Berlin, Santiago de Chile (epd). Gabriel Boric ist seit dem 11. März nicht nur der jüngste Präsident in der Geschichte Chiles sein, sondern ist auch ein Politiker neuen Typs. Der ehemalige Studentenführer will mit dem neoliberalen Wirtschaftsmodell brechen und den Aufbruch hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit schaffen.

„Wenn Chile die Wiege des Neoliberalismus war, wird es auch sein Grab sein“, hat Boric angekündigt. Eine breite soziale Agenda mit einem Umbau des privaten Rentensystems, die Einführung einer Reichensteuer sowie mehr Investitionen in das Gesundheits- und Bildungssystem gehören zu seinen Wahlversprechen. Der 36-Jährige gilt vor allem der jüngeren Generation als Hoffnungsträger, mit dem das Erbe der Pinochet-Diktatur (1973 bis 1990) überwunden werden kann.

Boric wurde als Sohn kroatischer und katalanischer Einwanderer am Südzipfel von Chile, in Punta Arenas geboren. Sein Vater ist Ingenieur in der Erdölindustrie, seine Mutter Hausfrau. Nach dem Besuch einer Privatschule ging er 2004 zum Jurastudium in die Hauptstadt Santiago. Dort engagierte er sich in der Studentenbewegung und wurde 2011 zum Anführer der chilenischen Studentenföderation FECH gewählt.

In diese Zeit fielen auch die Massenproteste der Studierenden gegen die soziale Ungleichheit im Bildungswesen und die hohen Studiengebühren. 2013 kandidierte der damals 27-jährige Boric als unabhängiger Kandidat für das Abgeordnetenhaus und wurde gewählt. Er gehört zu den Mitbegründern der Frente Amplio, einem Bündnis linksgerichteter Parteien und Bewegungen. Bei seiner zweiten Kandidatur 2017 trat er für die Frente Amplio an und wurde für die Region Magallanes im Süden Chiles wiedergewählt.

Vollbart und tätowierte Unterarme

Als Abgeordneter unterstützte Boric die Massenproteste in Chile vor zwei Jahren, die sich an Fahrpreiserhöhungen entzündeten, aber den Kampf gegen das ungleiche Sozialsystem zum Ziel hatten. Bei der Präsidentschaftswahl trat Boric mit dem linken Wahlbündnis Apruebo Dignidad („Ich stimme der Würde zu“) an, das aus der Frente Amplio und auch der Kommunistischen Partei zusammengesetzt ist.

Sein Kontrahent, der Rechtsnationalist José Antonio Kast, schürte im Wahlkampf deshalb die Angst vor „Terrorismus und Kommunismus“. Mit der Präsentation seines sehr weiblichen und diversen Kabinetts will Boric diesen Anfeindungen begegnen. Gleichzeitig berief er parteiunabhängige Ressortchefs. Als Signal für Stabilität in Richtung der Wirtschaft gilt der neue Finanzminister Mario Marcel, der zuvor Zentralbankchef war und einer der bekanntesten Ökonomen des Landes ist.

Boric, der mit seinem Vollbart und den tätowierten Unterarmen nicht dem Bild des traditionellen Politikers entspricht, wurde mehrheitlich von der jungen Generation und der urbanen Mittelschicht gewählt. Über sein Privatleben äußert er sich kaum. „Ich bin nicht verheiratet, habe eine Partnerin, die ich seit zweieinhalb Jahren liebe“, sagte Boric in einem Radiointerview im Wahlkampf. Jüngst verriet er, dass er seinen Wohnsitz nicht wie üblich im Moneda-Palast haben wird. Zusammen mit Partnerin Irina Karamanos und Hund will er in einem zentrumsnahen Wohnviertel ein Haus beziehen.

Als Präsident wird seine größte Herausforderung die Umsetzung seiner ambitionierten Sozialagenda im Kongress sein, in dem seine Koalition keine Mehrheit hat. Auch muss Boric die Unruheregion Araukanien befrieden, in der die Ureinwohner der Mapuche um ihr angestammtes Land kämpfen. Statt auf eine Militärintervention setzt er auch hier auf den Dialog. Mit Boric wurde erstmals seit Ende der Pinochet-Diktatur 1990 ein Präsident gewählt, der keiner traditionellen Partei angehört.