sozial-Politik

Krieg in der Ukraine

Schulen stellen sich der Aufnahme geflüchteter Kinder




In der Gesamtschule im niedersächsischen Wunstorf sind bereits über 30 Kinder aus der Ukraine im Unterricht.
epd-bild/Matthias Papst
Immer mehr Kinder und Jugendliche aus der Ukraine werden in deutschen Schulen unterrichtet. So sind im niedersächsischen Wunstorf in kurzer Zeit mehr als 30 Kinder neu dazugekommen. Eine riesige Aufgabe für Schulleitung, Eltern und Kinder.

Wunstorf, Berlin (epd). Wie lange der Krieg noch dauern wird, weiß niemand. Aber Vladimir Korobejnikov ahnt: „Wir werden viel Zeit brauchen, um die Ukraine wieder aufzubauen.“ Eines glaubt er ganz fest: „Es wird nie passieren, dass die ganze Ukraine russisch ist.“ Der 16-Jährige kommt aus Kiew und gehört zu den älteren Schülern, die seit kurzem die evangelische Integrierte Gesamtschule (IGS) im niedersächsischen Wunstorf bei Hannover besuchen.

Rund 20.000 Kinder aus der Ukraine sind bislang deutschlandweit an den Schulen aufgenommen worden. Und Experten gehen davon aus, dass es wohl noch deutlich mehr werden - was nicht ohne Probleme ist. „Die Lehrkräfte in Deutschland haben seit 2015 zwar viele Erfahrungen mit geflüchteten Kindern und Jugendlichen gemacht und sind grundsätzlich gut auf solche Situationen vorbereitet“, teilte die Gewerkschaft GEW mit. Aber: Nach fast zwei Jahren in der Corona-Pandemie seien viele Lehrerinnen und Lehrer erschöpft und am Limit ihrer Kräfte. Daher werde die nächste Zeit eine große Herausforderung.

Zusätzliches Personal nötig

„Es bedarf multiprofessioneller Teams sowie zusätzlichen Personals für die Errichtung von Willkommens-, Übergangs- und Vorbereitungsklassen und angemessener Räumlichkeiten“, betont die Gewerkschaft. Zudem bedürfe es umfangreicher Angebote für die Beschäftigten, um mit den Traumata der Geflüchteten in angemessener Weise umgehen zu können, sowie zusätzlicher Lehrkräfte für „Deutsch als Zweit-/Fremdsprache“und herkunftssprachlicher Fachkräfte.

Vladimir hat sich bereits gut eingelebt und Anschluss an gleichaltrige Deutsche gefunden. „Die Leute sind sehr nett, alle wollen einem helfen“, sagt er auf Englisch. Im Gegensatz zu vielen Geflüchteten kann er sich sogar vorstellen, in Deutschland zu bleiben. „Mein Leben in der Ukraine war ein bisschen langweilig.“ Seine Mutter und sein Bruder wollten allerdings so schnell wie möglich zurück. „Wir mussten unsere Haustiere zurücklassen, drei Hunde und eine Katze. Die Nachbarn füttern sie.“

Binnen kurzer Zeit ein Hilfsnetz gesponnen

Mehr als 30 Kinder aus der Ukraine hat die IGS aufgenommen und in kürzester Zeit ein Hilfsnetzwerk gesponnen. Dabei half der glückliche Umstand, dass die langjährige Schulbegleiterin Svitlana Hoffmann aus der Nähe von Tscherkassy in der Zentralukraine stammt. Sie hat aktuell die Aufgaben einer Koordinatorin für die geflüchteten Familien übernommen. „Das ist wie ins kalte Wasser springen“, sagt sie. Die Situation sei nicht zu vergleichen mit 2015, als überwiegend Flüchtlinge aus Syrien kamen. „So eine große Welle haben wir noch nicht erlebt.“

Svitlana Hoffmann ist Sozialpsychologin und ausgebildete Traumatherapeutin. Ihr wichtigstes Ziel: den Kindern Sicherheit zu geben. „Ich spreche sie nicht gezielt auf den Krieg und die Flucht an, da muss man vorsichtig sein.“ Gerade die kleineren Kinder seien ängstlich. Und bei einem Fünftklässler sei relativ schnell klar gewesen, dass er traumatische Erlebnisse gehabt haben muss. „Er hat sich unter einem Baum versteckt, als die Flieger aus dem Fliegerhorst Übungen gemacht haben. Wir haben dann mit allen darüber gesprochen, dass wir in Wunstorf in der Nähe eines Militärflughafens wohnen, hier aber kein Krieg ist.“

Psychologe: Ängste nehmen, Informationen geben

Klaus Seifried hat in Berlin viele Jahre als Schulpsychologe gearbeitet. Er sagt, das Allerwichtigste in Krisenzeiten sei, dass die Lehrerinnen und Lehrer den Kindern Orientierung und Sicherheit geben. „Dazu gehören verlässliche Alltagsstrukturen genauso wie Zeit für Gespräche. Lehrkräfte müssen sensibel sein für die Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler, und es muss Raum für Gespräche geben“, betont der Fachmann. Dabei könne es um ihre Ängste gehen, aber auch um objektive Informationen. „Lehrerinnen und Lehrer sollten aber immer darauf achten, nicht noch zusätzlich zu dramatisieren, weil das Ängste verstärkt.“

IGS-Schulleiterin Elke Helma Rothämel hofft, dass diese und weitere zu erwartende Schülerinnen und Schüler aus der Ukraine nicht mit verwundeten oder verstorbenen Angehörigen konfrontiert werden. „Aber ausschließen können wir das natürlich nicht. Dann weiß ich, dass wir auch das miteinander tragen werden.“ Sie sei in solchen Momenten froh, dass die IGS Wunstorf eine kirchliche Schule sei. „Wir haben ein seelsorgerliches Umfeld, das wir als Schule allein nicht bieten könnten.“

Zwei „Buddys“ an der Seite

Um sich besser im Schulalltag zurechtzufinden, bekommt in Wunstorf jedes Kind zwei „Buddys“ zur Seite gestellt. Gerade auch russisch sprechende Schüler übernehmen solche Patenschaften. „Wir wollen sie vor dem Generalverdacht bewahren, dass sie womöglich die kriegerischen Verbrechen gutheißen“, sagt Schulleiterin Rothämel. „Auf diese Weise können sie sich abgrenzen und eine eigene Haltung zeigen.“

Darüber hinaus gibt es aus dem Umfeld der Schule sehr viel Hilfsbereitschaft, etwa von Eltern oder Vereinen - zum Beispiel eine Sammelaktion für Sportbekleidung. Und die Abiturienten von vor zwei Jahren haben das Geld, das sie wegen Corona nicht für ihren Abiball ausgeben konnten, für die Flüchtlingshilfe an ihrer Schule gespendet.

Lothar Veit, Dirk Baas