Kirchen

Immer weniger Protestanten




Die Kirchen in Deutschland verlieren weiter Mitglieder.
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Es ist erneut ein großer Einbruch: Die evangelische Kirche in Deutschland hat im vergangenen Jahr 511.000 Mitglieder verloren - durch Austritte und Sterbefälle. Mit Reformprozessen will man die kirchlichen Angebote attraktiver gestalten.

Hannover (epd). Die evangelische Kirche in Deutschland hat im vergangenen Jahr mehr als eine halbe Million Mitglieder verloren. Grund für den Mitgliederschwund von 511.000 Protestanten sei die im Corona-Jahr 2021 erhöhte Zahl der Sterbefälle von 360.000 sowie die hohe Zahl der 280.000 Kirchenaustritte, wie die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) am 9. März in Hannover mitteilte.

Nach den vorläufigen Zahlen aus den EKD-Mitgliedskirchen gehörten zum Stichtag 31.12.2021 insgesamt 19,7 Millionen Deutsche (23,7 Prozent) einer der 20 evangelischen Landeskirchen an. Das sind 2,5 Prozent weniger als im vergangenen Jahr.

Die Zahl der evangelischen Kirchenaustritte stieg im Vergleich zum Pandemiejahr 2020 um 60.000. Damit lag die Austrittsrate bei rund 1,4 Prozent. Taufen und Kirchenübertritte konnten den Mitgliederschwund nicht aufhalten. Die Zahl der evangelischen Taufen habe sich mit 115.000 gegenüber 2020 zwar deutlich erhöht, erreiche bislang aber nicht das Niveau vor der Corona-Krise. Die Aufnahmen blieben mit rund 18.000 ungefähr auf dem Vorjahresniveau.

Erstmals weniger als die Häfte der Menschen in Deutschland Kirchenmitglieder

Hält auch der bisherige Trend des Mitgliederrückgangs in der katholischen Kirche an, könnte erstmals der Anteil der evangelischen und katholischen Christen an der Gesamtbevölkerung in Deutschland unter die 50-Prozent-Marke sinken. Die katholische Kirche veröffentlicht ihre Mitgliederstatistik Ende Juni dieses Jahres, sagte der Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz, Matthias Kopp, am Rande der Frühjahresvollversammlung der deutschen Bischöfe im bayerischen Vierzehnheiligen. In den vergangenen Jahren hatten evangelische und katholische Kirche ihre Zahlen stets gemeinsam im Sommer veröffentlicht.

Unterdessen sucht die EKD nach den Ursachen für den Mitgliederschwund. Ärger über einen Pfarrer oder ein anderer konkreter Anlass treibt nach Angaben des evangelischen Sozialwissenschaftlichen Instituts (SI) nur wenige Menschen aus der Kirche. Zwar sei davon auszugehen, dass konkrete Anlässe wie die kirchlichen Skandale zur sexualisierten Gewalt an Kindern und die Verschwendung finanzieller Mittel zur Austrittsspitze 2019 beigetragen haben, „insbesondere bei den vormals Katholischen“, erklärte die Soziologin und Autorin einer Studie, Petra-Angela Ahrens, am Mittwoch in Hannover.

In erster Linie vollziehe sich der Austritt jedoch als Prozess, der häufig schon mit einer fehlenden religiösen Sozialisation beginne und mit wenig Interesse an Religion und Kirche einhergehe. Auch die Ersparnis der Kirchensteuer spiele eine Rolle, bilanzierte die Soziologin Ahrens in ihrer neuen Untersuchung.

Kurschus: „Ausstrahlkraft“ hängt nicht allein an Mitgliederzahl

Die EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus sagte, zwar hänge „die Ausstrahlkraft einer Kirche nicht allein an der Zahl der Mitglieder, die ihr formal angehören, trotzdem werden wir sinkende Mitgliederzahlen und anhaltend hohe Austrittszahlen nicht als gottgegeben hinnehmen, sondern dort, wo es möglich ist, entschieden gegensteuern“. Dazu beitragen sollen in diesem Jahr den Angaben zufolge gezielte Taufinitiativen. In vielen Landeskirchen würden derzeit besondere Taufangebote unterbreitet, damit Familien, die während des Lockdowns kein Tauffest feiern konnten, Taufen nachholen können.

Als Reaktion auf schwindende Mitgliederzahlen haben die EKD und ihre Landeskirchen auf allen Ebenen Zukunfts- und Reformprozesse gestartet. „Wir wollen mit unserer Botschaft die Herzen der Menschen erreichen“, sagte die Präses der EKD-Synode, Anna-Nicole Heinrich. Es gehe „um nichts Geringeres, als mit unseren grundlegenden Werten eine Welt in Frieden und Freiheit mitzugestalten“.

Für die bundesweite Studie durch das Sozialwissenschaftliche Institut der EKD wurden den Angaben zufolge insgesamt 1.500 Personen befragt, die aus der evangelischen oder katholischen Kirche austreten sind. 1.000 Befragte waren seit 2018 ausgetreten, 500 Befragte vor dem Jahr 2018.



EKD-Ratsvorsitzende: Wir können keine weiße Weste behalten




Annette Kurschus
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Der Krieg in der Ukraine stellt nach Worten der EKD-Ratsvorsitzenden Annette Kurschus auch die Gesellschaft hierzulande vor große Herausforderungen. Auf Dauer werde es nicht ausreichen, Mitgefühl zu zeigen und humanitäre Hilfe zu leisten, sagte Kurschus dem epd.

Bielefeld, Hannover (epd). Auch die Kirche befinde sich angesichts des Krieges in einem „schmerzlichen Lernprozess“. Aufgabe der Kirche bleibe es, Menschen zu stärken, die sich für den Frieden einsetzten.

epd: Experten rechnen beim Krieg in der Ukraine mit wesentlich mehr Flüchtlingen als im Jahr 2015. Aktuell ist die Hilfsbereitschaft groß. Befürchten Sie, dass die Stimmung auch wieder kippen kann wie bei der letzten Fluchtwelle?

Kurschus: Es ist sehr erfreulich, welch große Hilfsbereitschaft im Moment zu spüren ist. Überall sperren Menschen die Türen auf und helfen bereits jetzt ganz konkret. Es gibt auch immer wieder Demonstrationen als Zeichen der Solidarität mit den Menschen in der Ukraine. Das habe ich in Berlin vor zwei Wochen selbst erlebt. Dass sich die Stimmung gegenüber den vorherigen Geflüchteten gedreht habe, sehe ich so pauschal nicht. In unseren Gemeinden erlebe ich ein ungebrochenes Engagement. Wir haben uns jetzt eben auf einen „Langstreckenlauf“ einzurichten.

epd: Was hat das für Konsequenzen?

Kurschus: Es werden noch sehr viele Menschen aus der Ukraine zu uns kommen. Auf Dauer wird es nicht ausreichen, Mitgefühl zu zeigen und humanitäre Hilfe zu leisten. Solidarität wird sehr konkret und sehr konsequent gelebt werden müssen, und das wird auch uns selbst in unserem Alltag einiges abverlangen. Wir werden erhebliche Preissteigerungen in etlichen Bereichen hinnehmen müssen. Jetzt gilt es, zusammenzuhalten - auch damit die teure Solidarität nicht auf die Knochen und auf Kosten derer geht, die jetzt schon zu wenig haben. Den entschlossenen Willen dazu spüre ich in unserer Gesellschaft deutlich.

epd: In der Flüchtlingsarbeit engagierte Menschen sind besorgt, dass Flüchtlinge aus Afrika oder Syrien aus dem Blick geraten. Gibt es eine Unterscheidung von Flüchtlingen erster und zweiter Klasse?

Kurschus: Die Regierung hat zum Glück entschieden, dass die Menschen, die aus der Ukraine flüchten, möglichst wenig Hürden überwinden müssen. Sie sollen unkompliziert aufgenommen werden. Das ist großartig. Großartig ist auch, dass die osteuropäischen Staaten, die sich bisher abgeschottet haben, den Menschen großzügig helfen, die aus der Ukraine fliehen. Durch diese Hilfsbereitschaft wird niemand, der auf dem bisher normalen Weg über das Asylverfahren hierher kommt, zu einem Flüchtling zweiter Klasse. Und das darf es auch nicht geben.

epd: Was tun die Kirchen dagegen?

Kurschus: Die unkomplizierte Aufnahme der Menschen aus der Ukraine kann uns in Zukunft vielleicht Wege weisen, wie wir es auch mit denen, die aus anderen Staaten zu uns kommen, besser machen. Wir in den Kirchen werden alles dafür tun, dass die Geflüchteten, die schon bei uns sind, keine Nachteile dadurch haben, dass jetzt mehr und andere dazukommen. Hautfarbe oder Religion oder Kultur dürfen bei der Einschätzung von Not jedenfalls keinen Unterschied machen.

epd: Wie bewerten Sie, dass Deutschland jetzt doch Waffen an die Ukraine liefert?

Kurschus: Es bleibt dabei: Waffen sind kein Mittel, um Frieden zu schaffen. Allenfalls können sie zur Abschreckung von Aggressoren dienen, die sich nicht um Völkerrecht scheren und verbrecherische Angriffskriege anzetteln wollen. Oder sie dienen zur Selbstverteidigung als letztes Mittel in einem solchen Krieg. Die Ukraine ist von einem verbrecherischen Angriffskrieg überzogen worden, die Bevölkerung will sich dagegen wehren und ihre Freiheit verteidigen. Zivilisten werden dort auf offener Straße von der russischen Armee angegriffen.

Ich halte es für schwierig, die geforderten Waffenlieferungen abzulehnen, wenn die Menschen sich nicht allein aus eigenen Kräften verteidigen können. Aber Waffenlieferungen gewährleisten nicht das Ende der Gewalt, das wir uns wünschen. Im Gegenteil: Sie können zu Kettenreaktionen führen, in denen die Beteiligten die Kontrolle verlieren. Das ist das Fatale. Wie immer wir uns positionieren: Wir können in dieser Situation keine weiße Weste behalten. Diese Lernerfahrung mache ich gerade.

epd: Was bedeutet das für Sie?

Kurschus: Ich halte es für zynisch zu sagen: Jetzt müssen unsere Gebete und unser Mitgefühl ausreichen. Ich kann nachvollziehen, dass die Ukraine in ihrer Selbstverteidigung unterstützt wird. Das ist ein echtes Dilemma. Aber wir dürfen dem als Kirchen nicht ausweichen, indem wir schweigen und uns aus der Verantwortung ziehen.

epd: Einige Theologen halten ein Umdenken der evangelischen Friedensethik für nötig. Muss sie angesichts der aktuellen Bedrohungslage reformiert werden?

Kurschus: Ich bin nicht der Meinung, wir müssten jetzt unsere gesamte Friedensethik über den Haufen werfen. Wir sollten sie aber einer kritischen Prüfung unterziehen und neu diskutieren. Die schmerzlichen Lernprozesse, die wir gerade durchleben, müssen sich in unserer Friedensethik niederschlagen. Es ist ein Kennzeichen protestantischer Ethik, dass dort nichts für alle Zeiten festgeschrieben ist, sondern dass wir sie weiterentwickeln können, wenn sich Situationen einschneidend verändern.

epd: Können Kirchen zur Vermittlung in diesem Konflikt beitragen?

Kurschus: Unsere große Stärke ist, dass wir in ganz Europa, auch mit den Kirchen in den Konfliktgebieten, miteinander verbunden sind. Trotz aller Schwierigkeiten lassen wir die Kontakte zur russisch-orthodoxen Kirche sowohl in Russland als auch in der Ukraine nicht abbrechen, sondern versuchen, gemeinsam mit ihnen intensiv um Frieden zu ringen. Wir haben den Ökumenischen Rat der Kirchen und die Konferenz Europäischer Kirchen, die uns gute Möglichkeiten bereitstellen, um miteinander zu reden und auch miteinander zu streiten.

epd: Was können Kirchen in diesem Konflikt einbringen?

Kurschus: Jeder Aggressor, das sehen wir auch bei Putin, rechtfertigt seine Aktionen mit übergeordneten „Werten“. Dagegen können die Kirchen starke Worte und Bilder der Bibel setzen. Worte und Bilder des Friedens. Sie stärken Menschen, sich weiterhin für den Frieden einzusetzen, auch wenn es möglicherweise lange dauert.

epd: Was bedeutet der Krieg in der Ukraine für die Kirche hierzulande?

Kurschus: Unsere Kirchengemeinden bewähren sich als Hoffnungsgemeinschaften, sie bieten Unterkünfte, sammeln Spenden und stellen Hilfstransporte auf die Beine. Das ist großartig. Und es macht deutlich, welch ein starkes und buchstäblich handfestes Potenzial der Glaube hat. Wir setzen viel Vertrauen in unablässige Gebete um Frieden, und aus solchen Gebeten wachsen mutige Taten.

epd: Was antworten Sie Menschen, die sich fragen, wo in all dem Leid in der Ukraine Gott sei?

Kurschus: Ich kann solche Fragen gut nachvollziehen. Ich bin selber nicht frei davon. Überall auf der Welt wird dafür gebetet, Gott möge die Herzen der Kriegstreiber zum Frieden wenden. Unser christlicher Glaube ist aus der Erfahrung entstanden, dass ein Unschuldiger und Wehrloser umgebracht wurde und kein Gott eingegriffen hat und die Leute fragten: „Wo ist nun dein Gott?“. Wir benennen uns nach Christus, der als Gewaltopfer ans Kreuz genagelt wurde. Das war aber nicht das Ende. Sondern Christus wurde auferweckt zu neuem Leben und von Gott ins Recht gesetzt. Seitdem ist das Kreuz ein Protest gegen Gewalt und ein Zeichen dafür, dass Gott an der Seite der Opfer ist und sich mit ihnen identifiziert.

In dieser Passionszeit sehen wir Christus in denen, die in der Ukraine der Gewalt ausgeliefert sind, und in denen, die in Russland inhaftiert werden. Und in alledem glauben wir und halten trotzig an der Gewissheit fest, dass die Gewalttäter nicht das letzte Wort in der Geschichte haben werden.

epd: Sehen Sie die Gefahr, dass angesichts des Kriegs in der Ukraine andere Themen wie der Klimaschutz aus dem Blick geraten?

Kurschus: Tatsächlich drängt der Krieg in der Ukraine derzeit alles andere in den Hintergrund. Angesichts einer unsicherer werdenden Versorgung mit Gas und Öl wird jetzt beispielsweise wieder über eine verstärkte Nutzung von Atomstrom debattiert. Vieles, was wir im Blick auf Ökologie, Schöpfung und Klimapolitik über Jahre mühsam errungen haben, droht gerade wieder rückwärts zu gehen. Zugleich zeigt sich, dass es durchaus von Vorteil ist, sich durch den Ausbau erneuerbarer Energien von russischem Gas unabhängig zu machen - das kann auch motivierend wirken. Wir werden jedenfalls sehr genau aufpassen, dass der Schutz des Klimas auf der Tagesordnung bleibt, auch wenn er aktuell nicht die Schlagzeilen füllt.

epd-Gespräch: Holger Spierig


EKD-Theologe Markschies zur Friedensethik: "Wir waren zu naiv"




Christoph Markschies (Archivbild)
epd-bild / Friedrich Stark

Hannover/Berlin (epd). Der Theologe Christoph Markschies hat dafür geworben, angesichts des Ukraine-Kriegs gewohnte friedensethische Positionen zu überdenken. „Wir müssen klar benennen, wer in diesem Krieg der Überfallende und wer der Überfallene ist“, sagte der scheidende Vorsitzende der Kammer für Theologie der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) am 9. März dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Die Ukrainer haben das Recht, sich zu verteidigen. Unerträglich wäre es, wenn man den Konfliktparteien wie ungezogenen Kindern sagte: Nun haltet mal Frieden.“

Der russische Angriffskrieg werfe die Frage auf, ob die evangelische Friedensethik in ihrer über Jahrzehnte gewachsenen Gestalt den neuen Herausforderungen gewachsen sei, sagte der in Berlin lehrende Professor. Die Entspannungspolitik und damit das Ende des Kalten Krieges habe sie zwar in gewisser Weise mitbewirkt. Doch schon die brutalen Kriege in Tschetschenien und Syrien hätten vor Illusionen über die Weltlage warnen können.

„Wir waren zu naiv und haben den zivilisatorischen Effekt der grausamen Geschichte des 20. Jahrhunderts überschätzt“, sagte Markschies. „Zudem müssen wir schmerzlich erkennen, dass wir die Bedrohung durch totalitär verfasste Staaten in Europa unterschätzt haben. Pazifismus ist an dieser Stelle keine Antwort.“

„Alternative zur Spirale der Gewalt sichtbar“

Immerhin zeige der ukrainische Widerstand, dass Gewalt nicht mit bloßer Gegengewalt beantwortet werden müsse. „Das Streben nach Selbstbestimmung, der Zusammenhalt und der Galgenhumor der Ukrainer, mit dem sie mitunter den russischen Soldaten begegnen: Hier werden Alternativen zu einer Spirale der Gewalt sichtbar, die lange im Zentrum evangelischer Friedensethik standen.“

Als Beispiel nannte der Theologe das Twitter-Video, in dem ein ukrainischer Autofahrer einem russischen Panzerfahrer anbietet, ihm den Weg zurück nach Russland zu zeigen. Auch das Übermalen von Straßenschildern zeuge von dieser Fantasie der Ukrainer. Manche Wegweiser seien vollständig mit „Den Haag“ überschrieben worden.

Doch auch die Renitenz im russischen Volk müsse gesehen werden, sagte Markschies. „Mut, Einsatz und Zivilcourage der Menschen in Russland sollten wir nicht für die eigene PR ausschlachten, aber doch taktvoll unterstützen.“ Der Theologe verwies auf die rund 7.000 Wissenschaftler in Russland, die vergangene Woche einen kritischen Brief gegen den Krieg unterzeichnet hatten.

„Bei denen allen ist die Polizei schon vorbeigekommen, teilweise auch bei ihren Eltern“, betonte er. Auch russische-orthodoxe Priester hätten mit Unterschriften-Sammlungen gezeigt, dass sie mit Pro-Kriegs-Kurs des Moskauer Patriarchen nicht einverstanden seien.

epd-Gespräch: Urs Mundt


Ukraine-Krieg: EKD-Friedensbeauftragter sieht "keine Zeitenwende"



Bonn (epd). Trotz der russischen Invasion in die Ukraine sieht der Friedensbeauftragte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), der mitteldeutsche Landesbischof Friedrich Kramer, bislang keinen Anlass für eine grundsätzliche Neuorientierung in der Friedensethik. „Es ist jetzt nicht die Zeit, hektisch eine grundlegende Diskussion über die evangelische Friedensethik zu führen“, sagte er bei einem Gespräch in der Evangelischen Akademie Loccum (Niedersachsen), wie die Evangelische Friedensarbeit im Raum der EKD am 11. März in Bonn mitteilte.

Es sei zwar nötig, über friedensethische Aspekte neu nachzudenken. Diese Frage müsse aber in Ruhe erörtert werden, nicht unter dem Eindruck der schlimmen Bilder aus der Ukraine, betonte Kramer. „Es ist unstrittig, dass die russische Regierung einen völkerrechtswidrigen Krieg in der Ukraine führt, der das Schlimmste befürchten lässt und uns vor Herausforderungen und Fragen stellt. Aber ich sehe darin keine Zeitenwende.“ Neu sei, dass dieser Krieg in Europa stattfinde.

„Nicht vorschnell Entscheidungen treffen“

Neu sei zudem die nicht erwartete Massivität und „Brachialität“ der russischen Regierung bei dem Krieg in der Ukraine. Neu sei auch, dass Europa und die Welt aufstünden, um zu zeigen, dass Krieg als politisches Mittel nicht mehr akzeptabel sei. In dem Zusammenhang äußerte der Landesbischof der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland erneut Skepsis an den geplanten zusätzlichen 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr und an dem Zwei-Prozent-Ziel für den Anteil des Verteidigungshaushaltes am Bruttoinlandsprodukt. „Hier dürfen nicht vorschnell Entscheidungen getroffen werden“, warnte er.

Kramer bezeichnete es als verständlich, dass der Krieg in der Ukraine zu Fragen an die evangelische Friedensethik führe. Doch dabei dürfe nicht vergessen werden: „Die christliche Botschaft von der Gewaltlosigkeit ist zentral für unsere friedensethische Diskussion und als mahnende Position für unsere Gesellschaft unerlässlich.“



Bischöfe sehen Waffenlieferungen an die Ukraine als legitim an



Die evangelische und katholische Kirche werden nicht müde, den russischen Angriffskrieg in der Ukraine zu verurteilen. In der Debatte über Waffenlieferungen stellen sie sogar eigene friedensethische Positionen infrage.

Vierzehnheiligen, Bielefeld (epd). Die katholischen Bischöfe haben Waffenlieferungen an die Ukraine im Krieg gegen Russland als grundsätzlich legitim erklärt. Zwar beobachteten die Kirchen den Export von Rüstungsgütern stets kritisch, aber die Entscheidung, ob Waffen zur Verfügung gestellt würden, dürften nicht von der konkreten Situation absehen, heißt es in einer am 10. März im oberfränkischen Vierzehnheiligen veröffentlichten Erklärung der katholischen Deutschen Bischofskonferenz. Ähnlich äußerte sich auch die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus.

Rüstungslieferungen, die dazu dienten, dass die Ukraine ihr völkerrechtlich verbrieftes und auch von der kirchlichen Friedensethik bejahtes Recht auf Selbstverteidigung wahrnehmen könne, halten die Bischöfe daher für „grundsätzlich legitim“. Zugleich mahnten sie bei politischen Entscheidungsträgern an, präzise zu bedenken, was sie damit aus- und möglicherweise anrichten. Dies gelte gleichermaßen für die Befürworter wie für die Gegner von Waffenlieferungen, heißt es in der Erklärung.

Auch die EKD- Ratsvorsitzende Kurschus hält es für schwierig, die geforderten Waffenlieferungen abzulehnen, wenn die Menschen sich nicht allein aus eigenen Kräften verteidigen könnten. „Aber Waffenlieferungen gewährleisten nicht das Ende der Gewalt, das wir uns wünschen“, sagte die westfälische Präses dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Bischöfe wenden sich gegen Moskauer Patriarchen

Kurschus betonte das Dilemma der kirchlichen Position. „Wie immer wir uns positionieren: Wir können in dieser Situation keine weiße Weste behalten.“ Sie halte es für zynisch zu sagen, Gebete und Mitgefühl mit den Menschen in der Ukraine müssten ausreichen. „Ich kann nachvollziehen, dass die Ukraine in ihrer Selbstverteidigung unterstützt wird. Das ist ein echtes Dilemma.“ Aber dem dürften die Kirchen nicht ausweichen, indem sie schweigen und sich aus der Verantwortung ziehen. Kurschus sagte zudem, dass die evangelische Friedensethik vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs „einer kritischen Prüfung“ unterzogen und neu diskutiert werden müsse.

Die katholischen Bischöfe wendeten sich in ihrer Erklärung auch gegen die Versuche des russisch-orthodoxen Moskauer Patriarchen Kyrill, den russischen Einmarsch zu verteidigen. „Alle wahre Religion lehnt den Krieg ab. Er ist eine Niederlage der Humanität.“ Wer ihn mutwillig auslöse, begehe ein Verbrechen vor Gott und den Menschen. In ihrer Lehre und in ihrem Handeln sei die Kirche der Gewaltlosigkeit Jesu verpflichtet. Der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Georg Bätzing, betonte bei einer Pressekonferenz zum Abschluss der Frühjahrs-Vollversammlung der Bischöfe, es gebe eine große ökumenische Übereinstimmung in der Ablehnung des Krieges.

Die Bischöfe forderten eine „Haltung der Entschlossenheit“ der westlichen Demokratien und Hilfe für die Opfer. „Alle spüren: Die Invasion in die Ukraine ist auch ein Angriff auf Europa und seine Werte“, heißt es in dem vierseitigen Text. Europa tue gut daran, sich auf eine lange und schwierige Auseinandersetzung einzustellen. „Eine Haltung der Entschlossenheit und der Eindeutigkeit, jenseits von Hysterie und von taktischem Lavieren, ist nötig, um diese Herausforderung zu bestehen.“ Zugleich müsse besondere Aufmerksamkeit auf der Hilfe für die Kriegsflüchtlinge liegen. „Auch im gemeinsamen Einstehen für die Geflüchteten, die Gestrandeten des Krieges, kann und muss Europa seine gemeinsamen Werte in konkrete Realität übersetzen.“



Russisch-orthodoxer Patriarch macht Westen für Krieg verantwortlich



Genf (epd). Das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, Patriarch Kyrill I., hat den „Westen“ und das Militärbündnis Nato für die Ursachen des Krieges in der Ukraine verantwortlich gemacht. Der tragische Konflikt sei Teil einer „großangelegten geopolitischen Strategie“ zur Schwächung Russlands, schreibt der Moskauer Patriarch in einem Brief, wie der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) in Genf am 11. März dem Evangelischen Pressedienst bestätigte.

Westliche Kräfte hätten nach dem Ende des Kalten Krieges vor mehr als 30 Jahren Russland zu ihrem „Feind“ erkoren und seien immer näher an die Grenzen seines Heimatlandes gerückt, erklärte der Patriarch in seinem Antwortbrief an den Weltkirchenrat, dem auch die russisch-orthodoxe Kirche angehört. Der Westen habe im Osten Europas eine Militärpräsenz aufgebaut und die berechtigten Sicherheitssorgen Russlands ignoriert.

Kein Wort zu Putin

Die westlichen Kräfte hätten beschlossen, nicht selbst gegen Russland zu kämpfen. Sie hätten stattdessen versucht, die Brudervölker Russlands und der Ukraine in Feinde zu verwandeln. Die Ukraine sei mit Waffen und Instruktionen zur Kriegsführung überflutet worden. Es sei ein Versuch unternommen worden, die Ukrainer „umzuerziehen“, und gegen Russland aufzustacheln.

Kyrill erwähnt laut der englischen Übersetzung des Briefes aus dem Russischen, die der ÖRK zur Verfügung stellte, den russischen Präsidenten Wladimir Putin nicht. Der geschäftsführende Generalsekretär des ÖRK, Ioan Sauca, hatte Kyrill am 2. März aufgerufen, seine Stimme zu erheben, um den Krieg in der Ukraine zu stoppen.

Kyrill gilt als enger Verbündeter Putins. Der Mainzer Ostkirchenkundler Mihai Grigore sieht in der orthodoxen Kirche prinzipiell eine Kraft, die den Verlauf des von Russland begonnenen Krieges beeinflussen könnte. Patriarch Kyrill sei mehr als eine Marionette Putins, er hätte durchaus Einfluss, wenn er sich klar positionieren würde.

Größte Einzelkirche im ÖRK

Auch die meisten anderen orthodoxen Kirchenoberhäupter in der Welt hätten sich bislang nur sehr zurückhaltend zu der Invasion geäußert. Eine klare proukrainische und proeuropäische Stellungnahme habe es vor allem in Rumänien gegeben. ÖRK-Generalsekretär Sauca gehört der rumänisch-orthodoxen Kirche an.

Putin hatte seiner Armee befohlen, am 24. Februar das Nachbarland Ukraine anzugreifen. Ziel der „Militäroperation“ ist nach russischer Lesart eine „Demilitarisierung“, „Entnazifizierung“ und ein neutraler Status der Ukraine.

Die russisch-orthodoxe Kirche ist die größte Einzelkirche im ÖRK. Dem Dachverband gehören 352 Kirchen aus mehr als 120 Ländern an, die weltweit über 580 Millionen Christinnen und Christen vertreten.



Ostkirchen-Expertin Heller: Kyrill verliert Bezug zur Realität




Dagmar Heller
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Bensheim (epd). Die Ostkirchen-Expertin Dagmar Heller hat kaum Hoffnung, dass der orthodoxe Moskauer Patriarch Kyrill I. im Ukraine-Russland-Konflikt eine Vermittlerrolle einnehmen wird. Zum einen befinde sich Kyrill wegen seiner Nähe zu Präsident Wladimir Putin in einem Dilemma, sagte die Leiterin des Konfessionskundlichen Instituts des Evangelischen Bundes im südhessischen Bensheim dem Evangelischen Pressedienst (epd). Zum anderen sehe das Oberhaupt der Russischen Orthodoxen Kirche den Kampf in der Ukraine auch als „Krieg des Lichts“ gegen die „sündigen Werte“ des Westens.

Diese Äußerung in seiner Sonntagspredigt am vergangenen Sonntag (6. März) weise darauf hin, dass Patriarch Kyrill offenbar in einer Welt lebe, die sich weit von der Realität entfernt hat, so die evangelische Theologin: „Hier hat sich meines Erachtens seine Fixiertheit auf die 'christlichen Werte', die er dem Westen vorwirft mit Füßen zu treten, so sehr verselbständigt, dass er das Wesen dieses Krieges und das Ziel dieses Krieges völlig aus den Augen verloren hat.“ Kyrill meine vor allem den liberalen Umgang mit der Homosexualität in westlichen Kirchen.

Sieht wichtige Rolle für Kirchen nach dem Krieg

In der Ukraine selbst treten die beiden orthodoxen Kirchen Heller zufolge in der Verurteilung des Angriffs und dem Bekenntnis zur Souveränität der Ukraine in seltener Einigkeit auf: „Ob sie aber zu Friedensstiftern werden können, muss sich erst noch zeigen. Vermutlich können sie nicht viel ausrichten, um die Angriffe zu stoppen. Denkbar wäre das nur, wenn Patriarch Kyrill davon zu überzeugen wäre, dass er auf Präsident Putin einwirkt.“ Kyrill war von zahlreichen anderen Kirchenrepräsentanten und Politikern dazu aufgefordert worden, im Ukraine-Russland-Konflikt zu vermitteln.

Die Kirchen in der Ukraine werden nach Hellers Einschätzung „noch eine wichtige Rolle für die Versöhnung nach dem hoffentlich baldigen Ende des Krieges spielen“. Um genauer zu sehen, wie, müsse man jedoch noch abwarten, wie sich die Ukrainisch-orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats entwickele. „Derzeit haben mehrere Diözesen in der Ukraine aufgehört, Patriarch Kyrill in der Liturgie zu kommemorieren, also zu gedenken“, so Heller: Das bedeute einen ersten Schritt zur Abspaltung: „Das heißt, Kyrill verliert seine Gläubigen in der Ukraine.“

epd-Gespräch von Stephan Cezanne


Kirchentag kommt vom 30. April bis 4. Mai 2025 nach Hannover



Hannover (epd). Der Deutsche Evangelische Kirchentag wird vom 30. April bis 4. Mai 2025 in Hannover stattfinden. Das gaben die Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers und der Deutsche Evangelische Kirchentag am 11. März bekannt. Erstmals seit Hamburg im Jahr 2013 erstrecke sich der Kirchentag damit weder über Himmelfahrt noch über Fronleichnam, sondern über den Maifeiertag. Erwartet werden den Angaben zufolge Zehntausende Teilnehmende zu „einer bunten Vielfalt aus kulturellem, thematischem und geistlichem Programm im gesamten Stadtgebiet Hannovers“.

Zum landeskirchlichen Beauftragten für den Kirchentag 2025 wurde der Theologe Andreas Behr benannt. Der 51-jährige, der zurzeit als Dozent für Konfirmandenarbeit am Religionspädagogischen Institut Loccum tätig ist, tritt seinen Dienst den Informationen zufolge im Juni 2022 an. Zu seinen Aufgaben gehört der Aufbau eines regionalen Netzwerkes, die Sicherstellung von Informationsflüssen sowie Planung und Umsetzung landeskirchlicher Projekte während des Kirchentages.

Zum vierten Mal in der Gründungsstadt

Der Deutsche Evangelische Kirchentag ist ein zentrales Ereignis der evangelischen Kirche. Er wurde 1949 als christliche Laienbewegung gegründet und wird alle zwei Jahre in einer anderen deutschen Großstadt ausgerichtet. Das nächste bundesweite Protestantentreffen findet vom 7. bis 11. Juni 2023 in Nürnberg statt.

2025 kehrt der Kirchentag dann mit rund 2.000 kulturellen, spirituellen und gesellschaftspolitischen Einzelveranstaltungen zum insgesamt vierten Mal in seine Gründungsstadt Hannover zurück.



Irmgard Schwaetzer neue Stiftsfrau in Heiligengrabe




Irmgard Schwaetzer
epd-bild/Jens Schulze

Heiligengrabe (epd). Die frühere Bundesministerin Irmgard Schwaetzer ist seit dem 13. März Stiftsfrau des Klosters Heiligengrabe im nördlichen Brandenburg. In einem Gottesdienst wurde die 79-Jährige eingeführt. Schwaetzer war von 1991 bis 1994 Bauministerin im Kabinett von Kanzler Helmut Kohl (CDU). Seit vielen Jahren engagiert sie sich in der evangelischen Kirche. Bis zum vergangenen Jahr war Schwaetzer Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).

Das frühere Zisterzienserinnenkloster Heiligengrabe bei Wittstock (Landkreis Ostprignitz-Ruppin) wurde 1287 gegründet und gilt als eines der besterhaltenen Klöster in Brandenburg. 1549 nahmen die Nonnen im Zuge der Reformation die evangelische Kirchenordnung an. 1740 wurde das Kloster von König Friedrich II. zum Damenstift umgewidmet. 1998 wurde das Klosterensemble als Denkmal von nationaler Bedeutung anerkannt.

Heute gibt es im Kloster wieder ein Frauenkonvent, zu dem nun auch Irmgard Schwaetzer gehört. Die Frauen leben und arbeiten zusammen. Das gemeinsame Leben des Glaubens nimmt dabei eine zentrale Rolle ein.




Gesellschaft

UN: Mindestens 1.700 getötete und verletzte Zivilisten in Ukraine




Straßenszene in Charkiw in der Ostukraine am 8. März.
epd-bild/Nikita Zhadan
Die tatsächlichen Zahlen könnten wesentlicher höher sein, sagt das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte.

Genf (epd). Seit Beginn der russischen Invasion sind in der Ukraine laut den UN mindestens 596 Zivilisten getötet worden. 43 Todesopfer seien Kinder, teilte das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte am 13. März in Genf mit. 1.067 Zivilisten haben demnach in dem am 24. Februar begonnenen Krieg Verletzungen erlitten, darunter 57 Mädchen und Jungen.

Die tatsächlichen Opferzahlen könnten allerdings wesentlich höher sein. Die Zählung deckt den Zeitraum bis zum 12. März um Mitternacht ab.

Laut dem Hilfswerk UNHCR sind seit Beginn der Feindseligkeiten rund 2,7 Millionen Menschen aus der Ukraine ins Ausland geflüchtet. Fast 1,7 Millionen von ihnen seien in Polen angekommen.



Flüchtende Frauen aus der Ukraine: Warnungen vor Menschenhandel




Flüchtlinge im Grenzgebiet Polen-Ukraine
epd-bild/Frank Schultze / Zeitenspiegel
Unter den Flüchtenden aus der Ukraine sind vorwiegend Frauen und Kinder. Die Sorge davor, dass Kriminelle die Not der Schutzsuchenden ausnutzen könnten, wächst.

Frankfurt a.M./München (epd). Angesichts der großen Zahl schutzsuchender Frauen aus der Ukraine werden Warnungen vor Ausbeutung und Zwangsprostitution laut. Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) zeigte sich besorgt, dass die Not geflüchteter Frauen ausgenutzt werden könnte. Es müsse genau geschaut werden, dass nicht jemand privat eine Unterkunft zur Verfügung stellt, um auf diese Weise eine Frau unter seine Gewalt zu bringen, sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Autorin und Aktivistin Huschke Mau sieht eine Gefahr für geflüchtete Frauen, von Zuhältern an der Grenze für die Prostitution angeworben zu werden.

Hermann mahnte zu Wachsamkeit. Die Polizei sei für das Thema sensibilisiert. Aktuell seien ihm in Bayern aber noch keine Fälle bekannt. Zugleich warnte Herrmann davor, ehrenamtliche Helfer unter Generalverdacht zu stellen. Dafür gebe es keinen Anlass. Der Großteil wolle den Geflüchteten einfach nur helfen.

Mau erklärte, es gebe viele junge Rumäninnen und Bulgarinnen in den deutschen Bordellen. Auch Ukrainerinnen würden bald dort sein. Deutschland sei das Zielland für den Menschenhandel, sagte sie dem epd. „Wir dürfen nicht länger das Land sein, das dafür bekannt ist, die Notlage von Frauen auszunutzen. Das muss uns endlich peinlich werden“, forderte die Autorin des jüngst erschienenen Buchs „Entmenschlicht. Warum wir Prostitution abschaffen müssen“.

Registrierung auch bei Privatunterkunft gefordert

Auch die Fachberatungsstelle „Jadwiga“, die Opfern von Menschenhandel und Zwangsprostitution hilft, zeigte sich angesichts der aktuellen Situation besorgt. Anders als 2015 kämen derzeit vorwiegend Frauen mit Kindern in Deutschland an. Um sie vor einer möglichen Ausbeutung zu warnen, werde man in den nächsten Tagen an Bahnhöfen, in Beratungsstellen und in Unterkünften einen Flyer auf Ukrainisch, Englisch und Deutsch verbreiten, sagte Jadwiga-Leiterin Monika Cissek-Evans dem epd: „Die Frauen müssen auf ihren Pass und ihr Telefon aufpassen, Namen und Adresse von Gastgebern notieren und auch Frauen nicht blind vertrauen - Menschenhändler sind nicht nur Männer.“

Cissek-Evans forderte auch, dass zum Schutz der Frauen bei der Vermittlung von Privatunterkünften eine Registrierung von Gastgeber und Gast erfolgen müsse. In staatlichen Unterkünften müsse alleinreisenden Frauen ebenfalls mehr Schutz geboten werden, beispielsweise durch separate Räume.



Terre des hommes: Kinder aus der Ukraine brauchen psychosoziale Hilfe



Osnabrück (epd). Das Kinderhilfswerk terre des hommes hat auf den großen Bedarf an psychosozialer Betreuung für Kinder und Jugendliche hingewiesen, die aus der Ukraine flüchten. „Viele geflüchtete Kinder und Jugendlichen haben im Krieg durch Bombardierungen, Nächte im Schutzkeller oder das Miterleben von Gefechten belastende, traumatisierende Situationen erlebt“, sagte Projektkoordinator Thomas Berthold dem Evangelischen Pressedienst (epd). All diese Erlebnisse könnten viele nicht alleine verarbeiten.

Terre des hommes sei deshalb mit mehreren Organisationen im Gespräch, um entsprechende Angebote in den ukrainischen Nachbarstaaten, aber auch in Deutschland aufzubauen und weiterzuentwickeln. Das Hilfswerk unterstützt Berthold zufolge etwa polnische Partnerorganisationen, damit diese psychosoziale Begleitung etwa in Schulen anbieten könnten. Dabei gehe es nicht in erster Linie um psychotherapeutische Angebote, sondern darum, den Kindern eine Tagesstruktur zu geben. Der polnische Staat sorge dafür, dass sie zur Schule gehen können. Die Hilfsorganisationen machten ihnen Angebote zur Freizeitgestaltung, aber auch für Gruppengespräche.

Jugendliche über WhatsApp erreichen

In Deutschland will das Hilfswerk den Angaben zufolge vor allem die bereits bestehenden psychosozialen Angebote unterstützen. Diese sollten in die Lage versetzt werden, vermehrt auch psychotherapeutische Hilfe für Kinder und Jugendliche anbieten zu können.

Terre des hommes arbeitet nach Angaben von Berthold zudem mit einer neuen deutschen Hilfsorganisation zusammen, die einen Krisen-Chat anbiete. Jugendliche könnten sich mit geschulten Fachleuten per WhatsApp oder SMS über ihre Sorgen und Nöte austauschen. Dieses Angebot sei in der Corona-Pandemie für deutsche Jugendliche entwickelt worden, sei ab sofort aber auch in ukrainischer und russischer Sprache verfügbar.

Darüber hinaus müssten die Geflüchteten langfristig die Möglichkeit erhalten, mit Fachleuten über ihre Aufenthaltsperspektiven in Deutschland zu sprechen. Aufklärung und Beratung seien vor allem auch für Nicht-Ukrainer notwendig, die aus dem ukrainischen Staatsgebiet geflüchtet seien. Dazu zählten die zahlreichen Studierenden, die nicht wüssten, ob sie in Westeuropa ihr Studium fortsetzen könnten.

epd-Gespräch: Martina Schwager


Aus der Ukraine nach Neuwerk




Gemeinsames Grillen hinterm Deich
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16 Insulaner, acht Flüchtlinge - auf Neuwerk hat der Hotelier Steffan Griebel seine Gästezimmer für die Netrebjaks aus dem Westen der Ukraine geöffnet. Sie hatten sich zur Flucht entschieden, als sie aus ihrer Wohnung die Bomben fallen sahen.

Neuwerk (epd). Diese friedliche Ruhe ist ihnen sofort aufgefallen. Die angenehme Atmosphäre direkt hinter dem Deich war das Erste, was die Familie Netrebjak registriert hat. Während bei ihnen zuhause in der Ukraine der Krieg tobt, kreischen hier die Möwen, und der Wind weht - auf der kleinen Insel Neuwerk vor der Elbmündung.

Dass die achtköpfige Familie bei ihrer Flucht auf dem Mini-Eiland vor Cuxhaven gelandet ist, haben sie Familie Griebel zu verdanken. Steffan Griebel sah im Fernsehen einen Bericht über eine Bremerin, die aus der Ukraine stammt und sich nun für ehemalige Kommilitonen einsetzt. Griebel nahm Kontakt mit ihr auf - und kurze Zeit später kam die Anfrage für Familie Netrebjak. „Wir mussten nicht lange überlegen“, sagt Griebel. Er betreibt auf Neuwerk ein Hotel, das nicht zuletzt wegen Corona noch nicht in die Saison gestartet ist. So stellen die Griebels den Netrebjaks nun ihre Gästezimmer zur Verfügung.

Flucht mit sechs Kindern

Davor lag ein weiter Weg: Als am 24. Februar der Krieg ausbrach, blieben die Netrebjaks zunächst in ihrer Heimatstadt Iwano-Frankiwsk im Westen der Ukraine. Doch dann wurde der Flughafen bombardiert, von ihrer Wohnung hörte die Familie die Explosionen und sah Flammen aufsteigen. „Da haben wir uns entschieden zu gehen“, erzählt Mutter Swetlana Netrebjak. Nur ein paar Sachen packten sie schnell, dann brachen sie auf.

Mit den sechs Kindern im Alter von 7 bis 19 Jahren ging es im Zug zur Grenze. Auch Vater Ruslan schaffte es nach Polen, obwohl er mit seinen 41 Jahren die Ukraine eigentlich nicht verlassen darf. „Gott war auf unserer Seite“, sagt die Christin Swetlana. „Wegen unseres Glaubens würde niemand in unserer Familie eine Waffe anfassen.“

48 Stunden später kam die Familie in Cuxhaven an, wo Steffan Griebel sie empfing - und zwar mit einem Traktor. Denn die Fähre nach Neuwerk fährt erst ab April. Per Trecker mit überdachtem Anhänger ging es durchs Watt auf die Insel. Ausgerechnet an diesem Tag war es neblig, und als sie auf dem Festland losfuhren, war Neuwerk nicht in Sicht. Das müsse schon ein komisches Gefühl für die Familie gewesen sein, erinnert Griebel sich.

So leben momentan auf Neuwerk 16 Einheimische und acht Flüchtlinge. Tagsüber machen die Neu-Insulaner Spaziergänge und verfolgen die Nachrichten aus der Heimat, denn sie haben noch Verwandte in der Ukraine. Nur auf einen Gottesdienst müssen die gläubigen Netrebjaks verzichten. Auf Neuwerk gibt es keine Kirche, lediglich zweimal im Jahr kommt ein Pastor vom Festland für einen Gottesdienst auf die Insel.

Übersetzungs-App wichtig

Dreimal am Tag essen die beiden Familien zusammen, neulich haben sie bei Sonnenschein direkt hinterm Deich gegrillt. „Beim Essen lernen wir uns immer besser kennen“, sagt Steffan Griebel. Dabei ist die Verständigung nicht immer leicht. Die Netrebjaks sprechen kein Deutsch und nur etwas Englisch. Doch Steffan Griebels Frau Alina kommt aus Polen, und Polnisch und Ukrainisch sind verwandte Sprachen. Und wenn nichts mehr geht, hilft das Handy mit der Übersetzungs-App.

Auch eine Kleiderspende haben die Griebels inzwischen organisiert. „Eine solche Fürsorge habe ich sonst nur von meiner Mutter bekommen“, lobt Swetlana ihre deutschen Gastgeber. Und Steffan Griebel betont, dass es einfach ein „schönes Gefühl“ sei, helfen zu können und Menschen in entscheidenden Phasen ihres Lebens beizustehen.

Dennoch plant Familie Netrebjak, Neuwerk bald wieder zu verlassen. Die jüngeren Kinder können auf der Insel nicht zur Schule gehen, die älteste Tochter Victoria (19) will ihr Mode-Studium fortsetzen, Sohn Denis (17) seine Ausbildung als Zahntechniker. Auch die Eltern wollen wieder arbeiten. Mutter Swetlana ist Kinderärztin, Vater Ruslan arbeitet als Handwerker. Doch eines ist bereits klar: Die Griebels wollen den Netrebjaks weiter helfen, auch wenn sie nicht mehr auf Neuwerk wohnen.

Von Timo Teggatz (epd)


Mehr als 100.000 Menschen bei Demos gegen Ukraine-Krieg



Über 100.000 Menschen sind in fünf deutschen Städten für Frieden in der Ukraine auf die Straße gegangen. Sie forderten den sofortigen Stopp des russischen Angriffs und Friedensverhandlungen. Auch gegen Aufrüstung und für Klimaschutz gab es Appelle.

Berlin, Frankfurt a.M. (epd). Etwa 125.000 Menschen haben am 13. März in fünf deutschen Städten gegen den Krieg in der Ukraine demonstriert. Unter dem Motto „Stoppt den Krieg“ gingen laut den Veranstaltern in Berlin 60.00 Menschen auf die Straße. In Stuttgart seien es 35.000 Teilnehmende gewesen, in Frankfurt 12.000, in Hamburg 10.000 und in Leipzig 8.000, teilten die Organisatoren mit. Zu den Demonstrationen hatte ein Bündnis von mehr als 50 Friedens-, Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen sowie Gewerkschaften und Kirchen aufgerufen.

Die Teilnehmenden forderten ein Ende des russischen Angriffs auf die Ukraine. Ziel müssten Friedensverhandlungen sein, die in einem atomwaffenfreien Europa, gemeinsamer Sicherheit, in Frieden und Abrüstung unter Einschluss von Ukraine und Russland mündeten, hieß es in einem gemeinsamen Aufruf der Initiativen. Kritisch äußerten sie sich auch zur Erhöhung der Verteidigungsausgaben.

In Berlin zogen die Menschen den Veranstaltern zufolge vom Alexanderplatz zum Großen Stern. In Leipzig hätten sich zeitgleich die 8.000 Demonstranten und Demonstrantinnen auf dem zentralen Augustusplatz versammelt.

Schweigeminute und Nationalhymne

In Stuttgart sangen die Menschen im Oberen Schlossgarten gemeinsam das Lied „Imagine“ von John Lennon. Sylvia Pilarsky-Grosch, Landesvorsitzende des BUND in Baden-Württemberg, wies darauf hin, dass der Import großer Mengen an fossiler und nuklearer Energie auch weltweite Umwelt-Zerstörung, Ausbeutung, Terror und Krieg finanziere.

In Frankfurt am Main zollte Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD) den Menschen in der Ukraine und Demonstranten in Russland Respekt. Auf den Opernplatz kamen viele junge Menschen und Familien. Sie trugen Fahnen der Ukraine, der Europäischen Union und Banner mit dem „Peace“-Zeichen.

In Hamburg wurde die Kundgebung auf dem Jungfernstieg mit der ukrainischen Nationalhymne und einer Schweigeminute eröffnet. Hamburgs Diakonie-Pastor Dirk Ahrens sagte, „Flüchtlinge aufzunehmen ist jetzt unsere erste Aufgabe“. Die Demonstration zeige, „die Gesellschaft ist nicht gespalten, sie ist bemerkenswert einig.“

An dem Bündnis, das zu den fünf Demonstrationen aufgerufen hatte, beteiligten sich unter anderem die evangelische und katholische Kirche, der BUND, Greenpeace, das Bündnis Seebrücke, das evangelische Hilfswerk „Brot für die Welt“, Attac, Pro Asyl, Fridays for Future, Pax Christi, der Deutsche Gewerkschaftsbund DGB sowie Ärztinnen und Ärzte gegen den Atomkrieg (IPPNW).



Ethiker Dabrock: Deutschland besser gewappnet als 2015




Peter Dabrock
epd-bild/Peter Roggenthin

Berlin (epd). Die deutsche Gesellschaft wird die Aufnahme von Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine nach Überzeugung des Sozialethikers Peter Dabrock besser bewältigen als die Fluchtbewegung 2015. „Wir sind besser gewappnet, weil wir diese Erfahrung gemacht haben“, sagte der Erlanger Theologieprofessor dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die damalige Grundbotschaft, dass man bereit sei, Menschen in Notsituationen zu helfen, habe Früchte getragen.

„Die Willkommenskultur ist nicht komplett gescheitert, wie manche behaupten“, sagte der frühere Vorsitzende des Deutschen Ethikrats. Zunehmend verfestige sich in der Gesellschaft die Ansicht, dass eine plurale, multi-ethnische und multi-religiöse Gesellschaft etwas Gutes sei.

„Solidarität wird Grenzen haben“

Zugleich habe die Gesellschaft durch die große Fluchtbewegung aus Syrien auch gelernt, dass Solidarität nicht unendlich sei. „Sie wird auch diesmal ihre Grenzen haben“, sagte er. Dies könne dabei helfen, in der Krise gut und nachhaltig zu agieren. „Das Potenzial dazu haben wir“, sagte Dabrock.

Ohne den Willen der Zivilgesellschaft, den Flüchtlingen zu helfen, sei die Herausforderung nicht zu bewältigen, sagte Dabrock: „Solidarität kann man nicht von oben verordnen, aber man kann sie im demokratischen Gemeinwesen durch gemeinsam debattierte und beschlossene Anreize stärken.“

epd-Gespräch: Corinna Buschow


Konfliktforscher prophezeit "kalten Frieden" für Europa




Andreas Zick
epd-bild/Universität Bielefeld

Osnabrück (epd). Der Bielefelder Konfliktforscher Andreas Zick rechnet nach dem Ende des Ukraine-Russland-Krieges nur noch mit einem „kalten Frieden“ in Europa - analog zur Zeit des Kalten Krieges. Europa werde dann in einem Zustand mit ständigen Kontrollen und einem großen Maß an Misstrauen leben müssen, sagte der Direktor des Instituts für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (9. März).

„Das ist ein Rückfall in Zeiten des Kalten Krieges. Vielleicht war das vorher ja auch ein trügerischer Frieden, weil der Westen die Besetzung der Krim viel zu harmlos interpretiert hat.“ Auch die Drohung mit Atomwaffen sei wieder aktuell. Dazu komme die Besetzung von Atomkraftwerken als Waffe, sagte der Professor. Russlands Präsident Wladimir Putin führe außerdem einen Informationskrieg und betreibe eine Geopolitik, die eng mit Geschichtspolitik verwoben sei: „Das ist eine moderne Kriegsführung, daran werden wir uns gewöhnen müssen.“

Der Konfliktforscher plädierte für eine einheitliche europäische Friedensmission, die über die notwendigen Sanktionen hinausdenke: „Wir brauchen neue Formen, eine neue Agenda, die Stärkung der Demokratie und neue Kontrollgremien.“ Eine solche Friedensmission müsse einen umfassenden Friedensplan erstellen, der an der Stärkung der Zivilgesellschaft orientiert sei.



UN-Ermittler: Zivilisten in Syrien Opfer eskalierender Gewalt



Genf (epd). Die militärische Gewalt gegen Zivilisten in Syrien ist laut einem Bericht der Vereinten Nationen im Norden des Landes eskaliert. Viele Menschen im Nordwesten, Norden und Nordosten des Landes seien Opfer von Bombardierungen geworden, warnte der Vorsitzende der UN-Untersuchungskommission zu Syrien, Paulo Pinheiro, am 9. März in Genf.

In Idlib und im westlichen Aleppo hätten Einheiten, die der Assad-Regierung nahestehen, Wohngebiete beschossen. Bei einer Hochzeit seien die Braut und deren vier Schwestern getötet worden. Kinder seien auf dem Weg zur Schule unter Beschuss geraten. Zudem seien Zivilisten mit Präzisionswaffen und aus der Luft angegriffen worden.

Zur Zeit der Attacken seien Flugzeuge der russischen Luftwaffe in den Gebieten gesichtet worden, heißt es in einem neuen Bericht der Untersuchungskommission für den UN-Menschenrechtsrat. Russland kämpft seit 2015 an der Seite des Regimes des Präsidenten Baschar al-Assad. Der Ermittlungsbericht deckt den Zeitraum von Anfang Juli bis Ende Dezember 2021 ab. Rebellengruppen und Terrormilizen halten vor allem noch Gebiete im Norden Syriens.

Berichte über gezielte Tötungen

Aus anderen Teilen Syriens erhielt die Kommission Berichte über willkürliche Verhaftungen, Folter und gezielte Tötungen. Seit Beginn des Konflikts 2011 seien Zehntausende Menschen verhaftet oder verschleppt worden. Das Assad-Regime lasse die Familien im Unklaren über das Schicksal ihrer Angehörigen.

Sieben Millionen Menschen seien vor der Gewalt aus Syrien geflüchtet. Weitere sieben Millionen irrten als Binnenflüchtlinge in dem arabischen Land umher. Syriens Volkswirtschaft befindet sich nach Erkenntnissen der Kommission im freien Fall, rund 90 Prozent der Menschen lebten unter der Armutsgrenze. Der Konflikt begann vor gut elf Jahren mit Protesten gegen Assad. Rebellen und Terrorgruppen eroberten weite Gebiete. Assad gewann mit russischer und iranischer Hilfe die meisten verlorenen Regionen zurück.



Forscher entdecken elf Millionen Jahre alte "Allgäugans"



Tübingen (epd). Eine neue Gattung prähistorischer Gänsevögel haben Forscher der Universität Tübingen und des Naturmuseums Frankfurt entdeckt. Das Tier namens Allgoviachen tortonica („Allgäugans“) lebte vor rund elf Millionen Jahren in Süddeutschland, teilte die Uni Tübingen am 9. März mit. Gefunden wurden die Knochen in der Tongrube Hammerschmiede in Pforzen (Kreis Ostallgäu).

Die Gänsevögel hatten etwa die Größe heutiger Nilgänse und wogen rund zwei Kilogramm, hieß es. Sie lebten offenbar auf dem Boden, aber auch auf Bäumen. Professorin Madelaine Böhme von der Universität Tübingen wies darauf hin, dass vollständige Funde wie etwa ein komplett erhaltenes Bein weltweit sehr selten seien. Eine Studie zu dem neuen Fund wurde im Fachmagazin „Historical Biology“ veröffentlicht.

Forscherin Böhme wies darauf hin, dass die jüngsten Funde die weltweite Bedeutung der Tongrube Hammerschmiede für die Erforschung der Tierwelt in der Zeit vor elf bis zwölf Millionen Jahren unterstrichen. Man habe dort bislang 140 verschiedene Wirbeltierarten entdeckt, darunter auch den ersten aufrecht gehenden Menschenaffen.



Kuchen und Mathematik




Zahlenspirale Pi im Mathematikum Gießen.
epd-bild/Rolf K. Wegst
Ob Pizza oder Äquator: Den Umfang von Kreisen berechnet man mit der Zahl Pi, gerundet 3,14. Jedes Jahr am 14. März wird die geheimnisvolle Zahl gefeiert - und mit ihr die Bedeutung und Schönheit der Mathematik.

Frankfurt a. M. (epd). Sie essen Kuchen und rezitieren Zahlenreihen in feierlichem Pathos: Am 14. März feiern Mathefans aus aller Welt den „Pi-Day“. Benannt ist er nach der Zahl Pi, die gerundet 3,14 ergibt und damit der amerikanischen Schreibweise des Datums 3/14 für den 14. 3. entspricht. Mit Pi kann man beispielsweise den Umfang eines Kreises berechnen (Durchmesser mal Pi). Auf Englisch klingt die Zahl laut ausgesprochen wie das Wort „pie“ - ein kreisrunder Kuchen.

Die Idee zu dem inoffiziellen Feiertag hatte der US-Physiker Larry Shaw (1939-2017) vom Wissenschaftsmuseum „Exploratorium“ in San Francisco. Um die Liebe zur Mathematik zu fördern, rief er 1988 den Pi-Tag ins Leben. Seitdem wird der Jahrestag in dem Museum mit einer kreisförmigen Parade und jeder Menge Kuchen begangen.

62,8 Billionen Stellen nach dem Komma schon berechnet

Kopfzerbrechen bereitet die besondere Zahl aber nicht nur Schülerinnen und Schülern. Denn sie hat unendlich viele Stellen nach dem Komma. Mathematikerinnen und Mathematiker sind bis heute am Knobeln, um weitere Nachkommastellen der irrationalen Zahl zu finden - bislang sind 62,8 Billionen bekannt.

„Die Zahl Pi ist so attraktiv und geheimnisvoll, dass sich viele Leute dafür interessieren“, sagt der Direktor des Gießener Mathematikums, Albrecht Beutelspacher. Es sei zum einen die Unendlichkeit der Zahl, die viele Menschen fasziniere. Und außerdem könne man mithilfe von Pi ganz einfach Umfang oder Durchmesser eines Kreises berechnen - und der Kreis sei schließlich „die schönste mathematische Figur“.

Schon in der Bibel war die ungefähre Zahl offenbar bekannt, zumindest lassen die Angaben zu den Maßen eines kreisrunden Beckens darauf schließen: „Und er machte das Meer, gegossen, von einem Rand zum andern zehn Ellen weit, ganz rund und fünf Ellen hoch, und eine Schnur von dreißig Ellen war das Maß ringsherum“, steht im Buch der Könige (1.Könige 7,23).

Auch Geburtstag Einsteins

Bereits in der Antike sei versucht worden, die Zahl genau zu berechnen, erklärt Beutelspacher. Eine Annäherung gelang Archimedes im dritten Jahrhundert vor Christus. Er bildete regelmäßige Vielecke innerhalb und außerhalb eines Kreises und erkannte, dass der Umfang zwischen beiden Zahlen liegen musste.

Seit dem Jahr 2020 gilt der 14. März nicht nur als Pi-Tag, sondern auch ganz offiziell als Internationaler Tag der Mathematik, ausgerufen von der Unesco. An diesem Tag soll die Schönheit und Bedeutung der Mathematik gefeiert werden. Angeregt hatte dies die Internationale Mathematische Union mit Sitz in Berlin. Keine Rolle dürfte dabei gespielt haben, dass der 14. März der Geburtstag Albert Einsteins (1879-1955) ist und auch der Todestag von Stephen Hawking (1941-2018).

In Berlin ist auch der Sitz der gemeinnützigen Organisation „Imaginary“, die die weltweiten Veranstaltungen rund um den Internationalen Tag der Mathematik koordiniert. In diesem Jahr lautet das Motto „Mathematik verbindet“. Mathematik sei eine Sprache, die alle sprechen könnten, sagt der Geschäftsführer von Imaginary, Andreas Matt. Der Tag solle eine Brücke zwischen Bevölkerung und Wissenschaft bilden.

Es gehe darum, gemeinsam Neues zu entdecken und zu erforschen und dieses Wissen dann mit anderen zu teilen. Egal ob in Osttimor oder Kolumbien, mittlerweile wird der Tag rund um den Globus in mehr als 110 Ländern begangen, etwa mit Experimenten, Vorträgen und Mitmach-Aktionen in den sozialen Medien. Erstmals sei auch eine komplett arabischsprachige Vortragsreihe geplant, neben Englisch, Französisch, Portugiesisch und Spanisch.

Auch in San Francisco wird der Pi-Day diesmal natürlich wieder begangen: Mit Kuchen und Vorträgen wird der Tag zum 35. Mal im Exploratorium gefeiert. Nicht fehlen darf die traditionelle Prozession. Sie soll, natürlich im Kreis herum, am 14. März pünktlich um 1.59 Uhr beginnen. Denn 159 lauten die nächsten drei Ziffern der Zahl Pi: 3,14159.

Von Christine Süß-Demuth (epd)



Soziales

Kabinett beschließt Abschaffung des Werbeverbots für Abtreibungen



Ärzte und Ärztinnen sollen nicht länger dafür verfolgt und verurteilt werden können, dass sie im Internet über Abtreibungen und die zum Einsatz kommenden Methoden informieren. Das Kabinett beschließt die Abschaffung des Paragrafen 219a.

Berlin (epd). Das Bundeskabinett hat am 9. März in Berlin die Abschaffung des Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche auf den Weg gebracht. Der Gesetzentwurf von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) sieht vor, den Paragrafen 219a im Strafgesetzbuch aufzuheben. Damit soll erreicht werden, dass ungewollt schwangere Frauen sich besser über eine Abtreibung informieren können. Ärztinnen und Ärzte können dann künftig auf den Internetseiten ihrer Praxen über Schwangerschaftsabbrüche aufklären. Bislang müssen Mediziner mit Ermittlungen und Verurteilungen rechnen.

Buschmann erklärte, es sei ein unhaltbarer Zustand, dass ausgerechnet Ärzte und Ärztinnen, die selbst Schwangerschaftsabbrüche machen und am besten darüber informieren könnten, nach derzeitiger Rechtslage mit Strafverfolgung rechnen müssten. Frauen wiederum sollten sich nicht nur direkt bei ihrem Arzt, sondern auch im Internet bestmöglich informieren können. Das sei ein wichtiger Schritt zur Selbstbestimmung, sagte Buschmann.

Der Paragraf 219a im Strafgesetzbuch verbietet die Werbung für Schwangerschaftsabbrüche aus wirtschaftlichen Interessen und in „grob anstößiger Weise“. Das führte in der Vergangenheit zu Verurteilungen von Ärztinnen und Ärzten, die aus ihrer Sicht sachlich auf der Internetseite ihrer Praxis darüber informiert hatten, dass sie Abtreibungen durchführen und welche Methoden sie anwenden. Die bekannteste ist die Gießener Ärztin Kristina Hänel. Sie war zu einer Geldstrafe verurteilt worden und dagegen bis vor das Bundesverfassungsgericht gezogen.

Urteile sollen aufgehoben werden

Der nun vorliegende Gesetzentwurf sieht vor, dass alle Ärztinnen und Ärzte rehabilitiert werden, die nach dem 3. Oktober 1990 im wiedervereinigten Deutschland nach dem Paragrafen 219a verurteilt wurden. Die Urteile sollen aufgehoben und Verfahren eingestellt werden.

Die Union bezeichnete die Abschaffung des Paragrafen als falsch. Das Werbeverbot sei ein wichtiger Teil des Kompromisses zwischen dem Schutz des ungeborenen Lebens und der freien Entscheidung der Frau, erklärte die Vorsitzende der Gruppe der Frauen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Mechthild Heil (CDU), die auch Vorsitzende der Katholischen Frauengemeinschaft ist. Für die AfD erklärte Beatrix von Storch, die Streichung des Paragrafen 219a öffne die Tür zur Abschaffung des Paragrafen 218. Bislang legt Paragraf 218 fest, dass Abtreibungen im Grundsatz verboten, unter gewissen Voraussetzungen aber möglich sind.

Die Vorsitzende der Linkspartei, Susanne Hennig-Wellsow begrüßte die Streichung des Werbeverbots als überfällig und verlangte von der Ampel-Koalition, auch die Streichung des Abtreibungsverbots anzugehen. Die Grünen erklärten, an der Abschaffung des Paragrafen 219a zeige sich, dass die Ampel-Koalition frauenpolitisch einen Unterschied mache zur Vorgängerregierung.

SPD, Grüne und FDP hatten die Streichung des Paragrafen 219a vereinbart. Buschmann hatte den Gesetzentwurf im Januar vorgelegt. In der vergangenen Legislaturperiode hatte die SPD mit dem damaligen Koalitionspartner Union einen Kompromiss geschlossen, wonach das Werbeverbot gelockert, aber nicht abgeschafft wurde. Der Bundestag muss nun über den Gesetzentwurf beraten und die Abschaffung des Werbeverbots beschließen, damit sie wirksam werden kann.



Koalition will Ärzte mehr gegen Hass von Abtreibungsgegnern schützen



Ärztepräsident Reinhardt fordert mehr Schutz für Ärztinnen und Ärzte vor aggressiven Abtreibungsgegnern und stößt damit bei der Ampel auf offene Ohren.

Berlin (epd). Die Ampel-Koalition will den Schutz von Ärzten und Ärztinnen gegen Anfeindungen durch Abtreibungsgegner verbessern. Die Familien- und Frauenpolitikerin Ulle Schauws (Grüne) sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), man müsse zu einem bundeseinheitlichen Vorgehen gegen Hass und Hetze kommen und die Versorgungssicherheit für die betroffenen Frauen erhöhen. Sie reagierte damit auf eine Forderung des Präsidenten der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt. Dieser hatte im „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ (10. März) gesetzliche Maßnahmen zum Schutz von Ärztinnen und Ärzten vor aggressiven Abtreibungsgegnern gefordert.

Schauws sagte, es sei nachvollziehbar, dass die Ärzteschaft mehr Schutz einfordere. Nicht nur Ärztinnen und Ärzte, auch Mitarbeiterinnen in den Familien-Beratungsstellen der Wohlfahrtsverbände würden schon seit Jahren belästigt und angefeindet. Die Koalition habe sich deshalb darauf verständigt, gegen die Mahnwachen und Gehsteigbelästigungen vor Praxen und Beratungsstellen vorzugehen. Man müsse zu bundeseinheitlichen Regelungen kommen, sagte die Grünen-Politikerin. Die Betroffenen dürften von der Politik und Gesellschaft nicht alleingelassen werden: „Das ist Hass und Hetze gegen Ärztinnen und Ärzte, die ihrer Versorgungspflicht nachkommen.“

Schauws sagte weiter, „wir dürfen nicht dabei stehenbleiben, den Paragrafen 219a abzuschaffen. Die Realität für Frauen und Ärzte ist, dass es Anfeindungen und Belästigungen gibt und dass die Versorgungssicherheit nicht gewährleistet ist.“

„Klima der Bedrohung“

Ärztepräsident Reinhardt hatte erklärt, Gewalt und Drohungen gegen Mediziner, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, nähmen zu. Das Spektrum reiche von anonymen Beschimpfungen und Hass-Postings in den Sozialen Netzwerken bis zu selbsternannten Lebensschützern, die vor den Praxen auftauchten. Es entstehe für die Frauen und Ärzte ein „Klima der Bedrohung, das wir nicht einfach hinnehmen können - gerade bei einem hochsensiblen Thema wie dem Schwangerschaftsabbruch“, sagte der Ärztepräsident.

Anlass für die Äußerung des Ärztepräsidenten ist die geplante Abschaffung des Werbeverbots für Abtreibungen im Strafgesetzbuch. Das Bundeskabinett hat am Mittwoch einen Gesetzentwurf von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) auf den Weg gebracht, der die Streichung des umstrittenen Paragrafen 219a vorsieht, wie es SPD, Grüne und FDP im Koalitionsvertrag vereinbart hatten. Der Paragraf 219a führte bisher dazu, dass Ärztinnen und Ärzte von Abtreibungsgegnern angezeigt werden und verurteilt wurden, weil sie auf ihren Internetseiten darüber informiert haben, dass sie Abtreibungen vornehmen.



Reform des katholischen Arbeitsrechts noch in diesem Jahr möglich



Vierzehnheiligen (epd). Die katholischen Bischöfe in Deutschland wollen das kirchliche Arbeitsrecht bis Juni reformieren. Eine erste Lesung einer neuen Grundordnung solle im Juni bei der Sitzung aller 27 Diözesanbischöfe in Deutschland stattfinden, teilte der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, am 10. März im oberfränkischen Vierzehnheiligen mit. Hintergrund ist die Kampagne von queeren kirchlichen Mitarbeitern, die sich im Januar öffentlich geoutet hatten und ein Ende der Diskriminierung durch ihren Arbeitgeber forderten.

Wie Bätzing mitteilte, übergab die Initiative „#OutInChurch“ eine Petition mit gut 180.000 Unterschriften an die Bischöfe. Bei der Aktion „#OutInChurch“ hatten sich Ende Januar mehr als 100 Mitarbeitende aus verschiedenen Bereichen der katholischen Kirche in Deutschland in einer bundesweiten Kampagne als nicht heterosexuell geoutet. Damit wollten sie einen neuen Anstoß für eine Diskussion über den Umgang der Kirche mit queeren Menschen geben, insbesondere, wenn sie für kirchliche Einrichtungen arbeiten.

Inzwischen haben eine Reihe von Bischöfen erklärt, die Grundordnung des kirchlichen Dienstes in ihren Bistümern im Hinblick auf die Loyalitätspflichten kirchlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur persönlichen Lebensführung nicht länger anzuwenden. Weder eine öffentlich gemachte homosexuelle Orientierung noch eine eingetragene Partnerschaft oder zivilrechtlich geschlossene Ehe zwischen Menschen gleichen Geschlechts soll demnach eine Kündigung nach sich ziehen.

Spätestens im September

Bätzing sagte, er stehe entschlossen dafür, dass die Grundordnung geändert werde. Er könne aber nicht versprechen, dass dies tatsächlich im Juni geschehe. Sollte eine zweite Lesung nötig sein, werde diese auf der Herbstvollversammlung der katholischen Bischöfe in Fulda im September passieren. Die neue Grundordnung solle den Fokus nicht auf die persönliche Lebensführung der Mitarbeiter legen, sondern sich an der Institution Kirche orientieren. Sie solle das Profil der katholischen Kirche deutlich machen und damit die Mitarbeiter bitten und auch befähigen, diese Perspektive mitzutragen.

Der Limburger Bischof betonte, es gebe die ursprüngliche Trias nicht mehr von katholischen Einrichtungen mit katholischen Mitarbeitern und katholischer Klientel. 66 katholische Bischöfe hatten bis Donnerstag im oberfränkischen Vierzehnheiligen ihre turnusgemäße Frühjahrs-Vollversammlung abgehalten.



Corona-Impfpflicht: "Für die Sozialträger ist das sehr ungünstig"




Verpflichtende Corona-Impfung in der Pflege.
epd-bild/Friedrich Stark
Es sind nur noch wenige Tage, bis die Krankenhäuser und Pflegeheime den Behörden nachweisen müssen, dass ihre Angestellten gegen Corona geimpft sind. Unklar ist, ob ungeimpfte Beschäftigte nach dem 16. März weiter ihrer Arbeit nachgehen können.

Berlin (epd). Bei allem Verdruss über die spezielle Corona-Impfpflicht für die Sozial- und Gesundheitsbranche empfehlen die großen Wohlfahrtsverbände ihren Einrichtungen, der gesetzlichen Meldepflicht nachzukommen. Arbeitgeber, die den kommunalen Gesundheitsämtern nicht bis zum 15. März ihre ungeimpften Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter melden, riskieren nach dem Infektionsschutzgesetz eine empfindliche Geldstrafe. Ausgenommen von der Impfpflicht sind Beschäftigte, die einen aktuellen Genesenennachweis oder ein ärztliches Zeugnis über Kontraindikationen vorgelegt haben.

In der Sozialbranche wird eine hohe Impfquote gegen das Covid-19-Virus grundsätzlich befürwortet. Nach Angaben des Deutschen Caritasverbandes bemühen sich die meisten Einrichtungsleitungen daher, „weiter Überzeugungsarbeit zu leisten, um auf höhere Impfquoten in der Mitarbeiterschaft hinzuwirken“.

Diakonie: Einigkeit über Ziel einer hohen Impfquote

Diakoniepräsident Ulrich Lilie sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd): „In der Diakonie herrscht Einigkeit darüber, dass eine hohe Impfquote zur Überwindung der Corona-Pandemie erforderlich ist.“ Diesem Ziel diene auch die einrichtungsbezogene Impfpflicht, die die Diakonie als Zwischenschritt zu einer allgemeinen Impfpflicht unterstütze.

Die Caritas verweist darauf, dass die Meldung ungeimpfter Beschäftigter nicht bedeute, dass diesen sofort am 16. März verboten werde, ihren Job zu machen. „Die Beschäftigten können zunächst weiterarbeiten, bis die Gesundheitsämter ein Betretungsverbot verhängen“, sagte die Präsidentin des katholischen Wohlfahrtsverbandes, Eva Maria Welskop-Deffaa, dem epd.

Im Übrigen erwarteten viele Einrichtungen, dass die Gesundheitsämter bei einmal Geimpften kein Betretungs- und Beschäftigungsverbot aussprechen werden, auch wenn die zweite Impfung nicht rechtzeitig zum 16. März erfolgt ist. „Ich halte diese Hoffnung für verständlich und begründbar“, erklärte die Caritas-Präsidentin.

Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, sieht „erhebliche Probleme“ auf die Einrichtungen der Pflege und der Behindertenhilfe und auch auf die Krankenhäuser zukommen. Ihnen bleibe nichts anderes übrig, als abzuwarten, „ob und wenn ja, wann es ein Beschäftigungs- oder Zutrittsverbot für ungeimpfte Mitarbeitende geben wird. Für die Träger ist das alles sehr ungünstig, gerade angesichts der aktuellen ohnehin prekären Personallage“, betont er.

Probleme beim Erstellen der Dienstpläne

Diakoniepräsident Lilie fordert, dass bei der Umsetzung der Impfpflicht „die Versorgung von Patienten und Bewohnerinnen von Einrichtungen stets gewährleistet bleiben muss“. Deshalb erwarte die Diakonie, dass die Ämter die Einrichtungen anhören, bevor sie gegen deren Beschäftigte ein Tätigkeits- oder Betretungsverbot aussprechen.

Angesichts der vielen Unwägbarkeiten sei es „bis jetzt nicht einmal möglich, einen Dienstplan zu erstellen, der den potenziellen Ausfall von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern konkret berücksichtigen kann“, beklagt Schneider. „Noch gänzlich ungeklärt“ sei die Frage der Haftung, wenn ungeimpfte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter so lange weiter beschäftigt werden, bis es eine behördliche Anordnung für ein Betretungsverbot gibt. „Das ist keine Kleinigkeit“, warnt der Chef des Paritätischen Gesamtverbandes.

Schneider sieht insgesamt „keine guten Vorzeichen für eine reibungslose Umsetzung“. Er sagt voraus: „Viele der noch offenen Fragen werden am Ende wohl gerichtlich entschieden werden müssen.“

Von Markus Jantzer (epd)


Büdenbender hat einsames Sterben in der Pandemie "viel ausgemacht"




Elke Büdenbender
epd-bild/Christian Ditsch

Berlin (epd). Das einsame Sterben von Menschen in der Corona-Pandemie und zeitgleiche Todesfälle im nahen Umfeld haben Elke Büdenbender zur tieferen Beschäftigung mit dem Sterben gebracht. Sie sei sehr erschüttert gewesen über die hohen Todeszahlen in Alten- und Pflegeheimen im ersten Jahr der Pandemie, sagte die Richterin und Frau von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd).

„Dass die Menschen in den Pflegeheimen einsam gestorben sind, hat mir viel ausgemacht“, sagte Büdenbender, die gemeinsam mit dem Transplantationsmediziner Eckhard Nagel ein Buch über den Umgang mit dem Sterben verfasst hat, das am 10. März erschienen ist.

Das Buch bildet Gespräche des Mediziners und der Juristin über das Sterben ab. Darin reden sie unter anderem darüber, wie sich das Abschiednehmen heute von früheren Zeiten unterscheidet. Nagel sagte im epd-Gespräch, es habe sich generell in den vergangenen Jahrzehnten etwas verändert, was die Wahrnehmung des Sterbens betrifft: „Das Sterben wird aus dem Alltag verdrängt.“ Dies sei keine gute Entwicklung.

„Mehr darüber reden“

Beide appellieren dazu, offener über den Tod zu sprechen. „Es wäre schön, wenn in den Familien mehr darüber geredet wird“, sagte Büdenbender. „Mir fiel das auch nicht leicht, beispielsweise mit meinem Vater“, ergänzte sie: „Aber am Ende wussten wir, was er sich gewünscht hat.“ Büdenbenders Vater ist 2020 gestorben. Unter dem Eindruck des Todes eines guten Freundes hätten sie und ihr Mann inzwischen beispielsweise auch Patientenverfügungen gemacht.

Kontrovers reden Büdenbender und Nagel über die Suizidassistenz, um deren Regulierung der Bundestag weiter ringt. Nagel lehnte die Hilfe durch Ärzte bei der Selbsttötung ab. „Wir verstehen uns nicht auf das Töten“, sagte er. Der Transplantationsmediziner tut sich auch damit schwer, dass Vorschläge von Politikern Ärzten die Rolle zuweisen, den freien Willen einen Sterbewilligen zu begutachten, bevor er Suizidassistenz in Anspruch nimmt. „Eine solche Begutachtung steht im Widerspruch zum ärztlichen Behandlungsauftrag“, sagte Nagel. Bis zum letzten Atemzug sei er verpflichtet, das Leben zu schützen, Schmerzen und Ängste zu lindern, Mut zu machen und Hoffnung zu geben.

Büdenbender dagegen verteidigte die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, das geurteilt hat, dass das Recht auf selbstbestimmtes Sterben auch das Recht umfasst, sich selbst das Leben zu nehmen und dabei Hilfe Dritter in Anspruch zu nehmen. „Die Art und Weise, wie ich mein Leben beenden möchte, ist Teil meiner Selbstbestimmung“, sagte sie. Sie sehe es aber als Aufgabe für den Gesetzgeber zu verhindern, dass Menschen sich gedrängt fühlen, sich selbst zu töten - „weil sie meinen, sie fielen anderen zur Last, sie würden zu 'teuer', oder eine psychische Erkrankung haben“.

Die Frage, ob sie sich selbst vorstellen kann, auf diese Weise aus dem Leben zu scheiden, ließ Büdenbender offen: „Das kann ich so abstrakt nicht sagen. Ich würde mir aber wünschen, nicht vor diese Entscheidung gestellt zu werden.“

epd-Gespräch: Corinna Buschow


Edenhofer: Klima-Milliarden auch für Sozialausgleich nutzen



Düsseldorf (epd). Der Klimaforscher Ottmar Edenhofer fordert, das geplante Klimapaket von 200 Milliarden Euro auch für die soziale Abfederung zu nutzen. „Alles, was den Ausbau der erneuerbaren Energien vorantreibt, ist gut. Ein Teil des Geldes sollte aber auch als Hilfe für privaten Haushalte verwendet werden, um soziale Verwerfungen zu vermeiden“, sagte Edenhofer der Düsseldorfer „Rheinischen Post“ (9. März). Es dürfe nicht nur die Industrie subventioniert werden.

Der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung hält die Erhöhung der Pendlerpauschale aber für den falschen Weg: „Sie entlastet einkommensschwache Haushalte nicht, das zeigt die Forschung klar. Das Geld sollte als Sozialausgleich beim CO2-Preis eingesetzt werden.“ Die Bundesregierung hatte am Wochenende angekündigt, etwa 200 Milliarden Euro für Energiesicherheit und Klimaschutz bis 2026 zur Verfügung zu stellen.

Eine kleine Verschiebung beim Kohleausstieg wegen der Sanktionen gegen Russland hält Edenhofer für unproblematisch. Die europäische Emissionsobergrenze werde automatisch dazu führen, dass Deutschland etwa 2030 aussteigen werde. „Wenn das aus Gründen der Versorgungssicherheit nicht möglich ist, dann wird es im schlimmsten Fall etwas später.“ Das sei keine schöne Entwicklung, aber man müsse sich nicht sklavisch an Ausstiegsdaten orientieren, solange die Emissionsobergrenze eingehalten werde.




Medien & Kultur

Leipziger Kunstkraftwerk eröffnet Ausstellung "Tübke Monumental"




Tübke Touch - Interaktion mit Touchscreens
epd-bild/Jens Schulze
Im Zentrum der Multimedia-Installation steht das Bauernkriegspanorama des Leipziger Künstlers, das als größtes Gemälde Mitteleuropas gilt.

Leipzig (epd). Als Hommage an den Leipziger Künstler Werner Tübke (1929-2004) ist im Kunstkraftwerk Leipzig eine Ausstellung mit dem Titel „Tübke Monumental“ zu sehen. „Es ist unsere bislang anspruchsvollste Installation“, sagte Markus Löffler, Initiator der Schau, am 10. März zur Eröffnung. Im Zentrum der Multimedia-Installation steht Tübkes Bauernkriegspanorama, das als größtes Gemälde Mitteleuropas gilt. Die Ausstellung ist bis Ende des Jahres zu sehen.

Mit dem Projekt sei es gelungen, das 14 Meter hohe und 123 Meter breite Panoramabild „Frühbürgerliche Revolution in Deutschland“ einzufangen und dem Betrachter zugänglich zu machen. „Wir haben über 3.000 Fotos von dem Panorama geschossen, es ist also ein riesiges Giga-Pixel-Puzzle“, erklärte Löffler weiter. In monatelanger Arbeit seien die Fotografien zusammengesetzt worden. Nun sei es Besucherinnen und Besucher möglich, zahlreiche Details des Werkes entdecken zu können, die bei normaler Betrachtung nicht zu sehen seien. Dies ermögliche auch neue Interpretationsmöglichkeiten, sagte Löffler.

Mitbegründer der Leipziger Schule

Tübke, der als einer der bedeutendsten Maler der Gegenwart gilt, arbeitete insgesamt zehn Jahre an dem Monumentalbild, das im thüringischen Bad Frankenhausen beheimatet ist. Der Künstler wurde am 30. Juli 1929 in Schönebeck an der Elbe geboren. Zwischen 1973 und 1976 war er Rektor der Leipziger Kunsthochschule. Er hinterließ rund 6.000 Zeichnungen, 500 Aquarelle, 350 Gemälde und mehr als 200 Druckgrafiken. Gemeinsam mit Bernhard Heisig und Wolfgang Mattheuer zählt Tübke zu den Begründern der sogenannten Leipziger Schule.



Corona: Streaming-Zeiten bei Jugendlichen fast verdoppelt



Hamburg (epd). Die Zeiten für Videos und Clips sind bei Kindern und Jugendlichen nach einer Studie während der Corona-Pandemie um 45 Prozent angestiegen. Laut einer Untersuchung der Uniklinik Hamburg-Eppendorf (UKE) und der Krankenkasse DAK hat sich der Anteil der Intensiv-Nutzer sogar um bis zu 180 Prozent erhöht, wie die DAK am 9. März in Hamburg mitteilte. Bundesweit wurden 1.200 Kinder und Jugendliche zwischen zehn und 17 Jahren zu ihrem Streaming-Verhalten befragt.

90 Prozent der Befragten gaben an, in den zurückliegenden sechs Monaten Streaming-Plattformen wie Netflix, Amazon und YouTube mindestens einmal pro Woche genutzt zu haben, 45 Prozent sogar täglich. Zum Vergleich: 59 Prozent nutzen täglich soziale Medien wie Instagram, Twitter, TikTok oder Facebook, 39 Prozent täglich digitale Spiele (Gaming).

Von Montag bis Freitag verbrachten laut Studie Kinder und Jugendliche im Schnitt drei Stunden (173 Minuten) pro Tag auf Streaming-Plattformen. Bei Spielen wurden knapp zwei Stunden (109 Minuten), bei sozialen Medien mehr als zwei Stunden (139 Minuten) ermittelt.

Fünf Stunden Videos und Clips

Am Wochenende stieg die Nutzung von Streamingdiensten auf über vier Stunden (251 Minuten). Für Spiele wurden 175 Minuten und für Soziale Medien 196 Minuten aufgebracht. Jeder dritte Minderjährige schaut am Wochenende sogar länger als fünf Stunden Videos und Clips.

Die Mediennutzung ist bei Jungen und Mädchen ähnlich: Während werktags Jungen durchschnittlich 175 Minuten streamen, sind es bei Mädchen 171 Minuten. Am Wochenende schauen Jungen 250 Minuten lang Videos und Clips, Mädchen 253 Minuten. Als Lieblingsplattform gaben 50 Prozent Netflix an, dicht gefolgt von Youtube mit 48 Prozent. Unter den jungen Nutzern zwischen zehn und zwölf Jahren ist Youtube mit 56 Prozent Spitzenreiter.

Hohe Nutzungszeiten führten nicht automatisch zu einer Mediensucht, sagte Studienleiter Rainer Thomasius, Ärztlicher Leiter am UKE-Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters. Problematisch sei jedoch, dass viele Kinder und Jugendliche aussagten, dass andere Aufgaben und Interessen zu kurz kämen. So gab etwa jeder Dritte an (34 Prozent), länger als geplant Videos, Clips, Serien oder Filme zu schauen. Zehn Prozent berichteten von negativen Auswirkungen auf die Schulleistung. Drei Prozent sahen wichtige soziale Kontakte gefährdet.



Brieftaubenzucht gehört zum immateriellen Kulturerbe in Deutschland



Bonn (epd). Brieftauben, Pferde und Apfelwein: Die Unesco hat für Deutschland fünf neue Einträge in die bundesweite Liste des immateriellen Kulturerbes vorgenommen. Dazu zählen die Pflege und Weitergabe des Brieftaubenwesens mit ihrem Schwerpunkt im Ruhrgebiet, die handwerkliche Apfelweinkultur mit Schwerpunkt in Hessen, die Trakehner Zucht und der Willibaldsritt im bayerischen Jesenwang, wie die Konferenz der Kulturminister und die deutsche Unesco-Kommission am 9. März in Bonn mitteilten.

Zudem wurde das Pflasterer- und Steinsetzer-Handwerk als Modellprogramm für den Erhalt immateriellen Kulturerbes gewürdigt. Damit zeugten nun insgesamt 131 Einträge im bundesweiten Verzeichnis von der Vielfalt des kulturellen Lebens in Deutschland.

Zum immateriellen Kulturerbe der Unesco zählen lebendige Traditionen aus den Bereichen Tanz, Theater, Musik, mündliche Überlieferungen, Naturwissen und Handwerkstechniken. Dazu zählen in Deutschland die Theater- und Orchesterlandschaft, die Passionsspiele Oberammergau, die Friedhofskultur oder das Schützenwesen. Das nationale Register würdige kreative, inklusive und innovative Kulturformen, die von der Zivilgesellschaft beim Expertenkomitee vorgeschlagen werden. Über Aufnahmen in das Verzeichnis wird regelmäßig in einem mehrstufigen Verfahren entschieden.



Bundespräsident betont Bedeutung freier Berichterstattung




Bundespräsident Steinmeier zwischen dem scheidenden ZDF-Intendanten Thomas Bellut (l.) und dessen Nachfolger Norbert Himmler.
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Bei der Verabschiedung des ZDF-Intendanten Thomas Bellut haben Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) die Bedeutung der Pressefreiheit und eines starken öffentlich-rechtlichen Rundfunks betont.

Mainz (epd). Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat angesichts des Krieges in der Ukraine die Bedeutung der Pressefreiheit betont. „Berichterstattung zu verbieten, ist ein Zeichen von Schwäche“, sagte Steinmeier am 10. März bei der Verabschiedung von ZDF-Intendant Thomas Bellut in Mainz. Der Bundespräsident dankte dem scheidenden Intendanten dafür, dass er sich immer für freie Berichterstattung eingesetzt habe.

„Wenn ich von Pressefreiheit spreche, dann spreche ich von nichts Abstraktem“, sagte Steinmeier. Journalismus werde von Menschen gemacht. Er dankte all den Journalistinnen und Journalisten, die derzeit unter unvorstellbar schwierigen Bedingungen aus den Kriegsgebieten berichteten. Der Mut von Journalistinnen und Journalisten sei „Davids Steinschleuder gegen den Goliath Zensurmaschine“.

„Starke öffentliche Räume für demokratischen Streit“

Steinmeier stellte auch die Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks heraus. Das System sei in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg von den Alliierten etabliert worden, um „die demagogischen Geister der Vergangenheit“ einzuhegen. Heute werde, angesichts der immer deutlicher zutage tretenden Gräben in der Gesellschaft, umso klarer, wie wichtig „starke öffentliche Räume für den zivilisierten, demokratischen Streit“ seien. Diese Räume dürften gerade angesichts der Fragmentierung der Gesellschaft nicht geschwächt werden. Die Gesellschaft habe zu Recht einen hohen Anspruch an den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, dieser müsse ihr aber auch etwas wert sein, sagte der Bundespräsident.

Die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer (SPD), die auch Vorsitzende des ZDF-Verwaltungsrats ist, würdigte Belluts Rolle bei der Gestaltung des ZDF-Programms. Er habe neue Satire-Sendungen ins Leben gerufen und Satirikern wie Oliver Welke und Jan Böhmermann den Rücken frei gehalten und so den nötigen Freiraum geschaffen.

Vom Volontär zum Intendanten

Bellut (67) fing 1984 als Volontär beim ZDF an. Er war unter anderem Korrespondent in Bonn, Leiter der ZDF-Hauptredaktion Innenpolitik sowie von 2002 bis 2012 Programmdirektor. Seit 2012 ist er ZDF-Intendant. Sein Nachfolger, Norbert Himmler würdigte Belluts „sicheres Gespür für die richtige Haltung“. Er steht ab dem 15. März an der Spitze des ZDF.

Der scheidende ZDF-Intendant wurde im November 2021 mit dem Directorate Award der International Emmy Awards ausgezeichnet. Er widmete den Preis, mit dem Einzelpersonen oder Organisationen für ihren herausragenden Beitrag zum internationalen Fernsehen geehrt werden, Journalisten weltweit, „die nicht frei arbeiten können“. In seiner Dankesrede sagte er, Freiheiten müssten immer wieder neu definiert und verteidigt werden.



ARD und ZDF wollen wieder aus Moskau berichten



Mainz/Köln (epd). ARD und ZDF wollen die vorübergehend eingestellte Berichterstattung aus ihren Studios in Moskau wieder aufnehmen. ZDF und WDR teilten die Entscheidung gemeinsam am Freitag mit. In der Sitzung des ZDF-Fernsehrates in Mainz sagte Chefredakteur Peter Frey, nach Inkrafttreten des neuen, drakonischen Mediengesetzes habe es „Signale“ der russischen Seite gegeben, dass eine Präsenz westlicher Sender in Russland weiterhin erwünscht sei. So sei ein vor längerer Zeit gestellter Akkreditierungsantrag plötzlich genehmigt worden. Das ZDF habe sich zudem von russischen Juristen beraten lassen.

Zwei ausgeflogene Kollegen sollten nun wieder nach Moskau zurückkehren. „Wir werden denen natürlich nicht einen Maulkorb vorhängen“, erklärte Frey. Dennoch sei für die kommende Zeit eine Arbeitsteilung geplant. Über die unmittelbaren Ereignisse im Kampfgebiet sollten die Korrespondenten aus der Ukraine und aus Deutschland berichten. Das Moskauer Studio werde Berichte über die Positionen der russischen Regierung und der Bevölkerung sowie über die Auswirkungen der Sanktionen beisteuern. Dies habe man auch im Austausch mit Partnern im Europäischen Senderverbund EBU entschieden, teilten die Sender gemeinsam mit. Die britische BBC hatte bereits am 9. März ihre Arbeit in Moskau wieder aufgenommen.

Bedingungen transparent machen

Die besonderen Bedingungen der Berichterstattung aus Russland würden in der Berichterstattung transparent gemacht, hieß es weiter. Die Sender behielten sich vor, die Situation zu jedem Zeitpunkt neu zu bewerten.

ZDF-Intendant Thomas Bellut erklärte im Fernsehrat, die Aussetzung der Berichterstattung aus Moskau sei keine „Sanktion“ des ZDF gewesen. Die Entscheidung sei allein aus Sicherheitsgründen erfolgt. Russland hatte nach Kriegsbeginn erhebliche Strafen für vermeintliche Falschmeldungen zum „militärischen Spezialeinsatz“ in der Ukraine verhängt. Das Geschehen darf in Russland auch nicht als Krieg oder Invasion bezeichnet werden.

Eine eigene Berichterstattung aus der ukrainischen Hauptstadt Kiew plant das ZDF zunächst weiterhin nicht, um die eigenen Journalistinnen und Journalisten nicht zu gefährden. Der Sender bleibe in den westukrainischen Städten Chmelnizki und Lwiw (Lemberg) vor Ort präsent.



Filme der Woche



Aheds Knie

Mit brutaler Konsequenz beschäftigt sich Nadav Lapid in seinem neuen Film mit der Kunstfreiheit in Israel. Die Hauptfigur Y (Avshalom Pollak) fungiert dabei wie ein Alter Ego von Lapid. Der israelische Filmemacher soll in einem abgelegenen Wüstenort seinen Film vorstellen und dafür eine Erklärung unterschreiben, was er sagen darf und was nicht. Doch Y, der die Freiheit in seinem Land bedroht sieht, sträubt sich vehement. Die extrem persönliche Auseinandersetzung wird dabei zu einem wilden Spiel mit Autofiktion sowie einer experimentellen Reflexion über das Medium Film.

Aheds Knie (Israel/Deutschland/Frankreich 2021). R: Nadav Lapid. B: Nadav Lapid, Haïm Lapid. Mit: Avshalom Pollak, Nur Fibak, Oded Azulay, Michal Benkovitz-Sasu, Roni Boksbaum, Pnina Bradt Tzedaka. Länge: 109 Min.

Drei Etagen

Drei Etagen eines Mehrfamilienhauses in einem wohlhabenden Stadtteil Roms: Hier leben drei Familien mit ihren jeweils eigenen Tragödien. Der erwachsene Sohn, der einen Autounfall verursacht, der Familienvater, der besessen ist von dem Gedanken, seine Tochter könnte verführt worden sein, und die junge Mutter, die von ihrem Mann oft allein gelassen wird. Dicht beieinander und gleichzeitig getrennt liegen die Sorgen der Bewohner, die nach und nach auch untereinander zu Spannungen führen. Nüchtern und geduldig vertieft der Film die Konflikte und schafft es Versöhnungsprozesse aufzuzeigen, ohne falschen Optimismus zu verbreiten.

Drei Etagen (Italien/Frankreich 2021). R: Nanni Moretti. B: Nanni Moretti, Federica Pontremoli, Valia Santella. Mit: Margherita Buy, Riccardo Scamarcio, Alba Rohrwacher, Nanni Moretti, Adriano Giannini. Länge: 119 Min. FBW: Besonders wertvoll.

Petite maman - Als wir Kinder waren

Die achtjährige Nelly (Joséphine Sanz) fährt mit ihren Eltern in das Haus der geliebten und kürzlich verstorbenen Großmutter. Neugierig stöbert sie in alten Sachen ihrer Mutter, die sich selbst aus unbekannten Gründen nicht damit befassen will. Gleichzeitig streift Nelly durch die dortigen Wälder und trifft auf ein Mädchen, das ihr wie ein Ei dem anderen gleicht. Mit viel Gefühl für die Innenwelten der Kinder erzählt Céline Sciamma auf märchenhaft anmutende Weise vom Abschiednehmen sowie den Formen der Erinnerung und Imagination.

Petite maman - Als wir Kinder waren (Frankreich 2021). R u. B: Céline Sciamma. Mit: Joséphine Sanz, Gabrielle Sanz, Nina Meurisse, Stéphane Varupenne, Margot Abascal. Länge: 72 Min.

Der Wolf und der Löwe

Nach dem Tod ihres Großvaters beschließt die zwanzigjährige Alma (Molly Kunz) in die kanadischen Wälder zurückzukehren, wo sie einst großgeworden ist. Dort rettet sie einen Wolfswelpen und ein Löwenjunges, die sie fortan gemeinsam fernab der Zivilisation großzieht. Als eines Tages ein Ranger sie aus ihrer Obhut entreißt, beginnt eine aufregende Suche. Tier- und Naturfilmspezialist Gilles de Maistre entwirft das Abenteuer um eine besondere Freundschaft vor der atemberaubenden Kulisse Kanadas und mit warmherzigem Gefühl für die Annäherung der Tiere.

Der Wolf und der Löwe (Kanada 2020). R: Gilles de Maistre. B: Prune de Maistre. Mit: Molly Kunz, Graham Greene, Charlie Carrick. Länge: 100 Min. FBW: Besonders wertwoll.

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Entwicklung

Krankenhaus mit Bug und Heck




Hospitalschiff "Global Mercy"
epd-bild/Phillipp Saure
Es sind keine Traumschiffe. An Bord wird hart gearbeitet und dabei fließt auch Blut. Aber gerade so erfüllen die Hospitalschiffe der Hilfsorganisation Mercy Ships Träume - für Menschen in armen Ländern, die sonst weniger Chancen auf Heilung hätten.

Rotterdam, Dakar (epd). Sarah Kwok ist eine Ärztin aus London. Während des Videogesprächs sitzt sie in einem Büro neben den Operationssälen ihrer Klinik. Hinter der Anästhesistin im blauen Kittel liegt in hohen Schränken Chirurgen-Besteck und weiteres medizinisches Material - eine normale Umgebung für eine Ärztin.

Doch wenn sie Feierabend hat, wird Kwok nicht aus dem Krankenhaus in ihre englische Heimat hinaustreten. Ihr Krankenhaus ist auch gar kein Haus. Die Ärztin befindet sich im Hafen von Senegals Hauptstadt Dakar - auf einem Hospitalschiff. An Bord der „Africa Mercy“ werden afrikanische Patienten und Patientinnen kostenlos behandelt.

Haut verbrannt - achtstündige OP

Zum Beispiel die achtjährige Haby, von der Kwok erzählt. Haby sei als Baby in einem Tuch eingewickelt gewesen, das Feuer gefangen habe. „Sie hatte furchtbare Verbrennungen im ganzen Gesicht und auf der ganzen Brust und an den ganzen Armen erlitten.“ Die Großmutter habe das Mädchen vor zwei Jahren zum Schiff gebracht, erinnert sich die Narkoseärztin. Die Operation, in der Narbengewebe entfernt und Transplantate gesetzt wurden, habe einen Tag lang gedauert.

Auf der „Africa Mercy“ wurden auch der erblindete Bauer Aser Roger operiert und der jungen Mutter Yaya ein Tumor aus dem Gesicht entfernt, wie die Betreiberorganisation Mercy Ships erklärt - übersetzt heißt das ungefähr Schiffe der Barmherzigkeit. Es würden verkrümmte Glieder gerichtet, Gaumenspalten geschlossen, Geburtsfisteln geheilt. Zudem bilde man einheimische Mediziner fort, fördere örtliche Gesundheitssysteme und betreibe landwirtschaftliche Entwicklungshilfe.

Mercy Ships legt seit rund 40 Jahren mit Hospitalschiffen in Entwicklungsländern an. Die Organisation hat ihre Zentrale in den USA, die deutsche Sektion ist ein gemeinnütziger Verein in Landsberg am Lech. Wurzeln und Prägung von Mercy Ships sind christlich, erklärt Deutschland-Geschäftsführer Udo Kronester.

Aberglaube

Auf einem Schiff sei „alles unter einem Dach“, wirbt der deutsche Zweig der Organisation. Es gewährleiste Stabilität etwa in der Wasser- und Stromversorgung. Sicherheit ist ein weiteres Stichwort: Zum Beispiel bei politischen Krisen könne ein Schiff schnell ablegen. Ferner biete das Bordleben Geborgenheit für die hauptsächlich ehrenamtliche Crew - Anästhesistin Kwok arbeite wie die meisten anderen bis hin zur Kapitänin ohne Lohn. Und natürlich sind Schiffe mobil - die „Africa Mercy“ hat unter anderem bereits in Liberia, Guinea und Madagaskar festgemacht.

Anfänglich könne ein Schiff allerdings auch Misstrauen wecken, berichtet Kronester. Er selbst arbeitete früher auf Schiffen der Organisation. Einmal habe in Benin eine Patientin erst partout nicht an Bord kommen wollen. Er führt das auf den Voodoo-Glauben zurück. „Sie meinte, dass die mächtigsten und boshaftesten Geister die Wassergeister sind.“

Schließlich habe es doch geklappt - dank Geduld und Einfühlungsvermögen. Der Respekt vor anderen Kulturen und Religionen spiele eine große Rolle, gerade weil Mercy Ships selbst christlich geprägt sei, erklärt Kronester. „Unser Selbstverständnis ist Nächstenliebe im tiefsten christlichen Sinne.“

Nun stellt die Organisation ein weiteres Schiff in Dienst, in Rotterdam wurde die „Global Mercy“ vorgestellt. Im Mai soll sie zum afrikanischen Kontinent fahren, wo örtliche Mediziner fortgebildet und ab 2023 Patienten behandelt werden, so der Zeitplan. Die Kosten betrugen Mercy Ships zufolge 200 Millionen US-Dollar.

Sechs OP-Säle

Die wuchtige Silhouette der „Global Mercy“ erinnert an eine Fähre, weiße Bordwand, unten Bullaugen, darüber rechteckige Fenster. Sie hat zwölf Decks, ist 174 Meter lang und 28,6 Meter breit. Allein das Hospital mit sechs OP-Sälen, Labor, Apotheke, Röntgenabteilung und Simulatoren zur Fortbildung einheimischer Mediziner erstreckt sich laut Mercy Ships über rund 7.000 Quadratmeter.

Größe ist bei einem Hospitalschiff aber nicht alles, erklärt der Schifffahrtshistoriker Salvatore R. Mercogliano. Klimaanlagen sowie die Kühlung medizinischer Vorräte etwa seien wichtig - das und die ärztlichen Geräte bräuchten eine gute Stromversorgung. Für medizinischen Abfall wiederum benötige man leistungsfähige Müllverbrennungsanlagen, erklärt Mercogliano.

Und da die Schiffe auch in unterentwickelten Häfen anlandeten, müssten sie sehr manövrierfähig sein, erklärt der US-Amerikaner, der selbst auf dem Hospitalschiff „Comfort“ der US Navy dient. Auch große Vorratslager bräuchten sie und generell große Autarkie.

Die medizinische Ausstattung der Mercy-Schiffe ist keine andere als an Land. „Im OP merkt man keinen Unterschied“, erklärt Silke Kessing. Die ausgebildete Anästhesie-Krankenschwester arbeitete seit 2015 auf der „Africa Mercy“ und wechselte nun auf die „Global Mercy“. Auch vor den OP-Sälen herrscht der nüchterne Eindruck eines Krankenhauses an Land: lange Gänge, viele Türen, heller Anstrich, Neonlicht.

Hinter den Kulissen steckt dann aber doch wieder besondere Technik. Zum Beispiel sind die Hauptmaschinen extra gedämpft, erklärt ein Ingenieur von Mercy Ships. Denn die auf vielen Schiffen üblichen Vibrationen kann man gerade bei Operationen nicht gebrauchen.

Ein Gesundheitsproblem, das die Crew trifft, ist Seekrankheit. Sie verschonte an Bord der „Africa Mercy“ auch Medizinerinnen nicht. Die „Global Mercy“ soll in dieser Hinsicht aber angenehmer sein, hat Silke Kessing erfahren. Das ist ein Grund, warum sich nicht nur die Patienten und Patientinnen über das neue Schiff freuen können.

Von Phillipp Saure (epd)


Große Erwartungen an Hoffnungsträger Boric in Chile



Eine neue Verfassung, Reformen im Bildungswesen und im Gesundheitssystem: Gabriel Boric ist der jüngste Präsident in der Geschichte Chiles und soll nichts Geringeres vollbringen, als das tief gespaltene Land zu einen.

Berlin, Santiago de Chile (epd). Gabriel Boric ist seit dem 11. März nicht nur der jüngste Präsident in der Geschichte Chiles sein, sondern ist auch ein Politiker neuen Typs. Der ehemalige Studentenführer will mit dem neoliberalen Wirtschaftsmodell brechen und den Aufbruch hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit schaffen.

„Wenn Chile die Wiege des Neoliberalismus war, wird es auch sein Grab sein“, hat Boric angekündigt. Eine breite soziale Agenda mit einem Umbau des privaten Rentensystems, die Einführung einer Reichensteuer sowie mehr Investitionen in das Gesundheits- und Bildungssystem gehören zu seinen Wahlversprechen. Der 36-Jährige gilt vor allem der jüngeren Generation als Hoffnungsträger, mit dem das Erbe der Pinochet-Diktatur (1973 bis 1990) überwunden werden kann.

Boric wurde als Sohn kroatischer und katalanischer Einwanderer am Südzipfel von Chile, in Punta Arenas geboren. Sein Vater ist Ingenieur in der Erdölindustrie, seine Mutter Hausfrau. Nach dem Besuch einer Privatschule ging er 2004 zum Jurastudium in die Hauptstadt Santiago. Dort engagierte er sich in der Studentenbewegung und wurde 2011 zum Anführer der chilenischen Studentenföderation FECH gewählt.

In diese Zeit fielen auch die Massenproteste der Studierenden gegen die soziale Ungleichheit im Bildungswesen und die hohen Studiengebühren. 2013 kandidierte der damals 27-jährige Boric als unabhängiger Kandidat für das Abgeordnetenhaus und wurde gewählt. Er gehört zu den Mitbegründern der Frente Amplio, einem Bündnis linksgerichteter Parteien und Bewegungen. Bei seiner zweiten Kandidatur 2017 trat er für die Frente Amplio an und wurde für die Region Magallanes im Süden Chiles wiedergewählt.

Vollbart und tätowierte Unterarme

Als Abgeordneter unterstützte Boric die Massenproteste in Chile vor zwei Jahren, die sich an Fahrpreiserhöhungen entzündeten, aber den Kampf gegen das ungleiche Sozialsystem zum Ziel hatten. Bei der Präsidentschaftswahl trat Boric mit dem linken Wahlbündnis Apruebo Dignidad („Ich stimme der Würde zu“) an, das aus der Frente Amplio und auch der Kommunistischen Partei zusammengesetzt ist.

Sein Kontrahent, der Rechtsnationalist José Antonio Kast, schürte im Wahlkampf deshalb die Angst vor „Terrorismus und Kommunismus“. Mit der Präsentation seines sehr weiblichen und diversen Kabinetts will Boric diesen Anfeindungen begegnen. Gleichzeitig berief er parteiunabhängige Ressortchefs. Als Signal für Stabilität in Richtung der Wirtschaft gilt der neue Finanzminister Mario Marcel, der zuvor Zentralbankchef war und einer der bekanntesten Ökonomen des Landes ist.

Boric, der mit seinem Vollbart und den tätowierten Unterarmen nicht dem Bild des traditionellen Politikers entspricht, wurde mehrheitlich von der jungen Generation und der urbanen Mittelschicht gewählt. Über sein Privatleben äußert er sich kaum. „Ich bin nicht verheiratet, habe eine Partnerin, die ich seit zweieinhalb Jahren liebe“, sagte Boric in einem Radiointerview im Wahlkampf. Jüngst verriet er, dass er seinen Wohnsitz nicht wie üblich im Moneda-Palast haben wird. Zusammen mit Partnerin Irina Karamanos und Hund will er in einem zentrumsnahen Wohnviertel ein Haus beziehen.

Als Präsident wird seine größte Herausforderung die Umsetzung seiner ambitionierten Sozialagenda im Kongress sein, in dem seine Koalition keine Mehrheit hat. Auch muss Boric die Unruheregion Araukanien befrieden, in der die Ureinwohner der Mapuche um ihr angestammtes Land kämpfen. Statt auf eine Militärintervention setzt er auch hier auf den Dialog. Mit Boric wurde erstmals seit Ende der Pinochet-Diktatur 1990 ein Präsident gewählt, der keiner traditionellen Partei angehört.

Von Susann Kreutzmann (epd)


Entwicklungsorganisationen kritisieren hohen deutschen Fischverbrauch



Berlin (epd). Deutschland hat Entwicklungsorganisationen zufolge bereits am 11. März rechnerisch so viel Fische und Meeresfrüchte verbraucht, wie im gesamten Jahr unter deutscher Flagge gefangen oder hierzulande gezüchtet werden. Nach den am 10. März in Berlin veröffentlichten Berechnungen des evangelischen Hilfswerks „Brot für die Welt“, des Bremer Vereins „Fair Oceans“ und des Netzwerks „Slow Food Deutschland“ ist damit der „End of Fish Day“, also der Tag, an dem der Fisch zur Neige geht, so früh wie nie zuvor. Im vergangenen Jahr sei dies am 17. März der Fall gewesen und somit sechs Tage später.

Die Organisationen weisen darauf hin, dass eine unvermindert große Nachfrage den rückläufigen Fangquoten aufgrund von Überfischung, Wasserverschmutzung und Klimawandel gegenübersteht. Der Fischereiexperte von „Brot für die Welt“, Francisco Mari, erklärte, ein aktuelles Streitthema sei die Fischmehlproduktion: Wertvolle Schwarmfische würden in Fabriken zu Futtermitteln verarbeitet. Diese Fische seien damit entweder den marinen Nahrungsketten entzogen worden oder sie gingen der Fischereiwirtschaft armer Länder auf der Südhalbkugel verloren. „Sie fehlen also gerade dort, wo die Küstengemeinden am stärksten auf intakte Meeresökosysteme und Fischbestände angewiesen sind.“

Manfred Kriener, der für die Fisch-Kommission von „Slow Food Deutschland“ recherchiert, teilte mit, dass auch der Lachs als Produkt aus industrieller Massenzucht zu vielen Tierwohl- und Umweltproblemen beiträgt. Der Verein wirbt daher dafür, Lachs aus dem Speiseplan zu streichen.



Welthungerhilfe: Krieg in der Ukraine verschärft Hunger weltweit



Bonn, Berlin (epd). Der Krieg in der Ukraine verschärft nach Angaben der Welthungerhilfe den weltweiten Hunger. „Preisanstiege durch den Krieg in der Kornkammer Europas werden die Ernährungslage für Millionen Menschen erheblich verschlimmern“, sagte Generalsekretär Mathias Mogge am 9. März in Bonn. Gerade die Ärmsten in vielen Ländern des globalen Südens würden besonders unter gravierenden Engpässen auf dem Weltmarkt und stark ansteigenden Nahrungsmittelpreisen leiden.

Russland und die Ukraine gehören der Organisation zufolge zu den weltweit größten Getreide-Exporteuren. Allein Afrika beziehe rund 30 Prozent seiner Weizenimporte aus den beiden Ländern.

Mogge forderte, Deutschland müsse seine Unterstützung für die Hungerbekämpfung sofort ausbauen und sein finanzielles Engagement für Nahrungsmittelhilfe steigern. Nötig seien Investitionen in die ländliche Entwicklung, Exportstopps für Agrarprodukte müssten vermieden werden. In den betroffenen Ländern müssten die Lagerbestände zudem durch Importe aus anderen Ländern wie etwa Australien erhöht und eventuell Nahrungsmittel subventioniert und verteilt werden.



Leere Supermarktregale, lange Schlangen vor dem Bäcker



In Tunesien verschärft der Krieg in der Ukraine die Probleme bei der Lebensmittelversorgung. Doch die Ursprünge der Krise liegen tiefer.

Tunis (epd). „Gerade haben sie das Regal mit Couscous aufgefüllt“, sagt eine Frau Mitte 50, die mit einer kleinen Einkaufstüte den Supermarkt in Tunis im Viertel Mahrajene verlässt. Aber Nudeln, Zucker und Reis gebe es nicht. Auch Mehl und Pflanzenöl sind Mangelware in diesen Tagen in Tunesien. Sie gehe jeden Tag einkaufen, sagt die Frau, die ihren Namen nicht nennen will. Sobald die Regale aufgefüllt würden, seien sie schon wieder leer. „Jeden Tag das Gleiche.“ Eine andere Kundin, in der Hand ein Brot und zwei Pakete Spaghetti, tritt aus dem Laden. Wegen des Ukraine-Krieges will sie sich nun Vorräte anlegen.

Die Bilder aus tunesischen Supermärkten ähneln sich: Überall leere Regale, versehen mit Hinweisen zur Rationierung. „Liebe Kunden, bitte kaufen Sie nicht mehr als zwei Kilo Mehl, Zucker Reis und Gries“, heißt es etwa. Oder: „Maximal zwei Pakete pro Person“. In verschiedenen Regionen im Landesinneren bilden sich teils lange Schlangen vor den Bäckereien, denn auch deren Lieferketten sind seit Wochen gestört. Durch den Krieg in der Ukraine droht dem nordafrikanischen Land nun eine weitere Verschärfung der Versorgungslage.

Warnung vor Mangelernährung

Seit Beginn des russischen Angriffs sind die Weizenpreise auf dem Weltmarkt in die Höhe geschnellt. Russland und die Ukraine sind für mehr als ein Viertel der globalen Weizenexporte verantwortlich, vor allem Menschen im arabischen Raum sind von Lieferungen aus den beiden Ländern abhängig. Auch Tunesien bezieht rund die Hälfte seines Getreides aus der Ukraine und Russland.

Vergangene Woche noch versicherte das Landwirtschaftsministerium, der Bedarf des Landes an Weizen sei bis Mai gedeckt, der an Gerste bis Juni. Doch was danach kommt, macht vielen Tunesiern und Tunesierinnen Sorgen. Der Getreideimport unterliegt in Tunesien einem staatlichen Monopol. Ohne die stark subventionierten Grundnahrungsmittel wie Nudeln, Gries und Brot hätten viele Einwohner des Billiglohnlands nicht genug zu essen.

Zuletzt hatte der Staat die einzigen zwei eingegangenen Angebote für Weichweizen und Gerste abgelehnt, weil die Preise zu teuer waren. Mit den weiteren Preisanstiegen dürfte der Einkauf in Zukunft noch schwieriger werden. Man müsse jetzt „auf jedes Korn Weizen oder Gerste“, auf jeden Tropfen Wasser achtgeben, sagte Zentralbankchef Marouen Abbassi vergangene Woche. Auch der Gründer der Gewerkschaft der tunesischen Landwirte, Leith Ben Becher, warnte vor Mangelernährung in der Bevölkerung.

Tiefer liegende Probleme

Der Ukraine-Krieg verschärft die Probleme bei der Versorgung, doch deren Ursprünge liegen weiter zurück. Tunesien habe keine richtige Agrarstrategie, um sich unabhängiger von Preisschwankungen auf dem Weltmarkt zu machen, sagt Thomas Claes vom Tunesien-Büro der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung. Statt primär für den Eigenbedarf anzubauen, setze man auf den Export devisenbringender Produkte wie Erdbeeren oder Himbeeren. Zudem habe die Corona-Pandemie die Wirtschaftskrise des Landes verschärft. Durch den Einbruch des Tourismus fehlten Devisen, um bei den stetig steigenden Weltmarktpreisen von Getreide und Düngemitteln mithalten zu können.

Weitere Engpässe könnten auch die politische Lage anheizen, die seit der Machtübernahme des Präsidenten Kais Saied ohnehin angespannt ist. Steigerungen der Brotpreise haben in Tunesien in der Vergangenheit immer wieder Proteste ausgelöst. „Das kann sehr schnell zu sozialen Unruhen führen, die dann auch schnell außer Kontrolle geraten können“, sagt Claes. Saied, der sich bisher vor allem um politische Themen wie Verfassungsreformen gekümmert hatte, erklärte am Dienstag derweil, die Grundnahrungsmittel seien in ausreichender Menge vorhanden. Den Medien warf er vor, das Problem aufzubauschen. Zugleich kündigte er ein hartes Vorgehen gegen Spekulanten an.

Von Sarah Mersch (epd)



Termine

15.3. München Den assistierten Suizid gestalten. Zur gesetzlichen Neuregelung des §217 StGB. Wie kann eine gesetzliche Neuregelung aussehen, um den assistierten Suizid konkret und menschenwürdig zu gestalten? U.a. mit Prof. Dr. Peter Dabrock.

https://www.ev-akademie-tutzing.de/veranstaltung/den-assistierten-suizid-juristisch-gestalten/

16.3. Berlin Online Orthodoxe Kirchen in der Ukraine und in Russland. Können sie zur Beendigung des Krieges beitragen? Mit Dr. Sergey Bortnyk, Dozent an der Theologischen Akademie der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche (Moskauer Patriarchat) und Mitarbeiter des Außenamtes, Kiew.

https://www.eaberlin.de/seminars/data/2022/POL/orthodoxe-kirchen-in-der-ukraine-und-in-russland/

17.3. Bonn Online Digital - parochial - global Erfordert öffentliche Wortverkündigung in der digitalen Kirche eine Ordination oder Beauftragung?

https://ev-akademie-rheinland.ekir.de/thema/termine/?ID=577343