Rotterdam, Dakar (epd). Sarah Kwok ist eine Ärztin aus London. Während des Videogesprächs sitzt sie in einem Büro neben den Operationssälen ihrer Klinik. Hinter der Anästhesistin im blauen Kittel liegt in hohen Schränken Chirurgen-Besteck und weiteres medizinisches Material - eine normale Umgebung für eine Ärztin.

Doch wenn sie Feierabend hat, wird Kwok nicht aus dem Krankenhaus in ihre englische Heimat hinaustreten. Ihr Krankenhaus ist auch gar kein Haus. Die Ärztin befindet sich im Hafen von Senegals Hauptstadt Dakar - auf einem Hospitalschiff. An Bord der „Africa Mercy“ werden afrikanische Patienten und Patientinnen kostenlos behandelt.

Haut verbrannt - achtstündige OP

Zum Beispiel die achtjährige Haby, von der Kwok erzählt. Haby sei als Baby in einem Tuch eingewickelt gewesen, das Feuer gefangen habe. „Sie hatte furchtbare Verbrennungen im ganzen Gesicht und auf der ganzen Brust und an den ganzen Armen erlitten.“ Die Großmutter habe das Mädchen vor zwei Jahren zum Schiff gebracht, erinnert sich die Narkoseärztin. Die Operation, in der Narbengewebe entfernt und Transplantate gesetzt wurden, habe einen Tag lang gedauert.

Auf der „Africa Mercy“ wurden auch der erblindete Bauer Aser Roger operiert und der jungen Mutter Yaya ein Tumor aus dem Gesicht entfernt, wie die Betreiberorganisation Mercy Ships erklärt - übersetzt heißt das ungefähr Schiffe der Barmherzigkeit. Es würden verkrümmte Glieder gerichtet, Gaumenspalten geschlossen, Geburtsfisteln geheilt. Zudem bilde man einheimische Mediziner fort, fördere örtliche Gesundheitssysteme und betreibe landwirtschaftliche Entwicklungshilfe.

Mercy Ships legt seit rund 40 Jahren mit Hospitalschiffen in Entwicklungsländern an. Die Organisation hat ihre Zentrale in den USA, die deutsche Sektion ist ein gemeinnütziger Verein in Landsberg am Lech. Wurzeln und Prägung von Mercy Ships sind christlich, erklärt Deutschland-Geschäftsführer Udo Kronester.

Aberglaube

Auf einem Schiff sei „alles unter einem Dach“, wirbt der deutsche Zweig der Organisation. Es gewährleiste Stabilität etwa in der Wasser- und Stromversorgung. Sicherheit ist ein weiteres Stichwort: Zum Beispiel bei politischen Krisen könne ein Schiff schnell ablegen. Ferner biete das Bordleben Geborgenheit für die hauptsächlich ehrenamtliche Crew - Anästhesistin Kwok arbeite wie die meisten anderen bis hin zur Kapitänin ohne Lohn. Und natürlich sind Schiffe mobil - die „Africa Mercy“ hat unter anderem bereits in Liberia, Guinea und Madagaskar festgemacht.

Anfänglich könne ein Schiff allerdings auch Misstrauen wecken, berichtet Kronester. Er selbst arbeitete früher auf Schiffen der Organisation. Einmal habe in Benin eine Patientin erst partout nicht an Bord kommen wollen. Er führt das auf den Voodoo-Glauben zurück. „Sie meinte, dass die mächtigsten und boshaftesten Geister die Wassergeister sind.“

Schließlich habe es doch geklappt - dank Geduld und Einfühlungsvermögen. Der Respekt vor anderen Kulturen und Religionen spiele eine große Rolle, gerade weil Mercy Ships selbst christlich geprägt sei, erklärt Kronester. „Unser Selbstverständnis ist Nächstenliebe im tiefsten christlichen Sinne.“

Nun stellt die Organisation ein weiteres Schiff in Dienst, in Rotterdam wurde die „Global Mercy“ vorgestellt. Im Mai soll sie zum afrikanischen Kontinent fahren, wo örtliche Mediziner fortgebildet und ab 2023 Patienten behandelt werden, so der Zeitplan. Die Kosten betrugen Mercy Ships zufolge 200 Millionen US-Dollar.

Sechs OP-Säle

Die wuchtige Silhouette der „Global Mercy“ erinnert an eine Fähre, weiße Bordwand, unten Bullaugen, darüber rechteckige Fenster. Sie hat zwölf Decks, ist 174 Meter lang und 28,6 Meter breit. Allein das Hospital mit sechs OP-Sälen, Labor, Apotheke, Röntgenabteilung und Simulatoren zur Fortbildung einheimischer Mediziner erstreckt sich laut Mercy Ships über rund 7.000 Quadratmeter.

Größe ist bei einem Hospitalschiff aber nicht alles, erklärt der Schifffahrtshistoriker Salvatore R. Mercogliano. Klimaanlagen sowie die Kühlung medizinischer Vorräte etwa seien wichtig - das und die ärztlichen Geräte bräuchten eine gute Stromversorgung. Für medizinischen Abfall wiederum benötige man leistungsfähige Müllverbrennungsanlagen, erklärt Mercogliano.

Und da die Schiffe auch in unterentwickelten Häfen anlandeten, müssten sie sehr manövrierfähig sein, erklärt der US-Amerikaner, der selbst auf dem Hospitalschiff „Comfort“ der US Navy dient. Auch große Vorratslager bräuchten sie und generell große Autarkie.

Die medizinische Ausstattung der Mercy-Schiffe ist keine andere als an Land. „Im OP merkt man keinen Unterschied“, erklärt Silke Kessing. Die ausgebildete Anästhesie-Krankenschwester arbeitete seit 2015 auf der „Africa Mercy“ und wechselte nun auf die „Global Mercy“. Auch vor den OP-Sälen herrscht der nüchterne Eindruck eines Krankenhauses an Land: lange Gänge, viele Türen, heller Anstrich, Neonlicht.

Hinter den Kulissen steckt dann aber doch wieder besondere Technik. Zum Beispiel sind die Hauptmaschinen extra gedämpft, erklärt ein Ingenieur von Mercy Ships. Denn die auf vielen Schiffen üblichen Vibrationen kann man gerade bei Operationen nicht gebrauchen.

Ein Gesundheitsproblem, das die Crew trifft, ist Seekrankheit. Sie verschonte an Bord der „Africa Mercy“ auch Medizinerinnen nicht. Die „Global Mercy“ soll in dieser Hinsicht aber angenehmer sein, hat Silke Kessing erfahren. Das ist ein Grund, warum sich nicht nur die Patienten und Patientinnen über das neue Schiff freuen können.