sozial-Politik

Corona-Krise

Qual oder Rettung? - Die Beatmung hochbetagter Patienten




Patient am Beatmungsgerät
epd-bild/Heike Lyding
Im Mittelpunkt bei der Behandlung schwer erkrankter Corona-Patienten stand bislang die Zahl an Beatmungsgeräten. Doch könnte diese intensivmedizinische Behandlung bei Hochbetagten mehr schaden als nützen?

Im Evangelischen Seniorenzentrum Theresienau in Bonn haben sich wohl die wenigsten Bewohner Gedanken gemacht, ob sie im Falle einer Corona-Erkrankung intensivmedizinisch behandelt werden wollen. Michael Thelen, Geschäftsführer des Pflegeheims, beobachtet, dass bislang nur etwa die Hälfte der rund 130 zum großen Teil hochbetagten Bewohner eine Patientenverfügung hat. Bislang blieb das Heim von der Pandemie verschont. Im Zweifelsfall würden dann aber letztlich in der Regel die Angehörigen entscheiden müssen, ob der Patient noch an ein Beatmungsgerät kommt, meint Thelen. "Das ist keine Situation, die man jemandem wünscht."

"Ethische Katastrophe"

"Eine Intensivbehandlung ist in vielerlei Hinsicht leidvoll", sagt der Wittener Palliativmediziner Matthias Thöns. Er zieht derzeit in Interviews und Talkshows gegen die "ethische Katastrophe" zu Felde, die sich seiner Meinung nach anbahnt. Ein Großteil der schwer erkrankten Corona-Patienten ist betagt und vorerkrankt. Thöns hält es für falsch, dass diese Menschen derzeit automatisch eine Intensivbehandlung mit künstlicher Beatmung erhielten. Das bedeute zwei bis drei Wochen schmerzhafte Prozeduren. Hinzu komme in Zeiten von Corona: "Man kann in diesem Fall seine Familie nicht mehr sehen."

Zugleich seien die Erfolgsaussichten der Behandlung schlecht, gibt Thöns zu bedenken. Etwa 90 Prozent der alten Menschen, die eine solche intensivmedizinische Behandlung überständen, stürben wenig später oder blieben schwerbehindert. Studien zeigten, dass Alte und Vorerkrankte eine intensivmedizinische Behandlung deshalb ablehnten. "91 Prozent sagen: Lieber tot als schwerbehindert."

Tatsächlich überlebt ein Großteil der schwerstkranken Corona-Patienten trotz Beatmung nicht. Die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin zitiert eine britische Studie, wonach durch die Beatmung auf der Intensivstation nur das Leben jedes dritten Patienten gerettet werden konnte. Thöns plädiert deshalb dafür, alte und vorerkrankte Menschen lieber palliativ zu behandeln und sie im Kreis ihrer Familie sterben zu lassen.

Geringe Überlebenschancen

Das sei schon immer der Weg gewesen, den die meisten Menschen am Ende eines Lebens bei einer Lungenentzündung gewählt hätten. "Warum soll das nun bei Covid-19 anders sein? ", fragt der Mediziner. Denn hier seien die Überlebenschancen gegenüber anderen Lungenentzündungen noch deutlich schlechter.

Auch der Hospiz- und Palliativ-Verband NRW befürchtet, dass die Möglichkeit einer palliativen Versorgung von schwer kranken und alten Corona-Patienten nicht genug Beachtung findet. "Ich nehme wahr, dass derzeit eine sehr starke Apparatefixierung im Gange ist", stellt die Verbandsvorsitzende Ulrike Herwald fest. Sie macht sich Sorgen, dass die Schaffung von Beatmungsplätzen und die Stresssituation viele Mediziner zu einem Automatismus führen könnten.

Lukas Radbruch, Direktor der Klinik für Palliativmedizin der Universität Bonn, sieht das anders. "Die Diskussion geht derzeit in die falsche Richtung", ist er überzeugt. Zwar gebe es Situationen, in denen die Erfolgsaussichten einer Intensivbehandlung so schlecht seien, dass man darauf verzichten und den Patienten besser palliativmedizinisch begleiten sollte, räumt er ein. "Ich sehe es aber nicht so, dass alte Menschen überwiegend lieber sterben wollen, als eine Intensivbehandlung durchzumachen."

Entscheidend ist der Patientenwille

Ähnliches beobachtet auch Michael Thelen bei den Bewohnern des Seniorenzentrums Theresienau. "Ich habe nicht den Eindruck, dass die Stimmung so ist, dass Intensivmedizin und Beatmung abgelehnt werden." Er plädiert dafür, die Entscheidung stets individuell unter Berücksichtigung des Patientenwillens zu treffen.

Einig sind sich Palliativ-Experten darüber, dass es entscheidend sei, den Patientenwillen zu kennen. "Das Gebot der Stunde lautet heute: eine Notfallpatientenverfügung machen", rät Thöns. Radbruch empfiehlt, sich dabei auch von einem Arzt beraten zu lassen, um sich über mögliche intensivmedizinische Maßnahmen aufklären zu lassen.

Claudia Rometsch