Chemnitz (epd). Träger der Eingliederungshilfe dürfen die Vereinbarung über ein Persönliches Budget für einen behinderten Menschen wegen nicht gemeldeter Krankenhausaufenthalte nicht fristlos kündigen. Regelmäßig ist bei einer Pflichtverletzung erst einmal eine Abmahnung erforderlich, entschied das Sächsische Landessozialgericht (LSG) in Chemnitz in einem am 5. April veröffentlichten Beschluss. Das Gericht stellte die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs gegen einen Bescheid über die Rücknahme für ein Persönliches Budget wieder her.
Im konkreten Fall ging es um eine 1997 geborene, stark behinderte Frau mit einer sogenannten spastischen Zerebralparese, die auf eine Hirnschädigung zurückging. Sie war unfähig, ihre Arme und Beine kontrolliert zu bewegen. Die mit einem Grad von 100 schwerbehinderte Frau steht zudem unter Betreuung. Seit dem 1. Oktober 2017 erhielt sie Eingliederungsleistungen in Form eines Persönliches Budgets bewilligt. Es sollte ihr ein möglichst selbstbestimmtes Leben ermöglichen, mit dem sie den gesamten Pflege- und Assistenzbedarf selbst finanzieren kann.
Als die junge Frau in eine eigene Wohnung umzog, beantragte sie ab 1. August 2019 ein Persönliches Budget für eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung. Nach Abzug des Pflegegeldes wurden ihr monatlich knapp 22.000 Euro zur Finanzierung der Assistenzkräfte gewährt. In einer Zielvereinbarung wurde festgelegt, dass das Budget nur für diesen Zweck verwendet werden darf.
Als die Betreuerin der Frau in einem Schreiben mit dem Sozialhilfeträger erwähnte, dass sich die Betreute mehrmals jeweils für einige Tage im Krankenhaus aufgehalten hatte, hakte die Behörde nach. Dabei wurde festgestellt, dass die behinderte Frau auch während der Klinikaufenthalte das Persönliche Budget zur Finanzierung der Assistenzkräfte erhalten hatte.
Im Krankenhaus sei aber keine Assistenz erforderlich. Weil die Frau die stationären Klinikaufenthalte nicht gemeldet hatte, habe sie das Budget zu Unrecht erhalten. Wegen ihrer mangelnden „Budget- und Absprachefähigkeit“ kündigte der Sozialhilfeträger die Vereinbarung fristlos. Sie könne sich ja vor Ort einen vertragsgebundenen Assistenz- und Pflegedienst vor Ort suchen, der ihr die benötigte Unterstützung als Sachleistung bietet.
Den Widerspruch der Frau wies die Behörde zurück. Der Bescheid über die Rücknahme des Persönlichen Budgets sollte zudem sofort gelten. Der von der behinderten Frau gestellte Antrag auf aufschiebende Wirkung hatte jetzt vor dem LSG Erfolg. Für die Zulässigkeit einer fristlosen Kündigung eines Persönlichen Budgets gelten hohe Hürden, so die Chemnitzer Richter.
Zulässig könne die fristlose Kündigung sein, wenn die Hilfeleistung aufgrund „arglistiger Täuschung, Drohung oder Bestechung“ erwirkt wurde. Auch wenn vorsätzlich oder grob fahrlässig Angaben bei der Antragstellung gemacht wurden oder wenn „die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt“ wurde, könne das die fristlose Kündigung der Vereinbarung begründen.
Der Verstoß gegen die getroffene Vereinbarung zum Erhalt des Persönlichen Budgets müsse „erheblich“ sein oder es müsse bereits eine Abmahnung wegen eines anderen Verstoßes vorliegen. „Erheblich“ sei ein Verstoß, wenn „ein schwerer Nachteil für das Gemeinwohl“ vorliegt, so dass dem Staat „unzumutbare Lasten“ auferlegt würden, so das LSG.
Hier habe die behinderte Frau zwar wegen der unterbliebenen Meldung ihrer Klinikaufenthalte gegen ihre Pflichten verstoßen. Der Eingliederungshilfeträger hätte das aber erst einmal abmahnen müssen. Aus einer Ende 2020 getroffenen neuen Zielvereinbarung ergebe sich zudem, dass der Behörde sogar ein Klinikaufenthalt bekannt gewesen war, ohne dass sie darauf reagiert hatte - was zeige, dass der Behörde die unterbliebene Meldung nicht so wichtig war. Sie müsse daher bis zur Entscheidung im Hauptverfahren abwarten, ob die fristlose Kündigung der Vereinbarung über das Persönliche Budget zulässig war.
Neben den hohen Hürden für die Rücknahme eines Persönlichen Budgets dürfen Behörden die Hilfeleistung auch nicht nur befristet gewähren. Wie das Bundessozialgericht (BSG) bereits am 28. Januar 2021 urteilte, fehlt es hierfür an einer gesetzlichen Grundlage. Damit müssen Betroffene nicht immer wieder neu einen Antrag auf ein Persönliches Budget stellen. Eine alle zwei Jahre durchgeführte Prüfung, ob der behinderungsbedingte Mehrbedarf noch besteht, sei aber zulässig.
Führt ein behinderter Mensch mit dem Eingliederungshilfeträger einen Rechtsstreit über die Höhe des Persönlichen Budgets, darf die Behörde auch nicht einfach den Geldhahn zudrehen. Sind Betroffene auf das Geld zur Bezahlung von Löhnen und Sozialabgaben für die angestellten Hilfs- und Assistenzkräfte angewiesen, ist das Grund genug für die vorläufige Erhöhung des Persönlichen Budgets, entschied zudem das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 12. September 2016.
Az.: L 8 SO 2/22 B ER (LSG Chemnitz)
Az.: B 8 SO 9/19 R (Bundessozialgericht Befristung Persönliches Budget)
Az.: 1 BvR 1630/16 (Bundesverfassungsgericht)