensversicherung dürfe die Krankenkasse die Auszahlungssumme nur auf 120 Monate verteilen und könne dann monatlich entsprechend geringere Beiträge verlangen.
Die Klage hatte vor dem BSG keinen Erfolg. Dass Versorgungsbezüge wie aus einer Direktversicherung über 120 Beitragsmonate verteilt werden, sei wegen des dauerhaften Ausscheidens von Versorgungsempfängern aus dem Erwerbsleben „sachlich gerechtfertigt“. Eine Einmalzahlung für nacheheliche Unterhaltsansprüche sei aber etwas anderes. Die geltenden Bestimmungen würden hier eine Anrechnung auf zwölf Monate vorsehen. Ein „existenzieller Härtefall“ wegen „unverhältnismäßiger Belastungen“ bestehe bei der Klägerin nicht. Vergleichbare Regelungen zu den freiwillig Versicherten gibt es auch bei Pflichtversicherten.
Az.: B 12 KR 6/20 R
Erfurt (epd). Eine einmal gewählte Schwerbehindertenvertretung in einem Betrieb muss ihr Amt wegen einer gesunkenen Anzahl schwerbehinderter Beschäftigter nicht niederlegen. Es gebe keine ausdrückliche Regelung, die das Erlöschen der Schwerbehindertenvertretung bei Absinken der Anzahl schwerbehinderter Beschäftigter unter dem maßgeblichen Schwellenwert von fünf vorsehe, urteilte das Bundesarbeitsgericht (BAG) am Mittwoch in Erfurt.
Nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) IX werden in Betrieben und Dienststellen, in denen mindestens „fünf schwerbehinderte Menschen nicht nur vorübergehend beschäftigt sind“, alle vier Jahre eine Vertrauensperson für das Amt der Schwerbehindertenvertretung und wenigstens ein stellvertretendes Mitglied gewählt. Zur Aufgabe der Schwerbehindertenvertretung gehört die Förderung der Eingliederung schwerbehinderter Menschen in den Betrieb. Der Arbeitgeber trägt laut Gesetz die Kosten der Amtsführung, „soweit diese für die pflichtgemäße Aufgabenerfüllung erforderlich sind“.
Im konkreten Fall wurde in einem Kölner Betrieb mit rund 120 Mitarbeitern im November 2019 für vier Jahre eine Schwerbehindertenvertretung gewählt. Damals gab es genau fünf schwerbehinderte Beschäftigte, so dass gerade noch der Schwellenwert für eine Schwerbehindertenvertretung erfüllt war. Als im August 2020 die Zahl auf vier sank, meinte der Arbeitgeber, dass die Schwerbehindertenvertretung damit ihr Amt verliere. Die Schwerbehindertenvertretung in einem anderen Betrieb könne stattdessen einspringen.
Das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln stimmte der Auffassung des Arbeitgebers noch zu. Das BAG hob diese Entscheidung nun aber auf. Das Amt der Schwerbehindertenvertretung sei wegen des Absinkens der Zahl schwerbehinderter Beschäftigter unter den Schwellenwert von fünf nicht vorzeitig beendet worden. Eine ausdrückliche Regelung, die dies vorsieht, gebe es nicht, erklärten die Erfurter Richter. Auch im Hinblick auf Sinn und Zweck des Schwellenwertes sei dies nicht geboten.
Bleibt es allerdings in dem Betrieb bei der Anzahl von vier schwerbehinderten Beschäftigten, müsse nach Ablauf der Amtszeit keine Schwerbehindertenvertretung mehr gewählt werden.
Az.: 7 ABR 27/21
Leipzig (epd). Ein ausländischer Elternteil kann seine wegen der „Personensorge“ zu seinem deutschen Kind erteilte Aufenthaltserlaubnis nach der Trennung von Frau und Kind wieder verlieren. Auch nach einer späteren Heirat mit einer oder einem Deutschen und anschließender Scheidung endet der entsprechende gesetzliche Aufenthaltsanspruch ein Jahr nach Auflösung der Lebensgemeinschaft, stellte am 11. Oktober das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig klar.
Geklagt hatte ein Algerier, der seit 1992 mehrfach nach Deutschland eingereist war und erfolglos Asylanträge gestellt hatte. 1998 wurde er schließlich geduldet. Drei Jahre später wurde er Vater eines deutschen Kindes. Das alleinige Sorgerecht wurde der deutschen Mutter übertragen. Die Lebensgemeinschaft mit Frau und Kind löste der Mann jedoch auf. 2004 heiratete er eine andere deutsche Frau. Als er sich 2010 scheiden ließ, erhielt er eine Aufenthaltserlaubnis wegen der „Personensorge“ zu seinem minderjährigen deutschen Kind aus der ersten Beziehung.
Die Aufenthaltserlaubnis lief zuletzt im März 2017 wegen der Volljährigkeit des Kindes aus. Kurz zuvor beantragte er die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis mit einem eigenständigen, von seinem Sohn unabhängigen Aufenthaltsrecht. Die Ausländerbehörde lehnte das ab.
Zu Recht, urteilte das Bundesverwaltungsgericht. Laut Aufenthaltsgesetz werde der Aufenthalt eines Elternteils eines deutschen Kindes nur dann über die Volljährigkeit hinaus verlängert, wenn Elternteil und Kind in einer familiären Gemeinschaft leben und das Kind sich noch in einer Ausbildung befindet. Der Gesetzgeber habe diese Beschränkungen bewusst getroffen, die Voraussetzungen seien hier aber nicht erfüllt.
Für Ehepartner eines oder einer Deutschen bestehe nach der Scheidung ein Recht auf weiteren Aufenthalt nur für ein Jahr, wenn die eheliche Lebensgemeinschaft mindestens drei Jahre bestanden hat. Dies sei hier längst vorbei. Anschließend stehe die weitere Verlängerung „im pflichtgemäßen Ermessen der Ausländerbehörde“, erklärte das Bundesverwaltungsgericht. Auch aus seiner Ehe könne der Algerier ein eigenständiges Aufenthaltsrecht daher nicht mehr ableiten.
Az.: 1 C 49.21
Karlsruhe (epd). Eltern gefährden bei einer andauernden Schulverweigerung das Wohl ihres Kindes. In solch einem Fall ist der teilweise Entzug des Sorgerechts daher gerechtfertigt, entschied das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe in einem am 11. Oktober bekanntgegebenen Beschluss. Eine Unterrichtung des Kindes durch die Eltern könne die Kindeswohlgefährdung nicht beseitigen, da der Zweck der Schulpflicht weit über die Wissensvermittlung hinausgehe.
Im konkreten Fall ging es um eine Familie mit vier Kindern. Der älteste Sohn sollte im September 2021 eingeschult werden. Doch die Eltern schickten das Kind an keinem einzigen Tag zur Schule. Zunächst begründeten sie das mit der Corona-Pandemie und der in der Schule bestehenden Test- und Maskenpflicht.
Als die Maßnahmen nicht mehr bestanden, erklärten die Eltern, dass ihr Kind beim „Freilernen im “Homeschooling" das nötige Wissen erlangen könne. Ihr Sohn habe den Wunsch, dies so fortzusetzen. Sein Bildungsstand könne jederzeit überprüft werden. Der Anordnung des Familiengerichts Offenburg, für einen Schulbesuch zu sorgen, kamen die Eltern nicht nach.
Daraufhin entzog das OLG den Eltern „in Bezug auf die schulischen Angelegenheiten“ das Sorge- und Aufenthaltsbestimmungsrecht für ihren Sohn. Stattdessen sollte das Jugendamt den Schulbesuch nun gewährleisten. „Diese Maßnahmen sind im Grundsatz geeignet, dem Missbrauch der elterlichen Sorge durch die schulverweigernden Eltern entgegenzuwirken“, so das OLG.
Denn mit der Schulverweigerung bestünden trotz Homeschooling „Anhaltspunkte für eine erhebliche Kindeswohlgefährdung“. Denn der Schulbesuch bestehe nicht nur aus Vermittlung von Wissen und sozialen Fertigkeiten. Vielmehr diene die Schulpflicht auch dem staatlichen Erziehungsauftrag und den dahinterstehenden Gemeinwohlinteressen. Nur in der Schule komme es zur Begegnung mit Andersdenkenden und Minderheiten. Dies wirke der Entstehung weltanschaulich motivierter Parallelgesellschaften entgegen und fördere „die Fähigkeit aller Schüler zu Toleranz und Dialog“.
Durch die Schulverweigerung werde „nicht nur die Entwicklung des Kindes zu einer selbstverantwortlichen Persönlichkeit, sondern auch dessen gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft gefährdet“. Der Schulbesuch könne auch nicht dem Willen eines siebenjährigen Kindes überlassen werden. Denn dieses könne „die damit zusammenhängenden Auswirkungen nicht annähernd überschauen“.
Az.: 5 UFH 3/22
Berlin (epd). Das Verwaltungsgericht Berlin hat einem wegen seiner HIV-Infektion abgelehnten Bewerber bei der Feuerwehr eine Entschädigung wegen Diskriminierung zugesprochen. Ein positiver HIV-Status stehe einer Einstellung bei der Feuerwehr nicht zwingend entgegen, teilte das Gericht am 19. Oktober zur Begründung mit. Es sprach dem Kläger einen Entschädigungsanspruch in Höhe von 2.500 Euro zu.
Durch die Ablehnung der Einstellung allein wegen des positiven HIV-Status sei der Kläger diskriminiert worden, hieß es weiter. Ein Sachverständiger habe dem Gericht überzeugend dargelegt, dass HIV-positive Menschen, die sich in einer funktionierenden Therapie befänden, das Virus in der Regel nicht übertragen könnten.
Überdies seien sie in ihrer Leistungsfähigkeit grundsätzlich auch künftig nicht eingeschränkt. Ein negativer HIV-Status sei nicht in jedem Fall notwendig, um ein Infektionsrisiko für Patienten oder Kollegen auszuschließen.
Der Kläger hatte sich demnach im Frühjahr 2018 als Beamter für den feuerwehrtechnischen Dienst des Landes Berlin beworben. Nach einem bei allen Bewerbern durchgeführten HIV-Test habe die Feuerwehr die Bewerbung wegen des positiven HIV-Status abgelehnt, weil er damit dauerhaft feuerwehrdienstuntauglich sei.
Der Kläger hatte ursprünglich mindestens 5.000 Euro Schmerzensgeld als Entschädigung gefordert. Gegen das Urteil kann Berufung beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg eingelegt werden.
Az.: VG 5 K 322.18
Brüssel/Luxemburg (epd). Ein Unternehmen darf das sichtbare Tragen religiöser, weltanschaulicher oder spiritueller Zeichen nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) unter bestimmten Voraussetzungen verbieten. Ein solches Verbot sei zulässig, wenn diese Regel für alle Arbeitnehmer gelte. Laut dem am 13. Oktober in Luxemburg verkündeten Urteil ist eine solche Vorschrift nicht diskriminierend, sofern sie allgemein und unterschiedslos angewandt wird.
Eine Muslimin, die das islamische Kopftuch trägt, hatte ein Unternehmen wegen Diskriminierung beim Brüsseler Arbeitsgericht angezeigt. Die Frau hatte sich um ein Praktikum beworben und war nicht genommen worden, weil sie sich weigerte, ihr Kopftuch abzunehmen. Wenig später bewarb sie sich erneut und schlug vor, eine andere Kopfbedeckung zu tragen. Das Management lehnte mit der Begründung ab, dass in den Geschäftsräumen grundsätzlich keine Kopfbedeckung erlaubt sei, sei es eine Mütze, eine Kappe oder ein Kopftuch.
Zwar verneinte der Gerichtshof eine unmittelbare Diskriminierung, solange das Verbot allgemein und unterschiedslos gilt. Doch könne sich eine anscheinend neutrale Regelung als mittelbare Diskriminierung erweisen, wenn in der Praxis Personen mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung benachteiligt würden. Das zu prüfen, sei Sache des Brüsseler Arbeitsgerichts.
Az.: C-344/20
Freiburg, Berlin (epd). Susanne Pauser (52) wird im Februar Mitglied im Bundesvorstand der Caritas, der dann wieder aus drei Personen besteht. Pauser studierte in Regensburg Pädagogik, Philosophie, Religionswissenschaften und Sprecherziehung. Promoviert hat sie an der Universität Passau.
Pauser war von 1998 bis 2001 Referentin beim Bischöflichen Hilfswerk Misereor in Aachen. Anschließend ging sie zur HUK Coburg. In dem Versicherungsunternehmen stieg sie von der Referentin in der Abteilung Personalentwicklung zur Personalleiterin auf. 2012 wechselte sie in die W&W-Gruppe, die aus den Marken Wüstenrot und Württembergische hervorgegangen ist. Sie wurde 2015 Mitglied des Vorstands der Württembergischen Versicherungen.
Zu ihren zahlreichen Ehrenämtern zählten Engagements beim Katholischen Deutschen Frauenbund (KDFB), beim SOS-Kinderdorf. Seit 2021 gehört sie als Beraterin der Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen der Deutschen Bischofskonferenz an.
Die Präsidentin des Deutschen Caritasverbandes, Eva Maria Welskop-Deffaa, erwartet, dass Pauser bei der Transformation der Caritas eine starke Rolle spielen werde. „Ich freue mich gemeinsam mit meinem Vorstandskollegen Steffen Feldmann auf die Zusammenarbeit mit Susanne Pauser, die langjährige Erfahrung aus kirchlichem und unternehmerischem Engagement mitbringt.“
Silke Schicktanz, Göttinger Medizinethikerin, ist zur neuen Präsidentin der Akademie für Ethik in der Medizin gewählt worden. Die Professorin für Kultur und Ethik der Biomedizin am Göttinger Universitätsklinikum gehört seit 2012 dem Vorstand der Akademie an. Ihre Amtszeit als Präsidentin dauert zwei Jahre. Die Akademie mit Sitz in Göttingen ist die größte deutschsprachige Fachgesellschaft für Medizinethik. Sie vertritt knapp 1.100 Mitglieder aus den Bereichen Medizin, Pflege, Philosophie, Theologie, Recht und Sozialwissenschaft.
Jes Möller übernimmt zum 1. November das Amt des Vizepräsidenten des Landessozialgerichts (LSG) Berlin-Brandenburg. Der 61-Jährige tritt damit die Nachfolge von Rainer Kuhnke an, der fünf Jahre lang das Vizepräsidenten-Amt innehatte und Ende Oktober in den Ruhestand eintritt. Möller gehörte 1990 gehörte als Abgeordneter der frei gewählten Volkskammer der DDR an. Im Frühjahrssemester 1990 nahm er ein Jura-Studium an der Freien Universität Berlin auf, das er 1997 mit der zweiten juristische Staatsprüfung abschloss. Zu Beginn des Jahres 2006 zum Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) ernannt. Im August 2019 wurde Möller zum Vorsitzenden Richter am LSG Berlin-Brandenburg ernannt.
Jo Jerg geht an der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg in den Ruhestand. Jerg hat sich mehr als 25 Jahre als Wissenschaftler, Dozent und Autor Inklusionsfragen gewidmet. Für seine Professur an der Hochschule wird noch eine Nachfolge gesucht. Jerg war Leiter des Campus Reutlingen der Hochschule und zugleich auch „Stellvertretender Enthinderungsbeauftragter“. Diese Wortschöpfung stammt von ihm. Er erklärte sie so: „Behindertenbeauftragter“ sei ein defizitärer Begriff, der sich auf Personen beziehe. Bei Enthinderungsbeauftragungen liege eine andere Perspektive in der Aufgabenstellung. Der Unterschied liege im Denksystem, erklärte er.
Friedrich Weinbeck, Vorsitzender der Lebenshilfe Regensburg, ist neues Vorstandsmitglied der Lebenshilfe Bayern. Weinbeck engagiert sich seit vielen Jahren ehrenamtlich bei der Lebenshilfe Regensburg, unter anderem im Elternbeirat und seit fast zehn Jahren im Vorstand, zunächst als Schriftführer und seit 2021 als Vorsitzender. Darüber hinaus ist er im „Netzwerk Regensburg inklusiv“ aktiv, sowie bei der freiwilligen Feuerwehr und im Kirchenchor. Der 63-Jährige ist Vater von zwei Kindern. Sohn Michael hat das Down Syndrom und arbeitet in der Montage in den Lebenshilfe-Werkstätten in Lappersdorf. Weinbeck selbst war bis zu seinem Ruhestand Teamleiter im technischen Service eines Telekommunikations-Unternehmens.
Juliane Winkler ist neue Referentin für Pflegeentwicklung in den DRK Kliniken Berlin. Sie ist ausgebildete Pflegefachkraft und Pflegewissenschaftlerin. Ihre Aufgabe ist es, die professionelle Pflege voranzutreiben. Geplant ist, das Konzept Advanced Nursing Practice (ANP), an den Kliniken einzuführen. Beim ANP geht es um erweiterte und spezialisierte Pflegeaufgaben, die von speziell ausgebildeten Mitarbeitenden übernommen werden. Dabei sollen verschiedene Pflegeprofessionen wie Pflegefachassistentinnen, examinierte Pflegefachkräfte und Pflegekräfte mit Bachelor oder Master Abschluss auf den Stationen arbeiten.
Wir haben Tagungen, Seminare, Workshops und Webinare aufgelistet, die aktuell geplant sind. Wegen der Corona-Epidemie sagen Veranstalter allerdings Termine auch kurzfristig ab. Wir bitten unsere Leserinnen und Leser, das zu beachten.
2.11. Hannover:
Fachtag: Wohlfahrt queer gedacht und queer gemacht
des Lesen- und Schwulenverbandes
Tel.: 030/78954778
3.-4.11.:
Online-Fortbildung „Keine Krise mit der Krise - Hilfreich bleiben auch in Ausnahmesituationen“
der Bundesakademie für Kirche und Diakonie
Tel.: 030/48837-495
17.11. Köln:
Seminar „Compliance Management im Sozialwesen“
der Unternehmensberatung Solidaris
Tel.: 002203/8997-221
21.11. Filderstadt:
Fortbildung „Rechtliche Grundlagen in der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten“
der Bundesakademie für Kirche und Diakonie
Tel.: 030/488 37-495
22.11.:
Online-Seminar „Leichter als gedacht: Fördermittel einwerben & nachhaltige Finanzierung finden“
der Paritätischen Akademie Süd
Tel.: 0711/286976-10
22.-23.11.:
Online-Seminar: „Datenschutzmanagementsysteme in sozialen Einrichtungen“
der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes
Tel.: 0761/2001700
28.-29.11. Berlin:
Fortbildung „Das operative Geschäft: Steuerung und Controlling in der Eingliederungshilfe“
der Bundesakademie für Kirche und Diakonie
Tel.: 030/48837-495
Seminar „Steuer-Update für Non-Profit-Organisationen“
der Unternehmensberatung Solidaris
Tel.: 02203/8997-221
29.-30.11. Netphen:
Seminar „... und die Jugendlichen, die zu uns kommen, werden immer schwieriger“
Tel.: 030 26309-139
30.11.:
Online-Seminar „Der 'Worst Case'-Fall - anzeigepflichtige Straftaten und Suizidankündigung in der Online-Beratung“
der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes
Tel.: 0761/200-1700