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Corona

Raus aufs Land statt rein in die Stadt: Pandemiebedingte Trendumkehr?




Dorf im Taunus
epd-bild/Heike Lyding
Die Corona-Pandemie hat bei vielen Städtern den Wunsch nach Natur und Weite geweckt. Eine Trendumkehr, also eine Abwanderung aufs Land statt in die Stadt, sei aber bislang nicht nachweisbar, sagt Stadtsoziologe Walter Bartl.

Frankfurt a.M. (epd). Wenn die Gefahr der Corona-Ansteckung droht und der gewohnte Alltag ungemütlich wird, ziehen sich Menschen gern zurück. In unsicheren Momenten wünschen sich viele Freiraum, Weite und Natur. Vor der Pandemie zogen vor allem junge Menschen aus ländlichen Bereichen in die Städte. Kehrt sich das Phänomen der Landflucht nun infolge der Pandemie zur Stadtflucht?

Häuschen im Grünen

Anzeichen für eine Abwanderung von der Stadt aufs Land gibt es, wie ein Vergleich des Immobilienportals ImmoScout24 ergibt. „Die Corona-Pandemie hat dem Wunsch nach einem Häuschen im Grünen einen weiteren Schub verpasst“, heißt es auf dem Online-Portal. Wer ein Eigenheim kaufen wolle, suche dies heute häufig im Speckgürtel von Metropolen. Das zeige der Vergleich zwischen Suchanfragen in und um die Großstädte Köln, Berlin, Frankfurt am Main, München und Hamburg vor und nach dem ersten Lockdown im März 2021: „Der Wunsch nach mehr Platz und einem Garten ist offensichtlich eine Folge der Lockdown-Erfahrungen.“

Solche Anzeichen für eine pandemiebedingte Stadtflucht müssten jedoch differenziert betrachtet werden, sagte der Stadtsoziologe Walter Bartl von der Universität Halle dem Evangelischen Pressedienst (epd): „Insgesamt verliert der ländliche Raum langfristig an Bevölkerung.“ Städte und Vororte zusammengefasst, gebe es seit 1871 einen Prozess der Urbanisierung in Deutschland.

Für den Zuzug in die Städte seien vor allem junge Menschen verantwortlich, die dort studierten oder eine Ausbildung machten. Jedoch zeige sich in den vergangenen Jahren eine Abschwächung der Ausweitung städtischer Lebensformen, die insbesondere in westdeutschen Städten auch negativ seien. „Aktuellere Befunde sind mit einer Reihe von Unsicherheiten behaftet, weil umfassende Daten für ganz Deutschland nur bis 2019 vorliegen“, erklärt Bartl.

„Neue Ländlichkeit“

Zentraler Treiber für eine Stagnation der Urbanisierung in den vergangenen Jahren seien die Immobilienpreise, sagt Bartl. „Mittelalte Personen, die eine Familie gründen, suchen oft die günstigeren Immobilienpreise im Speckgürtel.“ Ländlicher Raum sei dabei jedoch nicht gleich ländlicher Raum. Die Attraktivität hänge beispielsweise mit Blick auf flexible Arbeitsmodelle daran, wie gut die Verkehrs- oder Internetverbindung sei.

Auch was die grundlegende Ausstrahlung eines Ortes betreffe, sei Dorf nicht gleich Dorf, weiß Wolf Schmidt von der gemeinnützigen „Mecklenburger AnStiftung“. „Da sind vor allem die Menschen wichtig, die im Dorf leben und sich für das Dorf einsetzen.“ Nach 30 Jahren in Hamburg suchte Schmidt vor einigen Jahren gemeinsam mit seiner Frau ein neues Zuhause auf dem Land.

Heute wohnt er im mecklenburgischen Dobin am See und wirbt für das Konzept der „neuen Ländlichkeit“, also die bewusste Entscheidung für ein Leben auf dem Land. Das Konzept solle Menschen aufs Land führen, die früher typischerweise in der Stadt gelebt hätten. „Das hat nicht nur Auswirkungen auf die Wirtschaft auf dem Land, sondern auch auf seine politische und mediale Repräsentanz.“

Lebensqualität in Städten

Leben auf dem Mecklenburger Land bedeute vor allem Natur, schwärmt Schmidt. „Nicht nur zum Angucken, sondern auch zum sich in ihr Bewegen - einen großen Teil des Tages verbringt man draußen.“ Die Digitalisierung ermögliche es Schmidt, auch in Mecklenburg-Vorpommern weiterhin Teil seines Bekanntenkreises zu bleiben. „Das war früher unvorstellbar, heute ist das problemlos möglich. Die Standards auf dem Land haben sich in den letzten Jahren einfach dramatisch geändert.“ Das zeige sich nicht zuletzt auch darin, dass Bauplätze in seiner Region mittlerweile rar seien: „Bauen ist bei uns nahezu chancenlos.“ Und auch die Immobilienpreise stiegen.

Für die, die einen Platz auf dem Land gefunden hätten, sei vor allem wichtig, sich auf das Leben dort einzulassen, sagt Schmidt: „Wenn die eigentlich Berlin wollen, sich das aber nicht leisten können und deshalb aufs Dorf gehen und dann rummäkeln, was es alles nicht gibt, dann werden beide Seiten nicht sagen, dass sie damit glücklich sind.“

Eine Prognose des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung gehe davon aus, dass ländliche Regionen weiterhin schrumpften, sagt Bartl. Das hängt jedoch auch vom verfügbaren Wohnraum in Großstädten ab. Durch den aktuellen Flüchtlingszuzug aus der Ukraine wird der erst einmal noch knapper - in der Stadt wie auf dem Land.

Um der durch die Pandemie verstärkten Sehnsucht nach Landleben auch in Städten zu begegnen, sollten Städte unter anderem auf das Stadtgrün achten, empfiehlt der Stadtsoziologe. „Bäume helfen überdies auch gegen Erhitzung der Städte im Sommer, was zunehmend ein Problem wird.“ Auch andere Maßnahmen, wie die Verbesserung der Infrastruktur für Radfahrerinnen und Radfahrer sowie Fußgänger und Fußgängerinnen, sorgten für bessere Lebensqualität in Städten - und könnten eine Flucht aufs Land verhindern.

Inga Jahn