sozial-Recht

Landessozialgericht

Kasse muss Kosten für Exoskelett tragen




Die Krankenkassen müssen auch innovative und womöglich teure Hilfsmittel als Behindertenausgleich bezahlen.
epd-bild/Norbert Neetz
Krankenkassen müssen für den unmittelbaren Behinderungsausgleich auch innovative und teure Hilfsmittel bezahlen. Das gilt nach einem Gerichtsurteil auch für ein sogenanntes Exoskelett.

Können querschnittsgelähmte Versicherte mit einem motor- und per Fernbedienung gesteuerten sogenannten Exoskelett selbstständig stehen und gehen, muss im Einzelfall die Krankenkasse die Kosten in Höhe von knapp 100.000 Euro übernehmen, entschied das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen in einem am 29. April schriftlich veröffentlichten Urteil. Die Essener Richter ließen wegen grundsätzlicher Bedeutung die Revision zum Bundessozialgericht (BSG) in Kassel zu.

Damit bekam ein bei der Bundeswehr beschäftigter Sachbearbeiter Recht, der 2010 infolge eines Verkehrsunfalls eine "inkomplette sensomotorische Querschnittslähmung" erlitten hatte. Zwar kann der Mann noch Schmerzen, Vibration und Temperatur an den Beinen spüren. Der untere Teil der Beine ist aber vollkommen bewegungsunfähig.

Nur Rollstühle finanziert

Seine Krankenkasse gewährte ihm zur Fortbewegung einen Aktivrollstuhl sowie einen Stehrollstuhl. Zusätzlich kann sich der Mann mit einem behindertengerechten Pkw fortbewegen.

2016 verschrieb ihm sein Arzt das elektronische Exoskelett ReWalk. Bei dem Hilfsmittel handelt es sich um ein 18 Kilogramm schweres und per Klettverschluss am Körper befestigtes, akkubetriebenes Gerüstsystem. Computer- und Bewegungssensoren und die ebenfalls integrierten Knie- und Hüftgelenke des Exoskeletts ermöglichen das Laufen und Stehen. Der Nutzer kann das über 96.000 Euro teure Hilfsmittel mit einer am Arm getragenen Fernbedienung steuern und so mehrere Gangbilder festlegen.

Die Krankenkasse des Mannes verweigerte jedoch die Kostenübernahme für das Hilfsmittel. Das Exoskelett sei medizinisch nicht erforderlich. Der Kläger könne sich mit seinem Rollstuhl oder seinem Pkw fortbewegen, hieß es zur Begründung. Das Exoskelett diene nur dem mittelbaren Behinderungsausgleich, befand die Kasse. In solch einem Fall müsse sie nur eingeschränkt und unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots für die Kosten aufkommen.

Frage des Behinderungsausgleichs

Anderes gelte beim unmittelbaren Behinderungsausgleich, bei dem ein Hilfsmittel eine verloren gegangene Körperfunktion ganz oder teilweise ersetzt, etwa eine intelligent gesteuerte Beinprothese. Ein Exoskelett sei damit aber nicht vergleichbar. Denn hier habe die Rückenmarkschädigung zu einem Verlust der aktiven Muskelsteuerung geführt. Diese fehlende Funktion werde mit dem Exoskelett aber nicht ersetzt, so dass kein unmittelbarer Behinderungsausgleich vorliege.

Das LSG verurteilte die Krankenkasse nun jedoch zur Kostenübernahme. Das Hilfsmittel diene dem unmittelbaren Behinderungsausgleich, indem es die Funktion der Beine, das selbstständige Gehen und Stehen, ersetzt. Auch wenn das Exoskelett - anders als etwa die intelligent gesteuerte Beinprothese C-Leg - kein Körperersatzstück sei, werde das Gehen bei beiden Hilfsmitteln auf ähnliche Weise ermöglicht.

Positives Selbstwertgefühl

Das Exoskelett beeinflusse die Lebensqualität und das Selbstwertgefühl positiv. Gleichwertige, aber unterschiedlich teure Hilfsmittel stünden nicht zur Wahl, so dass eine Kostenübernahmepflicht bestehe, entschieden die Richter.

Dass Kassen für den unmittelbaren Behinderungsausgleich auch teure, neue Hilfsmittel bezahlen müssen, hatte das BSG bereits 2004 zu den C-Leg-Prothesen mit mikroprozessorgesteuertem Kniegelenk entschieden. Die Beinprothese verfüge gegenüber mechanischen Prothesen über "wesentliche Gebrauchsvorteile" wie ein natürliches Gangbild und eine geringere Sturzgefahr beim Alltagsgebrauch.

Auch eine süßwassergeeignete Badeprothese muss nach einer weiteren Entscheidung des BSG aus dem Jahr 2009 die Krankenkasse zum unmittelbaren Behinderungsausgleich zahlen, weil sie das Mobilitätsbedürfnis im häuslichen Bad und im Schwimmbad befriedigt und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens deckt. Dies sei bei einer Sportprothese, mit der Beinamputierte etwa Badminton spielen können, aber nicht mehr der Fall, so die obersten Sozialrichter mit Urteil vom 21. März 2013. Bei der Hilfsmittelversorgung sei es nicht Aufgabe der Krankenkassen, den Freizeit- und Vereinssport zu fördern.

Az.: L 5 KR 675/19 (Exoskelett)

Az.: B 3 KR 1/04 R, B 3 KR 67/04 R und B 3 KR 2/04 R (C-leg-Prothese)

Az.: B 3 KR 2/08 R und B 3 KR 19/08 R (Süßwasserprothese)

Az.: B 3 KR 3/12 R (Sportprothese)

Frank Leth