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Behinderung

"Ich wünsche mir ein Schulfach Inklusion"




Schild für barrierefreie Toilette mit Wickelraum
epd-bild/Guido Schiefer
In Deutschland sind rund 1,4 Millionen Menschen auf einen Rollstuhl angewiesen. Obwohl sich bei der Inklusion viel getan hat, sehen sich Menschen mit Körperbehinderungen immer noch täglich von Hürden und Barrieren ausgebremst.

Berlin/München (epd). Der frühere Leistungssportler Karl Harlec ist seit vier Jahren auf einen Rollstuhl angewiesen. „Vor acht Jahren ist bei mir Multiple Sklerose diagnostiziert worden. Der Verlauf war schleichend. Ich wurde immer schwächer“, berichtet der 45-jährige Berliner.

Behinderten-WC mit Putzzeug zugestellt

Harlec arbeitet als Sozialarbeiter in der Kinder- und Jugendhilfe bei einem katholischen Träger. „Eigentlich sollte man meinen, dass hier bereits Barrierefreiheit herrsche. Doch dem ist leider nicht so“, sagt er. Sein Antrag auf einen Aufzug im Kinderhaus wurde mit der Begründung abgelehnt, dass dieser erst ab zwei Rollstuhlfahrern bewilligt würde.

In Deutschland sitzen rund 1,4 Millionen Menschen im Rollstuhl. Das entsprach im Jahr 2019 bundesweit einem Anteil von rund 18 Prozent der schwerbehinderten Menschen und 1,7 Prozent der Gesamtbevölkerung. Mehr als 80 Prozent der Behinderungen sind nach Angaben des Statistischen Bundesamts Folgen von Krankheiten.

Obwohl in Deutschland viele Menschen auf einen Rollstuhl angewiesen sind, ist Barrierefreiheit in vielen Bereichen des Lebens immer noch keine Realität. „Behinderten-WCs sind oft mit Putzzeug zugestellt und dienen als Abstellkammer“, sagt Harlec. Doch er mache auch positive Erfahrungen. „Die überwiegende Mehrheit der Restaurantbesitzer ist sehr engagiert und hilfsbereit“, sagt er. Wenn ein Restaurant sich als nicht rollstuhlfreundlich erweise, suche er es nicht mehr auf.

„Viele Aufzüge werden nicht repariert“

Aktuell verdient er 1.700 Euro netto. Ohne die Zusatzversicherung der Katholischen Zusatzversorgungskasse (KZVK) würde er später in Altersarmut rutschen. „Ich habe keine Angst, aber Respekt“, sagt er.

Am öffentlichen Nahverkehr übt er Kritik. „Viele Aufzüge werden zurzeit nicht repariert“, sagt Harlec. Funktioniere ein Aufzug nicht, müsse er eine Station weiterfahren. Sein Arbeitgeber zeige viel Verständnis, wenn er sich dadurch verspäte.

Auch Maximilian Schulz stößt immer wieder auf Hürden. „Die Infrastruktur ist noch nicht barrierefrei. Viele U-Bahnstationen besitzen immer noch keine Rampe, um die kleinen Schwellen zu überwinden“, sagt er. Dabei lasse sich das einfach und kostengünstig ändern.

Schulz hat seit seinem sechsten Jahr eine Form von Kinderrheuma mit sehr aggressivem Verlauf. Seit Komplikationen bei einer Operation vor sechs Jahren ist der Münchner querschnittsgelähmt.

Der 35-jährige Student der Sozialen Arbeit macht sich Sorgen über seine berufliche Zukunft. „Ich frage mich oft, wie lange ich körperlich in der Lage sein werde zu arbeiten“, sagt er.

Ampel will mehr Barrierefreiheit schaffen

Nicht nur am Arbeitsplatz, auch im Privaten und in der Freizeit werde er immer wieder mit Hürden konfrontiert. „Wenn der Zug ausfällt, kann ich mir nicht einfach spontan ein Taxi rufen“, sagt er. Es gebe zwar einen Fahrdienst für Rollstuhlfahrer, doch dieser müsse rechtzeitig vorbestellt werden.

Der Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen begrüßt die im Koalitionsvertrag der Ampel beschlossene Stärkung der Barrierefreiheit in allen Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens. Vorgesehen ist hier vor allem der Ausbau der Barrierefreiheit beim Thema Mobilität bis zum Jahr 2026. Zudem sollen auch private Unternehmen zur Barrierefreiheit verpflichtet werden. „Für die Teilhabe von Menschen mit Behinderung ist eine barrierefreie Umwelt unabdingbar“, sagte eine Sprecherin. Wichtig sei allerdings eine verbindliche Umsetzung der Vorhaben.

Harlec und Schulz fordern mehr Aufklärung in der Gesellschaft. „Ich wünsche mir ein Schulfach 'Inklusion'“, sagt Harlec. Kinder sollten von klein auf den Umgang mit Menschen mit Behinderung lernen.

Stefanie Unbehauen