die EU hat sich auf eine Reform ihres Umgangs mit Flüchtlingen geeinigt. Künftig sollen viele Flüchtlinge an EU-Außengrenzen festgesetzt werden, andere solidarischer in der EU verteilt werden. Sozialverbände üben Kritik: Die Caritas sieht den Zugang zu Asyl und die Rechte der Schutzsuchenden eingeschränkt. Der Paritätische zeigte sich entsetzt über einen „tief inhumanen Asylkompromiss“.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach will den Pflegefachkräften mehr Kompetenzen geben. In Eckpunkten zu einem für 2024 geplanten Gesetz heißt es, sie sollten mehr Leitungsverantwortung übernehmen und auch Aufgaben erfüllen, die bisher stets die Ärzte erledigen. Vertreter der Gesundheitsbranche reagierten positiv auf die Pläne.
Religiöse Vielfalt im Kindergarten: Die Pforzheimer Kita Irenicus wird von christlichen, jüdischen, jesidischen und muslimischen Gemeinden getragen - sie verfolgt ein bundesweit einmaliges Konzept. Im spielerischen Miteinander lernen die Kinder Bräuche verschiedener Religionen kennen, erleben Diversität und Toleranz. epd-Redakteurin Christine Süß-Demuth hat sie besucht.
Gewalt von Freiern gegen Prostituierte ist „immer wieder ein Thema“, sagt Kathrin Geih, stellvertretende Abteilungsleiterin bei der Mitternachtsmission der Diakonie Heilbronn. Leider hätten die Frauen oft nicht die Kraft und den Willen, sich gegen erlittenes Unrecht zur Wehr zu setzen. In der Statistik der Polizei in Baden-Württemberg sind mit 40 Delikten gegen die sexuelle Selbstbestimmung weiblicher Prostituierter relativ wenige derartiger Gewalttaten erfasst.
Das in Deutschland geltende Verbot der Leihmutterschaft schließt eine Stiefkindadoption eines im Ausland von einer Leihmutter geborenen Kindes nicht aus. Maßgeblich ist nach einem Gerichtsbeschluss, ob die Adoption aus Gründen des Kindeswohls erforderlich ist. Im konkreten Fall hatte der Eizellenspender aus Deutschland die Vaterschaft anerkannt. Seine empfängnisunfähige Frau hatte, um als rechtliche Mutter gelten zu können, eine Stiefkindadoption beantragt, die ukrainische Leihmutter der Adoption zugestimmt.
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Ihr Markus Jantzer
Brüssel (epd). EU-Staaten, Parlament und Kommission haben in einem Verhandlungsmarathon eine Einigung bei der europäischen Asylreform erreicht. Das teilten das EU-Parlament und der Rat der EU am 20. Dezember in Brüssel mit. Die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) soll Migration in die EU begrenzen und steuern. Der Kompromiss gilt als politische Einigung. Rat und Parlament müssen diesem noch formal zustimmen.
Im Kern geht es um einheitliche Verfahren, schnellere Abschiebungen und mehr Solidarität unter den EU-Staaten. Über viele der Vorschläge streitet die EU bereits seit 2016, ausgelöst durch die Migrationskrise 2015.
„Die Bürger der EU verlangen von ihren Regierungen, mit der Herausforderung der Migration umzugehen, und der heutige Tag markiert einen großen Schritt in diese Richtung“, erklärte der spanische Innenminister Fernando Grande-Marlaska Gómez stellvertretend für die EU-Staaten. Spanien hält derzeit den Vorsitz im Rat der EU, dem Gremium der Mitgliedsstaaten. Auch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen begrüßte den Kompromiss.
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) nannte die Einigung „überfällig“. Zugleich räumte sie ein, dass Deutschland bei den Verhandlungen Ausnahmen für Kinder und Familien bei den Grenzverfahren nicht durchsetzen konnte. „Zur Wahrheit gehört: Jede Einigung in Brüssel ist auch immer ein Kompromiss“, sagte Baerbock in Berlin. Deutschland werde bei der Umsetzung des neuen Asylsystems darauf achten, „dass es fair, geordnet und solidarisch zugeht“.
Europaabgeordnete der Grünen und der Linken kritisierten den Kompromiss scharf. Die Einigung sei „die massivste Verschärfung des Europäischen Asyl- und Migrationsrechts seit Gründung der EU“ und ein „Kniefall vor den Rechtspopulisten in der EU“, erklärte Cornelia Ernst (Linke). Das individuelle Recht auf Asyl sei de facto tot. In wesentlichen Punkten habe das Parlament den Mitgliedsstaaten nachgegeben.
Ein zentrales Element der Reform ist, dass ankommende Asylbewerber mit geringer Bleibechance schneller und direkt von der EU-Außengrenze abgeschoben werden sollen. Dahinter stehen die sogenannten Grenzverfahren. Haben Menschen eine Staatsangehörigkeit, deren Anerkennungsquote für Asyl bei unter 20 Prozent liegt, sollen sie an der Grenze festgehalten werden. Ihr Anspruch auf Asyl soll dann in einem Schnellverfahren geprüft werden. Wer keine Aussicht auf Asyl hat, soll direkt abgeschoben werden. „Künftig werden Asylsuchende an der Grenze inhaftiert, auch bei Familien mit Kindern aller Altersstufen soll das möglich sein“, erläuterte Ernst.
Ein weiterer Baustein ist die Krisenverordnung. Sie regelt, wie EU-Staaten bei einem besonders starken Anstieg der Migration verfahren können. Ankommende dürfen dann zum Beispiel länger an der Grenze festgehalten werden. Deutschland hatte das aufgrund humanitärer Bedenken lange abgelehnt.
An dem Grundsatz, dass der EU-Staat für einen Asylbewerber zuständig ist, in dem dieser angekommen ist (Dublin-Regeln), ändert die Reform nichts. Ein Solidaritätsmechanismus soll überlasteten Staaten an der Außengrenze derweil mit Aufnahmeprogrammen oder Ausgleichszahlungen helfen.
Kommission, Mitgliedsstaaten und Parlament wollen die Asylreform noch vor der Europawahl im Juni 2024 verabschieden. Projekte, die nicht bis zur Wahl verabschiedet wurden, könnten in der nächsten Legislaturperiode infrage gestellt werden.
Nichtregierungsorganisationen sehen die EU-Asylreform kritisch. So erklärte etwa der europäische Caritas-Verband, die Reform werde die Asylproblematik in der EU nicht lösen, aber den Zugang zu Asyl und die Rechte der Schutzsuchenden einschränken.
Der Paritätische Wohlfahrtsverband zeigte sich entsetzt. Hier sei „ein tief inhumaner Asylkompromiss“ geschlossen worden, mit dem Europa weiter nach rechts rücke. „Menschenrechtsfeindliche Haftlager und der Freiheitsentzug Schutzsuchender während des Asylverfahrens drohen mit dieser Reform zur Normalität zu werden. Dass nicht einmal Kinder und ihre Familien geschützt werden, ist schockierend“, kritisierte Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider.
Brüssel (epd). Die Europäische Union (EU) will das Asylsystem grundlegend reformieren. Am 20. Dezember erreichten EU-Staaten, Parlament und Kommission eine politische Einigung. Ein Überblick über Ziele, Vorhaben und Zeitplan:
Die EU streitet seit Jahren über die Ausgestaltung der gemeinsamen Asyl- und Migrationspolitik, besonders über die Verteilung von Schutzsuchenden innerhalb der EU. Die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) soll diesen Streit beenden, Migration in die EU begrenzen und steuern.
Für die Reform legte die aktuelle EU-Kommission unter Ursula von der Leyen 2020 ein umfassendes Gesetzespaket vor, den „Neuen Pakt für Migration und Asyl“. Viele der darin enthaltenen Vorschläge liegen aber bereits seit der Migrationskrise 2015/2016 auf dem Tisch, nur konnte sich die EU bisher nicht darauf einigen.
Das Reformpaket besteht vor allem aus fünf Verordnungen. Sie regeln alle Etappen im Umgang mit Geflüchteten und Migranten: Erfassung, Erstaufnahme, Asylverfahren, Abschiebungen und den Umgang mit Drittstaaten. Grundsätzlich werden die Regeln für Asyl und Migration restriktiver.
EU-Verordnungen müssen nicht mehr in nationales Recht umgewandelt werden, sondern sie gelten unmittelbar in allen EU-Staaten. Verabschiedet die EU also die Asylreform, ersetzen die EU-Verordnungen die deutschen Gesetze zu Asyl und Migration.
Jeder Schutzsuchende muss zunächst ein Screening durchlaufen: Die Identität wird festgestellt, biometrische Daten gespeichert und Sicherheitsprüfungen werden durchgeführt. Dafür müssen die Menschen zunächst in Zentren an der Grenze festgehalten werden. Kritiker befürchten daher systematische Haft an den Außengrenzen. EU-Staaten können das Screening nicht nur an der Grenze durchführen, sondern auch innerhalb ihres Hoheitsgebiets.
Nach dem Screening werden die Menschen entweder in das Asylverfahren weitergeleitet oder in die sogenannten Grenzverfahren. Letztere sind ein zentrales Element der Reform. Asylbewerber mit geringer Bleibechance sollen damit schneller und direkt von der EU-Außengrenze abgeschoben werden. Betroffen sind Menschen, die eine Staatsangehörigkeit haben, deren Anerkennungsquote für Asyl bei unter 20 Prozent liegt. Mit den Schnellverfahren an der Außengrenze geht eine erneute Inhaftierung einer. Deutschland wollte, dass Kinder von den Grenzverfahren ausgenommen werden, setzte sich mit dieser Forderung aber nicht durch. Während der Verfahren gelten die Menschen juristisch als nicht eingereist („Fiktion der Nicht-Einreise“). Das bedeutet, sie haben nicht dieselben Rechte wie Asylbewerber.
Die sogenannte Krisenverordnung ist ein weiterer Baustein des Reformpakets. Sie sieht Sonderregeln für EU-Staaten vor, die unter besonders hohem Migrationsdruck stehen. Zum Beispiel können sie Schutzsuchende dann noch länger an der Außengrenze festhalten. Deutschland hatte auch diese Regelung zunächst wegen humanitärer Bedenken abgelehnt. Kritiker fürchten, die Ausnahmeregeln könnten eine Art Blankoscheck für die Aussetzung der Rechte von Schutzsuchenden sein sowie ein Freibrief für Zurückweisungen an der Grenze, sogenannte Pushbacks.
Innerhalb Deutschlands richtet sich die Aufnahmequote für ein Bundesland nach dem sogenannten Königsteiner Schlüssel. Auf europäischer Ebene fehlt ein solches Instrument. Daran ändert auch die aktuelle EU-Asylreform nichts. Gemäß den neuen Regeln ist grundsätzlich weiterhin das EU-Land für einen Asylbewerber zuständig, in dem dieser zuerst europäischen Boden betreten hat. Zusätzlich ist ein EU-Solidaritätsmechanismus geplant. Dieser soll insbesondere die EU-Staaten an der Außengrenze entlasten und Schutzsuchende innerhalb der EU umverteilen. Länder, die keine Personen aufnehmen wollen, sollen aber auch Ausgleichszahlung leisten können.
Ziel ist es, die EU-Asylreform vor der Europawahl 2024 zu verabschieden. Nach der politischen Einigung zwischen EU-Staaten, EU-Kommission und EU-Parlament müssen die Gesetzestexte noch im Detail ausgearbeitet werden. Anschließend bestätigen EU-Staaten und Parlament die Einigung. Das gilt normalerweise als Formalität.
Osnabrück (epd). Der Osnabrücker Migrationsforscher Jochen Oltmer beurteilt die Einigung der EU-Staaten auf eine Asylreform skeptisch. Die Grundprobleme, etwa die Überlastung der europäischen Grenzstaaten, blieben bestehen oder verschärften sich sogar noch, sagte Oltmer dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Deshalb ist nicht davon auszugehen, dass die nun beschlossenen Grenzverfahren in absehbarer Zeit schnell und reibungslos funktionieren werden.“
Er befürchte, dass es in den geplanten Inhaftierungslagern zu ähnlich katastrophalen Verhältnissen wie im Lager Moria kommen werde, sagte der Historiker am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien der Universität Osnabrück. „Es läuft alles darauf hinaus, dass sie schnell hoffnungslos überfüllt sein werden.“ In dem für 2.800 Personen konzipierten Lager auf der griechischen Insel Lesbos lebten zwischen 2015 und 2020 zeitweilig 20.000 Menschen.
EU-Staaten, Parlament und Kommission einigten sich am 20. Dezember auf eine massive Verschärfung des Asylrechts. Ein zentrales Element der Reform ist, dass ankommende Asylbewerber mit geringer Bleibechance schneller und direkt von der EU-Außengrenze abgeschoben werden sollen. Menschen mit ungünstiger Asyl-Perspektive sollen in Lagern inhaftiert werden. Ihr Anspruch auf Asyl soll dann direkt vor Ort und innerhalb von zwölf Wochen in einem Schnellverfahren geprüft werden. Wer keine Aussicht auf Asyl hat, soll direkt abgeschoben werden.
Oltmer sagte, in den europäischen Grenzstaaten wie Italien oder Griechenland laufe das Asylsystem aufgrund der Überlastung kaum noch in geregelten Bahnen. „Wie soll das funktionieren, wenn diese Staaten jetzt auch noch beschleunigte Grenzverfahren in den Inhaftierungslagern organisieren sollen?“ Auch für eine schnelle Rückführung abgelehnter Asylbewerber sehe er keine realistische Perspektive, sagte der Historiker. „Wir sehen doch seit Jahren, dass Abkommen mit potenziellen Aufnahmestaaten wie zuletzt etwa Tunesien nicht zum Ziel führen.“
Er kritisierte, dass die Reform an dem Grundsatz, wonach der Staat der Ersteinreise in die EU für einen Asylbewerber zuständig ist (Dublin-Regeln), nichts ändere. Die Verteilung der Schutzsuchenden mit Bleibeperspektive auf andere EU-Staaten funktioniere seit Jahren nicht. Die Neuregelung erlaube den Staaten erneut, sich durch Geldzahlungen oder Stellung von Grenzschutzbeamten aus der Verantwortung zu kaufen.
Berlin (epd). Die Ampel-Fraktionen im Bundestag haben sich über die Gesetze für schnellere Abschiebungen und die Modernisierung des Staatsbürgerschaftsrechts verständigt. Die Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich (SPD), Britta Haßelmann und Katharina Dröge (Grüne) sowie Christian Dürr (FDP) gaben die Einigung am 20. Dezember in Berlin bekannt, nannten aber zunächst keine Details. Die Gesetze könnten im Januar 2024 vom Bundestag beschlossen werden, erklärten sie.
Der Bundestag hatte die Gesetzentwürfe von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) Ende November erstmals beraten. Dabei war deutlich geworden, dass es innerhalb der Ampel-Koalition noch Unstimmigkeiten gab, vor allem zwischen Grünen und FDP.
Beim Einbürgerungsrecht setzte die FDP ihre Position durch, wonach der Bezug von Sozialleistungen eine Einbürgerung verhindert. Ausnahmen soll es nur für die Gastarbeitergeneration geben. Die Grünen wollten hingegen, dass die bisherigen Ausnahmeregelungen für behinderte Menschen und Alleinerziehende erhalten bleiben. Damit konnten sie sich laut dem stellvertretenden FDP-Fraktionsvorsitzenden Konstantin Kuhle nicht durchsetzen: Es bleibe dabei, dass die Einbürgerungswilligen ihren Lebensunterhalt ohne Bezug von Sozialleistungen bestreiten können müssen, erklärte Kuhle nach der Einigung.
Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, Konstantin von Notz, sprach in diesem Zusammenhang von „durchaus schmerzhaften Kompromissen, die auch neue Härten für die betroffenen Menschen bedeuten können“. Er betonte, die Grünen hätten beim Rückführungsgesetz Verbesserungen erreicht. Menschen in Abschiebehaft werde grundsätzlich eine fachlich fundierte Beratung zur Seite gestellt. Außerdem habe man sich im Zusammenhang mit der schärferen Verfolgung von Schleusern auf eine Formulierung verständigt, die klarstelle, dass die Seenotrettung „auch in Zukunft nicht kriminalisiert“ werde, erklärte von Notz. Aus der FDP wurde dies bestätigt.
Das Gesetz zur Verbesserung von Rückführungen sieht unter anderem vor, die Höchstdauer des Ausreisegewahrsams von 10 auf 28 Tage zu verlängern, Abschiebungen nicht mehr vorab anzukündigen und die Befugnisse der Polizei bei Durchsuchungen in Gemeinschaftsunterkünften zu erweitern. Asylbewerber sollen 36 Monate statt 18 Monate lang die niedrigeren Asylbewerberleistungen erhalten.
Die Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts soll Einbürgerungen erleichtern und doppelte Staatsbürgerschaften zulassen. Die Wartezeit auf eine Einbürgerung wird von acht auf fünf Jahre gesenkt. Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Dirk Wiese erklärte, man sende ein starkes Signal an Millionen von Menschen, dass sie in Deutschland dazu gehörten und mitbestimmen könnten. Er betonte aber auch, dass jede Form der Menschenfeindlichkeit künftig einer Einbürgerung entgegenstehe.
In beide Gesetzentwürfe wurden im Verlauf der rund dreiwöchigen Verhandlungen zwischen den Koalitionspartnern verschärfte Vorschriften gegen Antisemitismus sowie rassistische und andere menschenverachtende Straftaten aufgenommen. FDP-Fraktionsvize Kuhle erklärte, sie begründeten „ein schweres Ausweisungsinteresse“, sollen also schneller zu Ausweisungen führen.
Im Einbürgerungsrecht sind diese Ausschlussgründe Kuhle zufolge ebenfalls verschärft worden. Von den Kandidatinnen und Kandidaten für einen deutschen Pass soll verlangt werden, dass sie sich als Folge der historischen Verantwortung Deutschlands zum Schutz jüdischen Lebens bekennen sowie zum friedlichen Zusammenleben der Völker und dem Verbot eines Angriffskriegs. Damit sollen Einbürgerungen von Russen, die hinter Präsident Wladimir Putin stehen, eingeschränkt werden.
Schwerin (epd). Die Polizei Schwerin hat am 20. Dezember ein Kirchenasyl wegen einer geplanten Abschiebung gebrochen. Zwei afghanische Männer im Alter von 18 und 22 Jahren sollten abgeschoben werden. Weil die Situation vor Ort eskalierte und Hinweise auf eine Selbstgefährdung vorlagen, verschaffte sich die Polizei laut Mitteilung Zutritt zur Wohnung. Die Abschiebung wurde abgebrochen.
Der Flüchtlingsrat Mecklenburg-Vorpommern kritisierte das Vorgehen der Polizei scharf. „Das allererste Mal wurde in Mecklenburg-Vorpommern die rote Linie überschritten und durch Polizei ein Kirchenasyl gebrochen“, teilte er mit. Die Flüchtlingsbeauftragte der evangelischen Nordkirche, Dietlind Jochims, kritisierte die versuchte Abschiebung aus dem Kirchenasyl als „beschämend und mit Grundsätzen der Menschenrechte unvereinbar“.
Jochims, die außerdem Vorstandsvorsitzende der Ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche ist, sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), es sei ihr unverständlich, wie die Behörden mit der betroffenen geflüchteten Familie aus Afghanistan umgegangen seien und bislang respektierte Schutzräume wie das Kirchenasyl missachtet hätten.
Laut dem Flüchtlingsrat sollten die zwei erwachsene Söhne einer sechsköpfigen afghanischen Familie getrennt nach Spanien abgeschoben werden. Laut Polizei befanden sich die 47-jährige Mutter, der 49-jährige Vater, die zwei erwachsenen Söhne sowie der 10-jährige Sohn und die 13-jährige Tochter in der Wohnung. Das Kirchenasyl bestand laut Nordkirche seit 15. Dezember. Wie es gängige Praxis sei, habe die evangelische Gemeinde alle zuständigen Behörden darüber informiert, hieß es.
Der 22-jährige Sohn, der sich nach bisherigen Erkenntnissen in der Wohnung vor dem Zugriff der Polizei selbst verletzt hat, befindet sich laut Polizei aktuell ebenso in medizinischer Behandlung wie die Mutter. Die 47-Jährige habe durch Androhung von Gewalt gegen sich und ihre Kinder versucht, die Maßnahmen zu vereiteln. Eine Polizeisprecherin sagte, aus der Wohnung sei ein Klirren zu hören gewesen, daraufhin seien Beamte in die Räume eingedrungen.
Die angeforderten Spezialeinheiten der Landespolizei hätten deeskalierend auf die Frau einwirken können, hieß es. Bei der Durchsuchung der Familie seien bei der Mutter, dem 22-jährigen Sohn und der Tochter Messer versteckt am Körper gefunden worden. Gegen die Mutter seien Strafverfahren wegen Bedrohung und Nötigung eingeleitet worden. Weitere Personen oder Einsatzkräfte seien nicht verletzt worden.
Nach Information von Polizei und Flüchtlingsrat wurde die Abschiebung im Zuge des Polizeieinsatzes zunächst ausgesetzt. Beide Männer wurden zunächst nicht abgeschoben. Über das weitere Vorgehen müsse die Ausländerbehörde in Kiel entscheiden, teilte die Polizei mit.
Wie die Pastorin Jochims mitteilte, handelt es sich bei der 47-jährigen Mutter um eine bekannte Frauenrechtlerin und Journalistin, die in ihrer Heimat nach der Machtübernahme der Taliban massiv bedroht worden sei. Über das Aufnahmeprogramm für Afghanistan des Bundesinnenministeriums und des Auswärtigen Amtes sei der Familie zunächst eine Aufnahme in Deutschland zugesichert worden. Die Visumserteilung habe sich laut Jochims massiv verzögert.
Da das Leben der Familie in Afghanistan zusehends gefährdet gewesen sei und sie dringend medizinische Behandlung benötigt habe, floh sie in den Iran. Von dort aus sei die Familie mit einem spanischen Visum nach Europa gelangt. „Es ist ein Armutszeugnis für die Behörden, dass die Visa-Formalitäten viel zu schleppend angesichts der Lebensgefahr für die Familie bearbeitet worden sind“, kritisierte Jochims. Es sei augenscheinlich, dass es das Kirchenasyl nicht gebraucht hätte, wenn die deutschen Behörden ihre Arbeit gemacht hätten, betonte sie.
Die Schweriner Bischöfin Nora Steen appellierte an alle zuständigen Behörden, „den Schutzraum Kirchenasyl zu achten“. Solch eine bedrohliche und eskalierende Situation habe diese Familie „massiv retraumatisiert“ und sei „unzumutbar“, sagte sie.
Bereits im Juli hatte ein Fall aus Viersen für Schlagzeilen gesorgt. Das Ausländeramt der Stadt Viersen hatte ein irakisches Ehepaar bei einer unangekündigten Hausdurchsuchung am 10. Juli in Haft genommen. Das Ehepaar sollte danach vom Flughafen Düsseldorf aus nach Polen gebracht werden, weil es dort nach der Ankunft in der EU seinen Asylantrag gestellt hatte. Wegen eines Zusammenbruchs der Ehefrau wurde die Rücküberstellung aber abgebrochen, das Paar kam in Abschiebehaft. Später wurde die Abschiebung aus formalen Gründen abgesagt.
Berlin (epd). Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will die Handlungs- und Entscheidungsspielräume von Pflegekräften gesetzlich erweitern. Er stellte am 19. Dezember in Berlin Eckpunkte für ein „Pflegekompetenzgesetz“ vor, mit dem Fachkräften mehr Verantwortung übertragen würde. Ziel ist es, die Abhängigkeit von Ärztinnen und Ärzten zu verringern, Arbeitsabläufe flüssiger zu machen und das Ansehen und die Attraktivität des Berufs zu erhöhen.
Ein Gesetzentwurf soll nächstes Jahr folgen und nach Lauterbachs Worten möglichst im ersten Halbjahr 2024 im Bundestag beschlossen werden. Lauterbach sagte: „Pflegefachkräfte können mehr, als sie dürfen.“ Er kündigte ein „ehrgeiziges Gesetz“ an und machte deutlich, dass ohne die Reform der Personalmangel in der pflegerischen Versorgung noch stärker durchschlagen werde: „Wir werden in allen Bereichen eine Unterversorgung haben“, sagte Lauterbach. „Wir können es uns nicht leisten, Potenzial liegenzulassen.“
Die Erweiterung der Kompetenzen im beruflichen Alltag richtet sich nach der Ausbildung. Es gehe um vier Gruppen, sagte der Minister: examinierte Pflegekräfte, examinierte Pflegekräfte mit einer Zusatzausbildung sowie studierte Fachkräfte mit Bachelor- oder Masterabschluss. Ein Beispiel: Hat eine Pflegekraft eine Zusatzausbildung zu Diabetes, soll sie künftig über die erforderliche Pflege entscheiden, sie ausführen und auch Insulin verordnen können, wenn wieder welches gebraucht wird.
Heute schreiben die Ärzte die Rezepte. Das hält die Pflegekräfte auf und bedeutet in der häuslichen Pflege für Angehörige von Pflegebedürftigen, dass sie zwischen Arztpraxis und Pflegedienst hin- und herlaufen. Lauterbach verwies auf die elektronische Patientenakte und das elektronische Rezept, das ab Januar 2024 verpflichtend wird. Das werde auch zu Vereinfachungen führen, sagte er.
Pflegekräfte sollen außerdem mehr Leitungsverantwortung übernehmen, etwa in Gesundheitskiosken oder Krankenhäusern der Grundversorgung. In Modellprojekten soll ausprobiert werden, ob sie in Heimen anstelle des Medizinischen Dienstes die Anpassung von Pflegestufen übernehmen können.
Die politische Vertretung der Pflege auf Bundesebene soll verbessert werden. Die Präsidentin des Deutschen Pflegerates, Christine Vogler, sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), die Eckpunkte enthielten das, was Berufsverbände seit Jahren forderten: „Jeder einzelne Punkt ist ein Schritt in die richtige Richtung“, lobte Vogler. Weil es sich um Eckpunkte handele, wisse man allerdings noch nicht, wie das geplante Gesetz aussehe und sich in der Praxis auswirken werde. „Beeindruckend“ sei aber die neue Haltung des Bundesgesundheitsministeriums zur Pflege, sagte Vogler: „Das hatten wir in der Form noch nie.“
Die Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, Claudia Moll (SPD), begrüßte die angekündigte Reform ebenfalls. Wenn Pflegekräfte mehr Handlungsspielraum bekämen, diene dies der Versorgungsqualität und der Berufszufriedenheit gleichermaßen, erklärte sie.
Der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, der, wie auch Krankenhausvertreter und die Kassenärzte an den Gesprächen im Bundesgesundheitsministerium teilgenommen hatte, betonte, Ärzte und Pflege seien auf eine gute Zusammenarbeit angewiesen. Bisher hätten sich beide Seiten oft misstrauisch gegenübergestanden. „Die Notwendigkeit der Reform steht nicht in Frage“, sagte Reinhardt. Zustimmung kam auch von Krankenkassen wie etwa der AOK.
Der Katholische Krankenhausverband Deutschland begrüßte die Vorschläge. Verbandsgeschäftsführerin Bernadette Rümmelin, sagte, für eine hochwertige Patientenversorgung und attraktive Arbeitsbedingungen in der Pflege im Krankenhaus sei es notwendig, „den Pflegefachpersonen den Handlungsspielraum zu geben, den sie schon jetzt ausfüllen können. Das vorliegende Kurzpapier ist ein guter und wichtiger Schritt auf diesem Weg.“
Berlin (epd). Der Beitragssatz in der gesetzlichen Rentenversicherung beträgt ab dem 1. Januar 2024 weiterhin 18,6 Prozent in der allgemeinen Rentenversicherung. Auf 66 Jahre steigt zu Beginn des nächsten Jahres die reguläre Altersgrenze. Dies gilt für Versicherte, die 1958 geboren wurden. Für diejenigen, die später geboren wurden, erhöht sich das Eintrittsalter in Zwei-Monats-Schritten bis 2031 weiter. Dann ist die reguläre Altersgrenze von 67 Jahren erreicht.
Bei der als „Rente ab 63“ bezeichneten Altersrente für besonders langjährig Versicherte steigt die Altersgrenze auf 64 Jahre und vier Monate. Sie kann in Anspruch nehmen, wer mindestens 45 Jahre in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert war. Eine vorzeitige Inanspruchnahme, auch mit Abschlägen, ist für diese Rentenart nicht möglich.
Wer mindestens 35 Jahre in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert war, kann ab einem Alter von 63 Jahren die Altersrente für langjährig Versicherte beziehen. Die Altersrente ist mit einem Abschlag verbunden. Dieser beträgt 0,3 Prozent je Monat, den die Rente vor Erreichen des regulären Rentenalters bezogen wird. Für Versicherte des Jahrgangs 1961, die im kommenden Jahr 63 werden, beträgt der Abschlag bei einem Rentenbeginn mit 63 Jahren 12,6 Prozent.
Die Höhe einer Erwerbsminderungsrente berechnet sich aus den bisher zurückgelegten Versicherungszeiten. Zusätzlich werden erwerbsgeminderte Menschen durch die sogenannte Zurechnungszeit so gestellt, als hätten sie mit ihrem bisherigen durchschnittlichen Einkommen weitergearbeitet und Beiträge gezahlt. Dadurch erhalten sie eine höhere Rente. Bei einem Rentenbeginn im kommenden Jahr endet die Zurechnungszeit mit 66 Jahren und einem Monat.
Die Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung steigt 2024 in den alten Bundesländern von monatlich 7.300 Euro auf 7.550 Euro und in den neuen Bundesländern von monatlich 7.100 Euro auf 7.450 Euro. Sie bestimmt den Höchstbetrag, bis zu dem Arbeitseinkommen bei der Berechnung des Rentenversicherungsbeitrags berücksichtigt wird. Für darüberhinausgehendes Einkommen werden keine Beiträge gezahlt.
Der monatliche Mindestbeitrag für die freiwillige Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung steigt ab 1. Januar 2024 von 96,72 Euro auf 100,07 Euro. Der Höchstbetrag steigt von 1.357,80 Euro auf 1.404,30 Euro im Monat. Freiwillige Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung können Menschen zahlen, die ihren Wohnsitz in Deutschland haben, mindestens 16 Jahre alt sind und in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht pflichtversichert sind. Unter den genannten Voraussetzungen ist die Zahlung freiwilliger Beiträge für Deutsche mit Wohnsitz im Ausland ebenfalls möglich. Ausgeschlossen von der freiwilligen Versicherung sind Personen, die die Regelaltersgrenze erreicht haben und eine volle Altersrente beziehen. Für die freiwillige Versicherung gelten in den alten und neuen Bundesländern keine Unterschiede.
Wer 2024 neu in den Ruhestand geht, muss einen höheren Anteil seiner Rente versteuern. Ab Januar 2024 steigt der steuerpflichtige Rentenanteil von 83 auf 84 Prozent. Somit bleiben 16 Prozent der ersten vollen Bruttojahresrente steuerfrei. Bestandsrenten sind hiervon nicht betroffen.
Sulzberg (epd). Es dauert einige Momente, bis Paula Ritter die Tür öffnet. Die 89-Jährige ist langsam zu Fuß. Seit einigen Monaten ist sie auf einen Rollator angewiesen. „Sie kommen immer, wenn ich mir gerade die Haare mache“, sagt die 89-Jährige und lacht.
Vor der Tür steht Veronika Widmann. Die ehrenamtliche Helferin engagiert sich seit eineinhalb Jahren bei der „Kümmerei“, einer Initiative im bayerischen Sulzberg, die Seniorinnen und Senioren mit Essen beliefert. Heute gibt es Pasta mit Tomatensoße, Feta und Oliven. Ritter bittet Widmann herein und setzt sich.
„Und was macht der Blutdruck?“, fragt Widmann. Die beiden unterhalten sich über Kinder und Enkel, über Ausflüge der Kümmerei und über andere Senioren im Ort. „Es tut gut, jemanden zum Reden zu haben“, sagt Ritter. Sie ist dankbar für das Angebot der Kümmerei. „Ich habe früher selbst sehr viel und gerne gekocht“, sagt sie. „Vor allem für meine Enkel, wenn sie nach der Schule nach Hause kamen.“ Heute lasse ihre Gesundheit das nicht mehr zu.
Ritter hat vier erwachsene Kinder, zehn Enkelkinder und fünf Urenkel. Alle wohnen mehr oder weniger in der Nähe. Besuch bekomme sie daher häufig. Ob sie sich dennoch manchmal einsam fühlt? „Ja, gerade an den Feiertagen“, sagt sie. Manchmal feiere sie mit ihrer Familie. Doch nicht immer funktioniere das.
In der Adventszeit gab es beim Seniorentreff der Kümmerei Kaffee und Kuchen, eine der Ehrenamtlichen spielte Gitarre und stimmte mit ruhigen, besinnlichen Weihnachtsliedern auf die festlichen Tage ein. Ritter geht gerne zu dem Treff. „Dann komme ich auch mal wieder raus.“
Einsamkeit ist ein zunehmendes Problem, beobachtet Helmut Kneppe, Vorstandsvorsitzender des Kuratoriums Deutsche Altershilfe (KDA). „Einsamkeit ist ein Zukunftsthema“, sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd). Rund 40 Prozent der Haushalte seien Singlehaushalte. Hinzu komme, dass jetzt die Generation der Babyboomer in den Ruhestand wechselt.
Laut einer Forsa-Umfrage aus dem Jahr 2021 fühlen sich 22 Prozent der befragten Älteren häufig oder zumindest hin und wieder einsam. Ein Zustand, gegen den etwas getan werden müsse, sagt Kneppe. „Angesichts einer zunehmend individualisierten und digitalen Gesellschaft müssen wir Konzepte entwickeln, die das Wir stärken.“
Die Kümmerei in Sulzberg bietet verschiedene Veranstaltungen an, die Menschen zusammenbringen sollen, sowie eine App, unter der sich Senioren melden können, wenn sie jemanden zum Reden brauchen oder Hilfe benötigen, etwa beim Einkauf oder bei Arztterminen. „Es gibt hier aber auch sicherlich Barrieren. Niemand gibt gerne zu, dass er einsam ist“, sagt Widmann, die sich seit eineinhalb Jahren ehrenamtlich bei der Kümmerei engagiert. „Ich helfe immer montags. Seit meiner Rente habe ich Zeit dafür“, sagt die 69-Jährige.
Claudia Ammedick-Naumann ist eine der Initiatorinnen der Kümmerei. „Die Idee einer Nachbarschaftsinitiative hat sich vor zwei Jahren ergeben und wurde vom Seniorenbeauftragten der Gemeinde, Manfred Herb, ins Leben gerufen. Seitdem arbeiten wir daran, das Angebot stetig auszubauen“, sagte sie dem epd. Inzwischen engagieren sich bei der Nachbarschaftsinitiative rund 40 Ehrenamtliche, sie werden „Kümmerer“ genannt.
Auch in anderen Städten in Deutschland haben es sich Initiativen zur Aufgabe gemacht, der Einsamkeit an den Feiertagen entgegenzuwirken. So auch der Verein „Wege aus der Einsamkeit“, der am ersten Weihnachtsfeiertag zu einem digitalen Zoommeeting mit Musik, Kurzgeschichten und Spielen einlädt. Interessenten können sich per E-Mail anmelden.
Auch das Projekt „Keine(r)BleibtAllein“, eine Informationsplattform über Einsamkeit und Alleinsein für junge Erwachsene und Menschen mittleren Alters, bringt an den Feiertagen Menschen zusammen. Dort können sich sowohl mögliche Gastgeber als auch Gäste, die Gesellschaft suchen, melden. Damit die besinnlichen Weihnachtsfeiertage nicht stiller werden als gewollt.
Diez (epd). Martin hat sein Fenster mit Tannenzweigen, Schoko-Nikoläusen und Weihnachtskarten dekoriert. Sie lenken ab von den schweren Gitterstäben, die direkt hinter seinem Fenster sichtbar sind. Martin ist Gefangener in der Justizvollzugsanstalt (JVA) im rheinland-pfälzischen Diez an der Lahn. Fünfeinhalb Jahre muss er absitzen, weil er Geld veruntreut hat.
Martin verbringt zum vierten Mal Heiligabend hinter Gittern. „Mein erstes Weihnachten in Haft war eine Katastrophe“, erinnert sich der 49-Jährige. Auch jetzt kämen immer wieder die Gedanken an seine Frau und die Freunde hoch und die Frage, wie es ihm heute gehen würde, wenn alles anders gelaufen wäre.
Die Stimmung in der JVA an Weihnachten sei angespannt, sagt Martin. „Da sind viele Gefangene dünnhäutiger als sonst.“ Martin ist Sportwart in der Sporthalle der JVA. Die Gefängnisleitung hat entschieden, dass über die Feiertage die Sporthalle geöffnet bleibt. Eine gute Entscheidung, findet Martin. So hätten die Gefangenen ein Ventil, um Dampf abzulassen.
Martin ist auch Küster im Kirchenraum der JVA. Zusammen mit zwei anderen Inhaftierten hilft er den Gefängnisseelsorgern, den Gottesdienst vorzubereiten. Dekorieren, Beamer aufbauen, Kerzen anzünden: Das sind die Aufgaben der Küster. Claudia Gierke-Heinrich ist die evangelische Gefängnisseelsorgerin in Diez. Täglich spricht sie mit Inhaftierten oder jenen Gefangenen, die in der Sicherungsverwahrung untergebracht sind. Auch sie merkt, dass Weihnachten eine besonders schwierige Zeit für die Gefangenen ist, wie sie sagt.
An Heiligabend feiert Gierke-Heinrich zusammen mit den Insassen um 13 Uhr Gottesdienst. An normalen Sonntagen kommen zwischen 55 und 60 der rund 500 Gefangenen und Sicherheitsverwahrten, an Weihnachten rechnet die Pfarrerin mit doppelt so vielen Besuchern. Der Gottesdienst an Heiligabend sei für viele Gefangene ein Highlight, sagt Martin. Auch für ihn.
„Zur Realität gehört aber auch: Um 15.15 Uhr ist Schluss. Und dann gehen die Türen zu“, sagt Martin. Danach müsse jeder Gefangene den restlichen Heiligen Abend mit sich selbst verbringen. Das sei besonders schwer. Denn wenn die Menschen draußen sich langsam auf den Weg Richtung Gottesdienst machen oder sich um den Tannenbaum im Wohnzimmer versammeln, sitze der Gefangene allein in seiner Zelle. „Einsamkeit ist immer ein großes Thema im Gefängnis“, sagt er.
In den vergangenen Jahren hat er sich gut verhalten. Deshalb hat Martin einen Haftraum in einem Gefängnisflügel, in dem Gefangene mehr Privilegien haben. Drei Regale hat Martin. Normalerweise habe man nur eins, sagt er. Außerdem dürfe er täglich 15 Minuten zu vorher festgelegten Nummern telefonieren. „Das hört sich nicht viel an“, sagt er. Eine Viertelstunde am Tag mit der eigenen Frau sprechen zu können, klinge wenig, sei aber tatsächlich sehr viel Zeit. Dafür ist Martin dankbar.
Martin und andere Gefangene dürfen im Monat zweimal Besuch im Besuchsraum empfangen und zweimal für 30 Minuten skypen. Das sei wichtig, um den Anschluss an Zuhause nicht zu verlieren. „Du siehst das Haus, den Garten. Das ist etwas Schönes“, sagt Martin.
Pforzheim (epd). Neugierig und mit leuchtenden Augen blicken die Mädchen und Jungen durch die Glastür der Pforzheimer Kita Irenicus. Im Eingangsbereich funkeln die Lichter des Weihnachtsbaumes. Auch wenn es in der Adventszeit überall in der Stadt glänzt und glitzert: Für manche der Kinder ist ein geschmückter Baum etwas ganz Besonderes, denn sie stammen aus einer muslimischen oder jesidischen Familie und kennen von zu Hause keinen Christbaum.
Die Kita Irenicus ist interreligiös, hier spielen jesidische, jüdische, muslimische, christliche und konfessionslose Kinder miteinander. Sie lernen die Bräuche verschiedener Religionen kennen, erleben Vielfalt und Toleranz. Das Konzept gilt als bundesweit einzigartig, auch weil die Einrichtung von verschiedenen Konfessionen und Religionen getragen wird.
Damit der funkelnde Baum auch schön geschmückt werden kann, wird in der gelben Gruppe mit Begeisterung gebastelt. Die Kinder verarbeiten weiße Modelliermasse zu Anhängern. Sie stechen Herzen, Sterne oder Monde aus, verzieren sie mit bunten Steinchen und pinkfarbenen Glitzerstaub - das Lachen ist groß, weil immer wieder Glitzer im Gesicht oder in den Haaren landet.
„Alle Feste können wir natürlich nicht feiern“, erklärt Leiterin Natalie Pilarek. Damit sich aber alle Kinder willkommen fühlten, würden jedes Jahr wechselnd zwei Feste der verschiedenen Religionen ausführlicher gewürdigt. Das komme nicht nur bei Kindern gut an, sondern auch bei den Eltern. Für viele sei es eine befreiende Erfahrung, dass ihre Religion und Kultur so anerkannt würden, sagt die Pädagogin.
Ein Highlight war in diesem Jahr der Besuch des Nikolaus am 6. Dezember, den manche Kinder das erste Mal erlebt haben. Eine lange Schlange bildet sich, als der Nikolaus die Kleinen segnet. „Ich möchte, dass er nächstes Jahr wiederkommt“, wünscht sich ein Mädchen und hält stolz ein mit Mandarine und Schokolade gefülltes Tütchen in der Hand.
Doch nicht nur Nikolaus und Weihnachten werden in der Kita gefeiert: In den Dezember fallen auch das achttägige jüdische Lichterfest Chanukka und Ida Ezi. Es ist das Fest der Jesiden zu Ehren Gottes als dem allmächtigen Schöpfer und ihr wichtigster religiöser Feiertag.
Der interreligiöse Aspekt sei auch ein Beitrag zum gesellschaftlichen Frieden in der Stadt, sagt Kita-Geschäftsführerin Sabine Jost: „Wir brauchen solch ein Angebot, weil in manchen Pforzheimer Kitas 90 Prozent der Kinder einen Migrationshintergrund haben.“
Vor dem vegetarischen Mittagessen wird ein Gebet gesprochen. Welches das ist, darf eines der Kinder erwürfeln. Es nimmt einen hölzernen Gebetswürfel in die Hand, auf dem Gebete verschiedener Religionen stehen: ein Dank für die tägliche Nahrung aus Christentum, Judentum, Islam, Hinduismus, Buddhismus.
Gelegentlich gibt es den Einwand, dass kleine Kinder die Unterschiede verschiedener Glaubensrichtungen nicht verstehen könnten und überfordert seien. Dies weist der evangelische Religionspädagoge Friedrich Schweitzer von der Universität Tübingen entschieden zurück. Seit der Eröffnung im März 2020 begleitet der Professor die Kita wissenschaftlich.
Schon die Kleinsten seien offen und neugierig gegenüber anderen Menschen, sagt er: „Heute ist es normal, dass Kinder verschiedener Religionen gemeinsam eine Kita besuchen.“ Deshalb sei es wichtig, die Unterschiede kindgerecht zu erklären. „Das Schöne ist, Kinder haben fast nie Vorurteile“, hat der Wissenschaftler festgestellt. So könne ein respektvolles und friedliches Miteinander nicht nur in der Kita, sondern auch später in „unserer multireligiösen Gesellschaft gelingen“.
Ein entscheidender Vorteil sei dabei das Team aus christlichen und muslimischen Fachkräften sowie einer jesidischen Erzieherin. Besonders wertvoll ist es nach Worten des Wissenschaftlers, dass auch die jüdische Gemeinde beteiligt sei. Gemeinsame Träger der Kita sind die evangelische und katholische Kirche, die Jüdische Gemeinde, das Bündnis unabhängiger Muslime im Enzkreis, das Ezidische Zentrum in Baden-Württemberg und die antiochenisch-orthodoxe Gemeinde.
Der Vorsitzende der Israelitischen Religionsgemeinschaft Baden, Rami Suliman, lobt den bundesweiten Vorbildcharakter der Kindertagesstätte. Dass derzeit noch keine jüdischen Kinder die Kita besuchten, liege nicht etwa am Konzept, sondern vielmehr daran, dass die jüdische Gemeinde Pforzheim sehr klein und weit verstreut sei, betont er.
Ob jüdischer Davidstern, christliches Kreuz, islamischer Halbmond oder jesidischer Pfau: Die Bilder an den Wänden greifen Symbole der Religionen auf. Auf den religionsverbindenden Aspekt weist schon der Name der Kindertagesstätte hin: Das Wort „Irenicus“ ist griechisch und bedeutet „friedlich“.
Eine bunte Friedenstaube ziert deshalb auch die gläserne Eingangstür. Und der Weihnachtsbaum ist mit gefalteten, bunten Papiertauben geschmückt. „Unser Wunsch ist es, dass alle Menschen gemeinsam in Frieden leben“, sagt Kita-Leiterin Pilarek.
Freiburg/Heilbronn (epd). Der Freier fiel brutal über sie her und vergewaltigte sie. Anna (Name geändert) gelang es gerade noch, mit ihrem Handy eine Tonaufnahme zu machen, um nachher wenigstens etwas in der Hand zu haben. Sie rief eine Freundin an, ging sofort zur Polizei und zum Arzt. „Sie hat alles richtig gemacht, und der Mann wurde letztlich auch verurteilt“, sagt Mahita Massaro von der Fachberatungsstelle „Prostitution - Integration - Neustart - Know-how“ (PINK) im Diakonischen Werk Freiburg. Aber der Weg dorthin sei äußerst steinig gewesen. Als Sexarbeiterin wurde sie von Behörden und vor Gericht „nicht wertschätzend behandelt“.
Polizeilich erfasst sind in Baden-Württemberg für das Jahr 2022 gerade mal 40 Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung weiblicher Prostituierter sowie 126 Rohheitsdelikte und Delikte gegen die persönliche Freiheit. „Während unserer aufsuchenden Arbeit und Beratungen in unseren Räumen hat uns bisher keine Frau von einer Gewalterfahrung berichtet“, erklären Tanja Wöhrle und Maren Kuwertz von der ela-Beratung für Menschen in Prostitution des evangelischen Diakonieverbands Ulm/Alb-Donau.
„Es ist immer wieder ein Thema“, sagt dagegen Kathrin Geih, Sozialarbeiterin und stellvertretende Abteilungsleiterin bei der Mitternachtsmission der Diakonie Heilbronn: „Manchmal reden Frauen von sich aus darüber, aber wir sprechen es auch proaktiv an, ermutigen Frauen, sich zu überlegen, worauf sie sich einlassen möchten, und, auf ihr Bauchgefühl zu hören.“ Prostituierte hätten oft nicht die Kraft und den Willen, sich gegen erlittenes Unrecht zur Wehr zu setzen, manchmal aus Sorge vor Stigmatisierung oder aus Scham. Zudem führe eine Strafverfolgung wegen Gewalt durch Zuhälter oder Freier selten zum Erfolg.
„Die Frauen sind oft schlecht erreichbar, werden häufig versetzt“, weiß Neele Petikis, die für den Fachdienst Rahab im Kreis-Diakonieverband Esslingen Prostituierte aufsucht und berät. Es brauche zudem viel Zeit, um Vertrauen zu ihnen aufzubauen. Das Thema Gewalt komme daher erst nach längerer Zeit zur Sprache. „Und wenn, dann erzählen sie eher von früheren Erfahrungen, dem Leid, das sie in der Kindheit erlebt haben, in einer Partnerschaft oder als Prostituierte in einem anderen Land. Und selbst das geschieht eher in Andeutungen“, berichtet Petikis. Ihre momentane Situation zu thematisieren, sei für viele schwer aushaltbar.
Deutliche Worte findet Dörte Christensen vom Verein Arkade, der im Raum Friedrichshafen und Ravensburg für Frauen im Rotlichtmilieu da ist, die sonst nirgends eine Anlaufstelle hätten: „Sie sind oft in einer unterlegenen Position und erleben sehr viel Gewalt - sowohl psychisch als auch körperlich. Sie leben tagtäglich damit. Viele werden nach ein paar Jahren psychisch krank, entwickeln Traumata oder flüchten in Drogen und Alkohol.“
Einig sind sich die befragten Beratungsstellen, die ein Sexkaufverbot als nicht zielführend ansehen, dass dringend ein niedrigschwelliges und flächendeckendes Beratungsangebot gebraucht wird. Etwa mit Ausstiegswohnung, sagt Christensen. „Da gibt es noch viele blinde Flecken“, sagt Geih: „Die Politik muss hier hinschauen und das Thema in ein Hellfeld bringen.“
Da Migration und Armutsprostitution eine große Rolle spielten, sei zudem eine länderübergreifende Vernetzung notwendig. So arbeitet Rahab-Beraterin Silvia Vintila daran, in ihrem Herkunftsland Rumänien über Nichtregierungsorganisationen Kontakte aufzubauen.
Für eine nachhaltige Beratungsarbeit sei es schwierig, wenn Stellen nur als befristete Projekte gefördert werden. So sei die Finanzierung von Rahab nur noch bis Ende 2025 durch das Deutsche Hilfswerk gesichert, sagt Eberhard Haußmann, Geschäftsführer des Kreis-Diakonieverbands Esslingen.
Auch gesellschaftlich müsse sich noch viel tun. Prostituierte dürften nicht stigmatisiert werden, sind sich die Beraterinnen einig. Sexualethisch brauche es eine gesellschaftliche Sensibilisierung für gesunde Grenzen, sagt Kathrin Geih. Das gelte sowohl für Beziehungen als auch für Prostitution.
„Wir brauchen einen offenen Diskurs, wie wir mit diesem Thema umgehen“, sagt Haußmann. Es könne nicht sein, dass Frauen über Sexportale oder bei Junggesellenabschieden im Bordell zur Ware würden. Dass eine Prostituierte sich anhören müsse: „Ich hab' dich bezahlt. Ich kann mit dir machen, was ich will.“
München (epd). Daniel Klopfer nimmt die Hühnerschenkel aus der dampfenden Brühe. „Heute Abend“, sagt der 63-Jährige, „gibt es Hühnerfrikassee mit Reis.“ Der Reis kocht auch schon. An einem Tisch in der Küche sitzt eine ehrenamtliche Helferin und bereitet aus Äpfeln und Orangen einen Obstsalat zu. Der gehört als Nachtisch zum Pudding. Vorbereitet werden die warme Mahlzeit und das Dessert für Obdachlose, die die Nacht in München draußen verbringen werden. Für sie engagiert sich der Verein „Kältebus“.
In gut zwei Stunden werden die beiden Ehrenamtler mit einem kleinen Bus zu Obdachlosen fahren, die im Freien überwintern, und ihnen warmes Essen bringen. 60 Portionen sollen es heute werden, die Behälter zum Warmhalten der Speisen stehen schon bereit.
Daniel Klopfer ist einmal pro Woche mit dem Kältebus unterwegs. Das macht er schon seit sieben Jahren. Er wolle nicht nur Geld spenden, sondern auch selbst anpacken und tatkräftig helfen, sagt er und ist gerade mit dem Vanille-Pudding beschäftigt, als Berthold Troitsch die Küche betritt. Der Immobilienverwalter ist seit 2015 der Vorsitzende des Vereins „Kältebus München“, der an die 20 Helfer zählt. Der Bus ist Winter für Winter von Oktober bis März unterwegs.
Der Verein bekommt Lebensmittelspenden von einem Supermarkt. Täglich geht der Bus mit den warmen Mahlzeiten auf Tour - von 18.30 Uhr bis gegen 22 Uhr. „Irgendwann ist man dann durchgefroren“, sagt der Vereinsvorsitzende. Für sein Engagement erhielt Troitsch kürzlich das Bundesverdienstkreuz.
Als der Bus am späten Abend mit Hühnerfrikassee, Reis, Pudding, Schokoladetafeln und Keksen losfährt, schneit es. An seiner ersten Station wartet bereits ein Mann. Seine Habseligkeiten hat er in einem Rollkoffer dabei. Er bekommt ein Plastikschüsselchen mit einer warmen Mahlzeit und einen Becher heißen Kaffee.
Der Kältebus fährt weiter. Daniel Klopfer, der am Steuer sitzt, kennt die Plätze, wo sich obdachlose Menschen in der Nacht aufhalten. Er schnappt sich eine Taschenlampe und eine Plane, als Schutz gegen die Nässe, und schlägt sich ins Gebüsch. Dort übernachtet Marie, eine obdachlose Frau. Nein, in die Unterkünfte für Wohnungslose wolle sie nicht. Denn dort gebe es Alkoholiker und Drogenabhängige. „Ich bin lieber für mich“, sagt sie, auch wenn es in der Dunkelheit und der Kälte ist. Auch sie bekommt ein warmes Essen und ein Getränk.
Der Bus fährt die Theresienwiese an. Dort haust in einem Fußgängertunnel eine Gruppe Osteuropäer. Unter dem Neonlicht haben sie ihre Schlafsäcke neben Koffern ausgebreitet, es sind etliche junge Frauen und Männer darunter. Sie kämen aus einem Ort 300 Kilometer östlich der slowakischen Hauptstadt Bratislava, erzählt einer der Männer. Sie sind Tagelöhner, die sich auf Baustellen verdingen und in der Innenstadt betteln.
Daniel Klopfer kennt inzwischen viele Obdachlose und ihre Schicksale: gesundheitliche Probleme, Arbeit weg, Frau weg. Schließlich landen sie auf der Straße. Für sie gibt es gerade in der Vorweihnachtszeit viele Hilfsangebote, sagt Vereinschef Troitsch. So seien in den Abendstunden auch andere Initiativen mit Essenslieferungen unterwegs, etwa die „Möwe Jonathan“ oder der „Marienkäfer e.V.“.
München (epd). Die Münchner Behörden weisen derzeit in der Stadt 550 Menschen ohne Unterkunft aus. Das sind jene Personen, erklärt Richard Schlickenrieder vom Amt für Wohnen und Migration, die trotz zahlreicher Hilfs- und Übernachtungsangebote im Freien schlafen - und das auch im Winter. Die Gründe für diese Wahl seien vielfältig. „Oft stehen psychische Erkrankungen dahinter“, sagt er. Das könne bei manchen Menschen Platzangst sein, sodass sie es in geschlossenen Räumen nicht aushielten, oder auch schlechte Erfahrungen, die sie mit Hilfsangeboten gemacht hätten.
Obdachlose könne als der Inbegriff von Armut gelten. Doch die Menschen auf der Straße sind nur ein kleiner, sichtbarer Teil jener Gruppe, die auf Wohnungsunterstützung angewiesen ist. Insgesamt 10.851 Wohnungslose zählte die Münchner Statistik im September 2023. Wohnungslose haben keine Mietverträge, aber ein Dach über dem Kopf. Das bedeutet, sie schlafen und wohnen in den von der Stadt bereitgestellten Unterkünften. „Drastisch auffällig im Zusammenhang mit dem Mangel an bezahlbaren Wohnraum“ sei dabei die zunehmend längere Verweildauer in diesen Unterkünften, schreibt das Wohnungsamt. Es dauere immer länger, bis Wohnungslose wieder eine eigene Wohnung beziehen könnten.
Auch die Zahl der Menschen, die in Hotels, Pensionen, Notquartieren und Akut-Unterkünften der Wohlfahrtsverbände untergebracht werden, hat sich nach den Angaben von 1.866 Personen im Jahr 2006 auf 4.952 Personen im Jahr 2023 (September) stark erhöht. Hinzu kommen seit Beginn des Krieges in der Ukraine die von dort Geflüchteten. Derzeit leben nach den Angaben 1.908 Ukrainer in Leichtbauhallen.
Eine andere Gruppe ist die der obdachlosen Arbeitsemigranten aus Osteuropa. Die Menschen aus der Slowakei oder Rumänien nächtigen oft im Freien in der Innenstadt. „Sie wollen nicht in den Übernachtungsschutz, aus welchen Gründen auch immer“, sagt Schlickenrieder. Sie werden von verschiedenen Beratungsstellen betreut, darunter „Bildung statt Betteln“ der Caritas.
Das Münchner Hilfsangebot für Obdachlose und Wohnungslose ist breit gefächert und reicht von den städtischen Notunterkünften über das Katholische Männerwohnheim, der „Psychiatrischen Akutversorgung Geflüchteter in Unterkünften“ über das Projekt „Lebensplätze“ für langjährig obdachlose ältere Frauen bis hin zur Bahnhofsmission, die ebenfalls Schlafplätze für Frauen anbietet.
In der bayerischen Landeshauptstadt existiert ein Netz von Essensangeboten: 25 Orte können die Obdachlosen für ein warmes Essen aufsuchen. „In München muss niemand hungern“, sagt Richard Schlickenrieder.
Haltern am See, Berlin (epd). Vor dem Fenster hängen Weihnachtssterne, Kerzen brennen, auf dem Sims über dem Kamin thront die Figur eines kleinen Nikolaus. Davor steht Kerstin Schöppner und erzählt mit kräftiger Stimme eine Weihnachtsgeschichte: „Es geht um einen Esel, in einem Stall in Bethlehem“, beginnt sie und unterstreicht ihre Erzählungen mit den Händen. Im Altenwohnhaus St. Anna in Haltern am See steht vor Weihnachten Erzählen mit Musik auf dem Programm. Für die musikalische Begleitung sorgt Hans-Jürgen Lehmacher, der Weihnachtslieder anstimmt und dazu Gitarre spielt.
Mit Veranstaltungen wie diesen sollen die Bewohnerinnen und Bewohner aktiviert und angeregt werden, wie Geschäftsführer und Hausleiter Peter Künstler sagt: „Auch beim Sommerfest ging es diesmal um Märchen.“ Hinzu komme: Das gemeinsame Singen wecke bei vielen alten Menschen Erinnerungen an die Jugend und Kindheit. „Sie werden auf eine gedankliche Reise mitgenommen“, sagt Künstler.
Bereits 2015 hat die Studie „Es war einmal ... Märchen und Demenz“ gezeigt, dass „professionelles, regelmäßiges und strukturiertes Märchenerzählen Menschen mit Demenz und herausfordernden Verhaltensweisen Wohlbefinden ermöglicht und Verhaltenskompetenzen aktiviert“, wie es im Abschlussbericht heißt. Die Studie entstand an der Alice Salomon Hochschule Berlin im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und der Berliner Senatsverwaltung für Gesundheit.
Die Untersuchung bezieht sich auf das bundesweite Projekt „Märchen und Demenz“, das bereits seit einigen Jahren in zahlreichen Bundesländern läuft und von der Organisation „Märchenland“ in Berlin umgesetzt und betreut wird. „Märchen sind Pfade der Erinnerung“, sagt Geschäftsführerin Silke Fischer.
„Märchenland“ bildet sogenannte Demenzerzähler aus, die bis zu achtmal pro Woche in ein Pflege- und Altenheim gehen, um dort Märchen frei und ohne Buch zu erzählen. „Dabei ist das partizipative Element sehr wichtig, da dadurch die demenziell veränderten Menschen direkt angesprochen, mitgenommen und kognitiv stimuliert werden“, sagt Fischer.
Fachkräfte in den Einrichtungen würden zu Märchenvorlesern fortgebildet. „Die Teilnehmer der Schulung lernen, professionell mit Sprache umzugehen und wie man mitreißend vorlesen kann, um dieses spezielle Publikum zu erreichen.“ Bislang sei die Organisation in rund 600 Einrichtungen aktiv. Der Schwerpunkt liege in Süd- und Ostdeutschland, da dort die Kosten meist von den örtlichen Kranken- und Pflegekassen übernommen würden.
Auch Kerstin Schöppner erzählt in Haltern am See ihre Geschichten ohne Buch, spricht die Menschen an, unterstützt die Erzählung mit Gesten und Blicken. Sie gehört nicht zum Projekt „Märchen und Demenz“, sondern hat eine Ausbildung bei der „Europäischen Märchengesellschaft“ gemacht. Im St. Anna-Wohnhaus kommt das Programm aus Geschichten und Weihnachtsliedern gut an: Bei „Stille Nacht, Heilige Nacht“ singen viele der Senioren und Seniorinnen mit. Er habe während seiner Auftritte schon erlebt, dass demente Menschen, die kaum noch hätten sprechen könne, plötzlich mitgesungen hätten, erzählt Musiker Lehmacher: „Das ist sehr ergreifend für uns, wenn wir Erinnerungen wecken.“
Das gemeinsame Singen und das Erzählen hat auch Klara Fehrmann gefallen. Die 90-Jährige lebt seit einigen Jahren im Altenwohnhaus St. Anna. „Einige Lieder hat er moderner gespielt“, ist ihr aufgefallen. Märchen wie „Schneewittchen“ oder „Aschenputtel“ höre sie eher selten, sagt Fehrmann. Aber natürlich kenne sie viele Geschichten noch aus der Kindheit.
Ludwigshafen (epd). Mit dem leidigen „Verwaltungskrempel“ kommen sie nicht mehr zurecht: Stapel mit Rechnungen müssen erledigt, Gänge zu Ämtern oder Arztpraxen organisiert und Hilfen bei Behörden beantragt werden. Alte, kranke oder behinderte Menschen schaffen es oft nicht aus eigener Kraft - rechtliche Betreuer müssen dies für sie übernehmen. Doch deren Arbeit sei bedroht, schlägt Ralph Sattler Alarm. Er ist Leiter des Betreuungsvereins Ludwigshafen, der dem Diakonischen Werk Pfalz angegliedert ist.
Kostensteigerungen sowie zeitaufwendige und teilweise bürokratische Regelungen im neuen, seit diesem Jahr geltenden Betreuungsrecht gefährdeten die Existenz der beruflichen und ehrenamtlichen Betreuer sowie der Betreuungsvereine, warnt der Sozialpädagoge und Diakoniewissenschaftler Sattler.
Der Bundesrat hat am 15. Dezember einem bereits vom Bundestag verabschiedeten Gesetz der Ampel-Koalition zugestimmt. Dieses sieht als Inflationsausgleich eine Sonderauszahlung von monatlich 7,50 Euro pro geführter Betreuung ab 1. Januar 2024 über einen Zeitraum von zwei Jahren vor.
Die Sonderauszahlung als Überbrückung sei „eine Erleichterung, ist aber noch lange nicht, was wir brauchen“, sagt der Berufsbetreuer Sattler. „Wünschenswert wären 15 bis 16 Prozent mehr Vergütung.“ Manche Berufsbetreuer kümmerten sich schon teilweise um 40 oder mehr meist ältere Menschen. Sie setzten deren Rechte durch, etwa bei Ansprüchen auf Grundsicherung gegenüber den Jobcentern. Der zeitliche Aufwand dafür werde durch die Vergütung nicht gedeckt, sagt Sattler.
Dadurch sei auch der Fortbestand von Betreuungsvereinen gefährdet, die um das Jahr 1900 als eine Idee des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF) aufkamen. Deren Aufgabe ist auch die Fortbildung und Begleitung von ehrenamtlichen Betreuern. Betreuer werden gerichtlich bestellt: In erster Linie sind es Familienangehörige, Freunde oder Bekannte, die eine Vollmacht übernehmen und einem Betreuungsverein angehören müssen. In Fällen, in denen dies nicht möglich oder gewünscht ist, werden Berufsbetreuer eingesetzt.
Erschwerend kämen für Berufsbetreuer gesetzliche Vorgaben für eine zeitintensive Dokumentation ihrer Arbeit hinzu, sagt Sattler. Diese hätten sich nicht nur am Wohl, sondern am „Wunsch“ ihrer Klientinnen und Klienten zu orientieren. Dies könne problematisch in der Alltagsarbeit sein, wenn diese etwa einen überteuerten Handytarif abschlössen: „Das muss dann meist so akzeptiert werden.“
Kopfzerbrechen bereitet Sattler auch, dass sich kaum noch Sozialarbeiter, Pädagogen oder Juristen für den verantwortungsvollen, aber auch papierlastigen Job des Berufsbetreuers entschieden. Auch seien immer weniger Bürgerinnen und Bürger bereit, eine ehrenamtliche Betreuung zu übernehmen. Diese sei auch zunehmend eine sprachliche Herausforderung, weil die Zahl bedürftiger Migranten ohne ausreichende Deutschkenntnisse wachse, sagt Sattler.
Wenn Betreuungsvereine aufgrund unzureichender Vergütung ausfielen, seien letztlich die finanziell klammen Kommunen für die Betreuungsarbeit zuständig, macht Sattler deutlich: „Sie müssen dann die Suppe auslöffeln.“ Als schlimmstes Szenario führt er an, wenn auf Betreuung angewiesene Menschen eines Tages nurmehr „verwahrt“ würden.
Berlin (epd). Der Bundesverband Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie (CBP) schreibt zum dritten Mal den CBP-Digital-Preis aus. Er steht unter dem Motto „Digital - Inklusiv“. Ausgezeichnet werden sollen Einrichtungen und Dienste der Behindertenhilfe und Psychiatrie, die Projekte umsetzen, mit denen Klientinnen und Klienten ihr Recht auf digitale Teilhabe verwirklichen können, teilte der Verband am 19. Dezember in Berlin mit. „Digitalisierung ist ein wichtiges Zukunftsthema unserer Gesellschaft, von dem Menschen mit Behinderungen nicht ausgeschlossen werden dürfen“, sagte Vorstandsmitglied Hubert Vornholt.
Durch digitale Technologien oder den Einsatz von KI könnten die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen verbessert und gestärkt werden. Technische Hilfsmittel können laut Vorholt darüber hinaus für mehr Privatsphäre sorgen, vorhandene Abhängigkeitsverhältnisse in einzelnen Lebensbereichen weitestgehend auflösen und damit den Paradigmenwechsel von der Fürsorge zur Selbstbestimmung der Menschen mit Behinderungen oder psychischen Erkrankungen weiter fördern.
Die Bewerbung für den Preis steht verbandsübergreifend allen Einrichtungen und Diensten der Behindertenhilfe und Psychiatrie offen. Er ist mit Preisgeldern in Höhe von insgesamt 12.000 Euro dotiert. Ausgezeichnet würden drei Projekte, die besonders innovativ und nachhaltig in die Strukturen der Organisation eingebunden sowie nach Möglichkeit mit leichten Modifikationen auf andere Organisationen übertragbar seien. Die Bewerbung ist bis zum 31. März 2024 möglich.
Frankfurt a. M., Karlsruhe (epd). Kinderwunscheltern müssen ihr im Ausland von einer Leihmutter geborenes Kind adoptieren können. Dass die Leihmutterschaft in Deutschland verboten ist, steht einer Stiefkindadoption nicht entgegen, entschied das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main in einem am 14. Dezember bekanntgegebenen Beschluss. Werde mit der Adoption das Kindeswohl gewährleistet, könne diese nicht versagt werden.
Im Streitfall ging es um ein deutsches Ehepaar mit unerfülltem Kinderwunsch. Das Paar nahm die Hilfe einer ukrainischen Kinderwunschklinik in Anspruch. Da die Ehefrau keine Kinder bekommen konnte, wurde mithilfe einer Eizellspende eine Schwangerschaft bei einer Leihmutter eingeleitet. Der deutsche Ehemann erkannte die Vaterschaft des in der Ukraine geborenen Kindes Anfang 2020 an. Wegen Geburtskomplikationen und pandemiebedingter Grenzschließungen konnten die deutschen Wunscheltern das Kind erst ein halbes Jahr später in ihren Haushalt aufnehmen.
Um für das Kind die volle Verantwortung übernehmen und als rechtliche Mutter gelten zu können, beantragte die Ehefrau die sogenannte Stiefkindadoption. Dabei wird das Kind des Partners als das eigene angenommen.
Doch sowohl das Jugendamt als auch das Familiengericht lehnten die Stiefkindadoption ab. So wies das Familiengericht darauf hin, dass die Kinderwunscheltern die Schwangerschaft mithilfe einer in Deutschland verbotenen Leihmutterschaft und Eizellspende herbeigeführt haben.
Das OLG hielt die Stiefkindadoption dagegen für „sittlich gerechtfertigt“. Eine von deutschen Paaren veranlasste Leihmutterschaft im Ausland schließe eine Adoption des Kindes nicht aus. Maßgeblich sei, ob die Adoption aus Gründen des Kindeswohls erforderlich sei. Hier habe der Ehemann die Vaterschaft anerkannt. Die ukrainische Leihmutter habe das Kind auch nicht bei sich aufnehmen wollen und habe der Stiefkindadoption zugestimmt.
Daher sei das Kind letztlich auf die deutschen Wunscheltern angewiesen, argumentierten die Frankfurter Richter. In diesem Fall müsse die Stiefmutter die stärkere Position als rechtliche Mutter des Kindes auch deshalb erhalten, damit die Zuordnung des Kindes etwa bei Trennung vom Vater oder nach dessen Tod, wie bei zwei rechtlichen Eltern üblich, nach Kindeswohlkriterien erfolgen könne. Mit der Adoption könne die rechtliche Mutter eine engere Bindung zum Stiefkind aufbauen und aufrechterhalten.
Dabei sei es auch unerheblich, dass hier die Stiefmutter wegen der Eizellspende mit dem Kind nicht genetisch verwandt ist. Ausschlaggebend für die Zustimmung zur Stiefkindadoption sei vielmehr ihre Rolle als soziale Mutter.
Das Bundesverfassungsgericht hatte am 7. September 2022 betont, dass auch der Verdacht einer in Deutschland verbotenen Leihmutterschaft nicht zulasten der Kinder gehen dürfe. Im Streitfall hatte die 56-jährige Beschwerdeführerin ihren aus Lettland stammenden 30-jährigen Mann geheiratet. In der Ukraine wurden zuvor Zwillinge geboren und das Ehepaar als Eltern in den Geburtsurkunden eingetragen. Auch lettische Behörden gingen von einer Elternschaft aus. Als die Frau mit den Kindern nach Deutschland zurückkehrte und ihr Ehemann zwischenzeitlich in Großbritannien lebt, erkannte das Jugendamt deren Elternschaft nicht an.
Angesichts des Alters der Frau sei es ausgeschlossen, dass diese die Zwillinge zur Welt gebracht hat. Es bestehe der Verdacht einer Leihmutterschaft, sodass nur die Leihmutter als wirkliche Mutter gelte. Der Vater sei ebenfalls nicht als rechtlicher Vater anzusehen, da die Zwillinge noch vor der Hochzeit des Paares geboren wurden. Die Behörde übernahm die Amtsvormundschaft und nahm die Kinder „in Obhut“.
Doch gerade kleine Kinder dürfen aus Kindeswohlgründen nicht vorschnell aus ihrer vertrauten Umgebung herausgenommen werden, entschied das Bundesverfassungsgericht, selbst wenn erst im Hauptsacheverfahren die Elternschaft geklärt werden könne. Denn es drohten für die Kinder eine Traumatisierung und Kindeswohlgefährdung.
Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe entschied zudem am 12. Januar 2022, dass die von einem ausländischen Gericht anerkannte Elternschaft eines schwulen Paares für ihr per Leihmutter geborenes Kind für deutsche Behörden bindend ist. Zumindest wenn ein Wunsch-Elternteil mit dem Kind genetisch verwandt ist, verstoße die Anerkennung als rechtliche Eltern trotz der in Deutschland verbotenen Leihmutterschaft nicht gegen die öffentliche Ordnung.
Az.: 2 UF 33/23 (OLG Frankfurt a. M.)
Az.: 1 BvR 1654/22 (Bundesverfassungsgericht)
Az.: XII ZB 142/20 (Bundesgerichtshof)
Erfurt (epd). Die von einer Dortmunder Caritas-Klinik ausgesprochene Kündigung einer Hebamme wegen ihres Austritts aus der katholischen Kirche hat keinen Bestand. Wie das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt am 19. Dezember mitteilte, hat die Klinik sich in dem mit Spannung erwarteten Verfahren verpflichtet, die Hebamme weiter zu beschäftigen.
Im konkreten Fall arbeitete die Klägerin als Hebamme von 1994 bis Mitte 2014 in der Caritas-Klinik. Zu diesem Zeitpunkt war sie Mitglied der katholischen Kirche. Danach machte sie sich als Hebamme selbstständig. Im September 2014 trat sie aus der katholischen Kirche aus. Grund war nicht ihr fehlender Glaube, sondern die Kindesmissbrauchsfälle in der katholischen Kirche, die strafrechtlich nicht verfolgt würden, erklärte die Frau.
Doch dann kehrte sie zu ihrem früheren katholischen Arbeitgeber zurück. Während des Einstellungsgesprächs war die Mitgliedschaft in der Kirche kein Thema. Als der kirchliche Arbeitgeber die fehlende Kirchenmitgliedschaft bemerkte, kündigte er der Hebamme. Der Kirchenaustritt sei als „Loyalitätsverstoß“ zu werten. Sie arbeite unmittelbar mit Patientinnen. Da müsse gewährleistet sein, dass sie für die Werte des Evangeliums eintritt.
Das BAG legte den Fall dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg vor. Die Erfurter Richter hielten einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz der EU-Grundrechte-Charta für möglich. So sei es widersprüchlich, wenn die Caritas-Klinik einerseits Beschäftigte wegen ihres Kirchenaustritts kündige, andererseits Mitarbeiter, die noch nie in der Kirche Mitglied waren, weiter beschäftige, befand das Gericht.
Noch bevor die Große Kammer des EuGH entscheiden konnte, machte die Klinik indes einen Rückzieher und erkannte die Revisionsanträge der Hebamme an, wohl auch, um eine höchstrichterliche Entscheidung zu verhindern. Danach ist das Arbeitsverhältnis der Hebamme durch die Kündigung nicht aufgelöst worden. Mit der Zustellung des Anerkenntnisurteils durch das BAG ist das Verfahren abgeschlossen.
Az.: 2 AZR 130/21
Kassel (epd). Kinder mit im Ausland lebenden Eltern können für sich selbst in der Regel kein Kindergeld beanspruchen. Nur wenn die Kinder Vollwaisen sind oder der Aufenthalt der Eltern im Ausland gänzlich unbekannt ist, könne der Kindergeldanspruch auf sie selbst übergehen, urteilte am 14. Dezember das Bundessozialgericht in Kassel.
Im konkreten Fall ging es um einen 2001 in Syrien geborenen Jungen, der 2015 als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling nach Deutschland geflohen war. Im Streitzeitraum von September 2018 bis Juni 2019 verfügte er über eine Aufenthaltserlaubnis, die ihm auch eine Erwerbstätigkeit gestattete. Er führte einen eigenen Haushalt und besuchte die Schule.
Bei der Familienkasse beantragte er, dass ihm das Kindergeld ausgezahlt werde. Sein Vater sei nach seiner Geburt gestorben, zu seiner Mutter habe er nur über Telefon und Internet sporadischen Kontakt. Zwischenzeitlich ist der Kläger nach Angaben seines Anwalts eingebürgert und studiert.
Der Kindergeldantrag wurde jedoch abgelehnt. Kindergeld stehe dem Grunde nach den Eltern zu. Da der Kläger den Aufenthaltsort seiner Mutter kenne, könne er für sich selbst kein Kindergeld beanspruchen.
Dem folgte auch das Bundessozialgericht. Kinder könnten nur ausnahmsweise für sich selbst Kindergeld erhalten, „wenn sie Vollwaise sind oder den Aufenthalt der Eltern nicht kennen“. Wer jedoch gelegentlich mit der Mutter telefoniere, kenne ihren Aufenthalt oder könne zumindest danach fragen.
Das Urteil hat vor allem für unbegleitete Flüchtlingskinder Auswirkungen, die in Deutschland eine Ausbildung anfangen und deren Eltern noch im Ausland leben. Erhalten Kinder allerdings Asylbewerberleistungen, wird das Kindergeld als Einkommen mindernd angerechnet.
Az.: B 10 KG 1/22 R
Osnabrück (epd). Wer sich zu spät um einen Nachweis seiner Arbeitsunfähigkeit (AU) kümmert und dadurch den Anspruch auf Krankengeld verliert, muss in diesem Zeitraum erhaltene Hartz-IV-Leistungen nicht zurückzahlen. Das Sozialgericht in Osnabrück gab mit dem am 15. Dezember bekanntgemachten Urteil vom Oktober einem Mann recht, der durch einen Bandscheibenvorfall arbeitsunfähig erkrankt war.
Der Kläger erlitt den Angaben zufolge im Juli 2018 einen Bandscheibenvorfall und bezog Krankengeld. Dabei habe ihn die Krankenkasse darauf hingewiesen, dass ein lückenloser Nachweis der Arbeitsunfähigkeit zur Fortzahlung erforderlich sei. Für die Zeit vom 12. bis zum 18. November übersandte er die Bescheinigung jedoch nicht, sodass seine Krankenkasse ihm das Krankengeld versagte.
Er beantragte laut Gericht daraufhin beim Jobcenter Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes, die auch gewährt wurden. Im März 2020 forderte das Jobcenter 961,36 Euro zurück. Es argumentierte, der Kläger habe die Hilfebedürftigkeit grob fahrlässig und sozialwidrig herbeigeführt, da er nicht rechtzeitig eine fortlaufende AU-Bescheinigung eingeholt habe.
Dem widersprach der Mann. Er trug vor, im fraglichen Zeitraum seien seine Frau, sein Sohn und er erkrankt gewesen. Öffentliche Verkehrsmittel gebe es in seinem Wohnort nicht, und er könne aufgrund des Bandscheibenvorfalls nicht zu Fuß gehen. Ihm sei angesichts seiner offensichtlich dauerhaften Erkrankung auch nicht bewusst gewesen, dass der Krankenschein so wichtig sei. Durch Hartz-IV-Leistungen sei er zudem schlechter gestellt gewesen als mit dem Krankengeld.
Das Sozialgericht schloss sich der Einschätzung des Klägers an. Der Mann sei zwar von seiner Krankenkasse über die Notwendigkeit des lückenlosen Nachweises der AU informiert worden. Dass bei fehlendem Nachweis der Krankengeldbezug vollständig ende, habe er aber nicht gewusst. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Az.: S 16 AS 47/21
Luxemburg (epd). Wer während seines Urlaubs in Quarantäne musste, hat laut einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs keinen Anspruch darauf, diese Tage nachzuholen. „Die Quarantäne ist nicht mit einer Krankheit vergleichbar“, erklärten die Richter am 14. Dezember in Luxemburg.
Ein deutscher Bankmitarbeiter hatte geklagt, weil er während seines Jahresurlaubs 2020 unter Quarantäne gestellt worden war. Daraufhin beantragte er, die Tage nachholen zu dürfen. Sein Arbeitgeber lehnte ab.
Das deutsche Recht verpflichtet den Arbeitgeber zur Übertragung von Urlaubstagen, wenn der Arbeitnehmer eine Arbeitsunfähigkeit nachweisen kann, die während des Urlaubszeitraums eingetreten ist. Grund dafür sei, dass der bezahlte Jahresurlaub es dem Arbeitnehmer ermöglichen soll, sich von seiner Arbeit zu erholen, erklärten die Luxemburger Richter. Anders als eine Krankheit stehe eine Quarantäne dem Zweck der Erholung aber nicht entgegen.
Az.: C-206/22
Straßburg (epd). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat Polen zur Zahlung einer Entschädigung von 15.000 Euro verurteilt, weil einer jungen Polin ein Schwangerschaftsabbruch trotz einer Trisomie-Diagnose für ihr Kind versagt worden war. Das Abtreibungsverbot in Polen habe die Frau gezwungen, für den Abbruch ins Ausland zu reisen, was mit erheblichen Kosten, der Trennung von familiärer Unterstützung und „erheblichen psychologischen Folgen“ verbunden gewesen sei, befanden die Richter am 14. Dezember in Straßburg.
Das Verfassungsgericht in Polen hatte 2020 das Recht auf Abtreibung eingeschränkt. Insbesondere hatte das Gericht festgehalten, dass ein Schwangerschaftsabbruch aufgrund von „fötalen Anomalien“ nicht mit der Verfassung vereinbar sei. Das Urteil trat am 27. Januar 2021 in Kraft.
Die Klägerin hatte einen Tag später, für den 28. Januar, einen Termin für den Schwangerschaftsabbruch. Ihr behandelnder Arzt teilte ihr mit, dass sie aufgrund der neuen Gesetzeslage keinen Schwangerschaftsabbruch mehr in Polen vornehmen lassen könne. Der Termin für den Eingriff wurde abgesagt. Die Frau reiste schließlich in die Niederlande, wo die Schwangerschaft in einer Privatklinik abgebrochen wurde.
Die Straßburger Richter kritisierten, die Entscheidung habe in ein Verfahren eingegriffen, für das sich die Klägerin bereits qualifiziert hatte und das bereits in Gang gesetzt worden war. Das polnische Verfassungsgericht selbst entspreche derweil nicht den Anforderungen eines Rechtsstaates, weil es bei der Wahl der polnischen Verfassungsrichter „erhebliche Regelverstöße“ gegeben habe, wie ein vorangegangenes Urteil zeige.
Az.: 40119/21
Trier (epd). Die Geschäftsführung der Barmherzige Brüder Trier gGmbH (BBT-Gruppe) ist ab Februar komplett. Dann bildet Sabine Anspach gemeinsam mit Frank Zils (55), Sprecher und Geschäftsführer Personal, christliche Unternehmenskultur und Unternehmenskommunikation, Andreas Latz (54), Geschäftsführer Finanzen, und Werner Hemmes (63), Geschäftsführer Recht, das Führungsteam. Anspach wird den Bereich „Unternehmensentwicklung“ leiten. Werner Hemmes scheidet im nächsten Jahr aus.
Die BBT-Gruppe ist mit rund 100 Einrichtungen, mehr als 15.000 Mitarbeitenden und 900 Auszubildenden einer der großen christlichen Träger von Krankenhäusern und Sozialeinrichtungen in Deutschland.
„Ich erlebe die BBT-Gruppe als wertorientiertes, dynamisches und zukunftsgewandtes Unternehmen. Ich freue mich sehr darauf, entschieden für Menschen die Zukunft der Gruppe mitzugestalten“, sagte Anspach zu ihrer neuen Aufgabe.
Sabine Anspach trat 2021 als Geschäftsführerin in die Geschäftsführung der Marienhaus Kliniken GmbH ein, wurde Mitte 2022 Vorsitzende der Geschäftsführung und im Januar 2023 zusätzlich Geschäftsführerin der spartenübergreifenden Muttergesellschaft Marienhaus GmbH.
Zuvor war sie rund fünf Jahre für die Klinikgruppe Helios in verschiedenen Positionen tätig. Zunächst war sie Mitglied der Geschäftsführung am Maximalversorger Helios Klinikum Berlin-Buch, dann Geschäftsführerin der beiden Münchner Helios-Kliniken München West und München Perlach und zuletzt Geschäftsführerin des Herzzentrums Leipzig, eines der weltweit renommiertesten universitären Herzzentren.
Die gebürtige Koblenzerin ist Absolventin der WHU - Otto Beisheim School of Management in Vallendar und schloss zusätzlich das MBA-Programm der Lancaster University Management School in England ab. Danach war sie knapp sechs Jahre in verschiedenen Rollen für CGM, ein international agierendes eHealth-Unternehmen, tätig. Hier war sie unter anderem Area Vice President Schweden, Vice President Finance Nordeuropa und Vice President Business Development. In diesen Funktionen wirkte sie in verschiedenen Ländern an der Digitalisierung des Gesundheitswesens mit, insbesondere in Skandinavien, aber auch in den Niederlanden, den USA, Südafrika und der Türkei.
Jürgen Karl Uchtmann ist mit dem Kommandeurkreuz des Malteserordens ausgezeichnet worden. Damit würdigen die Malteser den außerordentlichen Einsatz des Brigadegenerals des Kommandeurs Landeskommando Berlin in der Krisenbekämpfung und die tatkräftige Unterstützung der Bundeswehr in der Bekämpfung der Covid-19-Pandemie. Die Bundeswehr hat die Berliner Impfzentren mit Personal unterstützt. Als Dank für die tatkräftige Unterstützung der Bundeswehr und für den außerordentlichen persönlichen Einsatz von Brigadegeneral Uchtmann in der Impfkampagne, insbesondere beim Aufbau und im Betrieb des durch die Malteser organisierten Impfzentrums Messe, hat der Vizepräsident der Malteser, Albrecht Prinz von Croy, dem Kommandeur Landeskommando Berlin das vom Malteserorden verliehene Kommandeurkreuz mit Schwertern überreicht.
Astrid Lurati (57) ist vom Aufsichtsrat der Charité für weitere fünf Jahre zum Vorstandsmitglied für Finanzen und Infrastruktur bestellt worden. Die Diplom-Kauffrau ist seit Mai 2016 im Vorstand der Charité, zunächst als Direktorin des Berliner Uniklinikums, seit Ende 2019 als Vorstand Finanzen und Infrastruktur. Sie verantwortet in ihrer Position die Gesamtwirtschaftsführung der Charité. Dazu gehören die Investitionsplanung und die Konsolidierung der Jahresabschlüsse ebenso wie die Belange der Geräte-, Bau- und Liegenschaftsangelegenheiten sowie der Nachhaltigkeitsbereich. Die Charité gehört zu den größten Universitätskliniken Europas. Zu ihr gehören mehr als 100 Kliniken und Institute. Bei ihr sind mehr als 21.000 Menschen beschäftigt.
Andrea Marie Kleditzsch wird zum 1. Januar 2024 Pflegedirektorin des LWL-Universitätsklinikums Bochum des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe. Sie folgt auf die langjährige Pflegedirektorin Marion Brand, die Ende Februar nach 20 Jahren im Bochumer Klinikum und über 30 Jahren beim LWL in den Ruhestand geht. Der LWL-Gesundheits- und Krankenhausausschuss hatte Kleditzsch an die Spitze der Bochumer Pflegedirektion gewählt. Die 39-Jährige hat den Pflegeberuf von Grund auf erlernt. Nach ihrer Ausbildung zur examinierten Gesundheits- und Krankenpflegerin startete Kleditzsch 2009 im LWL-Universitätsklinikum Bochum und studierte ab 2011 berufsbegleitend Psychiatrische Pflege. Ihren Masterabschluss absolvierte sie im Studiengang „Community Mental Health“. Bis 2019 war sie stellvertretende Stationsleitung und Pflegeentwicklerin und seit 2019 als Advanced Practice Nurse (APN) angestellt.
Paul Wolters ist tot. Der Bielefelder Gesundheitswissenschaftler und Soziologe starb bereits am 25. November im Alter von 94 Jahren, wie die Universität Bielefeld am 15. Dezember mitteilte. Als langjähriger Geschäftsführer und Gründer des Europäischen Zentrums für universitäre Studien (EZUS) mit der Zielgruppe 50 plus habe er sich über seine Berufstätigkeit hinaus für gesundheitswissenschaftliche Forschung und Lehre starkgemacht, würdigte ihn die Hochschule. Seit seiner Emeritierung 2001 engagierte er sich sozialpolitisch weiter auf dem Gebiet des altersgerechten Wohnens und der wissenschaftlichen Bildung von Senioren.
15.1.:
Online-Seminar „Rechtliche Beratung in der Wohnungslosenhilfe - Mehr GeRECHTigkeit auf der Straße“
der Bundesakademie für Kirche und Diakonie
Tel.: 030/48837-495
16.1. Köln:
Seminar „Interne Revision bei gemeinnützigen Trägern“
der Solidaris Unternehmensberatung
Tel.: 02203/8997-119
16.1. Köln:
Seminar „Basiswissen Altenhilfe“
der Solidaris Unternehmensberatung
Tel.: 02203/8997-221
17.1.:
Webinar „Probleme in der Pflege lösen“
der BFS Service GmbH
Tel.: 0221/98816-802
19.1.-2.2.:
Online-Seminar „Psychiatrische Krankheitsbilder - Grundlagen“
der Bundesakademie für Kirche und Diakonie
Tel.: 030/48837-476
22.1.:
Online-Kurs „Agiles Führen - Methoden zur Steigerung der Verantwortlichkeit, Zusammenarbeit und Selbstorganisation“
der Paritätischen Akademie Süd
Tel.: 0711/286976-10
24.1. Köln:
Seminar „Personaleinsatzplanung unter dem Bundesteilhabegesetz“
Tel.: 0221/98816-802
24.1.:
Online-Seminar „Soziale Arbeit über Grenzen hinweg - offenes Beratungsangebot zu Einzelfragen der Kinder- und Jugendhilfe mit Auslandsbezug“
des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge
Tel.: 030/62980605
24.1.:
Online-Kurs „Arbeitsorganisation und Tourenplanung - ein Seminar zur neuen Personalbemessung in stationären Pflegeeinrichtungen“
der Paritätischen Akademie Süd
Tel.: 0711/286976-10
25.1. Berlin:
Seminar „Das Strukturmodell zur Entbürokratisierung der Pflegedokumentation für Pflegefachkräfte“
der Paritätischen Akademie Berlin
Tel.: 030/275828212
29.1.-28.3. Stuttgart:
Seminar „Von der Fach- zur Führungskraft“
Tel.: 030/26309-142
Februar
12.2.-4.3.:
Online-Seminar „Nachwuchs gewinnen und fördern - so geht's“
der Paritätischen Akademie Berlin
Tel.: 030/275828212