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Bundestag lehnt Impfpflicht ab 60 Jahren ab




Impfpass und App belegen die Booster-Impfung
epd-bild/Heike Lyding
Nach monatelangem Ringen und einer heftigen Abschlussdebatte im Bundestag ist eine Corona-Impfpflicht klar gescheitert. Die Befürworter aus der Ampel-Koalition konnten sich auch mit einer abgespeckten Impfpflicht ab 60 Jahren nicht durchsetzen. Fach- und Sozialverbände sind konsterniert.

Berlin (epd). Die Abstimmung fiel deutlich aus: Bei der Corona-Impfpflicht bleibt in Deutschland alles, wie es ist. Die Einführung einer Impfverpflichtung für über 60-Jährige ist im Bundestag gescheitert. Nach einer engagiert geführten Debatte stimmten am 7. April in Berlin in einer namentlichen Abstimmung 378 Abgeordnete gegen den Kompromiss-Antrag aus den Reihen der Ampel-Fraktion. 296 Abgeordnete votierten mit Ja, neun Parlamentarier enthielten sich. Da auch der Unions-Antrag für ein Impfvorsorgegesetz anschließend keine Mehrheit fand, wird es absehbar keine Ausweitung der Corona-Impfpflicht in Deutschland geben.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) erklärte kurz nach der Abstimmung auf Twitter, damit sei der einzige Gesetzentwurf gescheitert, der eine allgemeine Impfpflicht gebracht hätte. Jetzt werde die Bekämpfung von Corona im Herbst viel schwerer. In der Debatte hatten Lauterbach und Abgeordnete von SPD, Grünen und FDP noch einmal eindringlich um Zustimmung geworben. Lauterbach, der eigentlich ebenso wie Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) für eine Impfpflicht ab 18 Jahren eintritt, den Ampel-Kompromiss für eine Impfpflicht ab 60 aber unterstützt hatte, wandte sich an die Unionsabgeordneten: „Heute ist der Tag der Entscheidung“, sagte er, „lassen Sie uns nicht im Stich“.

Auch Kompromiss fand keine Mehrheit

Der Kompromiss, auf den sich die beiden Abgeordneten-Gruppen aus den Ampel-Fraktionen Anfang dieser Woche verständigt hatten, sah eine Impfpflicht für über 60-Jährige vor. Alle ungeimpften Erwachsenen sollten zu einer Impfberatung verpflichtet werden.

Spitzenpolitiker der Union hatten vor der Entscheidung erklärt, dass sie auch den Kompromiss-Vorschlag nicht mittragen würden, obwohl er die Einführung eines Impfregisters enthielt, wie es die Union will. Der CDU-Gesundheitspolitiker Tino Sorge bekräftigte in der Debatte, am eigenen Antrag der Union festhalten zu wollen. Der stellvertretende Unions-Fraktionsvorsitzende Sepp Müller (CDU) betonte, über eine Impfpflicht und für wen sie gelten solle, dürfe erst entschieden werden, wenn eine gefährlichere Variante des Coronavirus und die Pandemielage dies erforderten.

FDP warnt, ohne Ergebnis dazustehen

FDP-Politiker Andrew Ullmann, der zunächst nur eine Impfberatungspflicht wollte, aber mit seiner Gruppe dem Kompromiss für eine Impfpflicht ab 60 zustimmte, hatte in seiner Rede davor gewarnt, am Ende „ohne etwas“ dazustehen. Doch eine Mehrheit der Abgeordneten war nicht zu überzeugen in einer Phase der Pandemie, in der selbst das Tragen von Masken nicht mehr generell vorgeschrieben ist.

Anders als Ullmann hatte sich der größere Teil der FDP-Abgeordneten von Anfang an gegen eine Impfpflicht ausgesprochen und sich um den stellvertretenden Bundesvorsitzenden Wolfgang Kubicki gesammelt, weshalb die Ampel-Fraktionen keine eigene Mehrheit für eine allgemeine Impfpflicht hatte. Auch die Aufhebung des Fraktionszwangs führte nicht dazu, dass die Befürworter genügend Stimmen aus der Opposition gewinnen konnten.

Wie verfahren die Lage trotz monatelanger Kompromisssuche war, zeigte sich im Bundestag auch daran, dass sich Regierungsfraktionen und die Opposition nicht einmal auf die Reihenfolge zur Abstimmung über die vier Anträge einigen konnten. Nacheinander scheiterten dann der Antrag für eine Impfpflicht ab 60, der Unionsantrag, die Kubicki-Gruppe und die AfD-Fraktion mit ihrem Vorstoß, die seit Mitte März geltende Impfpflicht für das Personal in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen wieder abzuschaffen.

Diakonie sieht „Politikversagen“

Diakonie-Präsident Ulrich Lilie sprach nach dem Scheitern einer Impfpflicht von einem „Politikversagen“, für das alle Menschen bezahlten, die auf die Solidarität ihrer Mitmenschen angewiesen seien. Damit sei eine große Chance verpasst worden, die Pandemie endlich dauerhaft in den Griff zu bekommen. „Auch die Beschäftigten im Gesundheitswesen werden nun in doppelter Weise im Regen stehen gelassen: Zum einen bleibt die einrichtungsbezogene Impfpflicht ohne eine allgemeine Verpflichtung Stückwerk und zum anderen werden sie spätestens im Herbst wieder mit steigenden Corona-Fallzahlen zu kämpfen haben“, so der Präsident.

SoVD-Präsident Adolf Bauer sagte in Berlin: „Die Gespräche und Debatten dürfen nicht enden, sondern müssen jetzt erst Recht intensiviert und weiter für die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht gegen das Corona-Virus fortgesetzt werden.“ Es bleibe die ernüchternde Erkenntnis, dass die Chance für notwendige Weichenstellungen nicht genutzt worden seien. „Nun wird uns bis zum Herbst erneut die Frage begleiten, ob wir ohne eine allgemeine Impfpflicht ausreichend für die pandemiebedingten Herausforderungen in den kommenden Herbst- und Wintermonaten gewappnet sind.“

Der Vorsitzende der Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, stellte die Impfpflicht im Gesundheitswesen in Frage. Ohne eine allgemeine Impfpflicht halte er Arbeitsverbote nicht mehr für vorstellbar, sagte er der „Rheinischen Post“.

Bettina Markmeyer, Corinna Buschow