sozial-Politik

Corona-Krise

Alkoholkranke haben zusätzlichen Stress




Alkoholkranke müssen auf Treffen ihrer Selbsthilfegruppen derzeit verzichten.
epd-bild / Andrea Enderlein
Ob Ärztin, Facharbeiter oder Ingenieur - Alkoholismus ist eine chronische Krankheit, die jeden treffen kann. Für Betroffene spielen Selbsthilfegruppen eine wesentliche Rolle. Doch deren Arbeit ist in der Corona-Krise stark eingeschränkt.

Das Kontaktverbot infolge der Corona-Pandemie macht Alkoholkranken und ihren Familien in Deutschland schwer zu schaffen. Denn seit Mitte März ist ihnen untersagt, "leibhaftig" an den regelmäßigen Treffen von Organisationen wie den Anonymen Alkoholikern, den Guttemplern, dem Blauen Kreuz oder den Diakonie-Freundeskreisen teilzunehmen. Nach Schätzungen sind hierzulande bis zu zwei Millionen Männer und Frauen im Alter zwischen 18 und 64 Jahren alkoholabhängig, etwa 40.000 Menschen sterben jährlich an den Folgen des Konsums.

Der Kasseler Suchtexperte Markus Schimmelpfennig ist der Überzeugung, dass die Alkoholkrankheit nur durch lebenslange Abstinenz zum Stillstand gebracht, aber nicht geheilt werden kann. Von dem Ansatz, dass jeder alkoholabhängigen Person ein kontrollierter Konsum möglich wäre, hält er nichts. Nach dem Entzug in einer Suchtklinik gehe es vor allem darum, die "Trockenheit" zu bewahren, sagt er. Eine wichtige Rolle dabei spielten die Selbsthilfegruppen, deren Aktivitäten durch die Corona-Pandemie jedoch stark eingeschränkt seien.

Erhöhtes Rückfallrisiko

Der Ausfall der Meetings erzeugt laut Schimmelpfennig "zusätzlichen Stress und erhöht das Rückfallrisiko". Vielen Betroffenen drohten Vereinsamung und psychische Probleme, außerdem quälten sie wirtschaftliche Nöte.

Ihnen fehlten der Austausch auf Augenhöhe, der Rückhalt und die Geborgenheit in der Gruppe, sagte der Experte. Denn dort könnten sie, anders als in der Familie oder im Kollegenkreis, alles sagen und auch "mal schlecht drauf sein", wie der Facharzt für Öffentliches Gesundheitswesen und Krankenhaushygiene hervorhebt. "Alkoholiker untereinander können sich nicht belügen." Virtuelle Treffen seien nur ein "zweitklassiger Ersatz".

Telefonkonferenzen als Ersatz

Gleichwohl bleibt den Selbsthilfegruppen in der Corona-Krise nichts anderes übrig, als Telefon- und Onlinemeetings zu organisieren, wie zum Beispiel dem Guttempler-Landesverband Hessen. Die einmal in der Woche stattfindenden Telefonkonferenzen würden sehr gut angenommen, berichtet der Vorsitzende Ulrich Bernhard. Außerdem sei seit 1. April ein bundesweites Nottelefon geschaltet, und Videokonferenzen seien im Aufbau. "Wenn ein Betroffener trotzdem auf ein persönliches Gespräch besteht, führe ich das, selbstverständlich mit dem vorgeschriebenen Sicherheitsabstand", betont Bernhard.

Auch die rund 2.500 Gruppen der Anonymen Alkoholiker in Deutschland halten Kontakt über Tablet und Smartphone oder nutzen die Erste-Hilfe-Telefonnummer auf der Website. Er selbst nehme regelmäßig an Online-Treffen teil, schicke vermehrt E-Mails und "hänge viel am Telefon", sagt der Gründer der Marburger Gruppe, Werner K. (Name geändert). Deutlich weniger vernetzt seien hingegen die Angehörigen-Gruppen, bedauert er.

Das bestätigt auch Evelyn S. (Name geändert), die die Selbsthilfegruppe von Angehörigen von Suchtkranken im Diakonischen Werk Biedenkopf leitet. Immerhin hielten vier Mitglieder per WhatsApp Kontakt, außerdem sei die Gruppe telefonisch erreichbar: "Wir freuen uns, wenn die Krise überstanden ist und wir uns wieder vor Ort austauschen können."

Dieter Schneberger