Erlangen (epd). „Im Wasser, da bin ich frei - da habe ich eine Bewegungsfreiheit, die ich an Land nicht habe.“ Josia Topf kann im Wasser Saltos schlagen und rückwärts tauchen, „da habe ich meinen Körper hundert Prozent unter Kontrolle“. An Land aber braucht der 19 Jahre alte Erlanger Jura-Student viel Hilfe. Von seinem Leben, das er ohne Arme und mit zwei unterschiedlich langen steifen Beinen meistert, erzählt er ungeschminkt. „Alles, wozu man lange Arme braucht, geht nicht“: die Beinschiene an- und ausziehen, duschen, rasieren, Kaffee kochen.
Im Röthelheimbad in Erlangen steht Josia Topf auf dem Startblock, den er mit der Hilfestellung seiner Mutter Wiebke erklommen hat. Er nimmt die Starthaltung ein, springt kopfüber ins Wasser, über zehn Meter taucht er nicht mehr auf, dann zeigt er seinen speziellen Schwimmstil.
Leicht auf der Seite liegend, kommt er mit Delfin-Kicks so schnell voran, dass die am Beckenrand sich zu Fuß beeilen müssen, wenn sie Josia bis zu seiner Wende am Bahnende begleiten wollen. „Ich liebe das Ausgepowertsein“, sagt er nach der Trainingseinheit fröhlich. „Muskelkater macht mir nichts, ich will Grenzen überschreiten und mir neue Aufgaben suchen.“
Schwimmen hat Josia mit sechs Jahren gelernt, erste große Wettkämpfe bestritt er mit acht, mit 15 Jahren wurde er Profisportler. Seit 2018 gehört er dem Perspektivkader der Deutschen Nationalmannschaft der Paraschwimmer an. Von Europameister- und Weltmeisterschaften kommt Josia mit Medaillen nach Hause. Im vergangenen Jahr nahm er an den Paralympics in Tokio teil und erreichte in seiner Klasse in allen Disziplinen die Finalläufe. Im nächsten Jahr will er zu den Weltmeisterschaften nach Manchester, 2024 zu den Paralympics nach Paris.
„Wir sprechen hier über Schwimmerfolge“, wird der 19-Jährige plötzlich ernst. Er sei immer gut gekleidet, rasiert und gepflegt, aber ohne seine Eltern könne er nicht einmal ansatzweise sein Leben bestreiten. „An manchen Tagen ist das ein beschissenes Gefühl und unfair“, denn Handlungsoptionen seien ihm von vorneherein genommen. „Ich kann nicht Architekt, nicht Dachdecker oder Polizist werden“, sagt der junge Mann. Aber Aufgeben, das gehe überhaupt nicht, kommt sein Lächeln wieder zurück. „Wenn ich den Kopf in den Sand stecken würde, hätte ich doch nichts vom Leben.“ Und in den vergangenen Jahren habe er „so viel Glück und so viel Freude“ erlebt.
Neulich im Gottesdienst habe der Pastor von den „Flauten im Leben“ gesprochen, erzählt Mutter Wiebke Topf. Da habe ihr Sohn sie angestoßen und gefragt, ob sie das kenne, eine solche „Flaute“. Er selbst könne sich das gar nicht vorstellen. Weshalb Menschen, die in einem gesunden Körper steckten, Motivationshilfen brauchten, frage er sich.
Josias Mutter ist sein „Schäferhund“, wie sie es ausdrückt: auf dem Flug nach Tokio zu den Paralympics und zu den ganzen anderen Wettkämpfen, auf den Fahrten zu Fernsehauftritten und täglich in der Umkleide im Schwimmbad. Ihr Sohn kann sich die Badehose nicht selbst anziehen und sich nicht föhnen. Wiebke Topf putzt ihm die Nase und passt auf, „dass mein Arm oder ein anderer Arm für ihn da ist“, so beschreibt sie es.
Sie habe zu ihrem Sohn „die beste Beziehung, die man haben kann“, schwärmt die ausgebildete Musicaltänzerin. Josia sei witzig, „ich hätte kein besseres Kind kriegen können“. Aber die Mutter erzählt auch von dem Schock, den sie damals erlitten habe, als sie vor der Geburt erfahren habe, dass sie kein gesundes Kind auf die Welt bringen werde, sondern ihr Sohn das TAR-Syndrom habe, einen Gendefekt. Josia Topf benötigte in der ersten Lebensphase künstliche Ernährung, dann folgten ungezählte Operationen.
Seit vergangenem Jahr fährt Josia Topf einen umgebauten BMW, den er mit einem Joystick lenkt. Ein Auto, das bedeutet für den jungen Mann ein Stück Freiheit. Mit dem Wagen kann er nicht nur zum Training, sondern auch an die Uni fahren.
Die vielen bürokratischen, schier unüberwindlichen Hürden für behinderte Menschen haben ihn auf die Idee gebracht, Jura zu studieren. „Ich möchte mich dann auf juristischen Wegen auch für die Interessen anderer einsetzen“, sagt Topf. „Gott hätte mich auch normal machen können, aber er hat keinen Fehler gemacht, da steht ein Plan dahinter.“ Vielleicht der Plan, dass er als Jurist einmal in die Politik gehen könnte, überlegt der 19-Jährige.
„Das kann ich mir sehr gut vorstellen“, sagt sein Mentor, der Dekan des Fachbereichs Rechtswissenschaft an der Universität in Erlangen, Professor Markus Krajewski. Josia Topf sei einer, „der Menschen für sich einnehmen kann, der sehr gut artikulieren kann, und wenn man in Deutschland etwas bewegen will, dann ist Jura das richtige Studium“. Krajewski ist überzeugt, dass der angehende Jurist als Kämpfernatur das Studium packt: „Einer, der Profisportler ist, weiß, dass man sich den Erfolg erarbeiten muss.“