sozial-Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser,




Dirk Baas
epd-bild/Heike Lyding

die Corona-Krise dauert an, und damit auch die extreme Belastung der Pflegekräfte in Heimen und Kliniken. Zwar wird inzwischen ihre Systemrelevanz breit anerkannt, doch bessere Arbeitsbedingungen und dauerhaft höhere Bezahlung sind damit noch nicht in Sicht. Wie die Fachkräfte ihre derzeitige Situation erleben und was sie alltäglich im Job statt Applaus bräuchten, hat unsere Autorin Miriam Bunjes aufgeschrieben.

Die derzeitige Arbeit in den Altenpflegeheimen fordert die Pflegekräfte bis zum Anschlag. Wortmeldungen aus zwei Einrichtungen in Niedersachsen zeigen beispielhaft, was Menschen denken und fühlen, die dort arbeiten, wo es täglich um Leben und Tod geht.

Die Notfallbetreuung für Kinder wird ausgeweitet - auch weil mehr Eltern wieder in den Job zurückkehren sollen. Die derzeit spannende Frage sei aber, für welche Kinder zusätzlich ein Angebot der frühen Bildung geschaffen werden kann, sagt Lorenz Bahr, der Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter. Er hat eine klare Meinung: Benachteiligte Kinder müssten vorrangig aufgenommen werden, sagt er im epd-Interview.

Alkoholismus ist eine chronische Krankheit, die quer durch alle gesellschaftlichen Schichten jeden treffen kann. Selbsthilfegruppen sind seit Jahrzehnten ein zentraler Ankerpunkt im Umgang mit der Sucht. Doch deren Arbeit ist in der Corona-Krise stark eingeschränkt, Alternativen sind rar. Experten sehen bei Betroffenen zusätzlichen Stress und ein erhöhtes Rückfallrisiko. Vielen Patienten drohten Vereinsamung und psychische Probleme. Ein Lagebericht.

Dieses Urteil lässt aufhorchen: Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat eine Krankenkasse verpflichtet, einem Querschnittsgelähmten ein sogenanntes Exoskelett zu bezahlen. Dabei ging es um rund 100.000 Euro. Im unmittelbaren Behinderungsausgleich müssten auch innovative und teure Hilfsmittel bezahlt werden, befanden die Richter. Mit Hilfe dieser Technik kann der Mann selbstständig stehen und gehen - das sei nicht zuletzt wichtig für dessen Selbstwertgefühl.

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Dirk Baas




sozial-Politik

Corona-Krise

Pflegende Familienmitglieder geraten an ihre Grenzen




Pflegende Angehörige sind in der Corona-Krise meist völlig auf sich allein gestellt.
epd-bild/Klaus G. Kohn
Angehörige von Pflegebedürftigen tragen eine große Last. Entweder sind sie schon selbst sehr alt, oder es kümmern sich Töchter und Söhne, die noch arbeiten gehen. In der Corona-Krise kommt die Angst hinzu, dass sie ihre Eltern anstecken könnten.

Heinz Riek (Name geändert) sieht seine Kinder und Enkelkinder seit Wochen höchstens mit rund zehn Meter Abstand: "Zu Ostern haben wir uns im Garten getroffen, aber die Tische weit auseinander", erzählt der 79-Jährige. Der Rentner, der in Haltern am See in Nordrhein-Westfalen lebt, ist vorsichtig und nimmt die Regeln während der Corona-Krise sehr ernst. Er geht kaum nach draußen, nicht einkaufen, die Lebensmittel stellt seine Tochter vor die Tür. Riek gehört nicht nur selbst zur Risikogruppe, sondern pflegt seit fünf Jahren auch seine an Demenz erkrankte 77-jährige Frau.

Für pflegende Angehörige wie Riek bedeutet die Pandemie eine große Belastung. "Viele Hilfen brechen jetzt weg", sagt Susanne Hallermann vom Bundesverband "wir pflegen". Denn: "Tagespflegen sind geschlossen, Freunde können nicht kommen und Pflegedienste arbeiten am Limit."

Tragende Säulen des Systems

Für Hallermann steht außer Frage, dass pflegende Angehörige eine tragende Säule des Pflegesystems und damit systemrelevant sind. Die Zahlen sind eindeutig: Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden werden gut zwei Drittel und damit 2,6 Millionen Pflegebedürftige zu Hause versorgt. Davon werden 1,76 Millionen der Betroffenen allein durch Angehörige gepflegt. "Die durchschnittliche Pflegezeit beträgt 63 Stunden in der Woche", sagt Hallermann - das ist auch ohne Corona eine enorme Herausforderung.

Pflegende Angehörige - das sind Lebenspartner wie Helmut Riek. Oder auch Töchter oder Söhne mittleren Alters, die sich um ihre betagten Eltern kümmern und außerdem oft jeden Tag zur Arbeit gehen. Auch Eltern, die ein körperlich oder geistig behindertes Kind versorgen, gehören dazu. "Viele berufstätige pflegende Angehörige können derzeit ohne Unterstützung Beruf und Pflege nicht vereinbaren", sagt Hallermann. Täglich schildern ihr Betroffene am Telefon oder per Brief oder Mail, wie groß die Not ist.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (BAGSO) kennt diese Nöte. Sie appelliert an Bund, Länder und Kommunen, pflegende Angehörige in der aktuellen Corona-Situation besser zu unterstützen. Rund drei Viertel der Pflegebedürftigen und zwei Drittel der demenziell Erkrankten lebten zu Hause. Die meisten von ihnen würden allein durch Angehörige versorgt. "Die bisher ergriffenen Maßnahmen zum Schutz der Pflegebedürftigen in der häuslichen Pflege und zur Entlastung pflegender Angehöriger reichen nicht aus", betonte Vorsitzender Franz Müntefering.

In ihren Empfehlungen an die Politik fordert die BAGSO unter anderem, dass alle an der häuslichen Pflege Beteiligten in ausreichendem Umfang mit Desinfektionsmitteln und Schutzkleidung ausgestattet werden. In den Kommunen müsse eine Notbetreuung sichergestellt sein, um die pflegerische Versorgung auch beim Ausfall der Pflegeperson sicherzustellen. Müntefering: "Pflegende Angehörige benötigen zudem ein frei verfügbares Budget, um flexibel Unterstützung organisieren zu können. Vor dem Hintergrund der außergewöhnlichen Belastungssituation müssen psychosoziale Beratungsangebote sieben Tage die Woche erreichbar sein."

Schnellere Tests für Angehörige

Neben der Arbeitsbelastung kommt derzeit der hohe psychische Druck hinzu: Wer neben der Pflege arbeiten geht, lebt in ständiger Angst, sich zu infizieren, das Virus nach Hause zu tragen und an die pflegebedürftigen nahe stehenden Menschen weiter zu geben. Da diese fast immer zu den Risikogruppen gehören, wäre das lebensgefährlich. Schutzkleidung oder hochwertige Masken sind für die Angehörigen aber kaum zu bekommen. Um ihnen zumindest rasch Klarheit zu verschaffen, ob eine Infektion vorliegt, fordert "wir pflegen" schnellere Tests für die Angehörigen.

Heinz Riek kann ganz gut mit der Situation umgehen: Ein Pflegedienst kommt noch täglich ins Haus, um ihn bei der Pflege seiner Frau zu unterstützen. Sie hat Pflegegrad 4 und braucht Hilfe beim Anziehen, Waschen und beim Toilettengang. "Der Pflegedienst hat mir aber schon mitgeteilt, dass die Unterstützung eingestellt wird, sobald beim Personal ein Corona-Fall auftritt", sagt Riek. Dann wäre er noch mehr gefordert, trotz seines fortgeschrittenen Alters.

Manche pflegende Angehörige schaffen es aber einfach nicht mehr, die Situation zu meistern. "Sie sind so stark belastet, dass sie sich schweren Herzens entschließen, die Pflegebedürftigen ins Heim zu geben", sagt Gerhild Krüger, die eine Angehörigengruppe für Demenzkranke in Haltern leitet. Dieser Schritt falle natürlich sehr schwer, weil die alte Mutter oder der betagte Vater dann derzeit nicht mehr besucht werden dürfen. Und die Kontaktsperre kann gerade bei Demenzkranken dazu führen, dass sie geistig und körperlich weiter abbauen.

Die Angehörigengruppe von Gerhild Krüger kann sich derzeit nicht treffen. Das persönliche Gespräch zwischen den Betroffenen ist wegen der Infektionsgefahr nicht möglich. Für solche Gruppen hat der Verband "wir pflegen" eine digitale Alternative geschaffen: Die App "in.kontakt" ermöglicht es den pflegenden Angehörigen, sich zu verschiedenen Themen auszutauschen und sich in der Krisenzeit gegenseitig Mut zu machen.

Michael Ruffert


Corona-Krise

Interview

Verband: Die Not der pflegenden Angehörigen ist groß




Susanne Hallermann
epd-bild/privat
Für pflegende Angehörige ist die Corona-Krise im Grund eine Katastrophe: Hilfen, die zu den Pflegebedürftigen nach Hause kommen, erhöhen die Infektionsgefahr. Und ohne Hilfen von außen kommen die Angehörigen nicht zurecht.

Drei Viertel der 3,4 Millionen pflegebedürftigen Menschen in Deutschland werden zu Hause versorgt. Susanne Hallermann vom Bundesverband "wir pflegen" fordert mehr Unterstützung für pflegende Angehörige. Michael Ruffert stellte ihr drei Fragen.

epd sozial: Frau Hallermann, wie belastet sind die pflegenden Angehörigen durch die Corona-Krise?

Susanne Hallermann: Die Belastungen für pflegende Angehörige verschärfen sich dramatisch: Täglich rufen zahlreiche Betroffene bei uns a und schildern, wie groß ihre Not ist. Viele sind verzweifelt. Denn viele Hilfen, die sie entlasten konnten, brechen jetzt weg. Nachbarn und Freunde können nicht mehr zu Besuch kommen und unterstützen, die Tagespflegen sind geschlossen, viele osteuropäischen Pflegekräfte sind abgereist.

Hinzu kommt, dass auch die häusliche Pflege neu organisiert werden muss. Die pflegenden Angehörigen haben ständig Angst, die zu pflegenden Eltern, Partner oder Kinder zu infizieren, denn diese gehören zu den Hochrisikogruppen. Diese Not auf der einen Seite und die bisherige Tatenlosigkeit der Politik auf der anderen führen dazu, dass viele pflegende Angehörige sich von der Politik völlig alleine gelassen fühlen.

epd: Die Eltern nicht besuchen, Abstand halten, heißt es von der Politik. Pflegende Angehörige können dies kaum tun. Wie sollen sie sich verhalten?

Hallermann: Pflegende Angehörige müssen nah bei den schutz- und pflegebedürftigen Personen sein - gerade jetzt, wo andere Hilfen wegbrechen. Pflege bedeutet Nähe, körperlich, wie seelisch. Und sein Kind oder die Mutter mit zwei Meter Abstand zu waschen, zu versorgen und zu begleiten, ist nicht machbar. Deswegen benötigen auch die pflegende Angehörigen zu Hause Schutzkleidung und hochwertige Masken. Außerdem fordern wir Corona-Schnelltests für pflegende Angehörige, damit die Betroffenen nicht immer in der Ungewissheit leben, ob sie nicht vielleicht doch infiziert sind, auch wenn sie keine Symptome haben.

epd: Welche Hilfen sind für pflegende Angehörige jetzt besonders notwendig?

Hallermann: Neben den genannten Punkten braucht es flexible finanzielle Unterstützung, um zusätzlichen Pflegeaufwand oder auch Nachbarschaftshilfe finanzieren zu können. Berufstätige pflegende Angehörige können nicht länger vor die Wahl gestellt werden, entweder zu pflegen oder arbeiten zu gehen. Hier braucht es eine verlässliche Pflegezeit mit Lohnersatz für pflegende Angehörige. Pflegende Angehörige sind systemrelevant, genauso wie beruflich Pflegende. Die Bundesregierung, Länder und Kommunen dürfen ihnen daher das Recht auf Unterstützung und Absicherung nicht verweigern.



Corona-Krise

Beschlüsse von Bund und Ländern zu weiteren Lockerungen



Nach fast zweimonatigen teils drastischen Einschränkungen in der Corona-Pandemie wollen Bund und Länder langsam zurück zur Normalität - allerdings einer Normalität unter Bedingungen. Die Regierungschefs beschlossen bei ihren Beratungen am 6. Mai weitere Lockerungen der derzeitigen Einschränkungen. Das Beschlusspapier spricht von einem "erheblichen weiteren Öffnungsschritt", weil aktuell keine erneut einsetzende Infektionsdynamik erkennbar sei. Die Entscheidungen im Überblick:



Alle GESCHÄFTE dürfen unter Einhaltung der Abstandsregelung wieder öffnen. Bislang galt das nur für Geschäfte bis zu einer bestimmten Größe. In die SCHULEN sollen schrittweise mehr Schüler kommen. Die Ministerpräsidenten und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) beschlossen die Vorgabe der Kultusminister, wonach jeder Schüler vor den Sommerferien noch einmal die Schule besuchen kann.



Die KINDERBETREUUNG soll flexibel und stufenweise spätestens ab kommenden Montag (11. Mai) in allen Bundesländer erweitert werden. Das völlige BESUCHSVERBOT für Pflegeheime, Krankenhäuser und Behinderteneinrichtungen wird gelockert. Patienten und Besucher sollen künftig von einer fest definierten Person wiederkehrend Besuch bekommen dürfen, solange es keinen Covid-19-Fall in der Einrichtung gibt.



Die 1. und 2. FUßBALL-BUNDESLIGA dürfen Mitte Mai ihren Spielbetrieb ohne Publikum in den Stadien wieder aufnehmen. Die konkreten Termine soll die Liga selbst festlegen. Bedingung ist, dass dem Spielbetrieb Quarantänemaßnahmen vorausgehen und bei nötigen Corona-Tests sichergestellt ist, dass das Gesundheitswesen Priorität hat. Der BREITEN- UND FREIZEITSPORT wird unter Einhaltung von Bedingungen wieder erlaubt.



Den Start für die Wiedereröffnung von RESTAURANTS, HOTELS, KULTUREINRICHTUNGEN und anderen Betrieben wie Fitnessstudios, Bars, Messen und Fahrschulen sollen die Länder in eigener Verantwortung festlegen. Einzelne Länder, darunter Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Bayern, hatten schon innerhalb der zurückliegenden Woche Daten für die Wiedereröffnung von Gastronomie und Hotels beschlossen. Nun werden regionale Regelungen, die voneinander abweichen können, dezidiert festgeschrieben.



Die geltenden KONTAKTBESCHRÄNKUNGEN gelten bis zum 5. Juni weiter. Allerdings dürfen sich künftig Personen eines Hausstands mit allen Angehörigen eines zweiten Haushalts treffen. Bislang war nur eine weitere Person erlaubt. Weiterhin gilt auch der MINDESTABSTAND von 1,5 Metern sowie die Verpflichtung zum Tragen eines Mund- und Nasenschutzes in öffentlichen Verkehrsmitteln und in Geschäften.



Bund und Länder vereinbarten zudem einen NOTFALLMECHANISMUS: Wenn Infektionsherde regional auftreten, soll es wieder Einschränkungen geben. Das ist dann der Fall, wenn in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt mehr als 50 nachgewiesene Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen auftreten. Sind die Infektionsketten klar, etwa in einem Pflegeheim, können die Einschränkungen nur die Einrichtung betreffen.



Corona-Krise

Bundesregierung lehnt Überbrückungsgeld für Risikogruppen ab



Noch eine Gruppe, für die finanzielle Unterstützung in der Corona-Krise gefordert wird: Der Paritätische Wohlfahrtsverband will, dass Risikogruppen, die aus Angst vor einer Infektion nicht zur Arbeit gehen, einen Lohnersatz erhalten. Die Bundesregierung lehnt das ab.

Die Bundesregierung hat die Forderung des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes abgelehnt, Angehörige von Risikogruppen, die aus Angst vor einer Corona-Infektion nicht zur Arbeit gehen, finanziell zu unterstützen. Der Paritätische schlug am 5. Mai in Berlin ein Überbrückungsgeld für gesundheitlich besonders gefährdete Beschäftigte vor, die allein aus Angst vor einem Verdienstausfall ihre Arbeit wieder aufnähmen und sich damit in Lebensgefahr begäben.

Das Bundesarbeitsministerium wies gegenüber dem Evangelischen Pressedienst (epd) darauf hin, dass nach den Vorgaben des SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandardes alle Arbeitgeber zur arbeitsmedizinischen Vorsorge und zum Schutz besonders gefährdeter Personen verpflichtet seien.

Individuelle Beratung beim Betriebsarzt

"Eine staatliche Finanzierung von Freistellungen würde diese wichtigen Arbeitsschutzanstrengungen unterlaufen und erhebliche Fehlanreize im Umgang mit dieser sehr großen Personengruppe setzen", erklärte das Ministerium am 5. Mai. Ein "Abdrängen" von Personen aus dem Kreis der Risikogruppen in eine unbezahlte Freistellung sei arbeitsrechtlich nicht zulässig. Auch würden die Betroffenen durch den vorhandenen Kündigungsschutz wirksam geschützt.

Das Bundesarbeitsministerium wies auf die Möglichkeit von Beschäftigten hin, sich individuell vom Betriebsarzt beraten zu lassen - "dies gerade auch zu besonderen Gefährdungen aufgrund einer Vorerkrankung oder einer individuellen Disposition". Auch Ängste und psychische Belastungen müssten thematisiert werden können. "Der Betriebsarzt kennt den Arbeitsplatz und schlägt dem Arbeitgeber geeignete Schutzmaßnahmen vor, wenn die normalen Arbeitsschutzmaßnahmen nicht ausreichen", erklärte das Ministerium weiter. Gegebenenfalls könne der Betriebsarzt auch einen Tätigkeitswechsel innerhalb des Unternehmens oder eine Ausübung der bisherigen Tätigkeit im Homeoffice empfehlen.

80 Prozent des Verdienstausfalls gefordert

Nach den Vorstellungen des Paritätischen Gesamtverbands solle ein Überbrückungsgeld 80 Prozent des Verdienstausfalls betragen und 87 Prozent, wenn Kinder im Haushalt leben. Die steuerfinanzierte Leistung sei allen Beschäftigten zu gewähren, die wegen ihres höheren Risikos für einen schweren Covid-19-Verlauf in der konkreten betrieblichen Lage nicht mehr ohne Gefährdung beschäftigt werden können und von erheblichen finanziellen Einbußen bedroht sind.

Ähnlich äußerte sich auch der VdK. "Menschen der Risikogruppe brauchen besonderen Schutz. Gibt es Vorerkrankungen, droht bei einer Covid-19-Infektion ein schwerer Verlauf oder sogar der Tod", sagte Präsidentin Verena Bentele. Hier seien die Arbeitgeber gefragt. "Menschen, die zur Risikogruppe gehören, sollte das Arbeiten im Homeoffice weiterhin ermöglicht werden. Wenn das nicht möglich ist, braucht es eine bezahlte Freistellung von der Arbeit. Der VdK fordert eine Lohnersatzleistung nach dem Infektionsschutzgesetz in Höhe von 80 Prozent."

Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) erklärte zu dem Vorstoß des Paritätischen, jetzt müsse es vor allem um Lösungen gehen, die auch Risikogruppen ermöglichen, wieder ihrer Arbeit nachzugehen. Mit geeigneten Schutzmaßnahmen und individuell angepasster Arbeitsgestaltung lasse sich dies sehr oft erreichen. "Es darf nicht sein, dass Verdienstausfall gezahlt wird, obwohl Arbeit wegen vorhandenem Infektionsschutz möglich ist", erklärten die Arbeitgeber.

Markus Jantzer


Corona-Krise

Qual oder Rettung? - Die Beatmung hochbetagter Patienten




Patient am Beatmungsgerät
epd-bild/Heike Lyding
Im Mittelpunkt bei der Behandlung schwer erkrankter Corona-Patienten stand bislang die Zahl an Beatmungsgeräten. Doch könnte diese intensivmedizinische Behandlung bei Hochbetagten mehr schaden als nützen?

Im Evangelischen Seniorenzentrum Theresienau in Bonn haben sich wohl die wenigsten Bewohner Gedanken gemacht, ob sie im Falle einer Corona-Erkrankung intensivmedizinisch behandelt werden wollen. Michael Thelen, Geschäftsführer des Pflegeheims, beobachtet, dass bislang nur etwa die Hälfte der rund 130 zum großen Teil hochbetagten Bewohner eine Patientenverfügung hat. Bislang blieb das Heim von der Pandemie verschont. Im Zweifelsfall würden dann aber letztlich in der Regel die Angehörigen entscheiden müssen, ob der Patient noch an ein Beatmungsgerät kommt, meint Thelen. "Das ist keine Situation, die man jemandem wünscht."

"Ethische Katastrophe"

"Eine Intensivbehandlung ist in vielerlei Hinsicht leidvoll", sagt der Wittener Palliativmediziner Matthias Thöns. Er zieht derzeit in Interviews und Talkshows gegen die "ethische Katastrophe" zu Felde, die sich seiner Meinung nach anbahnt. Ein Großteil der schwer erkrankten Corona-Patienten ist betagt und vorerkrankt. Thöns hält es für falsch, dass diese Menschen derzeit automatisch eine Intensivbehandlung mit künstlicher Beatmung erhielten. Das bedeute zwei bis drei Wochen schmerzhafte Prozeduren. Hinzu komme in Zeiten von Corona: "Man kann in diesem Fall seine Familie nicht mehr sehen."

Zugleich seien die Erfolgsaussichten der Behandlung schlecht, gibt Thöns zu bedenken. Etwa 90 Prozent der alten Menschen, die eine solche intensivmedizinische Behandlung überständen, stürben wenig später oder blieben schwerbehindert. Studien zeigten, dass Alte und Vorerkrankte eine intensivmedizinische Behandlung deshalb ablehnten. "91 Prozent sagen: Lieber tot als schwerbehindert."

Tatsächlich überlebt ein Großteil der schwerstkranken Corona-Patienten trotz Beatmung nicht. Die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin zitiert eine britische Studie, wonach durch die Beatmung auf der Intensivstation nur das Leben jedes dritten Patienten gerettet werden konnte. Thöns plädiert deshalb dafür, alte und vorerkrankte Menschen lieber palliativ zu behandeln und sie im Kreis ihrer Familie sterben zu lassen.

Geringe Überlebenschancen

Das sei schon immer der Weg gewesen, den die meisten Menschen am Ende eines Lebens bei einer Lungenentzündung gewählt hätten. "Warum soll das nun bei Covid-19 anders sein? ", fragt der Mediziner. Denn hier seien die Überlebenschancen gegenüber anderen Lungenentzündungen noch deutlich schlechter.

Auch der Hospiz- und Palliativ-Verband NRW befürchtet, dass die Möglichkeit einer palliativen Versorgung von schwer kranken und alten Corona-Patienten nicht genug Beachtung findet. "Ich nehme wahr, dass derzeit eine sehr starke Apparatefixierung im Gange ist", stellt die Verbandsvorsitzende Ulrike Herwald fest. Sie macht sich Sorgen, dass die Schaffung von Beatmungsplätzen und die Stresssituation viele Mediziner zu einem Automatismus führen könnten.

Lukas Radbruch, Direktor der Klinik für Palliativmedizin der Universität Bonn, sieht das anders. "Die Diskussion geht derzeit in die falsche Richtung", ist er überzeugt. Zwar gebe es Situationen, in denen die Erfolgsaussichten einer Intensivbehandlung so schlecht seien, dass man darauf verzichten und den Patienten besser palliativmedizinisch begleiten sollte, räumt er ein. "Ich sehe es aber nicht so, dass alte Menschen überwiegend lieber sterben wollen, als eine Intensivbehandlung durchzumachen."

Entscheidend ist der Patientenwille

Ähnliches beobachtet auch Michael Thelen bei den Bewohnern des Seniorenzentrums Theresienau. "Ich habe nicht den Eindruck, dass die Stimmung so ist, dass Intensivmedizin und Beatmung abgelehnt werden." Er plädiert dafür, die Entscheidung stets individuell unter Berücksichtigung des Patientenwillens zu treffen.

Einig sind sich Palliativ-Experten darüber, dass es entscheidend sei, den Patientenwillen zu kennen. "Das Gebot der Stunde lautet heute: eine Notfallpatientenverfügung machen", rät Thöns. Radbruch empfiehlt, sich dabei auch von einem Arzt beraten zu lassen, um sich über mögliche intensivmedizinische Maßnahmen aufklären zu lassen.

Claudia Rometsch


Corona-Krise

Interview

Experte: Notfallbetreuung darf nicht den falschen Kindern nutzen



Lorenz Bahr, Leiter des LVR-Landesjugendamtes Rheinland und Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter, wirbt im epd-Gespräch dafür, bei der jetzt anstehenden vorsichtigen Öffnung der Kitas vor allem benachteiligte Kinder zu betreuen. Sie seien von der Krise am meisten bedroht und bräuchten qualifizierte Hilfe bei ihren nächsten Entwicklungsschritten, so der Experte.

Für Lorenz Bahr ist und bleibt es richtig, dass diejenigen Kinder von Eltern, die in kritischer Infrastruktur tätig sind, weiter betreut werden sollen. Auch in den kommenden Wochen und Monaten werde diese Aufgabe oberste Priorität behalten. Die spannende Frage sei aber, für welche Kinder zusätzlich ein Angebot der Frühen Bildung geschaffen werden kann. Und da hat der Fachmann eine klare Meinung: Benachteiligte Kinder müssten vorrangig aufgenommen werden. Die Fragen stellte Dirk Baas.

epd sozial: Herr Bahr, Baumärkte sind offen, viele Geschäfte ebenso wie bald auch die Friseure. Nur bei den Kitas tut sich die Politik schwer, wieder ein Stück weit zur Normalität zurückzukehren. Haben Sie dafür Verständnis?

Lorenz Bahr: Ja, weil auch wir glauben, dass es eigentlich für Lockerungen zu früh ist und mit der öffentlichen Diskussion darüber Hoffnungen geweckt werden, die am Ende nicht eingelöst werden können. Auch ist das Interesse, Lockerungen zu gewähren, stark an der Verfügbarkeit der Eltern als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern orientiert.

epd: Aber die sind ja auch die Leidtragenden...

Bahr: Das Alles ist verständlich. Aber wir dürfen die Bedürfnisse des Kindes nicht in Vergessenheit geraten lassen. Auch gilt es, die Schutzbedürfnisse der Erzieherinnen und Erzieher in den Blick zu nehmen, die wir für eine gute frühe Bildung brauchen. Genau dieser Einschätzung hat sich die Jugend- und Familienministerkonferenz jetzt mit ihrem Beschluss zu den Kitas zu Eigen gemacht.

epd: Die Eltern in systemrelevanten Berufen sind in Sachen Kita-Betreuung seit Beginn der Krise im Vorteil. Jetzt soll die Notbetreuung ausgeweitet werden, damit mehr Eltern wieder arbeiten können. Ist das vernünftig?

Bahr: Es ist und bleibt richtig, dass diejenigen Kinder von Eltern, die in kritischer Infrastruktur tätig sind, betreut werden sollen. Auch in den nächsten Wochen und Monaten wird die Betreuung dieser Kinder oberste Priorität behalten. Die spannende Frage ist aber, für welche Kinder zusätzlich ein Angebot der Frühen Bildung geschaffen werden kann.

epd: Welche Gruppen favorisieren Sie?

Bahr: Zunächst muss man klar sagen, dass Tageseinrichtungen erst einmal Bildungs- und zusätzlich Betreuungsangebote sind. Wer und wessen Interessen haben hier Priorität? Wir werden in absehbarer Zeit nicht wieder alle Kinder aufnehmen können. Wir müssen also eine Auswahl treffen, die auch den begrenzten Raumkapazitäten und auch den Verfügung stehenden Erzieherinnen und Erzieher gerecht wird. Deshalb fordere ich, die Kinder zuerst in den Blick zu nehmen, die es in dieser Zeit besonders hart trifft.

epd: Warum gerade diese Gruppe?

Bahr: Sie könnten zu den wirklichen Verlierern der Krise werden. Deshalb muss unser Blick zunächst auf diejenigen Mädchen und Jungen gerichtet sein, die in prekären Situationen groß werden, etwa in beengten Verhältnissenim häuslichen Umfeld oder in einer psychosozial belasteten Situation. Dem kommt der oben genannte Beschluss der Minister auch nach.

epd: Die Notbetreuung und ihr Ausbau sei richtig, sagen Sie. Doch davon profitierten die falschen Kinder. Können Sie das begründen?

Bahr: Grundsätzlich profitieren natürlich alle Kinder von einem frühkindlichen Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungsangebot. Es gibt aber Kinder, die in der momentanen Situation ungleich mehr verlieren, als Kinder, deren Eltern über vielfältige persönliche und materielle Ressourcen verfügen. Auch ist es richtig, dass in einigen Bundesländern - Sachsen, Thüringen, Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen - die Notbetreuung auch für diejenigen Kinder offen ist, deren Wohl nachweislich in Frage gestellt ist. Auch hier wünsche ich mir ein möglichst bundeseinheitliches Verfahren, allein, um mehr Akzeptanz zu erfahren.

epd: Was versprechen Sie sich von dieser Priorisierung?

Bahr: Jeder Tag, der in der frühkindlichen Bildung versäumt wurde, ist ein verlorener Tag. Das bedeutet, dass Chancen versäumt werden, Entwicklungsschritte zu begleiten. Mit der Forderung, mehr den Bedarf einzelner Kinder bei der Notbetreuung in den Blick zu nehmen, soll verhindert werden, dass besonders die Kinder fehlende Begleitung erleben, die es ohnehin durch ihren familiären und sozialen Hintergrund schwer haben. Ich meine, diejenigen sollen zuerst eine Chance auf Bildung erhalten, denen es daran im familiären Umfeld mangelt.

epd: Wie soll man diese Gruppe ausfindig machen ohne die Familien oder deren Kinder zu diskriminieren?

Bahr: Wer unter den gegebenen Umständen einen Betreuungsplatz in öffentlicher Verantwortung erhalten kann, muss auf der Bundesebene im Konsens vereinbart werden, in den Ländern konkretisiert und am Ende in der Kommune und im Sozialraum nach transparenten Kriterien entschieden und geregelt werden.

epd: Wie sollte das vor Ort aussehen?

Bahr: Es muss für die Kinder in möglichst kleinen und stabilen Gruppen passen, es muss in die vorhandenen Räume passen und vor allem muss es ohne Stigmatisierung in der Einrichtung und im Sozialraum passen. Das kann gelingen, wenn die Gruppen möglichst heterogen zusammengesetzt werden. Die schlechtere Alternative wäre, dass diejenigen einen Platz erhalten, die am lautesten schreien und über den besseren Rechtsanwalt verfügen, um ihre Interessen durchzusetzen.



Corona-Krise

Alkoholkranke haben zusätzlichen Stress




Alkoholkranke müssen auf Treffen ihrer Selbsthilfegruppen derzeit verzichten.
epd-bild / Andrea Enderlein
Ob Ärztin, Facharbeiter oder Ingenieur - Alkoholismus ist eine chronische Krankheit, die jeden treffen kann. Für Betroffene spielen Selbsthilfegruppen eine wesentliche Rolle. Doch deren Arbeit ist in der Corona-Krise stark eingeschränkt.

Das Kontaktverbot infolge der Corona-Pandemie macht Alkoholkranken und ihren Familien in Deutschland schwer zu schaffen. Denn seit Mitte März ist ihnen untersagt, "leibhaftig" an den regelmäßigen Treffen von Organisationen wie den Anonymen Alkoholikern, den Guttemplern, dem Blauen Kreuz oder den Diakonie-Freundeskreisen teilzunehmen. Nach Schätzungen sind hierzulande bis zu zwei Millionen Männer und Frauen im Alter zwischen 18 und 64 Jahren alkoholabhängig, etwa 40.000 Menschen sterben jährlich an den Folgen des Konsums.

Der Kasseler Suchtexperte Markus Schimmelpfennig ist der Überzeugung, dass die Alkoholkrankheit nur durch lebenslange Abstinenz zum Stillstand gebracht, aber nicht geheilt werden kann. Von dem Ansatz, dass jeder alkoholabhängigen Person ein kontrollierter Konsum möglich wäre, hält er nichts. Nach dem Entzug in einer Suchtklinik gehe es vor allem darum, die "Trockenheit" zu bewahren, sagt er. Eine wichtige Rolle dabei spielten die Selbsthilfegruppen, deren Aktivitäten durch die Corona-Pandemie jedoch stark eingeschränkt seien.

Erhöhtes Rückfallrisiko

Der Ausfall der Meetings erzeugt laut Schimmelpfennig "zusätzlichen Stress und erhöht das Rückfallrisiko". Vielen Betroffenen drohten Vereinsamung und psychische Probleme, außerdem quälten sie wirtschaftliche Nöte.

Ihnen fehlten der Austausch auf Augenhöhe, der Rückhalt und die Geborgenheit in der Gruppe, sagte der Experte. Denn dort könnten sie, anders als in der Familie oder im Kollegenkreis, alles sagen und auch "mal schlecht drauf sein", wie der Facharzt für Öffentliches Gesundheitswesen und Krankenhaushygiene hervorhebt. "Alkoholiker untereinander können sich nicht belügen." Virtuelle Treffen seien nur ein "zweitklassiger Ersatz".

Telefonkonferenzen als Ersatz

Gleichwohl bleibt den Selbsthilfegruppen in der Corona-Krise nichts anderes übrig, als Telefon- und Onlinemeetings zu organisieren, wie zum Beispiel dem Guttempler-Landesverband Hessen. Die einmal in der Woche stattfindenden Telefonkonferenzen würden sehr gut angenommen, berichtet der Vorsitzende Ulrich Bernhard. Außerdem sei seit 1. April ein bundesweites Nottelefon geschaltet, und Videokonferenzen seien im Aufbau. "Wenn ein Betroffener trotzdem auf ein persönliches Gespräch besteht, führe ich das, selbstverständlich mit dem vorgeschriebenen Sicherheitsabstand", betont Bernhard.

Auch die rund 2.500 Gruppen der Anonymen Alkoholiker in Deutschland halten Kontakt über Tablet und Smartphone oder nutzen die Erste-Hilfe-Telefonnummer auf der Website. Er selbst nehme regelmäßig an Online-Treffen teil, schicke vermehrt E-Mails und "hänge viel am Telefon", sagt der Gründer der Marburger Gruppe, Werner K. (Name geändert). Deutlich weniger vernetzt seien hingegen die Angehörigen-Gruppen, bedauert er.

Das bestätigt auch Evelyn S. (Name geändert), die die Selbsthilfegruppe von Angehörigen von Suchtkranken im Diakonischen Werk Biedenkopf leitet. Immerhin hielten vier Mitglieder per WhatsApp Kontakt, außerdem sei die Gruppe telefonisch erreichbar: "Wir freuen uns, wenn die Krise überstanden ist und wir uns wieder vor Ort austauschen können."

Dieter Schneberger



sozial-Branche

Corona-Krise

Pflegekräfte brauchen Pausen statt Applaus




Intensivstation im Waldkrankenhaus Spandau, Berlin
epd-bild/Werner Krüper
In Deutschlands Kliniken fehlt in der Corona-Krise für das gestresste Personal so einiges: Ausrüstung zum Schutz vor dem Virus, Erholung durch regelmäßige Pausen, ebenso psychologische Hilfe bei extremen Belastungen. Experten warnen vor gesundheitlichen Folgen der Daueranspannung.

Klatschen allein reicht überhaupt nicht: Mehr als 1,2 Millionen Menschen arbeiten in deutschen Krankenhäusern, 700.000 in Pflegeheimen. "Die Beschäftigten wissen ganz genau, was sie brauchen, um ihren Job professionell und sicher ausüben zu können", sagt Sylvia Bühler. Das Vorstandsmitglied der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di leitet den Gesundheitsfachbereich. Wie viele Beschäftigte, die sie vertritt, steht die Gewerkschafterin unter Dauerstrom.

Denn auch wenn die große Welle an Corona-Patienten bisher nicht kam: In Kliniken und Pflegeeinrichtungen herrscht die Krise. Und es fehlt an vielem: an Schutzausrüstung, Covid-19-Tests und ausreichend Ruhezeiten. "Viele scheinen zu vergessen, dass Beschäftigte im Gesundheits- und Sozialwesen keine übernatürlichen Kräfte haben", sagt Bühler.

Notfallmediziner schlagen Alarm

Auch die Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) schlägt aus Sorge um die psychische Gesundheit der Beschäftigten Alarm. In den meisten Kliniken gebe es aller Corona-Hilfsdebatten zum Trotz keinerlei psychologische Hilfsstruktur für das eigene Personal - obwohl dieses oft extreme Situationen erlebe und sich nun auf eine besondere Krise vorbereite. "Die Situation ist dramatisch", sagt DIVI-Generalsekretär Felix Walcher, Direktor der Unfallchirurgie der Uniklinik Magdeburg.

Die Fachgesellschaft hat Empfehlungen zur Mitarbeitergesundheit veröffentlicht, die auch kurzfristig helfen können: abwechseln zwischen emotional belastender und einfacherer Arbeit, Transparenz aktueller Informationen, belastbare Dienstpläne, auf Erholung achten.

Umdenken ist nötig

Marlen Melzer von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin sagte, es brauche außerdem ein langfristiges Umdenken. Pflegende stechen in Sachen Arbeitsbelastung seit Jahrzehnten in jeder Studie heraus. Entsprechend seien sie häufiger krank als andere Berufsgruppen und stiegen vorzeitig aus dem Beruf aus, der stark unter Fachkräftemangel leide. Neben Muskel- und Skeletterkrankungen belasteten die Angestellten das Leiden und Sterben der Patienten und der Umgang mit Angehörigen psychisch, wie die Dresdener Arbeitspsychologin erklärt.

In Corona-Zeiten komme erschwerend hinzu, dass Patienten und ihren Angehörigen die Verschiebung von Behandlungsterminen und Kontaktsperren vermittelt werden müssten.

Neue Pausenkultur angemahnt

Auch kurzfristig lasse sich aus arbeitsmedizinischer Sicht einiges verbessern, sagt Melzer, die dazu einen Leitfaden für Krankenhausstationen entwickelt hat. Zum Beispiel durch verbindliche Pausen - derzeit alles andere als selbstverständlich, zeigten Branchenbefragungen: "Häufig werden Pausen nicht geplant, sondern den Pflegenden selbst überlassen." Dadurch verschieben und verkürzen sie sich oft oder fallen aus - obwohl es wissenschaftlich unstrittig ist, dass Pausen vor Fehlern schützen und damit zur Sicherheit von Patienten beitragen.

"Fünf Minuten Pause jede Stunde zum Händewaschen und zum Kollegengespräch verbessern Informationsfluss und Hygiene", sagt Melzer. Dafür brauche es eine "Pausenkultur" - die der Branche jedoch fehle. Wirkungsvoll sei auch ein Pausenplan für die gesetzlich vorgegebene Ruhepause: "Dann gibt es während der Pause eine Vertretung. Kollegen können diese gemeinsam machen, ohne im Hinterkopf zu haben, dass jemand unterversorgt ist."

Ver.di will nach der Krise dafür sorgen, dass die Relevanz der Berufe nicht in Vergessenheit gerät. Auch Arbeitsmedizinerin Melzer hofft, dass die erhöhte Aufmerksamkeit in der Krise die Arbeitsbedingungen verändert.

Miriam Bunjes


Corona-Krise

Arbeitsbedingungen in der Pflege



In der Corona-Pandemie wird die Arbeit der Pflegeberufe stärker gewürdigt als je zuvor. Allerdings sind die Arbeitsbedingungen in der professionellen Pflege krisenhaft, und dies nicht erst seit Corona. Angesichts der demografischen Entwicklung und des chronischen Fachkräftemangels weisen Forscher, Gewerkschaften und Verbände seit Jahren auf Missstände bei den Arbeitsbedingungen hin.

Die regelmäßigen Erwerbstätigenbefragungen der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin zeigen, dass die Belastungen über die Zeit weitestgehend gleich bleiben: Verglichen mit anderen Berufen sind sie besonders hoch. Das häufige Heben und Tragen schwerer Lasten und das Arbeiten in Zwangshaltungen - hockend, gebückt oder kniend - kommt dreimal so häufig vor wie durchschnittlich in anderen Berufen.

Auch psychisch sind Pflegende stärker belastet. Mehr als zwei Drittel der Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger gaben in der jüngsten Befragung von 2018 an, häufig starkem Termin- und Leistungsdruck ausgesetzt zu sein und beim Arbeiten häufig unterbrochen oder gestört zu werden. Mehr als die Hälfte muss sehr schnell arbeiten, 37 Prozent häufig "an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit". Das ist mehr als doppelt so viel wie in anderen Berufen.

Belastende Altenpflege

Auch Altenpfleger nannten diesen Wert. Fast viermal so häufig wie andere Erwerbstätige geraten sie zudem in "gefühlsmäßig belastende Situationen": 40 Prozent gaben dies 2018 in der Studie an, Beschäftigte aus anderen Berufen sind insgesamt nur zu elf Prozent oft in emotionalen Belastungssituationen.

Entsprechend fühlen sich rund 45 Prozent der Pflegenden überfordert - im Vergleich zu 21 Prozent der anderen Beschäftigten. Auch haben Angehörige der Pflegeberufe deutlich häufiger psychosomatische und Muskel-Skelett-Beschwerden. Mehr als die Hälfte der Pflegenden gab an, drei und mehr gesundheitliche Beschwerden zu haben. Von den anderen Erwerbstätigen trifft dies nur auf ein Drittel zu.

Dennoch zeigen Befragungen: Fast 90 Prozent der beruflich Pflegenden mögen ihre Arbeit. In der stationären und ambulanten Pflege in Klinken und Pflegeheimen sind aktuell mehr als 1,5 Millionen Personen beschäftigt.



Corona-Krise

Von Tod, Trauer und neuer Normalität in der Pflege




Svenja Dankers vor dem Johannisheim in Stade
epd-bild / Jens Schulze
Sie bekommen gerade viel Lob für ihre Arbeit, müssen aber im Kampf gegen das Coronavirus auch herbe Kritik aushalten: In den vielerorts ohnehin von Personalmangel betroffenen Altenpflegeheimen sind die Beschäftigten mehr gefordert als je zuvor.

Es geht um Angst, natürlich um Zusammenhalt, um Tod und Trauer, um den Kampf gegen einen unsichtbaren Feind, um Engagement jenseits festgelegter Dienstpläne, um Würde am Lebensende: Die Arbeit in den bundesweit etwa 14.500 Altenpflegeheimen in Corona-Zeiten fordert alle Beteiligten bis zum Anschlag, besonders die Pflegekräfte. Wortmeldungen aus zwei Einrichtungen in Niedersachsen zeigen beispielhaft, was Menschen denken und fühlen, die dort arbeiten, wo es täglich um Leben und Tod geht.

Zwei Frauen stehen dabei im Mittelpunkt: Svenja Siegel, 41, arbeitet als gerontopsychiatrische Fachkraft in der diakonischen Grotjahn-Stiftung in Schladen bei Goslar. Dort, im Hermann-Oberschmidt-Haus am Harzrand, werden 80 Ältere versorgt und begleitet. In der Stiftung sind in den vergangenen Wochen acht Menschen an den Folgen einer Coronavirus-Infektion gestorben.

240 Kilometer weiter nördlich, in Stade bei Hamburg, ist Svenja Dankers, 33, als Altenpflegerin im Johannisheim tätig. Das Haus hat 124 Plätze und gehört ebenfalls zur Diakonie. Dort starben bisher fünf Bewohner im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie. In beiden Einrichtungen leben viele Menschen mit einer Demenz.

Anfang und Zusammenhalt

Als in der chinesischen Stadt Wuhan im Dezember vergangenen Jahres erste Fälle einer unbekannten Lungenkrankheit auftraten, "war das so ganz weit weg", erinnert sich in Schladen Stiftungssprecher Benedikt Kappler, 35. "Und dann - auf einmal laufen alle mit Mundschutz rum, weil es immer näher kam. Da hat man sich dann schon intensivere Gedanken gemacht."

Sowohl in Schladen wie auch in Stade wurden schnell Besuche verboten, um das Infektionsrisiko zu senken. Nach ersten Ansteckungen wurden sofort Isolierstationen eingerichtet. "Da hat sich ein kleines Team aufgebaut für drei Schichten, früh, spät, nachts", berichtet Svenja Dankers aus Stade. "Zwei Nachtwachen, fünf im Tagdienst. Das Umziehen der Bewohner von einer Station zur anderen, das musste alles schnell gehen. Das war kein Dienst nach Vorschrift, es ging teilweise zwölf Stunden und länger, tagtäglich ein anderes Erleben." Ihre Kollegin Svenja Siegel ergänzt: "Alle waren und sind motiviert."

Benedikt Kappler, zu der Zeit noch Pflegedienstleiter, meint: "Die Überstunden waren für niemanden ein Problem. Nach 14 Stunden allerdings fällt das Abschalten schwer und man läuft weiter auf Hochtouren." So war es auch in Stade, erinnert sich Heimleiterin Sylvia Balbuchta, 47: "Die große Frage für uns war, was ist wirklich dran an dieser Pandemie, was ist Panikmache?" Ihr Eindruck: Politik und Behörden haben Corona zuerst nicht ernst genommen. "Aber warum in Gottes Namen sollte dieses Virus in China bleiben?"

Angst und Trauer

Dann kamen die ersten Infektionen und Todesfälle. "Ich war sehr mitgenommen, sehr traurig", sagt Svenja Dankers. "Ich und meine Kolleginnen haben hier oft genug gestanden und geweint, um den Druck loszuwerden." Um sich selber habe sie keine Angst gehabt. "Man denkt sich ja immer: Ich selbst werde es nicht sein. Wenn ich es bekomme, stehe ich es relativ gut durch. Ich hatte aber Angst davor, dass es für die Bewohner sehr schlecht sein könnte, weil wir hier doch viele Menschen mit heftigen Vorerkrankungen haben."

Svenja Siegel meint: "Im Hinterkopf ist da sicherlich auch mal Angst, dass wir unter Umständen in die Bredouille kommen, wenn wir mit schwerstkranken Menschen arbeiten." Ihr Kollege Benedikt Kappler sagt, durch den Aufnahmestopp im Isolierbereich blieben die Betten verstorbener Bewohner zunächst einmal leer, vor der Krise seien Plätze schnell wieder belegt worden. "Die Situation ist dadurch jetzt viel präsenter, die Erinnerungen bleiben länger wach."

Er spricht aus, was viele Beschäftigte in den Heimen umtreibt: "Wir haben alles getan, um Vorsorge zu treffen. Und dass es trotzdem Infektionen und Todesfälle gab, das war für alle ein Tiefschlag". Auch die Ansteckungswege seien bis heute nicht klar. "Einiges kann man gar nicht so beeinflussen, Krankenhaus-Entlassungen von Bewohnern zum Beispiel. Und natürlich hat jeder Mitarbeiter ein Privatleben, kauft ein, hat Kinder." Sylvia Balbuchta spricht von Hilflosigkeit: "Warum haben wir das gekriegt? Wir haben doch alle Empfehlungen, die das Robert Koch-Institut rausgegeben hat, früh umgesetzt." Die ersten vier Wochen nach Ausbruch der Pandemie im Haus, "die waren die Hölle".

In dieser Ausnahmesituation war und ist in beiden Einrichtungen der Zusammenhalt im Team wichtig. "Es gibt viele Gespräche", sagt Svenja Siegel, "auch in kleineren Gruppen oder unter vier Augen. Außerdem unterstützt uns die Pfarrerin im Haus." Svenja Dankers ist froh: "Wir haben viele tolle Leute hier, ein Team, mit dem man Pferde stehlen kann."

Vorwürfe und Beifall

Die Reaktionen außerhalb der Einrichtung sind dagegen unterschiedlich. Benedikt Kappler hört aus dem benachbarten Wolfsburg von Angriffen. Dort sind im diakonischen Hanns-Lilje-Heim mehr als 40 Bewohner an den Folgen einer Corona-Infektion gestorben. "Mitarbeiter müssen auf der Straße erdulden, bespuckt und beschimpft zu werden. Hauswirtschaftskräfte der Einrichtung, die für Ältere Einkäufe erledigen sollten, bekamen keinen Zutritt zu Supermärkten."

Andererseits wurden Pflegekräfte zu "Helden des Alltags" ernannt, die Beifall vom Balkon bekamen. "Ein Pizza-Bäcker aus Stade hat uns zum Dank zehn Pizzen geliefert", freut sich Svenja Dankers. "Dann gibt es aber auch Menschen, die uns über die sozialen Netzwerke anfeinden, uns die Schuld dafür geben, dass in unserem Haus Covid-19 ausgebrochen ist. Darüber war ich am Anfang sehr traurig, denn niemand kann alle Infektionswege kontrollieren. Wer so etwas sagt, soll unsere Schuhe anziehen, soll hier herkommen, soll unsere Arbeit aufnehmen und sich dann ein Urteil bilden."

Wie schwierig gerade anfangs Fremd- und Selbstschutz waren, zeigt vor allem ein Blick auf das bis heute knappe Schutzmaterial. "Als wir dann so viele Infektionsfälle hatten und es noch immer keine medizinischen FFP-2-Masken gab, habe ich gedacht: Mist, mein Personal ist hier Kanonenfutter", erinnert sich Heimleiterin Sylvia Balbuchta. Sie habe überall gebettelt. Dann seien die Preise für Schutzmasken explodiert. "Von 60 Cent auf 4.90 Euro das Stück, das ist der Wahnsinn." Auch Schutzkittel habe es anfangs nicht gegeben. "Da haben wir Müllsäcke zusammennähen lassen, damit wir was hatten." Mittlerweile habe sich die Situation entspannt.

Normalität und Veränderung

Mit den ersten Infektionen wurden nicht nur Besuche verboten, sondern in den Häusern auch Treffpunkte geschlossen, Beschäftigungsangebote gestrichen, Kontakte auf das unbedingt nötige Maß reduziert. Kein gemeinsames Singen, Malen, Spielen. Nun macht sich Isolation breit, zerrt an der Psyche der Bewohner. "Das ist besonders für Menschen mit einer Demenz einschneidend", verdeutlicht Svenja Dankers. "Die dürfen ihrem Bewegungsdrang nicht mehr so nachkommen, dürfen zum Spaziergang nicht aus dem Haus. Da müssen wir als Pflegekräfte noch mehr Zuwendung geben, das ist nicht immer ganz leicht. Dadurch wird der Dienst noch kompakter."

Außerdem mussten sich die Bewohner an das neue Aussehen der Pflegekräfte erst gewöhnen. "Sie haben uns teilweise gar nicht mehr erkannt, wir waren ja nicht mehr die, die wir vorher waren", beschreibt Svenja Dankers, "mit Maske, Schutzkittel und Handschuhen". Dazu kommt: Die Maske drückt, das Atmen darunter fällt richtig schwer, Brillen beschlagen, das ewige Händewaschen und Desinfizieren tut nicht gut. Svenja Siegel: "Die Hände werden rau, trocknen aus, platzen auf."

Und im Umgang mit den Schutzmasken ergänzt sie: "Das große Problem ist, dass man das Lächeln nicht mehr sieht." Ganz viel laufe bei schwerst dementen Menschen nun über Gerüche. "Wenn wir weiterhin unser bekanntes Parfüm oder Deo benutzen, wird das wahrgenommen. Aber manche reagieren eben auch mit Angst und Unruhe und fragen, ob wir oder sie krank sind. Wir versuchen das Beste draus zu machen. Ich habe gerade auf meinen blauen Schutzkittel ein großes rotes Herz gemalt - mit Augen und einem Mund."

So entsteht eine neue Normalität: Kolleginnen und Kollegen begegnen sich mit größerem Abstand, auch im Dienstzimmer und im Pausenraum. Umarmungen, unter Kolleginnen bisher Standard, gibt es nicht mehr. Die Hand geben, ein Übergriff. Trotzdem hoffen alle, dass bald wieder mehr tagesstrukturierende Angebote möglich werden. Die Politik lockert gerade die Besuchsverbote.

Was die Beschäftigten in beiden Einrichtungen freut, bringt Sylvia Balbuchta auf den Punkt: "Ein Großteil der Angehörigen vertraut uns und begegnet uns mit Verständnis." Ihre Kollegin Svenja Dankers betont, man sei im Umgang mit der Krise erfahrener geworden: "Uns geht jetzt alles leichter von der Hand. Wir erkennen früher die Anzeichen einer Infektion, können schneller reagieren. Und wir lachen wieder mehr."

Politik und Zukunft

Alle fragen sich, ob es beim Beifall vom Balkon und einmaligen Bonus-Zahlungen bleibt. "Die Politik hat die Pflege ganz klein gemacht, hat sie eigentlich immer kurzgehalten und finanziell gedrückt", kritisiert Svenja Dankers. "Ich habe die Befürchtung, dass es nach der Krise wieder so wird."

Claus Hinrichs, 68, Vorstandschef des Johannisheims in Stade, mahnt, die Pflege dürfe durch den Wettbewerb nicht ausgehöhlt werden. Konkurrenz sei nicht verkehrt, meint der Wasserwirtschafts-Ingenieur. Pflege sei aber Daseinsvorsorge und in dieser Hinsicht zuerst eine öffentliche Aufgabe: "Es darf nicht um billig, billig, billig gehen. Der Preiskampf darf nicht auf dem Rücken von Bewohnern und Beschäftigten ausgetragen werden. Zuallererst sind gute Begleitung und Würde am Lebensende wichtig. Dafür muss die Altenpflege ausgerüstet werden."

Gunnar Müller, Dieter Sell


Corona-Krise

Angehörige: "Pflege daheim ist ein einziger Alptraum"




Vor allem Berufstätige, die daheim Angehörige versorgen, stehen in der Corona-Krise massiv unter Druck.
epd-bild/Werner Krüper
Für Angehörige von pflegebedürftigen Menschen ist seit dem Ausbruch des Coronavirus das Leben sehr schwer geworden. Manche sind mit ihren Kräften am Ende. Darauf soll der 12. Mai als "Tag der Pflege" aufmerksam machen.

Die Schließung der Tagespflege-Einrichtung droht Birgit Dölfel an den Rand ihrer Kräfte zu bringen. Ihr Mann sei in der Tagespflege in guter Obhut gewesen, erzählt sie. "Er ging auch gern dorthin." Dann schloss die Einrichtung pandemiebedingt. Seither ist der an Demenz erkrankte Gatte der 63-jährigen Würzburgerin zu Hause. Dölfel hat noch einen 35-Stunden-Job als Bibliotheksangestellte. Und keine Ahnung, wie es nun weitergehen soll, da ihr Mann rund um die Uhr Betreuung benötigt. "Die momentane Situation ist für mich ein einziger Alptraum", sagt die pflegende Angehörige.

"Seit der Demenzdiagnose im Sommer 2018 fühle ich mich, als würden zwei Köpfe auf meinem Hals sitzen: einer, der mein eigenes Leben betrifft, und der andere, der das Leben meines Mannes betrifft", sagt sie. Auch als ihr Mann in die Tagespflege ging, sei sie immerzu angespannt gewesen.

Berufstätige Pflegende besonders betroffen

Wie es pflegenden Angehörigen gerade geht, darauf möchte sie anlässlich des "Tages der Pflege" am 12. Mai aufmerksam machen. Niemand hat momentan eine Antwort parat, wie berufstätige Angehörige, die ein Familienmitglied pflegen, beide Anforderungen während der Corona-Krise managen können, sagt Dölfel.

Zwar ist es gesetzlich möglich, sich bis zu zehn Tage von der Arbeit freistellen zu lassen, um die Pflege neu zu organisieren. Diese Zeit hat die Angestellte im öffentlichen Dienst längst aufgebraucht. Nachdem sie eidesstattlich versichert hat, dass es derzeit niemanden gibt, der sich um die Pflege ihres Mannes kümmert, wurde sie vom Arbeitgeber vorübergehend freigestellt.

Woche für Woche hofft Dölfel, dass es endlich eine Tagespflege-Notbetreuung gibt. Seit März versucht Birgit Dölfel, die Tage irgendwie zu überstehen. Eine Haushaltshilfe aus Osteuropa kommt für sie nicht infrage: "Dazu ist unsere Mietwohnung zu klein." Auch würde es nicht viel nützen, die Sozialstation einzuschalten. Denn es geht bei der Pflege ihres Mannes nicht nur um ein paar Handgriffe: "Er kann nichts mehr alleine tun." Im schlimmsten Fall müsste Birgit Dölfel ihren Job quittieren und, mit Abschlägen, zwei Jahre früher als geplant in Rente gehen.

Manchen droht die Kündigung im Job

Anderen Angehörigen, die in der Corona-Krise kurzfristig die Pflege übernehmen mussten, wurde gar mit Kündigung gedroht, berichtet Michael Schröter vom Gautinger Unternehmen "Bayernpflege", das polnische Betreuungs- und Pflegekräfte vermittelt. Die Nachfrage nach diesen Kräften sei momentan immens, sagt er. Sein Unternehmen könne sie bei weitem nicht decken. Schon gar nicht prompt. Schröter weiß, wie sehr häusliche Pflege stresst: "Wir erleben in den Familien gerade viel Leid und Verzweiflung."

Verschärft wird die Situation, wenn Angehörige und Pflegebedürftige kein gutes Verhältnis haben. Dass sie von jetzt auf gleich nahezu alleine für die Pflege verantwortlich sind, kann für Angehörige dann höchst problematisch werden, sagt die Erlanger Pfarrerin Isolde Meinhard. Eine Beziehung zwischen Elternteil und Kind, die noch nie sehr gut war, könnte sich weiter verschlechtern, wenn man nun stark aufeinander angewiesen ist.

Für Menschen im Seniorenheim ist es stets ein Lichtblick, wenn Besuch kommt. Auch das fällt krisenbedingt bis zum 9. Mai weg. Welche Dramen dadurch entstanden, erfuhren die Beraterinnen des Würzburger Vereins "Halma - Hilfen für alte Menschen im Alltag". So erzählte eine Klientin am Telefon von ihrem Ehemann, der im Heim lebte und dort mit dem Coronavirus infiziert wurde. "Die Ehefrau hatte sich selbst angesteckt und lag schwer krank zu Hause", berichtet "Halma"-Leiterin Sabine Seipp. Wochenlang konnte sie ihren Mann nicht sehen: "Dann starb er, kurz bevor sie wieder gesund wurde."

Pat Christ


Corona-Krise

Sozialverbände dämpfen Erwartungen an Heimbesuche




Ständchen in Corona-Zeiten: Alphornbläser vor einem Altenzentrum in Idstein
epd-bild/Heike Lyding
Besuche in Altenheimen sollen bald wieder möglich sein. Sozialverbände begrüßen die Lockerung, verweisen aber auch auf weiterhin nötige Schutzmaßnahmen. Das betrifft auch den Muttertag.

Sozialverbände dämpfen die Erwartungen auf flächendeckende Besuche in Altenheimen bereits ab dem 10. Mai (Muttertag). Wegen der weiterhin geltenden Schutzvorschriften könnten nicht alle Besuche schon am Muttertag umgesetzt werden, erklärten die Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe und mehrere Caritasverbände in Nordrhein-Westfalen. Die Stiftung Patientenschutz beklagte, dass nicht eingehaltene Ankündigungen Pflegebedürftige und ihre Angehörigen frustrierten.

"Wir freuen uns, dass Bewohnerinnen und Bewohner ihre Angehörigen nach sechs langen Wochen nach und nach wieder sehen können", sagte der Vorstand der Diakonie RWL, Christian Heine-Göttelmann. Es solle jedoch niemand erwarten, dass jetzt sofort alles so werde wie vor der Corona-Pandemie: "Wir werden uns an eine neue Normalität gewöhnen müssen."

Dazu gehörten klare Konzepte zum Schutz der Bewohner, der Mitarbeitenden und der Angehörigen. Die Mitgliedseinrichtungen der Diakonie müssten vor Ort mit den Gesundheitsämtern und den Kommunen zusammenarbeiten, um schnell sichere Lösungen zu finden.

Oft fehlt noch Schutzkleidung

Nicht alle Einrichtungen hätten genügend Platz, um große Besuchszelte vor den Gebäuden zu errichten, erklärte der Diakoniechef. In einigen Mitgliedseinrichtungen fehle es zudem immer noch an Schutzkleidung.

Die Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege NRW wies auf die Pflicht zur Einhaltung von strengen Hygienestandards und Besuchsregelungen hin. "Die Einrichtungen arbeiten mit aller Kraft, um Besuchsmöglichkeiten und Infektionsschutz zu gewährleisten", sagte der Voritzende Frank Joh. Hensel.

Zu Beginn der Lockerungen ließen sich noch nicht alle Besuchswünsche wie erhofft erfüllen. "Aus Gründen der Infektionsgefahr müssen die Kontakte leider reguliert werden." Besuchstrmine müssten in der Regel vorher vereinbart werden. Die Einrichtungen müssten beispielsweise Zelte, Container, Terrassen oder separate Räume herrichten und Hygieneschutzkonzepte umsetzen.

Auch mehrere Caritasverbände begrüßten die Lockerung bei den Besuchen in Alten- und Pflegeheimen. Es könnten jedoch nicht alle Angehörigen gleich am Muttertag in die Einrichtungen kommen, erklärte der Caritasdirektor für das Bistum Münster, Heinz-Josef Kessmann, am 6. Mai. Jedes Haus solle kurzfristig ein Konzept erarbeiten, in welchem Umfang und wie Besuche möglich seien. Es bleibe weiterhin nötig, dass Besuche vorher mit der jeweiligen Heimleitung abgestimmt werden.

Zahl der Besucher bleibt begrenzt

Nach den nach wie vor geltenden Schutzbestimmungen werde die Zahl von Besuchen pro Heim deutlich begrenzt, erklärte der Caritasverband des Erzbistums Paderborn. Jeder einzelne Besuch müsse aufwendig organisiert werden. Dazu gehörten die Ausstattung der Besucher mit Schutzmaterialien sowie ein gesundheitliches Screening, inklusive Temperaturmessen und Erfassung persönlicher Daten. Nur ein kleiner Teil der in einem Heim lebenden Menschen könne so gleichzeitig besucht werden.

"Grundsätzlich begrüßen wir den Schritt der Bundesregierung. Pflegeheime sind Wohnorte, keine Gefängnisse", sagte Hans-Joachim Lenke, Vorstandssprecher der Diakonie in Niedersachsen. "Viele Angehörige und Bewohner leiden unter den Besuchsverboten. Auch wenn die Pflegeeinrichtungen durch kreative Ideen, wie Besuche am Fenster, Videoschalten und Telefonate, versucht haben, den Kontakte aufrechtzuerhalten, so ist der persönliche Kontakt doch durch nichts zu ersetzen."

Dennoch Schutz der Bewohner sichern

Dennoch dürfe bei den beschlossenen Öffnungen der Schutz der Bewohner nicht vergessen werden. Auch deshalb fordert Lenke: "Die Nachvollziehbarkeit von Infektionsketten schützt die besondere Risikogruppe in unseren Pflegeheimen. Das bedeutet: regelmäßige Testungen von Mitarbeitenden und Bewohnern schafft Transparenz und bietet die Möglichkeit, schnell handeln zu können. Wünschenswert sind hier zweimal wöchentliche Testungen."

Der Sozialverband Deutschland begrüßte die Lockerungen ebenfalls. Sie seien "gut und notwendig". Um die Sicherheit in Einrichtungen weiterhin zu gewährleisten, seien aber dringend weiterführende Schutzkonzepte erforderlich. "Bund und Länder sind deshalb aufgerufen, jetzt die Erarbeitung von Schutzkonzepten einzufordern und die Einrichtungen zu unterstützen."

"Regierung produziert Frust"

Die Stiftung Patientenschutz kritisierte, dass Versprechen des Sozialministeriums nicht eingehalten würden. Am Muttertag sei oft kein Besuchstag. "So produzierte die Landesregierung Frust bei Pflegebedürftigen und Ihren Familien", sagte der Vorstand der Stiftung, Eugen Brysch, dem Evangelischer Pressedienst (epd).

NRW-Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU) hatte am 5. Mai angekündigt, dass bereits zum Muttertag Besuche in Altenheimen und Wohnheimen der Behindertenhilfe wieder möglich sein sollen. Voraussetzung für diesen Schritt sei, dass wichtige Schutzmaßnahmen eingehalten werden. Zudem muss jede Einrichtung ein Besucher- und Hygienekonzept vorlegen, damit sie wieder geöffnet werden darf. Altenheime, die derzeit noch von Corona-Erkrankungen betroffen sind, sind von der Aufhebung des Besuchsverbots ausgenommen.

Holger Spierig


Corona-Krise

Interview

SOS-Kinderdorf: "Gleiche Rechte für alle Kinder"




Birgit Lambertz
epd-bild/SOS-Kinderdorf
Kinder sind von den Corona-Einschränkungen ganz besonders betroffen. SOS-Kinderdorf hilft aktiv, um Familien zu entlasten. Geschäftsführerin Birgit Lambertz sieht in der Krise auch Kinderrechte in Gefahr. Und doch, so die Expertin, könne man mit Blick auf die Kinder vielleicht auch gestärkt aus der Krise hervorgehen, verrät sie im epd-Interview.

Kinder haben eigene Rechte, festgehalten in der UN-Kinderrechtskonvention von 1989, die durch den Lockdown eingeschränkt sind. Welche Kinderrechte in der Corona-Zeit vor allem betroffen sind, erklärt Birgit Lambertz, Geschäftsführerin und stellvertretende Vorstandsvorsitzende von SOS-Kinderdorf e.V. mit Sitz in München, im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Fragen stellte Christine Ulrich.

epd sozial: Frau Lambertz, welche Kinderrechte sind aufgrund der Corona-Einschränkungen besonders gefährdet?

Birgit Lambertz: Durch den Lockdown sind die Kinderrechte genauso eingeschränkt wie die Grundrechte Erwachsener. Was mich bewegt ist, dass für alle Kinder die Rechte gleichermaßen gelten müssen - alle Kinder haben das gleiche Recht auf Wahrung ihrer Rechte. Das muss gerade im Lockdown beachtet werden, ich sehe hier eine große Gefahr. Wir hatten vorher ohnehin schon die Situation, dass viele Familien die Rechte ihrer Kinder achten, dass das aber in belasteten Familien oft viel schwerer ist. Die Frage, wie viel eine Familie leisten muss und wie viel Unterstützung sie bekommt, ist die Nagelprobe in der Corona-Krise.

epd: Was bedeutet der Lockdown für das Kinderrecht auf Bildung?

Lambertz: Bei belasteten Familien kann dieses Recht stark eingeschränkt sein, zumal wenn der Verlust des Arbeitsplatzes droht, finanzielle Einbußen bestehen oder sie beengt wohnen. Die technische Ausstattung ist das eine: Natürlich gibt es fast keine Familie ohne Internet. Aber über internetfähige Geräte für Erwachsene im Homeoffice und für Schulkinder gleichzeitig zu verfügen - das ist nicht unbedingt die Normalausstattung in jeder Familie. Und nicht alle Eltern haben die Kenntnisse, mit den neuen Lern-Tools umzugehen. Wenn dann noch eingeschränkte Deutschkenntnisse hinzukommen, ist das Kinderrecht auf Bildung massiv gefährdet. Viele Familien mit Migrationshintergrund sind sehr an einer guten Ausbildung für ihre Kinder interessiert, können diese aber wegen mangelnder Deutschkenntnisse nur wenig unterstützen.

epd: Manche Kultusminister haben angekündigt, kulant mit Leistungen und Versetzungen umzugehen ...

Lambertz: Es reicht nicht, ein bisschen kulant zu sein mit den Versetzungen. Man wird vor allem nach dem Lockdown vielen Kindern mehr bieten müssen als vorher. Sie brauchen zusätzliche schulische und außerschulische Lernangebote, um Versäumtes nachzuholen und den Anschluss nicht zu verlieren. Die Zusammenarbeit zwischen Schule und Jugendhilfe muss ausgebaut werden, um gerade die Kinder mit besonderem Unterstützungsbedarf nicht alleinzulassen. Die Zahl an Lehrpersonen und Sozialpädagogen muss aufgestockt werden, gerade wenn künftig im Schichtbetrieb oder in Kleingruppen unterrichtet wird. Ansonsten wird sich die Ungleichheit in den Lebensverhältnissen weiter erhöhen.

epd: Wie versucht SOS-Kinderdorf, belastete Familien zu erreichen?

Lambertz: Gerade in dieser Ausnahmesituation ist es unerlässlich, dass die Unterstützungsmaßnahmen vor Ort bestehen bleiben. Unsere Mitarbeitenden schnüren beispielsweise Lernpakete und stellen Boxen mit Spielideen oder Aufgaben zusammen. Sie haben in den sozialen Medien Gruppen mit vielen Familien initiiert, die die soziale Isolierung aufheben und gegenseitige Unterstützung fördern. Unsere Beratungsstellen sind immer erreichbar und arbeiten telefonisch oder über das Internet weiter. Neu ist, dass wir Familien auch nach ihrer finanziellen Situation fragen müssen. Viele stoßen jetzt schon deutlich an ihre Grenzen.

epd: Wie sieht es mit dem Kinderrecht auf Schutz vor Gewalt aus?

Lambertz: Da bewegen wir uns weiterhin im Dunkelfeld, haben also noch keine Zahlen, was wirklich passiert. Dabei wissen wir, dass das Gewaltpotenzial in einigen Familien hoch ist und die Isolation die Gefahr für die Kinder erhöhen kann. Unsere Hilfe für die Familien, die das Jugendamt zum Schutz der Kinder an uns überweist, lebt natürlich vom persönlichen Kontakt. Die Verbindung versuchen wir durch Telefonate oder Videochats aufrechtzuerhalten und gehen mit den Kindern oder Eltern spazieren. Wenn das Gefährdungspotenzial hoch ist, besuchen wir die Familien weiterhin regelmäßig - unter Einhaltung der nötigen Schutzmaßnahmen. Aber das soziale Netz, das sonst auf Gewalt in den Familien hinweist, fällt aus. Wichtig ist, den Familien zu helfen, ihren Alltag zu strukturieren - so dass sie nicht das Gefühl haben, es bricht alles zusammen.

epd: Wie wichtig ist es für Kinder, ihre Freunde zu sehen?

Lambertz: Der Kontakt mit Gleichaltrigen ist sehr wichtig für die kindliche Entwicklung - sie sehen, wie macht der andere das, sie üben kooperatives Verhalten, sie lernen Konflikte auszutragen und durchleben die unterschiedlichsten Gefühlswelten. Das können die Eltern nicht auffangen. Familien mit Einzelkindern haben es hier schwerer. Darum ist es wichtig, auch über die Öffnung von Kitas zu reden. Wir können davon ausgehen, dass noch lange in kleinen Gruppen betreut werden muss, und darauf müssen wir uns in der Jugendhilfe jetzt schon einstellen.

epd: Wie können Kleingruppen-Unterricht und -Betreuung vom Kind her gedacht gut gestaltet werden?

Lambertz: Bei der Notbetreuung in den Kitas darf man nicht nur Kinder aus bestimmten sozialen Gruppen berücksichtigen. Eine Sonderregelung für Familien mit Kinderschutzrisiken fördert nur die Stigmatisierung. Besser wäre es, im Schichtbetrieb die Betreuungszeiten so zu verteilen, dass alle Kinder die Kita besuchen können, wenn auch in eingeschränktem Umfang. Jedes Kind braucht diesen Entwicklungsanreiz. Um die Bildungsbenachteiligung aufzuholen, braucht es jetzt mehr Fachkräfte in der Jugendhilfe. Dabei können auch Ehrenamtliche einen wichtigen Beitrag leisten.

epd: Glauben Sie, die Krise könnte gesellschaftlich etwas Positives für die Kinderrechte bewirken?

Lambertz: Es ist gut zu sehen, dass die Politik, die anfangs vor allem die Wirtschaft im Blick hatte, nun immer mehr auch die Perspektive von Kindern und Familien in den Fokus nimmt. Ich bin auch optimistisch, dass die Entwicklung hin zu mehr Bildungsgerechtigkeit künftig ernster genommen wird. Wir erhoffen uns zudem, dass die soziale Infrastruktur weiter gefördert und ausgebaut wird. Familien brauchen Unterstützung durch soziale Institutionen, die dazu beitragen können, dass die Kinderrechte Wirklichkeit werden.

epd: Seit Jahrzehnten wird diskutiert, ob die Kinderrechte - die seit 1989 in der UN-Kinderrechtskonvention festgehalten sind - im Grundgesetz verankert werden sollen. Der politische Wille ist da, die Entscheidung hängt gerade im parlamentarischen Betrieb. Wie wichtig wäre die Grundgesetz-Änderung?

Lambertz: Es wäre ein guter Hebel, um die Kinderrechte bei allen Entscheidungen ins Bewusstsein zu bringen und wirkungsvoll umzusetzen. Erwachsene können ihre Rechte selbst einfordern, das ist das Kennzeichen des Mündigseins. Kinder sind darauf angewiesen, dass Erwachsene das für sie tun, sie wachsen erst in die eigenständige Wahrnehmung ihrer Rechte hinein. Eine Verankerung ihrer Rechte im Grundgesetz würde bedeuten, dass sich die ganze Gesellschaft auf ihre Einhaltung verpflichtet. Über die Entscheidung gibt es inzwischen Konsens, es wird noch um Formulierungen gerungen.



Corona-Krise

Trotzdem aktiv im Geiste von Henry Dunant




Aktion in Berlin zum 150. Geburtstag des Roten Kreuzes 2013
epd-bild/ Rolf Zöllner
Auch für das Rote Kreuz ist in der Corona-Krise vieles anders. Rettungskräfte für Großveranstaltungen werden derzeit nicht gebraucht - weil sie alle abgesagt sind. Rot-Kreuzler werden trotzdem gebraucht: etwa für Einkäufe für Menschen in Quarantäne.

Mit Pandemien haben die Aktiven beim Roten Kreuz schon reichlich Erfahrungen gemacht. "In einem Bereich wie dem unseren ist es niemals ausgeschlossen, sich mit einem Virus oder Bakterium zu infizieren", sagt Thorsten Trütgen vom DRK-Kreisverband im rheinland-pfälzischen Ahrweiler. Gerade in den letzten 20 Jahren habe es immer wieder Kontakt zu kritischen Keimen und Erregern gegeben, etwa dem Krankenhauskeim MRSA oder dem Norovirus. Diese Erfahrung helfe jetzt in der Corona-Krise.

In fast 4.300 Ortsvereinen bundesweit sind mehr als 600.000 Menschen haupt- oder ehrenamtlich im Deutschen Roten Kreuz (DRK) aktiv. Dass es die humanitäre Organisation gibt, ist dem Schweizer Henry Dunant zu verdanken: 1859 organisierte er spontan eine Hilfsaktion für die bei der Schlacht von Solferino verwundeten Soldaten. An Dunants Geburtstag, dem 8. Mai, wird alljährlich der Weltrotkreuz- und Rothalbmondtag gefeiert.

Rotes Kreuz ist weit mehr als Rettungsdienst

Beim Roten Kreuz, denken viele, geht es in erster Linie um den Rettungsdienst. Doch dem ist nicht so. Der Wohlfahrtsverband ist auf vielen Feldern aktiv. Er betreibt Krankenhäuser und Altenheime und Kitas, er engagiert sich in der Behinderten-, Flüchtlings- und Obdachlosenhilfe. "Wir kämpfen um jedes einzelne Leben, ohne Ansehen von Herkunft oder Geschlecht", sagt Ralph Hoffert, Vorstand des DRK Herten in Nordrhein-Westfalen.

Ralph Hoffert ist seit fast 30 Jahren im DRK Herten aktiv. Ursprünglich kommt der 56-Jährige aus der evangelischen Jugendarbeit. Soziale Fragen, sagt er, waren ihm immer wichtig. Nach dem Abitur studierte er Wirtschaftswissenschaften, wobei ihn das "trockene Zahlenwerk" alleine nie interessiert hat: "Ich wollte mein Wissen mit sozialen Fragen verbinden." Während des Studiums absolvierte Hoffert eine Ausbildung zum Rettungsassistenten. Dabei erkannte er: "Im DRK kann ich Wirtschaft und Hilfe am Menschen optimal verbinden."

Das pandemiebedingte Krisenjahr 2020 bedeutet für das Rote Kreuz eine immense Herausforderung, und zwar sowohl für die Haupt- als auch für die Ehrenamtlichen. "Alles, was ich normalerweise mache, fällt weg", erzählt Michael Schwarz, der sich seit 2004 ehrenamtlich beim Kreisverband Würzburg des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK) engagiert. Der 45-Jährige ist in der Erste-Hilfe-Ausbildung und im Sanitätsdienst tätig: "Wir sichern zum Beispiel Konzerte oder Sportveranstaltungen ab." Das ist derzeit nicht nötig. Doch Schwarz hat ein neues Engagementfeld gefunden: Er kauft für Menschen in Quarantäne Lebensmittel und Haushaltswaren ein.

"Gründer ist eine faszinierende Figur"

Menschen in akuter Not zu helfen, ist für einen Rotkreuzler das oberste Gebot, meint Michael Schwarz, der sich in seiner Freizeit jährlich bis zu 700 Stunden im Geiste von Henry Dunant engagiert. Für Schwarz ist der Gründer des Roten Kreuzes eine faszinierende Figur: "Dunant hat nicht danach gefragt, wer ihm gegenübersteht, er hat einfach geholfen, damit brach er damals ein Tabu."

Wer im Rettungsdienst mit schwer kranken Patienten zu tun hat, muss stets gewahr sein, dass er sich etwas "einfängt". Diese Gefahr, sagt Thorsten Trütgen, Pressesprecher des DRK-Kreisverbands im rheinland-pfälzischen Ahrweiler, ist alles andere als neu: "In einem Bereich wie dem unseren ist es niemals ausgeschlossen, sich mit einem Virus oder Bakterium zu infizieren." Gerade in den letzten 20 Jahren habe es immer wieder Kontakt zu kritischen Keimen und Erregern gegeben, etwa dem Krankenhauskeim MRSA oder dem Norovirus. Trütgen: "Unser Rettungsdienst, der oft an vorderster Front den ersten Kontakt hat, ist entsprechend routiniert."

Ein Rotkreuzler bringe nicht nur Idealismus mit, er sei auch gut ausgebildet, sagt Trütgen. "Im hauptamtlichen Bereich verfügen wir über hoch qualifizierte Fachkräfte, teilweise mit Zusatzausbildungen, etwa zum staatlich geprüften Desinfektor. Ein Mitarbeiter des Kreisverbands Ahrweiler ist Hygienetechniker: "Er beurteilt während der Corona-Krise ständig unsere Maßnahmen."

Beim Roten Kreuz tätig zu sein, stiftet Sinn, ist aber kein Honiglecken: Oft bringt der Einsatz Stress und Belastungen mit sich, sagt Angelika Spautz von der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di. Das Thema "Gesundheitsschutz" gewinne deshalb an Bedeutung. "Wir sind bestrebt, mit der Bundestarifgemeinschaft des Deutschen Roten Kreuzes hierzu tarifliche Regelungen zu vereinbaren", sagt Spautz. Den größten Regelungsbedarf sieht die Gewerkschaft mit Blick auf Beschäftigte, die das 60. Lebensjahr überschritten haben.

Pat Christ


Corona-Krise

Interview

Rotes Kreuz: Blutspenden ist auch in der Pandemie sicher




Patric Nohe
epd-bild/Christian Moser
Nach einem Einbruch zu Beginn der Corona-Pandemie bei den Spenderzahlen gibt es aktuell wieder genügend Blutkonserven. Das Rote Kreuz ruft dennoch weiter zu Spenden auf, denn wie sich das Aufkommen in der anhaltenden Krise entwickelt, kann laut Patric Nohe vom Bayerischen Roten Kreuz niemand seriös vorhersagen. Er betont aber im epd-Interview ausdrücklich, dass sich Blutspender keinem erhöhten Infektionsrisiko aussetzen.

Die Appelle des Roten Kreuzes und der Medien haben offenbar gefruchtet: Das Bayerische Rote Kreuz verzeichnet wieder mehr Blutspenden. Vor allem junge Menschen und Erstspender kämen vermehrt zu den Terminen, sagt Patric Nohe, der Sprecher des Blutspendedienstes des Bayerischen Roten Kreuzes, im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd): "Das ist ein überaus erfreulicher Trend, der sich hoffentlich über die Krise hinweg fortsetzen wird." Die Fragen stellte Patricia Averesch.

epd sozial: Herr Nohe, das Deutsche Rote Kreuz hat zu Beginn der Pandemie Alarm geschlagen, dass die Blutkonserven in der Krise bedrohlich zurückgehen. Wie stark waren die Einbrüche?

Patric Nohe: Aufgrund der regional starken Unterschiede können wir noch keine repräsentativen Aussagen über die Spenderzahlen machen. Fakt ist aber, dass wir uns vor einigen Wochen am untersten Rand unserer Pufferbestände befunden haben.

epd: Corona verunsichert viele Bürgerinnen und Bürger. Wie ist die derzeitige Situation bei den Blutspendediensten?

Nohe: Die Lage hat sich bundesweit wieder komplett stabilisiert. Derzeit sind unsere angebotenen Termine sehr gut besucht.

epd: Wie kam das so schnell?

Nohe: Den Appellen der Blutspendedienste, der Medien und der der Politik sind viele Menschen gefolgt. Das ist ein sehr starkes, positives Signal in diesen schwierigen Zeiten. Hinzu kommt ein besonders hohes Engagement junger Menschen und Erstspender, das wir derzeit verzeichnen. Das ist ein überaus erfreulicher Trend, der sich hoffentlich über die Krise hinweg fortsetzen wird.

epd: Gibt es einen höheren Bedarf an Blutkonserven in der Corona-Krise?

Nohe: Nein, der Bedarf an Blutkonserven ist durch das Corona-Virus nicht erhöht.

epd: Die Pandemie hat im Gesundheitswesen zu massiven Veränderungen in Sachen Schutz von Patienten und Personal geführt. Mussten Sie beim Blutspenden auch reagieren?

Nohe: Die Vorgaben haben sich im Prinzip nicht geändert. Wer gesund und fit ist, kann Blut spenden. Spendewillige mit den Symptomen Halskratzen, Schüttelfrost, Husten oder Kurzatmigkeit werden nicht zur Spende zulassen und für vier Wochen zurückgestellt. Spenden darf auch nicht, wer mit einer Körpertemperatur von 37,5 °C oder höher kommt. Spendewillige, die Kontakt zu einem an SARS-CoV-2-Erkrankten hatten, werden für zwei Wochen nach Exposition von der Blutspende zurückgestellt. Wir bitten ganz betont, bereits mit den geringsten Anzeichen eines Infekts oder mit Schnupfen der Blutspende fern zu bleiben.

epd: Wie haben sich die Abläufe bei der Spende verändert?

Nohe: Unsere Dienste haben eine Reihe von Zusatzmaßnahmen ergriffen. Beispielsweise erfolgt rein vorsorglich eine Temperaturmessung bei allen Spenderinnen und Spendern bereits vor der Registrierung. Ziel ist es, Menschen mit erhöhter Temperatur zu identifizieren und den Kontakt mit anderen Personen im Terminlokal zu verhindern. Auf allen Terminen steht ausreichend Desinfektionsmittel zur Verfügung. Darüber hinaus wird auf die "Entzerrung" der Warteschlangen und der Einhaltung eines ausreichenden Abstands geachtet. Anstelle des üblichen Imbiss nach der Spende werden Care-Pakete gereicht, um den Aufenthalt der Spender und die Kontaktflächen zu minimieren.

epd: Wie bewerten Sie die Gefahr einer Ansteckung mit dem Corona-Virus bei einem Termin?

Nohe: Bei der Blutspende besteht keine erhöhte Ansteckungsgefahr. Blutspendetermine unterliegen generell äußerst strengen hygienischen Regularien. Die Zulassungsbestimmungen gewährleisten weiterhin einen hohen Schutz für Blutspender und Helfer. Denn nur wer sich gesund und fit fühlt, kommt in der Regel zu unseren Terminen.

epd: Testen Sie die Spender vorsorglich auch auf Corona?

Nohe: Nein. Blutspender werden nicht mit direktem Virusnachweis getestet. Ein Test auf SARS-CoV-2 ist aufgrund der aktuell geringen Verfügbarkeit von Test-Kits nicht möglich. Dadurch würde zudem ein falscher Anreiz für potenziell Erkrankte geschaffen, zur Blutspende zu kommen und damit andere zu gefährden. Weil es für die Übertragbarkeit des Erregers durch Blut und Blutprodukte keine Hinweise gibt, ist diese Art von Test nicht erforderlich. An der Präparatesicherheit für Transfusionsempfänger hat sich nichts geändert.

epd: Dürfen Corona-Infizierte, die wieder nachweislich gesund sind, Blut spenden?

Nohe: Ja, aber alle Personen, die an SARS-CoV-2 erkrankt waren, werden nach Ausheilung für vier Wochen von der Blutspende zurückgestellt.

epd: Wie wird sich die Spenderzahl in den nächsten Monaten entwickeln?

Nohe: Das kann zum jetzigen Zeitpunkt niemand seriös vorhersagen. Wir planen aktuell von Tag zu Tag und von Woche zu Woche. Aufgrund der geringen Haltbarkeit von Blutpräparaten, nämlich 42 Tage, bleibt zu hoffen, dass bei vielen Menschen der solidarische Gedanke auch über den derzeitigen Ausnahmezustand hinaus trägt.



Corona-Krise

Verbände fordern 100 Euro Soforthilfe für arme Menschen



Rund 20 Verbände und Organisation fordern angesichts der Corona-Krise 100 Euro monatliche Soforthilfe für Menschen, die auf Sozialleistungen angewiesen sind. Die Folgen der Krise träfen die Ärmsten im besonderer Härte, heißt es in einem am 2. Mai in Berlin veröffentlichten gemeinsamen Aufruf. Die Betroffenen gerieten wegen der Verteuerung von Grundnahrungsmitteln und der Schließung von Institutionen mit kostenlosen Essensangeboten in existenzielle Not.

Wolfgang Stadler, der Vorstandsvorsitzende des AWO Bundesverbandes, sagte, arme Menschen hätten in der Krise das Nachsehen. Der nötige "Lockdown" komme sie besonders teuer zu stehen, die wenigsten hätten Rücklagen, und viele gehörten zur Risikogruppen. "Wir dürfen die Folgen für den Schutz von uns allen nicht auf den Schultern dieser Menschen abladen", betonte Stadler. "Wir brauchen einen monatlichen Corona-Regelsatzzuschlag."

Zu den Unterstützern des Aufrufs gehören neben der AWO unter anderen der Paritätische Gesamtverband, der Deutscher Gewerkschaftsbund, der Deutsche Kinderschutzbund, die Diakonie Deutschland und der Sozialverband VdK.



Corona-Krise

VHS ermöglicht Deutsch-Kurse im Netz



Rund 150.000 Migranten lernen mit einem Online-Kurs an einer Volkshochschule (VHS) Deutsch. Zudem hätten sich mehr als 10.000 Lehrkräfte im April im VHS-Lernportal registriert, erklärte der Deutsche Volkshochschul-Verband (DVV) am 4. Mai in Bonn. Etwa 200.000 Migranten mussten demnach wegen der Corona-Pandemie ihre Integrations- und Berufssprachkurse im Klassenzimmer unterbrechen.

Gerade in der aktuellen Krise sei es wichtig, dass Zugewanderte den Deutscherwerb fortsetzen können, erklärte der Verbandsvorsitzende Martin Rabanus. So könnten sie im Austausch bleiben und verlören nicht ihre gesellschaftliche Teilhabe.

Kostenlose virtuelle Gruppen

Bundesweit bieten den Angaben zufolge Volkshochschulen und andere Bildungseinrichtungen vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge geförderte Online-Tutorien an. Diese virtuelle Lerngruppen werden von anerkannte Lehrkräften betreut, die die Migranten auch mit passenden Aufgaben versorgen.

Die Teilnahme ist freiwillig. Das kostenlose Lernportal in 18 Sprachen umfasst digitale Deutschkurse für alle Niveaustufen des Integrationskurses, wie der Verband erklärte. Ein Smartphone und eine Internetverbindung seien ausreichend, hieß es.



Pflege

BIVA-Pflegeschutzbund erstreitet Millionenbetrag für Heimbewohner



Der BIVA-Pflegeschutzbund hat nach eigenen Angaben zum ersten Mal in einer vollstationären Pflegeeinrichtung den kollektiven Verbraucherschutz erfolgreich angewendet. Er habe mehr als eine Million Euro für die Bewohner des Friedensheims in Haan (NRW) erkämpft, teilte der Verband am 5. Mai in Bonn mit. Diese Summe hatte der Einrichtungsträger aufgrund gestiegener betriebsbedingter Investitionskosten nachgefordert, dabei allerdings die Bewohner nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen Weise rechtzeitig darüber informiert.

Die Bewohner der betroffenen Einrichtung wurden im Juli 2019 aufgefordert, bis zu 7.700 Euro rückwirkend für einen Zeitraum von 22 Monaten und ab sofort zusätzliche 351,66 Euro monatlich "aufgrund gestiegener betriebsbedingter lnvestitionskosten" zu zahlen. Es hatte zwar in einem Ankündigungsschreiben vom Dezember 2017 einen ersten Hinweis auf eine rückwirkende Erhöhung der Investitionskosten gegeben, diese war aber nicht näher beziffert worden. Auf Anraten der Juristen des BIVA widersprachen viele Betroffene der Zahlungsforderung. Zugleich forderte der BIVA-Pflegeschutzbund die Rücknahme der geforderten Erhöhung und kündigte für den Fall einer Weigerung eine Unterlassungsklage an.

Vergleich geschlossen

Daraufhin einigten sich die BIVA und der Träger in einem Vergleich. In diesem Vergleich verpflichtete sich der Träger, auf die rückwirkenden Forderungen zu verzichten und bereits erfolgte Zahlungen zu erstatten.

Obwohl die pflegebedürftigen Verbraucher im Pflegemarkt eine besonders schwache Position hätten, gebe es dort bislang keinen effektiven Verbraucherschutz, erläutert der BIVA. Zudem verzichteten die Bewohner selber meist auf Rechtsmittel. „Als klageberechtigter Verbraucherschutzverein haben wir jedoch Mittel, um die Position der Pflegebetroffenen durchzusetzen. Dieser erste Erfolg ist eine große Bestätigung für unser Ziel, die Verbraucher im Pflegebereich zu stärken", sagte Manfred Stegger, Vorsitzender des Vereins.




sozial-Recht

Landessozialgericht

Kasse muss Kosten für Exoskelett tragen




Die Krankenkassen müssen auch innovative und womöglich teure Hilfsmittel als Behindertenausgleich bezahlen.
epd-bild/Norbert Neetz
Krankenkassen müssen für den unmittelbaren Behinderungsausgleich auch innovative und teure Hilfsmittel bezahlen. Das gilt nach einem Gerichtsurteil auch für ein sogenanntes Exoskelett.

Können querschnittsgelähmte Versicherte mit einem motor- und per Fernbedienung gesteuerten sogenannten Exoskelett selbstständig stehen und gehen, muss im Einzelfall die Krankenkasse die Kosten in Höhe von knapp 100.000 Euro übernehmen, entschied das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen in einem am 29. April schriftlich veröffentlichten Urteil. Die Essener Richter ließen wegen grundsätzlicher Bedeutung die Revision zum Bundessozialgericht (BSG) in Kassel zu.

Damit bekam ein bei der Bundeswehr beschäftigter Sachbearbeiter Recht, der 2010 infolge eines Verkehrsunfalls eine "inkomplette sensomotorische Querschnittslähmung" erlitten hatte. Zwar kann der Mann noch Schmerzen, Vibration und Temperatur an den Beinen spüren. Der untere Teil der Beine ist aber vollkommen bewegungsunfähig.

Nur Rollstühle finanziert

Seine Krankenkasse gewährte ihm zur Fortbewegung einen Aktivrollstuhl sowie einen Stehrollstuhl. Zusätzlich kann sich der Mann mit einem behindertengerechten Pkw fortbewegen.

2016 verschrieb ihm sein Arzt das elektronische Exoskelett ReWalk. Bei dem Hilfsmittel handelt es sich um ein 18 Kilogramm schweres und per Klettverschluss am Körper befestigtes, akkubetriebenes Gerüstsystem. Computer- und Bewegungssensoren und die ebenfalls integrierten Knie- und Hüftgelenke des Exoskeletts ermöglichen das Laufen und Stehen. Der Nutzer kann das über 96.000 Euro teure Hilfsmittel mit einer am Arm getragenen Fernbedienung steuern und so mehrere Gangbilder festlegen.

Die Krankenkasse des Mannes verweigerte jedoch die Kostenübernahme für das Hilfsmittel. Das Exoskelett sei medizinisch nicht erforderlich. Der Kläger könne sich mit seinem Rollstuhl oder seinem Pkw fortbewegen, hieß es zur Begründung. Das Exoskelett diene nur dem mittelbaren Behinderungsausgleich, befand die Kasse. In solch einem Fall müsse sie nur eingeschränkt und unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots für die Kosten aufkommen.

Frage des Behinderungsausgleichs

Anderes gelte beim unmittelbaren Behinderungsausgleich, bei dem ein Hilfsmittel eine verloren gegangene Körperfunktion ganz oder teilweise ersetzt, etwa eine intelligent gesteuerte Beinprothese. Ein Exoskelett sei damit aber nicht vergleichbar. Denn hier habe die Rückenmarkschädigung zu einem Verlust der aktiven Muskelsteuerung geführt. Diese fehlende Funktion werde mit dem Exoskelett aber nicht ersetzt, so dass kein unmittelbarer Behinderungsausgleich vorliege.

Das LSG verurteilte die Krankenkasse nun jedoch zur Kostenübernahme. Das Hilfsmittel diene dem unmittelbaren Behinderungsausgleich, indem es die Funktion der Beine, das selbstständige Gehen und Stehen, ersetzt. Auch wenn das Exoskelett - anders als etwa die intelligent gesteuerte Beinprothese C-Leg - kein Körperersatzstück sei, werde das Gehen bei beiden Hilfsmitteln auf ähnliche Weise ermöglicht.

Positives Selbstwertgefühl

Das Exoskelett beeinflusse die Lebensqualität und das Selbstwertgefühl positiv. Gleichwertige, aber unterschiedlich teure Hilfsmittel stünden nicht zur Wahl, so dass eine Kostenübernahmepflicht bestehe, entschieden die Richter.

Dass Kassen für den unmittelbaren Behinderungsausgleich auch teure, neue Hilfsmittel bezahlen müssen, hatte das BSG bereits 2004 zu den C-Leg-Prothesen mit mikroprozessorgesteuertem Kniegelenk entschieden. Die Beinprothese verfüge gegenüber mechanischen Prothesen über "wesentliche Gebrauchsvorteile" wie ein natürliches Gangbild und eine geringere Sturzgefahr beim Alltagsgebrauch.

Auch eine süßwassergeeignete Badeprothese muss nach einer weiteren Entscheidung des BSG aus dem Jahr 2009 die Krankenkasse zum unmittelbaren Behinderungsausgleich zahlen, weil sie das Mobilitätsbedürfnis im häuslichen Bad und im Schwimmbad befriedigt und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens deckt. Dies sei bei einer Sportprothese, mit der Beinamputierte etwa Badminton spielen können, aber nicht mehr der Fall, so die obersten Sozialrichter mit Urteil vom 21. März 2013. Bei der Hilfsmittelversorgung sei es nicht Aufgabe der Krankenkassen, den Freizeit- und Vereinssport zu fördern.

Az.: L 5 KR 675/19 (Exoskelett)

Az.: B 3 KR 1/04 R, B 3 KR 67/04 R und B 3 KR 2/04 R (C-leg-Prothese)

Az.: B 3 KR 2/08 R und B 3 KR 19/08 R (Süßwasserprothese)

Az.: B 3 KR 3/12 R (Sportprothese)

Frank Leth


Bundesverfassungsgericht

Kassen dürfen Versichertendaten zu Forschungszwecken weitergeben



Krankenkassen dürfen vorerst weiter namentlich unkenntlich gemachte Patientendaten ohne Zustimmung des Versicherten für Forschungszwecke auswerten und weitergeben. Das Bundesverfassungsgericht wies mit einem am 30. April veröffentlichten Beschluss den Eilantrag eines an einer seltenen Erbkrankheit leidenden Mannes zurück, der befürchtete, dass er trotz anonymisierter oder pseudonymisierter Daten identifiziert werden kann.

Der Bundestag hatte am 7. November 2019 dem Digitale-Versorgung-Gesetz zugestimmt. Dieses sieht unter anderem vor, dass Krankenkassen bestimmte Gesundheitsdaten wie etwa Medikamenteneinnahmen sowie Angaben zu Geschlecht, Alter oder Wohnort erheben und an den Spitzenverband Bund der Krankenkassen als Datensammelstelle weitergeben dürfen.

Anonymisierung der Daten gesichert

Die gesammelten Daten sollen dann an ein noch einzurichtendes Forschungszentrum übermittelt werden. Die Daten werden möglichst anonymisiert oder zumindest pseudonymisiert, so dass der auf diese Weise namentlich unkenntlich gemachte Versicherte nicht identifizierbar sein soll. Zweck der Datenauswertung ist es, die medizinische Forschung, die Bewertung der Gesundheitsversorgung oder auch politische Entscheidungen zu unterstützen. Auch der Nutzen möglicher Gesundheits-Apps für Handys könnten so überprüft werden.

Im Streitfall wollte der Antragsteller per einstweiliger Anordnung die Auswertung und Weitergabe vorerst stoppen. Er befürchte, dass er trotz Pseudo- und Anonymisierung der Daten identifiziert und seine Erbkrankheit offenbart werden könne.

Die Verfassungsrichter lehnten den Antrag ab. Zwar hätten viele erfassten Daten einen "sensiblen Charakter". Die flächendeckende Erhebung könne auch mit einem Eingriff in das Persönlichkeitsrecht verbunden sein. Dem stünden aber Gemeinwohlbelange wie die Verbesserung des Gesundheitswesens entgegen. Die Zulässigkeit der Bestimmungen könne letztlich nur im Hauptsacheverfahren geklärt werden, erklärten die Karlsruher Richter.

Az.: 1 BvQ 1/20



Bundessozialgericht

Höherer Vermögensfreibetrag bei nachgezahlter Opferrente



Die Nachzahlung aus einer Opferentschädigungsrente in Höhe von über 13.000 Euro muss nicht als Vermögen mindernd auf Sozialhilfeleistungen angerechnet werden. Das hat das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel am 30. April entschieden. Zur Begründung verwiesen die Richter unter anderem darauf, dass der Staat eine "besondere Verantwortlichkeit" gegenüber den Gewaltopfern habe.

Zudem regele das Bundesversorgungsgesetz mit seinen Freibeträgen, dass den Betroffenen ein höherer Vermögensschonbetrag als die in der Sozialhilfe üblichen 2.600 Euro zustehe.

Im Streitfall wurde die 1989 geborene Klägerin im Alter von zehn Jahren Opfer einer Gewalttat. Seit dem 1. März 2010 arbeitet die erwerbsgeminderte Frau in einer Werkstatt für behinderte Menschen. Ihren Antrag auf Grundsicherungsleistungen im Alter und bei Erwerberbsminderung lehnte der zuständige Sozialhilfeträger 2012 ab. Sie müsse erst ihr Vermögen bis auf einen Freibetrag von 2.600 Euro aufbrauchen, hieß es zur Begründung der Behörde.

Auch durch die Nachzahlung einer Opferentschädigungsrente in Höhe von rund 13.700 Euro sei ihr Vermögen inzwischen auf knapp 20.000 Euro angewachsen.

Doch das BSG urteilte nun, dass der Vermögensfreibetrag von 2.600 Euro hier nicht anzuwenden sei. Maßgeblich sei zunächst der damalige Vermögensfreibetrag von 7.500 Euro. Außerdem könne die Frau sich auf Härtegründe berufen - etwa das junge Alter zum Zeitpunkt der Gewalttat - die weitere, vom Einzelfall abhängige Vermögensschonbeträge nach sich zögen. Das BSG verwies das Verfahren daher zu weiteren Feststellungen and das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen zurück.

Az.: B 8 SO 12/18 R



Oberlandesgericht

Ärzte müssen negative Beurteilung auf Portal hinnehmen



Ärzte müssen eine negative Beurteilung auf einem Bewertungsportal im Internet hinnehmen. Mit der am 30. April bekanntgegebenen Entscheidung hob das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main ein anderslautendes Urteil des Landgerichts Hanau auf. Ein Ärztebewertungsportal erfülle eine gesellschaftlich erwünschte Funktion, erklärte das OLG. Ärzte müssten Nutzerbewertungen hinnehmen, wenn sie auf einer Tatsachengrundlage beruhen und die Grenze zur Schmähkritik nicht überschreiten.

Eine Augenärztin hatte den Angaben zufolge gegen ein Bewertungsportal geklagt und die Löschung ihrer Basisdaten und eines negativen Nutzerkommentars gefordert. Das OLG wies die Klage ab. Die Ärztin könne nicht die Löschung ihrer Basisdaten verlangen, weil die berechtigten Interessen der Nutzer stärker wögen als die Interessen der Klägerin.

Ärztin wollte Löschung erzwingen

Ein Ärztebewertungsportal erfülle eine gesellschaftlich erwünschte Funktion, sofern die Betreiberin als neutraler Informationsmittler auftrete. Da in diesem Fall Anzeigen klar gekennzeichnet seien, fehle es nicht an der erforderlichen Transparenz.

Die Ärztin könne auch nicht die Löschung einer Bewertung verlangen, fuhr das OLG fort. Die bemängelte Kritik sei eine Meinungsäußerung, die die Grenze zur Schmähkritik nicht überschreite. Außerdem entbehre sie nicht jeder Tatsachengrundlage, weil sie auf einem Besuch bei der Ärztin beruhe. Das Gericht hat die Revision zugelassen.

Az.: 16 U 218/18



Landesarbeitsgericht

Fallstricke bei befristeter Beschäftigung ohne sachlichen Grund



Arbeitgeber dürfen in einem ohne sachlichen Grund befristeten Arbeitsvertrag sich vom Arbeitnehmer nicht das Fehlen einer Vorbeschäftigung zusichern lassen. Solch eine arbeitsvertragliche Klausel ist unwirksam und kann eine unbefristete Beschäftigung begründen, entschied das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg in einem am 28. April veröffentlichten Urteil. Die Stuttgarter Richter ließen wegen grundsätzlicher Bedeutung die Revision zum Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt zu.

Nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz dürfen ohne sachlichen Grund befristete Arbeitsverträge innerhalb von zwei Jahren höchstens dreimal hintereinander verlängert werden. Tarifverträge dürfen von dieser Regelung aber abweichen.

Bei einer Neueinstellung ist eine sachgrundlose Befristung unwirksam, wenn der Arbeitnehmer bei demselben Arbeitgeber "bereits zuvor" befristet beschäftigt war.

Lücke im Lebenslauf

Im vom LAG entschiedenen Streitfall hatte die Klägerin einen ohne sachlichen Grund befristeten Arbeitsvertrag als Montagearbeiterin abgeschlossen. Im Arbeitsvertrag sicherte sie schriftlich zu, dass sie bei demselben Arbeitgeber nicht schon einmal beschäftigt war. Allerdings hatte sie vorher im Personalbogen ein Kästchen angekreuzt, wonach eine Vorbeschäftigung bejaht wurde. Der befristete Arbeitsvertrag wurde schließlich mehrfach hintereinander - entsprechend den tariflichen Regelungen - verlängert.

Als die Frau danach gehen sollte, klagte sie auf eine unbefristete Beschäftigung. Sie verwies darauf, dass sie 15 Jahre vor Beginn der Beschäftigung schon einmal für knapp fünf Monate beim gleichen Arbeitgeber eine ähnliche Tätigkeit ausübte. Weil damit eine Vorbeschäftigung vorlag, sei das aktuelle, ohne sachlichen Grund befristete Arbeitsverhältnis unwirksam.

Klausel im Vertrag unwirksam

Dem folgte auch das LAG. Der Arbeitgeber könne sich nicht darauf berufen, dass die Frau im Arbeitsvertrag eine Vorbeschäftigung verneint hat. Solch eine arbeitsvertragliche Klausel sei unwirksam. Denn mit der vertraglichen Bestätigung solch einer Tatsache solle die Beweislast - hier zum Nachteil der Arbeitnehmerin - geändert werden. Das sei nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch nicht erlaubt, befand das Gericht.

Dass die Klägerin in ihrem Lebenslauf hinsichtlich ihrer Vorbeschäftigung eine Lücke gelassen hatte, könne ihr nicht angelastet werden. Der Arbeitgeber hätte genauer nachfragen können, zumal im Personalbogen die Vorbeschäftigung gekennzeichnet wurde.

Auch dass die erste, nur fünf Monate dauernde Beschäftigung bereits rund 15 Jahre zurücklag, spiele für die Unwirksamkeit der Befristung keine Rolle. Erst wenn die Vorbeschäftigung "sehr lange" zurückliegt, das BAG ging in einem Fall von 22 Jahren aus, könne erneut ohne sachlichen Grund ein befristeter Arbeitsvertrag abgeschlossen werden.

Az.: 4 Sa 44/19



Landessozialgericht

Kein Mehrbedarf für Hartz-IV-Empfänger wegen Mundschutz



Hartz-IV-Bezieher haben keinen Anspruch auf zusätzliche Leistungen für die Anschaffung von Gesichtsbedeckungen während der Corona-Pandemie. Das Landessozialgericht in Essen urteilte in einem am 6. Mai veröffentlichten Beschluss, dass erforderliche Bedeckungen von Mund und Nase aus dem Hartz-IV-Regelbedarf zu bezahlen sind.

Der Kläger wollte vor Gericht durchsetzen, von seinem Jobcenter 349 Euro für die Anschaffung von Mund-Nase-Schutzmasken zu bekommen. Diese Forderung wiesen die Richter ab. Bei Leistungsberechtigten werde ein Mehrbedarf nur dann anerkannt, wenn im Einzelfall "ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf" besteht. Der Mehrbedarf könne auch dann gerechtfertigt sein, wenn er seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweiche und nicht durch Zuwendungen Dritter oder Einsparmöglichkeiten in der Regelleistung zu finanzieren ist.

Bestandteil der Kleidung

Im Fall der derzeit gültigen Coronaschutzverordnung sei in Nordrhein-Westfalen aber lediglich das Tragen einer textilen Mund-Nase-Bedeckung, zum Beispiel in Form einer Alltagsmaske, eines Schals oder Tuchs in bestimmten Lebenslagen erforderlich, erklärten die Richter. Ähnliche Regelungen würden auch in den anderen Bundesländern gelten.

Die Finanzierung derartiger Gesichtsbedeckungen, die als Bestandteil der Bekleidung angesehen werden könnten, sei aus dem Regelbedarf möglich. Ein unabweisbarer Mehrbedarf liege nicht vor.

Az.: L 7 AS 635/20



Verwaltungsgerichtshof

Maskenpflicht in Hessen ist rechtens



Die vorübergehende Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung ist laut Gericht rechtens. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof (VGH) wies am 6. Mai in einer Eilentscheidung einen Antrag auf Aussetzung dieser von der hessischen Landesregierung erlassenen Vorschrift zurück. Die Entscheidung ist unanfechtbar.

Der Antragsteller hatte geltend gemacht, durch die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung insbesondere in Post- und Bankfilialen und Lebensmittelgeschäften in seinem Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit in rechtswidriger Weise beeinträchtigt zu werden. Das sah das Gericht anders. Die Verordnung erfolge zu einem legitimen Zweck, nämlich dem Schutz der Gesundheit der Bevölkerung und insbesondere einer Verhinderung der Überlastung des Gesundheitssystems.

Der VGH räumte ein, dass es derzeit noch an gesicherten wissenschaftlichen Belegen dafür fehle, dass die Maßnahme zuverlässig geeignet sei, die Pandemie einzudämmen, indem sie jedwede Ansteckung verhindere. Dennoch erscheine es plausibel, dass dadurch Tröpfchen, die beim Sprechen, Husten oder Niesen ausgestoßen würden, in ihrer Reichweite eingeschränkt und so zumindest teilweise Ansteckungen unterbunden werden könnten. Zudem erschwere der Mund-Nasen-Schutz die unbewusste Berührung der Schleimhäute im überdeckten Bereich mit ungereinigten Händen.

Az.: 8 B 1153/20.N



Verwaltungsgericht

Eilantrag einer Lehrerin gegen Präsenzunterricht abgelehnt



Das Verwaltungsgericht Gießen hat den Eilantrag einer Grundschullehrerin abgelehnt, mit dem sie vom Präsenzunterricht freigestellt werden wollte. Zurzeit stehe noch nicht fest, wann und unter welchen Bedingungen die Grundschulen in Hessen wieder öffneten und welche Vorsorgemaßnahmen die Schulbehörden ergriffen, teilte das Verwaltungsgericht am 5. Mai mit.

Ob die Gesundheit der Lehrerin über Gebühr gefährdet sei, könne deshalb derzeit nicht beurteilt werden. Es gebe verschiedene Optionen, wie der Dienstherr seiner Pflicht zur Gesundheitsfürsorge nachkommen könne.

Die Konrektorin einer Grundschule aus dem Landkreis Marburg-Biedenkopf hatte argumentiert, dass der Dienstherr vor Wiederaufnahme des Schulbetriebs ein Konzept für ihre Schule erstellen müsse. Die Corona-Pandemie berge unwägbare gesundheitliche Gefahren, die eine Überprüfung ihres Arbeitsplatzes durch eine medizinische oder virologische Fachkraft erforderten, argumentierte die Pädagogin.

Laut Gericht hätte die Lehrerin vor einer Anrufung des Gerichts auch zuerst den Dienstherrn und den Medizinischen Dienst einschalten und ihre Bedenken geltend machen müssen. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Die Beteiligten können dagegen binnen zwei Wochen Beschwerde beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof in Kassel einlegen.

Az.: 5 L 1592/20.GI




sozial-Köpfe

Bettina Kohlrausch neue Direktorin des Böckler-Instituts




Bettina Kohlrausch
epd-bild/Hans-Böckler-Stiftung
Die Paderborner Professorin Bettina Kohlrausch (44) ist seit dem 1. Mai neue Wissenschaftliche Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung in Düsseldorf.

Bettina Kohlrausch ist Professorin für "Gesellschaftliche Transformation und Digitalisierung" in Paderborn. Ihre wissenschaftlichen Schwerpunkte liegen bei der Forschung zu Bildungsungleichheit sowie zu den Folgen der Digitalisierung für Arbeit und Qualifizierung. Kohlrausch ist Nachfolgerin von Norbert Kluge, der das Institut kommissarisch leitete.

Ein weiteres Forschungsgebiet Kohlrauschs ist der Zusammenhang zwischen sozialem Wandel und sich verändernden politischen Einstellungen. Die in Bonn aufgewachsene Wissenschaftlerin promovierte nach einem Studium der Soziologie, Politikwissenschaften und Neueren Geschichte an der Bremer International Graduate School of Social Sciences (BIGSS). Kohlrausch war Gastwissenschaftlerin an der London School of Economics und am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz. Vertretungs- und Gastprofessuren übernahm sie unter anderem an der Leibniz Universität Hannover und am Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung.

Kohlrausch erklärte, es müsse neu darüber nachgedacht werden, wie die Arbeit, aber auch das gesellschaftliche Zusammenleben organisiert werden solle. Digitalisierung, globale Arbeitsteilung, Klimaschutz und ganz aktuell die Corona-Krise stellten große Herausforderungen dar.



Weitere Personalien



Stefan Klopfer (52), Diplom-Kaufmann, ist neuer kaufmännischer Vorstand des Vereins bhz Stuttgart. Er übernahm das Amt am 4. Mai. Zu seinen Aufgaben gehören die Leitung der Verwaltung, das Immobilienmanagement sowie die IT des diakonischen Trägers der Behindertenhilfe, der sich der Förderung, Beschäftigung, Begleitung und Integration von Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen in Stuttgart widmet. Zudem verantwortet er den Fachbereich Wohnen und vertritt zusammen mit der Vorstandsvorsitzenden Irene Kolb-Specht und Pfarrerin Gabriele Ehrmann das bhz künftig nach außen und innen. Klopfer folgt Eberhard Bügner nach, der rund eineinhalb Jahrzehnten im Führungsamt Ende Juni in den Ruhestand geht. Klopfer kam nach mehrjähriger Tätigkeit im Bereich Wirtschaftsprüfung, Beteiligungscontrolling und Beratung vor einigen Jahren zur Caritas Stuttgart. Darüber hinaus hat er das Berufsexamen zum Steuerberater und Weiterbildungen als Performance Consultant, Coach und Trainer absolviert.

Hans-Joachim Wenzel, einstiger Direktor des Instituts für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universität Osnabrück, ist im Alter von 82 Jahren gestorben. Er war 1975 als Professor für Sozialgeographie an die Universität Osnabrück berufen worden. Wenzel war von 1994 bis zu seiner Pensionierung 2003 IMIS-Mitglied, von 1995 bis 2003 Mitglied des IMIS-Vorstandes und von 1997 bis 2002 Direktor des Instituts. Die 30-jährige Geschichte der Forschungseinrichtung sei eng mit ihm verknüpft, heißt es in einer Würdigung. Einen Schwerpunkt seiner Arbeit innerhalb der Migrationsforschung stellte die Arbeitsmarktforschung dar.

Dagmar Feldgen tst neue Vizepräsidentin des Bundesamtes für Soziale Sicherung (BAS). Sie ist Nachfolgerin von Sylvia Bohlen-Schöning, die zum 1. Mai in Altersteilzeit gegangen ist. Feldgen war seit 1990 in verschiedenen Funktionen für das Bundesministerium für Ar-beit und Sozialordnung (BMAS) tätig. Von 2013 bis 2018 leitete sie das Referat "Arbeit und Soziales" bei der Ständigen Vertretung Deutschlands bei der EU in Brüssel. Zuletzt war Feldgen Leiterin des Referats "Recht der Europäischen Union, Europäische Migration" sowie sechs Monate vertretungsweise auch Leiterin der Unterabteilung "Europäische Union, Europäische Beschäftigungs- und Sozialpolitik". Das BAS führt die Aufsicht über die Träger und Einrichtungen der gesetzlichen Kranken-, Pflege-, Renten- und Unfallversicherung, deren Zuständigkeitsbereich sich über mehr als drei Bundesländer erstreckt.

Dorothea Dreizehnter, (54), Fachärztin für innere Medizin und knapp fünf Jahre lang Geschäftsführerin des Klinikums Höchst, wechselt nach Bremen. Dort soll sie noch im Laufe dieses Jahres den Vorsitz der Geschäftsführung des kommunalen Gesunheitsverbundes Nord (Geno) mit vier Kliniken übernehmen. Dreizehnter wird Nachfolgerin von Jutta ­Dernedde. Die langjährige Geno-Chefin war im November vergangenen Jahres von ihren Aufgaben entbunden worden, nachdem sich die wirtschaftliche Krise der ­Geno-Häuser zugespitzt hatte. Dreizehnter habe das Angebot einer Vertragsverlängerung um fünf Jahre abgelehnt, hieß es. Sie habe das Klinikum "in den letzten vier Jahren auf einen sicheren Weg in Richtung schwarze Null geführt", sagte der grüne Gesundheitsdezernent Stefan Majer. Dreizehnter war zuvor Mitglied des Vorstandes der Sana Kliniken AG und Generalbevollmächtigte für die Region Nordrhein-Westfalen mit sechs Akutkrankenhäusern. Eine weitere berufliche Station war Deutschlands größte kommunale Klinikgruppe ­Vivantes in Berlin.




sozial-Termine

Veranstaltungen bis Juni



Wir haben Tagungen, Seminare, Workshops und Webinare aufgelistet, die ab Juni geplant sind. Wegen der Corona-Epidemie sagen Veranstalter allerdings Termine auch kurzfristig ab. Wir bitten unsere Leserinnen und Leser, dies zu beachten.

Juni

2.6. Berlin:

Seminar "SGB II und XII für SchuldnerberaterInnen und SozialarbeiterInnen in Beratungsstellen"

der Bundesakademie für Kirche und Diakonie

Tel.: 030/48837-495

3.6. Remagen-Rolandseck

Seminar "QB-Update 1 - Workshop DIN EN ISO 9004"

der AWO Bundesakademie

15.-16.6. Berlin:

Seminar "Die Anwendung der ICF in der Hilfeplanung"

der Bundesakademie für Kirche und Diakonie

Tel.: 030/48837-495

18.-20.6. Paderborn:

Seminar "Sozialrecht im Sozial- und Gesundheitswesen"

der IN VIA-Akademie

24.-26.6. Berlin:

Seminar "Umgang mit Sprachbarrieren in niedrigschwelligen Settings sozialer Arbeit"

der Bundesakademie für Kirche und Diakonie

Tel.: 030/48837-495

24.-26.6. Remagen-Rolandseck:

Seminar "Resilienz Basistraining"

der AWO-Bundesakademie

Tel.: 030/26309-0

29.-30.6. Mainz:

Seminar "Sozialräumliches Arbeiten in der Arbeit mit Menschen mit Teilhabeeinschränkungen"

der Bundesakademie für Kirche und Diakonie

Tel.: 030/488 37-495