eine wirkliche Überraschung ist es nicht: Die Impfpflicht - auch in abgespeckter Form für über 60-Jährige - ist im Bundestag gescheitert. Über Monate zogen sich die Diskussionen hin, und die Union hat den seit jeher umstrittenen Plan letztlich zum Scheitern gebracht. So weit kommen konnte es indes nur, weil sich die Ampel nicht auf eine einheitliche Linie bei der Impfpflicht einigen konnte. Nun ist klar: Die Impfkampagne muss weiter allein auf Freiwilligkeit setzen - ob das reicht, um die nächste Corona-Welle einzudämmen, darf bezweifelt werden.
Rund 20.000 Kinder und Jugendliche aus der Ukraine werden schon in deutschen Schulen unterrichtet. Eine gewaltige Aufgabe für die Schulleitungen, Lehrer und die Eltern. So sind im niedersächsischen Wunstorf in der evangelischen Integrierten Gesamtschule in kurzer Zeit mehr als 30 Kinder neu dazugekommen. Ein Besuch an der Basis.
Nach Ansicht der Vorstandsvorsitzenden von SOS-Kinderdorf, Sabina Schutter, stößt die Aufnahme von Zehntausenden Flüchtlingskindern aus der Ukraine an die Grenzen der Jugendhilfe. „Wir rechnen damit, dass noch ganze Kinderheime und Waisenhäuser evakuiert werden müssen. Schätzungen zufolge wachsen fast 100.000 Kinder und Jugendliche in ukrainischen Heimen auf“, sagte die Professorin im Gespräch mit epd sozial. Noch blieben viele Fragen im Umgang mit den Flüchtlingskindern offen, so die Pädagogin.
Das Persönliche Budget für Menschen mit Behinderung ist ein hohes Gut, das nicht ohne Weiteres angetastet werden darf. Menschen mit Handicap sollen mit den Geldern selbstbestimmt ihren behinderungsbedingten Mehrbedarf decken können. Und selbst wenn sie sich nicht strikt an die Vereinbarungen mit den Trägern der Eingliederungshilfe halten, darf ihnen das Budget nicht fristlos gekündigt werden. Das hat das Landessozialgericht Chemnitz entschieden.
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Dirk Baas
Berlin (epd). Die Abstimmung fiel deutlich aus: Bei der Corona-Impfpflicht bleibt in Deutschland alles, wie es ist. Die Einführung einer Impfverpflichtung für über 60-Jährige ist im Bundestag gescheitert. Nach einer engagiert geführten Debatte stimmten am 7. April in Berlin in einer namentlichen Abstimmung 378 Abgeordnete gegen den Kompromiss-Antrag aus den Reihen der Ampel-Fraktion. 296 Abgeordnete votierten mit Ja, neun Parlamentarier enthielten sich. Da auch der Unions-Antrag für ein Impfvorsorgegesetz anschließend keine Mehrheit fand, wird es absehbar keine Ausweitung der Corona-Impfpflicht in Deutschland geben.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) erklärte kurz nach der Abstimmung auf Twitter, damit sei der einzige Gesetzentwurf gescheitert, der eine allgemeine Impfpflicht gebracht hätte. Jetzt werde die Bekämpfung von Corona im Herbst viel schwerer. In der Debatte hatten Lauterbach und Abgeordnete von SPD, Grünen und FDP noch einmal eindringlich um Zustimmung geworben. Lauterbach, der eigentlich ebenso wie Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) für eine Impfpflicht ab 18 Jahren eintritt, den Ampel-Kompromiss für eine Impfpflicht ab 60 aber unterstützt hatte, wandte sich an die Unionsabgeordneten: „Heute ist der Tag der Entscheidung“, sagte er, „lassen Sie uns nicht im Stich“.
Der Kompromiss, auf den sich die beiden Abgeordneten-Gruppen aus den Ampel-Fraktionen Anfang dieser Woche verständigt hatten, sah eine Impfpflicht für über 60-Jährige vor. Alle ungeimpften Erwachsenen sollten zu einer Impfberatung verpflichtet werden.
Spitzenpolitiker der Union hatten vor der Entscheidung erklärt, dass sie auch den Kompromiss-Vorschlag nicht mittragen würden, obwohl er die Einführung eines Impfregisters enthielt, wie es die Union will. Der CDU-Gesundheitspolitiker Tino Sorge bekräftigte in der Debatte, am eigenen Antrag der Union festhalten zu wollen. Der stellvertretende Unions-Fraktionsvorsitzende Sepp Müller (CDU) betonte, über eine Impfpflicht und für wen sie gelten solle, dürfe erst entschieden werden, wenn eine gefährlichere Variante des Coronavirus und die Pandemielage dies erforderten.
FDP-Politiker Andrew Ullmann, der zunächst nur eine Impfberatungspflicht wollte, aber mit seiner Gruppe dem Kompromiss für eine Impfpflicht ab 60 zustimmte, hatte in seiner Rede davor gewarnt, am Ende „ohne etwas“ dazustehen. Doch eine Mehrheit der Abgeordneten war nicht zu überzeugen in einer Phase der Pandemie, in der selbst das Tragen von Masken nicht mehr generell vorgeschrieben ist.
Anders als Ullmann hatte sich der größere Teil der FDP-Abgeordneten von Anfang an gegen eine Impfpflicht ausgesprochen und sich um den stellvertretenden Bundesvorsitzenden Wolfgang Kubicki gesammelt, weshalb die Ampel-Fraktionen keine eigene Mehrheit für eine allgemeine Impfpflicht hatte. Auch die Aufhebung des Fraktionszwangs führte nicht dazu, dass die Befürworter genügend Stimmen aus der Opposition gewinnen konnten.
Wie verfahren die Lage trotz monatelanger Kompromisssuche war, zeigte sich im Bundestag auch daran, dass sich Regierungsfraktionen und die Opposition nicht einmal auf die Reihenfolge zur Abstimmung über die vier Anträge einigen konnten. Nacheinander scheiterten dann der Antrag für eine Impfpflicht ab 60, der Unionsantrag, die Kubicki-Gruppe und die AfD-Fraktion mit ihrem Vorstoß, die seit Mitte März geltende Impfpflicht für das Personal in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen wieder abzuschaffen.
Diakonie-Präsident Ulrich Lilie sprach nach dem Scheitern einer Impfpflicht von einem „Politikversagen“, für das alle Menschen bezahlten, die auf die Solidarität ihrer Mitmenschen angewiesen seien. Damit sei eine große Chance verpasst worden, die Pandemie endlich dauerhaft in den Griff zu bekommen. „Auch die Beschäftigten im Gesundheitswesen werden nun in doppelter Weise im Regen stehen gelassen: Zum einen bleibt die einrichtungsbezogene Impfpflicht ohne eine allgemeine Verpflichtung Stückwerk und zum anderen werden sie spätestens im Herbst wieder mit steigenden Corona-Fallzahlen zu kämpfen haben“, so der Präsident.
SoVD-Präsident Adolf Bauer sagte in Berlin: „Die Gespräche und Debatten dürfen nicht enden, sondern müssen jetzt erst Recht intensiviert und weiter für die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht gegen das Corona-Virus fortgesetzt werden.“ Es bleibe die ernüchternde Erkenntnis, dass die Chance für notwendige Weichenstellungen nicht genutzt worden seien. „Nun wird uns bis zum Herbst erneut die Frage begleiten, ob wir ohne eine allgemeine Impfpflicht ausreichend für die pandemiebedingten Herausforderungen in den kommenden Herbst- und Wintermonaten gewappnet sind.“
Der Vorsitzende der Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, stellte die Impfpflicht im Gesundheitswesen in Frage. Ohne eine allgemeine Impfpflicht halte er Arbeitsverbote nicht mehr für vorstellbar, sagte er der „Rheinischen Post“.
Berlin (epd). Gut zwei Jahre nach dem Beginn der Corona-Pandemie hat der Deutsche Ethikrat Kriterien für den Umgang mit der aktuell noch nicht ausgestandenen und möglichen künftigen Krisen vorgelegt. Die Pandemie habe die ganze Gesellschaft betroffen und ein Stück weit verändert, sagte die Vorsitzende des Ethikrats, Alena Buyx, am 4. April in Berlin. Bei der Güterabwägung in einer solchen Krise Fehler zu machen, sei unvermeidlich. Man müsse sie sich eingestehen und langfristig zu einem besseren Umgang kommen, sagte Buyx bei der Vorstellung einer Stellungnahme des Ethikrats, die Kriterien für den Umgang mit Pandemien formuliert.
Buyx sieht selbst vor allem zwei Fehler, die während der Corona-Pandemie gemacht wurden. Zu spät und zu wenig sei in den Blick genommen worden, dass Gruppen auf verschiedene Weise verletzlich seien, sagte die Medizinethikerin. Während am Anfang die medizinische Verletzlichkeit der Älteren im Fokus gestanden habe, sei mit dem Fortdauern der Pandemie die psychische Verletzlichkeit der Jüngeren offenbar geworden. „Da hätten wir uns mehr Ausgleich gewünscht“, sagte Buyx. Einen weiteren Fehler sieht sie darin, dass die negativen Folgen der Schutzmaßnahmen nicht ausreichend erfasst worden seien, um für die Zukunft Schlüsse zu ziehen.
Nach Ansicht der Biologin und Ethikerin Sigrid Graumann hat sich in der Pandemie gezeigt, wie wenig krisenfest viele Institutionen in Deutschland sind. Im Bildungswesen habe es viele kreative Ideen gegeben, um insbesondere benachteiligten Kindern Unterricht jenseits der manchmal schwer zu realisierenden digitalen Formate zu ermöglichen. Viele seien ausgebremst worden von der Schulbürokratie, sagte sie. Das sollte künftig anders sein. Auch die Mängel im öffentlichen Gesundheitssystem haben in ihren Augen systemische Mängel offenbart.
In dem rund 160-seitigen Papier mit der Überschrift „Vulnerabilität und Resilienz in der Krise“ nehmen die Expertinnen und Experten des Ethikrats rückblickend die Schutzmaßnahmen unter die Lupe und analysieren diese hinsichtlich ihrer Ausgewogenheit und Gerechtigkeit gegenüber verschiedenen Gruppen. Am Ende geben sie zwölf Empfehlungen, die darauf abzielen, Maßnahmen künftig besser abzuwägen, mehr Beteiligte einzubeziehen, Eigenverantwortung und Solidarität zu stärken sowie konsequenter zu kommunizieren.
„Maßnahmen gegen die Pandemie müssen demokratisch legitimiert, ethisch gut begründet und zugleich gesellschaftlich akzeptabel sein“, bilanzierte die Ethikratsvorsitzende Buyx. Das neue und von vielen Seiten immer noch heftig kritisierte Infektionsschutzgesetz, mit dem seit Sonntag viele Schutzmaßnahmen weggefallen sind, wollte sie konkret anhand der vom Ethikrat aufgestellten Kriterien nicht bewerten.
Grundsätzlich sei aber schon zu erkennen, dass die Politik dazugelernt habe, sagte sie. Inzwischen gebe es einen breiteren Beteiligungsprozess und Experten würden angehört. Auch dass die Maßnahmen differenzierter werden, sei zu begrüßen, sagte Buyx.
Frankfurt a.M. (epd). Wenn die Gefahr der Corona-Ansteckung droht und der gewohnte Alltag ungemütlich wird, ziehen sich Menschen gern zurück. In unsicheren Momenten wünschen sich viele Freiraum, Weite und Natur. Vor der Pandemie zogen vor allem junge Menschen aus ländlichen Bereichen in die Städte. Kehrt sich das Phänomen der Landflucht nun infolge der Pandemie zur Stadtflucht?
Anzeichen für eine Abwanderung von der Stadt aufs Land gibt es, wie ein Vergleich des Immobilienportals ImmoScout24 ergibt. „Die Corona-Pandemie hat dem Wunsch nach einem Häuschen im Grünen einen weiteren Schub verpasst“, heißt es auf dem Online-Portal. Wer ein Eigenheim kaufen wolle, suche dies heute häufig im Speckgürtel von Metropolen. Das zeige der Vergleich zwischen Suchanfragen in und um die Großstädte Köln, Berlin, Frankfurt am Main, München und Hamburg vor und nach dem ersten Lockdown im März 2021: „Der Wunsch nach mehr Platz und einem Garten ist offensichtlich eine Folge der Lockdown-Erfahrungen.“
Solche Anzeichen für eine pandemiebedingte Stadtflucht müssten jedoch differenziert betrachtet werden, sagte der Stadtsoziologe Walter Bartl von der Universität Halle dem Evangelischen Pressedienst (epd): „Insgesamt verliert der ländliche Raum langfristig an Bevölkerung.“ Städte und Vororte zusammengefasst, gebe es seit 1871 einen Prozess der Urbanisierung in Deutschland.
Für den Zuzug in die Städte seien vor allem junge Menschen verantwortlich, die dort studierten oder eine Ausbildung machten. Jedoch zeige sich in den vergangenen Jahren eine Abschwächung der Ausweitung städtischer Lebensformen, die insbesondere in westdeutschen Städten auch negativ seien. „Aktuellere Befunde sind mit einer Reihe von Unsicherheiten behaftet, weil umfassende Daten für ganz Deutschland nur bis 2019 vorliegen“, erklärt Bartl.
Zentraler Treiber für eine Stagnation der Urbanisierung in den vergangenen Jahren seien die Immobilienpreise, sagt Bartl. „Mittelalte Personen, die eine Familie gründen, suchen oft die günstigeren Immobilienpreise im Speckgürtel.“ Ländlicher Raum sei dabei jedoch nicht gleich ländlicher Raum. Die Attraktivität hänge beispielsweise mit Blick auf flexible Arbeitsmodelle daran, wie gut die Verkehrs- oder Internetverbindung sei.
Auch was die grundlegende Ausstrahlung eines Ortes betreffe, sei Dorf nicht gleich Dorf, weiß Wolf Schmidt von der gemeinnützigen „Mecklenburger AnStiftung“. „Da sind vor allem die Menschen wichtig, die im Dorf leben und sich für das Dorf einsetzen.“ Nach 30 Jahren in Hamburg suchte Schmidt vor einigen Jahren gemeinsam mit seiner Frau ein neues Zuhause auf dem Land.
Heute wohnt er im mecklenburgischen Dobin am See und wirbt für das Konzept der „neuen Ländlichkeit“, also die bewusste Entscheidung für ein Leben auf dem Land. Das Konzept solle Menschen aufs Land führen, die früher typischerweise in der Stadt gelebt hätten. „Das hat nicht nur Auswirkungen auf die Wirtschaft auf dem Land, sondern auch auf seine politische und mediale Repräsentanz.“
Leben auf dem Mecklenburger Land bedeute vor allem Natur, schwärmt Schmidt. „Nicht nur zum Angucken, sondern auch zum sich in ihr Bewegen - einen großen Teil des Tages verbringt man draußen.“ Die Digitalisierung ermögliche es Schmidt, auch in Mecklenburg-Vorpommern weiterhin Teil seines Bekanntenkreises zu bleiben. „Das war früher unvorstellbar, heute ist das problemlos möglich. Die Standards auf dem Land haben sich in den letzten Jahren einfach dramatisch geändert.“ Das zeige sich nicht zuletzt auch darin, dass Bauplätze in seiner Region mittlerweile rar seien: „Bauen ist bei uns nahezu chancenlos.“ Und auch die Immobilienpreise stiegen.
Für die, die einen Platz auf dem Land gefunden hätten, sei vor allem wichtig, sich auf das Leben dort einzulassen, sagt Schmidt: „Wenn die eigentlich Berlin wollen, sich das aber nicht leisten können und deshalb aufs Dorf gehen und dann rummäkeln, was es alles nicht gibt, dann werden beide Seiten nicht sagen, dass sie damit glücklich sind.“
Eine Prognose des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung gehe davon aus, dass ländliche Regionen weiterhin schrumpften, sagt Bartl. Das hängt jedoch auch vom verfügbaren Wohnraum in Großstädten ab. Durch den aktuellen Flüchtlingszuzug aus der Ukraine wird der erst einmal noch knapper - in der Stadt wie auf dem Land.
Um der durch die Pandemie verstärkten Sehnsucht nach Landleben auch in Städten zu begegnen, sollten Städte unter anderem auf das Stadtgrün achten, empfiehlt der Stadtsoziologe. „Bäume helfen überdies auch gegen Erhitzung der Städte im Sommer, was zunehmend ein Problem wird.“ Auch andere Maßnahmen, wie die Verbesserung der Infrastruktur für Radfahrerinnen und Radfahrer sowie Fußgänger und Fußgängerinnen, sorgten für bessere Lebensqualität in Städten - und könnten eine Flucht aufs Land verhindern.
Berlin (epd). Bund und Länder haben sich auf eine Verteilung der Kosten für Unterbringung, Versorgung und Integration von Flüchtlingen aus der Ukraine verständigt. Ab dem 1. Juni sollen die Kriegsflüchtlinge in das reguläre Grundsicherungssystem aufgenommen werden, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nach Beratungen mit den Ministerpräsidenten am 7. April in Berlin. Bislang können die Vertriebenen nur Leistungen nach dem Asylbewerbergesetz beziehen, womit die Kosten allein die Länder schultern. Im System der Grundsicherung übernimmt der Bund unter anderem einen Teil der Unterkunftskosten, „den größten sogar“, wie Scholz sagte.
Zudem sei über dieses System auch die Finanzierung der medizinischen Versorgung der Flüchtlinge und durch die dann ohnehin zuständigen Jobcenter die Integration in den Arbeitsmarkt sichergestellt, erläuterte Scholz weiter. Seinen Worten zufolge unterstützt der Bund die Länder darüber hinaus in diesem Jahr mit zwei Milliarden Euro, unter anderem für die bereits angefallenen Kosten. 500 Millionen Euro davon sollen direkt an die Kommunen gehen, um ihnen bei den Unterkunftskosten unter die Arme zu greifen.
Der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, Nordrhein-Westfalens Regierungschef Hendrik Wüst (CDU), sprach von einem vertretbaren Kompromiss zur Verteilung der Kosten. Über die Grundbedürfnisse hinaus müssten viele Hilfen finanziert werden, sagte Wüst und verwies unter anderem auf Sprachkurse, psychosoziale Hilfe und Unterstützung behinderter Menschen unter den Kriegsflüchtlingen.
Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) betonte, die Aufnahme der Flüchtlinge in den Berechtigtenkreis nach dem Sozialgesetzbuch II entspreche nicht nur den Erwartungen der Länder, sondern sei eine wichtige Grundsatzentscheidung. „Diese Entscheidung ist ein Quantensprung für die Frage, ob Integration gelingt oder nicht“, sagte sie.
Bis zum 7. April hatte die Bundespolizei rund 316.000 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine in Deutschland gezählt. Die tatsächliche Zahl der nach Deutschland Geflüchteten liegt wahrscheinlich aber höher, weil es an der deutsch-polnischen Grenze keine regulären Kontrollen gibt und sich Menschen mit ukrainischem Pass zunächst für 90 Tage frei in der EU bewegen können. Sie müssen sich erst registrieren, wenn sie staatliche Leistungen beantragen.
Wunstorf, Berlin (epd). Wie lange der Krieg noch dauern wird, weiß niemand. Aber Vladimir Korobejnikov ahnt: „Wir werden viel Zeit brauchen, um die Ukraine wieder aufzubauen.“ Eines glaubt er ganz fest: „Es wird nie passieren, dass die ganze Ukraine russisch ist.“ Der 16-Jährige kommt aus Kiew und gehört zu den älteren Schülern, die seit kurzem die evangelische Integrierte Gesamtschule (IGS) im niedersächsischen Wunstorf bei Hannover besuchen.
Rund 20.000 Kinder aus der Ukraine sind bislang deutschlandweit an den Schulen aufgenommen worden. Und Experten gehen davon aus, dass es wohl noch deutlich mehr werden - was nicht ohne Probleme ist. „Die Lehrkräfte in Deutschland haben seit 2015 zwar viele Erfahrungen mit geflüchteten Kindern und Jugendlichen gemacht und sind grundsätzlich gut auf solche Situationen vorbereitet“, teilte die Gewerkschaft GEW mit. Aber: Nach fast zwei Jahren in der Corona-Pandemie seien viele Lehrerinnen und Lehrer erschöpft und am Limit ihrer Kräfte. Daher werde die nächste Zeit eine große Herausforderung.
„Es bedarf multiprofessioneller Teams sowie zusätzlichen Personals für die Errichtung von Willkommens-, Übergangs- und Vorbereitungsklassen und angemessener Räumlichkeiten“, betont die Gewerkschaft. Zudem bedürfe es umfangreicher Angebote für die Beschäftigten, um mit den Traumata der Geflüchteten in angemessener Weise umgehen zu können, sowie zusätzlicher Lehrkräfte für „Deutsch als Zweit-/Fremdsprache“und herkunftssprachlicher Fachkräfte.
Vladimir hat sich bereits gut eingelebt und Anschluss an gleichaltrige Deutsche gefunden. „Die Leute sind sehr nett, alle wollen einem helfen“, sagt er auf Englisch. Im Gegensatz zu vielen Geflüchteten kann er sich sogar vorstellen, in Deutschland zu bleiben. „Mein Leben in der Ukraine war ein bisschen langweilig.“ Seine Mutter und sein Bruder wollten allerdings so schnell wie möglich zurück. „Wir mussten unsere Haustiere zurücklassen, drei Hunde und eine Katze. Die Nachbarn füttern sie.“
Mehr als 30 Kinder aus der Ukraine hat die IGS aufgenommen und in kürzester Zeit ein Hilfsnetzwerk gesponnen. Dabei half der glückliche Umstand, dass die langjährige Schulbegleiterin Svitlana Hoffmann aus der Nähe von Tscherkassy in der Zentralukraine stammt. Sie hat aktuell die Aufgaben einer Koordinatorin für die geflüchteten Familien übernommen. „Das ist wie ins kalte Wasser springen“, sagt sie. Die Situation sei nicht zu vergleichen mit 2015, als überwiegend Flüchtlinge aus Syrien kamen. „So eine große Welle haben wir noch nicht erlebt.“
Svitlana Hoffmann ist Sozialpsychologin und ausgebildete Traumatherapeutin. Ihr wichtigstes Ziel: den Kindern Sicherheit zu geben. „Ich spreche sie nicht gezielt auf den Krieg und die Flucht an, da muss man vorsichtig sein.“ Gerade die kleineren Kinder seien ängstlich. Und bei einem Fünftklässler sei relativ schnell klar gewesen, dass er traumatische Erlebnisse gehabt haben muss. „Er hat sich unter einem Baum versteckt, als die Flieger aus dem Fliegerhorst Übungen gemacht haben. Wir haben dann mit allen darüber gesprochen, dass wir in Wunstorf in der Nähe eines Militärflughafens wohnen, hier aber kein Krieg ist.“
Klaus Seifried hat in Berlin viele Jahre als Schulpsychologe gearbeitet. Er sagt, das Allerwichtigste in Krisenzeiten sei, dass die Lehrerinnen und Lehrer den Kindern Orientierung und Sicherheit geben. „Dazu gehören verlässliche Alltagsstrukturen genauso wie Zeit für Gespräche. Lehrkräfte müssen sensibel sein für die Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler, und es muss Raum für Gespräche geben“, betont der Fachmann. Dabei könne es um ihre Ängste gehen, aber auch um objektive Informationen. „Lehrerinnen und Lehrer sollten aber immer darauf achten, nicht noch zusätzlich zu dramatisieren, weil das Ängste verstärkt.“
IGS-Schulleiterin Elke Helma Rothämel hofft, dass diese und weitere zu erwartende Schülerinnen und Schüler aus der Ukraine nicht mit verwundeten oder verstorbenen Angehörigen konfrontiert werden. „Aber ausschließen können wir das natürlich nicht. Dann weiß ich, dass wir auch das miteinander tragen werden.“ Sie sei in solchen Momenten froh, dass die IGS Wunstorf eine kirchliche Schule sei. „Wir haben ein seelsorgerliches Umfeld, das wir als Schule allein nicht bieten könnten.“
Um sich besser im Schulalltag zurechtzufinden, bekommt in Wunstorf jedes Kind zwei „Buddys“ zur Seite gestellt. Gerade auch russisch sprechende Schüler übernehmen solche Patenschaften. „Wir wollen sie vor dem Generalverdacht bewahren, dass sie womöglich die kriegerischen Verbrechen gutheißen“, sagt Schulleiterin Rothämel. „Auf diese Weise können sie sich abgrenzen und eine eigene Haltung zeigen.“
Darüber hinaus gibt es aus dem Umfeld der Schule sehr viel Hilfsbereitschaft, etwa von Eltern oder Vereinen - zum Beispiel eine Sammelaktion für Sportbekleidung. Und die Abiturienten von vor zwei Jahren haben das Geld, das sie wegen Corona nicht für ihren Abiball ausgeben konnten, für die Flüchtlingshilfe an ihrer Schule gespendet.
München (epd). „Die Uni“, sagt Markus Striese, „ist schon eine ganz andere Welt.“ Eine andere Welt jedenfalls als jene, die er bis vor ein paar Jahren kannte. Der 32-Jährige im fünften Semester stammt aus München-Neuperlach, sein Vater war zuletzt Lkw-Fahrer. Er selbst ist mit einem Hauptschulabschluss eher ein Exot unter den Studierenden, die zum größten Teil aus Akademikerfamilien stammen. Seit dem Wintersemester ist Striese für das sogenannte Anti-Klassismus-Referat an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) zuständig. Dabei geht es um den Kampf gegen Benachteiligungen wegen der sozialen Herkunft.
Das Referat für Anti-Klassismus wurde an der LMU im Oktober 2020 gegründet. Es soll dazu beitragen, Studierenden aus einem nicht-akademischen Elternhaus einen „niederschwelligen und verständnisvollen Erfahrungsaustausch“ an der Universität zu ermöglichen. Betroffene können ihre Erlebnisse an den Hochschulen thematisieren, die sie teilweise als diskriminierend oder abwertend empfinden.
Markus Striese ist dafür ein Beispiel. Seine Eltern sind Nicht-Akademiker. Nach der Hauptschule hat er eine Lehre als Groß- und Einzelhandelskaufmann gemacht und schließlich seinen Meisterbrief als Betriebsinformatiker erhalten. Mit dieser Berufsausbildung kann er in Bayern ohne Abitur auf dem dritten Bildungsweg studieren.
Striese studiert empirische Kulturwissenschaften und Soziologie. Und die ersten Semester seien hart gewesen, sagt er. Nicht nur, dass er nebenbei arbeiten und Geld verdienen musste. Die Leute an der Universität sprachen eine andere Sprache, trugen eine andere Kleidung und hatten andere Erfahrungen, etwa mit Auslandsreisen, aufzuweisen als er. Striese hat kein Einfamilienhaus oder ein familiäres Vermögen im Rücken, ihm fehlen nützliche Beziehungsnetze. Keine guten Voraussetzungen, um das Gefühl dazuzugehören zu entwickeln.
Der Soziologe Ralf Dahrendorf (1929-2009) fasste die spezielle Erfahrung von Arbeiterkindern an den Universitäten bereits 1965 so in Worte: „Die eine seiner Welten ist tot, und doch ist er ohnmächtig, die andere zu gewinnen.“ Er meinte damit die Entfremdung von dem Milieu der Eltern, ohne in der akademischen Welt anzukommen. „Mittlerweile falle ich an der Uni nicht mehr so groß auf“, sagt Student Striese.
Seine vier Stellvertreter im Anti-Klassismus-Referat der LMU haben ähnliche biografische Hintergründe. Stephanie Krallinger (29) kam über den dritten Bildungsweg an die Uni. Sie ist gelernte Bürokauffrau, kommt ebenfalls aus einer Arbeiterfamilie und studiert jetzt Politikwissenschaft und Soziologie. In diese Fächer hat sich auch Mira Vaassen (21) eingeschrieben, ihr Weg verlief über die Realschule und die Fachoberschule. Schließlich als Vierter im Bunde dabei ist Niclas Vaccalluzzo. Der Vater des 24-jährigen Studenten der Sozialwissenschaften ist Frührentner.
Nach wie vor spielt in Deutschland Studien zufolge die soziale Herkunft bei den Bildungschancen eine große Rolle. Der Anteil von Arbeiterkindern an den Universitäten ist im Vergleich zu anderen Ländern gering. Aktuell nehmen von 100 Arbeiterkindern 21 ein Hochschulstudium auf.
Für Studierende aus benachteiligten sozialen Gruppen wollen die Anti-Klassismus-Referate an den Hochschulen eine Anlaufstelle sein, sagt Markus Striese. Aber es gehe auch über die Universität hinaus: „Wir wollen sichtbar machen, dass wir in einer Klassengesellschaft leben“, sagt der Student. Dass etwa das „Gerede über die Leistungseliten“ in den Chefetagen lediglich ein Mythos sei.
Düsseldorf (epd). Mit der Studie der Gesellschaft für innovative Sozialforschung und Sozialplanung Bremen (GISS) im Auftrag des NRW-Sozialministeriums wurde nun erstmalig ermittelt, dass „nach vorsichtigen Schätzungen“ hochgerechnet auf NRW knapp 5.300 Menschen im Zeitraum Juni/Juli 2021 ohne eigene Wohnung auf der Straße oder in Behelfsunterkünften lebten, wie Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU) am 4. April in Düsseldorf erklärte. Das seien dreieinhalb so viel wie die offizielle Statistik zum 30. Juni 2020 auswies.
Im Juni des vergangenen Jahres waren in Dortmund, Köln, Münster und Remscheid sowie in den Kreisen Lippe und Wesel und in 36 Fachberatungsstellen im Land rund 1.800 betroffene Menschen anonym befragt worden. Durch die GISS-Erhebung habe sich herausgestellt, dass 60 Prozent der befragten wohnungslosen Personen ohne jegliche Unterkunft und damit obdachlos waren. Knapp über 40 Prozent waren verdeckt wohnungslos, konnten also bei Bekannten oder Freunden zumindest zeitweise unterkommen. In absoluten Zahlen konnten Angaben von 1.069 Personen ohne Unterkunft und von 732 verdeckt wohnungslosen Personen ausgewertet werden, wie es hieß.
Von den Betroffenen, die laut Erhebung angaben, obdachlos zu sein, sind die meisten (82 Prozent) Männer, wie die GISS-Geschäftsführerin Jutta Henke erklärte. Ein Großteil von ihnen (73 Prozent) leider unter psychischen oder Suchtproblemen. Angesichts der schlechten körperlichen Verfassung Wohnungsloser oder Obdachloser komme gesundheitlichen Aspekten eine zentrale Bedeutung bei der Bekämpfung der Wohnungslosigkeit zu.
Körperliche Erkrankungen waren bei Personen ohne Unterkunft mit 42 Prozent deutlich häufiger als bei verdeckt Wohnungslosen mit einem Anteil von 30 Prozent, wie die Studie erläutert. Der Anteil der Personen ohne Unterkunft, die sich selbst als suchtkrank bezeichneten, war mit 49 Prozent nochmals sehr viel höher als bei den verdeckt Wohnungslosen (30 Prozent). Und mehr als 70 Prozent der Suchtkranken ohne Unterkunft waren nicht in ärztlicher Behandlung.
Vor dem Verlust der Wohnung hatten weniger als die Hälfte der Betroffenen (42 Prozent) keinerlei Hilfe von Behörden gesucht. Gleichwohl wurde häufig der Wunsch nach Unterstützung bei der Wohnungssuche geäußert. Allerdings ergab die Befragung auch, dass Vorbehalte gegen eine Gemeinschaftsunterbringung bestehen. Fehlende Privatsphäre, Angst vor Gewalt und mangelnde Hygiene wurden als Gründe genannt.
Für die Landesinitiative „Endlich ein Zuhause“ zur Bekämpfung der Wohnungslosigkeit seien die Mittel aufgestockt worden, hieß es. 2018 waren noch 1,85 Millionen Euro vorgesehen. Aufgrund zusätzlicher Fördermittel der EU stehen im Jahr 2022 insgesamt rund 14 Millionen Euro zur Verfügung. Zentraler Baustein der Landesinitiative sind zudem die "Kümmerer”-Projekte. Mit ihrer Hilfe haben knapp 3.500 Menschen ein neues Zuhause gefunden, darunter waren rund 100 Menschen, die zuvor auf der Straße lebten.
Neustadt am Rübenberge (epd). Auf der Terrasse eines evangelischen Pfarrhauses, inmitten von beschaulichem Grün, hört Svitlana Kryzhanivska (55) konzentriert zu, um zu dolmetschen. Neben ihr am Gartentisch sitzt ein Ehepaar, das rechtzeitig aus Cherson fliehen konnte, bevor die Russen die Stadt eroberten. Kryzhanivska verließ ihre westukrainische Heimatstadt Iwano-Frankiwsk ebenfalls. Schon am ersten Tag des Kriegs fielen dort Bomben auf einen nahen Militärflughafen.
Noch im Februar hätte sich Kryzhanivska nicht träumen lassen, dass sie aufgrund ihrer Deutschkenntnisse aus der Schule in Niedersachsen einmal als Sprachmittlerin gefragt sein würde. Auch heute ist sie zum blau-gelben Treffpunkt gekommen, um zwischen Russisch, Ukrainisch und Deutsch zu übersetzen.
Die Westukrainerin ist eine von Hunderten Geflüchteten, die sich derzeit im niedersächsischen Neustadt aufhalten. 260 waren nach Auskunft der Kommune Ende März in der Stadt registriert. Für sie hat der Kirchenkreis in kurzer Zeit die blau-gelbe Begegnungsstätte in der leerstehenden Superintendentur von Neustadt eingerichtet. Der Treffpunkt in einer ruhigen Wohngegend wurde am 17. März eröffnet. „Es geht darum, sich nicht aus den Augen zu verlieren, gemeinsam auszuruhen und Zeit miteinander zu verbringen“, erläutert die Sozialarbeiterin des evangelischen Kirchenkreises, Janet Breier, die das Angebot leitet. In der zweiten Woche hätten rund hundert Menschen das Angebot genutzt.
Die Anlaufstelle in Neustadt ist nach Burgdorf der zweite Treffpunkt, den der Diakonieverband Hannover-Land gemeinsam mit den Kirchenkreisen ins Leben gerufen hat. Im Kern gehe es darum, den Flüchtlingen wieder etwas Normalität zu ermöglichen, sagt Breier. Zum Angebot in Neustadt gehören unter anderem Spielecken, Küche, Waschmaschine, Rückzugs-Raum, Laptops und ein großer Garten. Wer will, kann auch die Sozialberatung oder die Schwangerenberatung von Diakonie-Mitarbeitern in Anspruch nehmen. Pastoren stehen zudem als Seelsorger bereit. „Wichtig für die Gespräche ist auch die Möglichkeit der Kinderbetreuung“, betont Breier. Auch Sprachlern-Angebote sind geplant. Das große Team von Ehrenamtlichen sammelt und verteilt zudem Kleider- und andere Sachspenden.
Bei ihrer Arbeit können die Mitarbeiter auf den Erfahrungen des verstärkten Flüchtlingszuzugs 2015 aufbauen. „Anders als 2015 möchten die meisten wieder so schnell wie möglich zurück nach Hause“, sagt Breier. Zudem sei die Hilfsbereitschaft unter den Deutschen diesmal noch größer. „Ich erkläre mir das so, dass die Ukraine dichter an uns dran ist.“
Kryzhanivska hatte das Glück, in Neustadt bei Bekannten von Freunden unterzukommen. Dort sei sie zufrieden, sagt sie. So gehe es jedoch nicht allen. „Teppiche, Möbel, Schuhe, solche elementaren Dinge fehlen oft“, erzählt Kryzhanivska. Auch solche Dinge versuchen Breier und ihr Team für die Besucher des Treffpunkts zu organisieren. „Ich habe von einer achtköpfigen Familie gehört, in der die Mutter immer zweimal kochen muss, weil der Topf zu klein ist“, sagt Kryzhanivska.
Trotz des Krieges wäre Kryzhanivska lieber in Iwano-Frankiwsk geblieben. Als sie abreiste, lebten ihre zwei Söhne, die Schwiegertöchter und die kleine Enkelin noch in Kiew, außerdem die krebskranke Schwester. Die Familie habe sich kurz nach Kriegsbeginn zusammengesetzt und das gemeinsame Vorgehen besprochen. Da Kryzhanivska fließend deutsch spricht, sollte sie als Erste nach Deutschland gehen. „Wenn sich die Lage verschlimmert, kommen meine Verwandten nach. Zum Glück sind sie jetzt erst mal in Iwano-Frankiwsk. Dort ist es ruhiger.“
Kryzhanivska ist froh, dass sie in Neustadt ihren Landsleuten als Übersetzerin helfen kann: „Wenn ich beschäftigt bin, ist mein Leben leichter. Unsere Frauen sind hoch motiviert und möchten alle arbeiten. Sie möchte nicht warten und rumsitzen, bis der Krieg zu Ende ist.“
Die Pädagogik-Professorin betont, der Kinderschutz habe Vorrang bei allen Entscheidungen zur Aufnahme von Flüchtlingskindern, ganz besonders bei denen, die ohne Familie oder Verwandte nach Deutschland kämen. Wie viele Flüchtlinge noch kämen, sei derzeit völlig offen. Die Platzkapazitäten würden womöglich nicht reichen: „Auch, weil wir damit rechnen, dass noch ganze Kinderheime und Waisenhäuser evakuiert werden müssen. Schätzungen zufolge wachsen fast 100.00 Kinder und Jugendliche in ukrainischen Heimen auf.“ Die Fragen stellte Dirk Baas.
epd sozial: Zehntausende Kinder mit ihren Müttern aus der Ukraine sind bereits nach Deutschland gekommen und wurden zumindest provisorisch untergebracht. Zuletzt ging die Zahl der Neuankömmlinge zurück. Wird das die Lage für die Jugendhilfe entspannen?
Sabina Schutter: Das ist schwer zu sagen. Die Situation verändert sich täglich und ist sehr dynamisch. Denn es ist nicht klar, wie lange der Krieg noch dauert. Was uns von SOS-Kolleginnen und -Kollegen vor Ort oder in den Nachbarländern berichtet wird, ist dass viele Familien hoffen, dass der Kampf bald vorüber ist. Daher flüchten sie noch nicht aus ihrer Heimat oder bleiben zumindest noch im nahen Polen.
epd: Müssen sich Jugendhilfeträger und Jugendämter dennoch darauf einstellen, dass noch weit mehr Kinder- und Jugendliche zu erfassen, zu verteilen und aufzunehmen sind?
Schutter: Davon gehe ich aus. Auch, weil wir damit rechnen, dass noch ganze Kinderheime und Waisenhäuser evakuiert werden müssen. Schätzungen zufolge wachsen fast 100.00 Kinder und Jugendliche in ukrainischen Heimen auf und befinden sich in der Obhut des ukrainischen Staates.
epd: Wie ist deren Situation?
Schutter: Sie alle sind vom Krieg unmittelbar bedroht. Viele von ihnen halten sich aktuell noch immer in Kriegsgebieten auf, andere wurden bereits evakuiert oder befinden sich auf der Flucht. Was diese jungen Menschen angeht, stellen sich aktuell viele drängende Fragen: Wie werden sie registriert, wo werden sie untergebracht und, das darf man nicht vergessen, wie kann eine dem Kindeswohl gerechte Rückführung später aussehen, wenn sie irgendwann zurück in ihre Heimat möchten? Ich bin sehr froh, dass wir als SOS-Kinderdorf im Auftrag des Bundesfamilienministeriums eine Meldestelle einrichten konnten, an die sich alle Menschen wenden können, die Anfragen zur Unterbringung von Kindergruppen aus der Ukraine erhalten, oder bei denen Gruppen geflüchteter Kinder und Jugendlicher direkt und ungeplant ankommen.
epd: Reicht die Zahl der derzeitigen Plätze in den Einrichtungen der Jugendhilfe aus?
Schutter: Auch das ist schwer zu beurteilen. Noch ist ja unklar, wie viele weitere Kinder und Jugendliche kommen werden. Aber ich vermute schon, dass wir weitere stationäre Unterbringungen brauchen, denn es ist ja nicht so, dass es hier ein Überangebot an Plätzen gibt. Das Problem beim Aufbau neuer Einrichtungen ist nicht, passende Häuser zu finden. Es fehlen Fachkräfte, die es für die professionelle Betreuung der Kinder und Jugendlichen dringend braucht. Also rate ich eher dazu, eine gewisse Flexibilität zu zeigen.
epd: Das heißt?
Schutter: Natürlich meine ich damit nicht, dass man geltenden Standards missachten sollte, aber es ist möglich, bei der notfallmäßigen Unterbringung die Gruppen etwas aufzustocken oder mal vorübergehend von den vorgeschriebenen Fachkräfteschlüsseln beim Personal abzuweichen. Was wir allerdings in unseren Einrichtungen auch sehen: Das pädagogische Fachpersonal ist extrem belastet, erst die Belastungen durch Corona, nun die nächste Krise, in der sie gefragt sind. Die Situation ist schwierig und zeigt, dass hier frühzeitig versäumt wurde, pädagogische Einrichtungen personell adäquat auszustatten. Hier muss dringend nachgesteuert werden. Spätestens diese „doppelte Krise“ zeigt doch : Wir brauchen eine besser ausgestattete Jugendhilfe.
epd: Wie gehen Sie der Aufnahme von Flüchtlingskindern bei SOS-Kinderdorf vor?
Schutter: Zunächst mal melden alle unsere Häuser die Zahl zur Verfügung stehender freier Plätze. Bundesweit sind es zwischen 80 und 100 Kinder und Jugendliche, die wir bei uns aufnehmen können - diese Plätze sind auch zum Teil schon vergeben. Natürlich versuchen wir, auch in Kooperation mit anderen Trägern, kurzfristig weitere Plätze zu schaffen. Wir selber können aber auch gar nicht so viele neue stationäre Angebote schaffen, da uns einfach auch die pädagogischen Mitarbeitenden fehlen, um die geflüchteten Kinder dann unserem qualitativen Ansatz gerecht zu betreuen.
epd: Viele Kinder und Jugendliche müssen sofort in Obhut genommen werden. Ist das ein organisatorisches und auch personelles Problem in den Jugendämtern?
Schutter: Nein, das sehe ich nicht. Auch wenn wir keine belastbaren Zahlen über die Zahl unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge haben, die zu uns kommen. Denn nur in diesem Fällen müssen die Jugendämter ja gemäß § 42 Sozialgesetzbuch VIII überhaupt tätig werden.
epd: Aber nicht nur wegen Corona tun sich die Ämter oft schwer, ihre Aufträge zu erfüllen...
Schutter: Ja, sie funktionieren seit langem an ihren Kapazitätsgrenzen und sind alles andere als krisenfest. Hier muss dringend nachgesteuert werden. Was die ukrainischen Flüchtlingskinder angeht, sind die meisten Kinder nicht alleine unterwegs, sondern kommen mit ihren Müttern oder anderen nahen Verwandten hier in Deutschland an, sie haben somit eine enge Bezugsperson. Familiäre Bezugspersonen sind sehr wichtig, um sich in einer Krisensituation gegenseitig Halt zu geben. Deshalb sollten Geschwister, Familien und zusammenreisende Gruppen so gut es geht zusammenbleiben können. Es hat niemand etwas davon, ein Kind, das mit dem Nachbarn oder einem Freund der Eltern ankommt, von der Begleitperson zu trennen und in Obhut zu nehmen. Damit, so ist mein Eindruck, versuchen alle Beteiligten möglichst pragmatisch umzugehen.
epd: Der Kinderschutz wird also dabei stets beachtet?
Schutter: Das ist ein gutes Stichwort. Die Gefahr ist natürlich groß, dass im Ankunftschaos an den Grenzen oder auf den Bahnhöfen Fremde Kinder an die Hand nehmen und sich als Freunde oder Verwandte ausgeben. Da muss man sehr vorsichtig sein. Wir haben schon früh gefordert, dass unabhängig davon, ob die Kinder mit oder ohne Begleitung nach Deutschland kommen, die Jugendämter von Anfang an informiert und eingebunden sein müssen. Wir schlagen auch vor, dass Kinderschutzbeauftragte an allen Grenzübergängen sowie bei der Aufnahme, Erstversorgung und Weiterreise mit einbezogen werden. Denn nur so kann gewährleistet werden, dass Kinder nicht dem Risiko des Menschenhandels ausgesetzt werden und angemessen unterstützt werden können.
epd: Was genau geschieht, wenn ein Kind oder ein Jugendlicher aus einem Zug in Deutschland steigt?
Schutter: Dann greift ein genormtes Verfahren, dessen Ablauf formal betrachtet eigentlich immer gleich sein sollte. Gehen wir also mal davon aus, dass auch Fachleute der Jugendhilfeträger da sind und sich der Neuankömmlinge sofort annehmen können. Dann entscheiden die Platzkapazitäten vor Ort, ob die Betroffenen in eine entsprechende Unterkunft kommen, also entweder in eine Clearingstelle oder eben direkt in eine Einrichtung der Jugendhilfe als kindgerechte Unterkunft. Alleinstehende Kinder kommen nicht in Sammelunterkünften unter. Möglichweise werden die Mädchen und Jungen dann später noch mal in eine andere Einrichtung gebracht, etwa aus Platzgründen oder weil es aus familiären, pädagogischen oder therapeutischen Gründen nötig ist. Wichtig ist, dass das immer kindgerecht erfolgt und die Mädchen und Jungen bei den Entscheidungen auch beteiligt werden.
epd: Welche Rolle spielen hier private Aufnahmeangebote?
Schutter: Kinder und Jugendliche, die allein ankommen, werden nie an engagierte Bürgerinnen und Bürger gegeben, das verbietet der Jugendschutz ganz grundsätzlich. Trotz der Wertschätzung für dieses tolle Engagement kann man kein minderjähriges Kind irgendeinem Fremden anvertrauen. Wichtig ist auch, dass keine Kinder verloren gehen, wie das 2015 noch der Fall war. Hier haben wir dazugelernt. Wie gesagt, die frühzeitige Einbindung des Jugendamtes von Anfang an halten wir in diesen Fällen für essentiell.
epd: Was muss dann passieren, wenn das Kind in Obhut genommen ist?
Schutter: Dann fängt die Arbeit erst richtig an. Es gibt jetzt im Vergleich zu 2015, wo die meisten Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan kamen, für ältere Kinder zwei Möglichkeiten der schulischen Angebote. Zum einen den deutschen Regelunterricht oder auch rein ukrainische Vorschulklassen. Viele der Kinder haben aber auch die Möglichkeit, online am Unterricht ihrer Heimatschule in der Ukraine teilzunehmen. Und dazu besteht offenbar auch oft der Wunsch.
epd: Das hinzubekommen, ist sicher eine Herausforderung ...
Schutter: Ja, denn die Lage ist schwierig, man muss hier passgenaue, individuelle Angebote finden. Da gibt es keine One-fits-all-Lösung. Wir müssen neben deutschen Angeboten, die Möglichkeit schaffen, weiter ukrainischen Unterricht zu bekommen, auch, weil man ja damit rechnen muss, dass die Familien wieder in ihre Heimat zurückkehren und die Kinder dann dort erhebliche Probleme hätten, ihre Abschlüsse zu schaffen. Es wäre falsch, die Anbindung an das Herkunftsland komplett zu kappen, das haben wir aus der Vergangenheit gelernt.
epd: Kleine Kinder sollten schnell einen Kita-Platz bekommen, auch, damit die Mütter arbeiten können. Doch das dürfte oft schwierig sein ...
Schutter: Das stimmt vermutlich. Aber auch hier muss man versuchen, die Platzkapazitäten vorübergehend zu erhöhen. Dann hat man eben mal befristet nicht den passenden Fachkräfteschlüssel, aber ich denke, das ließe sich bewerkstelligen in dieser besonderen Situation. Da würden die deutschen Eltern sicher mitgehen und auch die Kita-Träger.
epd: Und wie sieht die psychosoziale Unterstützung aus?
Schutter: Das ist Sache der weiteren Hilfesysteme, die auch psychosoziale Unterstützung und Traumabewältigung bieten. Die sozialen Leistungen stehen zur Verfügung, wenn die Inobhutnahme erfolgt ist. Das sind die nächsten Schritte, die gegangen werden müssen. Doch es kann eine ganze Weile dauern, bis sich das Päckchen, das ein Kind aus dem Krieg mitbringt, entfaltet. Kinder können eine ganz Zeitlang gut funktionierend wirken, doch dann kommt doch noch eine Traumatisierung zum Vorschein.
epd: Was wäre organisatorisch besser zu machen, falls noch viele Familien kommen?
Schutter: Ich bin dafür, das Ganze zentraler zu steuern. Die Bundesregierung will das ja auch tun. Davon kann man ganz grundsätzlich bei der Aufnahme und Verteilung der Menschen profitieren. Das sauber zu regeln ist ja kein Schaden, auch wenn dann weniger Flüchtlinge kommen. Was die Verteilung der Heim- und Waisenkinder angeht, haben wir mit der SOS-Meldestelle als zentrale Koordinierungsstelle nun eine wichtige Einheit geschaffen, die das erleichtern wird und zeitgleich den Kinderschutz für diese Gruppen durch die Vermittlung von kindgerechter gemeinsamer Unterkunft sicherstellt.
Berlin (epd). Unter den ukrainischen Kriegsflüchtlingen ist nach Einschätzung der Diakonie-Expertin Heike Prestin ein hoher Anteil an pflegebedürftigen Menschen. „Es kommen ganze Gruppen von Menschen mit Behinderung und viele Senioren an“, sagte die Referatsleiterin für Altenhilfe, Pflege und Hospiz der Diakonie Deutschland dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Berlin. Prestin forderte, die Unterbringung der Menschen sicherzustellen. Dazu benötige es auch Plätze in Alten- und Pflegeheimen.
Die diakonischen Landesverbände, Träger und Einrichtungen arbeiteten aktuell daran, ausreichend Heimplätze bereitzustellen. Die Nachfrage nach Heimplätzen sei während der Corona-Pandemie zwar gesunken, es gebe in der Regel aber mehr pflegebedürftige Menschen, die einen Heimplatz suchten, als zur Verfügung stehende Plätze. „Es wird in den Einrichtungen versucht, vieles möglich zu machen“, sagte Prestin. Momentan zögen einige Einrichtungen etwa ukrainische Kriegsflüchtlinge vor, statt den nächsten Kandidaten von der Warteliste anzurufen.
Doch sie stießen auch an Grenzen, fügte die 45-Jährige hinzu. Alten- und Pflegeheime seien gesetzlich an Personalschlüssel gebunden, die Zahl der Bewohnerinnen und Bewohner müsse also in einer zulässigen Relation zur Zahl der beschäftigten Pflegekräfte stehen. Auch dürften Angehörige nicht in den Heimen übernachten, was sich viele Ukrainer für den Übergang wünschten. Die Diakonie sei deshalb aktuell mit den zuständigen Bundesministerien im Gespräch und fordere, die Regeln für einen bestimmten Zeitraum zu lockern.
Die Pflege-Expertin drang außerdem darauf, die ukrainischen Flüchtlinge in die Gesundheits- und Pflegeversicherung aufzunehmen, um auch die Unterbringung der Pflegebedürftigen in den Heimen langfristig sicherzustellen. Die Bundesregierung habe hierzu positive Signale gegeben, fügte Prestin hinzu. Momentan finanziere die Diakonie die Unterbringung der Kriegsflüchtlinge in den Heimen mit Geldern der Diakonie Katastrophenhilfe, der diakonischen Landesverbände und durch Spenden.
Probleme bei der Integration der pflegebedürftigen Ukrainer in den Heimen sieht Prestin nicht. „Wir haben in fast allen Einrichtungen inzwischen einen derartigen Mix an Nationalitäten, dass mangelnde Deutschkenntnisse eher kein Problem sind“, sagte sie. Viele Pflegekräfte in Deutschland stammten aus Osteuropa und sprächen Russisch.
Berlin (epd). Mehrere Fachverbände für Menschen mit Behinderung mahnen eine bessere Unterstützung von Ukraine-Flüchtlingen mit Beeinträchtigung an. Sie fordern den raschen Zugang zu Leistungen der Eingliederungshilfe für die Betroffenen, „um schnell und unbürokratisch die notwendige Unterstützung sicherzustellen“, wie es in einer Mitteilung vom 5. April heißt.
Hierfür sei es dringend erforderlich, den Paragrafen 100 Abs. 2 SGB IX aufzuheben. Nach dieser Vorschrift haben Menschen, die leistungsberechtigt nach dem Asylbewerberleistungsgesetz sind, keinen Anspruch auf die für Menschen mit Behinderung notwendigen Leistungen der Eingliederungshilfe. „Das bedeutet: Geflüchtete Menschen könnten nicht von den Diensten und Einrichtungen der Behindertenhilfe unterstützt werden, auch wenn sie die Hilfe dringend benötigen“, so die Verbände.
Zwar bewilligten schon jetzt manche Träger der Eingliederungshilfe Leistungen nach einer Ausnahmeregelung im Asylbewerberleistungsgesetz, § 6 Abs. 2. Von dieser Regelung machten aber bei weitem nicht alle Leistungsträger Gebrauch, obwohl sich auch das Bundesarbeitsministerium dafür ausgesprochen hat, wegen des Krieges geflüchteten Menschen mit Behinderung die erforderliche Eingliederungshilfe nach dieser Regelung zukommen zu lassen.
Frank Stefan, Vorsitzender des Bundesverbandes evangelische Behindertenhilfe e.V. (BeB), forderte im Namen der Fachverbände, dass die Leistungsträger die notwendigen Leistungen schnell und unbürokratisch bundesweit und -einheitlich bewilligen. Zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung für die Flüchtlinge regen die Fachverbände zudem an, dass die Landesregierungen flächendeckende Vereinbarungen mit den Krankenkassen gemäß § 264 Abs. 1 SGB V treffen.
Es gelte, umgehend zu handeln. „Die Öffnung der Zugänge zu Schulen, Ausbildungen und Angeboten der sozialen Teilhabe sowie der Teilhabe am Arbeitsleben bietet Unterstützung bei der Stabilisierung, öffnet Perspektiven und kann helfen, die traumatischen Erlebnisse zu verarbeiten.“
Die fünf Fachverbände für Menschen mit Behinderung repräsentieren nach eigenen Angaben rund 90 Prozent der Dienste und Einrichtungen für Menschen mit geistiger, seelischer, körperlicher oder mehrfacher Behinderung in Deutschland.
Osnabrück (epd). Helen Schwenken macht aber zugleich auch deutlich, dass es sehr wohl noch politischen Nachholbedarf bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise gibt. Für private Wohnraumanbieter mahnt die Expertin klare Regeln und unabhängige Anlaufstellen an. Und: Langfristig bräuchten die Geflüchteten psychologische Hilfen und einen Austausch mit anderen Migranten, um Konflikte zu vermeiden. Das Interview führt Martina Schwager.
epd sozial: Hilfsorganisationen und Kommunen mahnen derzeit Privatleute, sich gut zu überlegen, ob sie privaten Wohnraum für Geflüchtete zur Verfügung stellen wollen, gerade wenn es sich nur um einzelne Zimmer oder Betten handelt. Wie sehen Sie das?
Helen Schwenken: Werden Geflüchtete bei völlig fremden Privatpersonen auf engem Raum untergebracht, kann es tatsächlich Probleme geben. Manchmal werden die Gäste auch zu sehr bevormundet. Für private Unterkünfte sollten klar kommunizierte Regeln gelten. Die Daten der Unterkunft Gebenden müssen erfasst werden. Beide Seiten müssen sich bei Problemen an eine unabhängige Stelle wenden können. Menschen, die spontan Hilfe leisten wollen, sollten immer professionell begleitet werden. Das können auch Ehrenamtliche machen, die viel Vorerfahrung aus der Flüchtlingsunterstützung 2015/16 haben.
epd: Was brauchen die Geflüchteten noch an Hilfen?
Schwenken: Sie werden langfristig psychologische Unterstützung brauchen. Der emotionale Zusammenbruch kommt häufig erst nach einer Weile. Zudem wird sich erst im Laufe der Zeit klären, wie die Situation in den jeweiligen Heimatregionen ist, wie und wo Verwandte sich aufhalten und wie es ihnen geht - und bei vielen leider auch, ob die Partner oder Väter noch leben.
epd: Wie beurteilen Sie das Angebot professioneller Sprachkurse - gibt es genügend davon? Sollte es auch wieder Ehrenamts-Initiativen geben?
Schwenken: Für den Anfang sind ehrenamtliche Angebote als Einstieg oder Ergänzung wichtig und sinnvoll. Sehr oft ist der ehrenamtliche Unterricht auch professionell. So beginnen pensionierte Lehrerinnen und Lehrer, sich wieder kräftig zu engagieren. In meiner Forschung habe ich das gerade erleben dürfen. In einer der Städte, deren Willkommenskultur wir seit 2015 untersuchen, wird der Sprachkurs reaktiviert, der seit 2015 lief und mit Corona eingeschlafen war.
epd: Wie sollen die Schulen mit den zusätzlichen Kindern umgehen?
Schwenken: Das ist eine große Zusatzanstrengung - und zugleich sind viele Schulen und Eltern unglaublich engagiert. Die Schulen haben seit 2015 viel gelernt, und es gibt wissenschaftliche Studien zu den unterschiedlichen Modellen in den Bundesländern. Ein Ergebnis ist, dass eine zu lange Trennung in Willkommensklassen sich nicht gut auf die soziale Integration der Kinder und Jugendlichen auswirkt. Am besten sind Mischmodelle, in denen die Kinder intensiven Sprachunterricht erhalten, aber trotzdem am Unterricht mit Gleichaltrigen teilnehmen können.
epd: Vereinzelt begegnen sich Zuwanderer untereinander mit Ressentiments. Manche der 2015 und 2016 Geflüchteten fühlen sich jetzt wie Migranten zweiter Klasse. Wie kann da gegengesteuert werden?
Schwenken: Es ist wichtig, dass ein Austausch organisiert wird. Denn auch die Situation der Ukrainerinnen und Ukrainer ist alles andere als sicher. Sie sind zwar erstmal legal hier und müssen keinen Asylantrag stellen. Sie erhalten auch Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Aber sie sind in großer Sorge um ihre Partner und Väter, die die Ukraine nicht verlassen dürfen. Um Konflikte zu vermeiden, sollten beide Gruppen die Situation der jeweils anderen kennenlernen.
Boppard (epd). Die Frauenhilfsorganisation Solwodi hat vor der Gefahr der Ausbeutung geflüchteter Ukrainerinnen gewarnt. „Wir rechnen damit, dass in den kommenden Monaten deutlich mehr Frauen aus der Ukraine Unterstützung bei uns suchen werden“, sagte die Solwodi-Vorsitzende Maria Decker dem Evangelischen Pressedienst (epd). Es sei zu befürchten, dass die Zwangslage von geflüchteten Frauen vereinzelt ausgenutzt werde, um diese in die Prostitution zu drängen oder sie als unbezahlte Arbeitskräfte in Privathaushalten auszunutzen.
„Wir wissen, dass dubiose Gestalten an Ankunftsbahnhöfen nach jungen, hübschen Ukrainerinnen fragen“, sagte Decker. In einschlägigen Freier-Foren in den Sozialen Medien seien bereits übelste sexistische Posts zu finden, dass man sich auf „Frischfleisch“ aus der Ukraine freue. „Da ist eine Erwartungshaltung, und die Betreiber der Prostitutionsstätten werden versuchen, diese zu bedienen“, befürchtet Decker.
Solwodi mit Hauptsitz in Koblenz berät in seinen bundesweit 19 Fachberatungsstellen und sieben Schutzeinrichtungen Frauen mit Flüchtlings- oder Migrationshintergrund, die in Deutschland Opfer von Menschenhandel, Prostitution oder Gewalt geworden sind. Unter den jährlich rund 2.000 von Solwodi betreuten Frauen stammten nach Angaben der Organisation vor Kriegsbeginn 20 bis 30 aus der Ukraine.
In den vergangenen Wochen hätten bereits geflüchtete Ukrainerinnen Hilfe bei der Anmeldung und Behördengängen gesucht, berichtete Decker. Bis erste Fälle von Ausbeutung die Beratungsstellen erreichten, werde es einige Monate dauern. „Wir fürchten, dass traumatisierte, geflüchtete Frauen vielleicht zunächst gar nicht erkennen, dass sie in eine neue Gewaltsituation kommen.“ Das gelte auch in Privathaushalten, wo in Einzelfällen geflüchtete Ukrainerinnen im Gegenzug für eine Unterkunft als kostenlose Pflege- und Haushaltskräfte ausgenutzt werden könnten.
Solwodi versuche, die Frauen derzeit mit Flyern in ukrainischer Sprache vor den Gefahren zu warnen, die an den Ankunftsknotenpunkten verteilt würden, sagte Decker. Zusätzlich sei es aber notwendig, dass private Helfer, die den Transport von geflüchteten Frauen übernähmen, registriert würden. Der Großteil der Hilfsangebote sei ehrlich, beobachtet Decker. Doch es müssten größere Anstrengungen unternommen werden, um die wenigen schwarzen Schafe herauszufiltern. „Das müsste von staatlicher Stelle organisiert werden“, forderte Decker. Wichtig sei es auch, dass die Öffentlichkeit sensibilisiert sei und Verdachtsfälle an die Polizei oder aber an Hilfsorganisationen wie Solwodi melde.
Berlin (epd). Im vergangenen Jahr sind die Fallzahlen in den deutschen Krankenhäusern einer Studie zufolge ähnlich stark zurückgegangen wie im Jahr 2020, dem ersten Jahr der Corona-Pandemie. Bei Krankheiten mit körperlichen Symptomen gab es 2021 einen Rückgang von 14 Prozent gegenüber dem Vorpandemiejahr 2019, wie das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) am 5. April in Berlin mitteilte. 2020 hatte das Minus bei den Patientenzahlen 13 Prozent betragen. Die Einbrüche bei den Behandlungen sind laut WldO-Geschäftsführer Jürgen Klauber teilweise bedenklich. Die AOK-Vorstandsvorsitzende Carola Reimann forderte effizientere Krankenhausstrukturen.
„Ein erster, ganz aktueller Blick auf die Omikron-Welle zeigt, dass sich die Fallzahl-Einbrüche auch in diesem Jahr fortsetzen. So waren im Januar und Februar 2022 gegenüber 2019 Rückgänge von 22 Prozent bei den somatischen und von 14 Prozent bei den psychiatrischen Fällen zu verzeichnen“, berichtete Geschäftsführer Klauber. Als Hauptgrund für die aktuellen Einbrüche nannte Klauber die hohen Corona-Infektionszahlen, die zu deutlichen Personalengpässen in den Krankenhäusern und in der Folge zur Absage von Behandlungen und Operationen führten.
Anlass zur Sorge gäben die Entwicklungen im Bereich der Notfallversorgung: Beim Herzinfarkt wurden 2021 neun Prozent weniger stationäre Behandlungen registriert als 2019 - nach minus sieben Prozent im Jahr 2020. Die Zahl der Schlaganfall-Behandlungen lag 2021 um sieben Prozent niedriger als im Vergleichsjahr 2019 (2020: minus fünf Prozent). Außerdem seien in den Krankenhäusern pandemiebedingt deutlich weniger Darmspiegelungen gemacht worden. „Hier steht die Befürchtung im Raum, dass fehlende Diagnostik und spätere Behandlung zu mehr schweren Krebserkrankungen, höheren Tumorstadien bei der Erstdiagnostik und einer Erhöhung der Sterblichkeit führen“, sagte Klauber.
Einen starken Rückgang in den Kliniken stellte das WIdO außerdem bei planbaren Operationen fest, die auch ambulant vorgenommen werden könnten. „Insofern gab es im Zuge der Pandemie offenbar auch einen Abbau von Überversorgung“, unterstrich Klauber. Eine vollständige Rückkehr zum Fallzahl-Niveau vor der Pandemie sei nicht sinnvoll.
Bei der Versorgung der stationär behandelten Patientinnen und Patienten mit Covid-19 zeigte sich in den AOK-Daten eine Konzentration auf Universitätskliniken und Krankenhäuser der Maximalversorgung: Ein Viertel der Kliniken hat danach knapp zwei Drittel (62 Prozent) aller stationären Covid-19-Fälle behandelt.
Die AOK-Vorsitzende Reimann sagte, die Erfahrungen in der Pandemie hätten gezeigt, „dass in der Krankenhaus-Versorgung mehr Spezialisierung von Kliniken und eine Konzentration von Leistungen notwendig sind“. Es gebe zu viele Klinikstandorte. Sie forderte deshalb die Bundesregierung auf, die von ihr angekündigte Struktur- und Finanzreform im Krankenhausbereich für einen Umbau der Versorgungsstrukturen zu nutzen. In Deutschland könnten wesentlich mehr Krankenhausfälle ambulant versorgt werden als bisher, so Reimann.
Die Analyse der Krankenhausdaten von insgesamt rund 230.000 AOK-versicherten Covid-19-Erkrankten zeigt im bisherigen Verlauf der Corona-Pandemie eine Sterblichkeit der stationär behandelten Patientinnen und Patienten von 19 Prozent. Bei den Beatmeten liegt sie sogar bei 51 Prozent. Besonders hoch ist die Sterblichkeit in der Altersgruppe der über 80-Jährigen mit 76 Prozent.
Berlin (epd). Das von der Bundesregierung beschlossene Stufenmodell zur künftigen Teilung von CO2-Kosten in Wohngebäuden ruft gemischte Reaktionen hervor. Während sich die Diakonie sowie die Deutschen Energie-Agentur (dena) am 5. April erfreut über die Kostenteilung zwischen Mietern und Vermietern zeigen, üben unter anderem die Deutsche Umwelthilfe (DUH) und der Deutsche Mieterbund (DMB) Kritik an dem Modell. „Mieterinnen und Mieter müssen sich sogar noch in den schlechtesten Gebäudeklassen am CO2-Preis beteiligen. Das geht vollkommen am Problem vorbei“, kritisierte Barbara Metz, Bundesgeschäftsführerin der DUH. Die Kosten müssten vollständig auf die Vermieterinnen und Vermieter umgelegt werden, fordert sie.
Das Stufenmodell sieht eine zielgenaue Berechnung eines Anteils der CO2-Kosten von Mietern und Vermietern vor und orientiert sich dabei an der Energiebilanz des jeweiligen Wohngebäudes. Je schlechter die Bilanz des Gebäudes ausfällt, desto höher ist der zu zahlende Anteil des Vermieters. Ziel des Modells ist, einen Anreiz für eine energetische Sanierung zu schaffen und gleichzeitig den Energieverbrauch zu senken.
Der Diakonie-Experte Michael David begrüßt das Stufenmodell der Bundesregierung. „Es ist eine große Innovation, dass Vermieter bei der Bezahlung der Energiekosten ins Boot geholt werden“, sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd). Es sei richtig, die wachsenden Kosten für Mieterinnen und Mieter auszugleichen und diese somit zu entlasten.
Aus der Beratungspraxis wisse er, dass gerade Menschen mit geringem Einkommen oft in sehr schlechtem Wohnraum wohnten und deswegen sehr hohe Energiekosten tragen müssten: „Sie trifft jede Energiepreissteigerung sehr stark“, sagte David.
Weil das Modell erst ab 2023 greife, bürde die Bundesregierung mit ihrem Beschluss insbesondere denen, die in schlecht sanierten Gebäuden wohnen und wenig an ihrem Verbrauch ändern können, weiter Kosten auf, kritisierte der DMB-Präsident Lukas Siebenkotten. Dies seien häufig Menschen, die wenig Geld zur Verfügung hätten. „Die Mieterinnen und Mieter dort allein zu lassen, ist nicht nachvollziehbar“, sagte Siebenkotten. Der Beschluss zeuge von wenig Fingerspitzengefühl der Bundesregierung.
Genauso wie der Diakonie-Experte David äußerte sich hingegen auch der Vorsitzende der dena, Andreas Kuhlmann, mit Blick auf das beschlossene Modell positiv: „Die nun gefundene Regelung wird den Herausforderungen im Gebäudebereich gerecht und schafft eine faire Lastenteilung zwischen Mietern und Vermietern.“ Vor dem Hintergrund der aktuellen Energiepreisentwicklung leiste es einen wichtigen Beitrag zur sozialen Akzeptanz von Klimaschutzmaßnahmen.
Das Modell sei keine faire Lösung, kritisierte der Präsident der Vermieterverbundes Haus & Grund, Kai Warnecke. „Statt der Aufteilung sollte ein Pro-Kopf-Klimageld aus den Einnahmen der CO2-Bepreisung finanziert werden“, forderte er. Einkommensschwache Mieter und Selbstnutzer würden so am effektivsten entlastet und der CO2-Preis könnte seine volle Wirkung entfalten.
Berlin (epd). Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) will die Mitbestimmungsrechte der rund 1,2 Millionen Beschäftigten in kirchlichen Einrichtungen stärken. Der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann sagte am 6. April in Berlin, auch in den Kirchen und ihren Sozialbetrieben sollten ähnliche Arbeitnehmerrechte gelten wie für Betriebe der freien Wirtschaft. Das sehe ein vom DBG erarbeiteter Gesetzentwurf des Betriebsverfassungsgesetzes vor.
Derzeit seien Religionsgemeinschaften weitgehend vom Betriebsverfassungsgesetz ausgenommen. Das betreffe auch Bereiche, in denen sie als „normale“ Arbeitgeber wirken, etwa bei den konfessionellen Betrieben von Caritas und Diakonie, erklärte Hoffmann. Die Einschränkungen bei der Mitbestimmung in sogenannten Tendenzbetrieben dürfe es in der bisherigen Form nicht mehr geben. Für verkündigungsnahe Tätigkeiten sollten allerdings weiterhin Ausnahmen gelten.
Der DGB sieht hier die Bundesregierung in der Pflicht. Diese kündigt im Koalitionsvertrag an, dass sie prüfen werde, „inwiefern das kirchliche Arbeitsrecht dem staatlichen Arbeitsrecht angeglichen werden kann“.
Chemnitz (epd). Träger der Eingliederungshilfe dürfen die Vereinbarung über ein Persönliches Budget für einen behinderten Menschen wegen nicht gemeldeter Krankenhausaufenthalte nicht fristlos kündigen. Regelmäßig ist bei einer Pflichtverletzung erst einmal eine Abmahnung erforderlich, entschied das Sächsische Landessozialgericht (LSG) in Chemnitz in einem am 5. April veröffentlichten Beschluss. Das Gericht stellte die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs gegen einen Bescheid über die Rücknahme für ein Persönliches Budget wieder her.
Im konkreten Fall ging es um eine 1997 geborene, stark behinderte Frau mit einer sogenannten spastischen Zerebralparese, die auf eine Hirnschädigung zurückging. Sie war unfähig, ihre Arme und Beine kontrolliert zu bewegen. Die mit einem Grad von 100 schwerbehinderte Frau steht zudem unter Betreuung. Seit dem 1. Oktober 2017 erhielt sie Eingliederungsleistungen in Form eines Persönliches Budgets bewilligt. Es sollte ihr ein möglichst selbstbestimmtes Leben ermöglichen, mit dem sie den gesamten Pflege- und Assistenzbedarf selbst finanzieren kann.
Als die junge Frau in eine eigene Wohnung umzog, beantragte sie ab 1. August 2019 ein Persönliches Budget für eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung. Nach Abzug des Pflegegeldes wurden ihr monatlich knapp 22.000 Euro zur Finanzierung der Assistenzkräfte gewährt. In einer Zielvereinbarung wurde festgelegt, dass das Budget nur für diesen Zweck verwendet werden darf.
Als die Betreuerin der Frau in einem Schreiben mit dem Sozialhilfeträger erwähnte, dass sich die Betreute mehrmals jeweils für einige Tage im Krankenhaus aufgehalten hatte, hakte die Behörde nach. Dabei wurde festgestellt, dass die behinderte Frau auch während der Klinikaufenthalte das Persönliche Budget zur Finanzierung der Assistenzkräfte erhalten hatte.
Im Krankenhaus sei aber keine Assistenz erforderlich. Weil die Frau die stationären Klinikaufenthalte nicht gemeldet hatte, habe sie das Budget zu Unrecht erhalten. Wegen ihrer mangelnden „Budget- und Absprachefähigkeit“ kündigte der Sozialhilfeträger die Vereinbarung fristlos. Sie könne sich ja vor Ort einen vertragsgebundenen Assistenz- und Pflegedienst vor Ort suchen, der ihr die benötigte Unterstützung als Sachleistung bietet.
Den Widerspruch der Frau wies die Behörde zurück. Der Bescheid über die Rücknahme des Persönlichen Budgets sollte zudem sofort gelten. Der von der behinderten Frau gestellte Antrag auf aufschiebende Wirkung hatte jetzt vor dem LSG Erfolg. Für die Zulässigkeit einer fristlosen Kündigung eines Persönlichen Budgets gelten hohe Hürden, so die Chemnitzer Richter.
Zulässig könne die fristlose Kündigung sein, wenn die Hilfeleistung aufgrund „arglistiger Täuschung, Drohung oder Bestechung“ erwirkt wurde. Auch wenn vorsätzlich oder grob fahrlässig Angaben bei der Antragstellung gemacht wurden oder wenn „die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt“ wurde, könne das die fristlose Kündigung der Vereinbarung begründen.
Der Verstoß gegen die getroffene Vereinbarung zum Erhalt des Persönlichen Budgets müsse „erheblich“ sein oder es müsse bereits eine Abmahnung wegen eines anderen Verstoßes vorliegen. „Erheblich“ sei ein Verstoß, wenn „ein schwerer Nachteil für das Gemeinwohl“ vorliegt, so dass dem Staat „unzumutbare Lasten“ auferlegt würden, so das LSG.
Hier habe die behinderte Frau zwar wegen der unterbliebenen Meldung ihrer Klinikaufenthalte gegen ihre Pflichten verstoßen. Der Eingliederungshilfeträger hätte das aber erst einmal abmahnen müssen. Aus einer Ende 2020 getroffenen neuen Zielvereinbarung ergebe sich zudem, dass der Behörde sogar ein Klinikaufenthalt bekannt gewesen war, ohne dass sie darauf reagiert hatte - was zeige, dass der Behörde die unterbliebene Meldung nicht so wichtig war. Sie müsse daher bis zur Entscheidung im Hauptverfahren abwarten, ob die fristlose Kündigung der Vereinbarung über das Persönliche Budget zulässig war.
Neben den hohen Hürden für die Rücknahme eines Persönlichen Budgets dürfen Behörden die Hilfeleistung auch nicht nur befristet gewähren. Wie das Bundessozialgericht (BSG) bereits am 28. Januar 2021 urteilte, fehlt es hierfür an einer gesetzlichen Grundlage. Damit müssen Betroffene nicht immer wieder neu einen Antrag auf ein Persönliches Budget stellen. Eine alle zwei Jahre durchgeführte Prüfung, ob der behinderungsbedingte Mehrbedarf noch besteht, sei aber zulässig.
Führt ein behinderter Mensch mit dem Eingliederungshilfeträger einen Rechtsstreit über die Höhe des Persönlichen Budgets, darf die Behörde auch nicht einfach den Geldhahn zudrehen. Sind Betroffene auf das Geld zur Bezahlung von Löhnen und Sozialabgaben für die angestellten Hilfs- und Assistenzkräfte angewiesen, ist das Grund genug für die vorläufige Erhöhung des Persönlichen Budgets, entschied zudem das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 12. September 2016.
Az.: L 8 SO 2/22 B ER (LSG Chemnitz)
Az.: B 8 SO 9/19 R (Bundessozialgericht Befristung Persönliches Budget)
Az.: 1 BvR 1630/16 (Bundesverfassungsgericht)
Kassel (epd). Das Essen während einer schulischen Abschlussfeier steht in der Regel nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Verschluckt sich ein behinderter Schüler einer Förderschule an einem Mozzarellastück so stark, dass er einen Atemwegsverschluss erleidet und ins Wachkoma fällt, ist der in der Schule aufgetretene Unfall nicht als „Arbeitsunfall“ zu werten, wie das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel am 31. März urteilte.
Der körperbehinderte und auf einen Rollstuhl angewiesene Kläger litt seit seiner Kindheit an einer Kehlkopfveränderung. Diese hatte zur Folge, dass häufig Speisen und Getränke in die Atemwege eindrangen und mitunter aus der Luftröhre entfernt werden mussten. Den ärztlichen Rat, Speisen nur püriert zu sich zu nehmen, lehnte er wegen der damit verbundenen Einschränkung seiner Lebensqualität ab.
Als er seinen Hauptschulabschluss an der von ihm besuchten Förderschule mit angeschlossenem Internat in Niedersachsen erlangte, wurde dies für die Schüler mit einer Abschlussfeier am 8. Juli honoriert. Die Schule stellte auch ein Buffet bereit. Eine Sozialpädagogin sollte auf Wunsch des damals 19-jährigen Klägers ein Stück Mozzarella klein schneiden und ihm reichen.
Doch das Käsestück geriet in die Luftröhre. Es kam zum Atemwegsverschluss und anschließenden Hirnschaden. Seitdem befindet sich der Kläger im Wachkoma. Die Schülerunfallversicherung, die Unfallkasse Hessen, lehnte die Anerkennung als Arbeitsunfall ab. Die Nahrungsaufnahme sei rein privatwirtschaftlich und damit nicht versichert gewesen. Der Anwalt des behinderten Klägers verwies dagegen darauf, dass es sich um eine schulische Veranstaltung gehandelt habe. Das Essen sei ihm von einer Schulkraft als „Dienstleistung“ gereicht worden.
Doch die Klagte hatte vor dem BSG keinen Erfolg. Es liege kein versicherter Arbeitsunfall vor. Zwar habe sich der behinderte Kläger im organisatorischen Verantwortungsbereich der Schule befunden. Aber weder lag die Ursache des Unfalls in dem gemeinsamen schulischen Essen, noch in der Entgegennahme des mundgerecht geschnittenen Mozzarella-Stücks. Der Unfall beruhte vielmehr auf einem „unwillkürlichen Reflex“ beim Schlucken, der nicht der versicherten Tätigkeit als Schüler zugerechnet werden könne.
Az.: B 2 U 5/20 R
Kassel (epd). Auch ein eintägiges „Kennenlern-Praktikum“ einer Arbeitsplatzbewerberin kann unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stehen. Voraussetzung hierfür ist aber, dass der Unfallversicherungsträger in seiner Satzung den Unfallschutz so auch vorsieht, wie am 31. März das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel urteilte.
Im konkreten Fall hatte eine arbeitsuchende Frau aus Augsburg sich auf eigene Initiative als IT-Administratorin/Operatorin in einem Unternehmen beworben. Damit sich Arbeitgeber und Stellenbewerberin einen Eindruck voneinander verschaffen können, wurde ein unentgeltliches eintägiges „Kennenlern-Praktikum“ vereinbart.
Dabei hatte die Frau nicht nur Gelegenheit, sich mit der IT-Abteilung der Firma auszutauschen, sie nahm auch an einer Betriebsführung inklusive Besichtigung des Hochregallagers teil. Dabei stürzte sie und brach sich den rechten Oberarm. Von der Berufsgenossenschaft (BG) Holz und Metall wollte sie den Sturz als Arbeitsunfall anerkannt haben.
Die BG lehnte ab. Das „Kennenlern-Praktikum“ sei kein Beschäftigungsverhältnis gewesen. Die Frau sei in dem eintägigen Praktikum auch nicht wie eine Beschäftigte anzusehen gewesen („Wie-Beschäftigung“), so dass sich daraus auch kein Unfallschutz ergebe.
Das BSG stellte fest, dass der Sturz als versicherter Arbeitsunfall anzusehen sei. Allerdings habe wegen eines fehlenden Gehalts kein versichertes Arbeitsverhältnis vorgelegen. Auch eine versicherte sogenannte „Wie-Beschäftigung“ habe nicht bestanden, da die Klägerin während ihres Praktikums für den Arbeitgeber nichts von wirtschaftlichem Wert geschaffen habe.
Allerdings habe die Satzung der BG vorgesehen, dass für „Betriebsbesichtigungen“ Unfallschutz gewährt werde. Hier habe die Frau den Sturz bei einer Besichtigung erlitten. Für den sich aus der Satzung ergebenen Versicherungsschutz komme es auf die letzte Tätigkeit vor dem Unfall an und nicht, ob das Praktikum nur dem Kennenlernen diente.
Nach Angaben der BG haben nicht alle Unfallversicherungsträger den Versicherungsschutz für Betriebsbesichtigungen vorgesehen. Generell gilt, dass Arbeitsuchende dann unter Unfallversicherungsschutz stehen, wenn die Arbeitsagentur sie zum Praktikum oder zur Vorstellung beim Arbeitgeber aufgefordert hat. Im Streitfall hatte sich die Klägerin jedoch auf eigene Initiative beworben, so dass sich daraus kein Versicherungsschutz ergeben hatte.
Az.: B 2 U 13/20 R
München (epd). Unverheiratete Eltern können nicht generell die Kinderfreibeträge eines Elternteils auf den anderen übertragen lassen. Wohnen sie noch zusammen und versorgen gemeinsam die Kinder, ist die Übertragung der Kinderfreibeträge bei ihnen nicht möglich, auch wenn ein Partner nur wenig verdient, entschied der Bundesfinanzhof (BFH) in München in einem am 31. März veröffentlichten Urteil.
Nach dem Gesetz können Eltern für ihr Kind entweder Kindergeld oder einen Kinderfreibetrag erhalten, um die Einkommensteuer zu senken. Der Freibetrag lohnt sich indes nur für Eltern mit höherem Einkommen. Im Jahr 2021 betrug der Kinderfreibetrag 5.460 Euro im Jahr. Dieser steht jedem Elternteil normalerweise zur Hälfte zu. Wenn ein Elternteil seinen Unterhaltspflichten nicht nachkommt, können dessen Freibeträge aber auf den anderen Elternteil übertragen werden.
Im Streitfall hatte eine Mutter aus Franken geklagt. Diese lebte in „wilder Ehe“ mit ihrem Lebensgefährten und den zwei gemeinsamen Kindern zusammen. Die Frau hatte Arbeits- und Mieteinkünfte, die deutlich höher waren als die Einkünfte des Mannes.
Weil sie nicht verheiratet waren und der Lebenspartner über keine ausreichenden Einkünfte verfügte, forderte die Mutter die Übertragung der väterlichen Freibeträge auf sich. Sie meinte, dass die Übertragung des Kinderfreibetrags nicht nur bei Alleinerziehenden, sondern auch bei unverheirateten Eltern möglich sein müsse.
Doch das lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen, urteilte der BFH. Nur wenn ein Elternteil seinen Unterhaltspflichten nicht nachkommt, könne der Kinderfreibetrag übertragen werden. Diese Voraussetzung sei hier trotz des geringeren Einkommens des Vaters aber nicht erfüllt.
Denn die Unterhaltspflicht richte sich nach dem Einkommen und umfasse zudem unabhängig vom Geld auch die Betreuung und Erziehung der Kinder. Bei einer „funktionierenden nichtehelichen Lebensgemeinschaft“ sei davon auszugehen, dass sich beide Partner den Aufwand einvernehmlich teilen. Eine Übertragung des Kinderfreibetrags sei damit ausgeschlossen, befand das Gericht.
Az.: III R 24/20
Stuttgart (epd). Ein Heimvertrag für ein schwerst behindertes Kind kann auch rückwirkend abgeschlossen werden. Ist die Unterbringung in einem Schulinternat wegen der Behinderung erforderlich, muss die Sozialhilfe die Heimkosten ab dem im Vertrag aufgeführten rückwirkenden Datum übernehmen, entschied das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg in Stuttgart in einem am 2. April veröffentlichten Urteil.
Konkret ging es um ein 2010 geborenes schwerst behindertes Kind. Infolge einer erlittenen Hirnschädigung traten bei dem Jungen epileptische Anfälle auf. Er konnte nicht laufen und benötigte intensive Pflege und Betreuung. Die Mutter hatte ihren Sohn jahrelang gepflegt und wurde infolge der belastenden Situation selber krank. Der Vater konnte wegen seiner Multiplen Sklerose ebenfalls nicht einspringen.
Die Eltern beantragten 2015 beim zuständigen Sozialhilfeträger Eingliederungsleistungen zur Kostenübernahme für das Internat einer Förderschule. Es folgte ein jahrelanger Rechtsstreit. Das behinderte Kind kam dann 2016 tatsächlich in das Internat. Der Heimvertrag wurde zwei Jahre später geschlossen, allerdings rückwirkend ab dem Tag der erstmaligen Unterbringung.
Nachdem das Sozialgericht Reutlingen die Erforderlichkeit der Schulinternatsunterbringung festgestellt hatte, wehrte sich der Sozialhilfeträger dagegen, bereits ab Ende Juli 2016 die Unterbringungskosten zu übernehmen. Denn der Heimvertrag sei schriftlich erst zwei Jahre später geschlossen worden. Für die Zeit 28. Juli 2016 bis 9. Juli 2018 fehle es an einer vertraglichen Grundlage für eine Kostenübernahme gefehlt, so die Argumentation.
Das LSG gab dem klagenden behinderten Schüler jedoch recht. Der Sozialhilfeträge müsse ab Ende Juli 2016 Eingliederungsleistungen für die stationäre Unterbringung zahlen. Das umfasse täglich 155,63 Euro für die Unterbringung, 0,92 Euro täglich für die Schulbegleitung, einen Barbedarf von 10,50 Euro monatlich sowie für zusätzliche Öffnungstage täglich 71,98 Euro. Die Beträge stiegen zudem ab Mai 2018 etwas.
Hier sei die Unterbringung des Kindes in dem Schulinternat erforderlich gewesen, begründete das LSG seine Entscheidung. Weil der Heimvertrag ab der tatsächlichen Unterbringung abgeschlossen wurde, erfasse er den gesamten Zeitraum der Unterbringung. Es sei auch zulässig, dass der Heimvertrag für die Vergangenheit abgeschlossen wurde. Denn aus dem Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz ergebe sich kein Verbot des rückwirkenden Vertragsschlusses. Damit sei der Sozialhilfeträger leistungspflichtig.
Az.: L 2 SO 2228/20
Berlin (epd). Das Präsidium der Deutschen Krankenhausgesellschaft hat Henriette Neumeyer zur stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden und Leiterin des neu zugeschnittenen Geschäftsbereichs „Krankenhauspersonal und Politik“ berufen. „Ihre Expertise in den Bereichen der IT-gestützten Versorgungsprojekte und der integrierten Versorgung sind von außerordentlicher Bedeutung für die Entwicklung der Gesundheitsversorgung in Deutschland“, sagte Präsident Ingo Morell.
Neumeyer, die das Amt am 1. Juni übernimmt, kündigte an, insbesondere den Fachkräftemangel zu thematisieren. Die Corona-Pandemie habe verdeutlicht, dass der Fachkräftemangel „das entscheidende Nadelöhr der Versorgung“ sei. „Hier haben wir dringenden Handlungsbedarf, sowohl politischen als auch internen in den Kliniken“, sagte die Professorin, die derzeit den Masterstudiengang Healthcare Management an der Nordakademie in Hamburg leitet.
Nemeyer arbeitet zudem als Digitalisierungsberaterin im Bereich Healthcare. Zuvor war sie als Senior Clinical Consultant und Teamleiterin Operations Connected Care bei Philips und als Projektleiterin der Unternehmensberatung Lohfert & Lohfert AG tätig. Sie ist Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Integrierte Versorgung.
An der Universität zu Lübeck hat Neumeyer bis 2010 Humanmedizin studiert und wurde dort anschließend promoviert. 2016 hat sie außerdem ein berufsbegleitendes MBA-Studium abgeschlossen.
In der Leitung des DKG-Geschäftsbereichs „Krankenhauspersonal und Politik“ folgt Neumeyer auf Bernd Metzinger, der Ende April in den Ruhestand gehen wird. Die Funktion der stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden wird neu geschaffen. Damit wird die DKG im hauptamtlichen Bereich durch den Vorstandsvorsitzenden Gerald Gaß und stellvertretend von Henriette Neumeyer und dem DKG-Justiziar Andreas Wagener geleitet.
Steffen Feldmann hat sein Amt als Finanz- und Personalvorstand des Deutschen Caritasverbandes übernommen. Er wurde vom Caritasrat für sechs Jahre gewählt. Feldmann war nach dem Studium der Stadt- und Landschaftsplanung in Berlin und Hannover als Projektmanager und Unternehmensberater in Hannover tätig. Anschließend erwarb er einen Master of Business Administration in Unternehmensstrategie und Organisationsethik an der University of Washington. Von 2005 bis 2013 arbeitete er als Manager und Geschäftsführer in der Unternehmensberatung Kepner&Fourie in Hamburg. Danach wechselte Feldmann zur Caritas. Zunächst war er als Direktor der Caritas Mecklenburg und seit 2016 als Diözesan-Caritasdirektor und Vorstandsvorsitzender des Caritasverbandes für das Erzbistum Hamburg tätig. In dieser Position war er verantwortlich für die Fusion der ehemalig selbständigen Caritasverbände Schleswig-Holstein, Hamburg, Lübeck und Mecklenburg zum Caritasverband für das Erzbistum Hamburg.
Manne Lucha, baden-württembergischer Gesundheitsminister (Grüne), ist bundesweit erster Träger des Schmähpreises „Goldene Abrissbirne“. Das Bündnis Klinikrettung mit Sitz in Berlin kritisiert damit Luchas massiven Einsatz für die Schließung kleinerer Kliniken zugunsten neu gebauter Zentralkliniken, teilte das Bündnis am 6. April bei einer virtuellen Pressekonferenz mit. Der Preis ist eine gerahmte Karikatur. Luchas Zentralklinikkonzept sei nicht nur teurer, sondern auch in der Umweltbilanz klimaschädlicher als die Erhaltung und Ertüchtigung bestehender Kliniken, so die Begründung. Und es treibe den Personalmangel im Gesundheitswesen an, betonte das seit Herbst 2020 bestehende Bündnis Klinikrettung.
Bruno Pfeifle, seit November 2017 Vorsitzender des Aufsichtsrates im Paritätischen Wohlfahrtsverband Baden-Württemberg, hat zum 31. März sein Amt niedergelegt. Über die Gründe wurde zunächst nichts mitgeteilt. Auf Nachfrage hieß es dann, der Rücktritt sei „aus persönlichen Gründen“ erfolgt. Er hänge mit dem massiv angestiegenen Arbeitsaufwand für den Aufsichtsrat ab, weil es im Verband sehr viele Veränderungen gebe. So werde die Organisation künftig statt von einer Person von zwei Vorständen geleitet. Der Verband bedauerte die Entscheidung und betonte, Pfeifle habe mit seinem Engagement, seiner Fachlichkeit und seiner hohen Identifikation den Paritätischen in seiner mehrjährigen Amtszeit maßgeblich mitgeprägt. Bei der Bestätigungswahl 2019 erhielt Pfeifle, Diplom-Verwaltungswirt und längjähriger Leiter des Jugendamtes Stuttgart, über 97 Prozent der Stimmen. Zunächst haben Ursula Matschke und Timothy Apps als stellvertretende Vorsitzende die Aufgaben des Aufsichtsratsvorsitzenden übernommen. Am 26. April soll der Posten wieder besetzt werden.
Aischa Astou Saw verstärkt den Aufsichtsrat der Phineo gAG und gehört nun dem ehrenamtlich arbeitenden sechsköpfigen Gremium an. Saw leitet den Bereich Learning & Development bei der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Zuvor war sie Geschäftsführerin der KfW-Stiftung. Saw wurde 1983 in Heidelberg geboren. Ihre Wurzeln liegen in Deutschland und dem Senegal. Nach ihrem Studium und der Promotion in Mannheim, Los Angeles und Koblenz zog sie nach Frankfurt am Main, wo sie seither lebt.
Michaela Rueß (49) wird neue Direktorin der Caritas im Bistum Essen. Die Theologin und Sozialpädagogin wechselt von der Diözese Rottenburg-Stuttgart ins Ruhrbistum, wo sie nach der Bestätigung ihrer Wahl durch Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck ihr neues Amt im Juli antreten wird. Rueß ist derzeit noch als Referentin der Hauptabteilung „Pastorales Personal“ des Bischöflichen Ordinariats in Rottenburg tätig. In einer neu eingeführten Doppelspitze wird sie den Caritasverband gemeinsam mit dem 58-jährigen Michael Beekes leiten, der für die kaufmännischen und wirtschaftlichen Belange des Verbands zuständig ist, hieß es. Die Caritas im Bistum Essen umfasst über 750 soziale Einrichtungen und Dienste mit mehr als 30.000 Beschäftigten.
Barbara Geiger ist mit Wirkung zum 1. April zur Richterin am Bundessozialgericht (BSG) ernannt worden. Das Präsidium des Gerichts wies Geiger dem für gesetzliche Krankenversicherung zuständigen 1. Senat zu. Zuletzt war die 1981 geborene Geiger Richterin am Landessozialgericht Hamburg. Nach den juristischen Staatsexamina arbeitete sie ab 2008 zunächst als Rechtsanwältin in einer international tätigen Wirtschaftskanzlei, bevor sie 2012 in die hamburgische Sozialgerichtsbarkeit eintrat. Von 2017 bis 2019 war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an das BSG abgeordnet. Im Jahr 2020 folgte ihre Abordnung als wissenschaftliche Mitarbeiterin an das Bundesverfassungsgericht.
Andreas Barthold und Maik Büscher haben die Leitung Raphaelsklinik und des Clemenshospitals in Münster übernommmen. Der bisherige Leiter und Regionalgeschäftsführer Hartmut Hagmann wechselt auf eigenen Wunsch zur Fachklinik Hornheide. Barthold ist bereits seit mehr als 30 Jahren in verschiedenen Positionen bei der katholischen Krankenhausgruppe tätig. Er bleibt zudem einer der Hauptgeschäftsführer der Alexianer Holding mit bundesweit rund 28.000 Mitarbeitenden. Maik Büscher kam im Jahr 2020 zu den Alexianern und war dort zunächst im Consulting tätig, bevor er Ende 2021 in die Geschäftsführung von Clemenshospital und Raphaelsklinik einstieg.
Ulrich Wenner, Vorsitzender Richter am Bundessozialgericht, ist am 31. März in den Ruhestand getreten. Er war seit Juli 1995 Richter am BSG und seit August 2008 Vorsitzender BSG-Richter des für das Vertrags(zahn)arztrecht zuständigen 6. Senats. Von August 2014 bis August 2016 war er zusätzlich als Vorsitzender des für die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung zuständigen 3. Senat des Gerichts tätig. 1992 wurde Wenner zum Richter am Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen ernannt. Er war von November 2009 bis November 2021 Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Kassenarztrecht. Wenner ist nebenamtlich als Honorarprofessor an der Universität Frankfurt am Main tätig.
Marcus Witzke, Vorstand der Hoffnungsträger Stiftung, hat für die erfolgreiche Integration und Unterstützung geflüchteter Menschen von EU Business News den diesjährigen German CEO Excellence Award erhalten. Die Auszeichnung gab es für die Entwicklung und Umsetzung des integrativen Wohnkonzepts der Hoffnungshäuser. Dort leben Geflüchtete und Einheimische unter einem Dach. In Baden-Württemberg wird es im Herbst 29 solcher Häuser mit über 200 Wohnungen geben.
Alexandra Horster (46) hat am 1. April ihr Amt als neue Bundessekretärin des Kolpingwerkes Deutschland angetreten. Sie übernimmt den Staffelstab von Ulrich Vollmer, der sich nach 13 Jahren als Generalsekretär des katholischen Sozialverbandes in den Ruhestand verabschiedet hat. Horster, studierte Sozialpädagogin, war seit 2013 Geschäftsführerin von Kolping Jugendwohnen und hatte in dieser Position die Finanzverantwortung sowie Personalverantwortung für 160 Mitarbeitende. Zuvor war sie Landesvorsitzende des Bundes der Katholischen Jugend (BDKJ) in NRW. Zum Kolpingwerk Deutschland gehören 2.350 lokale Kolpingsfamilien mit bundesweit mehr als 220.000 Mitgliedern.
Kazım Erdoğan ist Vorsitzender des neu konstituierten Berliner Beirate für Familienfragen. Er tritt die Nachfolge von Karlheinz Nolte an. Erdoğan war in Berlin im Bildungsbereich als Lehrer, Schulpsychologe und Sozialarbeiter tätig. Bekannt geworden ist er vor allem als Initiator des vielfach prämierten Projektes „Aufbruch Neukölln“, das seit 2007 unter anderem erfolgreich neue Wege in der Väter- und Männerarbeit etablieren konnte. Als stellvertretende Vorsitzende wurde Adriane Nebel gewählt, die als Vertreterin für die Berliner Handwerkskammer im Berliner Beirat für Familienfragen tätig ist.
Franz Dormann, Geschäftsführer des Vereins Gesundheitsstadt Berlin und Mitglied des Stiftungsrates des Unionhilfswerkes in Berlin, ist tot. Er wurde 61 Jahre alt. Dormann hinterlasse eine große Lücke in der Gesundheitsstadt Berlin, in der er sich in den letzten eineinhalb Jahrzehnten große Verdienste erworben habe, sagte Ulf Fink, Senator a.D.. Dormann wurde am 9. November 1960 in Sevelen am Niederrhein geboren. Er studierte Politische Wissenschaften und Zeitgeschichte, Soziologie sowie Wirtschaftsgeografie in Aachen und Bonn, er promovierte im Jahr 1991. Von 1988 bis 1991 wissenschaftlicher Mitarbeiter der CDU/CSU Bundestagsfraktion, 1991 bis 1996 Hauptgeschäftsführer der CDA und von 1996 bis 2005 Geschäftsführer des Forschungs- und Beratungsunternehmens Social Consult GmbH in Bonn. 2005 wurde Dormann Geschäftsführer des Vereins Gesundheitsstadt Berlin.
Wir haben Tagungen, Seminare, Workshops und Webinare aufgelistet, die aktuell geplant sind. Wegen der Corona-Epidemie sagen Veranstalter allerdings Termine auch kurzfristig ab. Wir bitten unsere Leserinnen und Leser, das zu beachten.
20.-22.4. Berlin:
Fortbildung „Quartiers-, Sozialraum- und Netzwerkarbeit“
26.4.:
Webinar „Fit für die Zukunft?! Entwicklung von Fachkonzepten für die berufliche Teilhabe von Menschen mit Behinderung in Werkstätten“
der Contec Unternehmensberatung
Tel.: 0234/452730
26.-28.4.:
Online-Seminar „Deeskalation von herausfordernden Situationen in der Erziehungshilfe“
Tel.: 030 26309-139
27.4. Hamburg:
Seminar „Controlling für Einrichtungen der Eingliederungshilfe“
der Unternehmensberatung Solidaris
Tel.: 040/359060
27.4. Nürnberg:
Seminar „§ 2b UStG - Endspurt zum 31. Dezember 2022 für die Umsetzung bei kirchlichen Körperschaften“
der Unternehmensberatung Solidaris
Tel.: 02203/8997-221
27.4.:
Online-Seminar: „Flüchtlingskinder in der Schule - Was tun?“
der IN VIA Akademie
Tel.: 05251/2908 38
28.4. Hamburg:
Seminar „Pflegesatzverhandlungen in der stationären Altenhilfe“
der Unternehmensberatung Solidaris
Tel.: 040/359060
28.4.:
Online-Seminar: „Der Weg zur Niederlassungserlaubnis und Einbürgerung für Geflüchtete“
Tel.: 030/26309-139
28.4.:
Seminar „Die Grundsteuerreform - Überblick und Handlungsbedarf“
der Unternehmensberatung Solidaris
Tel.: 040/359060
Mai
2.-4.5. Erfurt:
Seminar „Schutzkonzeptprozesse wirksam auf den Weg bringen und begleiten“
Tel.: 030/26309-139
3.5.. München:
Seminar: „ABC des Umsatzsteuer- und Gemeinnützigkeitsrechts“
der Unternehmensberatung Solidaris
Tel.: 02203/8997-221
9.-11.5.:
Online-Fortbildung „Einführung ins SGB II und aktuelle Rechtsprechung“
Tel.: 030/26309-139
9.-12.5. Bamberg:
Fachwoche „Beratung im Wandel - Fachwoche Katholische Schwangerschaftsberatung“
der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes
Tel.: 0761/200-1700
10.5.:
Webinar „Soziale Arbeit neu gedacht? - Innovationsfähigkeit in sozialen Einrichtungen“
der Contec Unternehmensberatung
Tel.: 0234/452730
16.-18.5. Essen:
Seminar „Psychiatrische Krankheitsbilder - Grundlagen“
der Bundesakademie für Kirche und Diakonie
Tel.: 0172/3012819
20.-21.5.:
Seminar „Sprachmittlung in verschiedenen Settings sozialer Arbeit“
der Bundesakademie für Kirche und Diakonie
Tel.: 0174/3473485